Lang lebe die Königin von Erenya (Vertrau mir deine Flügel an II) ================================================================================ Prolog: Schiffbrüchig --------------------- Kalt und erbarmungslos tropfte der Regen auf ihre durchnässte Haut und beschwerte ihren Körper mit jedem Tropfen um ein paar Milligramm mehr. Kein Erbarmen, dass hatten auch ihre Angreifer nicht gezeigt, als sie ihr Schiff angegriffen, dutzende ihrer Soldaten getötet und dann noch ihr Gefährt vor der Küste versenkt hatten. Ohne nachzudenken, hatte sie sich einfach einen Mann geschnappt, der noch Lebenszeichen von sich gegeben hatte und ihn bis ans Land gezerrt. Selbst jetzt, als er wie ein schlaffer erschwerender Sandsack auf ihren Schultern hing, lief sie weiter in das schützende Gestrüpp des Waldes. „Halt durch, mein Freund. Bald sind wir von der Plage weg... dann kümmern wir uns um deine Wunden... Verdammtes Federvieh.“ Sie wollte ihrem Gefährten Mut zusprechen, vielleicht wollte sie auch sich ermutigen, so ganz war es ihr nicht klar. Ihr kam es nur darauf an etwas zu sagen, was Hoffnung geben konnte. „Wir sammeln uns im Wald. Dort waren sicher Chihiro und Mio... Genau... das Federvieh kriegt die beiden sicher nicht tot. Nicht die beiden. Wer sollte mich den sonst nerven und auf meine Pflichten hinweisen... Nimm dir ein Beispiel und halte durch.“ Keuchend lief sie tiefer in den Wald. Sie hörte hinter sich die Schreie ihrer Krieger und Freunde. Sie würde ihren Gefährten gleich ablegen, ihn verstecken und schließlich zurück zum Schlachtfeld schreiten um dem Federvieh eine Lektion zu erteilen. Aber zuerst musste sie diese Seele retten. Erschöpft brach sie nach einigen Metern zusammen. Sie konnte seine immer schwerer werdende Last nicht mehr tragen, sodass ihr die Beine ihren Dienst versagten. Schwer atmend lag sie mit ihm auf ihrem Rücken im Dreck. Die einst so wertvolle schwarze Rüstung war befleckt mit der Erde Japans. Unbekannter Erde, die mit fremden einheimischen Blut getränkt war. „Du bist ganz schön schwer...“, keuchte sie und mühte sich ein steifes Lächeln ab, während sie ihre Last von sich schob um wieder freier atmen zu können. Zwei-Dreimal holte sie tief Luft, ehe sie sich ihrem Gefährten zuwandte, dessen leblosen Augen sie starr fixierten. Kein Glanz, kein Anzeichen von Leben konnte sie in ihn entdecken, was zum ersten Mal Angst in ihrem Leben hervorrief. „Komm schon, reiß dich zusammen. Du bist ein Krieger unter meiner Führung... meine Krieger machen nicht schlapp.“ Wirsch rüttelte sie an dem starr werdenden Körper. Er war kalt wie Stein, seine Haut wurde ungewöhnlich blass und selbst das braune Haar entfärbte sich zu einem dämonischen weiß. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft sein menschliches Gesicht zu wahren und offenbarte seine Hörner die ein Zeichen dafür waren, dass er aus dem Dämonen-Clan des Westens kam. Er reagierte nicht mehr und ihr wurde immer klarer, dass er nie wieder reagieren würden. Er war dieser Welt entglitten. „Nein... Nein!“ Ein Schrei hallte durch den Wald. Sie wusste, dass es gefährlich war zu schreien, und doch konnte sie diese Emotionen nicht mehr zurückhalten. Auch wenn sie ihn nicht kannte, wenn sie noch nie zuvor mit ihm gesprochen hatte, er war ein Teil ihrer Armee gewesen, ihres Clans und damit auch ein Teil ihrer Familie. „Hoheit!“ Verstohlen, als sie die ihr vertraute Stimme vernahm, wischte sie sich die aufkommenden Tränen weg. Bloß keine Schwäche zeigen. In ihrer Position konnte sie sich das nicht leisten. „Endlich habe ich Euch gefunden.“ „Mio...“ Ein Blick über ihre Schultern verriet ihr, dass es die rothaarige Dämonin war, die sie an Bord des Schiffs aus den Augen verloren hatte. Sie war unglaublich froh, dass ihre Freundin noch lebte. „Wo ist Chihiro?“ Sie musste stark bleiben. Und sie würde so wirken, wenn sie gleich nach ihrer zweiten Vertrauten nachfragte. Man wirkte dann so abgebrüht, kalt und wie ein Fels in der Brandung, der sich nur für das wesentliche interessierte. „Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie es nicht überlebt. Sie ist immerhin nur ein Mensch.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Nein. Chihiro durfte nicht auch noch verstorben sein. Mit Sicherheit lebte sie noch und suchte schon nach ihnen. Genau. So musste es sein. Sie lebte noch. „Wie viele unserer Leute haben überlebt?“ Die nächste wichtige Frage wurde gestellt. Mechanisch, ohne ein Anzeichen von Emotionen. Sie war die Königin und musste einfach einen kühlen Kopf bewahren, egal wie heißblütig ihr Charakter war. „Keiner.“ Mios Antwort kam eben so emotionslos wie die Frage gestellt wurden war. Doch die Königin wusste, dass auch sie an dieser Tatsache bitter nagte. Unter all diesen tapferen Kämpfern hatte sie immerhin gute Freunde gewusst, denen sie nicht einmal einen angemessenen ehrvollen Abschied bereiten konnte. „Was habt Ihr nun vor, Hoheit?“ Woher sollte sie das wissen? Woher sollte sie wissen, was sie nun tun sollten, alleine, zu zweit in einem fremden Land? Mit Chihiro hätten sie ein paar wegweisende Chancen gehabt, doch so ganz alleine auf sich gestellt, zweifelte sie, dass sie ihr Ziel erreichen würden. Ihr Ziel. Das Wasser des Lebens. Das Vampirelexier. Diese Krieger sollten nicht umsonst gestorben sein, auch wenn die Engel wohl weiterhin an ihren Fersen klebten. „Wir müssen das Vampirelexier finden. Machen wir uns auf den Weg.“ Es half nichts. Ob fremdes Land oder nicht, sie würden sich durchschlagen müssen. Und dank Chihiro hatten sie ja etwas von den landestypischen Sitten und auch von der Sprache gelernt. Hustend schleppte sie sich ans Land. Ihr war nicht klar, wie weit sie geschwommen war. Ihre Königin und Mio hatte sie irgendwo an Bord aus den Augen verloren. Sie hatte nur noch die Chance gehabt ihr eigenes Leben zu retten, aber nun würde sie ihre Freundinnen suchen. Jetzt, da sie heimatlichen Boden unter den Füßen hatte. „Jandate... Mio... ich ko-“ Ihre Sicht verschwamm. Sie war so müde. Ihr Körper versagte ihr den Dienst. Länger konnte sie nicht mehr durchhalten. Schlafen. Sie wollte einfach nur etwas schlafen. Fest hielt Erenya ihren irdenen Topf umklammert. Zum ersten Mal hatten Yuki und Koji ihr erlaubt alleine zum Fluss zu gehen. Es war für sie eine große Sache, denn bisher hatten die beiden sie, seit ihrer Ankunft im versteckten Dorf, wie ein zerbrechliches Püppchen oder ein Kleinkind behandelt. Sicher, sie hatte noch hin und wieder diese Momente, in denen sie zu einer Puppe wurde, aber allmählich bekam sie es in den Griff. Umso stolzer war sie deswegen, dass sie heute alleine Wasser holen durfte. Es war ein neuer Schritt um erwachsen zu werden. Ein neuer Schritt um die schöne aufblühende Blume zu werden, so wie sie es Harada versprochen hatte. Harada. Sie hatte den Krieger, der so fest in ihrem Herzen verankert war, nicht vergessen. Selbst jetzt, da er nicht hier war, konnte sie ihn nicht vergessen. Er war ihr über die paar Monate in Kyoto so wichtig geworden, genau wie Lhikan und Mizu. Manchmal träumte sie abends von ihren Freunden und wünschte sich dann nach dem aufwachen zurück. Doch sie musste noch warten und viel lernen. 'Ich werde zurückkehren.' Das war der einzige Gedanke, der sie dann dazu bewegte, im hier und jetzt zu leben und an sich zu arbeiten. So wie jetzt. Mit entschlossenen Blick sah sie zu dem immer näher kommenden Wasserfall. Etwas war heute anders. Dort, im Kies, lag etwas, dass für gewöhnlich nicht dort. Ein verletztes Tier vielleicht. Erenyas Schritte wurden schneller. Sie wollte wissen was dort lag, denn wenn es ein Tier war, musste sie ihm helfen. Sie war schließlich ein Engel und hatte als Aufgabe, alle Lebewesen zu schützen und zu retten, wenn es in ihrer Macht lag. Schnell bemerkte sie aber, dass dieses Wesen was dort lag, nicht tierischer Natur, sondern menschlicher war. Der irdene Topf fiel klirrend zu Boden. Erneut hatte sie nicht die Kontrolle über diese Kraft. Sie sah Blut, Verderben, ein sinkendes Schiff und über jenem schwebte der sechsflügelige Engel mit einem leuchtenden Speer. Obwohl die Schreie alles übertönten, befahl dieser Engel die Elemente, eben jene Schreie abzuwürgen. Die armen ertrinkenden zu verstummen und jegliches Leben mit sich zu nehmen. Hektisch schüttelte Erenya diese Bilder ab. Diese Person im Kies brauchte Hilfe. Doch sie war noch nicht stark genug um zu helfen. Und ihr fielen nur zwei Personen ein, die wirklich helfen konnten. Vielleicht hatte sie zu früh eine weitere Stufe des Erwachsen werdens nehmen wollen. Ohne zu zögern wandte sich Erenya von der Person ab und lief zurück ins Dorf, den Namen der zwei gefallenen Engel rufend, die sie einst hier gebracht und damit gerettet hatten. Kapitel 1: Unter Wölfen ----------------------- Sacht fielen die Schneeflocken vom Himmel und umspielten Natsus rotbraunes Haar. Ihr Blick war gen Himmel gewandt und zusammen mit Wölkchen ihres warmen Atems stiegen auch ihre Sorgen und Freuden zum Himmel empor. Mit einem Lied auf den Lippen begrüßte sie den ersten Schnee am Ende dieses Monats, während ihre Beine von einer Steinlaterne, die im Hauptquartier der Shinsengumi stand, baumelten. Eng um ihren nackten Körper geschlungen lag Toudou Heisukes Mantel, den sie geliehen - gestohlen war so ein böses Wort – hatte. Niemand von der Shinsengumi wusste, dass sie hier war, und das, obwohl sie ihnen oft genug ohne Scheu begegnete. Zumindest in ihrer Fuchsgestalt. Die Krieger hatten verstanden, dass dies ihr Zuhause war, und obwohl sie die Nicht-Menschen, welche Rasetsu genannt worden, verabscheute, konnte sie ihrer Heimat doch nicht erneut den Rücken zukehren. Sie hatte das schon einmal getan, vor mehr als zwei Monaten. Zu dieser Zeit hatte sie Yuki kennengelernt, die sie während ihrer Suche nach einem Mädchen bei sich aufgenommen hatte. Doch nun war Yuki seit fast zwei Monaten weg. 'Wie es Yuki wohl geht?' Es war ein Gedanke, der ihr häufiger durch den Kopf ging. Schließlich war in der Zeit ihrer Abwesenheit soviel geschehen. Die Shinsengumi war nun ohne Serizawa und dessen Haussklaven, das Samuraimädchen kam nicht mehr zum Putzen und überhaupt, ohne Yuki fühlte sich Natsu einsam. Sie traf zwar hin und wieder, in ihrer menschlichen Gestalt, außerhalb der Shinsengumi auf Heisuke, aber meist war er zu beschäftigt, um mit ihr zu spielen. Immerhin hatte die Shinsengumi soviel zu tun, genauso wie die blonde Geiko aus Shimabara. Das Vergnügungsviertel schien besser besucht als zuvor, und so hatte die Geiko auch Mizus Hilfe dankbar angenommen, als diese sich um die Stelle als zweite Wächterin beworben hatte. Nur selten kamen die beiden zum Hauptquartier der Krieger, um zu trainieren und sich mit den Jungs zu unterhalten. Worüber, verstand Natsu allerdings nicht. Es war einfach nicht ihre Welt. Füchse verstanden, was es hieß zu überleben, aber nichts von der menschlichen Gesellschaft, von ihren unnatürlichen Problemen und schon gar nichts von der menschlichen Notdurft, sich körperlichen Spaß zu gönnen. In Nächten wie dieser zerriss sie diese Erkenntnis fast schon und Yuki fehlte ihr noch mehr. Sie waren sich so ähnlich gewesen, immerhin gehörten sie nicht zu den Menschen, und doch hatte Yuki sie soviel von ihnen gelehrt. Langsam glitt Natsu von der Steinlaterne und streifte sich Heisukes Mantel ab. Sehnsüchtig vergrub sie ihre Nase in den weichen Stoff und atmete seinen beruhigenden, naiven Duft ein. Immer wenn sie an ihn dachte, beruhigte sie sich, so wie jetzt. Auch wenn Heisuke immer nur wenig Zeit hatte, sobald er sie sah, lächelte er sie an, begrüßte sie und ließ sie für einen Augenblick vergessen, wer sie wirklich war. Schützend drückte Natsu den Stoff an sich und lief zu einer Ecke des Hauptquartiers, die alleine ihr gehörte. Es war eine Stelle unter den Holzböden außerhalb des Gebäudes. Sie hatte es sich dort heimisch gemacht und versteckte ihre Schätze, wie den Mantel, dort. Vorsichtig verstaute sie den Mantel in ihrem Heim. Sie musste sich beeilen, denn es wurde kalt und diese Menschenhaut schützte gar nicht. Mit einem erleichterten Seufzen nahm sie sie wieder ihre Fuchsgestalt an und streckte sich müde. Bevor sie schlief, wollte sie noch einmal Heisuke sehen. Immerhin war das ihr Ritual geworden. Mit sicherem Schritt lief sie zu den Quartieren der Hauptmänner, die im Gegensatz zu den niederrangigen Kriegern privatere Zimmer hatten, in denen man maximal drei Männer unterbringen konnte. Außer den Kommandanten Hijikata, Sannan und dem Oberkommandanten Kondou, die jeweils ein Zimmer für sich zum ruhigen Arbeiten hatten, genossen sie neben einem höheren Gehalt eben kleinere Privilegien. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Natsu neigte den Kopf, als sie den Speerkämpfer an einen Pfosten gelehnt außerhalb seines Zimmers sah. Es war kein seltenes Bild, denn er schien an seinen freien Abenden häufiger alleine für sich, in Gedanken versunken, sein zu wollen. „Niu?“ Langsam tapste Natsu auf den Krieger zu, der sich zu ihr bückte, sie vorsichtig in seine Arme nahm und kraulte. Sie genoss diese Zärtlichkeit, auch wenn sie sich diese eher von Heisuke gewünscht hätte. „Ob sie an mich denkt?“ Seine Worte glichen eher einem Seufzen, doch sie kamen voller Gefühl bei Natsu an, weswegen sie den Speerkämpfer ansah. Sie fühlte sich ihm so verbunden, denn sie ahnte, an wen er dachte. Immerhin hatte er soviel Zeit mit ihr verbracht, und zusammen mit Yuki hatte auch das Puppenmädchen Kyoto verlassen. Natsu verstand nicht viel von menschlicher Liebe, doch sie war sich sicher, dass es dem Puppenmädchen nicht anders ging, wenn sie es ehrlich mit ihm meinte. Etwas hob sie ihren Körper, wich seiner warmen Hand aus und stemmte sich mit ihren Vorderpfoten gegen seine Schulter. Der Krieger sah verwundert zu der Kitsune, die ihm ermutigend über die Wange leckte. Er sollte nicht traurig sein, sondern dem Puppenmädchen vertrauen, denn sie hatte die beste Lehrerin an ihrer Seite. Und irgendwann, wenn die Zeit reif war, würden beide zurückkehren. Müde grub sich Natsu aus der Decke Heisukes. Es war selten, dass sie bei den Kriegern schlief, doch Harada hatte am Abend zuvor darauf bestanden, indem er sie einfach neben Heisuke abgelegt hatte. Jeder in der Shinsengumi wusste, dass Natsu den jungen Krieger mochte, denn schließlich suchte sie auch in ihrer Fuchsgestalt bevorzugt seine Nähe. Und der Krieger dankte es ihr mit Zärtlichkeiten wie einer Decke, die sie wärmen sollte. Dass sie mit ihrer zierlichen Größe es schwerer hatte, sich aus dieser liebevoll drüber gelegten Decke zu wühlen, vergaß er meist aber. Dennoch schaffte sie es auch heute wieder und tapste zu der Tür, die einen Spalt weit geöffnet war. Die Männer hatten sie wahrscheinlich wieder für sie offen gelassen, damit sie in die Freiheit und auf die Jagd gehen konnte. Wie immer schlüpfte sie durch den Spalt die die andere Seite, wandte sich um und schloss die Tür mit aller Kraft die sie aufbringen konnte. Immerhin sollten die Männer nicht frieren. „Bitte! Verzeiht mir! Ich werde nichts sagen!“ Natsu sah auf, als sie Stimmen hörte. Oder vielmehr eine Stimme. Sie war zwar nicht sehr nahe dran, aber ihre empfindlichen Ohren fingen die hohe Tonlage sehr gut auf. Neugierig lief sie der Stimme entgegen und sah schließlich Saito, der einen zierlichen Burschen unsanft in ein Zimmer bugsierte. „Bereite dich auf das Schlimmste vor. Es wird nicht gut für dich ausgehen.“ Fragend neigte Natsu den Kopf und lief Saito entgegen, der sie mit seinen geschärften Sinnen sofort bemerkt. Doch wie die anderen Hauptmänner vertrieb er sie nicht und gewährte ihr die Nähe, die sie suchte. „Er ist ein Gefangener. Pass auf, dass er nicht flieht.“ Brav, als hätte Saito seine Worte wirklich ernst gemeint, setzte sich Natsu vor die Schiebetür und beobachtete, wie der sonst so schweigsame Linkshänder zurück in Richtung Besprechungszimmer ging. Es ließ sich niemand mehr an der Tür blicken, und obwohl Natsu nicht dazu verpflichtet war, Wache zu schieben, blieb sie treu auf ihrem Posten, während der kalte Wind ihr durchs Fell fuhr. 'Was hat es verbrochen, dass man es einsperrt?' Natsu kannte die Shinsengumi gut genug, um zu wissen, dass so eine Strafe nicht grundlos verhängt wurde. Doch sie war neugierig und wollte es genauer wissen. Vorsichtig sah sich das Fuchsmädchen um und lief zurück zu ihrem Versteck, aus dem sie Heisukes Mantel hervorzog. Erneut sah sie sich vorsichtig um, ehe sie ihre menschliche Form annahm, sich den Mantel umwarf und enger um ihren Körper schlang. 'Niu... kalt', dachte sie und lief zu dem Zimmer zurück. Sie musste schnell sein, bevor man sie entdeckte und alles etwas unangenehmer wurde. Leise schob sie die Tür auf und schlüpfte wie ein Schatten in das Zimmer. Sie war froh, dass sie erneut unbemerkt war und atmete erleichtert auf. Suchend schweifte ihr Blick durch den Raum und schließlich trafen ihre Augen die der Fremden. „Wer bist du?