Weihe des Siegelschwerts von Ubeka ================================================================================ Capitulum XIV: Zurück in Rosetum-Rubicundum - Und nun schlaft ------------------------------------------------------------- I. Es ist erstaunlich, wie ausgestorben Seestfor nachts sein kann. Nicht mal weit weg von den ausdünnend besuchten Tavernen und Vorführungen sind Alex und ich, schon ist es totenstill. Luna hat sich bereits hinter den Wolken erhoben, sie ist die einzige Zeugin. "Und ihr seid auch wirklich alleine?" Ventosus hält eine Begrüßung gar nicht für angebracht. Er ist aufgetaucht, als sei er aus den dunklen Pflastersteinen gewachsen. Ich würde es ihm ohne Weiteres zutrauen. "Du hättest nicht mal was sagen müssen.", erwidert Alex, "Das ist unsere Sache, deswegen regeln wir das alleine." "Sehr richtig, sehr richtig." Ventosus hört sich zufrieden an. Das bin ich hingegen nicht: "Wo ist Selet?!" "Vorher eine Frage… ist es klug, ihren echten Namen so leichtfertig zu benutzen? Habt ihr zuvor nicht viel daran gesetzt, dass sie inkognito bleibt?" "Alex weiß inzwischen bescheid.", sage ich. "Ich bewahre Geheimnisse. Außerdem hab ich mir da schon so was gedacht.", ergänzt Alex noch. Nachdem wir Ludwig aus dem Gerangel in den Stallungen der Harpyien befreit haben und abgehaut sind, habe ich ihm und Alex tatsächlich anvertraut, dass Griselda in Wirklichkeit die Prinzessin ist. Ludwig war verwunderter als Alex. "Wo ist sie, Ventosus?!", frage ich mit Nachdruck. Wortlos zeigt Ventosus zu einem der Dächer hinauf. Ein langer Metallstab ragt nach oben, ein ungenutzter Fahnenmast mit einer gezwirbelten Spitze. Dort ist Selet festgebunden. Geknebelt und ohnmächtig. Dieser Schweinshund Ventosus! "Du sollst deinen Sonnenschein haben. Wenn ihr euch dann bequemen würdet. Ich bin bereit." Ich ignoriere den ersten Kommentar. Eigentlich hätte ich schon längst angegriffen, nur Alex hat mich vorher noch zahllose Male darauf hingewiesen, dass wir nicht vorschnell handeln dürfen. Mir geht auf, warum, denn Alex will noch etwas los werden: "Anstatt uns lange hinzuhalten, könntest du auch gleich deine falsche Form aufgeben, Dämon. Zierst du dich so? Sollen wir glauben, dass du bloß mit Kataren kämpfst? Und wenn du schon dabei bist, nimm doch auch diese lächerliche Maske ab!" Heiser antwortet Ventosus mit einem Lachen. Orangene Risse verästeln sich durch die Luft. Die Straße ist vielleicht vier oder fünf Meter breit und die Sprünge in der Welt breiten sich auf diese gesamte Länge aus. Dann zersplittert das falsche Bild, der echte Ventosus gibt sich zu erkennen. Er sieht fast genauso aus, wie seine Verkleidung. Nur diese beiden, halb eingeklappten, ledernen Schwingen auf seinem Rücken, von sehnigen Muskeln gespannt, und die überdimensionierten Pranken anstatt von Händen sind neu. Er braucht keine Katare mehr, seine monströsen Krallen übernehmen das problemlos. So sieht also ein Rachedämon aus! "Die Maske werdet ihr mir selbst abnehmen müssen. Ihr seid ja so ahnungslos…" "Mit dem größten Vergnügen!", lassen Alex und ich einstimmig verlauten, als wir zur Tat schreiten. Für den Dämon ist es ein Leichtes, über uns hinwegzuspringen. Seine Flügel breiten sich aus, mit einem einzigen Schlag entfesselt er eine gewaltige Windböe, die uns ins Stolpern bringt. Leicht wie eine Feder kommt er hinter uns auf, von wo aus er angreift. Alex stoppt die mächtigen Krallen, sodass ich Ventosus' Deckung umgehen kann. Just bevor die Klingenspitze Ventosus berührt, drängt er Alex zurück. Ich mache einen Satz nach hinten, ganz knapp an meiner Nasenspitze saust eine Klaue vorbei. Als ich aufkomme, knicke ich mit einem Fuß um, lande auf dem Boden. Wie eine Raubkatze springt Ventosus auf mich zu. Mit einer Rolle zur Seite kann ich wieder knapp entkommen, bis er vorausdenkt und seine Krallen sich neben mir in den Boden bohren, wo ich hinrollen wollte. Alex rennt los, aber er wird nicht schnell genug sein, da Ventosus bereits ausholt. Ich ramme ihm meinen Fuß in den Bauch und schwinge das Schwert in seine Schulter. Die Wunde ist oberflächlich, er bricht dennoch seinen Angriff ab. Er springt auf, um Alex abzufangen und ihn zur anderen Seite zu werfen. Da hält Alex seinen Arm fest und reißt ihn mit sich. Kaum wieder auf den Beinen eile ich, um diesen winzigen Moment auszunutzen. Ventosus hält die Klinge fest, zerrt plötzlich an ihr und verpasst mir eine Kopfnuss, sobald ich in Reichweite komme. Ich ignoriere den dröhnenden Schmerz, um mich mit einem Faustschlag in sein Gesicht zu bedanken. Ventosus stöhnt auf, aber ich bin noch lange nicht fertig! Während er schon versucht, mich wieder los zu werden, bekomme ich seine Maske zu fassen und zerre an dem Stoff. Ich höre, wie er reißt. Bis all meine Aufmerksamkeit auf der Kralle liegt, die meinen Bauch aufspießen will. Ich reiße mich los, springe zurück und bin endlich Alex aus dem Weg, der die ganze Zeit auf seine Chance gewartet hat, einzugreifen. Ventosus schlägt mit seinen Flügeln und drückt ihn weg, nachdem er ihm fast eine Hand abgeschlagen hätte. Mir wird ein wenig blümerant, mit einer Hand halte ich mein Schwert fest umklammert, die andere zerdrückt den schwarzen Stoff von Ventosus' Maske. Der Dämon hält den Kopf gesenkt. Dann spricht er, ausnahmsweise ohne zu flüstern oder zu röcheln in einer Stimme, welche so tief wie mein Entsetzen ist: "Ihr habt euch wacker geschlagen, Jungspunde. Besonders du Maljus. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass du je dahinter kommen würdest." Schleppend zeigt er sein Gesicht. Verflucht, das kann doch nur ein Alptraum sein! Es ist wirklich Forsiano! II. "Lass das doch endlich mal!", schrie Craylo Kora an, nachdem sie zum wohl fünfundachzigsten Mal versucht hatte, ihm irgendwas abzuluchsen. Während sie gelangweilter Miene zurückscheute und ihre roten Finger von Craylos Dolchen wegzog, klang es dumpf von jenseits der Wand, an der Craylos Rücken lehnte: "Verdammt noch mal, Ruhe, ich will hier schlafen!" Craylo überlegte, was er dem verärgerten Mann sagen sollte - kam dann zum Schluss, es wäre besser, überhaupt nichts zu erwidern. Er seufzte, während er auf einem weichen Bett in einer Ecke des Zimmers saß und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Kora saß auf einem weiteren Bett, dazwischen erhob sich ein mächtiger Kleiderschrank aus dunklem Holz. Es war ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer in einem von Seestfors größten Gasthäusern. Während Alex und Maljus sich ihrem Erzfeind stellten, hatte der Rest der Gruppe sich dort auf Anweisung des älteren Blonden verkrochen. Ludwig stand die ganze Zeit am Fenster und starrte nach draußen. Seine nachdenkliche Miene spiegelte sich im Glas. "Siehst du, Craylo, wir sind wertvoll genug für das Diebesgesindel! Überleg doch mal: die einzigen zwei sprechenden Dolche der Welt! Wir sind quasi unbezahlbar! … Hm, wie wär's, wenn wir Dorac los werden? Dann hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt, dann bin ich unbezahlbar!" "Ich verbitte mir solche Gedanken, Carod! Außerdem bin ich hier wohl der einzige, für den man tatsächlich Geld bezahlen will! Wer will schon einen Miesmacher wie dich?" "Ich glaub, ich möchte am liebsten gar keine der beiden Quasselstrippen…", knurrte Kora miesepetrig. Unruhig legte sie sich aufs Bett, drehte sich dann wieder auf die andere Seite, ein paar mal von Rücken zu Bauch, bis sie zu strampeln begann und schimpfte: "Gah, ist das vielleicht la~ngweili~g!" "Ich weiß, wir hatten das Thema schon mal, aber darf ich noch