Splitter der Seele von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Welt ist grau. Grau und schmerzhaft; so wie mein Leben. Und es tut von Tag zu Tag immer mehr weh. Wie eine Wunde, die nicht heilt. Ich sehe aus dem Fenster und blicke in den bewölkten Himmel. Wenigstens er passt sich meiner Stimmung an. Wo ich doch sonst immer nur anecke. Mein ganzes Leben, meine ganze Existenz, wo ist der Sinn darin? Sehen kann ich ihn nicht. Mein Himmel wird immer bewölkt bleiben. Es wird nie wieder die Sonne scheinen. So wie früher. Als du noch an meiner Seite gewesen bist, Christian. Als du mir einen Sinn gegeben hast. Dein Wesen, dein Lachen; welches immer noch in meinen Ohren hallt; deine Augen, einfach du. Du warst nicht nur meine erste und einzige Liebe, nein, du hast mir gezeigt; was Glück bedeutet. Was es bedeutet, wenn man wichtig für jemanden ist. Wenn man von jemanden geliebt wird. Wann immer ich schwere Zeiten hatte; du standest hinter mir. Aber nun bist du weg. Dieser schreckliche Autounfall hat dich mir entrissen. Das Schicksal wollte nicht, dass ich glücklich bin. Christian, mit dir war ich fröhlich; doch nun bin ich einsam. Es ist nun schon mehrere Monate her; aber es tut immer noch weh. Ich kann dich einfach nicht vergessen. Nun bin ich allein, von der Welt verlassen; wie ein ausgespuckter Kaugummi. Ich schlüpfe aus meinen Schlafsachen heraus; und in meine schwarze Hose und mein schwarzes Top hinein. Warum sollte ich Farbe tragen, wie diese optimistischen Leute dort draußen; wenn in mir sowieso alles schwarz ist? Viele nennen mich Pessimist oder Emo; ich dagegen sage einfach nur; dass ich der Wahrheit ins Gesicht blicke. Ein kleiner Stups von der Seite. Nein, Robin, du hast mich nicht alleine gelassen. Meine einzige, treue Seele. Nein du siehst nicht nur meine Hülle, sondern verstehst du mein Innerstes. Hast mich nie im Stich gelassen. Deine Augen stets voller bedingungsloser Liebe. Erwartest nichts von mir. Keine perfekten Noten, kein angepasstes Leben. Du bist einfach für mich da. „Komm, Robin, wir gehen spazieren.“ Mit dir herumzugehen macht mir noch Spaß. Aber was ist Spaß, was ist Freude genau? Ich weiß es nicht. Die Sonnenscheinmomente in meinem Leben waren nur selten und von kurzer Dauer. Versuche, meine wirren, braunen Haare zu bändigen, doch ich scheitere... deswegen binde ich sie alle so gut es geht zusammen. Warum sich die Mühe machen, die meisten beachten mich sowieso nicht. Besonders der Alte dort unten nicht. Und du Robin, du magst mich so, wie ich bin. Seit seinem Tod mache ich mir sowieso keine Mühe mehr in dieser Richtung. Hat eh keinen Sinn mehr. Nachdem ich dir das Halsband umgebunden habe; und die Leine angekoppelt; gehe ich die Treppe hinunter. Aus dem Fernseher dröhnt das tägliche Nachmittagsprogramm. Irgendwelche zweitklassigen Schauspieler, die sich in irgendwelchen Talkshows gegenseitig verbal fertig machen. Daran merkt man den Werteverfall der modernen Gesellschaft. Ich mache mich auf zur Tür, doch dafür muss ich leider durch das Wohnzimmer. An ihm vorbei. An meinem Vater. Gefühlsmäßig ist er es eh nur auf dem Papier. Er sieht in mir nur eine Magd. „Hey! Wenn du schon rausgehst, bringe mir gefälligst einen Sixpack Schwarzbier mit. Und die Küche; und das Bad, die hast du heute auch noch nicht geputzt!“ Seine Stimme ist wie immer ranzig; und die Fahne rieche ich bis hierher. Vom Anblick mehrerer Bierflaschen und Flachmännern neben dem Fernsehsessel will ich gar nicht erst anfangen. Du warst schon immer so. Und wirst dich nie ändern. Früher hast du immer meine Mutter angeschrien. Egal ob ich dabei war oder nicht. Du hast sie immer geschlagen, gedemütigt, beschimpft. Meine Mutter war ein typischer Gutmensch; und du Schwein hast sie ausgenutzt. Sie hat sich immer für mich eingesetzt; bis zu jenem verhängnisvollen Tag. Als sie vor den Zug fiel. In der Zeitung, in den Nachrichten hieß