“ Natsus durch Fuchsmagie getarnte Ohren zuckten. Nein, sie hatten einen Fehler begangen. Diese Person war kein Mann. Es war ein Mädchen. Die Frage, wer sie war, schwebte nach wie vor unbeantwortet im Raum, doch Natsu konnte nicht antworten. Sie war viel zu geschockt von der Tatsache, dass die Shinsengumi ein Mädchen gefangen hielt. Wie hatten die Männer das nicht bemerken können, es war doch so offensichtlich, und selbst die Männerkleidung konnte nicht darüber hinweg täuschen. „Was macht ein Mädchen als Gefangene bei der Shinsengumi?“ Immer noch hatte Natsu nicht auf die ihr gestellte Frage geantwortet. Sie konnte es auch nicht, denn ihre eigene Frage erschien ihr als viel wichtiger. „Ich...“ Scheinbar war die Fremde nicht einmal verwundert, darüber, dass Natsu ihre Tarnung durchschaut hatte. Zumindest war sie kooperativ, als sie zu ihrer Antwort ansetzen wollte. „Moment! Du bist auch ein Mädchen. Was suchst du hier? Und warum bist du nackt?“ Fragend neigte Natsu den Kopf. Aus ihrer Sicht war sie nicht nackt, sie trug immerhin Heisukes Mantel. Ebenso wenig war es aus ihrer Sicht schlimm, hier im Hauptquartier der Krieger zu sein. „Ich lebe hier.“ Natsu war unfähig zu lügen. Sie hatte auch keinen Grund, das zu tun. Es entzog sich ihrem Verständnis, dass dem gefangenen Mädchen die Gesichtszüge entglitten. „Du bist ihre... Mätresse?“ Mätresse? Das war ein Wort, das Natsu nicht verstand. Sie musste es aber auch nicht. Zumindest glaubte sie das. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Das Fuchsmädchen wusste, dass sie nicht ewig Zeit hatte. Mit Sicherheit würden bald die Männer der Shinsengumi kommen und das Mädchen abführen. „Ich bin hier, um nach jemandem zu suchen.“ Natsus Augen weiteten sich. Dieser Grund. Er war ihr so vertraut und erinnerte sie an Yuki, was wiederum den Wunsch in ihr auslöste, diesem Mädchen zu helfen. „Wen suchst du?“ Es dauerte einige Augenblicke, bis Natsu sich gefasst hatte und das persönliche Verhör fortführen konnte. Auch wenn sie bezweifelte, dass sie die Person kannte, die das Mädchen suchte, wollte sie doch etwas tun. „Meinen Vater. Vor sechs Monaten ist er nach Kyoto gegangen. Er hat mir jeden Tag einen Brief geschrieben, doch vor einem Monat kamen keine mehr. Ich habe auch seinen Freund Matsumoto-sensei nicht mehr gefunden, und deswegen habe ich mich auf den Weg nach Kyoto gemacht. Aber die Zeiten sind etwas bedrohlich, weswegen ich befürchtet hatte, dass ich in Schwierigkeiten gerate, wenn ich mich als Frau zu erkennen gebe.“ Verwunderung machte sich in Natsu breit. Sie hatte noch nie Probleme bekommen. Es gab eine schöne Zuflucht für sie, das Futter reichte und ihr Heisuke atmete. Damit war doch alles ideal. „Als ich hier ankam, wurde ich aber von einigen Rebellen angegriffen. Bei meiner Flucht sind mir dann die Männer der Shinsengumi begegnet.“ Für Natsu war dies nun doch ein klarer Fall. Auch wenn Saito sie als Gefangene bezeichnet hatte, so konnte sich das Fuchsmädchen nicht vorstellen, dass man wirklich vorhatte sie zu beseitigen, nachdem man sie vor den bösen Männern beschützt hatte. Die Frage war nur, wie sie ihr das erklärte. „Du musst dir keine Sorgen machen. Die Shinsengumi ist nicht so schlecht wie ihr Ruf. Ich meine, sie lassen mich hier leben, geben mir hin und wieder etwas von ihrem Essen ab und lassen mich bei sich im Bett schlafen.“ Ein unschuldiges Lächeln zierte Natsus Gesicht. Zwar war es wohl nur Heisuke, von dem sie sprach, aber wenn sie alles verallgemeinerte, konnte sie dem Mädchen vielleicht etwas von ihren Ängsten nehmen. Das sie das genaue Gegenteil von ihren Absichten tat, konnte sie nur anhand des verängstigten Gesichtsausdrucks ihres Gegenübers erkennen. Doch warum verstand sie es nicht? Immerhin hatte sie doch nur Gutes von den Kriegern erzählt. „Du bist ein seltsames Mädchen.“ Es war eine laut ausgesprochene Feststellung Natsus. Für sie war die Frau einfach nur seltsam und eigentlich kein Umgang für sie. Die Shinsengumi war lieb, und von dieser Vorstellung würde sie niemand abbringen. „Auf Wiedersehen.“ Ohne die Fremde weiterhin zu beachten, wandte sich Natsu um und verließ geschwind das Zimmer. Sie hatte nun alles erfahren, was sie wollte, und mehr brauchte sie nicht. ~~**~~ Ein kalter Wind fuhr ihm durch das Haar, als er über die unbeleuchteten Schleichwege Shimabaras seinen Weg zu einer ihm sehr vertrauten Sumiya machte. Obwohl sein hellblauer Mantel aus einem angenehm wärmenden Stoff war, fröstelte es Okita Souji, der seiner Pflicht in dieser Sumiya nachkommen wollte. Wieder einmal faszinierten ihn die zwei Hüterinnen, die, nur in ihre dünnen Yukatas gehüllt, Abend für Abend das Wohl der Geikos und Maikos beschützten. Und doch gerade jetzt, da die Sumiya ihre Kinder wieder willkommen hieß, war es zu viel für zwei Frauen. Betrunkene Männer waren unberechenbar, und obwohl die Wächterinnen Shimabaras auch ausgezeichnete Kämpferinnen waren, hatten Kondou und Hijikata entschieden, dass nächtlich mindestens ein Mann an ihrer Seite patrouillierte und kämpfte. „Du bist spät, Okita.“ Die Stimme der exotischen Geiko durchschnitt die Stille wie ein scharfes Schwert. Sie klang zwar nicht sehr erfreut, aber Souji wusste auch, dass sie nicht wirklich wütend war. „Verzeih, Chia-chan. Wir hatten in der Shinsengumi einige Dinge zu klären, die etwas mehr Zeit in Anspruch genommen haben. Wie ist die Lage derzeit?“ Wie gewöhnlich beschränkte sich Souji auf die nötigsten Informationen, schmückte sie sprachlich aber genug aus, dass Chia sich so einiges vorstellen konnte. Er liebte es einfach, diesen entsetzten Gesichtsausdruck zu sehen, doch anders als bei Mizu, die so ziemlich alles schockierte was Souji sagte oder tat, blieb bei Chia dieser erwünschte Blick aus. „Alles ist ruhig. Mizu macht gerade einen Rundgang bei den Läden. Man weiß ja nie, was in den Köpfen dieser Männer vor sich geht.“ Um Souji zu zeigen, in welche Richtung Mizu gegangen war, wandte sie ihren Kopf dahin. Sie machte sich Sorgen, zumindest glaubte Souji das in ihrem Blick zu erkennen. „Ich gehe Mizu-chan dann einmal Hallo sagen.“ Ein Lächeln schlich über Soujis Gesicht. Er freute sich schon darauf, Mizu zu sehen, immerhin war ihr letztes Treffen nun schon eine Woche her. Ohne Chia eines weiteren Blickes zu würdigen, ging Souji in die ihm gewiesene Richtung. Chia brauchte keine Hilfe, immerhin war es nicht sie gewesen, auf die er sich den ganzen Tag so schelmisch gefreut hatte. Selbst während einer tosenden Schlacht hätte er den Klang von Mizus Schwertklinge erkannt. Und so wusste er auch heute, dass Mizu sich inmitten eines Kampfes befand, den sie wohl nicht verlieren würde. Zumindest war er hier, sodass sie gar nicht verlieren konnte. Ruhig näherte sich Souji dem Geschehen und erblickte drei Männer, die Mizu umzingelt oder vielmehr gegen die Fassade eines Hauses gedrängt hatten. Hinter ihr stand eine Maiko, die sich zitternd an die Wächterin klammert, die ihre Feinde finster fixierte. Link von ihr lagen bereits zwei Männer, die sich vor Schmerzen krümmten, was Souji nur zu deutlich zeigte, dass Mizu bereits ganze Arbeit geleistet hatte. „Da ihr es nicht verstanden habt, sage ich es euch gerne noch einmal! Diese Maiko geht mit euch nirgendwo hin. Also verschwindet von hier!“ Sie zeigte wie gewohnt keine Angst, und selbst ihre Körperhaltung verriet, dass sie wirklich ernst meinte. Und dennoch, Souji blieb in Bereitschaft, denn wenn die anderen beiden noch kampffähig waren, stand es fünf gegen eine. „Was bildet sich dieses Miststück ein? Denkt sie, dass sie ein Samurai ist und es mit echten Kriegern aufnehmen kann?“ Nun wurde es interessant. In einem Ausbruch ihrer Wut bemerkten die Männer nicht, wie sich Mizus Haltung veränderte. Sie wartete darauf, dass einer von ihnen sich auf sie stürzte und sie ihm ihr Schwert in den Leib rammen konnte. Zwar stand sie mit dem Rücken zur Wand, aber für einen Konter war dies die idealste Position. Und schließlich, mit einem verzweifelten Schrei, lief der mittlere der drei auf die Wächterin zu. Er erhob sein Schwert zum alles entscheidenden Schlag und sah nur noch, wie sich Mizu seitlich wegduckte, und ihm die scharfe Klinge ihres Schwertes in die Seite stieß und ihm eine rote feierliche Fontäne entlockte. „Diese verdammte...“ Der Verlust ihres Freundes entfachte nur noch mehr die Wut der Männer, die bereit waren, Mizu gleichzeitig anzugreifen. Auch wenn Souji nur zu gerne gesehen hätte, wie Mizu sich da rausgeboxt hätte, ging er auf die Gruppe zu und machte auf sich aufmerksam. „Brauchst du Hilfe, Mizu-chan?“ Die Wächterin sah auf, als sie Soujis verspielt-belustigte Stimme hörte. Ihr war klar, dass mit seinem Erscheinen nun alles besser wurde, auch wenn sie dies niemals offen zugegeben hätte. „Wer stör-“ Wütend über den unverschämten Kerl, der sich in ihre Angelegenheiten einmischen wollte, wandte sich der linke, kleinere der unverletzten Kämpfern um, stockte aber, als er den hellblauen Mantel erblickte. „Die Mibu-Wölfe!“ Nur zu deutlich konnte Souji die Panik des Mannes heraushören, doch ein Blick zu Mizu sagte ihm, dass er nicht mit ihnen spielen durfte. Dennoch zog er sein Schwert und zeigte deutlich, dass er es ernst meinte. „Schnell weg!“ Die „Grausamkeit“ der Wölfe von Mibu hatte sich herumgesprochen, und zu zweit gegen die Wächterin und einem Mitglied der Shinsengumi hatten die Rônin keine Chance. Zumindest wussten sie das. Schnell griffen sie nach ihren verletzten Kumpels und entfernten sich von dem Dreiergrüppchen. Aufmerksam beobachtete Souji die Umgebung, während sich Mizu um das Wohlergehen der Maiko kümmerte. Das Mädchen lächelte schon wieder und würde wohl in wenigen Tagen über diesen Schock hinweg sein. Mit einer dankbaren Verbeugung verabschiedete sich die Maiko und lief in Richtung der Sumiya, in der sie untergekommen war. „Du scheinst dich gut in deine neue Aufgabe eingefunden zu haben.“ Ein verspieltes Lächeln lag auf Soujis Gesicht, als Mizu sich ihm näherte. Er wusste, dass sie von ihrer neuen Aufgabe alles andere als begeistert war, aber da die Shinsengumi sie nicht auf Dauer anstellen wollte, hatte sie in den sauren Apfel gebissen. „Natürlich, ich stehe darauf, Nacht für Nacht Trunkenbolden den Ausgang zu zeigen.“ Wut klang aus ihrer Stimme heraus, denn wirklich begeistert war sie nicht. Eigentlich war sie diese Arbeit schon nach wenigen Tagen leid gewesen, doch wegen Chia konnte sie einfach nicht aufhören. „Die Arbeit steht dir.“ Böse sah Mizu zu dem Krieger, der wahrlich mit dem Gedanken spielte, sie zum Explodieren zu bringen. Sie wusste, dass seine Antwort ihr nicht gefallen würde, wenn sie nun auf sein Spiel einging. „Was soll das heißen, Okita-kun?“ Ja, sie war wirklich wütend. Immerhin benutzte sie seinen Nachnamen nur, wenn sie kurz vor der Explosion stand. „Shimabara kitzelt selbst bei dir etwas Weiblichkeit heraus.“ Es war ihr klar gewesen. Irgendwas neckisches musste Souji doch sagen. So war er eben. Und obwohl ihr das klar war, ging sie darauf ein, indem sie ihr Schwert zog und auf Souji niedersausen ließ. Dieser hatte den Angriff bereits vorausgeahnt und ihn mit einem Lächeln geblockt. Er war bereit, einen kleinen Kampf mit ihr zu wagen, nur dazu dienten seine Provokationen. „Ich will euch beide ja nicht stören, aber statt mit einander anzubandeln, solltet ihr besser arbeiten.“ Ein Seufzen drang über Soujis Lippen. Immer wenn es schön wurde, mischte sich jemand ein. Für gewöhnlich war es Saito, doch heute war es Chia, die ihnen entgegengekommen war. Auch Mizu schien nicht sonderlich begeistert darüber, dass ihre Freundin sie unterbrochen hatte, doch irgendwann würde sie ihm seine sexistischen Sprüche heimzahlen. Wütend steckte sich Mizu ein Daifuku in den Mund und kaute darauf herum, während sie versuchte, den Samurai zu ignorieren, der gerade einen Bericht darüber lieferte, was am Tage bei der Shinsengumi vorgefallen war. „Ihr habt die Tochter des Irren aufgenommen, der für diese Rasetsu-Dinger verantwortlich ist?“ Zwischen einem weiteren Bissen und einer Sprechpause Soujis fasste Chia zusammen, was sie soeben gehört hatten. Da sie vor einigen Monaten mit Niimi in Kontakt gekommen und Mizu von einem Rasetsu angegriffen worden waren, hatte die Shinsengumi sie in dieses Geheimnis eingeweiht, sie aber aufgefordert, Stillschweigen zu wahren. „Ihr seid größenwahnsinnig...“, nuschelte Mizu und leckte sich ein paar Reste ihres Daifukus vom Finger. „Sie scheint aber nichts zu wissen. Demnach ist sie keine große Bedrohung für uns. Allerdings...“ Der Krieger stockte und sah zu den Wächterinnen, die trotz des Genusses ihrer kleinen Stärkung aufmerksam zuhörten. „Sollte Kodo wieder auftauchen, haben wir eine Geisel.“ Sowohl Mizu als auch Chia gefiel nicht, was Souji da sagte. Sie waren nicht wirklich zu 100% mit den Methoden der Shinsengumi einverstanden, aber sie konnten auch nichts dagegen tun. „Ein armes Lamm unter Wölfen... Ich sage dir, Okita, das wird niemals gut gehen. Mädchen brauchen weiblichen Umgang, das haben mir die Jahre in Shimabara beigebracht.“ Mizu nickte, um Chias Worten zuzustimmen. Ein Mädchen unter einer Horde Krieger, das konnte nie und nimmer gut gehen. Februar, das vierte Jahr der Bunkyuu-Ära (1864) Mürrisch verzog Jandate das Gesicht, als sie an ihrem Yukata herumzerrte. Sie hatten dieses Kleidungsstück aus einem Garten gestohlen, um nicht unter den Einheimischen aufzufallen, doch Jandate wären ihre Kleider um einiges lieber gewesen. „Wie barbarisch. Womit waschen die hier ihre Sachen? Es stinkt und kratzt! Wie hat Chihiro das nur ausgehalten?“ Leise seufzte Mio, denn obwohl diese Sachen zu ihrer Tarnung dienen sollten, zweifelte sie daran, dass sie auf Dauer halten würden, wenn Jandate weiterhin ihre königlichen Allüren beibehielt. „Hoheit... Wir haben weder Geld noch Arbeit, um uns was anderes besorgen zu können. Ihr müsst erst einmal damit ausharren, bis wir uns in diesem fremden, unbekannten Land eingefügt haben. Erst dann könnten wir euch angemessene Garderobe besorgen.“ Es kostete Mio einiges an Kraft und Geduld, Jandate zu beruhigen. Immerhin war die Hoheit wirklich eigen. „Dann lass uns schnell das Vampirelixier finden und zurück nach Hause gehen.“ Es gehörte eher zu den seltenen Momenten, in denen Jandate wirklich an die Arbeit dachte, doch scheinbar war der Wille, zurück zu ihrem Luxus zu kommen, stärker als das Verlangen, mehr von diesem barbarischen Land zu sehen. Sie hatten sich nun bis zur Hauptstadt durchgeschlagen, doch es war für Mio eindeutig, dass nichts von dem, was sie gesehen hatten, ihrer Königin gefiel. Sie selbst aber genoss diese Ländlichkeiten. Die Flüsse waren noch sauber, die Kultur vollkommen unangetastet, und mit Sicherheit schmeckte auch das exotische Essen. Zumindest zeigte sie beim Vorbeigehen an den Ständen wesentlich mehr Interesse als Jandate, die sich wahrscheinlich ihr Brot, Marmelade und andere europäische Köstlichkeiten zurückwünschte. „Ich habe Hunger, Mio...“ Jandate war einfach stehengeblieben, als wäre sie ein kleines Kind, das die Aufmerksamkeit ihrer Mutter verlangte. Es erging Mio aber nicht anders. Auch an ihr nagte der Hunger, und das bereits seit Tagen. In den Wäldern hatten sie sich immerhin von Wurzeln und Wildbeeren ernähren können, aber auf Dauer war das auch keine Lösung. „Hoheit, mir ist klar, dass Ihr Hunger habt, aber wir haben kein Geld, um uns etwas zu kaufen. Und bei unseren Sprachkenntnissen bezweifle ich, dass wir so schnell eine Arbeit bekommen.“ Nachdenklich sah sich Mio in den Menschenmassen um. Es schien auch nicht wirklich leicht zu werden, Geld zu klauen. Nirgends sah sie Taschen oder Beutel, in die man ungehindert greifen konnte. Und mit Gewalt konnten sie die kostbaren Münzen sicher nicht bekommen, immerhin waren sie unbewaffnet und ihre Dämonen-Gestalt zu auffällig. „Es sieht nicht gut aus, Ho-“ Mio wollte sich gerade zu ihrer Freundin umdrehen, als sie bemerkte, dass ihre Königin nicht mehr vor Ort war. Panisch sah sie sich um und erkannte schließlich das dunkelblonde Haupt ihrer Herrscherin. Geschickt schlängelte sich Mio durch die Menschenmenge zu einer dunklen Gasse, in der sie Jandate zusammen mit einem blonden Schönling wiederfand. Etwas an dieser Situation gefiel ihr nicht, weswegen sie zu ihrer Freundin lief und sich nun auch den Schönling genauer ansah. Seine roten Augen ruhten ruhig, aber bedrohlich auf Jandate, die ihn einfach nur hoheitsvoll anlächelte, als wäre er einer ihrer Untertanen.. Mio kannte diesen Blick und konzentrierte ihre Sinne noch mehr, sodass sie die fast schon übermächtige Aura ihres Gegenübers erspähte. Es war keine menschliche Aura, sondern eine, die der ihrigen glich. „Was suchen zwei Onifrauen wie ihr in dieser Stadt?“ Seine Stimme klang tief und hatte eine ruhige, emotionslose Tonlage. Mio hatte kaum etwas verstanden, was vielleicht auch daran lag, dass er eine Sprache benutzte, die ihr nur dank Chihiro etwas vertraut war. Dennoch konnte sie nicht verstehen, was er sagte. „Ich verstehe kein Wort, das dieser betrunkene Barbar von sich gibt. Ich habe nur irgendetwas mit 'Oni' verstanden.“ Auch Jandate konnte mit dieser Sprache wirklich nichts anfangen, und das machte sie wütend. Sie konnte es einfach nicht ertragen, wenn andere undeutlich mit ihr sprachen. Dabei waren sie in keiner besseren Lage. Immerhin verstand der Fremde sicher kein Französisch. „Ich verstehe...