mal fragen, warum wir diese quengelige Diebes-aristokratin mitgenommen haben? Doch nicht etwa, weil sie so lange gemosert hat, bis sie ihren Willen bekommen hat?", fragte Carod, der ausnahmsweise selbst genervt klang. "Bis Seefort musste ich sowieso.", erklärte Kora erneut, "Und außerdem hab ich doch gesagt, dass ich euch nicht so einfach gehen lasse! Sonst plaudert ihr noch irgendwas aus über den Dreck, den Oltieve abgezogen hat! Das wäre grauenvoll, binnen Wochen würde man unser Volk überrennen!" "Ich mache mir grade viel mehr Gedanken über Griselda, Maljus und Alex.", offenbarte Craylo beunruhigt. "Aber sie haben ja drauf bestanden, alleine zu gehen…" Er wippte gerade etwas vor und zurück auf der Matratze, als Ludwigs plötzlicher Einwurf ihn fast zum Umfallen brachte vor Überraschung: "Wir werden aber nicht tatenlos bleiben. Wenn das noch länger dauert, gehen wir hinterher." "Aber die beiden haben doch klipp und klar gesagt, das sollen wir nicht!", protestierte Craylo, "Und was ist mit Griselda? Dieser Ventosus tut ihr bestimmt etwas, wenn wir uns einmischen!" "Du lässt Alex und Maljus also einfach im Stich?", fragte Ludwig so todernst und bitter wie noch nie in der Gruppe. "Sie könnten sterben! Sowas hab ich schon mal erlebt. Und das will ich nie wieder… dass jemand stirbt, bloß weil ich nicht da war, um zu helfen." "Ja, aber was ist mit Griselda?", wiederholte Sira Craylos Bedenken skeptisch, obwohl sie verstand, was Ludwig befürchtete und welche Vorwürfe er sich bereits gemacht haben musste. Sie hatte den kleinen Nachttisch neben Craylos Bett als ihren Sitz auserkoren. "Ventosus hat sie sicher nicht unter dem Arm, während er kämpft. Sie ist nicht in Gefahr, solange Ventosus beschäftigt ist, bis wir ihn umzingelt haben.", erklärte Ludwig seinen Plan, "Also, wer ist dabei? Oder muss ich alleine los?" "Ichlass hier keinen ohne meine Aufsicht gehen!", sagte Kora. "Craylo, ich finde er hat Recht!", bemühte Dorac seine Überredungskünste an, weil Craylo immer noch kritisch über diesen Plan nachdachte. "Ich meine, Alex und du seid beste Freunde." "Und beste Freunde sind dazu da, Bitten und Wünsche zu ignorieren." "Freunde sind dazu da, jemanden von Dummheiten abzuhalten! Er würde dir so etwas niemals übel nehmen!" Craylo gab sich geschlagen und stand bereits auf. Er sagte: "Habt ja Recht. Aber wir konzentrieren uns darauf, dass Griselda in Sicherheit ist, bevor wir einschreiten, ja?" "Wenn ich das nur mache, um Leben zu retten, dann mach ich das auch, weil ich nicht will, dass Griselda etwas passiert, mein Freund.", versicherte Ludwig mit den Anflügen eines Grinsens, das Sira viel passender fand als seine versteinerte, trübe Miene vorher. "Dann also los." "Au ja, ich komm hier sonst um vor Langeweile!", rief Kora, euphorisch die Arme ausstreckend. "Ich hab doch gesagt, ich will hier pennen, ihr Rabauken! Haltet endlich die Klappe und macht, dass ihr da drüben fertig werdet!" III. Die Zeit muss stehen geblieben sein. Warum bewegt sich nichts mehr? Wieso sagt Forsiano nichts? Oder Alex, wieso ist er so still?! Sagt doch was! Irgendjemand, erklärt mir doch, was auf ein mal los ist! Mein Herz klopft wie verrückt, mein Magen scheint in Flammen aufzugehen, ich sehe all die feinen, hellen Härchen auf meiner Haut sich aufstellen. Ventosus ist Forsiano, hinter der Maske des Rachedämons verbirgt sich der Lehrmeister aus meinen Träumen! "Und dabei war es so klar…" Ich fasse mir verzweifelt an die Stirn, starre halb in meine Handfläche, halb auf den Boden, während mir alles wie Schuppen von den Augen fällt. "Ich hätte es wissen müssen! Natürlich bist du Forsiano…", wimmere ich luftlos. "Ist dir denn nichts heilig?! Du arbeitest mit einem Mann zusammen, der den Weltuntergang herbeiführen will! Du vergehst dich an meinen Freunden wie selbstverständlich und setzt mich unter Druck! Und du besitzt sogar die Frechheit, mein Vertrauen zu missbrauchen und mir vorzugaukeln, du seist mein Freund?! Aber wozu? Wozu dieses Schauspiel?!" Ich verstehe nichts mehr. Er will doch Rache an mir, oder? Deswegen ist er zum Dämon geworden. Aber er hat mich öfters beschützt. Und jetzt versucht er aber wieder mich umzubringen! "Alex…" Forsiano schaut den Exorzisten wehleidig an. "Willst du denn nichts sagen?" "Maljus, reiß dich zusammen.", zischt er, "Du kennst den Mann irgendwoher. Ich aber nicht. Für mich ist er ohne Maske immer noch ein Unbekannter!" Zittrig bringe ich mich wieder in Position. Nein, das geht alles viel zu schnell! "Dann bringen wir es hinter uns. Jetzt hat es sowieso keinen Sinn mehr.", beschließt Forsiano einfach. Warte, nein, noch nicht! Erst muss ich noch etwas los werden. Ich schlucke meine Tränen herunter, um ihm ernstzunehmend ins Gesicht schauen zu können. Wissen will ich: "Hast du mich als Schüler unter deine Fittiche genommen… damit nur du die Gelegenheit kriegst, mich zu töten?" "Er hat dich geschult?!" "Was sollen diese Fragen noch?! Los, ich will endlich meine Rache an euch!" "Du hast mich sogar vor Geras gewarnt! Du hast mit mir geübt, damit ich nicht von Aaron oder Echidna getötet werden konnte, richtig?! Warum?! Wieso, Forsiano?!" Alex macht ein überraschtes Gesicht. Seine Augen sind so weit aufgerissen und er guckt mal zu mir, dann zu Forsiano. "Du heißt Forsiano…? Dieser Name… ich kenne ihn." Zum ersten Mal höre ich Alex ein wenig verängstigt werden. Weswegen? Was weiß er dank dieses Namen? Was verschweigen mir alle?! Forsiano spuckt ertappt auf den Boden, meint: "Natürlich kennst du den Namen. Dein Vater hat ihn bestimmt oft genug in den Mund genommen. Und irgendwann wirst du gehört haben, dass so ein Mann gestorben ist. Und das ist alles die Schuld deines verdammten Vaters!" Forsiano reißt sein eigenes Hemd entzwei, um wieder das geschwollene Auge zu präsentieren, das seinen Status als Rachedämon kenntlich macht. "Hier! Hier hat er mich durchbohrt mit demselben Schwert, das du Hund jetzt führst! Und ich bin zugrundegegangen, er hat mich regelrecht zerstückelt, damit ich auch ja krepiere! Und dann bin ich irgendwann wieder auferstanden. Da war die Zeit endlich reif. Jahrelang verflucht habe ich Hellar Maresa, meinen Mörder!" "Mein Vater war kein Mörder!" Alex geht auf Forsiano los. "Erzähl keinen solchen Scheiß!" "Mich hat er umgebracht! Kaltblütig! So war er! Aber Hellar ist lange tot, also habe ich andere verflucht. Seine Familie, sein Blut, das fortlebt, nämlich in seinen Söhnen!" Als Alex innehält, wischt Forsiano ihn mit der Rückseite seiner Rechten zu Boden. "Was habe ich damit zu tun?!", rufe ich aufgewühlt, "Ich kenne keinen Hellar! Ich weiß nicht mal, was ich dir im Entfernte-" "Du Narr! Ich habe es doch schon so klar gesagt! Holzkopf, hörst du denn nicht zu?!" Anstatt eines Gesichtes hat Forsiano bloß noch eine wutentstellte, ungesund bleiche Fratze, die sich mir entgegenschiebt. Er schreit, dass ein Donnergrollen dagegen harmlos wirkt: "Ihr seid Brüder! Du bist Hellars jüngerer Sohn, das Kind von Hellar Maresa und Voitlena zu Dragmor! Und als dues endlich geschafft hast, dich von deiner falschen Familie in Welsdorf loszureißen… da bin ich in dieser Welt aufgetaucht, meine neuen Kräfte benutzt, um dich zu verfolgen und deine Träume heimzusuchen. Und habe dafür gesorgt, dass ihr beide euch begegnet und ich euch zwei auf einen Streich töten kann!" "Du hast überhaupt nichts dergleichen getan!", protestiere ich und weiche zurück. "Lügner!", schreien ich und mein Verstand im Chor. "Weswegen warst du dann jemals im Fass ohne Boden?! Etwa wegen deiner Víla? Oder wegen des