Dare o erabu kana? von Shizana (Für wen soll man sich entscheiden?) ================================================================================ Kapitel 1: Auftakt ------------------ „… und dann hat es seine Wolle aufgeplustert. Es sah so süß aus und hat mich angelächelt. Und seine Wolle war so weich und flauschig.“ „Das ist krank, weißt du das? Außerdem: Laber mich nicht die ganze Zeit mit deinem dämlichen Schafstraum zu!“ Die lebhaften Stimmen von Natsuki und Syo drangen bis in den Flur hinaus. Nur flüchtig warf Haruka einen Blick auf ihre Armbanduhr und beschleunigte ganz unbewusst ihren Schritt. Hatte sie etwa verschlafen? Aber die Uhr zeigte gerade einmal halb sieben. Und einen Termin für die Früh hatten sie doch gar nicht, oder hatte sie etwas versäumt? „Ah, Haruka-chan!“ Natsuki, der in Richtung Flur zum Mädchenflügel saß, war der Erste, der sie bemerkte, gerade als Haruka den Gemeinschaftsraum betrat. Er lächelte über das ganze Gesicht und hob einen Arm, um eifrig zu ihr herüberzuwinken. „Ohayooo~!“ „Guten Morgen, Shinomiya-san, Syo-kun“, erwiderte sie die Begrüßung außer Atem, da sie das letzte Stück beinahe gerannt war. Zwischen Sessel und Couch, wo es sich die beiden Jungs bequem gemacht hatten, kam sie zum Stehen und ging etwas in die Knie, um nach Luft zu schnappen. „Was ist los, Nanami? Wieso bist du so außer Atem?“ „Ist alles okay, Haru-chan?“ „Ich bin… gerannt… als ich euch… gehört habe“, erklärte sie brüchig. Dann begab sie sich wieder in eine aufrechte Haltung und blickte die beiden Jungs fragend an. „Haben wir einen Termin?“ „Nicht dass ich wüsste“, entgegnete Syo und kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. „Wieso fragst du?“ „Na weil ihr schon so früh auf seid. Ich hatte nicht erwartet, schon jemanden anzutreffen.“ „Ah, so ist das.“ Natsukis erleichtertes Lächeln schwang in seiner Stimme mit. „Mach dir keine Sorgen, Haru-chan. Seit Ai-chan ein Auge auf uns hatte, ist Syo-chan zu einem richtigen Frühaufsteher geworden. Auch ohne Wecker wird er immer schon um fünf Uhr wach und ist dann außer Rand und Band.“ „Oi, was erzählst du denn da, Natsuki?! Es ist ja nicht so, dass ich nicht gern hin und wieder länger schlafen wollen würde. Aber…“, kurz schüttelte es den Kleinen, „… es ist, als hätte es sich eingebrannt, was der Kerl alles getan hat, um mich aus den Federn zu kriegen. Und was, wenn ich es nicht getan habe. Woah, allein der Gedanke! So ein Scheißkerl!“ „So?“, klang Haruka nun überrascht und legte den Kopf nachdenklich schief. „Davon habe ich nie etwas mitbekommen.“ „Wie denn auch, wenn wir immerzu anderes um die Ohren haben? Ist ja nicht so, als würden wir uns jeden Morgen hier alle zusammenfinden“, beschwichtigte Syo mit einer abwinkenden Geste. „Wir hatten in der letzten Zeit auch wirklich viel zu tun. Jeder von uns.“ „Wie dem auch sei“, warf Syo zwischen die Worte des Freundes ein und lehnte sich in dem roten Sessel zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Lässig überschlug er die Beine und schloss die Augen. „So ist eben das Leben als Profi. Seien wir einfach froh, dass wir auch mal Tage wie heute haben, an denen wir etwas Ruhe am Morgen haben.“ Natsuki ihm gegenüber gab ein kurzes, verzücktes Lachen von sich, ehe er sein typisches engelsgleiches Lächeln über das ganze Gesicht strahlte. „Das frühe Aufstehen tut dir gut, Syo-chan. Du bist ja so entspannt.“ „Ich bin nicht entspannt!“ Kurz zuckte Haruka erschrocken zusammen, als der kleinere der beiden Jungs bei diesen Worten hochgefahren war. Sie hatte noch gar keine Worte gefunden, um ihn zu beruhigen, da zeterte dieser auch schon weiter: „Wie kann man denn entspannt sein, wenn man schon morgens von deinem Gerede zugeschwafelt wird?! Scheiße Mann, hättest du dich nicht einfach nochmal umdrehen können?!“ „Unmöglich.