“ Mit geweiteten Augen sahen die Frauen zu dem Mann vor ihnen, der im Englischen zu verstehen gab, dass er auch noch einer anderen Sprache mächtig war. „Er spricht die Sprache der Teebeutel...“, murrte Jandate und sah zu Mio, die diese Sprache wohl wesentlich besser beherrschte. „Ihr kommt also nicht von hier. Onis aus dem Ausland, würde ich meinen. Was macht ihr hier?“ Mit gebrochenem Englisch versuchte der Mann, aus den Frauen die passenden Informationen zu entlocken. Doch mit einem Blickkontakt wogen die Frauen ab, was sie ihm erzählen würden. „Wir kommen aus Frankreich im Auftrag unserer Königin. Leider war das Glück uns nicht treu und wir wurden angegriffen.“ Stolz sah Jandate zu dem Mann, als hätten sie, oder vielmehr Mio, in einer Schlacht gegen ihn gekämpft und gewonnen. Sie fühlte sich vor diesem Barbaren eindeutig überlegen, selbst in dessen Heimat. „Dann geht zurück. Ausländer sollten gerade nicht hier sein. Vor allem keine wehrlosen Frauen.“ Ihr entglitten alle Gesichtszüge wegen so viel Arroganz. Jandate war mit Sicherheit vieles, aber keine wehrlose Frau. Und das musste doch auch dieser Oni merken. „Wir werden mit Sicherheit nicht zurückgehen, wenn wir unsere Angelegenheiten nicht geklärt haben. Zumindest lasse ich, Jandate Kaminir Ravenclaw van Evangion, mir nichts von einem barbarischen, ungehobelten, niederrangigen Schwächling sagen.“ Es erstaunte Mio immer wieder, wenn Momente wie dieser eintrafen. Momente, in denen Jandate eine Sprache fast perfekt beherrschte, um jemanden zu beleidigen oder zu diskriminieren. Darin war die Königin ganz groß. „Weder dein Name noch dein Rang haben hier eine Bedeutung. Hier geht es nur um den Erhalt der Existenz. Auch wenn es mir widerstrebt, zwei unverschämten Ausländern zu helfen, empfehle ich euch Lhikans Laden. Er ist zwar nur ein unwürdiger Wurm, aber für eure Zwecke könnte er dienlich sein.“ Mio sah, wie ihre Freundin versuchte, sich zu beherrschen. Sie fackelte in der Regel nicht lange, so ungehobeltes Pack wie diesen Oni um einen Kopf kürzer zu machen. Doch sie konnte es nicht ohne eine Waffe, auch wenn es in ihr gewaltig brodelte. „Lass uns gehen, Mio!“ Wütend wandte sich Jandate von dem Fremden ab und lief in die Richtung der Hauptstraße. Gehorsam wie sie war, folgte Mio ihr, denn der Befehl der Königin war Gesetz „Oh, Mr. Bastard. Wenn du mir in die Quere kommst, zeige ich dir, dass mein Rang und Name nicht nur zur Zierde existieren.“ Es war ein heiliges Versprechen, das sie ihm mit einem drohenden Unterton gab. Selbst wenn sie nichts über diesen Mann wusste, sie hatte bereits beschlossen, ihn auszuschalten, wenn es notwendig wurde. Sie hatten Stunden gebraucht, um Lhikans Laden zu finden. Immerhin hatten die Menschen, wenn auch etwas widerwillig, den zwei ausländischen Damen geholfen. Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass Jandate im Gegensatz zu Mio äußerst mürrisch und nicht sehr um Freundlichkeit bemüht gewesen war. Dennoch, sie standen hier vor der Holzhütte, deren Tür nur zwei Tücher mit ihnen unbekannten Schriftzeichen waren. Ein seltsamer Anblick für die Frauen aus dem Westen, deren Architektur um ein wesentliches moderner und haltbarer erschien. „Von diesem Laden hat der Bastard gesprochen?“ Mio nickte schweigend und sah zu, wie Jandate den Laden betrat. Sie machte sich auf alles gefasst, denn der Oni hatte ihnen diesen Ort sicher nicht ohne guten Grund oder Hintergedanken empfohlen. „Sieht wie ein normaler Laden aus...“, stellte Jandate fest und lief an den Regalen entlang. Die Ware war mit Schildchen ausgezeichnet, die sie nicht lesen konnte, weswegen sie nicht einmal wusste, was das vor ihr war. Doch bei einigen Gegenständen, wie einem Sack, aus dem weißes Pulver rieselte, war sie sich sicher, vertrautes Mehl zu erkennen. Immerhin etwas war diesen Barbaren nicht fremd. „Kann ich den Damen helfen?“ Erschrocken fuhr Jandate herum und sah zur Theke, an der ein Mann mittleren Alters stand. Zumindest glaubte sie, dass er im mittleren Alter war, denn hier sahen wirklich alle Sterblichen gleich aus. Genauso wie alle nur diese fremde Sprache, die sie nicht verstand, zur Verständigung nutzten. Hilfesuchend sah Jandate zu Mio, die leise seufzte und auf den Händler zuging. „Auch wenn sie uns nicht verstehen...“ Sie hielt inne. Egal was sie sagen würde, er würde sie nicht verstehen. In seinem Blick erkannte sie das jetzt schon. Nachdenklich verschränkte sie die Arme und seufzte. In ihrem Kopf arbeitete es. Sie mussten sich doch irgendwie verständigen. Mir Chihiro wäre das sicher kein Problem gewesen. „Richtig! Tasukete!“ Es war ein Geistesblitz, der Mio durchzog. Eines der wenigen wichtigen Worte, die Mio sich dank Chihiro gemerkt hatte. „Tasukete onegai....“ Kurz dachte der Händler nach, sah die beiden Damen an und überlegte scheinbar, was sie wollten, denn ihre Aussprache war Laienhaft. Dennoch hatte er seine Landessprache erkannt. „Ausländer also... Verdammt... ich kann keine anderen Sprachen“, nuschelte Lhikan, der zwar verstanden hatte, dass beide um Hilfe baten, aber selbst nicht fragen konnte, was für Hilfe sie benötigten. Dennoch wollte er diese Konversation irgendwie aufrechterhalten, auch wenn er nicht wusste wie. „In Ordnung, hör mal gut zu. Okane ga nai! Kapiert?“ Etwas genervt von diesem zähen Gespräch, war es nun Jandate die das Wort erhob und versuchte, zu erläutern, warum sie Hilfe brauchten. Sie ignorierte dabei Mios doch schon stark verwunderten Blick. Immerhin verstand der Händler nun und nickte, was auch immer dieses Nicken bedeuten sollte, und sah erwartungsvoll zu den Damen. „Ich glaube, er will wissen, was wir brauchen...“, merkte Mio an und kramte in ihren Erinnerungen nach den richtigen Worten. „Tabemono to mizu?“ Unsicherheit schwang in Mios Stimme mit, als sie zu erklären versuchte, dass sie etwas Essbares und Wasser brauchten. Es grenzte für sie fast schon an ein Wunder, als Lhikan erneut nickte und in sein Lager ging, in dem er einige Minuten verweilte. „Ob er uns wirklich verstanden hat?“ Die Zweifel waren bei Jandate deutlich herauszuhören. Aber es war nicht verwunderlich, denn wahrscheinlich wussten sie selbst nicht, was sie gesagt hatten. „Na Euch hat er wohl verstanden, Hoheit. Woher hattet Ihr diese Phrase?“ Ein verruchtes Lächeln zeichnete sich auf Jandates Lippen ab, als sie die Frage hörte. Eigentlich brauchte Mio nun keine Antwort mehr, denn es waren immer solche Phrasen, die sich Jandate merkte, wenn es um Sex oder andere unkönigliche Dinge ging. „Irgendwie muss ich doch sagen, dass meine Vorzüge billig sind.“ In der Tat, das passte zu ihrer Königin. Lhikan bereute es etwas, dass er nicht mehr für die ausländischen Frauen tun konnte. Aber etwas Essbares und Wasser konnte er ihnen geben. Ebenso wie ein kleines Startkapital, das sie über ein bis zwei Tage bringen konnte, wenn sie sparsam waren. Er bedauerte, dass er sie nicht fragen konnte, was ihnen passiert war und woher sie genau kamen. Dennoch, er war stolz, dass sein Laden den ursprünglichen Sinn, Mittellosen zu helfen, erfüllen konnte. Mit einem zufriedenen Lächeln packte er für die Ausländer einen Beutel mit Proviant wie Reis, Gemüse und anderen günstigen Lebensmitteln. Dazu gab er einen Krug Wasser und zwei Paar Schuhe, denn ihm war aufgefallen, dass die Damen scheinbar barfuß gelaufen waren. Zumindest waren ihre Füße dreckig, fast so, als wären sie durch Schlamm gelaufen. Mehr konnte Lhikan aber nicht tun. Zumindest nicht mit ihrem Verständigungsproblem. **~~** Natsu wusste immer noch nicht, was sie davon halten sollte, dass dieses seltsame Mädchen nun hier bei der Shinsengumi bleiben durfte. Sie wusste nichts von all den Geheimnissen und wurde selbst zu einem, indem man sie als Mann tarnte. Lediglich die Kommandanten und die Hauptmänner kannten neben ihr die Wahrheit. Eben jene Hauptmänner waren nun aber dazu abkommandiert, neben der ermüdenden Patrouille auch noch Wache zu schieben. Natsu selbst unterstützte die Krieger hin und wieder, indem sie sich stumm neben jene setzte und kraulen ließ. Das war schließlich alles was sie tun konnte, auch wenn sie das schade fand. Vor allem Heisuke, der sonst immer vor Energie strotzte und meist die Abendwache bekam, tat ihr leid. Gedankenverloren tapste Natsu zu dem Zimmer, welches für das Mädchen hergerichtet worden war. Doch schon weitem erkannte das Fuchsmädchen, dass heute niemand auf dem Wachposten war. Selbst die Tür war geöffnet, weswegen Natsu sofort auf das Zimmer zulief und hineinspähte. Leer. Niemand war darin zu sehen, kein Hauptmann und auch kein seltsames Mädchen. „Niu?“ Es dauerte einen Augenblick, bis das Fuchsmädchen verstanden hatte, was dieses nicht anwesend sein bedeutete. Es war dieser Moment, als die Sorgen um die Hauptmänner und vor allem um Heisuke anstiegen und sie ohne nachzudenken loslief. „Ich habe Neuigkeiten aus Osaka von Hijikata-san.“ Natsu hatte nur zu deutlich die Stimme Genzaburous gehört. Sie kam vom Gemeinschaftsraum, in dem die Hauptmänner und Kommandanten immer gemeinsam ihre Mahlzeiten einnahmen. Dass es gerade momentan die Kommandanten waren, die nicht vor Ort waren, lag einzig und allein an einer Geschäftsreise, die sie nach Osaka geführt hatte. Mittlerweile waren die Krieger das gewohnt, ebenso wie Natsu, weswegen sie recht gut auch ohne diese auskamen. Dennoch vermieden es Hijikata und die anderen nicht, regelmäßig Nachrichten zu schicken, um die anderen auf dem Laufenden zu halten. „Es sieht so aus, als wäre Sannan-san schwerwiegend verletzt worden.“ Entsetzen ging durch die Reihen der Männer, zumindest konnte Natsu es klar und deutlich hören. Und ihr ging es nicht anders. Auch sie war erschrocken, denn neben Hijikata, Saito und Okita gehörte Sannan zu den besten Kriegern der Shinsengumi. „Was ist Sannan-san passiert?“ Es war das Schlimmste, was die Männer befürchteten, und doch hofften sie, dass sie nicht Verlust eines so wichtigen Mitgliedes betrauern mussten. „Es ist keine schlimme Verletzung, aber sein linker Arm... Es wird schwierig für ihn werden, ein Schwert zu führen. Dennoch, sein Leben ist nicht in Gefahr.“ Es war eigentlich eine positive Nachricht, doch das Schweigen, das nur von der Stimme des seltsamen Mädchens unterbrochen wurde, sprach Bände. Selbst Natsu, die von menschlicher Kriegsführung nichts verstand, wusste, was dies für Sannan bedeutete. Wenn ein Fuchs für sein Rudel nichts mehr beitragen konnte, war er nutzlos und kein Mitglied des Rudels mehr. Das hatte Natsu am eigenen Leib erfahren müssen. „Das Schwert ist nichts, was man mit der anderen Hand führen kann. Vielleicht wird er nie wieder ein Schwert benutzen können.“ Nun war ausgesprochen, was Natsu schon längst gewusst hatte. Leben und kämpfen zu können, für Krieger hatte das eine nichts mit dem anderen zu tun. **~~** Irgendwie hatten sich Mio und Jandate durch die Stadt durchgeschlagen und folgten nun einem Weg, der sie aus Kyotos hinausführte. Mit dem Geld wollten sie, auch wenn es Jandate missfiel, sparsam umgehen, denn sie würden einige Zeit damit auskommen müssen. Deswegen wollten sie es nicht für einen Gasthof verschwenden, sondern sich im Wald niederlassen. „Wieso der Wald?“ Ein entnervtes Seufzen kam von Mio, die diesen bereits leid war. Es war einer dieser häufigen Momente, in denen sie Jandate nur zu gerne ihre Meinung gesagt hätte. Doch da diese ihre Königin war, konnte sie es einfach nicht. „Mio... Wir haben doch Geld... Und ich will ein weiches Bett und kein billiges Hinterwäldlergeäst. Das verträgt meine seidige Haut nicht. Reicht es denn nicht, dass ich diesen kratzigen was-auch-immer tragen muss?“ Es war tatsächlich einer dieser Tage, in denen Jandate Mios Geduld nur allzusehr auf die Probe stellte. Wie ein kleines Kind versuchte die Königin, ihren Willen durchzusetzen. Doch damit war sie bei Mio an der falschen Adresse. „HOHEIT!“ Es war an der Zeit, Jandate klar zu machen, in was für einer Lage sie sich befanden. Nur deswegen erhob Mio die Stimme, drehte sich zu ihrer Königin und starrte ins Leere. Verwundert darüber, denn vor wenigen Sekunden hatte Jandate noch dort gestanden, ließ sie ihren Blick durch die Umgebung schweifen und entdeckte die Königin schließlich bei einer kleinen Hütte. „Was macht Ihr dort, Hoheit? Kommt sofort wieder her.“ Eilig lief Mio zu Jandate, die sie ernst ansah und den Zeigefinger auf ihre Lippen legte, um ihr Stillschweigen zu befehlen. „Was macht Ihr da?“, flüsterte Mio und sah zu, wie Jandate ihr Ohr gegen die Tür drückte. „Da sind Männer drinnen... Ich verstehe nicht, was sie genau sagen, aber ich habe das Wort Miststück und Rotlichtviertel verstanden.“ Nun durch Jandates Worte neugierig gemacht, lehnte auch Mio ihren Kopf gegen die Tür. Zwar verstand sie nichts von den Worten, die Jandate rauszuhören vermeinte, doch sie merkte deutlich, dass die männlichen Bewohner der Hütte äußerst erbost waren. „Das wird unser Unterschlupf.“ Mio zuckte zusammen, als Jandate sie beiseite schob und den Türgriff packte. Sie konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie die Tür aufschob und sich bei den Männern Gehör verschaffte. „Hey ihr Hinterwäldler! Dieses Haus ist von jetzt an Hoheitsgebiet.“ Mit rasender Geschwindigkeit entfärbte sich Jandates dunkelblondes Haar. Ebenso wuchsen ihr seitlich, dort wo sich die Schläfen sich befanden, zwei Hörner, die endgültig preisgaben, wer oder was Jandate wirklich war. „Oni!“ Es war das einzige Wort, das Mio von den Männern noch hörte, ehe sich ihre Königin auf die bewaffneten Opfer stürzte. Eben jene zogen ihre Schwerter, griffen die Frau an und verletzten sie. Doch über jeden dieser Kratzer lachte Jandate nur wie eine Verrückte. Sie war masochistisch genug, um diesen Schmerz und den Prozess der Heilung zu genießen und sich an der steigenden Angst der Männer zu ergötzen. Es war ein Anblick, den man in Frankreich zwar nicht mehr sah, der aber durch Holzdrucke von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Und schließlich, in einer letzten Blutfontäne, die Jandates krallenartige Fingernägel zu verantworten hatten, fand das Schauspiel sein Ende. Der letzte der vier Männer sackte in sich zusammen und tränkte den Holzboden mit seinem kostbaren Lebenssaft. „Ihr müsst immer gleich übertreiben, Hoheit...“, murrte Mio, als sie das Haus betrat und sich die Schweinerei ansah. Sich keiner Schuld bewusst, tarnte sich Jandate wieder als Mensch und bückte sich zu den Opfern, um sie von allem nun unnötigen Hab und Gut zu befreien. „Ich hatte mir mehr erhofft... Die zwei dort scheinen nicht mehr ganz fit gewesen zu sein.“ Mit einem Nicken verwies sie auf zwei der Männer, an deren Körper blaue Flecken erkennbar waren. Da sie am Verblassen waren, Jandates Aussage aber darauf hindeutete, dass nicht nur blaue Flecken ihr Problem gewesen waren, deutete Mio, dass ihnen das schon vor einigen Tagen zugefügt worden war. Die Frage von wem wollte Mio aber keinesfalls beantwortet haben, denn sie fürchtete nun, dass sie ihren Auftrag doch nicht so schnell erledigen konnten, wenn sie diesem Kämpfer gegenübertreten mussten. „Hauptgewinn~“ Mio sah von den Männern auf, zu ihrer Königin, die ihr freudestrahlend vier Säckchen entgegenhielt, in denen es überraschend angenehm schepperte. Beide hatten kein schlechtes Gewissen dabei, diese Rônin um ihr Geld zu erleichtern, denn immerhin galt für sie der Grundsatz: Fressen oder gefressen werden. Kapitel 2: Nächte der Flammen ----------------------------- So schnell sie ihre menschlichen Beine trugen, lief Natsu durch die dunklen, gewundenen Schleichwege nach Shimabara. Während sie lief schnürte sie noch ihren Yukata und gab sich Mühe, nicht aus den Schlappen zu rutschen. Sie hatte schon im langsamen Gang Schwierigkeiten, diese nicht zu verlieren, doch jetzt, da sie es eilig hatte, war es ein noch größerer Kampf. Und doch erreichte sie Shimabara eingekleidet und ohne gefallen zu sein. „Mi-Mi! Chi-Chi, niu!“, rief sie und sah sich überall um. Es war noch nicht die Zeit für die Wächterinnen, dass sie arbeiteten, deswegen mussten sie hier nahe der Sumiyas sein. Zumindest hoffte Natsu das bei der schwerttragenden Geiko. Diese hatte sie immerhin häufiger hier im Wohnbereich gesehen als Mizu. „Was gibt es?“ Natsu hörte wie ein Fenster aufgeschoben wurde und sah nach oben, dahin, wo sie in das verschlafene Gesicht der blonden Geiko sah. Sie schien noch geschlafen zu haben, weswegen Natsu bereits ahnte, dass der Abend zuvor wohl anstrengend gewesen war. „Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen, niu! Es geht um Sannan-san.“ Obwohl Chia nicht wirklich an dem interessiert schien, was Natsu sagte, horchte sie doch mit einem Mal auf. „Sannan? Was hat er nun schon wieder gemacht?“ Ein Grinsen lag auf Chias Lippen, denn so wie sie Sannan kannte, hatte er wieder irgendjemanden Angst eingejagt. Sicher Heisuke, seinem Lieblingsopfer, oder dem Mädchen unter den Wölfen. Sie wollte nun nur noch wissen was es war, um darüber herzhaft diabolisch zu lachen. „Er ist mit Hijikata-san in Osaka gewesen und wurde verletzt!