Mädchen, das dir auch abgeraten hat, dort hinzugehen?" Abgeraten ist gut, die beiden haben schier getobt. Dann war es also wirklich Forsiano, den ich das Fass ohne Bodenbetreten gesehen habe! Und er hat gewusst, dass er mich so zu Alex locken kann! Er… hat wirklich mit uns gespielt. "Durchtriebener Bastard… du wolltest uns ernsthaft umbringen, ohne dass wir überhaupt wissen, wieso?" Mit einer Platzwunde am Kopf rafft Alex sich auf. Forsiano schenkt ihm einen leeren Blick. "Manchmal wartet man, dass die Leute es einem aus der Nase ziehen… seltsam, nicht wahr? Obwohl ich es euch nicht gegönnt habe, hab ich jetzt doch selbst alles ausgeplaudert. Ich ertrage nicht länger, dass ihr so… so unschuldig durchs Leben geht!" "Hätte nie gedacht, dass mein Bruder noch am Leben sein könnte. Ich hab schon fast vergessen, wie er hieß, bis ich den Kleinen getroffen habe. Ich würde dir ja fast danken, Forsiano." Auf einmal lässt er sich zu einem Lächeln herab und wischt ein wenig das Blut weg, das ihm ins Auge läuft. "Wie war das denn damals? Hast du meinem Vater vielleicht meine verloren geglaubte Tante vorgestellt, bevor er dich umgelegt hat?" Hätte er sich das jetzt nicht sparen können?! Forsianos Mimik kann kaum noch bösartiger werden! All den aufgestauten Hass lässt er raus mit einem Schrei, einhergehend damit fällt er in Raser über meinen Bruder her. So nicht! Rechtzeitig greife ich ein, um für Alex zu parieren. Dann rast das Diamantschwert auf Forsianos Arm zu, da schlägt er mit den Flügeln und setzt uns dem Wind aus. Nicht lange genug, ich versuch es gleich noch ein mal, ihn anzugreifen! Da spüre ich erst ein Ziehen, dann ein Reißen, vielleicht höre ich sogar, wie mein Bauch scheinbar entzweigeht. Ohne Weiteres verliere ich mein Gleichgewicht, während in mir endgültig ein Inferno ausbricht. Von meiner aufgeplatzten Wunde gelähmt prelle ich mir den Arm an einer Hauswand, falle ächzend aufs Pflaster und sehe über mir hinter einem Schleier meiner brennenden Augen noch Forsiano. "Und da war es einer weniger!", verkündet er. Schneller als ich schauen kann, wirft Alex sich in den Weg und schneidet Forsiano fast mehrere Finger ab. Der Dämon schluckt seine Pein herunter, ich beobachte schnaufend das ganze Geschehen. Forsiano kommentiert: "Ich muss zugeben, du bist ein mutiger Recke." "Wenn du mir schon sagst, dass er mein Bruder ist, dann lass ich ihn nicht einfach verrecken!" Alex ist sichtlich wütend, seine Bewegungen werden mit jedem Angriff schneller, die Schwerthiebe zusehend stärker, doch der Dämon kann immer noch mithalten. "Ihr seid alle gleich in eurer Familie, hm? Ihr geratet alle so leicht in Rage, wenn es eng wird.", meint Forsiano mit einem siegessicheren Lächeln, das erstirbt aber ganz schnell, als Alex ihm einen Fußfeger an die Seite verpasst. "Was weißt du schon von unserer Familie?!" Forsiano taumelt nicht mal lang genug, um dem folgenden Angriff zu entgehen... mitten auf die Brust! Ich löse mich träge aus meiner Starre. Die Krämpfe flauen allmählich ab und ich kann mich immerhin wieder auf die Knie zwingen. Vor lauter Schwindelgefühl höre ich Forsianos Schrei kaum, aber ich kann daraus schließen, dass das wieder ein starker Treffer gewesen sein muss. Wütendes Fluchen dringt an mein Ohr. Als ich meinen Kopf hebe, muss ich bestürzt sehen, wie Forsiano mit beiden Klauen Alex' Handgelenk gepackt hat, und mit jedem Stück, dass Forsiano die Hand bewegt, beißt Alex mehr die Zähne zusammen. Er lässt sein Schwert los. "Dieses verfluchte Schwert…!", schimpft der Rachedämon erbost und fährt fort, Alex' Hand nach hinten zu biegen. Nein! Mir ist, als würde die Welt sich um mich herum drehen, als ich reflexartig aufstehe und möglichst versuche, keinen Blick auf meine Wunden zu werfen. Ich mache schleppend erst einen Schritt auf Forsiano zu, dann noch einen und noch einen. Die Zeit zieht sich, bis mich das Schwindelgefühl verlässt und mein Körper ein wenig wieder zu Kräften kommt. Alex wehrt sich gegen Forsianos festen Griff, aber langsam kann er es nicht mehr aushalten. Mein Gang wird schneller, ich muss helfen! Sonst ist alles aus! In seiner blinden Wut bemerkt der Dämon mich erst ganz spät. Als uns nur noch ein Meter trennt, unterbricht er plötzlich die Tortur und sein Kopf fährt herum. "Du Sturkopf.", bringt er nur gequält hervor, der neue Schnitt ging nur knapp an dem großen Auge vorbei, dessen starrer Blick auf mich gerichtet ist. Ich starre ausdruckslos zurück. Langsam hebe ich mein Schwert, Alex seltsamerweise tut nichts. "Du... du hättest dir zwei mal überlegen sollen... ob du dich... mit uns anlegst...", keuche ich angespannt. Wir haben noch immer eine Chance, das hängt nun alles an mir! Es ist wie auf dem Friedhof im Regen. Alle sind wir geschafft, durchnässt von Schweiß, auch wenn keiner das so recht wahrnimmt. Ich habe das Schwert auf Augenhöhe dieses widerwärtigen Dings an Forsianos Leib gerichtet, ein einziger Stich könnte reichen, um es zu durchbohren. Aber bevor ich überhaupt richtig Schwung holen kann, umfasst eine der beiden Pranken die Klinge. "Man soll den Tag... nicht vor dem Abend loben. Akzeptiere es...", meint Forsiano mitleidig, "Sonst endest du genauso..." Erst denke ich, er meine damit Alex, den er immer noch mit einer Klaue festhält, doch ein Schimmer Reue dringt hervor und er haucht: "Genauso wie ich..." Ganz schwerfällig setzen die großen Flügel sich in Bewegung. Er will mich einfach wegwehen!, realisiere ich. Plötzlich geht alles ganz schnell: Eine Faust rast in das Gesicht Forsianos, schlägt gegen seinen Kiefer, doch er hält die Klinge umklammert. Innerhalb weniger Sekunden rasen tausende Gedanken durch meinen Kopf, bis ich eine Entscheidung treffe und blitzschnell loslasse. Ich presche ein Stück zurück, hebe die edle Klinge vom Boden auf und merke erst jetzt, wie schwer das Ding eigentlich ist. Dennoch gebe ich nicht auf, mit all meiner Kraft reiße ich es hoch, Vaters Schwert, Alex schlägt wild nach Forsianos Nase, und dann ramme ich es mitten in das dicke Auge, dessen Pupille noch vor Schreck kleiner wird, bis das Schwert mitten ins Schwarze sticht. Forsiano erstarrt unter Krämpfen. Alex wird losgelassen und landet kraftlos auf der Straße. Ich lasse mich einfach fallen. Das Monster zittert, als es das Heft befühlt, dann bricht es zusammen und würgt schwarzen Schleim auf den Boden, irgendwas davon ist wohl Blut. Forsiano krümmt sich vor Schmerzen und japst nach Luft. Kurz klingt er wieder wie der röchelnde und flüsternde Ventosus. "Gut gemacht… wirklich… hervorragend, Maljus." Was hat er da gerade gesagt? Hat er mich gelobt?! "Ich habe… bis zum Ende nicht wirklich geglaubt, dass du mich besiegen könntest. Wie gut, dass ich mich geirrt habe." "Forsiano…" "Ich habe dich geschult. Damit du stärker wirst. Damit du Dyonix entkommst… und vor Allem, damit du mir entkommst. So langsam sehe ich wieder klar. Ich habe… viele Dummheiten begangen. Ich hab dir wohl nie erklären können, was ich mir einst geschworen habe…?" "Nein.", erwidere ich verwirrt. "Kämpfe nur, um zu beschützen…", hustet Forsiano einen alten Schwur, "So wollte ich einst sein, lange bevor wir uns kannten. Dann bin ich in schweren Zeiten schwach geworden." Wie aus einer anderen Welt mischt Alex sich schwach in diese seltsame Unterhaltung ein: "Und Hellar hat dich dafür zur Sau gemacht, richtig?" "Wie-" "Er hat wirklich oft von dir gesprochen. Deswegen kannte ich deinen Namen. Ihr wart mal Freunde, stimmt's?" "… wirklich erstaunlich. Lange Zeit ja. Dann verwarf ich mein Ideal für ein anderes… und Hellar