“ Natsukis helles Lachen drang durch den ganzen Raum. „Dann hätte ich ja Syo-chans Morgenritual verpasst. Du verbringst viel Zeit vor dem Kleiderschrank und dem Spiegel, wenn du dich zurechtmachst. Und es ist so süß, wenn du dich über Kleinigkeiten aufregst oder dich freust, wenn du eine neue Stilkombination entdeckt hast.“ „W-was?“ Die Augen des Kleineren weiteten sich und sein Gesicht nahm eine rötliche Färbung an. Sehr zum Vergnügen aller Anwesenden im Raum. „Außerdem habe ich doch versprochen, dich beim morgendlichen Joggen zu begleiten. Wenn du schon so früh aufstehst, muss ich das doch auch tun, sonst gehst du einfach ohne mich los.“ „Was laberst du? Du joggst nicht! Du läufst höchstens die ersten fünf Minuten mit, dann setzt du dich ins Gras oder sonst wohin und wirfst mir peinliche Anfeuerungsrufe entgegen oder pennst ein bis ich fertig bin und dich wecke, Idiot.“ Ein Lachen stahl sich aus Haruka heraus. Es tat gut, den beiden bei ihren üblichen Neckereien zuzuhören. Syo und Natsuki waren zwei sehr lebhafte Personen, und das war genau das, was sie im Augenblick brauchte. Sie könnte ihnen ewig so zuhören. „Guten Morgen“, brachte sich eine weitere Stimme in das Geschehen mit ein und Haruka blickte auf. Ren, lässig bekleidet wie so meist mit einem halboffenen, weißen Hemd, hatte sich nun ebenfalls mit Otoya an seiner Seite in der Runde eingefunden. Der Rotschopf gähnte herzhaft neben ihm. „Ihr seid ganz schön laut so früh am Morgen.“ „Jinguji-san, Ittoki-kun!“, begrüßte sie die beiden Jungs fröhlich und drehte sich nach ihnen um, um sich zu verbeugen. „Guten Morgen.“ „Ah, Nanami! Ohayo“, grüßte Otoya zurück, als er sie erblickte, und seine Müdigkeit schien mit einem Mal wie verflogen. Stattdessen grinste er nun über das ganze Gesicht. „Und natürlich auch einen guten Morgen an euch zwei, Nacchan, Syo-kun.“ „Tze“, gab Syo von sich und warf beleidigt den Kopf zur Seite. „Na klar, wir sind nur zweitrangig, was?“ Seinen besten Freund schien dies weniger zu stören. Er lächelte unbekümmert zu den beiden Neuankömmlingen herüber. „Einen schönen guten Morgen, Ren-kun, Otoya-kun.“ Derweil ging der Womanizer auf direktem Wege auf Haruka zu, ohne die anderen weiter zu beachten. Vor ihr angekommen, nahm er ihre Hand in die seine, legte ihr die andere auf die Schulter und beugte sich ein Stück zu ihr herunter, um sein Gesicht nah an das ihre zu bringen. Ein verschmitztes Lächeln lag auf seinen Lippen, während seine ozeanblauen Augen die ihren bannten. „Einen wunderschönen Morgen, my Lady.“ Sie lief unwillkürlich rot an, als er einen Kuss auf ihren Handrücken hauchte. Seine rauchige Stimme, während er gesprochen hatte, tat sein Übriges und bereitete ihr Herzklopfen. Plötzlich war ihr warm und sie fühlte sich auf eine seltsame Art benommen. Ihre Lippen stammelten unverständliche Laute, doch sie brachte kein vernünftiges Wort heraus. „Hey, Ladykiller! Muss das schon am frühen Morgen sein? Lass sie in Ruhe, klar?“, motzte Syo von seinem Platz aus. Er hatte sich derweil nach ihnen umgedreht und die Szenerie widerwillig verfolgt, und war wenig begeistert von dem, was er zu sehen bekam. „Oho“, machte Ren gespielt und erhob sich in eine gerade Haltung. Nur halbherzig blickte er über seine Schulter zu dem Kleineren herüber, wobei sein Grinsen nur noch breiter wurde. „Sind wir heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, Ochibi-chan?“ „Pass auf, was du sagst! Ich habe einen Namen, das gilt auch für dich, Arschloch!“, fuhr er aus der Haut, lehnte sich weit über die Sessellehne und streckte dem Schönling seinen schwarz lackierten Mittelfinger entgegen. Schnell machte Otoya einen Satz nach vorn und stellte sich zwischen die beiden. Indem er die Arme in ihre Richtungen ausbreitete und ein vorsichtiges Lächeln aufsetze, versuchte er die Kampflustigen zu beschwichtigen. „Hey, hey. Ganz ruhig, Jungs, okay? Nicht streiten.