“ Chias Blick verfinsterte sich, als sie die Nachricht hörte. Auch wenn sie äußerlich ruhig blieb, so wusste Natsu, dass sich die schwerttragende Geiko Sorgen um den Mann machte, den sie häufiger traf. „Sannan wurde verletzt? Tödlich?“ Einen kurzen Moment, als ihr die Frage über die Lippen kam, setzte ihr Herz aus. Sie wollte einfach nur mit der Gewissheit leben, dass es ein Kratzer war, denn in der Regel konnte diesen Sadisten nichts erschüttern. „Das nicht. Aber wenn man den Informationen glaubt, wird er sein Schwert nicht mehr führen können.“ Chia stockte der Atem. Es war ja schön, dass Sannan noch lebte, und ihr Herz machte dank dieser Neuigkeiten einen erleichterten Schlag, aber sie wusste nur zu gut, wie sich Sannan fühlen musste. Ihr wäre es wohl nicht anders ergangen, wenn sie nicht mehr kämpfen könnte. Nein, sie wollte darüber nicht nachdenken. „Hat er das Mittel genommen?“ Natsu zuckte zusammen, als Chia das Mittel erwähnte. Es konnte immerhin jede Verletzung heilen, doch der Preis, den man dafür zahlte, war einfach zu hoch. „Davon habe ich nichts gehört. Ich hoffe aber, dass Sannan-san noch nicht auf diese Idee kam.“ Wütend ballte Chia ihre Hände zu Fäusten. Sie kannte Sannan und sie wusste auch, dass er weiter an dem Mittel forschte. Und wenn seine Verletzung nicht nur temporär war und er als Krieger unbrauchbar wurde, würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die unschönen Nebenwirkungen zu eliminieren. „Gib mir Bescheid, sobald er wieder hier ist.“ Ein dumpfes Gefühl verriet Chia, dass keiner von der Shinsengumi sie über Sannans Zustand informiert hätte, oder ihr auch nur sagen würde, wenn er wieder im Hauptquartier war. Sie musste also auf die Kitsune, von der sie wusste, dass sie bei der Shinsengumi unbemerkt ein und aus ging, auch wenn sie nicht wusste wie, vertrauen. „Mache ich, niu! So schnell wie meine Pfötchen mich tragen.“ Mit diesen Worten wandte sich Natsu von Chia ab, die sich seufzend zurück auf ihren Futon gleiten ließ. Auch wenn sie sich wieder einmal über die seltsame Wortwahl von Yukis ehemaliger Begleiterin wunderte, überwog ihre Sorge um Sannan, den Krieger, auch wenn ihr Herz versuchte, sie zu beruhigen, weil Sannan, der Mann, noch lebte. **~~** „Lasst mich endlich zu ihm!“ Giftig sah Chia zu Nagakura, der sie wie schon am Tag zuvor davon abhalten sollte, zu dem privaten Gemach Sannans vorzudringen. „Chia, beruhige dich. Sannan-san geht es gut. Er braucht viel Ruhe.“ Behutsam legte Shinpachi seine Hände auf Chias Schulter. Doch diese lehnte seine Geste ab. Sie war sauer, denn wie sie es sich gedacht hatte, war sie nur durch Natsu an das Wissen gekommen, dass Sannan wieder im Hauptquartier war. Keiner der Jungs hatte, nicht einmal bei der Bewachung Shimabaras, auch nur einmal ein Wort über Sannan und seine Verletzung, oder seine Rückkehr, verloren. „Beruhigen? Wie soll ich mich beruhigen, wenn ihr nicht ein Wort darüber verliert, wie es diesem idiotischen Sadisten geht! Ich will ihn sofort sehen!“ Chia war es leid, jeden Tag herzukommen und unverrichteter Dinge wieder fortgeschickt zu werden. Sie wollte Sannan nur sehen. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, wie es wirklich um Sannan stand. Auf das Wort der anderen Mibu-Wölfe wollte sie da nicht vertrauen. „Hör zu, Chia, die Sache ist etwas kompliziert. Komm mit und ich lade dich zum Essen ein und stehe dir Rede und Antwort.“ Fluchend versuchte Chia Shinpachi auszuweichen, um sich zu Sannan vorzukämpfen, doch der Krieger hatte sie bereits fest im Griff und machte deutlich, dass sie nicht weiter kommen würde. Für heute würde sie wohl aufgeben müssen und selbst wenn Shinpachi wie versprochen alles erklären würde, würde sie wiederkommen. Tag für Tag, bis Sannan persönlich mit ihr sprach. Unbefriedigt, dass sie erneut nicht zu Sannan vorgedrungen war, nippte Chia an ihrem Schälchen Sake. Shinpachi hatte sie zurück nach Shimabara gebracht und sich mit ihr in einem Zimmer für die Gäste niedergelassen, um ein ausgewogenes Mittagessen zu genießen. Mit einem angewinkelten Bein, weswegen ihr Yukata verrutscht war, und offenem blonden Haar saß sie dem Krieger gegenüber, aus dessen Gesicht der rote Schimmer nicht weichen wollte. „Was glotzt du so? Schenk mir Sake ein...“ Murrend hielt Chia ihm ihr Schälchen entgegen. Sie faszinierte Shinpachi erneut. Ihr Ton, ihre Haltung, ihr Schamgefühl. Das alles unterschied sie so deutlich von all den anderen Frauen im Rotlichtviertel. Zwar konnte Chia auch ihre weiblichen Züge zeigen, doch das meist nur bei der Arbeit als Geiko verkleidet. Ihr Wesen hingegen neigte viel eher zum männlichen Verhalten eines richtigen Kriegers. Es interessierte sie nicht, was andere dachten, wenn sie ihren Yukata so weit aufließ, dass man ihr in den Ausschnitt starren konnte, oder sie, wie jetzt, ihre schlanken Beinen in einer unfemininen Haltung präsentierte. Sie forderte die Disziplin eines jeden Mannes heraus, wahrscheinlich weil sie wusste, dass man sie unterschätzen und ihr dadurch unterliegen würde. In genau derselben Weise verlangte sie auch, dass man ihr nicht widersprach.. Seufzend griff Shinpachi deswegen zu seinem Fläschchen Sake und rutschte zu Chia, der er das Schälchen wieder fühlte. „Also... Warum darf ich Sannan nicht sehen? Ist er einer von Ihnen geworden? Hat er nun endgültig den Verstand verloren?“ Ein weiteres Seufzen kam Shinpachi über die Lippen. Von Chia war er nichts anderes gewohnt, dennoch wünschte er sich, dass sie etwas mehr Weiblichkeit an den Tag legte. „Es geht einfach nicht. Sannan-san distanziert sich von uns. Ich denke, er braucht etwas Ruhe. Und noch hat er das Mittel nicht genommen. Er weiß immerhin um die Nebenwirkungen bescheid.“ Vorsichtig hatte Shinpachi sein Tablett zu sich gezogen und sich neben Chia gesetzt, die den Inhalt ihres Sakeschälchens wieder mit einem Zug leerte und Shinpachi entgegenhielt, der es ihr erneut auffüllte. „Was ist das mit dir und Sannan-san eigentlich? Du kommst immer sobald er nach dir schicken lässt. Und wenn das nicht der Fall ist, nimmt er den Weg nach Shimabara auf sich. Seid ihr ein Paar?“ Die Worte waren ihm nicht einmal vollständig über seine Lippen geglitten, als er auch schon Chias Ellenbogen schmerzhaft in seiner Seite spürte. „Rede nicht so einen Unsinn. Wir sind Krieger, Verbündete. Aber kein Paar. Sannan bringt mir einiges aus seiner alten Schule bei, mehr nicht. Mit dir geht wohl wieder deine schmutzige Fantasie durch, Nagakura...“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Shinpachi die Seite und entschied sich, vor allem wegen der Schärfe ihres Tones, nicht weiter nachzubohren. März, erstes Jahr der Genji Ära (1864) Bemüht ließ Jandate das Schwert, welches sie einen der Rônins abgenommen hatte, in der Luft schwingen. Sie hatte sich immer noch nicht an diese hinterwäldlerische Waffe gewöhnt, immerhin war sie ihre Sense, die sie dank der Engel verloren hatte, und Schusswaffen viel eher gewohnt. „Versucht es mit beiden Händen, Hoheit. Die Waffe ist zwar leicht, aber doch zu lang, um sie mit einer Hand zu führen. Ihr solltet sie mit der zweiten Hand stabilisieren.“ Böse sah Jandate zu Mio, die immer wieder in einem gleichmäßigen Takt ihren Fächer ein und ausklappte. Sie hatte sich diesen und einen zweiten von ihrem letzten Geld gekauft und wollte sie nun gewinnbringend nutzen. Zumindest waren ihnen bei ihren Rundgängen in Kyoto genug Menschen, vor allem Männer, aufgefallen, die das Leben nicht verdient hatten. Sie auszuschalten und sich ihres Geldes zu bemächtigen war somit kein Verlust für die Gesellschaft, sondern eine Verbesserung. Das hatte Jandate jedenfalls Mio erklärt, um ihre Bedenken, weil sie sich in ein System einmischten, das ihnen völlig fremd war, zu beseitigen. „Ich schaff das schon... zur Not benutze ich meine Hände.“ Ohne etwas zu sagen, denn gegen Jandates eigenwillige Argumente war sie sowieso machtlos, zog sich Mio den Kamishimo fester. Die Kleidung musste sitzen, zum einen, weil sie bequemer als ein Yukata war und zum anderen, weil sie darin mehr Bewegungsfreiheit hatten. Auch wenn es wieder besonders Jandate war, die an ihrer neuen Kleidung und der Tatsache, dass sie ihre Oberweite abbinden musste, meckerte. Eine gewohnte Prozedur, da sie seit ihrer Ankunft an allem zu meckern hatte. „Hoheit, wenn Ihr hier Euren Standard halten wollt, wäre es besser, dass Ihr alles tut um unsere Finanzen aufzubessern. Nur weil wir in Japan sind, heißt es nicht, dass Geld hier keine Bedeutung hat.“ Manchmal fühlte sich Mio mehr wie ein Kindermädchen. Ihre Freundin und Königin ging alles mit ihrer verspielten Weise an und schien sich nicht darum zu scheren, dass sie in ernsthaften Schwierigkeiten stecken konnten. „Schon gut, schon gut...“, murrte Jandate und steckte ihre Waffe in die Schwertscheide, um sich die Haare zusammenzubinden. „Habt Ihr auch nicht vergessen, von wem wir stehlen?“ Sie wollte sicher gehen, dass Jandate sich auch wirklich an ihren Plan halten würde. Einen Alleingang konnten sie nicht gebrauchen. „Nur Diebe, Mörder und Vergewaltiger...“ Ihre Antwort klang wie ein genervter Sing-Sang, der Mio klar machte, dass Jandate verstanden hatte und sie allmählich genervt war von dem ewigen Gefrage. Mio hingegen war zufrieden auch wenn sie erst glaubte, dass Jandate es verstanden hatte, wenn es wirklich soweit war. Immerhin war die Königin doch schon sehr launisch. Die kleinen Seitengassen Kyotos waren ideale Verstecke für die zwielichtigen Gestalten Japans. Und natürlich war es auch das ideale Versteck für Jandate und Mio, die sich nahe des Rotlichtviertels befanden - ihre Erfahrung hatte gezeigt, dass dieser Standort perfekt war. Sie mussten nur warten und aufmerksam die Angetrunkenen beobachten, denn egal wo man sich befand, Alkohol ließ die Menschen schnell ihre Masken vergessen und offenbarte schließlich ihre wahren Gesichter. „Komm schon, Kleine.. Ich kaufe dir ein Haus, wir gründen eine Familie. Einen stärkeren Krieger als mich findest du nirgends, immerhin bin ich ein Hauptmann der Shinsengumi.“ Dicht drückten sich Mio und Jandate an eine Hauswand, als sie unmittelbar in ihrer Nähe die angetrunkene Stimme eines Kriegers gefolgt von der zierlichen Stimme einer Maiko vernahmen. „Lassen Sie mich...“ Jandate seufzte, denn es war erbärmlich wie schwach die Frauen Japans waren. Zumindest unter ihren Regime hätte es so etwas nicht gegeben. Die Frauen hier waren anders. Ruhig, zurückhaltend und nur das Spielzeug dieser wollüstiger Männer. „Gehen wir...“ Diese Männer, die Barbaren widerten sie an. Selbst wenn sie Frauen Japans erbärmlich fand, sie waren doch vom gleichen Geschlecht, weswegen sie dieses unter allen Umständen beschützen wollte. „Hoheit!“ Es war zu spät. Mio konnte Jandate nicht mehr aufhalten. Die Königin war bereits aus ihren sicheren Versteck gestürmt und hatte sich hinter den betrunkenen Mann geschlichen. „Hey, Saufbold...“ Es war eines der wenigen Worte, die Jandate im letzten Monat gelernt hatte. Und für diesen Mann brauchte sie auch nicht mehr, denn die Sprache eines gezogenen Schwertes verstand in diesem Land wirklich jeder. „Was willst du Wicht? Glaubst du, du könntest dich ungestraft mit einem Hauptmann der Shinsengumi anlegen?“ Da Jandate nichts von dem Ruf der Shinsengumi wusste, geschweige denn verstand, was der Krieger ihr sagte, hob sie ihr Schwert, bereit für den ersten Hieb. Nur der Tatsache, dass sie nicht sonderlich gewohnt im Umgang mit einem Katana war, verdankte es der Krieger, dass er rechtzeitig sein eigenes Schwert ziehen und Jandates Angriff noch blocken konnte. „Merde...“ Mio seufzte, als sie den Fluch Jandates in ihrer Landessprache hörte. Die Königin tat sich wirklich schwer mit der japanischen Sprache, anders als Mio, die sie Tag für Tag besser beherrschte. „Ein Ausländer... Kein Wunder, dass du so naiv bist und dich nicht vor dem Namen der Mibu-Wölfe fürchtest. Meine Männer und ich werden dir schon noch zeigen, dass du uns zu fürchten hast!“ Mio beschlich ein ungutes Gefühl. Sie verstand nicht alle Worte, doch die nötigsten, um zu verstehen, dass dieser Krieger nicht alleine war. Aufmerksam sah sie sich in der Gasse um und erkannte eine Gruppe Männer, die wohl schon seit einigen Stunden versteckt hinter den Tonnen und Hauswänden ausgeharrt hatten. Mio wurde klar, dass die kleine Maiko, es hätte wohl auch eine Geiko, oder ein naiver Angetrunkener sein können, in die Falle gelockt werden sollte. Und wofür wollte sie sich nicht ausmalen. Genauso wenig wollte sie sich ausmalen, was passierte, wenn einer der Männer Jandate schlug und diese wieder in ihren masochistischen Blutrausch verfiel. Als ihre Dienerin und vor allem auch als ihre Freundin, musste sie das verhindern. Kampfbereit zog Mio ihre Fächer und schlich sich hinterrücks zu den drei Kriegern, die dasselbe bei Jandate versuchten. Diese bekam davon nichts mit und versuchte weiterhin den angetrunkenen Krieger in die Knie zu zwingen. „Ergreift ihn!“ Sie waren knapp hinter Jandate, als ihr Gegner den Befehl gab. Doch stand der Dämonenkönigin wieder einmal die Sprachbarriere im Weg, sodass sie nicht die anderen bemerkte und dessen Worte als Kampfschrei interpretierte. Sie verdankte ihr Leibeswohl nur Mio, die sich im letzten Augenblick dazwischen geworfen und einen gefährlichen Schlag mit ihrem Fächer abgeblockt hatte. „Noch einer? Macht diese Ausländer fertig...“ Mehr als Wut hörte Mio nicht aus den Worten der Männer, doch das brauchte sie nicht. Ihr Handeln war viel zu offensichtlich, weswegen es nicht einmal Worte gebraucht hätte. Schnell hatte Mio dem Angreifer mit Hilfe ihres Fächers das Schwert aus der Hand gerissen und zurückgestoßen. Sie hatten keine Zeit zu verschwenden, denn die Situation sah alles andere als gut für sie aus. „Hoheit, hört mit dem Katz-und-Maus-Spiel auf! Nehmt das verdammte Schwert in beide Hände und streckt diesen Typen nieder!“ Mio hatte allmählich genug, denn gegen diese drei Typen brauchte sie unbedingt Hilfe. Die Fächer waren nicht stabil genug, um einen langen Kampf durchzustehen. Nur mit Jandate und ihren Schwertern hatte sie wirklich eine Chance. „Hör auf, mich befehligen zu wollen! Ich mache das wie ich will!“ Eines ihrer seltenen, unerfreuten Knurren war von Mio zu hören. Scheinbar überschätzte Jandate sich schon wieder. „Hoheit... ich bitte Euch...“ Bemüht versuchte Mio gerade mit beiden Fächern ihren Gegner abzuwehren und Jandate Vernunft einzuhämmern. Doch wieder einmal reagierte Jandate nicht. Zumindest ließ das Scheppern der Klingen nicht darauf schließen, dass die Königin diesen Kampf so schnell wie möglich beenden wollte. Der erste Fächer hatte ungeahnt schnell das Zeitliche gesegnet. Holz und Papier waren trotz aller Handlichkeit eben nicht für den Kampf geeignet. Sollte sie das hier überstehen, würde sie das dazuverdiente Geld in einen Fächer aus Metall investieren. Und wenn die Schmiede dieses Landes dazu nicht in der Lage waren, würde sie sich ihre Waffe selbst schmieden. „Was denn, schon müde, du Barbar?“ Obwohl Jandate wusste, dass ihr Gegner der französischen Sprache nicht mächtig war, bemühte sie sich nicht einmal ihn in seiner Landessprache zu demütigen. Es reichte schon dieser belustigt verächtliche Unterton, um ihrem Gegenüber klar zu machen, was sie von ihrem Kampf hielt. Sie spielte nur mit ihm, gab sich nicht einmal richtig Mühe, was sie deutlich zeigte, indem sie seine Schläge abblockte, aber nicht aktiv angriff. Mio gefiel das gar nicht, denn im Gegensatz zu Jandate wäre sie froh gewesen, mehr als nur blocken zu können. Sie brauchte Hilfe, denn auf Jandate konnte sie nicht bauen. Sie war viel zu sehr mit ihrem Vergnügen beschäftigt. Noch dazu löste sich ihr zweiter Fächer bereits immer mehr auf. Zumindest war es der letzte Schlag einer ihrer Gegner, der ihn in seine letzten Einzelteile zerlegte. Sie stand nun vollkommen unbewaffnet da. „Hoheit, ich könnte Eure Hilfe nun am meisten gebrauchen...“ Es war ein verzweifelter Hilferuf von dem sie wusste, dass es vergeblich war, weswegen sie sich in ihrer näheren Umgebung umsah, um etwas Praktisches zu finden, das als Waffe nutzbar war. Doch sie sah nichts. Sie verdankte es diesem Moment der Unaufmerksamkeit, dass zwei der Männer kurz davor gewesen wären, sie auszuschalten, wenn nicht jemand ihren Schlag abgewehrt hätte. Erschrocken sah Mio auf und erkannte das dunkle, lilafarbene Haar ihres Retters, das zu einem dünnen Zopf zusammengebunden war. Erst der zweite Blick ließ sie den hellblauen Mantel erkennen. Sie hatte diese Art Mäntel schon öfter gesehen, aber noch nie hatte sie daran gedacht, dass ein Träger mit dieser himmelblauen Tracht sie retten würde. „Shinpachi...“ Seine tiefe Stimme gab ein Signal, einen stummen Befehl, den sein Partner, der sich um die anderen zwei kümmerte, verstand. Sofort machte er kurzen Prozess mit den zwei Kämpfern, die ächzend zu Boden gingen. „Störenfriede!