Weihe des Siegelschwerts von Ubeka ================================================================================ Capitulum XII: Turm von Sepromor - Zeit für den Abschied -------------------------------------------------------- I. Ich bin selbst noch ganz verwirrt, als ich bereits den Turm betreten habe, dessen Außenwand eher an ein übergroßes Amphitheater erinnert, als an das Gefängnis, das es laut Sira und dem Irrlicht ein mal gewesen ist. Rio hat sich wie ein Berserker durch alle Eisenmänner geschlagen, sie mit einfachen Hieben beiseite gefegt wie lästige Fliegen und ist mit einem Schrei auf den Lippen im Inneren von Sepromors Vollzugsanstalt verschwunden. Und wir sind, wie wir halt so sind, gleich hinterhergerannt, um ihn bereits im ersten Saal in der Form eines großen Achtecks aus den Augen zu verlieren. Alex und Craylo hängen etwas hinterher, weil sie sich erst überwinden mussten, mitzukommen. Eigentlich verständlich, aber wenn Rio hier weiter so aufräumt, brauche ich mir keine Sorgen mehr um Geras' Schergen zu machen. Nur um den Verbannten selber. "Geras galt lange Zeit als Prometheus' rechte Hand und soll weit über ein herkömmliches Sterblichenalter hinausgelebt haben, weil er sich stets von jungem Blut ernährt hat. Ganze Völker sollen alleine von ihm gerichtet und ausgesaugt worden sein, deswegen nennen wir ihn den Blutdieb." Es läuft mir kalt den Rücken herunter bei dieser Geschichte. "Und Geras ist einfach so aus dem Nichts aufgetaucht?!", fragt Sira irritiert. "Ja. Jemand muss ihn aus der Unterwelt befreit haben, ich glaube kaum, dass er selbst aus dem Exil entkommen ist.", erwidert das Irrlicht. "Sira, hast du den selben Verdacht wie ich?" Ich nenne es Verdacht, dabei hat mir ein Geist namens Forsiano klipp und klar gesagt, dass Dyonix es gewesen ist. Aber wie lächerlich klingt das bitte, wenn ich jetzt erzähle, dass ich in meinen Träumen den Schwertkampf übe und erfahre, was mein Gegner tut? Aber so habe ich das noch gar nicht gesehen: Forsiano verfügt über ein wahrhaftiges Allwissen. Er konnte problemlos all meine Opponenten erscheinen lassen letztes Mal, wusste immer sofort bescheid, wenn ich einen neuen Kampf bestritten hatte, und ist besser im Bilde über die Handlungen des Consultoris Maximi als wir. Selbst für einen Geist ist das eigenartig. "Schon längst!", prahlt Sira derweil, "Vermutlich wusste ich es noch vor dir!" Sie ballt ihre Hände zu winzigen Fäusten und macht ein erzürntes Gesicht dazu. "Das war vermutlich nur eine Fingerübung für später; wenn er versuchen wird, auch Prometheus in unsere Welt zu bringen!" "Sepromor birgt viele Weissagungen aus alten Tagen, die von einer Rückkehr der Umgedrehten Männer sprechen.", wirft das Irrlicht urplötzlich ein, "Auch solche, die von einem heiligen Schwert sprechen. Es gibt sogar heute noch Räuber, die solche Schriften stehlen…" "Das kann aber nicht zufällig eine rothaarige Harpyie, gewesen sein, o~der?", vermutet Selet gewitzten Grinsens. Das wär' ein Ding, wenn das tatsächlich Kora gewesen wäre! Das Irrlicht ist genauso überrascht wie ich und merkt an: "Du musst eine der beeindruckendsten Hexen sein, die ich meinen Lebtag getroffen habe! Woher in Mors' ewigem Namen weißt du das?!" Selet lacht kindlich froh in sich hinein, weil sie richtig gelegen hat. Sie speist den Geist ab mit: "So ist das, wenn man viel herumkommt." "Ähm, apropos Schwert…", durchbricht Sira das kurzweilige Gespräch. Anklagend starrt sie die Hexenprinzessin an. "Wo ist eigentlich das Schwert abgeblieben…?" "Ich hab's nicht!", rufe ich sofort, "Ich hatte es schon in der Nacht der Entführung nicht dabei!" "Keine Sorge, wir haben es extra mitgenommen und brav darauf aufgepasst!", hebt Selet uns eine enorme Last von den Schultern. "Und we~r passt jetztdarauf auf?", fragt Sira mit steigender Ungeduld in ihrer hohen Stimme. Selets Miene erstarrt ertappt, Craylo blinzelt ein mal. Dann entsinnt er sich langsam: "Das hatte doch Rio als Letzter bei sich, oder?" Die Ruhe vor dem Sturm. "… Schnappt euch sofort diesen lebensmüden Dunkelelf, bevor ichnoch zur Gefahr werde!" Noch ist Rios Weg nachvollziehbar, all die Sandschichten verraten uns ungefragt, dass er schnurstracks dem geraden Gang zur Turmmitte gefolgt ist. Griselda und Craylo haben sich mit Fackeln bewaffnet und erleuchten uns den Weg. Es hat ein paar nicht weiter erwähnenswerte Zusammenstöße mit den letzten Überbleibseln von Geras' Heer gegeben, aber keiner hat wirklich mehr als ein paar Schrammen zu beklagen. Das kann aber nicht allein Rios Werk gewesen sein, da muss auch ein ganz bestimmter Mors-Krieger seine Finger im Spiel gehabt haben! Plötzlich entfernen sich die Wände voneinander, der Gang weitet sich zu einem gewaltigen Rundgang aus meterhohen Säulen mit schräg anliegenden Stützbalken, auf denen das schräge Deckenkonstrukt lastet. Ich kann ein paar verblasste Malereien über uns ausmachen, aber es ist zu dunkel und der Zahn der Zeit zu unnachgiebig gewesen, als dass ich Einzelheiten erkennen könnte. "Sag mal, hört ihr eigentlich auch dieses Plätschern?", fragt Alex. Wir gehen noch ein paar Schritte und sehen, was er meint. Das schwarze Wasser dünkt mich zu brennen, sobald es vom Fackelschein berührt worden ist. Ganze Wasserfälle aus ölig glänzendem Schwarz fließen in bogenförmigen Aussparungen der kreisrunden Mauern vor uns hinab und lassen nur die mit Blattgold bemalten Pforten frei. "Und der Wurm ist auch schon wieder da. Und diesmal hat er sogar alle Anhängsel dabei!" Mit abfälliger Mimik tritt Typhon durch einen Wasserfall hindurch, ohne dass ein Tropfen an ihm haften bleibt. Ein wenig verkohlt sieht er ja aus. "Na, ist da oben im Schädel auch wieder alles in Butter?" "Du schon wieder…", presse ich mit Beherrschung hervor, "Und ich hab gehofft, die kleine Feuerprobe vorhin hätte dir wenigstens deine Zunge verbrannt!" "Fällt das eigentlich bloß mir auf, dass wir noch häufiger als sonst an Dämonen geraten, seitdem wir diesen Kindern ständig unter die Arme greifen?" "Ein Exorzist lebt dafür, zu helfen und sich den Ungeheuern zu stellen! Maljus, bange nicht, wir werden dir beistehen!" "Ich glaube nicht…", beginnt Typhon, "… dass er für diesen Kampf eure Hilfe möchte." Sein Auge verengt sich. "Nicht wahr, mein Ebenbild?" In mir kocht die Galle über, wenn ich ihn so überheblich reden höre, aber