Zum Inhalt der Seite

Carpe Diem

~Wo die liebe hinraucht~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Carpe Diem (part zwei) - Dakota -

Where would we walk?

Where would we run?

If we could stay all day in the sun?

Just you and me

And I could be

Part of your world
 

Carpe Diem.

Ich überlege ob dieser Satz überhaupt noch irgendeine Bedeutung für mich hat, außer der schmerzlichen Erinnerung an jene Tage, an denen ich mich noch für unsterblich hielt, wie jeder normale Mensch in meinem Alter.
 

In meinem Leben lief bisher immer alles glatt. Mit 11 Jahren habe ich mich in den Nachbarsjungen verknallt und es ist auch ohne irgendwelche große Verwirrungen und Coming-out Dramen bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen geblieben von denen ich auf einige vielleicht hätte verzichten können, andererseits trotzdem nicht wirklich bereuhe. Ich bereuhe eigentlich nichts... außer, dass ich es an jenem Tag wieder so rumgetrödelt und alles vergessen habe, weswegen er so eilig fahren musste, damit ich noch pünktlich zur Arbeit komme. Und das bereuhe ich seither jede einzelne Sekunde des Tages...
 

Das ist mein Carpe Diem. Kein Ausdruck von Lebensfreude und Energie. Sondern einfach nur die ewige Erinnerung daran, dass jeder verdammte Tag dein letzter sein könnte. Ein bisschen zu viel aufs Gas gedrückt, ein unachtsamer Lasterfahrer und alles ist vorbei.

Das ist dieses verdammte Carpe Diem!
 

"Und was ist jetzt bitte an dem wieder nicht in Ordnung?"

Yumi ist echt sauer auf mich.

Ich lächle unschuldig. Das kann ich gut. Ich habe dieses sogenannte Engelsgesicht. Für Oliver Twist wäre ich wohl die perfekte Besetzung...

"Sorry.", sage ich und reiche ihr eine Zigarette. Eigentlich raucht Yumi ja nicht, aber heute scheine ich sie so anzustrengen, dass sie doch eine nimmt. Wir zünden sie an der Kerze an, die vor uns auf dem Tisch steht; "Ich hab einfach keinen Trieb auf ihn."
 

Yumi säufzt und massiert sich die Schläfen.

Ein bisschen tut sie mir leid. Ich mache es ihr aber auch wirklich nicht einfach. Andererseits ist sie aber auch selbst Schuld. Eigentlich hatte ich geplant meinen Samstag über dem Schreibtisch mit Hausaufgaben zu verbringen... sowie eigentlich fast jedes Wochenende. Oh ja. Ich hätte bis Mittag geschlafen, ein bisschen Schule gemacht und mir meine Resident Evil Reihe auf dem Laptop reingezogen. Stattdessen hat mich Yumi morgens schon aus dem Bett und unter die Dusche gezerrt. Mir die Haare gestylt, mich in ein sexy Outfit geprügelt und sogar gezwungen meine Brille gegen Kontaktlinsen zu tauschen. Auch wenn ich darauf hätte verzichten können, muss ich zu geben, dass es sich schon gut anfühlt mal wieder ein bisschen ordentlich ausszusehen.
 

"Keinen Trieb, aha. Und warum nicht? Ist er nicht dein Typ?"

Ich gucke noch mal zu dem Kellner den mir Yumi heute unbedingt aufdrängeln will. Seit zwei Monaten versucht sie laufend mich zu verkuppeln. Das stresst mich echt. Und weil wir in einer WG zusammen wohnen, kann ich ihr noch nicht einmal aus dem Weg gehen. Von den anderen beiden Mitbewohnern brauche ich mir sowieso keine Hilfe zu erhoffen.
 

Aber mit dem neuen Typen hat sie echt einen Volltreffer gelandet. Um ehrlich zu sein ist er total mein Typ. Groß, dunkle Locken, gesunder Taint, Schmollmund, breite Schultern, abgefahrener Visual Kei Styl und Bambi-Augen.

"Doch...", sage ich ehrlich. Es bringt ja eh nichts die beste Freundin belügen zu wollen; "Auf einer Skala von eins bis zehn ist er mindestens eine Acht."
 

Yumis Augen weiten sich: "Eine Acht?", ruft sie durch das ganze Cafe, dass sich die Leute zu uns umdrehen. Ich ziehe den Kopf leicht ein und werde rot.

"Yuyu, bitte.", flüstere ich und sie senkt die Stimme.

"Engelchen!", sagt sie leise über den Tisch: "Eine Acht! Das ist doch super! Und der steht total auf dich, was willst du denn noch?"

"Acht reicht mir nicht.", ich puste den Qualm an die mit buntem Glas verziehrte Decke des Cafes; "Ich will eine Zehn."
 

Yumi zieht eine Augenbraue hoch und schaut mich an: "Eine Zehn?"

Ich erwiedere ihren Blick nicht. Stattdessen puhle ich das abgetropfte Wachs von dem Kerzenständer. Warum hat der Idiot, der uns den Kaffee gebracht hat überhaupt die Kerze angemacht? Sehen Yumi und ich etwa aus wie ein Paar? Yumi ist lesbisch und ich bin schwul... So viel geballte homosexuelle Energie muss doch zu spühren sein...
 