hat mich dafür bekämpft. Ich starb deswegen." "Was für ein Blödsinn!", schreit Alex ihn an, "Du warst längst tot! Du hast weggeworfen, was dich ausgemacht hat! Sieh's doch ein…! Du bist kein Dämon, sondern bloß ein Untoter. Rachedämonen… das sind in Wirklichkeit alles Leichen, die's nicht akzeptieren konnten. Lieber heulen sie… den Lebenden die Ohren voll… und ändern trotzdem nichts." Da fangen beide an, gequält zu lachen, besonders Forsiano, vielleicht weinen sie auch. Der Dämon schüttelt kraftlos seinen Kopf und erzählt: "Und da haben sie mich manchmal… 'den Philosophen' genannt." "Der Mann… der mir das beigebracht hat, hätte mir für solche Spitznamen… den Arm ausgekugelt.", sagt Alex. "Ich verste-" Forsianos Hand krallt sich in seine Brust, wieder verkrampft er sich. Auf dem Rücken liegend muss er den Hals ganz tief in den Nacken legen, um mich eindringlich anzusehen. Er sieht wirklich aus wie ein Toter, so aschfahl und seine Augen sind dunkel und blutunterlaufen. Seine zusammengebissenen Zähne sind gelb verfärbt, das Zahnfleisch ist quasi nicht mehr vorhanden. "Maljus… fin… finde Roy Tremsfield. F- finde ihn! Das ist wichtig, h… hörst du?! Roy Tremsfield!" "Ich hab's verstanden! Aber wieso, wer ist da-" "Er muss irgendwo da drau… ßen sein." Er redet und guckt wie im Fieber. "Er weiß es! Frag ihn nach He- gahh!" Er schreit im Todeskampf auf. Zum letzten Mal. Seine Haut fällt ein, die Knochen zeigen sich an seinem emporgehaltenen Arm, bevor sein ganzer Körper in einem Lidschlag zu schneeweißem Staub zerfällt. Nur die blutigen, zerrupften Klamotten und das schmutzige Diamantschwert bleiben hier, als der Wind Forsianos letzte Überreste zusammenklaubt und in alle Himmelsrichtungen fortreißt. "Damit ist Forsiano, der Dämonenphilosoph schließlich endgültig ins Totenreich übergegangen…", murmle ich abschließend. Meine Augen sind noch immer auf die schmutzigen Kleider gerichtet. Roy Tremsfield… wer das wohl sein mag? Was weiß er? Wonach soll ich ihn fragen? Wo soll ich ihn suchen? Und wozu? Wenn Forsiano sich doch nur einmal deutlicher ausdrücken würde! Ich breche mein sinnloses Ratespiel, was das alles zu bedeuten hat, ab, als Ludwig und Craylo auftauchen. Kurz darauf landen Koras kräftige Vogelbeine vor mir. Schnaufend trägt sie Selet in ihren Armen und fragt: "Irgend… jemand, der mir… das Mädel abnehmen… will?" Sie grinst mich schräg an und hält sie mir schon fast hin. Sehe ich so aus, als könnte ich sie allen Ernstes auch nur festhalten? Ich lächle trotzdem. Craylo kümmert sich um die Prinzessin, während Ludwig sich Alex' und meine Verletzungen besieht. "Ich frage gleich.", eröffnet er, "Was ist euch lieber? Jetzt zum Heiler, oder morgen früh mit Wundbrand aufwachen?" "Gegenfrage…!", ächzt Alex mit einem angestrengten Schmunzeln, "Könnt ihr mich denn tragen?" IV. Na, das nenne ich aber eine tolle Ruhe, die mir der Heiler verordnet hat. Seit einem Tag liege ich im Bett und darf lauschen, wie Kora und Alex sich in Grund und Boden diskutieren. Ich bewundere meinen Bruder dafür, so eine eiserne Kondition zu haben. Er läuft bereits wieder munter auf und ab, streitet mit Kora über Dinge, die ich nicht mal mitverfolgen will, weil sie mir so auf den Geist gehen. Einzig und allein meine Bücher lassen mich ein wenig ausspannen. Ich habe in ruhigeren Minuten mit den anderen über alles gesprochen, was Forsiano offenbart hat. Ludwig, Selet und Sira haben mehr als große Augen gemacht, Craylo hat jubeliert. Das sei ein Grund zum Feiern, fand er. Er hat jedoch nur Ludwig und Alex dazu überreden können, abends in eine Schanke zu gehen. Währenddessen habe ich mit Sira und Selet allein über alles Weitere geredet. Kora war auch weg, vielleicht irgendwo was stibitzen, mich würde es nicht wundern. "Roy Tremsfield… Roy Tremsfield", wiederholte Selet mehrere Male den Namen immer leiser werdend. "Irgendwas sagt mir dieser Name… nur mein Gedächtnis will nicht herausrücken, was es ist. Der Name klingt nach einem Mann aus Ahreddan." "Die Inselpräfektur?" "Nein, da gehen wir jetzt ganz sicher nicht hin, um ihn zu suchen!", verkündete Sira gleich zickig, "Ihr wisst ja gar nicht, wie weit ab von unserem Kurs das wäre!" Ich kann es mir denken. Und auch Ahreddan ist groß genug, dort würden wir sowieso nichts herauskriegen. Und jetzt zerbreche ich mir immer noch den Kopf, warum ich darüber überhaupt nachdenke. Irgendwann abends, als die anderen immer noch weg sind, reicht es mir schließlich. Ich steige aus dem Bett, werfe mir meine restlichen Sachen über und gehe. Zwar ruft Sira: "Warte doch, was hast du vor?!", aber zu mehr als einem "Wenn Alex so einfach losgehen kann, dann ich wohl genauso!" kann ich mich nicht aufraffen. "Soll nicht einer von uns mitgehen?" "Nein, Selet, geht schon." Ein wenig schroff war ich dann vielleicht doch. Nur bin ich schon durch die Tür und schleppe mich aus dem Gasthaus. Da gibt es noch jemanden in Seestfor, mit dem ich ein Hühnchen zu rupfen habe! Diese alte Saufbirne Dirk… Anderswo stieß man währenddessen fröhlich an. Nur, weil man schon drei mal geprüft hatte, wer am meisten Bier in einem Schluck runterbekam, hieß das ja noch lange nicht, dass man das ganze gute Seestforter Bräu warten lassen musste! Selbst der Mors-Krieger war schon etwas beschwipst, das hätte er aber genauso wenig zugegeben wie die anderen beiden Exorzisten. "Is' schon unglaublich, wie dieses rothaarige Rotzgör tönt! Von wegen wir sei'n ihr ja wohl schuldig, Stillschweigen zu bewahren!", lallte Alex. "Ich verklicker euch ma' was: die kann mir ma' sowas von'n Buckel runnerrutsch'n! 'Ne Geißel will se!" "Sag bloß! Und was willse machen, wenn se keine kriegt?" "Pff, was weiß ich! Hab kaum zug'hört!", gluckste der Blonde da, "Aber's wird schon schief geh'n. Ichgeh einfach mit ihr mit!" Dafür waren selbst die betäubtesten Sinne noch empfänglich. Craylo und Ludwig schauten Alex an, als wolle er aus dem Fenster des dritten Stocks springen. "Und… wie kommt man auf sowas?", wollte Ludwig weiter hören. Alex lehnte sich zurück, kippelte leicht mit seinem Stuhl und grinste. Für ihn war das glasklar: "Dann seid ihr se los… und ich kann mich voll und ganz auf diese Suche konzentrier'n!" "Nach diesem Roy… Roy Schlagmichtot?" "Wie auch immer er hieß!", grölte Alex, "Ja, den mein ich. Hab so ne Ahnung, wo ich was rausbekomm'." "Gut, mein trunkener Freund.", mischte Carod sich da ausnahmsweise mal mahnend ein, "Aber-" "Nix trunken!", schnitt Alex ihm mit hochrotem Kopf das Wort ab, "Ich könnt locker noch'n Schopp'n vertrag'n!" Carod versuchte es noch mal: "Ja, ja, nur flenn morgen bloß nicht, Meister Langohr. Also, was machst du dann mit deinem kleinen Anhängsel von Craylo hier? Den willst du wohl nicht mitnehmen? Na ja, nicht so, als ob ich's nicht verstün-" "Klappe, Carod!", rief Craylo, "So 'ne Schnapsidee hätt'ste sicher nich', was, Alex?!" "Der Quasseldolch hat aber Recht." Alex glitt gefährlich weit zurück, fing sich gerade noch so und schaukelte wieder nach vorn, um in einer flüssigen Bewegungen seine Oberarme auf den Tisch zu wuchten. Er zeigte auf den Magier. "Du gehs' mal hübsch mit dem Klein' mit, kapisch? Ges'ern das war ne Ausnahme, sonst brauch ich eure Hilfe nich', ihr zwei." Ludwig, der noch am klarsten von den dreien war, durchschaute Alex: "Ach, das habt Ihr mitbekommen?" "Bin ich blind?! Natürlich! Man, 'n leuchtendes Schwert un' zwei Dolche, die durch'e Luft fliegen. Ohne die hätt' der Kleine Forsiano nie umgenietet!" "Ich hielt's für besser, einzugreifen.", gab Ludwig zu, wobei seine Miene wieder etwas düsterer