er trifft den Nagel auf den Kopf. Diese Kreatur der Dunkelheit trägt mein Gesicht mit größter Selbstverständlichkeit, versteckt sich hinter meiner Stimme und ahmt meine Haltungen nach. Wie bei einem friedlichen Plausch lehnt er sich an einen dekorativen Pfeiler, scheint zu warten. Er reizt mich noch mehr, indem er lacht: "Na los, setz dich in Bewegung! Ich will dir diese Hellebarde aus der Hand reißen, sie zwischen meinen Zähnen zermalmen und deinen Kopf aufspießen!" "Lass dich nicht von ihm provozieren, Maljus, hörst du?!", ruft Alex. "Nun, ich sag ja nicht, dass es schnell gehen muss…" Typhon zuckt lässig mit den Achseln. "Aber ihr wollt ja vermutlich zu Geras. Und den Weg dahin versperre ich." Behaglich schreite ich auf Typhon zu, wobei ich ihm fest ins Auge sehe. Das scheint an dem inhaltslosen Weiß allerdings abzuprallen. Dennoch frage ich eindringlich: "Gehörst du etwa auch zu Geras?" "Ach, Geras! Geras ist nichts weiter als ein kleiner zusätzlicher Faktor hier. Ich komme ihm nicht in die Quere, er lässt mich meines Amtes walten." Er leckt sich mit seiner verfaulten Zunge über die Lippen. "Aber das auch nur, weil er noch nicht weiß, dass du die Nachfolge des Mannes angetreten hast, der Geras' Kameraden auf ewig verbannt hat." Typhon schüttelt sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, ein wenig zu ruhig, sodass ich meine Chance wittere und blitzschnell in den Spurt übergehe, um ihm eine volle Breitseite mit der Hellebarde zu verpassen. Unsere Blicke begegnen sich. Seiner ist belustigt. "Und ab zu dem anderen Spitzohr mit di~r!", singt er, legt plötzlich einen Hebel an dem Pfeiler um und stößt noch ein kurzes Lachen aus, das hallend erstirbt, weil ich wie aus dem Nichts ins Leere getreten bin und ins Ungewisse hinabstürze. Nein, nicht schon wieder diese Masche! Nicht schon wieder ein Sturz, der meinen Tod bedeuten könnte! II. "Also bist du auch schon da?" Es sind apathisch ausgesprochene Floskeln wie diese, die ich wohl nicht im Geringsten an Rio vermisst habe. Mit genau dieser hat er mich begrüßt, nachdem ich meine Kletterpartie beendet und gerade wieder meinen Puls beruhigt habe. Ich muss Tempus mal ein Opfer darbringen, nur um mich für die eingestürzte Innenwand, auf der ich sicher gelandet bin, zu bedanken. Sie befindet sich nicht weit unter dem Loch, durch das ich gefallen bin, und von ihr aus konnte ich dann ein paar Kapitelle und Stützstreben hinabklettern. Rio hat mir erklärt, dass er es ganz ähnlich gemacht hat. "Diese Ratte von Dämon war nicht begeistert, als sie bemerkt hat, dass ich nicht du bin.", erzählt er auf dem Weg heraus aus der knochengefüllten Grube unterhalb des Falles. "Warum bist du auch vorausgerannt?! Wir hätten zusammen vielleicht etwas gegen Typhon tun können." "Das verstehst du nicht.", versucht Rio, mich abzufertigen. Das denkt der sich wohl! Drum halte ich entgegen: "Das versteh ich wirklich nicht; dass man sich allein einer Legion stellt. Also erklär's mir!" "Was verstehen Leute wie du eigentlich nicht daran, wenn jemand nicht mit ihnen reden will?" Mir fällt kein guter Konter dazu ein. Urplötzlich ist die Unterredung beendet und ich fühle mich nicht nur wie der Verlierer dieses Schlagabtausches, sondern auch noch schuldig. Dreck. Ach, soll er doch der Geheimniskrämer bleiben. Ich lass ihn nicht mehr so einfach aus den Augen! Wir haben den Kerker der Feste erreicht. Wohin man auch sieht, bis die Sicht sich in schwarzen Schleiern verliert, säumen Gitterstäbe den Gang. Manche sind bös verbogen, alle von braunem Rost entstellt und falls noch irgendjemand in diesen Zellen haust, dann sind es Asseln, Skorpione und Gebeine. Und dieser Dämon, der mich heute einfach nicht in Ruhe lassen kann. "Beide noch am Leben? Jetzt bin ich enttäuscht!" "Ich hoffe für dich, du hast den anderen kein Haar gekrümmt!" "Sie sind nicht in meine Falle getappt und interessieren mich nicht. Sind einfach weiterspaziert und erkunden den Turm ein wenig." "Du lügst wie gedruckt!" Will er mir erzählen, sie haben sich nicht um mich geschert? "Nun, sie denken wohl, dass dir der Sturz nicht bekommen sein kann. Aber besonders mitgenommen davon waren sie auch nicht, finde ich. Das enttäuscht dich, nicht wahr-" "Spar dir dieses hässliche Grinsen, du Kopie!", schneide ich ihm das Wort ab. "Versuch doch, es mir auszuprügeln. Und was ist mit dir, Rio~?" Der Dunkelelf bedenkt ihn mit nur einem direkten Blick und entgegnet: "Mit dir räudigem Abschaum kämpfen? Da beliebt wohl jemand zu scherzen." "Ah, natürlich, du musst Geras' Bekannter sein, wenn mich nicht alles täuscht." "Geht es dich was an, Abbild?" Das erste Mal, das ich dieses Wort so abfällig ausgesprochen höre. Typhon nimmt das zu meiner Überraschung aber mehr als gelassen und macht sogar einen Schritt zur Seite. Einladend sagt er: "Niemand will dich aufhalten." "Moment mal, Rio, du willst mich doch nicht allein lassen, oder?!", frage ich ihn. Er reagiert nicht und spaziert stumm an Typhon vorbei. Als ich ihm hinterher will, um ihn zu packen und herumzureißen, versperrt Typhon mir gleich wieder den Weg. Nervös halte ich inne, probiere, an ihm vorbeizukommen, doch er verfolgt jeden meiner Ausfallschritte. Ich traue mich einfach nicht, ihn anzurempeln. "Geh mir aus dem Weg.", knurre ich hilflos. "Bring mich dazu.", flüstert Typhon. In voller Alarmbereitschaft entferne ich mich rückwärts von ihm, da er den Arm hebt. "Oh, was denn? So viel Angst? Dabei hast du ja noch nicht mal gesehen, was ich für dich vorbereitet habe!" Er winkelt seinen Arm leicht an und lässt den Oberarm schnell kreisen. Er kann doch nicht etwa eine neue Waffe haben, oder?! Anfangs hatte er doch nur ein Schwert! Rasselnd kreist eine lange Kette dort, wo mal seine Hand war, die Faust wird zu einem dunklen Klumpen, aus dem krumme Zacken wachsen. Das ist ein Flegel, eine Metallkugel mit Stacheln an einer Kette! Na großartig, es wird immer besser! Ein letztes Mal brülle ich aus voller Kehle nach Rio. Er hört immer noch nicht und Typhon kommt näher, die Kugel kreisen lassend. Dann hilft wohl alles nichts! Ich greife die Hellebarde mit beiden Händen wie eine Lanze und stoße sie geradeaus in Typhons Richtung. Er weicht aus, entlässt die Kugel aus ihrer Kreisbahn direkt in meine Richtung. Mit einer Rolle links entkomme ich noch, versuche noch mal, mein