“ Es war Jandates Stimme, die sie zurück in die Realität rief. Sie hatte die beiden Männer mit Staunen und Bewunderung angestarrt und dabei vollkommen ihre eigene Lage vergessen. „Tut mir leid, aber mir wird es zu voll und ich habe keine Lust mehr mit dir zu spielen.“ Ein blutiges, gequältes Gurgeln war von Jandates Gegner zu hören, dicht gefolgt von seinem Körper, der geräuschvoll wie ein Sack Reis zu Boden sank. „Schnappen wir uns das Geld und gehen.“ Mio wusste nicht, woher Jandate diese Ruhe nahm, denn die Fremden hatten sich bereits um die anderen Gegner gekümmert, die Jandate behände ebenfalls um ihr Geld erleichterte. „O-Oi!“ Entsetzt versuchte der Muskelprotz im hellblauen Mantel Jandate aufzuhalten, doch diese schwang zu ihrem Schutz das Schwert. Nur dank dessen Reflexe, die ihn zurückweichen ließen, wurde er nicht getroffen, dafür aber aus dem Gleichgewicht gebracht. „Das sollte für einen Monat oder mehr reichen. Gehen wir, Mio.“ Gelassen und ohne den zwei Kriegern weiterhin Beachtung zu schenken, wandte sie sich von ihnen ab. Sie schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass die beiden Männer sie gerettet hatten. Doch Mio wusste es und wollte sich bedanken. Die einfachen Worte dafür kannte sie, doch etwas in ihr brachte sie einfach nicht über die Lippen, während sie ihren Retter einfach nur ansah. „Kommst du?“ Sie seufzte leise, denn Geduld war wirklich nicht Jandates Stärke. „Danke...“ Sie wandte sich von dem Krieger ab, während sie das Wort in der Sprache des hiesigen Landes aussprach. Sie wusste nicht, was ihr unangenehmer war, dass sie Hilfe gebraucht hatte, oder dass sich Jandate wie die Axt im Wald benahm. April, erstes Jahr der Genji Ära (1864) Es war schon weit nach Mitternacht, als Mizu im Versammlungsraum der Shinsengumi saß. Sie war sofort nach der Arbeit zum Hauptquartier gelaufen und hoffte, dass sie Kondou oder Hijikata nicht zu sehr damit verärgert hatte. Doch sie hatten auch keine Zeit zu verlieren, denn was sie und Chia in den letzten Tagen in Shimabara gehört hatten, war mehr als bedenklich. „Was ist so wichtig, dass eine der Wächterinnen Shimabaras nicht bis morgen warten kann?“ Schwungvoll wurde die Tür zum Versammlungsraum aufgeschoben und Souji betrat diesen. Er war wirklich der Letzte, den sie jetzt sehen wollte, denn viel lieber besprach sie diese Sache mit dem Anführer und den Kommandanten der Shinsengumi persönlich. „Ich hatte darum gebeten mit Hijikata-san und Kondou-san zu sprechen. Es ist wichtig und ich kann nicht zulassen, dass diese Informationen nicht zu ihnen vordringen.“ Ernst sah Mizu Souji an, der sie verspielt anlächelte. Es war dieses Lächeln, das sie vorsichtig werden ließ, auch wenn sie es gleichzeitig mochte. „Ich werde es den beiden ausrichten, wenn es wirklich wichtig ist. Wir haben wichtigeres zu tun, jetzt wo Chôshu mit den Hufen scharrt.“ Sein Lächeln schwand nicht, stattdessen näherte er sich Mizu auf bedrohliche Weise und setzte sich dicht vor ihr hin. Sie wusste, dass weder Hijikata noch Kondou jetzt hier auftauchen würden, sodass sie keine andere Wahl hatte, als Souji alles zu erzählen. „Chôshu ist ja das Problem. Seit einigen Wochen kommen immer wieder Mitglieder des Clans nach Shimabara, um zu feiern. Dabei haben Chia und ich einige Gespräche belauschen können. Sie wollen wohl einen Angriff auf Kondou-san ausführen.“ Soujis Lächeln verstarb, als er die Kurzfassung von dem bekam, was Mizu und Chia gehört hatten. Er verstand, was dies bedeutete. Chôshu versuchte die Shinsengumi zu stürzen, indem sie ihnen ihren Anführer nahmen. Doch unter keinen Umständen würde er das zulassen. Kondou war sein Leben und er wollte es mit diesem beschützen. „Wie lauten ihre Namen?“ Ernst schüttelte Mizu mit dem Kopf. Namen wusste sie nicht. Nicht einmal wann oder wo dieses Attentat stattfinden sollte. Sie hatte einfach nur daran gedacht so schnell wie möglich die Shinsengumi zu informieren. „Holst du nun Hijikata-san oder Kondou-san?“ Mit Sicherheit würde Mizu keine weiteren Informationen geben, ohne dass ein Mann mit Befehlsgewalt im Raum war. Denn alleine wollten sich die Wächterinnen Shimabaras nicht darum kümmern. Es sollte schließlich auch nicht auf die wehrlosen Geikos und Maikos zurückfallen. **~~** Schweigend beobachtete Chia zwei Frauen, die sich für diese besondere Nacht vorbereiteten. Sie hatten alles geplant und nichts davon durfte schiefgehen. „Danke, dass du uns hilfst, Kimigiku. Alleine hätte ich mich nicht um die Männer und Natsu kümmern können.“ Lächelnd sah die schwarzhaarige Geiko, die viel eher in die Gewänder eine Kurtisane gekleidet war, zu Chia auf. Sie kannte die schwerttragende Geiko schon etwas länger und war froh auch mal etwas für sie tun zu können. „Ich schulde dir immerhin etwas. Du hast diesen einen Rônin dazu gebracht, nicht auf dumme Ideen zu kommen.“ Chia konnte nicht vermeiden, dass dieses indirekte Kompliment sie verlegen werden ließ und sich ein rosafarbener Schimmer auf ihre Wangen legte. „Das ist meine Aufgabe. Also musst du mir nicht danken. Ich aber dir, denn der Plan ist weder für dich, noch für Natsu ungefährlich. Wenn die Männer auch nur einen Augenblick zu früh bemerken, dass der Sake mit Schlafmittel versetzt ist, kann es unangenehm werden...“ Zusammen mit der Shinsengumi hatten sie einen Plan geschmiedet, um die Männer des Chôshu-Clans Schachmatt zu setzen, bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnten. „Wenn alles so verläuft wie es soll, werden gut eine handvoll Männer, die Mizu hierher bringen wird, den Sake trinken. Sobald sie einschlafen und der Rest bemerkt, dass etwas nicht stimmt, werden Souji und Mizu über den verdeckten Seitengang reinstürmen. Diesen werden du und Natsu benutzen, um den anderen wie geplant Bescheid zu geben. Heisuke wird euch dann zurück zur Sumiya bringen. Es besteht somit kein Grund zur Sorge.“ Zumindest hoffte Chia, dass es wirklich keinen Grund zur Sorge gab. Vor allem um Natsu, die das Ganze mehr für ein Spiel hielt. „Und mir steht der Kimono und die Perücke?“ Freudig lächelnd betrachtete sich das Fuchsmädchen im Spiegel. Ihr schien zu gefallen was sie sah, zumindest fiel es ihr schwer, den Blick vom Spiegel zu nehmen. „Heisuke-san hatte Recht. Über dem Kimono ist der Obi wirklich viel schöner.“ Chia wollte gar nicht wissen, was das Mädchen damit schon wieder meinte. Sie war sowieso ein Buch mit sieben oder mehr Siegeln. Immerhin wusste sie Dinge über die Shinsengumi, die eine normale Frau ihres Alters nicht wissen konnte. Dinge wie Sannans Verletzung. Doch bisher war sie nie auf die Idee gekommen, ihr Wissen zu hinterfragen. Sie war einfach froh überhaupt etwas über den Sadisten zu erfahren. Doch mittlerweile konnte nicht einmal sie mit Informationen kommen, denn Sannan bevorzugte es scheinbar, sich von den anderen Mitgliedern abzukapseln. Und das bereitete ihr Sorgen. „Wir sind soweit, Chia. Gib Mizu Bescheid.“ Zu allem fest entschlossen, nickte Chia und verließ das Gästezimmer, das bald schon Schauplatz eines Blutbades werden würde. **~~** Atemlos lief Natsu den Weg in Richtung von Heisukes Truppe. Sie hatte es nicht leicht das Tempo zu halten, denn der schwere Stoff des Kimonos drückte fest auf ihren Körper. Kimigiku hatte sie irgendwo verloren, doch sie blieb nicht stehen, schließlich hatte Chia ihr klare Anweisungen gegeben. Hinter ihr erklang das Scheppern aufeinanderschlagender Klingen. Der Kampf war bereits in kürzester Zeit hitzig geworden. Doch das Fuchsmädchen hatte nur ein Ziel vor Augen. Heisuke, der sie in die Sumiya bringen sollte. Dort wollte sie wieder ihre wahre Gestalt annehmen und zurück zur Shinsengumi laufen. „Hierher!“ Sie zuckte zusammen, als sie Heisukes Stimme vernahm. Suchend ließ sie ihren Blick durch die nahe Umgebung schweifen und entdeckte den jungen Samurai in einer abgeschotteten Gasse. Sofort lief sie, mit einem Lächeln auf den Lippen, zu ihm und hielt schwer atmend inne. „Gefunden, Heisuke-san!“ Ihr Lächeln wurde breiter, als sie dicht vor dem Jungen stand, der plötzlich, ohne dass ihr klar wurde warum, errötete. „W-Wie sieht es bei den anderen aus? War der Plan erfolgreich?“ So schnell er konnte, versuchte Heisuke das Thema auf etwas zu lenken, was ihn nicht so erröten ließ wie Natsus atemberaubender Anblick. Er wusste zwar, dass sie süß war, aber in einem Kimono war sie so schön und erwachsen, fast schon eine andere Frau. „Es lief soweit alles gut. Allerdings habe ich Kimigiku verloren. Im Gang war sie noch dicht hinter mir, doch plötzlich war sie weg.“ Heisuke erkannte, dass Natsu sich Sorgen um die andere Geiko machte, doch die Kampfgeräusche näherten sich ihnen unaufhaltsam. Er musste also schnell handeln. „Ich werde sie nachher suchen. Komm jetzt erst einmal schnell mit.“ Lächelnd griff Heisuke nach Natsus Hand. Sie nickte nur und reichte sie ihm freiwillig, was Heisuke verwunderte. Immerhin war er es gewohnt, dass Frauen wesentlich zurückhaltender waren. Doch auf eine seltsame Art und Weise schien Natsu ihm zu vertrauen. Und das obwohl sie einander kaum kannten. Dieses Vertrauen wollte er aber nicht enttäuschen, weswegen er ihre Hand sanft drückte und in Richtung Sumiya lief. Ende Juni, erstes Jahr der Genji Ära (1864) Es war ein Tag wie jeder andere, an dem Mizu viel zu früh aufgestanden war, um noch einen Besuch bei Lhikan zu erledigen. So ganz nebenbei wollte sie bei ihm ihre Vorräte auffüllen, denn vor allem ihr Sack Reis neigte sich dem Ende zu. Gähnend lief sie durch die gut besuchten Straßen und sah sich um. Seit dem Kampf in Shimabara hatte Chôshu sich ruhig verhalten. Zumindest war ihr bei der Arbeit nichts mehr zu Ohren gekommen. Deswegen vermutete sie, dass der Clan sich noch die Wunden leckte und sich im Geheimen neue hinterhältige Taktiken überlegten. Seufzend schüttelte Mizu den Kopf. Solange Chôshu den Mädchen in Shimabara nichts antat, ging es sie nichts an. Das Schlachtfeld war nicht ihr Metier. „Guten Morgen, Lhikan.“ Vorsichtig schob Mizu den Stoff an Lhikans Eingangstür beiseite und betrat den Laden ihres besten Freundes. „Guten Morgen, Mizu. Was führt dich denn hierher?“ Freundlich lächelte Lhikan Mizu an und erhob sich von dem Tresen, auf den er sich abgestützt hatte. Scheinbar war heute nicht viel los, sodass Mizu eine willkommene Abwechslung war. „Mir geht der Reis bald aus. Kannst du mir einen großen Sack verkaufen?“ Obwohl Mizu wirklich nicht viel brauchte, wollte sie gleich einen größeren Sack kaufen. Dieser kostete zwar etwas mehr, aber sie musste Reis dann nicht so oft nachkaufen. Höchstens einmal aller drei Monate. Zumindest hatte der letzte solange gehalten ohne Erenya, wobei selbst mit ihr sparte sie beim Reis. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie abends in Shimabara eine gute sättigende Portion zu Essen bekam. „Warte einen Augenblick, ich hole einen aus dem Lager. Brauchst du sonst noch etwas?“ Lhikan war es gewohnt diese Frage zu stellen, auch wenn er die Antwort im Bezug auf Mizu bereits kannte. „Reis reicht vollkommen.“ Langsam näherte sich Mizu dem Tresen und stützte sich auf diesem ab, während sie beobachtete, wie Lhikan im Lager verschwand. Sie seufzte leise und versuchte die Müdigkeit zu ignorieren. Sie überlegte, ob es vielleicht nicht doch besser gewesen wäre, Lhikan eine Nachricht mit ihrer Bestellung zu schicken. Es störte sie jetzt schon, der Gedanke daran, dass sie diese ganzen Kilos nach Hause tragen musste. Und dafür war sie eigentlich zu müde. „So, da ist er. Ich hoffe der reicht dir.“ Müde sah Mizu zu Lhikan, der fast schon stolz den gefüllten Reissack präsentierte. Zustimmend nickte sie und zog ihr Beutelchen mit Geld aus dem Yukata. Ohne darüber nachzudenken, zog sie ein paar Münzen heraus und legte diese auf den Tresen. „Danke, Lhikan...“ Fest umklammerte sie den Reissack und hievte ihn mit aller Kraft hoch. Sie spürte bereits jetzt schon die Schwere der Last und bereute immer mehr, keine Nachricht geschickt zu haben. Mit jedem Schritt den Mizu tat wurde der Reissack schwerer. Es wunderte sie daher nicht, dass sie auch immer müder wurde. „Was ist es dieses Mal?“ Mizu wusste nicht warum, aber die Frage eines unscheinbaren Passanten drang zu ihr und ließ ihren Geist hellwach werden. Sofort sah sie auf und erkannte die Krieger im hellblauen Mantel, die ein kleines Restaurant stürmten. Einige der Männer kannte sie, immerhin hatte sie diese Einheit, Soujis Truppe, schon häufiger gesehen. „Bringen sie sich wieder gegenseitig um?“ Die Umstehenden Menschen schienen alles andere als erfreut zu sein. Wen wunderte es? Die Shinsengumi war immerhin berühmt berüchtigt. Leider nicht in positiver Weise. Dennoch, Mizu hatte keine Angst. Auch wenn sie nicht mit allem einverstanden war, was die Shinsengumi tat, erkannte sie doch auch die positivere Wirkung ihrer Existenz. „Was für ein langweiliger Eingriff...“ Die Menschen um Mizu herum hatten sich von dem Schauspiel abgewandt, doch Mizu hatte weiterhin zu dem Haus gesehen. Immerhin wusste sie, welcher Krieger hier Hand des Rechts spielte. Und so wie sie es sich gedacht hatte, trat schließlich Souji aus dem Haus. „Wie immer gehst du nicht sehr direkt vor, Souji...“ Verwundert sah der Krieger auf und blickte zu dem Mädchen, das sich immer noch müde an den schweren Reissack klammerte.“ „Mizu-chan. Was für ein Zufall.“ Mit einem breiten Grinsen grüßte der Samurai Mizu, die sich im näherte, jedoch stehen blieb, als sie Chizuru aus dem Gebäude kommen sah. „Das ist doch nicht dein Ernst, Okita! Du nimmst das Lamm zu so einem Einsatz mit? Da kannst du sie auch gleich auf die Schlachtbank führen.“ Mizu wusste sofort wer das Mädchen in Soujis Begleitung war. Immerhin wusste sie nur von einem weiblichen Wesen, das zwischen inzwischen dem Rudel Wölfe hauste. „Chizuru-chan, darf ich dir deine neue Freundin vorstellen? Sie ist eine der Wächterinnen aus Shimabara und sollte sie Informationen über Kodo-san haben, ist es ihr eine Ehre, dir davon zu berichten.“ In Sekundenschnelle war Mizus Wut auf Soujis Gedankenlosigkeit verraucht und einer guten Portion Fassungslosigkeit gewichen. Nicht nur, dass er einfach entschied dass diese Fremde ihre neue Freundin war, er ging auch noch mit ihrem Beruf hausieren. Dabei war dieser Fakt ihr vollkommen unangenehm. „Bevor du irgendwelche Versprechungen machst, gib mir wenigstens die Chance, abzulehnen.“ Entgegen ihrer üblichen Weise gab Mizu sich beherrscht. Sie war zu müde, um mit Souji zu streiten, noch dazu wollte sie vor Chizuru keinen allzu schlechten Eindruck hinterlassen. „Bitte, wenn Sie meinen Vater sehen, oder gesehen haben, sagen Sie es mir.“ Flehend sah Chizuru mit ihren rehbraunen Augen zu Mizu. Es war einfach unmöglich, selbst für sie, da nein zu sagen. „Spar dir die Höflichkeit. Nenn mich einfach Mizu. Was deinen Vater angeht... Ich werde Augen und Ohren offen halten.“ Mizu konnte nichts genaues versprechen, aber sie wollte Chizuru, die sie so hoffnungsvoll ansah, nicht enttäuschen. Und die Augen und Ohren dafür offen zu halten, war doch kein Problem. Schließlich tat sie das auch für die Shinsengumi. **~~** Fassungslos sah Yuki auf die brennende Hütte, die sie vor wenigen Stunden noch ihr „Zuhause“ genannte hatte. Es war nichts Großes gewesen, aber doch ein Zeichen ihres Neuanfangs. Und nun stand es in Flammen, weil sie unvorsichtig geworden waren. „Yuki!“ Seufzend wandte sich der Schneeengel von dem Bild der Zerstörung ab und sah zu Koji, der mit gezogenem Schwert und atemlos auf sie zugelaufen kam. „Koba sagt, dass er die Stellung halten wird. Wir sollen Erenya und Chihiro mitnehmen und fliehen.“ Yuki verstand genau was Koji sagte, doch sie wollte es nicht glauben. Sie wollte nicht glauben, dass sie als einzige fliehen sollten. Sicher, Erenyas Sicherheit hatte immer noch Priorität, aber ihre neuen Freunde und ihr Vater, den sie erst vor wenigen Wochen wiedergefunden hatte, waren nicht minder wichtiger. „Wir werden so viele mitnehmen und retten wie wir können.“ Entgegen dem Willen des Dorfältesten Koba, zog Yuki ihr Schwert und machte sich bereit, zurück zu den anderen zu gehen, die sich noch wacker gegen die Scharen der Erzengel schlugen. „Yuki!“ Vergebens versuchte Koji den Schneeengel zurückzuhalten. Gegen ihre Entschlossenheit konnte er nichts tun, was er deutlich zu spüren bekam. Dennoch wollte er Yuki nicht ins Verderben rennen lassen, weswegen er ebenfalls den ihnen gegebenen Befehlen strotzte und Yuki zurück auf das Schlachtfeld folgte. Ihre Klinge kämpfte sich erbarmungslos durch Feuer und Feind. Doch mit jedem Schlag wurde ihr das verheerende Ausmaß des Angriffes bewusst. Die Leichen der Flüchtlinge zierten den einst grünen Boden, tränkten ihn mit warmen Rot und ließen nur erkaltendes Braun zurück. Und obwohl sie es mit eigenen Augen sah, wollte sie es nicht wahr haben. Sie wollte nicht glauben, dass ihr friedliches, fröhliches und vor allem freies Leben so schnell zerschlagen werden konnte. Und doch gab es zwischen all dem Grauen einen Hoffnungsschimmer. „Koba!