“ „Streiten? Mit dem? Pah!“ Syo lehnte sich betont zurück und wandte den Blick entschieden ab. „Ich bin nur genervt, das ist alles. Jeder sülzt heute nur Schwachsinn vor sich hin, das nervt gewaltig.“ „Sei doch nicht so, Syo-chan…“ „Syo-kun…“ Haruka blickte sorgenvoll zu dem abweisenden Freund. Doch statt weiterhin auf die bestehende Situation einzugehen, fiel ihr etwas ein, um das Thema zu wechseln. Damit wandte sie sich an den Rotschopf. „Wo sind Hijirikawa-san und Ichinose-san? Sind sie nicht bei euch?“ „Nun“, ging dieser auf ihre Frage ein und ließ die Arme sinken, um sich ihr ganz zuzuwenden, „Tokiya hatte mich noch geweckt, aber ist nur kurz darauf aus dem Zimmer gegangen. Ich weiß nicht, wo er hin ist; er hat mir nichts gesagt. Aber ich dachte, dass er entweder im Tonstudio oder bei euch sein würde.“ Dabei nahm sein Blick einen besorgten Ausdruck an und er strich sich flüchtig über den Nacken, als sei ihm etwas unangenehm. „Wir haben ihn noch nicht gesehen“, erklärte sie darauf leise und senkte ihren Blick vor sich zu Boden. Die Art, wie sie so mit vor sich gefalteten Händen dastand, erweckte den Eindruck, als bedrückte sie das wiederholte Verschwundensein des gemeinsamen Freundes. „Um den macht euch keine Sorgen“, meldete sich daraufhin Ren erneut zu Wort. Sein Blick haftete auf Haruka, um in erster Linie sie mit seiner Aussage anzusprechen. „So ist unser lieber Ichi eben: Er kommt und geht, wie es ihm gerade passt. Aber er wird schon wieder auftauchen. Spätestens, wenn die ganze Gruppe für etwas gebraucht wird.“ „Ja, genau“, versuchte auch Natsuki die zwei Besorgten aufzumuntern. „Tokiya-kun ist sehr viel zuverlässiger geworden, seit er mit seiner Agentur gebrochen hat. Er ist zwar noch viel unterwegs im Namen von Hayato, aber er sagte selbst, dass er das zu einem Ende bringen und in Zukunft nur noch als Ichinose Tokiya für Starish da sein möchte.“ Das stimmte, und diese Tatsache munterte Haruka in der Tat wieder auf. Es war unnötig, sich in dieser Hinsicht um Tokiya zu sorgen, und sie vertraute ihm. Dankbar lächelte sie und nickte bestätigend zu Natsuki herüber. „Was Hijirikawa anbelangt“, nahm Ren das Thema wieder auf, wobei er die Hände in einer abwehrenden Geste in den Hosentaschen verschwinden ließ, „er hat vor gut einer halben Stunde das Zimmer verlassen. Ich gehe davon aus, dass er schon vorgegangen ist, als er fertig war.“ Als seien seine Worte ein stummer Wink gewesen, hob Haruka ihren Arm und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Zehn vor sieben. Laut ihrem üblichen Zeitplan, sofern sie die Möglichkeit dazu hatten, war es gleich Zeit für das gemeinsame Frühstück. „Vielleicht ist er schon dort“, hörte sie Otoya neben ihr sagen und war im ersten Moment erschrocken, da sie nicht bemerkt hatte, dass er zu ihr getreten war und ebenfalls auf ihre Uhr geschaut hatte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich wegen der unerwarteten Nähe. Auch Otoyas Wangen nahmen einen verräterischen Rotschimmer an, als sein Blick auf den des überraschten Mädchens traf, das ihn regelrecht anstarrte. Schnell brachte er etwas Abstand zwischen ihnen, ehe er sich wieder um ein unbekümmertes Lächeln bemühte. „Gehen wir doch alle zusammen. Ich sterbe vor Hunger!“ „Mhm“, fand auch Haruka zu ihrem Lächeln zurück. Als sie daraufhin in die Runde blickte, hatten sich Syo und Natsuki bereits erhoben, als Zeichen ihres Aufbruchs. „Lasst uns gehen.“   So setzte sich die Gruppe in Bewegung. Flankiert von Ren und Otoya ging Haruka voraus, gefolgt von Natsuki und Syo, welche mit einer erneuten Diskussion über süße Dekorationen für Leben in der Runde sorgten. Sie waren auf halber Strecke zum Essbereich, als Haruka etwas auffiel. „Wo ist eigentlich Cecil-san? Hat ihn schon einer gesehen?