Ebenbild aufzuspießen, dies mal vom Rücken. Als er versucht, auszureißen, bleibt er an einer der vielen Spitzen hängen, ich reiße mit aller Kraft die Hellebarde herum und schmeiße Typhon zu Boden. Das hat gesessen! Zu früh gefreut, schon kommt die bewehrte Kugel wieder auf mich zu. Ich glaube, entkommen zu sein, da merke ich, dass sich die Kette um den Schaft meiner Waffe gewickelt hat. Typhon packt die Kette mit seiner verbleibenden Hand und zieht an. Ich zerre dagegen. Er zieht auf einmal ganz besonders heftig, ich fliege regelrecht durch die Luft. Während ich stolpere, unternehme ich einen verzweifelten Versuch, den Schwung auszunutzen und dies mal wirklich die Klinge der Hellebarde in Typhons narbenzerfressenen Körper zu treiben. Ich hab sowieso nicht erwartet, dass das klappt, denke ich, sobald ich auf dem Boden liege. Ich höre schon die Kette rasseln und den Morgenstern rotieren, also quäle ich mich wieder auf die Beine und schwinge mit der Klinge ein mal horizontal in Typhons Torso. Vor Schmerz knickt er ein und die Kugel gräbt ihre Klauen in den Boden. Soll er hier unten verrotten, ich halte mich nicht länger mit ihm auf! "W… was denkst du… wohin du gehst?!", ächzt Typhon, nachdem er wohl nur noch meinen Umhang flattern sieht. "Mich mit wichtigeren Dingen beschäftigen als mit dir!" Es musste einfach sein. Er wird mir folgen, falls er noch laufen kann, aber weit wird er nicht kommen. Ich kauf mir Rio! Soll Selet mal sehen, wieviel sie dann noch an ihm hat, wenn ich ihr auftische, dass er immer noch sein eigenes Ding durchziehen will. Das macht mich vielleicht rasend! "Du gehst nirgends hin!" Weiß der Diabolus, wie, aber Typhon hat es schon wieder auf die Beine geschafft, sowie mich mit der Kugel im Rücken zu treffen. Ich schleife über die kalten Steinplatten, meine Knie sind aufgeschürft und ich hab das Gefühl, meine Zähne sitzen auch nur noch halb so fest wie vorher. Spüre ich meine Beine überhaupt noch?! Ich glaube fast nicht! Ah, jetzt, na endlich! Typhon schreit durch den Gang: "Du wolltest wegrennen?! Dich mit was Wichtigerem beschäftigen? Was ist denn wichtiger, als um dein beschissenes Leben zu kämpfen?! Weißt du, wie ich es hasse, wenn Leute mich ignorieren, lieber… ihr eigenes Ding durchziehen?!" Ich habe es wohl ganz außer Acht gelassen, aber jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Typhon und ich… Spiegelbilder, natürlich. Er verspürt die gleiche Wut wie ich, sein Zorn gibt ihm die Kraft, wenn er mich packt und zum Handeln zwingt. Ich drehe mich unter schweren Schmerzen herum, taste zittrig nach der Hellebarde. Aber da ist noch was, wenn ich in seine hasserfüllten Züge blicke und weiß, dass ich genauso schaue, wenn ich kämpfe. Ich erhebe mich und lächle schwach. Ja… wenn ich da dieses Gebälk und ihn sehe… das könnte klappen. "Schon voller Vorfreude, gleich abzutreten?", keift der Dämon. Er bleckt die Zähne und stürzt damit auf mich! Verflucht, damit hatte ich nicht gerechnet! Ich halte ihn mit einem Tritt au Abstand, schwinge mich hoch und richte die Hellebarde auf die Balken. Nun komm schon, Magie oder göttlicher Schutz, jetzt wird's knapp! Flammen züngeln, drei der alten Holzbalken brennen lichterloh, direkt über Typhon, der gebannt dort hinsieht. Das hat er nun davon, die Wut hat ihn blind gemacht - und jetzt macht das ein Haufen Schutt, als die altersschwachen Stützen bereits aufgeben und die Deckenlast nicht mehr tragen können. Ich springe zurück, während eine Staubwolke aufquillt. Von Typhon ist nichts mehr zu hören und zu sehen, gewaltige Trümmer haben den gesamten Gang verschüttet. Ich lasse die Hellebarde los und mich auf die Knie fallen, sobald ich mir sicher bin, dass er das nicht überlebt haben kann. III. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Es könnte wieder ein ganzer Tag gewesen sein, oder auch nur Sekunden. Ich fühle mich so gut wie gar nicht erholt, aber jetzt ist keine Zeit, Müdigkeit vorzuschützen. Oh je, ich fange schon so an wie Sira… aber ich habe wirklich wieder mal Zeit verschwendet, jetzt hol ich Rio bestimmt nicht mehr ein! Ich schöpfe etwas Hoffnung, weil der Gang immerhin keine Abzweigungen hat und mir die Entscheidung abnimmt, wohin Rio gegangen sein könnte. Was machen Selet, Sira und die anderen wohl durch? Es macht mich krank vor Sorge, nicht zu wissen, ob sie sicher sind. Aber… ist das überhaupt gerecht, wenn ich so denke? Ich habe genauso eine Stiefschwester, die ich ohne Weiteres zurückgelassen habe, eine Pflegemutter, von der ich mich gelöst habe, als wäre ich nie dankbar für ihren Schutz und ihre Fürsorge gewesen. Vielleicht sind ja weitere Skelettmänner erschienen und haben Welsdorf angegriffen, vielleicht hat Dyonix wieder mal schnell genug gedacht und sogar herausgefunden, wer meine Familie ist. Was bringt es überhaupt, das jetztzu bedenken?! Jetzt ist es zu spät! Die Milch ist bereits verschüttet, ich bin fortgelaufen, habe die Mission angetreten, um zu verhindern, dass dieser machtgierige Premier tun und lassen kann, was er will. Ich werde Fortuna bitten, Alid und Sara zu beschützen, solange ich nicht da bin, ich muss einfach hoffen, dass sie in Sicherheit sind, und währenddessen selber nachhaltig dafür sorgen, dass ihnen keine Gefahr durch Prometheus oder Dyonix droht. Sira hat doch ganz recht, wenn sie mich drängt. Ich vertu jetzt keine Zeit mehr! Sofort laufe ich doppelt so schnell. "Du solltest nichts überstürzen, Maljus. Hier unten wimmelt's vor Fallen." Ich halte an und spüre die Sandalen kurz über den Boden rutschen. Dann schaue ich zwischen einige zerbrochene Gitterstäbe. Im Halbdunkel der karg eingerichteten Zelle hätte ich den braun gebrannten Mann in seinem wie stets schwarzen Gewand nie bemerkt. Und Geras hätte das ebenso nicht, leuchtet mir ein. Deshalb sitzt der so gemütlich hier und grinst mich schief an. Verschmitzt lächle ich ebenfalls. "Du änderst dich auch nie, oder, Ludwig?" Mir wird klar, wie wahr das sein mag. Immerhin ist er Mors-Krieger. "Dafür hast du dich aber ganz schön in Schale geworfen. Sag mal, das sind aber nicht zufällig die Sachen aus der Truhe in meiner kleinen Tränkeküche?" Er deutet auf meinen Umhang und die Tunika. "A- ach die? Oh, die waren nun mal so da und da dachte ich…" "Ts, da nimmt er einfach das Zeug von Hilford, kann man das glauben? Aber keine Angst, er