es, es wäre ein Unfall, verursacht durch übermäßigen Alkoholkonsum. Doch ich weiß es besser. Du Monster von einem Vater hast sie so weit gebracht. Nur deinetwegen hat sie so viel Leiden müssen; nur wegen dir nahm sie täglich so viele Antidepressiva ein. Nur wegen dir verfiel sie dem Alkohol. Nur wegen dir ist sie vor diesen Zug gesprungen; sie konnte den Schmerz nicht ertragen. Das hast du nie verstanden. Und ich kann es ihr nicht verübeln. Ich hasse sie deswegen nicht. Nein, sie hat sich sogar bei mir entschuldigt. Schon mehrfach wollte ich dir, Christian, folgen, in eine bessere Welt, aber ich habe es nicht fertig gebracht. Mutter, Christian, ihr seid an einem besseren Ort; nur ich sitze in der Hölle fest. Seit sie tot ist, hat er sich auf mich fixiert. Damals, gleich nach Mamas Beerdigung, hast du mir die ganze Bandbreite deines abscheulichen Wesens gezeigt. Auch Dinge, die ich sonst nicht zu sehen bekam. Die ich nie hätte sehen wollen. Deine Frau war gestorben, aber das war dir egal. Hauptsache, es steht immer Bier im Kühlschrank. Du hast mich ausgenutzt und ausgebeutet. Wie oft habe ich auf mein Taschengeld verzichten müssen, wie lange wurde ich gemoppt, nur weil ich keine neue Kleidung haben konnte? Wie oft musste ich hungrig ins Bett? Unzählige Male. Es hat dir nicht nur gereicht, mich zu beherrschen. Nein, du wolltest mehr. Für dich war ich doch nur ein hilfloses, nein, womöglich sogar ein dankbares Opfer. „Du weißt doch, dass ich dich sehr gerne habe.“ Nicht ein einziges Mal hast du das ernst gemeint. Ich bin für dich nur ein Spielzeug, das du nehmen kannst, wie dir lustig ist. Damals, ich hatte keine Ahnung, hast du mich in mein Zimmer gezerrt. Dein Lächeln, wie das des Teufels. Zwar hatte ich mich gewehrt, aber ich war zu schwach. Und so hast du mich ausgezogen; und deine perversen, schmutzigen Phantasien an mir ausgelebt. Auf mein Weinen, mein Flehen bist du nicht eingegangen. Vermutlich hast du deine Frau auch ständig so vergewaltigt. Hinterher hast du mich einen Kartoffelsack liegen lassen. Mit all meinen Schmerzen, und dem Blut auf dem Laken. Für dich war ich nur eine Sexsklavin, eine billige. Immer wieder bist du über mich hergefallen. Auch wenn du mich nur geküsst; oder angefasst hast an Stellen; wo eigentlich nur auserwählte Menschen hin dürfen; war es ein Horror. Einer, den ich die letzten Jahre ertragen musste. Mein Körper heilte, aber meine Seele nicht. „Hast du mich verstanden?“ Langsam erhebst du dich aus deinem Sessel; und wanderst auf mich zu. Die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Besonders im Gesicht. Schließlich stehst du vor mir. Mit deinem widerlichen Lächeln. „Ich mache dir einen Vorschlag, ich erlasse dir das mit dem Bad und der Küche; wenn du mir dafür die entsprechende Leistung bringst.“ Dann lässt du dich wieder auf deinen Sessel nieder. Ich weiß, was das bedeutet. Für ein paar Stunden dein Opfer, deiner Perversion ausgeliefert sein. Wie es mir dabei ergeht, ist dir egal. Hauptsache, du Perverser hast deinen Spaß. Abgesehen davon, dass wir verwandt sind, wird mir schon beim bloßen Gedanken schlecht. Vor langer Zeit schon habe ich aufgehört mich zu wehren. Bringt eh nichts. Schnell renne ich mit Robin hinaus. Raus aus diesem Albtraum. Renne immer weiter und weiter; bis ich irgendwann im Wald ankomme. Und du bist mir nicht von der Seite gewichen. Robin, du bist eine der besten Wesen in meinem gesamten Leben. Etwas rinnt meine Wange nieder; und ich kann meine Tränen nicht zurück halten. All der Schmerz, das Leiden, es bricht nun aus. Der Damm ist zerstört, und Verzweiflung macht sich in meinem Inneren breit. Kein Wunder, habe ich mich doch niemanden in letzter Zeit öffnen können. Nur du bist da, Robin. Meine Beine rutschen unter mir weg; und ich sicke zu Boden. Falle auf den mit Blättern über und über bedeckten Boden. Es ist zwar ein kalter Herbst, aber ich