"Hatten wir uns nicht gegen eine Zehn entschieden?", Yumi verzieht das Gesicht. Die Kippe schmeckt ihr zu bitter. Sie drückt sie aus, obwohl sie nicht mal halb aufgeraucht ist; "Zehnen sind viel zu selten und dann verliebt man sich auf den ersten Blick in sie und kommt nicht mehr von ihnen los auch wenn sie vielleicht totale Arschlöcher sind... oder am anderen Ende der Welt wohnen... oder drogensüchtig sind... oder hetero..."

Gelangweilt ziehe ich die Schultern hoch und drücke die Kerze zwischen uns aus: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern... Ich will eine Zehn. Mit irgendwas darunter gebe ich mich nicht ab. So ist das."

Der Unfall ist nichtmal ein Jahr her.
 

Ich weiß nicht, ob ich darüber hinweg bin. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt über soetwas hinweg zu kommen. Die Narbe an meinem Oberarm ist nur noch eine Linie dünner, weißer Haut und ich habe keine Tränen mehr zum Weinen und keine Worte mehr um darüber zu sprechen. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft mich daran zu erinnern. Müde. Ich bin einfach nur noch müde. So müde... dass ich genau zu dem Menschen gewurden bin, der ich nie sein wollte. Ein langweiliger Systemficker. Zu träge um irgendwas aus seinem Leben zu machen, das ihm nicht von selbst in dem Schoss fällt.
 

"Ich muss zur Arbeit.", nuschelt Yumi und trinkt ihren Kaffee aus. Dann schaut sie mich an. Sie lässt mich nicht mehr gerne alleine. Drei Wochen nach dem Unfall habe ich mich auf die Schienen gelegt und auf den Zug gewartet. Ren und Kouhei, die mit uns in der WG wohnen, mussten mich zu zweit wegziehen und haben es nur gerade so geschafft, bevor der Zug mich überfahren hätte. Ich habe die beiden dafür gehasst. Jetzt bin ich ihnen dankbar. Zermatscht auf den Schienen hätte ich nicht enden wollen...
 

Ich stelle mir vor wie die Wickinger auf einen Boot raus auf das endlose Meer zu treiben und zu verbrennen. Das stelle ich mir würdevoll vor. Draußen auf dem Meer, zwischen Himmel und Wasser, liegt mein brennender Körper. So will ich bestattet werden.
 

"Gut. Ich bleibe noch etwas.", sage ich, obwohl ich gar nicht weiß, warum ich noch bleiben soll. Aber nun bin ich schon mal wieder unter Leute... da will ich jetzt auch nicht unbedingt wieder in mein kleines, unbelüftetes Zimmer zurück.

"Hai.", sagt sie und küsst mich über den Tisch; "Dann will ich mal Engelchen. Sei schön brav und mach kein Dummzeug solang Mama nicht da ist."

"Ich doch nicht." ist meine Antwort und damit geht sie.
 

Ich bin also wieder alleine... Was soll's... Das ist mir im Moment auch ganz recht. Ich habe kein Lust mehr auf Yumis ständig besorgtes Gesicht.

Ich drücke die Zigarette aus und starre auf meine Hände.

Vielleicht sollte ich mich damit abfinden, dass mein Leben vorbei ist.

Darf ich mich vorstellen: Dakota Azuma. Stolze Achzehn Jahre alt. Bester Schüler meines Jahrgangs. Nebenjob Tattoowierer und Nachhilfelehrer. Schwul, 173 Zentimeter groß, 55 Kilo Kampfgewicht, Haarfarbe blond. Augen langweilig graublau... innerlich tot.
 

Das ist was ich bin und den Rest meines Lebens sein werde. Vielleicht werde ich dann irgendwann einen Beruf haben und ein kleines Haus auf dem Land. So Gott will werde ich vielleicht sogar hetero... Es ist mir egal.

Ich treibe dahin in meinem Bot auf dem endlosen Meer und warte jeden Tag nur darauf endlich angezündet zu werden...
 

Carpe Diem.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  NikasNightmare
2010-10-18T22:29:31+00:00 19.10.2010 00:29
Die vorgeschichte zu Dako ist so traurig *schnief*
Hach, es ist wundervoll.
:]
Von:  FunkyHeart
2010-09-27T23:34:34+00:00 28.09.2010 01:34
Mein Chara~
Ich finde es großartig wie du Yumi dargestellt hast und das mit Ko und Ren eingebaut hast.
Die Metapher mit dem Wickinger finde ich sehr gelungen und passt i-wie zu meinem Dako. Klar ist er depressiv, aber ist doch verständlich, oder?
Wäre merkwürdig, wenn er starhlend durch die Welt geht~
Ich ahne bereits wie das dritte Kapi aufgebaut ist und freue mich unglaublich da drauf!X3
*schon in den Startlöchern ist*
Auf jeden Fall echt gelungen, war echt gespannt, ob es mein Dako wird und ist...
Ja!
Das ist er!


Zurück