“ Mutig und zahlenmäßig unterlegen, hatte sich der Anführer ihres Dorfes gegen zwei Engel gestellt. Er war schwer angeschlagen und nicht einmal seine Verletzungen heilten trotz seiner dämonischen, schnelleren Regeneration. Vielleicht lag das aber auch an den heiligen Waffen der Engel. Und doch fürchtete er sich nicht davor, noch stärker verletzt zu werden. „Koba!“ So schnell sie ihre Beine trugen, lief Yuki zu dem Oni. Sein schneeweißes Haar war mit Blut verklebt und eines der Hörnchen hatte man ihm bereits gewaltsam abgebrochen. An ihm erkannte Yuki die wahre Grausamkeit ihrer ehemaligen Artgenossen. Ein Abbild ihrer eigenen, nie ausgelebten Grausamkeit. „Yuki, was machst du noch hier?“ Obwohl Koba alle Hände voll zu tun hatte, bemerkte er den gefallenen Schneeengel, der sofort die Aufmerksamkeit seiner Gegner auf sich lenkte. „Ich kann euch nicht alleine lassen. Wir werden so viele wie möglich retten!“ Mit einem gezielten Hieb ihres Schwertes gelang es ihr, die Klinge ihres Gegners zu zerbrechen. Er war chancenlos denn mit dem verbliebenen Schwertgriff konnte er sich nicht mehr wehren. „Vergiss das! Kümmere dich um Erenya und Chihiro. Schnapp dir die beiden und flieh mit Koji. Ich kümmere mich um diese Marionetten.“ Deutlich konnte Yuki die Wut aus Kobas Worten hören. Er hasste es, wenn man ihm widersprach und damit seine Autorität untergrub. Yuki wusste das und doch konnte sie ihn hier nicht alleine lassen. „Aber...“ Erneut erhob sie ihre Stimme, wollte ihm klar machen, dass es von Vorteil war, wenn sie zusammenblieben. Doch mehr als ein Wort brachte sie nicht heraus. „Kein 'Aber'!“ Mit einem geschickten Hieb schickte Koba Yukis Gegner zu Boden und blockte seinen eigenen ab. „Ich bin dir dankbar, Yuki. Aber das hier ist meine Angelegenheit. Erenya hingegen ist deine. Sie ist in meiner Hütte. Hol sie und verschwindet! Ich werde diese Marionetten solange aufhalten.“ Ein verwegenes, kriegerisches Lächeln lag auf Kobas Lippen und Yuki wusste, dass er seinen Entschluss bereits gefasst hatte. Nichts was sie sagen oder tun konnte, würde ihm davon abbringen. „Verstanden.“ Yuki wandte sich um und sah schon Koji auf sich zukommen. Mit einem Nicken signalisierte sie dem Gefallenen, in welche Richtung es gehen würde. Auch wenn sie Koba nur ungerne alleine ließ, respektierte sie seinen Wunsch. Wissend, dass es der letzte Befehl war, den er ihr als Anführer des geheimen Dorfes gab. Wütend rammte Chihiro ihre versteckte Klinge in den Leib eines Engels, der es wirklich gewagt hatte, Kobas Hütte zu betreten. Der Dorfführer hatte ihr eine klare Anweisung gegeben. Sie musste Erenya beschützen bis Yuki und Koji sie abholten. „Dieses Federvieh vermehrt sich wie Ungeziefer!“ Genervt schlug sie die Tür zu und stemmte sich mit ihrem Körper dagegen. Die Scharniere hielten nicht mehr und doch wollte Chihiro die letzte Barriere zwischen den Engeln und sich nicht aufgeben. „Alles in Ordnung, Erenya?“ Ihr Blick glitt zu dem Engel, der sie vor wenigen Monaten gerettet hatte. Sie hielt ein Schwert umklammert, doch anhand ihrer Haltung wusste Chihiro, dass sie noch lange nicht bereit zum Kämpfen war. Aber das was sie konnte, würde vielleicht reichen, damit sie sich verteidigen konnte. „Ist das... Meine Schuld?“ Chihiros Augenbrauen hoben sich, als sie die Frage des Mädchens hörte. Wie sollte sie für dieses Chaos verantwortlich sein? Wenn jemand Schuld war, dann wohl der alte Mann, den Yuki als ihren Vater bezeichnet hatte. Schließlich waren ihre Angreifer den alten verfolgt und hatten so das geheime Dorf entdeckt. „Red nicht so einen Unsinn... Niemand hat daran Schuld...“ Stille kehrte ein und Chihiro lauschte an der Tür. Die Kampfgeräusche waren verstummt, doch Chihiro traute dem Frieden nicht. Kampfbereit stand sie an der Tür. Ihre Sinne waren bis zum Äußersten angespannt und plötzlich klopfte es. „Wir sind es. Yuki und Koji.“ Vorsichtig zog Chihiro die Tür auf, immer bereit zuzustechen, wenn es doch nur ein Gegner war. Sie durfte sich einfach keinen unvorsichtigen Moment erlauben. Doch nicht nur sie war vorsichtig. Auch Yuki, die erst eine Hand in den Raum hielt, machte deutlich, dass sie alles erwartete. „Die Luft ist rein...“, versicherte sie Koji und betrat schließlich die Hütte, die verschlossen wurde, kaum dass der Gefallene eingetreten war. „Und nun? Wie kommen wir ungesehen da raus?“ Fragend sah Chihiro zu Koji und Yuki, während sie ihren Körper gegen die Tür stemmte. Sie wusste wirklich nicht, wie sie dieses Schlachtfeld verlassen wollten. „Die Frage ist doch viel eher, wohin wir gehen sollen, wenn wir das Dorf lebend verlassen haben.“ Nachdenklich sah Koji aus einem der Fenster. Doch außer den Flammen, die schon bald auch diese Hütte erreichen und verschlingen würden, sah er nichts. „Wir müssen nach Kyoto!“ Yuki wandte ihren Blick zu Erenya, die kampfbereit ihr Schwert gezogen hatte. Sie konnte die Entschlossenheit in ihren Augen deutlich aufblitzen sehen. Etwas, das sie bei Erenya selten sah. „Warum Kyoto? Wegen der Shinsengumi? Wir haben genug eigene Probleme und können uns nicht auch noch um ihre kümmern.“ Koji gefiel der Gedanke nicht, dass Erenya dahin zurück wollte, wo das Rudel Wölfe mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hatte. „Es geht nicht nur um Hijikata-san und die anderen. Die Engel haben die Dämonenkönigin dort im Visier, wenn wir nicht schnell handeln.“ Erenyas Blick glitt zu Chihiro, die sie mit geweiteten Augen ansah. Sie wusste, was Erenyas Worte bedeuteten und war bereit sich eigenständig durch die Scharen zu kämpfen, um Jandate beschützen zu können. „Dann gehen wir.“ Zu allem bereit nahm Chihiro Abstand von der Tür, die sofort auffiel und damit das wahre Schlachtfeld offenbarte. Achter Juli, das erste Jahr der Genji Ära (1864) Schwer atmend lief Chizuru durch die verwinkelten Gassen in Richtung ihres Zieles. Sie musste sich beeilen, immerhin war sie die Einzige, die Hijikata noch die wichtige Nachricht überbringen konnte. Yamazaki hatte es in ihre Hände gelegt und sich alleine den Männern Chôshus entgegengestellt. 'Ich muss Hijikata-san die Nachricht überbringen...' Obwohl ihre Lungen bereits vor Schmerz brannten, hielt sie nicht inne und versuchte so schnell wie möglich weiterzulaufen. „Bleib stehen!“ Erschrocken hielt Chizuru inne und sah schwer atmend zu dem Krieger, der sich mit gezogenem Schwert vor ihr aufbaute. Sie wusste sofort, dass er zu den Gegnern der Shinsengumi gehörte und mögliche Boten, in diesem Fall sie, aus dm Weg räumen sollte. Auch wenn die Angst sie zu lähmen drohte, sie durfte nicht aufgeben. 'Ich muss Hijikata-san die Nachricht überbringen!' Entschlossen aber zitternd zog Chizuru ihr Kodachi und nahm eine abwehrende Haltung an. Sie hatte immerhin Kampftraining gehabt und das sollte nicht umsonst gewesen sein. 'Yamazaki-san verlässt sich auf mich, genauso wie Sannan-san.' Egal was geschah, Chizuru wusste, dass sie nicht verlieren durfte. Doch sie wusste auch, dass sie nicht lange durchhalten würde. Deswegen musste sie an dem Krieger vorbeikommen. Nur vorbeikommen und dann laufen, mehr nicht. „Du wirst hier nicht lebend vorbeikommen.“ Mit einem Kampfschrei stürzte sich der Krieger auf Chizuru und schwang sein Katana. Gerade rechtzeitig wich sie, mit einem Rückwärtsschritt, aus und schwang nun selbst ihr Schwert. Doch ihre Klinge stieß auf das kalte Metall des Schwertes, welches ihr Gegner führte. Schon in dieser Abwehr steckte mehr Macht, als Chizuru sie je aufbringen konnte. 'Ich muss Hijikata-san die Nachricht überbringen...' Aufgeben stand nicht zur Debatte. Kein Mitglied der Shinsengumi hätte auch nur im Traum daran gedacht, kampflos aufzugeben. Und obwohl sie genug eigene Probleme mit Chôshu hatten, fanden sie die Zeit nach ihrem Vater zu suchen und sie zu beschützen. Wenigstens mit diesem Botendienst wollte sie ihnen ihre Freundlichkeit zurückzahlen. Mit aller Kraft die sie aufbringen konnte, stieß sie den Mann von sich und zog ihm mit einem Fuß das Bein weg, wodurch er sein Gleichgewicht verlor und zurück stolperte. Es war ihre einzige Chance und das wusste sie nur zu gut. Ohne auf den Krieger zu achten, lief sie los, das Schwert fest umklammert für den Fall, dass der Mann ihr folgen würde und sie wieder angriff. Keuchend klammerte sich der Mann an die Barriere, die ihn daran gehindert hatte zu fallen. Er brauchte einige Sekunden, um sich zu fassen, denn sein Gegner hatte ihn kalt erwischt. „Dieser verdammte Bengel...“ Seine Stimme glich einem Zischen und offenbarte dennoch nicht im vollen Maße wie wütend er war. Er musste das Bürschchen aufhalten, doch als er loslaufen wollte, spürte er das runde, fasrige Holz an seiner Kehle. „Ich kann dich nicht gehen lassen, niu. Immerhin hat sie alles dafür riskiert, niu!“ Etwas wandte der Krieger seinen Kopf um und erkannte die rotbraunen Ohren zwischen dem rotbraunen Haar, die bedrohlich zuckten. Kapitel 3: Enthüllte Geheimnisse -------------------------------- Achter Juni, erstes Jahr der Genji Ära (1864) Die Stille der Nacht war von den Geräuschen eines tobenden Kampfes durchbrochen wurden. Der Geruch von Blut tränkte die reine Abendluft und drang zu Jandates empfindlicher Nase vor. Verstimmt verzog sie das Gesicht, auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass die hauchzarte Duftnote von Testosteron, die im eisenhaltigen Geruch des Todes mitschwang, sie nicht doch erregte. Gegen ihre Natur konnte sie eben nichts tun, auch wenn die Gründe für ihre Anwesenheit andere waren. „Ihr wisst schon, dass wir diese Gelegenheit nutzen sollten, um Geld zu verdienen. Heute sind die Blaumäntel nicht auf Patrouille.“ Mit einem Tablett in beiden Händen trat Mio zu Jandate auf das Dach, welches gegenüber des Ikedaya-Hauses stand. Vorsichtig stellte sie das Tablett zwischen sich und ihrer Freundin, der sie sogleich etwas von der klaren, scharf riechenden Flüssigkeit, welche man Sake nannte, einschenkte. „Wir haben mehr als genug. Und das obwohl unsere Waffen nicht gerade günstig waren. Diese Stadt scheint ein Brutkasten für zwielichtiges Gesindel zu sein. Uns wird das Geld so wohl nie ausgehen.“ Im Angesicht dieser Übertreibung verzog Mio das Gesicht und sah zu dem Haus gegenüber. Sie hörte klar und deutlich die Geräusche des tobenden Kampfes und vor ihrem geistigen Auge blitzten die Bilder von eben diesem auf. „Ich bin gespannt, ob die goldene Ratte auch hier ist und wann sie das sinkende Schiff verlässt.“ Leise seufzte Mio. Zwar spürte auch sie die Anwesenheit zwei ähnlicher Artgenossen, aber das musste noch lange nicht bedeuten, dass darunter der Oni war, den sie bei ihrer Ankunft in Kyoto getroffen hatten. Und dennoch saßen sie auf Befehl von Jandate hier und warteten darauf zu sehen, wer diese Oni waren. „Dort scheint es wirklich ein hitziges Gefecht zu geben. Ich wüsste zu gerne wieso.“ Eine deutlich erkennbare Neugier blitzte in Jandates Augen auf. Ein Leuchten, das Mio in Alarmbereitschaft versetzte. Sie wusste, dass es Jandate in den Fingern juckte und sie nur zu gerne ebenfalls mitgemischt hätte. Umso erstaunlicher war es, dass sie beherrscht sitzen blieb und stattdessen an den Schälchen Sake nippte. „Es ist wirklich unglaublich, oder Mio? Egal wohin man geht, Krieg, Mord, Leid und Armut sind überall. Egal ob in unserer Heimat oder hier, die Menschen lassen sich alle von denselben tödlichen Motiven leiten.“ Verwundert sah Mio zu Jandate auf, deren Verhalten mit einem Mal so anders wurde. Der verspielte Ausdruck in ihren Augen war einem uralten Zorn gewichen, den Mio nur zu gut verstehen konnte. Jandate war aufmerksam geworden, als eine Gestalt durch ein Fenster das Ikedaya-Haus verlassen hatte. Sofort war hatte sie ihre Sinne auf den Flüchtigen konzentriert. „Zeit zu gehen, Mio“, wisperte Jandate und erhob sich von ihrem Platz. Ohne lange nachzudenken lief sie in die Richtung, in die auch der Unbekannte geflohen war. Einen leisen Fluch ausstoßend, erhob sich Mio ebenfalls. Vergessen war der Sake, den sie zum Glück im voraus bezahlt hatte, und alle Ernsthaftigkeit mit der sie wenige Sekunden zuvor über das Land der aufgehenden Sonne ausgesprochen hatten. Flink folgte Mio der Dämonenkönigin, einfach der Spur folgend, die dieser Oni physisch und ohne es zu merken, legte. Dabei war nicht einmal sicher, dass es sich um den Onimann handelte, der Jandate ein Dorn im Auge war. Mio wusste nicht einmal, warum es sich die Dämonin so sehr wünschte, ihn wiederzusehen. „Verdammt!“ In einer kleinen Gasse hatte Jandate inne gehalten. Bis hier her waren sie dem Oni gefolgt, doch nun war seine Präsenz verschwunden. „Ich hatte mich schon gefragt, wer uns die ganze Zeit beobachtet und verfolgt.“ Die Augen weiteten sich, als sie die Stimme des Onis hörte, auf den sie die ganze Zeit gehofft hatte. Sie hob ihren Blick und erkannte ihn schließlich sitzend auf dem Dach, mit seinen roten Augen die hochmütig auf sie gerichtet waren. Neben ihm stand der zweite Oni, den sie gespürt hatten. Ein Mann, mit stattlicher Statur, rotem Haar und schwarzer, traditioneller Kleidung. Sein Kinn zierte ein Bart, der ihn älter wirken ließ als er wahr. Wobei seine Haltung zeigte, dass er bereits seit vielen Jahren gekämpft und gelebt hatte und dadurch Erfahrungen gesammelt hatte, die dem Oni neben sich noch verwehrt waren. „Es ist unklug von euch, eure Präsenz nicht zu unterdrücken, wenn ihr jemanden folgt, der sie wahrnehmen kann. Zumindest wenn ihr unerkannt bleiben wollt.“ Mio war von den Worten des ihnen bekannten Oni geschockt und sah zu Jandate, auf deren Lippen sich nur ein verspieltes Grinsen widerspiegelte. Sie wusste, dass die Königin diejenige war, die scheinbar bewusst ihre Präsenz nicht unterdrückt hatte. Somit war es auch mehr als nur wahrscheinlich, dass die Oni sie die ganze Zeit gespürt und bewusst in diese Gasse gelockt hatten, die ohne weiteres zu ihrem Grab werden konnte. „Ich habe nie behauptet, dass ich nicht entdeckt werden wollte.“ Seufzend schüttelte Mio den Kopf. Das waren genau die Worte, die sie von Jandate erwartet hatte. Ihr wurde aber nicht klar, wofür sie das alles getan hatte, bis die Königin ein rotes Säckchen aus dem Oberteil ihres Kamishimos zog und dieses mit ganzer Kraft dem sitzenden Oni entgegenwarf. Blitzschnell reagierte dessen Begleiter und fing das Säckchen mit seiner rechten Hand, bevor es den anvisierten treffen konnte. „Ich hoffe, das Geld reicht dir und wir sind damit quitt.“ Fragend hob sich eine feine geschwungene Augenbraue des sitzenden Onis, der auf das ihm hingehaltene Säckchen sah. Auch Mio war verwundert und blickte zu ihrer Freundin neben sich. „Ich habe gehört, dass man hier in Japan Informanten Geld zahlt. Du hast uns doch die Information von diesem Laden zukommen lassen. Dank dessen bekamen wir ein Startkapital.“ Verstimmt verzog der sitzende Oni das Gesicht, nahm aber dennoch das Säckchen entgegen. Es missfiel ihm wie ein einfacher Informant behandelt zu werden und augenscheinlich war Jandate das bewusst, denn eine gewisse Zufriedenheit spiegelte sich in ihrem siegessicheren Lächeln wieder. „Ihr solltet dieses Land verlassen, solange ihr noch die Gelegenheit dazu habt. Bald werden hier Dinge geschehen, in die Ausländer sich nicht einmischen sollten.“ Wie schon damals legte der Oni den beiden Frauen nahe, Japan zu verlassen. Doch genau wie damals lehnte Jandate das ab. „Wir würden gerne dieses zurückgebliebene Land verlassen, aber es geht nicht. Wir müssen hier eine Sache klären, die eine Angelegenheit der westlichen Dämonen ist.“ Ernst sah Jandate nun die beiden Oni an. Sie schienen darauf zu warten was als nächstes kam, doch Schweigen legte sich in die Stille nieder. „Verzeiht Kazamas Wortwahl, auch wenn es nicht den Anschein hat, so macht er sich nur Sorgen um euer Wohlbefinden. Die Zeiten werden rau und uns wäre es sehr angenehm, wenn Ausländer nicht in diese Sache mit hineingezogen werden. Ich weiß auch, dass wir einander fremd sind, aber würdet ihr uns bitte erklären, mit welchem uns hinderlichen Auftrag ihr in dieses Land gekommen seid?“ Es war der Krieger neben dem sitzenden Oni, der die Stille durchbrach und von den beiden Frauen forderte, ihr Geheimnis zu offenbaren. Nachdenklich verschränkte Jandate die Arme. Sie wog ab, inwieweit sie diesen Onis trauen konnten. „Hoheit, wir sollten es ihnen sagen. Sie gehören zu unsereiner und damit betrifft sie das Problem ebenso wie uns.“ Jandate nickte auf die Worte ihrer Freundin hin. Irgendwann würde es sowieso herauskommen. Und wenn diese Onis das Problem erkannten, würden sie ihnen vielleicht auch helfen und keine Steine mehr in den Weg legen. „Mein Name ist Jandate Kaminir Ravenclaw von Evangion. Zusammen mit Mio bin ich aus Frankreich hierher gekommen, um einen Fehler zu beseitigen, der in meinem Herrschaftsgebiet entstanden ist und einige der unseren das Leben gekostet hat.“ Sie machte eine kurze Pause und sah zu den beiden Oni, um sicher zu gehen, ob sie ihr wirklich zuhörten. „Dieser Fehler wird bei uns Vampirelixier genannt. Es wurde vor einigen Jahren von Chemikern entwickelt. Das Vampirelixier gibt jenen die es trinken dämonische Heilungskräfte. Ebenso mehr Kraft und Schnelligkeit sowie ein teils uns ähnliches Äußeres. Ihre Augen glühen allerdings in einer roten Farbe und sie haben keine Hörner, wodurch sie von echten Dämonen unterschieden werden können. Das Mittel ist allerdings auch nicht perfekt. Diejenigen die es tranken, sind einem Blutrausch verfallen und Amok gelaufen. Irgendwie ist eine Kiste von diesem Elixier aber nach Japan gekommen und ich bin mit Mio hier, um es zu zerstören.