braucht sie wohl nicht mehr. Und mir passen die nun leider wirklich nicht mehr." Er lacht. "Ist dieser Hilford wohl auch ein Mors-Krieger?" "Gewesen, ja.", erwidert Ludwig ernster, "Ein etwas magerer Zwerg, aber ein guter Freund. Ich nehme an, du weißt jetzt, wer oder was wir sind?" In seinen Augen liegt etwas Trauriges, vermischt mit tiefer Reue. Ich halte es nicht für angemessen, etwas zu sagen, sondern nicke bloß. Ludwig seufzt. "Tja, ich schätze, das muss ganz anders wirken, wenn du jetzt weißt, dass ich gut und gerne fast zweihundert Jahre auf dem Buckel habe. Selbst für Albae 'ne ganze Menge." Er räuspert sich, weil er merkt, dass er abdriftet. "Aber gut, du wirst grade ganz andere Sorgen haben - genauso wie ich. Warum bist du überhaupt hier?" "Das ist eine längere Geschichte. Kann ich dir das nicht unterwegs erzählen?", bitte ich ungeduldig, "Ich weiß schon, wer hier momentan für Unruhe sorgt." "Man, ist ja richtig zum Fürchten, wie du mich heute überraschst! Also gut, Maljus, dann geh'n wir mal, ist sowieso zu ungemütlich hier unten für eine Unterhaltung." In seinem Inneren brannte es wie in einem Hochofen. Jedoch nicht wegen der vielen Schnitte, die ihm die Diener Geras' beigebracht hatten, und auch nicht, weil die Anstrengung seinen salzigen Schweiß in selbige trieb, sondern weil ihn nur noch eine Tür von seinem Ziel trennte: die riesige Stahlpforte, die fast lautlos aufschwang, als er sich dagegenstemmte. Sie befand sich direkt unter dem Dach des riesigen Turms, in Windeseile hatte er Stufe für Stufe erklommen und Stockwerk für Stockwerk erobert, um den Triumph auszukosten, der ihm gleich beschert würde. Noch während er eintrat, wurde er schon begrüßt: "Viele Jahre sind vergangen, junger Spross von Dunkelheit und Licht. Oder waren es nicht mal Jahre, seit wir uns zuletzt gegenübergestanden haben?" "Es waren viel zu viele Jahrzehnte, die ich dir gelassen habe, Geras. Du Bestie!" Geras' Lachen hatte seinen Ursprung irgendwo zwischen den vier silbernen, übergroßen Rüstungen, die ihre Arme auf den Knäufen ihrer steinernen Schwerter lasteten. Ihre Helme waren mit roten, abscheulichen Mustern bedeckt, die Augen - alle ungerade an der Zahl, aber nie gleich viele - hatte der Erbauer wahllos in die Metallschädel gestanzt. Vieles des humanen Erscheinungsbildes ging durch geschwungene Kanten und faltenartige Erhebungen im Metall verloren. "Du redest so, als wärest du damals Sieger gewesen. In der Unterwelt hast du jedoch nie gewonnen, bis du verschwunden bist. Wie du das bloß geschafft hast… seit meiner Verbannung sollen über fünfhundertfünfzig Jahre vergangen sein." Als ob sie nie tot gewesen wären, entfernten sich die Metallgeschöpfe einen Schritt voneinander. Rio rümpfte die Nase. Dass die Zeit auch für Geras offenbar stehen geblieben war, machte sein gar jugendliches Aussehen wunderbar deutlich. Wallend fielen silberne Haarsträhnen seine Schultern hinab auf die Schultern seines Lederumhanges und kantig an ihm waren nur seine aufragenden, angewinkelten Ohren. Er hatte sich ein wenig verändert, das sah Rio, hatte jedoch keinen Grund daran zu zweifeln, dass es wirklich Geras war, dessen Robe mit Diamanten gesprenkelt war. "Ich würde nur Zeit verschwenden, wenn ich dir erklären würde, warum ich hier sein kann." In Rios Brustkorb machte sich ein unangenehmes Ziehen breit; er zeigte es nicht. Geras stand nicht auf von seinem Thron, einem Baumstumpf der Dunkelheit zwischen seinen Leibwächtern. Er zeigte seine makellosen Zähne und begutachtete aus der Ferne den Anderthalbhänder in Rios Händen. Dabei sagte er: "Wenn du nicht länger sprechen willst, sollten wir wieder reden wie früher!" "Das einzige mal in tausend Jahren, dass wir gleicher Meinung sind." Ein Blitz zuckt vom Himmel herab. Kurz verwandelt sich alles in nichts weiter als ein Gebilde aus Schwarz und Weiß und obwohl es nicht mal eine Sekunde anhält, kann niemand anders, als innezuhalten und durch die riesigen Rundbögen zu starren, unter denen die Dünen wie ein im Sturm vereistes Meer ruhen. Verunsichert frage ich Ludwig mit nur einem Blick. Da haucht er bereits "Heilige Magna Mater…", als der rabenschwarze Himmel einstürzt. Anders kann man die Fluten, die herabregnen, nicht beschreiben. Der Wind plärrt durch alle Öffnungen und schreit wütend unbekannte Wörter, sobald er die dickbäuchigen Wolken über den Horizont gestoßen hat. Wo grade noch Sterne waren, findet nun ein Wolkenbruch statt - ausgerechnet mitten in der Wüste! Der erste Gedanke, den meine Angst mir einflüstert, ist zugleich der schlimmste: Der Weltuntergang. Nein, realisiere ich, nicht der Weltuntergang, sondern nur sein Vorbote. Die Entladung der Siegelkräfte, dies mal nicht mehr so harmlos wie endlos treibender Wein, sondern ein Sturm, wie es ihn noch nie gegeben hat! Das mag vielleicht grade mal der hundertste Teil der Mächte sein, die den Umgedrehten König festhalten, also was stünde uns erst bevor, sollte er sich wirklich befreien? Ich will es gar nicht herausfinden! Ich reiße mich los und signalisiere Ludwig, dass wir weiter gehen sollten. Alles, was uns momentan leitet, ist sein Lichtschwert, dessen Klinge sichtlich erzittert. Je höher wir gestiegen sind, desto heftiger schlug sie aus. Und ständig führt der Weg uns vorbei an erneut leblosen Rüstungen. Ich fürchte, dass uns weiter oben nicht nur Geras erwarten wird, sondern auch Rio. Wenn man den Leuten doch manchmal nur in den Kopf schauen könnte, dann wüsste ich, was das überhaupt soll. Er ist ausgerastet, sobald er den Namen Geras gehört hat. Kennen die beiden sich? Aber woher? Wie hängen ein Shikigami, der die ganze Zeit in einem Stück Papier gewartet hat, bis er beschwört wird, und ein Dämon, der vor fünfhundert Jahren verbannt worden ist, zusammen? Vielleicht kann mir Ludwig ja helfen: "Was weißt du eigentlich über Geras?" "Nicht viel mehr, als dass er ein treuer Untergebener des Umgedrehten Königs war, bis er hier verurteilt worden ist. Man hat ihn in die Unterwelt geworfen und seitdem sich keine Gedanken mehr um ihn gemacht. Normalerweise kehrt niemand aus Mors' Reich zurück, wir wussten bisher nicht mal, ob man dort sterben kann. Geras hat es auf jeden Fall geschafft." Er sucht kurz nach den richtigen Worten. "Etwas anderes solltest du aber wissen. Wenn wir Geras gegenüberstehen… dann konzentriere