wurde. Alex zuckte schwach mit den Schultern und sagte: "Soll mir ausnahmsweise recht sein. Aber langsam retteste mir 'n bisschen zu oft den Arsch, weißte? Wie soll'n ich mich dafür noch angemess'n bedank'n?" Alle drei lachten ausgelassen und stießen wieder an, bis sie eine Stunde später schlurfend und kreisend den Weg zum Gasthaus suchen würden. V. Auf und davon sind sie, kein einziger Artist von Dirks Truppe ist noch in Seestfor. Der Platz außerhalb der Stadt ist leer, von den Wächtern erinnert sich keiner an Dirk und seine Leute - na gut, bis auf einen, der ganz begeistert war, weil er mich auch noch erkannt hat. "Du bist doch dieser Schalmeyspieler, hab ich recht?" "Äh, Ihr müsst mich mit jemanden verwechseln.", hab ich zwar behauptet, aber er hat es mir nicht abgekauft, sogar drauf beharrt, dass ich es sein müsse, bis mir aufgefallen ist, dass ich tatsächlich noch das Instrument besitze. "Tja, meine Augen täuscht nichts!", hat der Custos gelacht, mir war ganz anders zumute. So hab ich mich ein wenig geknickt zurückgezogen, auf einen stillen Hügel innerhalb der Stadtmauern, um für mich zu sein. Hin und wieder zischt ein Feuerwerk zum Himmel und bunte Farben beleuchten die Mengen von Besuchern. Spaßeshalber setze ich noch mal die Schalmey an die Lippen, vielleicht wird's ja jetzt noch was. Mitnichten und Neffen, es erklingen ein paar schiefe Töne, dann krieg ich schon keine Luft mehr. Ich hätte das Instrument gerne zurückgegeben - zusammen mit einer kräftigen Ohrfeige für Dirk. Er hat wohl schnell das Weite gesucht, sobald ich mich aus dem Staub gemacht hab. "Ohjemine, das klingt aber gar nicht gut." Zu meiner Überraschung gesellt sich jemand zu mir, ratet wer: es ist Selet. Sie hat ihr silber gefärbtes Haar ausnahmsweise nicht hochgesteckt, sondern lässt die rebellischen Strähnen frei im Abendwind tanzen wie funkelnde Nebelstreifen. Oh man, was denk ich denn da?! Selet nickt zu der Schalmey. "Wusste gar nicht, dass du so eine besitzt." "Die… hab ich bloß von meiner kurzen Zeit als Gaukler." Irgendwie ist mir das peinlich. "Ich kann auch nicht wirklich darauf spielen." Kichernd setzt sich Selet neben mich ins Gras und zieht ihre Beine an ihren Oberkörper. "Ich habe bereits Spielleute am Hofe gesehen, die schlechter gespielt haben als du." "Die waren bestimmt nur aufgeregt! Dir gegenüber stehen zu dürfen, meine ich…" "Vielleicht…" Selets Gesicht bekommt einen sentimentalen Ausdruck, sie stützt ihr Kinn auf ihre Kniee. "Sie sehen eben nur die Prinzessin Cardighnas. Irgendwann mal werd ich sogar Königin sein. Aber was mach ich dann, wenn ein Schuft wie Dyonix mein Berater ist? Hab ich dir schon mal erzählt, dass alles, was mir übers Regieren beigebracht worden ist, fast ausschließlich von ihm kommt?" "Er hat dich unterrichtet?", frage ich verblüfft. "Seit ich klein war. Mein Vater hielt große Stücke auf ihn - hält. Er hält große Stücke auf ihn; weil er nicht weiß, was dieser Mann im Schilde führt." Jetzt guckt sie noch besorgter und schaut nicht mehr dem Feuerwerk zu, sondern starrt auf ihre Handrücken, die auf ihren Knien ruhen. Ich probiere, sie etwas aufzumuntern, indem ich sage: "Du wirst bestimmt nie so einen Schuft an deiner Seite haben! Du wirst schon sehen! Wenn wir das hier hinter uns gebracht haben werden, wirst du bestimmt zu einer guten Königin!" "Lieb von dir, dass du das sagst." Da, sie schmunzelt doch wieder ein wenig! Und ich kann nicht anders, als es ihr nachzumachen. Dann fragt sie aber: "Was ist mit dir? Was willst du machen, wenn wir hiermit fertig sind? Wirst du zurückgehen? In den Wald?" Das trifft mich jetzt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Da hab ich ja noch gar nicht wirklich drüber nachgedacht! Und das entgegne ich auch. Selet reagiert mit einem leicht irritierten, aber auch interessierten Blick. "Eigentlich müsste ich zurück.", füge ich noch an, zögernd wohlgemerkt. "Zu deiner Familie?" "Ja. Sie müssen sich in Grund und Boden sorgen um mich, weil ich so einfach abgehauen bin." Da sind sie wieder, die Schuldgefühle gegenüber Alid und Sara. "Aber du konntest doch nicht wissen, in was du verstrickt würdest, als du losgegangen bist, oder?" "… Ja. Aber was soll ich denn sagen, wenn ich zurückgehe? Sira wird mir den Hals umdrehen, wenn ich das mit dem Schwert ausplaudere. Verdammt noch mal, warum denke ich nie vorher über sowas nach?!" Wortwörtlich fasse ich mir an den Kopf. Zwickmühle! Entweder Sira oder Alid… eine von beiden wird mir die Hölle heiß machen. Doch was bleibt mir denn anderes übrig, ich kann doch nicht einfach wegbleiben! "Vielleicht solltest du mit ihnen über Alex reden. Das ist schließlich dein Bruder. Haben sie dir das nie erzählt?" "Nein. Meine Mutter - also eigentlich meine Stiefmutter - hat mir nie was verraten wollen. Bloß, dass ich aus einem anderen Dorf komme und meine Eltern wohl verstorben sind, weswegen ich von ihr großgezogen wurde." Ich stutze. Macht das überhaupt Sinn? Kann Alex dann überhaupt mein Bruder sein? Was ist mit ihm passiert, dass wir uns jetzt erst wieder sehen? "Roy Tremsfield kann meinetwegen alt und grau werden, es gibt ganz andere Sachen, um die ich mich kümmern muss!" Während ich so fluche, hab ich gar nicht gemerkt, dass Selet aufgestanden ist. Auch neben mir ist sie nicht mir, sondern sie legt plötzlich von hinten ihre Hände auf meine Schultern und versetzt sie in kreisförmige Bewegungen. Mein Blut schießt in meinen Kopf. Mit sanfter Stimme rät sie mir: "Beruhige dich erstmal, Maljus. Du bist noch nicht mal wirklich ausgeruht. Red morgen noch mal in Ruhe mit Alex. Und vielleicht ist Roy Tremsfield genau der, der dir ein paar deiner Fragen beantworten kann." Ich kann mich gar nicht richtig beruhigen, jetzt, wo sie mir diese Perspektive aufzeigt: "Du meinst, er weiß etwas über meine Familie? Über Alex' und meine Vergangenheit?!" "N- nun, nimm mich lieber nicht beim Wort, das ist bloß etwas weibliche Intuition.", lacht Selet nervös, massiert aber weiter meine Schultern. Erschlaffend sehe ich zu, wie weitere Blumen aus hellem, buntem Feuer den Nachthimmel schmücken. Ihr Ratschlag klingt vernünftig, mit Alex wollte ich sowieso noch mal sprechen. Mir fällt etwas ganz anderes ein: "Selet, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, dich als 'Griselda' auszugeben, wenn man fragen darf?" "Ach das? Oh, das ist einfach. Meine Mutter hieß so!" "Hieß?" "Sie ist vor ein paar Jahren verstorben. Viel zu früh, aber jeder der Ärzte sagte, Mors Hand habe sie sanft zu sich geholt." "Das tut mir leid.", entschuldige ich mich, nachgefragt zu haben. Selet nimmt es gelassen. Sie ist wieder an der Reihe, Fragen zu stellen: "Verrat du mir mal was: gibt es da eigentlich noch jemanden, der in deinem Heimatdorf auf mich wartet?" "Hm? Redest du von meinen Freunden?" Ich muss an Gart denken. Sicher wird er vermissen, mir nicht mehr nett gemeinte Kuppelratschläge zu geben. Moment, meint Selet etwa- "Na, was haben wir denn da! Ein Pärchen im Mondschein!" Ich presse meine Lippen fest aufeinander, als ich das helle Lachen einer kleinen Stimme höre. Na klasse, Sira ist auch schon da… "Da hab ich wohl zwei erwischt! Störe ich bei irgendetwas?" "So ein Blödsinn, wir haben nur ein wenig geredet.", erwidere ich patzig. Na, die hat mir ja grade noch gefehlt. Sie hakt ein: "Na, dann werdet ihr wohl auch nicht böse sein, wenn ich euch empfehle, schleunigst auf eure Zimmer zu gehen! Da du dich ja wieder wunderbar an der frischen Luft austoben kannst, wirst du auch wenig dagegen haben, dass wir morgen in alter Frische