“ Deutlich erkannte Jandate, wie der sitzende Oni aufhorchte und das Gesicht verzog. Ihm schien nicht zu gefallen, was er da hörte. Genauso wenig hatte es ihr gefallen, als sie ihrem ersten künstlichen Dämon gegenüber gestanden hatte. „Wir brauchen bezüglich dieser Sache alle Informationen, die wir kriegen können. Sollte jemand das Elixier weiterentwickeln, könnten alle Nebenwirkungen, die diese falschen Dämonen schwächen, eliminiert werden. Sie können sich bei Tag immerhin sehr schlecht bewegen und sind bei ihrem Amoklauf zwar stark, aber nicht koordiniert genug, sodass es ein Leichtes ist, ihnen den Kopf abzuschlagen oder das Herz zu durchbohren.“ Mit ihren Worten verdeutlichte Mio, wie sehr die Zeit drängte. Immerhin kannten sie die hässliche Seite des von den Menschen so hochgelobten Wundermittels. „Dann solltet ihr zurück in eure Heimat und das Mittel dort vernichten. Jetzt, da wir davon wissen, werden wir Onis uns höchstpersönlich darum kümmern.“ Die Arroganz des sitzenden Onis kannte wirklich keine Grenzen. Scheinbar hielt er die Dämonen des Westens für genauso unnütz, wie es Jandate von den Onis dachte. „Das haben wir bereits getan. Diese eine Kiste ist alles, was von dem Elixier übrig ist. Und wir werden nicht eher zurückkehren, bis wir nicht jeden einzelnen Tropfen beseitigt haben.“ ernst fixierte Jandate den sitzenden Oni, der sie mit genau derselben Ernsthaftigkeit bedachte. Die Atmosphäre wurde unangenehmer, denn die Königin der Dämonen und der Oni der auf den Namen Kazama hörte, waren sich in Sachen Starrköpfigkeit und Arroganz ebenbürtig. „Tut was ihr nicht lassen könnt. Mischt euch aber nicht in die hiesigen Angelegenheiten ein.“ Es war der Oni, der das Blickduell mit der Königin beendete und sich von seinem Platz erhob. Er gab seinem Begleiter das Zeichen, dass sie gehen würden und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. „Hoheit, wir sollten auch gehen“, wisperte Mio ihrer Königin zu. Diese nickte nur mit einem Siegeslächeln, denn der Rückzug des Onis fühlte sich wie ein Sieg an, mit dem sie ein Unentschieden geschaffen hatte. **~~** „Wenn sie jetzt dieses Gebäude stürmen, werden sie das ganze Ansehen für die Niederdrückung Chôshus bekommen.“ Es war Yamazakis Stimme, die Natsus Bewusstsein wieder ins Hier und Jetzt zerrte. Sie spürte seinen schlanken, aber starken Körper unter ihrem und wusste sofort, dass er sie wohl Huckepack trug. Doch wozu? Zwanghaft versuchte sie sich daran zu erinnern, was nach ihrem Kampf gegen den Rônin vorgefallen war. Sie erinnerte sich an mehr Männer, die plötzlich aufgetaucht waren. An die Anstrengung, die sie aufgebracht hatte, um ihr Leben zu schützen und an den Schmerz, der sie in die Ohnmacht getrieben hatte. Yamazaki musste sie schließlich gefunden und mitgenommen haben, damit sich später jemand um sie kümmern konnte. „Die Tapferkeit der Shinsengumi-Mitglieder, die vor ihnen hier waren, würde umsonst gewesen sein.“ Mit jedem Wort das Yamazaki und Chizuru sprachen – Natsu war froh, dass sie es wohl geschafft hatte, die Botschaft zu überbringen – kam sie wieder etwas mehr ins Hier und Jetzt. Sie nahm die Geräusche des tobenden Kampfes war und roch das Blut der Krieger, die sich im hitzigen Gefecht verletzt hatten. Und darunter mischte sich ein bekannter, vertrauter Duft. „Niu...“ Leise wisperte sie den Laut, der so natürlich von ihr kam, als wäre er ihr angeboren. Obwohl ihr Körper schmerzte, wehrte sie sich gegen den sicheren Halt, den Yamazaki ihr bot. Sie musste rein in dieses Haus und der Fährte folgen. „Hey... Beweg dich nicht! Du bist schwer verletzt!“ Der Griff Yamazakis wurde fester und Natsu in dieser menschlichen Form hatte keine Chance zu fliehen. Es gab nur eine Möglichkeit, um frei zu kommen, selbst wenn diese Möglichkeit ihr größtes Geheimnis offenbaren würde. Doch das war ihre kleinste Sorge. Ohne Zögern nahm Natsu ihre Fuchsgestalt an und fiel aus dem Stoff ihres Yukatas, den Yamazaki nur noch zu fassen bekam. Erschrocken sah der Inspektor der Shinsengumi dem rotbraunen Fuchs nach, der in das Ikedaya-Haus lief und ihm nicht einmal die Zeit gab, zu realisieren, was eben geschehen war. Auch wenn Natsus gesamter Körper schmerzte, rannte sie auf flinken Pfoten vorbei an den kämpfenden Männern der Shinsengumi und Chôshus. Zielstrebig folgte sie der Fährte Heisukes bis in die oberste Etage. Nur noch wenige Kämpfe wurden hier ausgetragen, doch es waren genug, um Natsu wirkliche Sorgen zu bereiten. Sie spürte und roch, dass sie ihrem Krieger ganz nahe war, doch das Blut, das sich mit seinem Geruch vermischte, alarmierte sie. Noch schnell, obwohl sich ihr Körper dagegen wehrte, lief sie zu dem Zimmer, in dem Heisuke zwischen aufgebrochenem Holz lag. Seine Augen waren verschlossen und sein Gesicht schmerzverzerrt, was Natsu nur noch deutlicher zeigte, dass es ihm nicht gut ging. „Ein Hauptmann der Shinsengumi... Wenn ich dich umbringe, bin ich ein Held!“ Deutlich erkannte Natsu die Silhouette des rundlichen Mannes. Er war schwer verletzt in diesen Raum geflohen und hatte wohl gehofft, dass man ihn nicht entdecken würde. Und schließlich hatte er Heisuke in den Trümmern gesehen und es als seine Chance erkannt. Mit gezogenem Schwert näherte er sich dem bewusstlosen Hauptmann und lächelte siegessicher auf ihn hinab. Wenn nichts passierte, würde Heisuke nicht lebend hier herauskommen. Ohne nachzudenken, oder sich andere Optionen zu überlegen, nahm Natsu ihre menschliche Form an und griff zu dem nächst dünneren Balken, der in ihrer Nähe lag. Fest umklammerte sie diesen, sodass sich kleine Splitter in ihre Hand jagten. Und dennoch wollte sie nicht loslassen. „Lass Heisuke-san in Ruhe!“ Mit einem Kriegsschrei lief das Fuchsmädchen auf den Mann zu, der erschrocken aufblickte und nur noch den Holzbalken sah, den sie ihm ins Gesicht schlug und der seine Nase zertrümmerte. Wieder und wieder schlug Natsu, beseelt von der Angst, Heisuke zu verlieren, auf den Mann ein, bis schließlich ein rotes Rinnsal am Boden sie dazu bewegte aufzuhören. Schwer atmend sah sie auf den Fleischberg vor sich. Er würde Heisuke nichts mehr tun. Erst jetzt, da die drohende Gefahr gebannt war, sank Natsu auf die Knie und ergab sich dem Schmerz ihres Körpers, der sie aller Sinne beraubte. **~~** Obwohl der sogenannte Ikedaya-Vorfall erst wenige Tage her war, hatte sich die Tat der Shinsengumi herumgesprochen. Sie hatten das Haus der Ikedayas fast vollständig auseinander genommen, sodass es nicht nur durch seinen Ruf zu einem Schandfleck der Gegend geworden war. Doch nicht nur die Kunde über ihren Sieg machte sich breit. Auch von den Verletzten, von denen einige Namen bekannt waren, wurde gesprochen. Genug, damit Mizu sich Sorgen um eine gewisse Person machte und den Weg zum Hauptquartier der Shinsengumi auf sich genommen hatte. Und obwohl sie ihn und sein verschämtes Lächeln unbedingt sehen wollte, stand sie unschlüssig vor dem Tor ins Innere. „Mizu-chan?“ Erschrocken wirbelte die Samuraitochter herum, als sie die Stimme Haradas hinter sich hörte. Dort stand er, der Speerträger. Unverletzt und mit einem verwunderten Blick der in diesem Moment nur ihr galt. „Männer, geht schon vor. Ich komme gleich nach.“ Dem Befehl ihres Hauptmanns folgend, liefen die Krieger der Shinsengumi rechts und links an den beiden vorbei. Harada wartete, bis alle außer Hörweite waren, ehe er einen Schritt auf Mizu zumachte. „Bist du wegen Souji hier?“ Seine Frage hätte nicht schlimmer als eine Ohrfeige sein können. Denn bisher hatte sie immer geglaubt, dass sie nicht so leicht zu durchschauen war. Doch scheinbar wusste jeder wie viel ihr an dem Samurai Okita Souji lag. „Wie geht es ihm?“ Obwohl der Schock ihrer Erkenntnis tief saß, war die Sorge um ihn größer. Sie wollte nur wissen, dass es ihm gut ging und dass er wieder auf die Beine kommen würde. „Komm mit. Ich denke, er freut sich dich zu sehen.“ Ohne Mizus Frage zu beantworten, griff Harada nach der Hand des Mädchens und zog sie durch das Tor, durch das sie sich zuvor geweigert hatte zu gehen. **~~** Sie hätte nie geglaubt, nicht einmal in ihren Träumen, dass sie einen Menschen finden würde, für den sie zu sterben bereit war. Doch jetzt, da ihr Bewusstsein sich wieder zurück ins Leben kämpfte, wurde sie sich dessen erst bewusst. Die Schmerzen, der kratzige Stoff an ihren Kopf, das Gefühl des menschlichen Körpers und auch diese Stimmen der Männer, die ihr so vertraut waren, waren Zeugen ihrer impulsiven Taten. „Du kannst sie nicht einfach vor die Tür setzen, Hijikata-san!“ Sie hörte deutlich, dass Heisuke aufgebracht war. Ging es etwa um sie? „Sobald sie gesund ist, werden wir das aber. Sie könnte eine Spionin sein, die uns für unsere Feinde aushorchen soll. Diese Fuchsgestalt ist nur Tarnung.“ Die Stimme des Onis der Shinsengumi klang aufgebracht. Aufgebracht wegen ihr, weil sie ein Fuchs war. Oder war er aufgebracht weil sie auch menschlich war? Vorsichtig schlug Natsu die Augen auf. Auch wenn sie müde war, sie musste wach werden. Sie musste sich verteidigen, um ihre Nähe zu Heisuke kämpfen. „Bin keine Spionin. Bin nur Natsu... Ein Fuchsgeist. Das hier ist... meine Heimat niu. Ich war vor euch hier...“ Ihre Stimme war ein schwaches Flüstern, doch die Männer verstanden sie und sahen zu ihr. „Da hörst du es, Hijikata-san! Sie tut keiner Fliege etwas zu leide. Außerdem säße ich nicht mehr hier, wenn sie mich nicht beschützt hätte.“ Ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie hörte, dass Heisuke Partei für sie ergriff. Ihn störte scheinbar nicht, dass sie ihn bezüglich ihrer Identität angelogen hatte. Damit war er, von Yuki abgesehen, der erste Mensch, der sie akzeptierte wie sie war. „Dennoch kann sie nicht als einzige Frau hier wohnen. Bei Yukimura mag das mit der Verkleidung funktionieren, aber nicht auch noch bei ihr!“ Natsu erhob sich langsam, um dem Oni-Kommandanten in die Augen sehen zu können und seine halbwahre Logik zunichte zu machen. Sie wollte nicht von hier weg. „O-Oi! Nicht aufstehen!“ Sanft legte Heisuke seine Hände auf ihre Schultern und drückte sie zurück aufs Bett. „Es hat bisher niemanden gestört, dass ich hier war, niu. Ich jage mir mein Essen alleine... ich räume bei mir alleine auf, niu. Ich bin ganz leise. Niemand wird merken, dass ich hier bin, niu. Nicht einmal die Monsterkrieger.“ Natsu sah, wie die Augenbraue Hijikatas hochschnellte und wusste sofort, dass sie was Falsches gesagt hatte. Sie schollt sich eine Närrin, denn die Rasetsu waren das größte Geheimnis der Shinsengumi und sie hatte eben zugegeben, dass sie es kannte. Damit hatte sie ihr Leben verspielt. „Hijikata-san.“ Natsu sah auf, als sie eine ruhige Stimme von der anderen Seite des Zimmers vernahm. Es war Sannan, der dem Gespräch augenscheinlich gelauscht hatte und sich nun in das Gespräch einmischen wollte. „Bedenke bei deiner Entscheidung, dass sie der Shinsengumi sehr dienlich in Shimabara gewesen ist. Ebenso hat sie Toudou-kun und auch Yukimura-kun gerettet. Die Shinsengumi steht damit in ihrer Schuld. In Anbetracht dieser Umstände und angesichts der Tatsache, dass die Shinsengumi der Eindringling in ihre Heimat ist, wäre es nicht sonderlich tugendhaft sie vor die Tür zu setzen.“ Ein unheimliches Lächeln lag auf Sannans Gesicht. Ein entwaffnendes, das seine Worte nur mehr verstärkte und dem Oni-Kommandant in die Knie zwang. Dieser seufzte auf und sah zu Natsu. „Ihr seid ein unerträglicher Haufen. Aber ihr habt Recht. Sie kann bleiben solange keiner der Männer sie in ihrer Menschengestalt sieht.“ Tränen kullerten vereinzelt über die Wangen Natsus, als Hijiakta sein Einverständnis gab. Sie war erleichtert, denn sie würde ihre Heimat und Heisukes Nähe nicht verlieren. **~~** Ein Seufzen glitt über Mizus Lippen, als sie ihre Beine über den Holzweg baumeln ließ. Das raue Holz unter ihren Fingern fühlte sich noch immer so vertraut an als würde sie es aller zwei Tage schrubben. Doch jetzt putzte der Yagi-Haushalt wieder selbst. Hinter ihr lag das Zimmer, in dem Souji untergekommen war und gerade schlief. Sie fühlte sich erbärmlich, denn obwohl sie wegen ihm hier war, traute sie sich einfach nicht in seine Nähe. „Mizu?“ Erschrocken sah Mizu auf und erblickte Chizuru mit einem Tablett in der Hand. Sicher war sie gerade dabei allen Kommandanten ihren Tee zu bringen, denn auf dem Tablett standen drei dampfende Becher. „Okita-kun freut sich sicher, wenn du ihn besuchst. Also nur keine scheu. Geh rein.“ Unschuldig lächelte sie das Mädchen an, das ihre momentane Position, eben vor dem Zimmer des Verletzten, falsch deutete. „Ich war schon bei ihm. Er schläft aber gerade und... Ich wollte ihn nicht wecken.“ Um ihre Verlegenheit zu verbergen, weil ihre Worte vor Unlogik nur strotzten, wandte sie ihren Blick ab. „Okita-kun schläft also... Dann habe ich einen Tee zu viel gemacht.“ In einer fließenden, femininen Bewegung, hockte sich Chizuru neben Mizu und stellte das Tablett mit dem Tee neben sie ab. Vorsichtig griff sie nach einem der Becher und hob diesen vom Tablett, um ihn Mizu zu reichen. „Harada-kun hat mich gebeten, euch Tee zu machen. Hier.“ Dieses unschuldige Lächeln. Mizu ertrug es nicht. Immerhin lebte Chizuru unter den Männern der Shinsengumi und doch war ihr Lächeln so unschuldig und rein. „Harada scheint heute wirklich in Plauderlaune zu sein. Er hat mir sogar das mit dir und Souji erzählt.“ Vorsichtig führte sich Mizu den Becher Tee an die Lippen und nippte zaghaft daran. Er war nicht schlecht, aber auch nicht besser als ihrer. Eben vollkommen bodenständig, so wie sie. „M-Mit mir und Okita-kun?“ Mizu grinste. Sie sah den roten Schimmer auf Chizurus Wangen und wusste genau, dass sie ihre Worte fehlinterpretierte. Sie war eben ein einfaches, unschuldiges und naives Opfer. Genau der Typ Frau, der Soujis Herz im Sturm erobern konnte. Daran zweifelte Mizu nicht. „Du bist bei ihm geblieben bis sie ihn rausgetragen haben. Du hast versucht, erste Hilfe zu leisten. Das meine ich.“ Sie konnte das arme Ding einfach nicht weiter aufziehen. Das war Soujis Art, aber nicht ihre. „Harada sagte auch, dass er ohne dich gestorben wäre. Und deswegen... Danke, Chizuru. Danke, dass du statt meiner an seiner Seite warst.“ Schlagartig verschwand der rote Schimmer auf Chizurus Wangen, als sie sich bewusst wurde, was Mizu ihr eben alles offenbarte. „Das sind ganz neue Töne von dir, Mizu-chan. Dabei war Chizuru-chans Anwesenheit wesentlich nutzloser, als es deine gewesen wäre.“ Synchron zuckten die Mädchen zusammen und drehten sich zu Souji um, der mit einem verschmitzten Grinsen hinter ihnen saß. Ohne, dass sein Grinsen schwand, griff Souji zu dem Becher Tee, den Mizu in ihrer Hand hielt, und nahm ihr diesen ab, um schließlich genüsslich einen Schluck daraus zu trinken. Fassungslos sah Mizu zu dem Krieger, der seelenruhig bei ihnen saß und alles von ihrem Gespräch gehört hatte. Damit wusste er auch, was sie für ihn empfand. Mitte Juli das erste Jahr der Genji Ära (1864) Ihre Augen leuchteten vor Freude auf, als sie endlich wieder Kyotos Treiben sehen konnte. Hier war der Ort an dem sie, Erenya, ihrem geliebten Krieger, Harada Sanosuke, nahe sein konnte. „Hier hat sich nichts verändert“, merkte Yuki mit einem Lächeln an und sah zu Koji, der nur bestätigend nickte. „Und was machen wir nun?“ Chihiro war es, die diese nostalgische Stille durchbrach und zu dem Dreiergrüppchen sah, dessen Rückkehr ein besonderer Moment war. „Lasst uns zu Lhikans Laden gehen! Ich will ihm 'Hallo' sagen. Und dann zu Mizu. Und danach zur Shinsengumi.“ Aufgeregt sprach Erenya ihre Wünsche aus. Ihre Stimme überschlug sich fast, denn sie hatte niemals geglaubt so schnell zurückzukehren. Ein Lächeln lag auf Yukis Lippen, denn selten hatte sie Erenya in den letzten Monaten so aufgeregt und glücklich gesehen wie jetzt. Und dennoch... Yuki sah zum Himmel, der sich in ein verabschiedendes Orange tauchte. Die Wiedersehensfreude mussten sie in Anbetracht der Tatsache, dass der Abend dämmerte wohl vertagen. „Vergesst nicht, dass wir hier sind, um die Hoheit zu finden. Wenn das, was ihr erzählt habt wirklich wahr ist, dann wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das Vampirelixier zu finden und zu zerstören.“ Mit ernster Miene bedachte Chihiro das Dreiergrüppchen und ließ sie sofort die Freude ihrer Rückkehr vergessen. „Wir wissen ja wer das Mittel hat... Und sollte deine Freundin das bereits erfahren haben, haben wir ein Problem. In der Shinsengumi gibt es viele Kämpfer und dann wäre da noch Kodo, der das Mttel immer wieder entwickeln kann.“ Yuki wollte nicht deutlicher aussprechen, was sie Chihiro klarmachen musste. Doch es brauchte auch keine deutlicheren Worte. Wenn Jandate bereits von der Shinsengumi wusste und auch deren Geheimnis kannte, hatte sie das Elixier sicher bereits zerstört und den Doktor getötet. „Entschuldigt ihr vier.