dich nicht darauf, ihn zu bezwingen.", rät Ludwig mir eindrücklich. "Ich will nicht wissen, was er sich dabei gedacht hat, aber ich verwette meine Unsterblichkeit drauf, dass er ganz oben auf uns wartet, wo es vor Portalen nur so wimmelt. Wenn es uns gelingt, ihn in eines zu schubsen, haben wir schon gewonnen. Dann werden wir ihn erneut verbannt haben!" "Aber was soll das denn bringen?", muss ich aufgebracht einwerfen, "Dann wird er wieder nur warten müssen, dass Dyonix ihn befreit!" "Oh, mach dir darum mal keine Sorgen. Ich weiß genug über Verbannungen und Beschwörungen, so schnell wird Dyonix nicht wieder die Gelegenheit haben, ihn zurückzuholen. Und vorher machen wir ihm einen Strich durch die Rechnung!" "Du willst uns begleiten?" Das kommt jetzt ein wenig plötzlich. "Natürlich! So wie die Dinge jetzt stehen, gehört es zu meinem Aufgabenbereich, Dyonix das Handwerk zu legen. Wir Mors-Krieger bestrafen Dämonen und Umbramanten, wo wir nur können. Na ja, oder wir greifen anderen, die das auch machen, unter die Arme. In diesem Fall musst dumiraber unter die Arme greifen. Geras bin ich beileibe nicht gewachsen." Ich spüre, wie es mir eiskalt den Rücken hinunterläuft. Ein Dämon, bei dem selbst Ludwig schwarz sieht. Hoffentlich bin ich dem wirklich gewachsen. Einige Stockwerke weiter oben hören wir schließlich bereits seltsame Töne, die geisterhaft durch die Korridore geworfen werden. … Eigentlich sollte ich es nicht geisterhaft nennen, immerhin kenne ich mehr als genug echte Geister mittlerweile. Ludwig und ich nähern uns langsam einer mächtigen Stahltüre, hinter der wir den Ursprung dieser Laute vermuten. Es kristallisiert sich heraus, dass es angestrengte Schreie eines Kampfes sind. Meine Füße werden wie von selbst schneller, ich drücke eine der Portalhälften gar beiseite und falle geradezu in den Saal, wo ein Mann mit langem, wallenden Haar und Rio miteinander kämpfen. Wie aufgeschreckte Raubtiere halten sie in ihrer Bewegung inne und starren uns an. "Maljus!" "Der Mors-Krieger!" "Na, das trifft sich doch gut!", meint Ludwig kurz angebunden, "Drei gegen einen!" "Nein!", schreitet Rio ein, "Ihr verschwindet wieder! Vasgar ist ganz allein mein Gegner! Ich werde-" Er verstummt und weicht Vasgars Hieb mit einem Schwert aus angebrochenem Stein aus. Im Raum liegen drei weitere davon, teilweise entzweigebrochen und überall lose, krumme Metallstücke. "Niemand wird es mir nehmen, mich an ihm zu rächen!" Vasgar belächelt Rios Ausbruch und rückt seine Schultern unter seinem Umhang etwas zurecht. "Wissen sie etwa gar nichts? Also bist du wieder ganz der alte, verschlossene Aussätzige." "Ich teile mein Wissen nur mit Gleichgesinnten.", zischt Rio. "Und worin unterscheiden unsere Ziele sich, Rio?!", donnere ich, "Nur darin, dass du irgendeine alte Rechnung begleichen willst?" "… Ich wünschte, du wärest nicht so verdammt neugierig." Trotzdem macht er keine Anstalten, weiterzusprechen. "Ihr wäret schlau, ihm nicht zu trauen." Vasgars Miene zeigt keine Belustigung mehr. Will er Zwietracht säen? "Niemandem aus der anderen Welt… also weder mir, noch ihm. Deswegen kämpfen wir doch." Rio ist aus der Unterwelt?! "Relativ einfach gedacht, Vasgar.", erwidert Ludwig, ohne sein Schwert auch nur einen Millimeter zu senken, "Und warum hasst ihr beide euch dann so?" "Genauso einfach.", offenbart Vasgar mit ausgebreiteten Armen, "Er gehorcht mir nicht. Seht nur, wie er sich aufbäumt und dieses vermaledeite Siegelschwert mitgebracht hat! Aber ich spüre, dass es nicht zu vergleichen ist mit der Klinge, die Prometheus hinfortgerissen hat." "Rio, wie wär's dann, wenn du mir mein Schwert wieder zurückgäbest?!" Geras mischt sich wieder ein: "Oh, hältst du dich etwa für einen besseren Führer dieser Klinge, die für mich stumpf wie Holz ist?" "Verschwinde endlich, Maljus!", verlangt Rio. "Wir bleiben!", entscheidet Ludwig vehement. Er sieht aus, als ob er Rio gleich am Kragen packen und in einer Bewegung über seine Schulter werfen würde. "Vasgar schüttet sich schon fast aus vor Lachen, wenn er sieht, wie wir übereinander herfallen." "Da hast du mich wohl durchschaut, Mors-Krieger." Geras wartet nicht länger, sondern hechtet zu ihm. Während Ludwig blitzschnell kontert und Geras den Schwertklotz aus der Hand schlägt, schaue ich noch ein mal zu Rio. Er wendet seinen Blick genervt ab und murmelt so etwas wie: "Erwartet keine Hilfe von mir." Dann greift er Vasgars ungeschützte Seite an. Der Silberhaarige reagiert schnell genug, um beide Klingen mit seinen Fingerspitzen festzuhalten, ohne dass ihm die Schneiden ins Fleisch fahren. Anstatt das zu bewundern, sollte ich den beiden helfen! Mit vorgehaltener Hellebarde stürme ich auf ihn zu, ich starre in Geras' wachsame Augen. Jäh halte ich an, denn irgendetwas stimmt nicht. Die Verzerrung rund um Geras, der ich mir gewahr geworden bin, wird stärker, binnen Sekunden krümmt sich meine Sicht. Spätestens als rund um Geras' gebogenen Körper auch noch schwarze Schlieren durch die strudelförmig verformte Umgebung wandern, machen Ludwig und ich einen gewaltigen Satz zurück. Rio schließlich auch. Sofort nimmt das Schauspiel ein Ende. "So ist es recht, bleibt fern von mir!", ruft Geras mit Wonne, "Ihr seid ihr nicht gewachsen, der Natur einer anderen Welt!" Zu spät merkt er allerdings, dass Rio sich gleich wieder auf ihn stürzt. Geras steckt eine ziemlich böse Wunde ein, während die schwarzen Schlieren sich an Rio heften. Er schüttelt sie halbherzig ab, kümmert sich gar nicht recht darum. "Ich bin vertraut genug mit der Luft des Totenreichs!" Ludwig nickt mir zu, dann hinüber zu einem der Becken, die in komplexen Mustern den Raum einrahmen. Noch mal rennen wir auf Geras zu, der sich die Wunde hält und sie langsam heilt. Einer der Edelsteine in seinem Gewand leuchtet. Verflucht, das sind dann bestimmt alles Seelensteine! "Ist es nicht traurig? Du stürzt dich wie immer in Todesgefahr, aber mein Körper bleibt immer wieder makellos.", verspottet der Dämon Rio. Keine Sekunde später hält er meine Hellebarde umklammert. Ich werde unruhig, erste Flammen züngeln aus der Klinge. Mit kochendem Schädel und müden Knochen wache ich da wieder auf dem Boden auf. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist ein kurzer Flug durch die Luft. War ich… war ich schon wieder bewusstlos? Geras hat mich wohl über Kopf auf den Boden befördert… Woanders kämpfen Ludwig und Rio derweil mit ihm. Mein Sichtfeld ist kleiner geworden, oder? Wieder mal ohne Vorstellung, wie lange ich weggetreten bin, schaue ich erst nur zu, wie er von leuchtenden Schwertsplittern gejagt wird. Rio schwingt mit Malchus und dem Siegelschwert gleichzeitig nach ihm und hat jetzt sogar einigermaßen Erfolg. Wenn man dem Umbramanten keine Zeit lässt, kann er sich auch nicht regenerieren. Mit einem tiefen Luftzug stemme ich mich hoch. Die Hellebarde liegt direkt neben mir. Aber ich kann sie kaum heben… hat er mir mit diesem einen Konter so viel Schaden zugefügt? Noch nimmt er jedenfalls nicht Notiz von mir. Das sollte ich ausnutzen! Ich lege mich ins Zeug, nicht umzukippen, während ich laufe, habe das Ziel verschwommen vor Augen. Ich werde ihn mit der Hellebarde direkt in das Becken vor ihm stoßen! Sein Kopf zuckt herum, seine Augen werden weiter, er ist aber noch immer beschäftigt, Rio und Ludwig fernzuhalten. Ich sehe bereits wieder seine raumverzerrende Aura, aber das ist egal. Rio springt vor Vasgar, schlägt mit beiden Schwertern zu. Metallisches Klingen, ich stoße auf Widerstand, falle rücklings hin, während Rio in seiner Rüstung gegen Vasgar prallt. Verflucht, den falschen erwischt! Beide stürzen, schwarze Wolken fallen über Rio her wie ein Bienenschwarm, er verliert das eine Schwert. Geras dreht sich im Fall herum, landet mit dem Gesicht genau über dem schwarzen Wasser, vielleicht berührt er es sogar, und schreit martialisch auf. Das Siegelschwert landet am Rande des Portals, genau so, dass es leicht schaukelt, es taucht mit der Klinge in die Brühe ein, rutscht ab- Ludwig schnappt es sich. Geras springt auf und fasst in sein Gesicht, Rio windet sich auf dem Boden und scheucht den Rauch von sich weg. Ludwig rennt zu mir, hilft mir auf und drückt mir ein Fläschchen in die Hand. Das Schwert legt er neben mir ab. Er flüstert: "Trink schnell, das ist ein kleiner Muntermacher!" In einem Schluck trinke ich das Fläschchen aus, schaue schnell wieder zu Geras. Er reißt seine Hände vom Gesicht, da geht wieder eine Veränderung mit ihm vor. Während irgendein flacher Gegenstand aus Holz oder Ton auf den Boden fällt, hat sich Geras' Haut komplett entfärbt, ist nur noch grau mit dunklen Flecken überall. Haare hat er keine mehr, wie sollte auch ein einziges Haar sprießen können, wenn sein Kopf über und über mit seltsamen Fleischwulsten und dicken, pulsierenden Adern bedeckt ist? Teile seines Gesichts wie Nasenrücken oder -flügel sind verschmolzen mit besonders dicken Metastasen, die kalten Augen sind fast blind vor herabhängenden Hautfalten und geschwollenen Adern. Und der Mund schließlich ist nichts weiter als eine gealterte, klaffende Wunde, hinter der die Zähne fest aufeinandergepresst sind. Den Muntermacher hätte es gar nicht gebraucht, ich bin jetzt wieder hellwach! Sogar Rio sieht schockiert aus von Geras' ruiniertem Körper. Ein wehleidiges Lachen kommt hechelnd hinter den verschlossenen Zähnen hervor. Schmerzen müssen durch sein Gesicht zucken, als Geras hervorpresst: "Verfluchte Narren… jetzt musste ich meine Tarnung ablegen… diese wunderbare Maske." "Eine übergestreifte Seele, die man an eine Maske gekettet hat…", murmelt Ludwig. "Verflucht noch mal, richtig!", heult Geras, "Weil mich die Unterwelt so entstellt hat! Fünfhundert Jahre lang, fünf-hun-dert Jahre lang bin ich eingesperrt gewesen! Wegen Leuten wie euch, die mich verbannt haben! Oh, lieber stärbe ich, als noch ein mal zurückzukehren! Na, Rio, kommt das etwa dem lächerlichen Verlust deiner Freunde gleich, diesem Halbblutabschaum, den man damals nicht haben wollte?! Hätten die Cardighner damals doch gewusst, dass sie mir damit nur die Kraft gaben, diese Tortur zu durchstehen! Und mit jedem Tropfen Blut, den ich aus ihnen geschöpft habe, hab ich auch ihre Rachsucht in mich aufgenommen. Sie leben in mir weiter als Vernichter Cardighnas! Gemeinsam werden wir Prometheus zurückbringen und dieses Land blutrot färben!" "Du hast gar keine Ahnung, was du da überhaupt sagst!", brüllt Rio im Aufstehen, "Du glaubst, du seist der Rächer von uns Halblingen?! Du hast es wirklich verdient, eingesperrt zu werden, aber nicht wir! Der einzige, der Rache üben wird, werde ich sein!" Er wirft sich gegen Geras und treibt ihm das Schwert so tief ins Fleisch, wie die Klinge lang ist. Dünne Blutfäden schießen zwischen Geras' Beißern hervor, seine verkrüppelten Hände, die zu viele Finger haben, greifen nach dem Dunkelelfen, verkrampfen sich aber, als die Klinge herumgedreht wird. "Cardighna wird nicht genug sein für meineRache! Mit mir haben sich auch noch ganz andere Scherze erlaubt! Weißt du noch, als ich verschwunden bin?! Das war, weil geisteskranke Zauberer des Nordens mich beschworen haben, um mich zu einem Dienergeist zu machen! Sie dachten, sie hätten die Macht über mich, aber ihre Bannsprüche waren erbärmlich! Grade mal genug, um mich zu bremsen, aber nicht aufzuhalten!" Er zieht das Schwert heraus, schlägt wieder zu. Ich beobachte alles wie aus tausenden Metern von Entfernung. "Khhh, du kleiner Welpe…", grunzt Geras gurgelnd, "… willst ganz allein die Welt in Brand stecken…?!" Eine adernübersäte Faust trifft Rio mitten im Gesicht, inzwischen sieht es so aus, als trage er ein schwarzes Fell. Rio fängt sich ab, ist mit einem Sprung wieder kampfbereit und verheddert sich mit dem Dämonen in einem Knäuel aus ringenden Leibern. "Was sollen wir tun…?", finde ich die Sprache endlich wieder. Ludwig braucht etwas, bis er sich von den Kämpfenden abwenden kann. Er seufzt ein mal, dann meint er: "Ich fürchte… wir müssen Nutzen aus der Situation ziehen - und beide in ein Portal stoßen." "Sag mal, willst du mich verkohlen?!" "Willst du es lieber selbst in die Hand nehmen, Rios Dasein zu beenden?" Diese Frage trifft mich noch schwerer als sein Vorschlag. Zuerst hab ich geglaubt, Ludwig sei das Ganze lästig, er wolle endlich fertig werden mit dieser ganzen Sache… aber offenbar liegt ihm sogar etwas daran, dass sie wirklich beendet wird. "Geras wird sterben.", prophezeit er, "Entweder durch Rio oder weil ihn die Unterwelt endgültig zerfressen wird. In letzterem Falle wird Rio umgebracht… und kann endlich wiedergeboren werden. In ersterem… wird er im Imperium Mortis lange auf sein Ende warten