weiterziehen!" "Ach weißt du, eigentlich tut mir grad ziemlich der Rücken weh und mein Knie… ahh, das zieht schon wieder!", scherze ich. "Ja, ja. Auf, auf, ihr zwei Turteltäubchen, es ist schon spät!" Kopfschüttelnd richte ich mich auf. Beiläufig erwähne ich noch: "Turteltäubchen heißen wir schon mal nicht, klar?" Während wir dann den Hügel verlassen und wieder eintauchen in das immer noch rege Gedränge, frage ich Selet noch: "Ach ja, was wolltest du jetzt eigentlich noch fragen?" "Och, nichts. Ist nicht so wichtig." Na, wenn sie das sagt. Obwohl ihr ja auf der Stirn geschrieben steht, dass ihr etwas auf dem Herzen liegt… nun, ein andern mal vielleicht. VI. Einen tollen Bruder habt ihr mir da zugewiesen, ihr Götter! Vor ein paar Tagen bin ich aufgewacht, ein wenig später als geplant, da fällt Craylo gleich mit der Botschaft in die Tür, dass Alex sich einfach mit Kora aus dem Staub gemacht habe. Und auch noch, dass er sich selber um die Suche nach diesem Roy kümmere. Na super!, hab ich mir da gedacht, grade erst hab ich mich darauf gefreut, diesen Kerl zu löchern, jetzt werd ich alles bloß aus zweiter Hand erfahren. Soll Kora ihm den letzten Nerv rauben, er ist ja nicht mal da geblieben, damit ich mit ihm wenigstens noch mal über unseren Vater und darüber, wie wir getrennt worden sind, sprechen kann. Alex und die Harpyie werden inzwischen über alle Berge sein. Derweil haben wir die große Via Paranthea erreicht, eine monströse Pflasterschneise im Flachland voll von verschnörkelten Kiesmustern, die von einer Stadt namens Melsdar bis zum Aqua-Nymphäum inmitten des Gersait-Sees führt. Es ist unangenehm kühl heute und neblig auch noch. Obwohl wir laut Ludwig und Sira schon fast da sind, sehe ich noch immer nichts von dem See, geschweigedenn den Tempel. Neben uns fällt das Land plötzlich unheimlich steil ab, aus der Straße wird ein Viadukt, dessen weiße Elfenbeingeländer irgendwo in den Dunstwolken verschwimmen. "Mal sehen, ob wir dies mal leichter Einlass finden werden als letztes Mal." "Ich hatte ja weniger Probleme als ihr.", erklärt Ludwig locker. "Warnt uns das Lichtschwert denn schon wieder vor irgendwelchen Dämonen?", frage ich. Ludwig schüttelt fröhlich den Kopf und entgegnet: "Nein, kein bisschen! Wir scheinen Glück zu haben." "Dein Wort in Mors' Ohr.", sagt Sira dazu, worauf Ludwig sich nervös am Ohrläppchen zupft. Er will etwas sagen, da scheut sein Pferd plötzlich. Craylos und meins, auf dem Selet auch mal wieder sitzt, bleiben ebenfalls abrupt stehen und würden am liebsten sofort umdrehen. Nur mäßig können wir sehen, wieso. Die Brücke endet einfach im Nichts. Wir stehen direkt vor einem riesigen Riss im Stein. Das sind gut und gerne fünf Meter bis zur anderen Seite! "Oh bitte sagt, dass das nicht wahr ist!", fleht Sira im Anbahnen ihrer Wut. Ludwig behält einen etwas kühleren Kopf und schlägt vor: "Lasst uns zurückreiten und ans Seeufer gehen. Vielleicht finden wir da irgendeine Erklärung für das! Oder einen anderen Weg in den Tempel…" Wenige Minuten später tummeln wir uns am Fuße der erdigen Klippen, von denen die Straße auf mächtigen Säulen durch die Luft führt. Man kommt sich fast vor wie an einem Strand. Selet sagt, man könne sogar bei blendendem Sonnenschein nur knapp das andere Ufer des Sees erblicken. Nun wandeln wir aber durch diese Suppe hier, sehen ständig irgendwelche dubiosen Umrisse im Nebel und hören das leise Plätschern. Ich weiß nicht mal, wie, aber irgendwie stoßen wir auf ein pittoreskes Häuschen mit schiefem Schindeldach, versteckt auf einem großen Felsvorsprung. Zögerlich klopfen wir an. Ein kleiner Schlitz in der Tür öffnet sich, es ist stockfinster in dem Haus. Ein winziges, stechendes Augenpaar erscheint hinter der Öffnung und mustert uns kritisch. "Wer seid Ihr und was wollt Ihr?", will ein alter Mann mit schroffer Fistelstimme wissen. "Wir sind ein paar Reisende. Wir wollten eigentlich zum Tempel der Aqua, aber die Brücke-" Ich kann gar nicht zum Ende kommen, der Alte fällt mir ins Wort: "Ja, die ist kaputt. Seit fast einer Woche. Ihr seid umsonst hierher gereist." "Verzeiht, falls wir Euch stören-" "Unwesentlich.", erwidert der Bewohner des krummen Häuschens, aus dessen Dach seltsamerweise ein schräges Metallrohr ragt. "Ähm…" Selet versucht noch mal, mit dem unfreundlichen Greis zu reden: "Wisst Ihr vielleicht, wie das passiert ist?" "Na, sagt bloß, Ihr habt nichts von diesem Sturm mitbekommen! Ein schreckliches Unwetter, so schlimm, dass ich Angst hatte, mein Haus würde weggespült werden. Und die Brücke ist dabei auch kaputt gegangen. Und keine Stunde später war der Sturm weg." "Ihr werdet's kaum glauben." Ludwig schiebt sich zwischen Selet und mir nach vorne. "Nur in dem Sturm haben wir auch gestanden, er ist sogar durch Meskardh gerast." "Wa- was?!" Der Alte reißt auf ein mal die Tür auf. Ein Zwergengreis mit einer Menge Denkfalten und einem dichten, weißen Bart ist es, der sich noch schnell einen Zwicker aufsetzt. Ein Blick genügt, um zu sehen, dass er offenbar so etwas wie ein Gelehrter ist. Und selbst in der Dunkelheit erkenne ich, dass er es mit Ordnung nicht so zu haben scheint. Chaos würde sich hier bestimmt heimisch fühlen Ganz aus dem Häuschen fragt er: "Ist das wirklich wahr? Das Unwetter ist sogar nach Meskardh weitergezogen? Oh bitte, erzählt mir doch ein wenig darüber! Kommt herein, kommt herein." Ganz stolz zwinkert Ludwig uns zu und geht voraus. Als der Alte endlich die Fensterläden öffnet, kann man etwas mehr vom Inneren seiner Stube erkennen. Was für ein Tohuwabohu, ich sehe die Wände schon gar nicht mehr, weil alles mit Tischen vollgestellt ist, auf denen Apparaturen, dickbäuchige Gefäße und Berge an beschriebenem Papier sich aufeinandergedrängt haben. Aquarien und Terrarien sind in einem Regal an der Wand aufgestapelt und in einem winzigen Nebenraum finden grade mal zwei dürftige, an die Wand geschraubte Liegen Platz neben dem riesigen Ofen, aus dem ein unheimliches, wenn auch leises Fauchen tönt. "Ich sehe, ihr habt hier ein sehr gut ausgestattetes Laboratorium, mein Herr. Oh, und sogar ein Fernrohr zur Sternenbeobachtung, nicht wahr?", komplimentiert Ludwig die seltsamen Gerätschaften und zeigt auf das riesige Guckrohr. Das ragt also aus dem Dach. Der Zwerg nickt wichtigtuerisch und erklärt: "Ja, deswegen war es gerade noch so dunkel. Meine Camera Obscura ist sehr praktisch." "Ich hoffe, wir haben Euch nicht gestört." "Ach was. Es ist gerade ohnehin zu neblig, um den Himmel zu beobachten. Oh, aber bitte, reden wir doch über dieses interessante Wetterphänomen!" "Nur zu gerne.", meint Ludwig, "Herr…?" "Oh. Nennt mich einfach Horatius, ich bin Universalgelehrter." Ohne Witz, aus seinem Mund klingt das so, als sei für ihn schon der ganze Kosmos ein offenes Buch. "Und äh, Eure Namen wären?" "Oh, mein Name ist Ludwig, ich bin bloß ein einfacher Exorzist. Genauso wie mein Kollege Herr Craylo hier.", beginnt Ludwig mit der Vorstellung. Horatius hebt seine dichten Augenbrauen und beäugt Selet und mich. "Und die beiden da?" "Ah, das sind unsere Schüler. Er hier heißt Maljus und die kleine Magierin ist Griselda." Während Selet einen gekonnten Knicks hinlegt, bemühe ich mich, eine ordnungsgemäße Verbeugung zu vollführen. Der alte Horatius fährt sich nachdenklich durch seinen Bart, ehe er beschließt, dass wir wohl nicht interessant genug für seine Studien sind: "Ah, ja, verstehe. Nun, Kinder, fasst bloß nichts an, während ich mich mit Euren Lehrmeistern unterhalte, ja?" "Darf man sich denn umsehen?", rutscht mir da aus Neugier