“ Verwundert wandte sich die Gruppe zu einer alten Frau um, die sie mit einem neugierigen Blick musterte. Wahrscheinlich hatte sie Teile des Gesprächs gehört, zumindest hatte es auf Yuki so den Anschein. „Ihr habt doch gerade von Kodo-sensei gesprochen, richtig?“ Yuki zog sich der Magen zusammen, als die Frau den Namen des Arztes der westlichen Medizin aussprach. Sie hatte also genug gehört. um sie darauf anzusprechen. Und dennoch, vielleicht hatte sie nützliche Informationen. „Es ist wirklich ein Jammer. Er war so ein guter Mann, immer besorgt um seine Tochter, die er in Edo gelassen hatte. Vor etwa einem halben Jahr ist seine Klinik abgebrannt. Niemand weiß, wie das geschehen konnte. Gerüchten zufolge waren es aber die Mibu-Wölfe. Der Doktor soll sich geweigert haben, ihre Verletzen zu versorgen und das musste er schließlich mit dem Leben bezahlen. Ich sage Ihnen, halten Sie sich bloß von diesen Unruhestiftern der Shinsengumi fern.“ Yuki verzog das Gesicht wegen der Warnung der alten Frau. Viel Sympathie hatten die Wölfe Mibus seit ihrer Abwesenheit nicht gesammelt und wahrscheinlich würden sie das auf Lebenszeit nicht mehr schaffen. „Hören sie auf, so zu reden! Harada-kun und seine Freunde kämpfen, damit sie in Frieden leben können! Sie würden niemals jemanden umbringen, der es nicht auch verdient hätte. Schon gar nicht einen alten Mann, der Familie hat.“ Laut hallte Erenyas Stimme über die Straße. Sie konnte nicht zulassen, dass man so über Harada sprach. Er war ein guter Mann mit reinem Herzen, jemand, dem sie blind vertraute, weil sie ihn liebte und weil er soviel für sie getan hatte. „Armes Kind. Wenn du meinen Worten nicht glauben kannst, dann frag sie selbst und sieh das verlogene Glänzen in ihren Augen. Dort hinten laufen sie.“ Die Alte hob den Arm und verwies in die Richtung, die hinter der Gruppe lag. Erenya folgte ihrem Zeig und erkannte ohne Probleme, ohne ihren Augen zu misstrauen Harada Sanosuke. Wild schlug ihr das Herz gegen die Brust, denn ihr Glauben, dass er noch lebte, hatte sich bezahlt gemacht. Sie sah ihn klar und deutlich mit seiner Truppe. Jegliches logische Verhalten wurde aus ihrem Geiste eliminiert, kaum dass sie ihn sah. Sie wollte nur noch eines, zu ihm laufen und ihm zeigen, dass sie wieder da war. Ohne der alten Frau, oder sonst jemanden Beachtung zu schenken, lief sie los, in Richtung der Gasse, durch die Harada aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Yuki konnte nur noch ihre Hand nach Erenya ausstrecken, bekam aber ihren Arm nicht mehr zu fassen. Sie hätte es wissen müssen. Sobald Erenya Harada sah, vergaß sie alles um sich herum und wollte nur noch mit dem Mann reden, dem sie einst ihr Herz geschenkt hatte. „Lass mich nur machen. Ich hole Erenya zurück. Ihr Beide sucht nach einer Unterkunft. Wir treffen uns dann wieder hier.“ Yuki nickte auf Chihiros Angebot hin. Sie war wesentlich schneller als der ehemalige Schneeengel und konnte einen Feind im Notfall diskret und unbemerkt von anderen zur Strecke bringen. „Sollte sie aber mit Harada reden, gib ihr etwas Zeit. Die beiden haben sich lange Zeit nicht mehr gesehen.“ Auch wenn Yuki es nicht gefiel, dass Erenya auf eigene Faust losgestürmt war, wollte sie nicht, dass ein wiedersehen der beiden Liebenden zu abrupt endete. Dank dem Wissen, was Erenya hier in Kyoto erlebt hatte, verstand sie was Yuki meinte. Mit Sicherheit wäre sie die Letzte gewesen, die das Pärchen entzweit hätte. „Bis später.“ So schnell Chihiro konnte, lief sie los in die Richtung, in die auch Erenya verschwunden war. Sie musste sich beeilen, wenn sie das Mädchen nicht aus den Augen verlieren wollte. Trommeln und Flöten erklangen in einer noch vertrauten und doch befremdlichen Harmonie und drangen zu ihren Ohren vor. Sie hatte lange Zeit keine heimischen Umzüge mehr gesehen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie als kleines Mädchen einmal mit ihren Eltern nach Kyoto gezogen war, um die leuchtenden Umzugswagen des Gion-Festes zu sehen. Wie hypnotisiert wandte sie sich zu den Wagen, die genauso schön waren, wie sie es noch in Erinnerung hatte. Japan hatte ihr gefehlt und in Momenten wie diesen wurde ihr das nur all zu schmerzhaft bewusst. 'Keine Zeit dafür...' Es kostete sie einiges an Beherrschung, um sich von diesem Bild abzuwenden. Sie musste Erenya zwischen all diesen Menschen finden. Schnell und geschickt schlängelte sie sich durch die Menge und suchte nach dem schwarzen Haupt ihrer Zielperson. Ein schwieriges Unterfangen, denn ein Großteil der japanischen Bevölkerung hatte schwarzes Haar. Und doch war sie sich sicher, dass sie Erenya finden würde. Denn so typisch japanisch war der Engel nicht. Vor allem was ihr Verhalten anging. Ihre Schritte wurden sicherer, schneller und unvorsichtiger, zumindest wusste sie, dass sie nicht genug aufgepasst hatte, als sie mit einem Körper kollidierte, der dort, wo sie entlang wollte, nicht hätte stehen dürfen. „Verzeihung...“, nuschelte sie unsicher und hob den Kopf, um zu sehen, mit welcher halben Portion sie zusammengestoßen war. Alles was sie aber erblickte, waren Muskeln, die ihr einen roten Schimmer auf die Wangen zauberten. „Nein, nein mir tut es leid. Ich habe wohl nicht aufgepasst. Geht es Ihnen gut?“ Widerwillig löste sich Chihiro von diesem gut trainierten Oberkörper und sah zu dem Mann, der versucht höflich die Schuld auf sich laden wollte. Verwegen blitzten seine treudoofen grau-blauen Augen ihr entgegen und rissen sie zurück in die Realität. Eine Realität in der sie wegen dem Körper eines Mannes verlegen geworden war. „G-Genau! Sie Holzkopf sollten besser aufpassen!“ Sie wusste, dass sie übertrieb, aber immerhin würde er nun glauben, dass dieser verräterischer Schimmer auf ihren Wangen nur zu sehen war, weil sie erbost über seine Unvorsichtigkeit war. „Verzeihen Sie. Kann ich es wieder gut machen?“ Schüchtern lächelte der Mann sie an und in ihrem Kopf arbeitete es. Bei einer Wiedergutmachung sagte sie nicht nein. „Ich werde darauf zurückkommen. Und nun gehen Sie mir aus dem Weg!“ Sie wusste nicht seinen Namen, aber selbst Kyoto mit seiner unglaublichen Größe war ein Dorf. Solche Dinge waren ihr in Europa bewusst geworden. Die ganze Welt... war ein Dorf. Wie sie es forderte, ging der muskulöse, gut gebaute Mann mit dem hellblauen Mantel aus dem Weg. Sie konnte sich nicht weiter mit ihm abgeben, auch wenn sie gerne mehr mit ihm gesprochen und vielleicht seinen Körperbau bewundert hätte. Noch bevor sie schwach wurde, stürmte sie an ihm vorbei, die Augen nach Erenya offen haltend. **~~** Erenyas Herz schlug schneller mit jedem Schritt, den sie sich Harada näherte. Neben ihm stand eine wesentlich kleinere Person. Der Kleidung nach zu urteilen war es ein Junge. Vielleicht ein Freund oder ein zukünftiger Anwärter der Shinsengumi. „Es ist wirklich wunderschön, Harada-san.“ Sie hielt in ihrer Bewegung inne, als sie die Stimme der Person neben Harada vernahm. Das war kein Krieger. Es war nicht einmal ein Junge. Diese Person war weiblich und sie war eindeutig mit Harada hier. „Du hast es dir verdient. Vielleicht bringt dich das alles für diesen Augenblick auf andere Gedanken. Immerhin sind deine Umstände alles andere als leicht.“ Erenya schluckte wegen der Worte des Speerkämpfers. Sie war zwar noch nicht so gebildet was diese Welt anging, aber sie konnte sich vorstellen, was für Umstände Harada meinte. Das erklärte die Männerkleidung, von der Erenya glaubte, dass sie bequemer als die der Frauen war. Er hatte sie vergessen, ersetzt mit einer Frau, mit der er eine Familie gründen konnte. Sie hatte verloren, ohne die Chance bekommen zu haben, sein Herz erobern zu können. „Werde glücklich, Harada-kun...“ Sie hatte genug gesehen und gehört. Harada war verloren und ihr Herz gebrochen. Nun konnte sie sich darauf konzentrieren, die Dämonenkönigin Europas zu finden. So schnell sie konnte, suchte sie sich ihren Weg durch die Massen und merkte nicht einmal, dass Harada sich umgedreht hatte, weil er beseelt von seiner Hoffnung immer nach ihr Stimme lauschte und sie so auch gehört hatte. Sie wusste nichts von seiner Sehnsucht, die in für den Moment kämpfen ließ, an dem er wieder mit ihr vereint sein würde. Denn für ihn, war sie einfach unersetzlich. „Harada-san? Ist alles in Ordnung?“ Fragend sah Chizuru zu dem Krieger auf, der seufzend den Kopf schüttelte. Wahrscheinlich hatte seine Sehnsucht ihm einen Streich gespielt und er hatte sich ihre Stimme, die er so deutlich gehört hatte, nur eingebildet. Erenya war froh als sie zwischen den Menschen das vertraute Gesicht Chihiros sah. Trost suchend lief sie zu der Assassine, die sofort die Tränen erkannte, die ihre Wangen benetzten. Irgendetwas war vorgefallen, doch sie traute sich nicht zu fragen. Erenya würde schon selbst reden, wenn sie wollte. „Lass uns gehen...“, schluchzte der Engel leise und griff haltsuchend nach Chihiros violetten Yukataärmel. „Ich kann ihn nicht mehr wiedersehen.“ Ihre Stimme war gebrochen. Genauso wie ihr Herz. Doch noch immer schwieg Chihiro. Sie nickte nur zum Zeichen, dass sie verstanden hatte und führte Erenya von den Menschen und den zwei Mitgliedern der Shinsengumi weg. August, erstes Jahr der Genji Ära (1864) Fest und starr war Erenyas Blick auf die Fassade von Lhikans Laden gebannt. Die Erinnerungen an die Zeit als sie hier gearbeitet hatte, waren noch so lebendig als wären sie erst ein paar Tage alt. Aufgeregt schlug ihr Herz in der Brust, während sie in ihrem Kopf alle möglichen Szenarien durchspielte, die geschehen konnten, wenn sie den Laden betrat. Wie würde Lhikan reagieren? Könnte sie ihn darum bitten, wieder bei ihm zu arbeiten? Hatte er vielleicht schon eine neue Angestellte? Es waren so viele Fragen. Fragen, von denen sie wusste, dass die Antworten hinter der Holzfassade lagen. Tief holte sie Luft, als würde sie mit dem Atemzug allen Mut sammeln, den sie brauchte und betrat schließlich das ihr vertraute Geschäft. „Willko-“ Ein Lächeln schlich sich auf Erenyas Lippen als sie klar und deutlich Lhikans abrupt verklingende Stimme hörte. Der Ladenbesitzer stand hinter seiner Theke und hatte sich gerade mit einer Kundin unterhalten, die Erenya selbst nur zu gut kannte. Beide Menschen starrten sie überrascht an, als sei sie ein Geist, der ruhelos auf Erden wanderte. „Lhikan... Mizu... Ich...“ Sie hielt inne und sah zu ihren Freunden, deren überraschtes Gesicht zu einem glücklichen Lächeln geworden war. Erenya konnte nicht mehr an sich halten. Sie legte ihre Beherrschung beiseite und lief auf Mizu zu, die sie ohne zu zögern in ihre Arme schloss und erleichtert an sich drückte. „Ich bin wieder zu Hause“, wisperte der Engel. Vergessen waren alle Ängste, die sie noch vor dem Betreten des Ladens hatte. Es fühlte sich so natürlich an, als Erenya die Bestände im Laden auffüllte. Sie hatte keine der Handbewegungen vergessen, auch wenn genug Zeit zwischen ihrem heutigen und letzten Arbeitstag verstrichen war. Lhikan hatte sie mit Freuden eingestellt und somit konnte auch sie etwas zu ihrem Unterhalt beitragen. Koji und Chihiro verdienten immerhin Geld mit Söldnerarbeiten, wogegen Yuki in den nächsten Tagen in den Rotlichtvierteln der Stadt um Arbeit als Wächterin bitten wollte. Durch Mizu hatten sie immerhin erfahren, dass Shimabara keine Wächter mehr brauchte, auch wenn es Erenya doch verwunderte, dass Mizu entgegen ihrer Abneigung aller Rotlichviertel nun doch in einem arbeitete. Es hatte sich viel in ihrer Abwesenheit verändert, doch sie hatte nichts anderes erwartet. Die Zeit blieb eben nicht stehen nur weil sie nicht da war. „Eri-chan, pass bitte auf den Laden auf. Ich liefere schnell Yagi-sans Bestellung aus.“ Ein Gefühl, das die Menschen wohl Gewissensbisse nannten, stach Erenya in die Brust. Sie hatte darum gebeten, dass sie keine Lieferungen mehr zur Shinsengumi machen würde. Ebenso hatte sie verboten den Kriegern von ihrer Rückkehr zu erzählen. Dank der ganzen Ereignisse, die durch sie in der Vergangenheit ausgelöst worden waren, hatte sie immerhin eine Ausrede für ihren Wunsch. Doch anders als damals hatte sie ihren Körper unter Kontrolle. Zumindest fast. Ihre nichtmenschliche Gestalt machte ihr noch Probleme, aber es gab keine Notwendigkeit, sie anzunehmen. Sie musste nicht kämpfen und wollte es auch nicht. „Pass auf dich auf, Lhikan!“, rief sie dem Händler noch nach, bevor er den Laden verließ und sie alleine zurück blieb. Konnte man es Glück, oder doch eher Pech nennen? Erenya wusste es nicht so genau, denn seit Lhikan die Lieferung zum Yagi-Tempel machte, war Kundschaft rar gewesen. Erenyas Tun begrenzte sich daher auf's Warten und sich Langweilen. Ein Blick zum Eingangsbereich verriet ihr, dass die Sonne in langsamen Bewegungen den Horizont überschritt und bald die Nacht ihre Decke über Japan legen würde. Spätestens wenn der erste Stern sein Haupt erhob, musste sie den Laden schließen und zurück zu dem Gasthof gehen, in dem sie günstig untergekommen waren. Seufzend wandte sie ihren Blick ab und stützte ihren Kopf auf den Händen ab. Sie musste bald das Lager ausfegen, immerhin eine sinnvolle Beschäftigung bevor sie schlossen. „Entschuldigung...“ Erschrocken fuhr Erenya zusammen, als sie die Stimme eines Mannes vernahm, der ihr direkt gegenüber am Tresen stand. Sofort richtete sie sich auf, neigte demütig den Kopf und hob diesen, um eine angemessene Entschuldigung auszusprechen. Doch als sie das Gesicht des Mannes sah, blieben ihr die Worte bleischwer auf der Zunge liegen. Seine goldbraunen Augen fixierten sie, zogen sie in ihre freundlichen Tiefen und beraubten sie ihres Verstandes. „Harada-kun...“, wisperte sie heiser und versuchte das Zittern zu unterdrücken, dass ihre Beine schwach werden ließ. „Willkommen zurück, Eri-chan.“ Freundlich lächelte er sie an, griff nach einer ihrer Hände, die sie auf dem Tresen liegen hatte und berührte sie damit endlich wieder, nach einer viel zu langen Zeit die beiden wie eine Ewigkeit erschienen war. Mitte August, das erste Jahr der Genji Ära (1864) Ernst sah Hijikata sich in der Umgebung nahe Natsus Bau um. Er wollte vermeiden, dass man ihn vor ihrem Aufbruch zu ihrem Auftrag hier erwischte. Immerhin war er es gewesen, der sie aus der Heimat hatte vertreiben wollte. Und nun suchte er sie auf, um die Fuchsdame, um einen unmöglichen Gefallen zu bitten. Erst als er sich sicher war, dass niemand ihn hier sehen würde setzte er sich auf den Boden und stellte neben ihrem Eingang ein kleines Päckchen ab. „Wir ziehen heute in eine Schlacht. Heisuke und ein paar andere Verletzte werden hier bleiben. Du kannst also ungesehen hier herumlaufen.“ Kurz schwieg Hijikata und sah zu dem Eingang, aus dem Natsus Köpfchen lugte. Vorsichtig legte er seine Hand auf dieses und kraulte das zierliche Wesen hinter den Ohren. „Ich habe Dangos für dich geholt. Heisuke liebt Dangos“, erklärte er sanft. Er verpackte seine Bitte, dass sie Heisuke die Dangos brachte und sich diese mit ihm teilte, in indirekten Worten. Es sollte nicht jeder merken, dass er alles andere als ein gefährlicher Oni war. Dass sein Handeln diesen Eindruck bei Natsu nicht erwecken konnte, war ihm aber ebenso klar. Doch noch indirekter konnte er das Tun des Fuchsmädchens nicht lenken. „Pass gut auf dein Heim auf, während wir weg sind.“ Ein kaum sichtbares Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des Onikommandanten ab, ehe er sich erhob und das Fuchsmädchen wieder alleine ließ. **~~** Sie hätte eigentlich noch schlafen sollen, doch nachdem Yamazaki im Auftrag Hijikatas bei ihr aufgetaucht war, konnte sie nicht mehr an Schlaf denken. Wahrscheinlich waren die Männer der Shinsengumi bereits aufgebrochen und auch sie würde bald dort sein, wohin man sie bestellt hatte. 'Ich werde mich um Sannan kümmern... Nach dem der Idiot es Monate lang nicht für notwendig hielt, mit mir zu reden. Der kann was erleben.' Sie war fest entschlossen, Sannan nach all den Monaten ordentlich die Meinung zu sagen. Selbst wenn er nichts tat, sie nicht trainierte oder mit seiner Aufmerksamkeit strafte, quälte dieser Sadist sie. 'Ob er mich dennoch vermisst?' Chia konnte nichts dagegen tun, dass dieser Gedanke plötzlich aufkeimte. Murrend blieb sie stehen und schüttelte ihn sofort wieder ab. 'So ein Schwachsinn. Ich klinge schon wie diese albernen Hühner von der Arbeit. Ich bin sicherlich das Letzte woran er denkt. Für ihn gibt es gerade jetzt sicher nur seine Rasetsu und das Ochimizu. Ich kann seinen Arm schließlich nicht heilen.' Mit jedem weiteren Gedanken den sie dachte, wurde ihr nur klarer, dass sie mit Sannen reden musste. Sie hasste den Gedanken, dass er sich vielleicht doch von Kodos Wundermittel verführen lassen könnte. Er wäre verloren, zumindest wenn es keine Verbesserung gab. Er wäre dann zwar immer noch der Sannan, den sie kannte, doch irgendwie auch nicht. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wollte sie ihn nicht verlieren. Nicht an dieses verfluchte Mittel, das niemals hätte existieren dürfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)