müssen, aber sein Hass wird niemandem mehr schaden können." Er senkt seinen Blick etwas. "Ich darf und will ihn nicht töten, aber mein Auftrag ist es, zu verhindern, dass er Schaden anrichtet. Das ist die Verantwortung, die ich mir aufgeladen habe." Geras und Rio kämpfen immer noch, für sie sind wir nicht mehr da. Und so könnte es nicht besser sein… hoffe ich. Ich bin an Rio verzweifelt, sein Dasein als Shikigami bindet ihn nicht wirklich an Selets Willen und Ludwig, jemand, der sich auskennt mit jahrhundertelangem Leben, denkt auch, dass wir ihn nicht mehr umstimmen könnten. "Wenn das die einzige Möglichkeit ist…", gebe ich mich geschlagen. Ich hasse es schon jetzt, aber ich werde es tun. Ich werde Rio mitsamt Geras verbannen. Stumm gebe ich dem Mors-Krieger ein Zeichen, dass ich bereit bin. Mit großen Schritten überwinden wir das letzte Hindernis, gleich ist es soweit. Ich darf nicht daran denken, wie ich den anderen später beibringen werde, was gleich passieren wird. Geras unternimmt verzweifelte Versuche, sich zu heilen, Rio vereitelt jeden einzelnen. Er ruft: "Verrecke, elender Blutsauger!" Jetzt! Geras und Rio schrecken auf, ein wildes Paar gelber Augen starrt mich brennend an. Ungewollt breche ich mein Vorhaben ab, doch Ludwig ist nicht darin zu beirren, den Blutdieb zu packen und ihn das Portal zu stoßen. Geras Hände greifen nach dem Ufer, doch das Wasser umklammert bereits seine Arme, schnappt nach seinem Gesicht und zieht ihn hinab, ohne dass er noch schreien kann. Doch noch im letzten Moment, den er in dieser Welt verbringt, bekommt er mit einem Finger ganz kurz Rios Hand zu fassen. Der Halbelf zuckt zusammen, als auch ihn das schwarze Wasser anspringt. Er zieht sofort die Hand zurück und rutscht von dem Becken weg. Ohne Erfolg, ein ganzer Schwall erhebt sich aus dem gemauerten Kreis und schnappt nach ihm. Das Schlierenfell reagiert sofort darauf und verbindet sich mit der Wassermasse, die sich als fliegender Ball um Rio schließt. Ludwig zieht mich schnell weg, Rio indes taumelt durch die ganze Halle, hin und wieder ragt einer seiner Arme oder sein schreiender Kopf aus der Brühe, die nur dunkel unsere bleichen Mienen wiedergibt. "Hättet ihr es nicht sein lassen können?!" Ich schrecke auf, als Rio im Inneren des Wassers wieder spricht. Die Kugel legt sich dichter um ihn, nimmt langsam seine Form an. "Hättet ihr euch nicht einfach raushalten können?! Ich habe es jetzt so oft gesagt… dass es meine Angelegenheit war! Ichhätte Geras getötet. Ihrhabt ihm schon wieder Zeit verschafft!" Er schnellt plötzlich vor, steht direkt vor mir. Das Schwarz fließt beiseite und lässt mich sein wutentstelltes Gesicht sehen. Er sieht plötzlich älter aus, seine Haare sind länger geworden, die gelben Pigmentierungen seiner Backen größer und seine Augen sind bis auf die winzigen Pupillen plötzlich vollkommen gelb. "Was könnt ihr überhaupt richtig machen?!", brüllt er mich atemlos an, "Ihr schafft es einmal nicht, ihn zu besiegen, ihr schickt Unschuldige hinterher wie ein Festmahl und jetzt lasst ihr ihn schon wieder dem Tod entkommen!" Wenn ich doch nur wüsste, was das plötzlich zu bedeuten hat! Anstatt Rio zu antworten, rufe ich nach Ludwig: "Ludwig! Sollte er nicht in die Unterwelt verbannt werden wie Geras?!" "Ihr wolltet mich schon wieder mit ihm in diese Ödnis werfen?!" "Wenn ich wüsste, was los ist, würde ich etwas dagegen unternehmen! Ich hab keine Ahnung!", schreit Ludwig zurück. "Ich lasse mich nicht vom Sog des Imperium Mortis unterkriegen! Ich mache ihn mir untertan und lasse euch wissen, was ich von euch halte! Von euch Cardighnern! Und vom Rest dieser Welt!" Ich kann ihn nicht länger ignorieren: "Wir sind nicht die Cardighner von vor fünfhundert Jahren und auch nicht die, welche dich verbannt haben, falls du's nicht gemerkt hast!" "Ach nein?" Er sieht überrascht aus. Sein Körper ist passgenau von schwarz umhüllt. Dann werden auf ein mal alle Gelenke immer dünner. Was… was geht mit ihm vor?! "Seid ihr nicht alle Reinkarnationen eurem Glauben nach? Ich könnte schwören, du warst in deinem vorherigen Leben das Schwein, das mich in die Hölle gestoßen hat… und dann später der Magier, der mich wieder in diese hier oben hinaufgezerrt hat!" "Zur Seite, Maljus!", unterbricht Ludwig ihn da. Instinktiv werfe ich mich zur Seite und postwendend fliegen Ludwigs Schwertsplitter auf Rio zu. Er bewegt seinen Kopf leicht zur Seite, weicht den Klingen an seinem Hals aus - während von den Schultern abwärts all die schwarze Masse unverändert zurückbleibt! "So viel dazu." Rio schüttelt seinen Kopf, wobei seine Verwandlung offenbar der Vollendung entgegenstrebt. Überall an seinen nun unverbundenen Körperteilen bilden sich Hörner und spitze, platte Auswüchse, das Schwarz versickert und gibt dunklen Haut- und Goldtönen Platz. Mit vier Armen und keinen Beinen fliegt Rios neue Form vor uns. "Ironisch, nicht wahr? Ihr wolltet damals und jetzt, dass ich an der Unterwelt zugrunde gehe und jetzt verleiht sie mir völlig neue Kräfte." "Du bist nichts weiter als ein Dämon jetzt.", erwidert Ludwig entschlossen. Seine Stiefel knirschen unter seinem langsamen Gang. "Ich hatte geplant, deinem Alptraum ein Ende zu setzen… aber jetzt kann ich nicht länger meinen persönlichen Wunsch, Maljus einen Gefallen zu tun, vor meine Pflicht schieben. Rio, hiermit exorziere ich dich!" "Versuch's doch.", fordert Rio ihn weiter heraus, "Du Möchtegern, der nicht mal Geras töten konnte." "Das konntest du einst genauso wenig, oder?", werfe ich ein. Rio ist noch eitler geworden, als er ohnehin schon war. Seit der Name Geras das erste Mal in seiner Nähe gefallen ist, hat er sich von uns distanziert und jetzt stehen wir uns sogar als Feinde gegenüber. "Du hättest sogar noch Geras folgen können und ihn im Imperium Mortis bezwingen können." "Das wäre sinnlos. Meine Rache gilt nicht Geras allein… sondern vor allem euch, die ihn nicht aufgehalten haben! Na los, kommt schon her, mit euch beiden fange ich stellvertretend an!" "Wie du willst!" Ludwig wartet nicht länger, lässt die Seiten seines Lichtschwert rotierend auf Rio zuschnellen und hält die nur noch stabförmige Klinge bereit, um noch von Hand einzugreifen. Für Rio kein Problem, alle Angriffe abzuwehren, seine Hände sind wie legierte Klauen. Noch während zwei seiner Arme Ludwig beschäftigen, fliegt