spüre die Kälte nicht. Nur den Schmerz meiner verwundeten Seele. Schluchzend umarme ich dich. Spüre deine Wärme. Sowohl die psychische als auch die körperliche. Meine Tränen fließen; und ich lasse sie laufen. Wehre mich nicht dagegen. Und du bleibst bei mir. Gibst mir deine Schulter. Wenn ich dich nicht hätte, wäre ich vermutlich schon längst tot. Aber du gibst mir einen letzten, aber dennoch kleinen Lebenswillen. Du bist vermutlich der Grund, weshalb ich mich noch nicht umbringen konnte. Wie lange wir da so sitzen, weiß ich nicht, aber es wird langsam spät. Die letzten Tränen aus den Augen wischend, nehme ich deine Leine und gehe langsam wieder nach Hause. Ich wünschte, der Weg würde ewig dauern, aber das Schicksal erhört mich nicht. Hat es nie. Gehe so an der Straße entlang, es herrscht wie zur Spätnachmittagszeit üblich viel Verkehr auf den Straßen. Menschen, die von der Arbeit in ein glückliches Zuhause fahren. In ein schöneres das meine. Es war nur für einige Sekunden; aber es war einige Sekunden zu viel. Dort vorne in der Menge, bei den vielen Menschen sehe ich dich, Christian. Sehe ich deinen Kopf, deinen Körper. Ich rufe zu dir hin; aber du reagierst nicht. Renne auf dich zu; doch du bist nur ein Gebilde. Meine angespannten Muskeln werden locker. War das dein Geist? Oder nur Einbildung? Für einen kurzen Moment sah ich dein Lächeln, das mich all die schrecklichen Dinge vergessen lässt. Aber du bist fort, für immer fort. Und wirst nie zurückkehren. Jetzt will ich einfach nur nach Hause; doch dann sehe ich, dass ich die Leine losgelassen hatte. Als meine Muskeln erschlafft sind. Sehe nach rechts; und sehe das Unglück. Es ist wie in Zeitlupe. Robin, meine treue, ausgewachsene Retrieverhündin, wie du auf die Straße zu rennst. Wie von der Seite ein viel zu schnelles Auto kommt. Ich höre mich noch deinen Namen schreien, aber es ist zu spät. Ein Quietschen der Reifen, dann ein Bong, gefolgt von einem markerschütternden Quieken von dir. Dann nichts mehr. Alle anderen blieben stehen, beobachteten die Szene wie die Aasgeier ihr Opfer. Alles in mir wird taub. Renne auf die Straßen; auf dich zu. Doch es ist zu spät. Langsam fließt ein Rinnsal Blut von dir weg. „Robin!“ Meine Tränen rinnen hinunter, es konnte nicht sein. Nein, es durfte einfach nicht. Immer wieder schüttel ich dich; und rufe deinen Namen. Der Fahrer steigt aus; und er versucht mich von dir wegzuziehen. Kann nicht genau hören, was er sagt. Versuche, dich aus deinem Schlaf zu wecken. Aber du schläfst nicht. Du bist tot. Nun bin ich vollkommen allein. Allein mit einem Monster, was mich heute wieder schänden will. Aus der Ferne höre ich die Leute auf mich einreden, aber ich will es nicht hören. Jetzt hält mich nichts mehr. Ruhig erhebe ich mich und gehe ruhigen Schrittes weg. Was hinter mir geschieht, weiß ich nicht. Bekomme sowieso nichts mehr mit. Es ist wie in einem Film. Alles mechanisch. Ich funktioniere nur noch, wie eine Maschine. Innerlich bin ich zusammen mit Robin gestorben. Nun stehe ich nun hier, auf der sehr hohen Autobahnbrücke. Unter mir in 40 Meter Entfernung der Asphalt. An mir Robins Blut. Es ist überall auf meiner Kleidung, auf meinem Körper. Klettere vorsichtig über die Brückenbrüstung; und stelle mich auf den sich dort befindenden kleinen Absatz. Ein letzter Blick nach unten. Ein weiter Weg, aber nun gibt es kein Zurück für mich. Mama, Christian, Robin… wir sehen uns im Himmel… dann stoße ich mich von der Brücke weg und springe hinunter… höre noch wie der Wind an meinen Ohren vorbeizieht… gleich ist es vorbei. Unendliches Fallen. Ich spüre nur wie ich auf den Boden aufpralle… Ich laufe einen Gang entlang... hinein in das Licht… zu denen, die mir wichtig sind… zu einem besseren Ort... bis ich bei ihnen angekommen bin… nun wird alles gut… jetzt habe auch ich meinen Frieden gefunden… … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)