heraus. "Ja, ja, natürlich. Sieh mal, was du davon verstehst." Ich erwidere die höhnische Herausforderung in seinen Worten mit einem ernsten Blick. Etwas verloren begutachte ich die ganzen Kolben und Bottiche, in denen Flüssigkeiten aller Art stehen oder langsam blubbern. Irgendwo tropft ein schwarzer Klumpen an einem festen Tau ab, woanders köchelt ein grasgrünes Süppchen. Die Glaskästen mit kleineren Tieren sind da schon interessanter, aber lange kann ich mir auch nicht den tumb starrenden Fisch besehen oder zuschauen, wie irgendeine Echse ihre platte Schnauze gegen das Glas presst. Ludwig, Craylo und der alte Mann verlieren sich in Getratsche, Sira flüstert ab und zu, wie sie hofft, dass sie auch ja nicht die wichtigen Dinge vergessen, und ich schaue weiter durch das Laboratorium. Und da erblicke ich eine große Käseglocke, in die mein Kopf reinpassen könnte. Statt meinem Kopf oder dem eines Schweines - das würde ich hier auch ohne Weiteres erwarten - vegetiert eine Pflanze unter dem leicht durchlöcherten Glas. Sie ist pechschwarz, ihr Stengel spiralförmig gewunden, spitze Dornen ragen bis zu einem halben Zentimeter heraus - und ganz oben sitzt ein schwarzer Blütenkelch, leicht geöffnet mit welligen, sanft erscheinenden Rosenblättern. "Halt, bloß nicht näher!" Horatius springt von einem mechanisch verstellbaren Stuhl auf und läuft flugs zu mir. "Meine Güte, fast hättest du den Alarm ausgelöst, Junge!" Wie er gleich austickt! "Was ist das denn für eine Blume?" Er hat mich mehr als neugierig gemacht. "Das, so unscheinbar sie auch scheinen mag, ist die einzige Blume der Art Rosa Pulleiacea! Eine komplett schwarze Rose, die ich seit Jahren hoffnungslos studiere…" "Klingt nicht gerade nach dem grünen Daumen.", bemerke ich. "Spotte nicht, Bursche! Ich musste meinem Assistenten schon oft genug einbläuen, dass man auch über so etwas zugegebenermaßen Unspektakuläres keine Witze macht! Ich habe dieses Gewächs nicht so gut gesichert, weil es so schön anzusehen ist." Wir alle fahren erschrocken herum, als es ganz laut und vielstimmig klirrt. Während ein ächzender und überraschter Ludwig inmitten von einem Haufen Glasscherben liegt, betritt ein Unbekannter mit schmierigem Grinsen das Laboratorium und ergänzt Horatius' Hinweise: "Sondern, weil dieses Blümchen einen unbezahlbaren Wert für Toxikologen und Giftmischer hat, habe ich nicht Recht?" Ein platinblonder, kurzhaariger Kerl, der an die 1,90 groß ist, steht im Eingang. Kaum versucht Ludwig, sich aufzuraffen, tritt der Kerl ihn mit seinen hohen Stiefeln wieder zu Boden. Viel besorgter bin ich aber über diese Rüstung, die der Kerl trägt. Nieten, all die braunen Metallstücke, egal ob an Schultern, Brust, Armen oder Waffenrock sind über und über mit Noppen übersät. Diese Rüstungen habe ich schon mal gesehen, an zwei - nein, sogar drei Personen! Es sind dieselben, die diese zwielichtigen Gestalten in Klemensbürgen getragen haben, die orangehaarige Dame und der Titan. Und auch dieser Mann mit Brille in der Harpyienstadt hat unter seiner Kluft eine Rüstung dieser Machart gehabt. Ist das jetzt etwa eine Modeerscheinung? Ich wünschte, das wäre nur eine Modeerscheinung, aber das ist eher unwahrscheinlich.. "Man möge mir verzeihen, so ungebeten hereinzukommen, nur die Tür war gerade offen, da ließ ich mich ein." "Ihr schon wieder!", keift Horatius mit geballten Fäusten, "Gebt Ihr denn nie auf?! Die Rose steht nicht zum Verkauf!" "Das habt Ihr mir zu verstehen gegeben.", erwidert der Mann süffisant. Sein makelloses Gesicht, geschmückt von einem Henriquatre, ist bläulich verfärbt. Ist er ein Nymph? Ich kann keine Kiemen an seinem Hals sehen, er trägt nämlich einen blauen Schal. "Heute komme ich ja auch nicht mehr in friedlicher Absicht. Ich hol' mir dieses Unikat so oder so!" "W- worauf wartet ihr noch, ihr Exorzisten?!", brüllt Horatius, "Haltet diesen Spitzbuben doch auf, setzt ihn fest, macht irgendwas!" Der Unbekannte macht ein paar Schritte auf uns zu, bis er blitzschnell innehält und seinen Kopf zur Seite reißt. Ganz knapp verfehlt ein silberner Dolch sein Ohr, an dem ich einen silbernen, seltsam geformten Ring hängen sehe. Craylo, so todernst wie noch nie, rät: "Verschwinde bloß! Es ist Schluss mit lustig!" "Oho~!", tut der Kerl so, als sei er beeindruckt, "Da will mich jemand aufhalten?" Er zieht einen Degen. "Dir werd ich Beine machen!" Craylo pariert den ersten Streich mit Carod, anschließend holt er Dorac zu sich zurück, doch der Einbrecher kann wieder ausweichen. Er wirft Craylo beiseite, ich habe bereits gezogen, um ihn im Empfang zu nehmen! "Auch noch ein Kind? Wirklich, ihr verspottet mich!" Er benutzt nicht mal den Degen, sondern schlägt mir in den Bauch, zieht mir mit einem Fuß die Beine weg und rempelt auch Selet und den alten Horatius um. Wieder splittert Glas, eine helle Klingel geht automatisch los und verkündet das Offensichtliche. Behutsam nimmt der Dieb die schwarze Rose aus der Glocke, Horatius hängt sich verbissen an das Bein des Nymphen und wird wieder abgeschüttelt. Sobald Craylo aufgestanden ist, wirft er sich auf den Einbrecher, welcher nun nicht entkommen kann. Auf dem Boden ringen sie als ein Knäuel von unnachgiebigen Kontrahenten, sie schenken sich wirklich nichts. Grade will ich eingreifen oder nach Ludwig sehen, der immer noch in den Scherben liegt, da dringt schon wieder jemand ein! Wieder so einer in diesem komischen Rüstzeug, dies mal in Grau. Und sein Gesicht kann man noch nicht mal sehen, weil er es unter der blauen Kapuze seines wallenden Umhangs versteckt hält. "Leonard, was dauert das so lange? Ich dachte, du würdest dich beeilen.", will der zweite Unbekannte mit der Kälte eines Gletschers in seiner tiefen, strengen Stimme wissen. Sein ausgeglichener Schein ist bestimmt nur die Ruhe vor dem Sturm. Craylo guckt sich kurz nach dem anderen Mann um, Leonard schafft es prompt, freizukommen und schüttelt den Magier von sich ab - jedoch nicht die zwei Dolche, die sich erheben und rotierend Leonard nachstellen. Der Gesichtslose schnellt vor, flink, wie ich es von niemanden in so einer dicken Rüstung erwartet hätte und schnappt die beiden Messer mit einer einzigen Hand perfekt aus der Luft. Die metallenen Fingerglieder seines gepanzerten Armstulpen halten die Klingen fest umklammert. Einen Moment lang scheint alles still zu stehen. "General, Ihr hättet das nicht tun brauchen. Ich wäre auch alleine zurechtgekommen!", sagt Leonard, in seinem Stolz gekränkt. Der General zuckt mit seinen Schultern, die dank seiner Rüstung und des Umhangs noch breiter wirken, als sie ohnehin schon sind. Er pfeffert Dorac und Carod in eine Ecke und dreht sich um. Dann sagt er irgendetwas in einer Sprache, die sich anhört, wie ein arg abwegiger Dialekt der Cardighnischen Zunge. Egal, sie wollen abhauen! Gleichzeitig raffen Craylo und ich uns auf, um das zu verhindern. Leonard und der General gehen langsam wie bei einem Spaziergang. Sag mal, wollen die uns eigentlich auf den Arm nehmen?! Wir stürmen zur Tür heraus, hasten den Felsen hinab, den beiden Männern hinterher. Beide gucken uns über die Schulter hinweg an. Im Profil sehe ich die Habichtsnase des Generals. Leonard grinst. Sie laufen weiter. Na wartet, ihr Schufte, nicht mir uns! "Maljus, ich-" Craylo stolpert, stützt sich auf meine Schulter, sein ganzes Gewicht lastet plötzlich auf mir und zieht mich zu Boden. Ich hatte keine Ahnung, dass der so schwer ist!, denke ich, als ich auf dem Boden lande und mich kaum rühren kann. "Craylo, was ist denn?", rufe ich, "He, Craylo!" Ich schüttle den