“ „Du kennst ihn doch“, grinste sie Otoya von der Seite an, welcher sich gerade herzhaft gestreckt hatte. „Er ist ein Morgenmuffel, gerade an so sonnigen Tagen wie heute. Seit unsere Seniors wieder eigene Zimmer bezogen haben und ihm Camus-senpai nicht mehr ständig im Nacken sitzt, kann er es sich ja auch leisten, sofern nichts ansteht. Vermutlich dreht er sich in diesem Augenblick noch einmal in seinem Bett herum, haha.“ „Aber… sollten wir dann nicht jemanden schicken, um ihn zu wecken?“ „Also mich stört es nicht, dass er nicht hier ist“, brummte Syo von hinten. In all der Zeit, in der Cecil schon Teil ihrer Gruppe war, hatte er sich noch immer nicht mit dem fremdländischen Prinzen anfreunden können. Diese Tatsache war hier niemandem neu. „Wann werdet ihr endlich Freunde?“, seufzte Natsuki neben dem Kleineren, woraufhin er einen bösen Blick von eben diesem kassierte. „Nicht mehr in diesem Leben!“ „Mit Aijima ist es genau dasselbe wie mit Ichi: Der taucht schon ganz von selbst auf, nur keine Sorge.“ „Ja, besonders dann, wenn man nicht mit ihm rechnet“, kommentierte Syo abschließend. Nur flüchtig warf Haruka einen Blick über ihre Schulter zu ihm. Es bedrückte sie, dass Syo nicht mit Cecil anbandeln konnte. Alle anderen hatten recht schnell Freundschaft mit dem leibhaftigen Prinzen geschlossen – sie hatten ihn zumindest akzeptiert –, aber bei ihm stieß man bei diesem Thema auf Granit. Ja, er akzeptierte ihn in der Gruppe, wenn er es musste. Er weigerte sich auch nicht, wenn er für eine Performance neben ihm aufgestellt wurde. Doch wahre Begeisterung sah wahrlich anders aus. ‚Cecil-san…‘ Sie blickte wieder nach vorn und dachte einen Augenblick über den Jungen nach. Er würde das Frühstück verpassen, wenn er nicht noch rechtzeitig auftauchen oder ihn nicht jemand wecken würde. Es wäre nicht das erste Mal. Dabei war es ihm doch so wichtig, dass jeder ausreichend aß. Und seit Kurzem erst sagte er auch, dass er gern mit der Gruppe beisammen war. Anders als zu Beginn, als er zwar auch oft bei ihnen gewesen war, aber eher aus Neugierde und Notdurft heraus. „Mach dir keine Sorgen“, flüsterte Otoya neben ihr, woraufhin sie ertappt zu ihm aufblickte. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Wir werden alle zusammen frühstücken, nicht?“ „Mhm“, lächelte sie zurück. Vermutlich hatte er recht, sie machte sich wohl viel zu viele Sorgen. Doch lieber sorgte sie sich um die Jungs als… – Allein der Ansatz dieses Gedankens deprimierte sie aufs Neue. Zu ihrem Glück hatte sie nicht lange die Gelegenheit, sich in diesen Gedanken zu vertiefen. Nur wenig später hatte die Gruppe ihr Ziel erreicht und Ren öffnete die Tür zum Esszimmer. Und kaum dass sie eingetreten waren, erwartete sie die nächste Überraschung. „Gut, ihr seid pünktlich.“ „Hijirikawa-san!“ Die Jungs kamen neben Haruka versammelt zum Stehen. Fünf Augenpaare ruhten auf dem jungen Mann, der eben noch zwei Schalen gefüllt mit Reis und einer Suppe auf ihrem Stammtisch abstellte. Über der schwarzen Stoffhose und dem grau-blauen Pullower, unter welchem der Kragen eines weißen Hemdes herausragte, trug er eine hohe, weiße Küchenschürze. Die Haare waren mit einem ebenso weißen Kopftuch zurückgebunden und seine Hände zierten weite, rosa gepunktete Kochhandschuhe. „Du hast gekocht?“ „Oah~, wie cool!“ „Was für süße Handschuhe!“ Nur Ren verkniff sich jeglichen Kommentar, während er seinen Zimmermitbewohner intensiv musterte. Erst als sich alle in Bewegung setzten, rang er sich noch eine stichelnde Bemerkung ab: „Neuerdings ein Zimmermädchen, Hijirikawa? Ich könnte mir ein schöneres Model in dieser Rolle vorstellen.“ Doch Masato war resistent gegen diese Worte. Er beendete lediglich seine Tätigkeit, ehe er so weit von dem Tisch wegtrat, dass jeder seinen gewohnten Platz einnehmen konnte. „Setzt euch schon einmal. Wir sind gleich fertig.“ „Wir?