Magier, der ganz schlaff geworden ist. Seine Augen sind geschlossen, er atmet nur noch ganz ruhig, als… als schlafe er?! Ich renke mir fast den Hals aus, Leonard und der General tauchen gerade in den Nebel ein. Nein, verdammte Scheiße! Ich muss sie doch aufhalten! Der Nymph hat irgendwas von Giftmischen gesagt, er darf die Rose nicht haben! Aber was mach ich mit Craylo?! "Jetzt wach doch auf, du verdammter Hexer! Wie kannst du jetzt bloß wegratzen?!" Zu spät, die beiden Einbrecher sind kaum noch zu sehen! "Was ist denn mit ihm?" Sira traut sich aus meinem Umhang und umfliegt Craylo besorgt. "Keine Ahnung, plötzlich hat es ihn einfach umgehauen!", berichte ich. Ich kann mir die Arme taub rütteln, der ist nicht mehr ansprechbar! "Beim Impristinum, sag, dass meine Augen mir einen Streich spielen!" Horatius kommt gerade aus seinem Haus gelaufen. Wütend bis aufs Blut. "Ihr habt sie entkommen lassen?! Warte- eine… eine Víla?!" Nein, jetzt hat dieser Alte auch noch Sira entdeckt! Seine winzigen Zwergenbeine werden noch schneller, so kann sie sich nicht mal mehr verstecken, bevor er da ist. "Das ist doch jetzt unwichtig!", rufe ich hilflos, "Was ist mit Craylo?!" "Meine Güte, so viel auf ein mal, das verträgt mein Herz doch kaum!", lamentiert der Forscher lieber, anstatt mir endlich mal zu helfen. Sira platzt der Kragen: "Genug Geschwätz, ja, ich bin eine Víla, oh~ meine Terra, was für eine Sensation, jetzt helft uns doch, oder muss Mors erst einen Blitz in Euch fahren lassen?!" "Woher soll ich denn wissen, was der junge Mann-" Er hält in seiner Tirade inne und reißt seine Augen weit auf, nimmt mich in sein Blickfeld. "Halt, er ist doch nicht ganz unerwartet in einen tiefen Schlaf gefallen, oder?!" "Genau das!", bestätige ich gehetzt. Oh, scheiße, was hat Craylo denn?! "Schnell, dreh ihn um, irgendwo muss er bluten, vielleicht nur aus einem Kratzer. Hurtig, hurtig!", weist Horatius mich da an. Sofort wende ich all meine Kraft darauf auf, Craylo von mir auf seinen Rücken zu wuchten, suche verzweifelt irgendwelche blutenden Stellen. Da, da! Ein Stich am Unterarm! Horatius rastet schier aus: "Meine Befürchtung bewahrheitet sich! Junge, wenn du wüsstest, was er hat!" "Spannt mich nicht auf die Folter!", bitte ich - um das mal höflich auszudrücken. "Euer Meister ist eindeutig vergiftet worden! Mit dem Gift der Rosa Pulleiacea!" VII. "Oh man, und ich hab grade meinen Kater bei unserem Aufbruch in Seestfor vergessen…", stöhnt Ludwig mit einer Hand an seiner einbandagierten Stirn. Er ist fast vollkommen weggetreten gewesen, nachdem dieser Leonard ihn in eines von Horatius' Experimenten geworfen hat. Es ist schön zu sehen, dass er noch so gut Witze machen kann. Mir ist bloß nicht nach Lachen zumute. Eigentlich niemanden. Gemeinsam haben wir Craylo auf eine der Liegen gebettet und uns um ihn versammelt, um zu besprechen. "Ich wollte es vorhin ja erwähnt haben, ehe dieser Rüpel uns überfallen hat…", beginnt Horatius, "… denn die Rosa Pulleiacea ist eine sehr gefährliche Pflanze. Und vielleicht hätte ich sie auch verkauft, wenn sie harmlos gewesen wäre, nur ist sie das eben nicht. Die Schwarze Rose verfügt über ein ungeheuer starkes Toxin, eines der schnellstwirkenden Gifte, die mir je untergekommen sind. Minuten müssen bloß vergehen, damit es seine Wirkung entfaltet." "'Tschuldigung, aber mein Kopf kommt grade nicht ganz mit… was genau heißt das?", fragt Ludwig für uns alle nach und beschwört ein Seufzen des Gelehrten herauf. Wenigstens wird er jetzt ausführlicher: "Nun, es bedeutet, dass dieser Mann, als er mit Herrn Craylo gekämpft hat, ihn wohl irgendwie mit der Rose erwischt hat; beabsichtigt oder zufällig, ich weiß es nicht. Die Dornen der schwarzen Rose sind spitz und lang genug, dass man sie wirklich nur mit dicken Handschuhen und langen, nicht losen Ärmeln anfassen sollte." Da freuen wir uns für diesen Leonard, der hat diese Voraussetzungen nämlich wunderbar erfüllt. Horatius erklärt weiter: "So ist Herr Craylo also vergiftet worden. Minuten später, als er und der Junge hier versucht haben, die Schurken noch zu fassen, hat das Gift seine Wirkung entfaltet. Aus eigener Kraft…" Horatius schlägt seine Augen mitleidig nieder. "… wird er nicht mehr aufwachen können. Ich habe das Gift an ein paar Tieren ausprobiert. Die Folge war, dass sie schlafend ausgetrocknet sind." "Mors sei geduldig!", haucht Selet voller Furcht. Wie aus Reflex schlucke ich bei der Vorstellung. "Was können wir tun, um das zu verhindern?" "Nichts, was in eurer Macht stünde." "Wieso nicht?!", regt Sira sich wieder auf, "Weil wir keine studierten Giftmischer und Universalgelehrten sind?!" Ich schreite ein, bevor sie noch ausfallender wird: "Sira, lass ihn. Er kann nichts dafür." Er mag ein Unsympath sein, wenn er von seiner Arbeit spricht, dennoch sind wir auf seine Hilfe angewiesen. "Horatius, Ihr habt doch diese Blume erforscht-", beginnt Ludwig. "Jahrelang habe ich das!", versichert der Zwerg stolz. "Gibt es denn kein Gegenmittel für das Gift?" Der alte Zwerg grübelt, knetet nachdenklich seine Unterlippe. Ab und zu öffnet er den Mund, sagt dann aber doch nichts. Schließlich erläutert er: "Jemand hat sich an der Herstellung eines solchen Mittels versucht…" "Aber?" "Er hat es irgendwann aufgegeben und gesagt, dass die Anwendung viel zu selten geschehe, um die Sache wert zu sein. Allerdings ist das-" "Gibt es denn keine Hoffnung für Craylo? Wo ist dieser Mann, der das Gegenmittel herstellen wollte?!", fragt Sira. "I- irgendwo im Nymphenreich, wenn mich nicht alles täuscht! Er heißt Hildrian, sein Bruder war einst bei mir in der Lehre. Es ist aber unmöglich, dass ihr rechtzeitig das Nymphenreich erreicht, das dauert knapp vier Tage, meine Dame. Genug, damit Herr Craylo-" "Sagt so etwas nicht, bevor sie es nicht versucht haben!", erhebt Ludwig seine Stimme und zückt ein paar Phiolen. "Ich habe hier bestimmt etwas, womit wir Craylos Flüssigkeitshaushalt etwas länger stabil halten können." Horatius ist ganz vom Hocker, Ludwig voller Tatendrang. Eindringlich guckt er zu Selet und mir. Ich kann erraten, was ihm vorschwebt, also verspreche ich: "Wir werden diesen Hildrian finden! Und ihn dazu bringen, das Gegenmittel fertigzustellen!" "Bravo, Maljus! Ich halte solange hier die Stellung. Vielleicht können Meister Horatius und ich ja selber eine Lösung finden. Nicht wahr?" "Ich… ich werde mein Bestes versuchen!", verspricht der alte Zwerg drucksend. "Nur… dürfte ich eine Gegenleistung verlangen?" Siras kleine Stirn zeigt Runzeln. "Ich würde gerne die Víla untersuchen." "Das fordert ihr für Craylos Leben?", hinterfragt Sira schnippisch. Energisch breitet sie ihre Arme aus. "Nur zu, seziert mich doch auch noch, wenn Ihr schon dabei seid! Aber ich schwöre Euch bei Sols brennendem Haarschopf, wenn ihr Craylo auch nur die Schwelle von Mors' Haustür betreten lasst, dass Ihr nicht ungeschoren davon kommt!" Haua, jetzt ist er aber klein geworden, noch winziger als er ohnehin schon ist! Sira trägt ihre Nase sehr hoch, als sie nach draußen fliegt. Horatius sackt auf seinem Stuhl zusammen. "Nichts für ungut. So ist sie manchmal.", sage ich zu Horatius und "Wir werden uns beeilen." noch zum Abschied, dann sind auch Selet und ich durch die Tür. Der Nebel lichtet sich langsam. Perfekt für einen Aufbruch zum Nymphenreich. So verlieren wir keine Zeit, steigen auf den Rappen und machen uns auf, treten diesen Wettlauf um Craylos Leben an. Und im See treibt ein winziges Boot zwischen den Brückentrümmern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)