“, wiederholte Haruka fragend, als sie sich auf einen der rot gepolsterten Holzstühle setzte. Ihre Frage sollte sich nur einen Augenblick später ganz von selbst beantworten. „Tee und Kaffee sind fertig. Nimmst du es mir bitte ab? … Hm?“ „Ichinose-san?“ „Tokiya!“ Otoya, welcher sich gerade erst auf dem Platz neben Natsuki gesetzt hatte, sprang von seinem Stuhl auf, als er den Freund erblickte. „Hier hast du gesteckt? Du hättest doch auf mich warten können, dann hätte ich euch geholfen.“ „Unnötig“, entgegnete Tokiya knapp, wobei er eine Kaffee- und Teekanne an Masato reichte, welcher nach seiner Aufforderung zu ihm gekommen war, um ihm die Heißgetränke abzunehmen. „Ich bin selbst noch nicht lange hier. Aber da ihr noch nicht da wart, habe ich eben ein wenig bei den Frühstücksvorbereiten ausgeholfen.“ „Süß…“, kommentierte Syo von Natsukis anderer Seite aus und lehnte gelangweilt das Gesicht in die Hand, während er mit der anderen auf Tokiya deutete. Auch dieser hatte sich eine Halbschürze notdürftig umgebunden, um sich vor dem gröbsten Schaden zu bewahren. „Ist das Piyo-chan? Ah, wie süß!“, freute sich Natsuki, als er das gelbe Enten-Motiv auf der weißen Schürze entdeckte. Es war nur klein auf Hüfthöhe, und vermutlich hatte Tokiya gehofft, dass es niemandem auffallen würde. Nach einem kurzen Räuspern „Die hing in der Küche“ überging er den Kommentar einfach und lenkte stattdessen zurück aufs Thema. „Natsuki, für dich steht noch Kakao auf dem Herd. Es dauert noch einen Moment.“ „Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen. Aber es ist lieb von euch. Vielen Dank, Tokiya-kun.“ Nach einem weiteren Blick auf die Schürze mit dem Piyo-Aufdruck, schmunzelte er, ehe er leise auflachte. „Ihr beide seid wie Mütter zu uns. Es fühlt sich so an, als seien wir alle eine große, glückliche Familie.“ „Jesus Christus“, stöhnte Syo, schlug sich die Hand gegen die Stirn und schüttelte mit dem Kopf. „Jetzt geht das wieder los!“ „Findest du das denn nicht, Syo-chan?“ „Mit euch Typen als Familie wundert es mich gar nicht, wenn meine Nerven schnell im Keller sind!“ „Aber… Syo-chan…?“ „Mach doch keinen Aufriss, Ochibi-chan. Gib’s doch einfach zu“, schmunzelte Ren an der Tischspitze zu Syos Seite und zwinkerte dem Kleinen vielsagend zu. Dieser lief sofort rot an. „S-sei doch still! Mann, ihr seid heute aber wirklich alle komisch.“ Damit verschränkte er abwehrend die Arme vor der Brust und wandte den Blick zur Seite ab, doch verbergen tat er damit weniger als er preisgab. Haruka hob sich eine Hand an die Lippen, um das Kichern zu überdecken, welches sie sich nicht verkneifen konnte. Sie liebte diese Runde mit ihren Freunden, und es tat gut. Wenn sie alle so natürlich waren, hatte sie das Gefühl, als habe sich nichts verändert, seit sie die Saotome Academy verlassen hatten. Diese Momente waren immer seltener geworden, seit sie alle unter einem Dach lebten und nahezu immer beisammen waren. Anders als damals, als sie sich nur nach der Schule in den Gemeinschaftsräumen oder auf dem Hof gesehen hatten und es noch, im Vergleich zu jetzt, so ungezwungen gewesen war. Freier, irgendwie, und mit weit weniger Stress verbunden. Gerade die letzten zwei Monate waren sehr hart für sie alle gewesen. Ein Termin jagte den nächsten, oft waren sie als Gruppe unterwegs, aber zeitweise auch jeder für sich oder aber in vereinzelten Grüppchen. In manchen Wochen hatten sie sich für Tage nicht gesehen, hatten dann nicht so wie jetzt so fröhlich und entspannt beieinandersitzen und plaudern können. Sie fragte sich, was von all diesen Aspekten am meisten Schuld daran hatte, dass die Gruppe in der letzten Zeit deutlich häufiger als sonst gestritten hatte. Aber das war auch ganz egal, zumindest für diesen Moment, in dem all das weit weg erschien und gar nicht mehr daran zu denken war, dass es je anders hätte sein können. „Habt ihr Cecil-san heute schon gesehen?“, wollte sie von Tokiya wissen, welcher sich gerade links von ihr setzte, da seine Arbeit für das Frühstück getan war. Einen Moment lang sah er sie an, ohne etwas zu sagen. Erst als er seinen Blick wieder von ihr abwandte, setzte er zu einer Antwort an. „Nein, noch nicht.“ „Hm…“ „Er wird das Frühstück verpassen“, gab Otoya zu bedenken, wobei er eine Hand an sein Kinn und die Stirn in Falten legte. Nach einem kurzen Überlegen schob er schließlich seinen Stuhl entschieden zurück. „Ich werde ihn holen gehen.“ „Bleib sitzen“, sprach Masato hinter ihm und drückte ihn auf seinen Platz zurück, gerade als Otoya Anstalten machte, sich zu erheben. Mit der freien Hand gab er Natsuki den gerade fertig gewordenen Kakao in dessen Tasse, wobei er erklärend fortfuhr: „Er weiß, dass um sieben Uhr regulär gemeinsames Frühstück ist, sofern nichts dazwischenkommt. Nanami hat ihm sogar einen Wecker gekauft, damit er nicht so viel Ärger mit seinem Senior hat. Es liegt in seiner eigenen Verantwortung sich selbst gegenüber, diesen auch seinem Zweck entsprechend zu verwenden.“ „Ja, aber…“ „Masato hat recht“, unterbrach Tokiya den Einwand des Rothaarigen, tat es dabei dem Firmensohn gleich und gab Haruka Tee in ihre Tasse ein. „Kein Aber, Otoya. Lass ihn.“ Nur widerwillig gab der Rotschopf bei. Seine Schultern sackten nach vorn und er schaute nur vorsichtig zu Haruka hinüber. Als er ihren Blick auf sich bemerkte, lächelte er entschuldigend, als wollte er sagen: „Tut mir leid, Nanami. Ich kann mein Versprechen dir gegenüber nicht einhalten.“ Sie verstand seine stumme Botschaft und lächelte beschwichtigend zu ihm zurück. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr Blick besorgt zu dem freien Platz an der anderen Spitze des Tisches schweifte. Nachdem auch Masato seinen Platz an ihrer anderen freien Seite eingenommen hatte, war jener Stuhl der letzte, der unbesetzt blieb. – Cecils Platz. Es stimmte sie traurig. Wäre er hier, wären sie alle das erste Mal seit fast zwei Wochen fürs Frühstück beisammen gewesen. Doch solange auch nur einer aus ihrer Gruppe fehlte, waren sie nicht mehr vollständig. Dabei wäre es so schön gewesen, wenn sie es wenigstens für diesen Morgen gewesen wären.   Das Frühstück verlief friedlich, jedenfalls für die Verhältnisse von Starish gesprochen. Nachdem sie fertig waren, waren die Rollen schnell verteilt, dass all jene, die nicht am Herrichten des Frühstücks beteiligt gewesen waren, das Abräumen und den Abwasch übernehmen würden. Zum Ausgleich, könnte man sagen. So hatte sich Haruka zusammen mit Ren um das Abräumen des Tisches gekümmert, während Syo und Natsuki den Abwasch bedienten. Otoya übernahm das übrige Aufräumen, und so war die Arbeit schnell erledigt. Während alle ihrer Arbeit nachgegangen waren, hatten sich Haruka und Otoya hinter dem Rücken der anderen abgesprochen, ein wenig des übrig gebliebenen Frühstücks für das fehlende Mitglied ihrer Gruppe zurückzulegen, welches Otoya anschließend in Cecils Zimmer schmuggeln wollte. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie es selbst hätte tun können, doch Otoya hatte ihr davon abgeraten. Bei so vielen Jungs, die den Jungenflügel bewohnten, wäre es zu riskant gewesen, dass sie einer von ihnen dabei erwischt hätte. Und niemand hätte es gern gesehen, wenn sie sich auf den Fluren der Jungs herumtrieb. Also hatte sie klein beigegeben und es an ihn übertragen. Mittlerweile war sie wieder auf ihrem Zimmer und stand unschlüssig vor ihrem Schreibtisch. Auf diesem waren einige leere Notenblätter ausgebreitet, die nur darauf warteten, von ihr beschrieben zu werden. Doch ans Komponieren war im Augenblick nicht zu denken. Wenn sie es versuchen würde, würde sie wieder versagen? Die Worte des Direktors brannten ihr noch immer auf der Seele und raubten ihr jeglichen Mut. Sie hatte lange nicht mehr so schlecht geschlafen wie letzte Nacht, weil sie jene Worte einfach nicht aus ihrem Kopf bekommen hatte. Schwer seufzte sie und ließ den Kopf zwischen ihren Schultern hängen. Ihr war durchaus bewusst, dass sie sich nicht lange so hängen lassen konnte. Aber vielleicht, wenn sie es nur noch ein wenig besser sacken lassen und verarbeiten konnte, vielleicht würde es dann wieder besser gehen. Vielleicht würde ihr dann eine neue Melodie in den Sinn kommen, die besser war als die letzte. Egal wie, sie musste es einfach schaffen, den Direktor wieder von sich zu überzeugen. Auf gar keinen Fall wollte sie abberufen werden, für Starish die Musik zu schreiben. Die Angst war so schon groß genug, dass es jederzeit passieren könnte, denn letztlich – auch das war ihr bewusst, schon immer – waren es die Jungs, um die der ganze Jubel prangte. Ihre Leistungen auf der Bühne waren es, die für die Leute in erster Linie zählten, alles andere kam erst an zweiter oder gar dritter Stelle. Wenn ihr Lied nicht gut genug war, fiel es in erster Linie auf die Jungs – auf Starish – zurück, selbst wenn sie die Einzige war, deren Arbeit ungenügend gewesen war. Ein leises Klopfen holte sie aus ihren negativen Gedanken. Es dauerte einen Moment, bis sie es realisierte und sich fragend in Richtung Tür umblickte. Gerade machte sie die ersten Schritte darauf zu, als das Klopfen erneut ertönte. Erst da wurde ihr bewusst, dass es nicht von der Tür kam, sondern vom Balkon. Sie blickte über ihre Schulter zurück und erkannte sofort jene Person, die dort hinter der Glasscheibe stand und noch ein weiteres Mal mit den Fingerknöcheln zart gegen das Glas klopfte. „Cecil-san?“ Schnell wandte sie sich um und eilte auf die Balkontür zu, um sie dem unerwarteten Besucher zu öffnen. Ihre Überraschung war nicht zu verbergen, als sie zu dem dunkelhäutigen Jungen aufblickte. „Cecil-san, was machst du denn hier?“ „Guten Morgen, my Princess“, sprach er sanft und schenkte ihr dabei ein Lächeln, welches sie sofort erröten ließ. „Guten M-M-Morgen…“ Sichtlich angetan von ihrer Reaktion legte er den Kopf ein wenig schief. Nach einem kurzen Moment reichte er mit seiner Hand in sein Gewand und holte dort ein kleines Schälchen hervor, welches mit Reis gefüllt und einer Klarsichtfolie abgedeckt war. „Otoya hat mir das gerade vorbeigebracht, mit lieben Grüßen von dir“, erklärte er vielsagend in seinem Lächeln, ehe es einem traurigen Ausdruck wich. „Es tut mir leid, dass ich verschlafen habe. Ich hätte gern mit dir zusammen gefrühstückt.“ Bei diesen Worten fiel ihr ein großer Stein vom Herzen. Sacht schüttelte sie den Kopf. „Ist schon okay. Wir hatten die letzte Zeit alle viel zu tun, da ist es verständlich, wenn man zur Abwechslung einmal ausschlafen möchte. Dir ist deswegen niemand böse.“ „Mir ist nur wichtig, dass du mir nicht böse bist. Dennoch, ich bin froh, das zu hören.“ Er wandte sich dem Schälchen in seiner Hand zu, liftete die Folie so weit, dass er ein wenig des Reises zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen bekam und schob sich diese in den Mund. Otoya hatte ein wenig der Frühlingssuppe, welche Masato zubereitet hatte, darübergegeben, so schmeckte der sonst so milde Reis angenehm würzig nach Brühe und frischem Zwiebelgemüse. „Das ist lecker“, befand er und lächelte zu Haruka herüber. „Hast du das gekocht, Haruka?“ „Nein. Hijirikawa-san hat für uns das Frühstück gemacht“, erklärte sie kopfschüttelnd. Ihr war dennoch anzusehen, dass sie peinlich berührt von dem fälschlichen Kompliment war, das nicht ihr zu machen war. „Masato? Ach so.“ Zwar sank Cecils Begeisterung unverblümt bei diesen Worten, dennoch griff er nach den Stäbchen, welche er unter seiner Schärpe festgebunden hatte. Er löste schließlich die Folie vollständig, nahm die Stäbchen zur Hand und schenkte dem Mädchen ein weiteres, fröhliches Lächeln. „Lass uns zusammen frühstücken, Haruka.“ „Wa-was? Aber… ich habe doch schon gefrühstückt.“ „Hm…“ Cecil ließ seinen Blick sinken. Einen Augenblick lang schwieg er betreten, bis er das Reisschälchen in seiner Hand sinken ließ. „Dann mag ich auch nicht mehr essen. Ich esse viel lieber mit dir zusammen.“ „Cecil-san…“ Ihre Blicke trafen sich, als er wieder zu ihr aufsah. Für Sekunden sagten sie nichts, was Haruka seltsam unangenehm war. Sie wusste nicht wieso, aber sie hatte das Gefühl, als forschte er sie; als blickte er in sie hinein. „Haruka“, sprach er dann endlich wieder, doch seine Stimme klang ernst dabei. „Geht es dir gut? Du siehst müde aus.“ „W-was? Echt?“ Reflexartig tastete sie mit ihren Fingern über ihr Gesicht, insbesondere unterhalb ihrer Augen, ob sie wohlmöglich Augenringe haben könnte, die dies verrieten. Jedoch konnte sie nichts Verdächtiges ausmachen, und beim Frühstück hatte sie auch niemand der anderen Jungs darauf angesprochen. „Naja, ich habe etwas schlecht geschlafen letzte Nacht“, gestand sie schließlich, versuchte es aber sofort mit einem unbekümmerten Lächeln zu entkräften. „Schlecht geschlafen?“ Er überdachte diese Worte einen Augenblick lang. „Wegen der Kritik des Direktors gestern?“ – Volltreffer! „Ä-ähm… ja…“ Es nützte nichts, es vor ihm verbergen zu wollen. Bei Cecil hatte sie schon oft das Gefühl gehabt, dass er die Leute durchschauen konnte. Genug jedenfalls, um zu erkennen, wenn jemand log oder nicht aufrichtig zu sich selbst war. Das hatte er schon oft genug bewiesen, nicht nur bei den Jungs. „Mach dir keine Sorgen, Haruka. Was Shining Saotome gesagt hat…“ Doch er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn just in diesem Augenblick ertönte das melodische Klimpern von Harukas Handy in ihrem Zimmer. Zeitgleich blickten sie in jene Richtung, aus der es gekommen war. „Eine SMS“, sprach Haruka mehr zu sich selbst, ehe sie sich auch schon umdrehte und zurück in ihr Zimmer ging. Und sie sollte sich nicht irren: Das Display zeigte ihr ein kleines Briefsymbol an, als Absender stand „Shining Saotome“ geschrieben. Cecil war ihr derweil gefolgt und stand nun dicht hinter ihr, um ihr über die Schulter schauen zu können. „SMS?“, fragte er wenig interessiert. Die Störung kam ihm äußerst ungelegen und er gab sich wenig Mühe, diese Tatsache zu überspielen. „Von wem?“ „Vom Direktor. Mal sehen…“ Sie öffnete die Textnachricht mit wenigen Tastendrucks, bis sie die wenigen Wörter laut vorlas: „‚Starish, versammelt euch im Gemeinschaftsraum.‘  – Was, jetzt? Wieso?“ Sie erhielt keine Antwort darauf. Cecil stand nur hinter ihr, starrte ohne jegliche Regung in seinen Gesichtszügen auf das kleine Display in ihren Händen und schwieg. „Cecil-san, lass uns gehen. Die anderen werden sicherlich auch diese SMS erhalten haben.“ Damit befestigte sie ihr Handy über einen angebrachten Widerhaken an einer Schlaufe ihres Rockes und wollte auch schon aufbrechen, doch eine kräftige Hand hielt sie an ihrem Handgelenk zurück. „Haruka, warte noch einen Moment.“ Sofort hielt sie in ihrem Vorhaben inne und blickte sich fragend nach dem Jungen hinter ihr um. Dessen sonst so sanftes Gesicht, auf dem die meiste Zeit über ein warmes Lächeln lag, war nun ernst und von Sorge gezeichnet. „Wir führen dieses Gespräch fort. Nachher.“ Erst nach einem kurzen Zögern nickte sie zusagend. Auch sie hätte gern gewusst, was er ihr gerade hatte sagen wollen, doch im Augenblick hatten andere Dinge Vorrang. Das musste auch Cecil einsehen, auch wenn sie ihm ansah, dass er dies nur widerwillig tat. Er erwiderte ihr Nicken, ehe er mit seiner Hand so umgriff, dass sich seine Finger mit den ihren verflochten. So mit ihr verbunden, kehrte sein Lächeln auf seine Lippen zurück und er umfasste ihre Hand fester. „Gehen wir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)