der Rest seines Körpers in meine Richtung. Ich ducke mich unter dem ersten Hieb seiner Klauen hinweg, da rasen weitere Krallen von oben auf mich zu. Rollend entkomme ich ihm erneut, kriege jetzt auch mein Schwert zu fassen. Endlich! Doch Rio lacht bloß. "Das hilft dir jetzt auch nichts mehr!" Er schlägt mit beiden Händen gleichzeitig zu, ich probiere trotz seines Spottes, sie beiseite zu schlagen. Es gelingt! Und wie, es zischt sogar und eine dampfende Wunde prangt unerwarteterweise in Rios Pranken. Seine Augen haben sich blitzschnell geweitet. "Was… was soll das?! Das ist doch nichts weiter als eins ganz normale Klinge! Mit nichts weiter als ein bisschen Öl bestrichen, soweit ich weiß!" Ausnahmsweise grinse ich jetzt mal triumphierend, denn ich verstehe, was vor sich geht. Schwarzes Wasser tropft von der Klinge - die vorhin fast in ein Portal gefallen wäre und mindestens ein mal eingetaucht ist. Rio ist nicht eins mit dem schwarzen Wasser, ich kann ihm diese neue Gestalt also noch nehmen! Ich greife ihn an, dies mal an seinen Schultern, nur leider weicht er aus. Ludwig kommt zu Hilfe und hetzt ihm gleich eine ganze Schar winziger Splitter auf den Hals… oder das Gesicht, wo er offenbar noch genauso verwundbar ist. Rio hat allerhand damit zu tun und ich verpasse ihm doch noch ein paar Wunden, die bis unter die Rüstung reichen. Aber ich freue mich zu früh, merke ich, als eine seiner Fäuste mich in den Bauch boxt und zu Boden wirft. Dasselbe klappt auch bei Ludwig, doch kein weiterer Angriff folgt. Stattdessen schnappt sich Rio sein Malchus wieder. So, also ist die Dämonenform wohl nicht gut genug, um sich bloß auf sie zu verlassen? Er ist sichtlich verärgert, vielleicht weiß er ja, dass er sich überschätzt hat. Er schickt mir die Hand mit der Klinge entgegen, will mich wohl abgelenkt wissen, während er Ludwig mit den anderen zwei Armen attackiert. Moment, zwei? Wo ist der drit- Scheiße! Herumwirbelnd pariere ich das übergroße Messer noch ein mal, aber finde meine Befürchtung bestätigt: Er hat sich auch noch die Hellebarde geschnappt! Mir bleibt nichts anderes übrig, als nach hinten zu springen, als er zusticht. Ich komme unangenehm auf, ein Bein knickt weg, das andere trägt mich allein nicht und schon streicht es mich hin. "Grüß mir Geras auf der anderen Seite!" Er hat sie schon wieder angesetzt, ich sehe sogar Funken von den Spitzen sprühen. Er kennt die Macht dieser Hellebarde vermutlich nicht mal, aber er ist drauf und dran sie zu benutzen! Eine Stichflamme rast auf mich zu, die Hitze noch schneller, die Widerhaken hinterher. Da reißt mich etwas am Kragen von hinten in die Luft, alles andere als heiß oder gar warm, sondern eiskalt wie Metall. Über den Flammen baumle ich an den massiven Klauen, die an einer rasselnden Kette sitzt. "Du bist es!", bringe ich bloß heraus, als mir klar wird, dass das Irrlicht mich gerettet hat. "Selbstverständlich.", hallt es aus der Kapuze. "Und nicht bloß ich." Weitere Geister erscheinen durch die Wände, schleppen mit sich den roten Schein herbei, in dem sie bereits über diesen Titanen herfallen wollten. Rio wird unruhig. Er schreit: "Was?! Noch mehr von denen?!" "Ein Dämon hat sich eingeschlichen!" "Ein niederer!" "Er soll nicht entkommen!" "Mors gönne uns diesen Sieg!" Mit weiteren Rufen wie diesen fallen sie über Rios einzelne Körperteile her. Für fast alle finden sich zwei Geister, die sie festhalten. Das Irrlicht setzt mich derweil ab und sagt: "Und jetzt liegt es an dir!" Keine Frage! Ich zücke wieder mein Schwert und lasse meine gesamte Wut an Rios bereitgehaltenen Segmenten aus, bis ich zum Schluss das Siegelschwert in seinen ehemaligen Torso treibe. Dann geschieht etwas Unerwartetes. Die Armstücke, Hände, die Schultern und Rios Bauch entweichen dem Griff der Metallhände, fliegen zueinander und fügen sich wieder zusammen. Noch ein mal wird Rios ganzer Körper schwarz eingehüllt, dann verdampft das schwarze Wasser und spuckt seine geschundene Elfengestalt wieder aus. Überall, wo ich ihn getroffen habe, sind Narben entstanden. Sein Spangenpanzer fällt scheppernd herab, er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Verkrampft hält er sich die Brust. "Na… wie ist das für jemanden, der Geras… nicht besiegen konnte?" "Ich… ich bin nicht tot. Und solange das gilt… bin ich auch nicht besiegt!" Er wirft mir das Malchus entgegen. Aus Reflex weiche ich zur Seite. Es ist nur eine Ablenkung gewesen, denn Rio ergreift die Flucht. Jedoch stolpert er und dreht sich mühselig auf den Rücken. An seinem Fußende stehen bereits Ludwig und ich. Er verharrt in seiner Pose und starrt fiebrig zu uns hinauf. "Jetzt habt ihr es geschafft… meine… meine Zeit läuft ab. Kein Shikigami… könnte länger diese Form beibehalten haben. Ich hatte seit dem ersten Tag… Schmerzen, weil ich mich geweigert habe, diese Gestalt… aufzugeben. Ein mal habe ich dich fallen lassen, nicht wahr? Das war deswegen… doch dadurch sind die Bannzauber geschwächt worden…" Er redet wirr. "Oh, dieses vermaledeite Mädchen! Wäre es hier… wäre Griselda jetzthier… ich hätte meine Kräfte noch ein mal stärken können!" "Du wirst sonst wieder zu diesem Papierstreifen?", rate ich düster. "Ja… dann geht alles wieder von vorne los…" Ludwig wirft da eine Frage ein: "Was passiert, wenn wir ihn zerstören?" "Was weiß ich. Womöglich gar nichts… vielleicht werde ich auch ausgelöscht." "Was ist dir lieber? Noch ein mal so in die Unterwelt zurückkehren-" "Und Geras als Futter dienen?!", röchelt Rio erbost. Ludwig entgegnet: "Lass mich ausreden! Entweder in die Unterwelt zurückkehren und dort irgendwann sterben, was dich wohl endlich erlösen würde… oder wieder gebannt werden und hoffen, dass du befreit wirst, wenn wir das Papier verbrennen?" Rios Miene ist nachdenklich. Sein Brustkorb hebt sich immer langsamer und der Schweiß auf seiner Stirn kühlt sein Gemüt. Schließlich antwortet er: "Dann schickt mich zurück… ich bringe wenigstens meine Sache mit Geras zu Ende. Fleht, dass ich siegreich sein werde." Noch im Sprechen hievt Ludwig ihn hoch, ich packe Rios Beine und helfe dabei, ihn zum nächsten Portal zu tragen. Aber nicht bereitwillig, sondern aus Respekt vor Rio… er ist wieder berechnend und weniger rasend. Fast wieder so wie der gebundene Shikigami, der sich leidenschaftslos, aber uneigennützig für uns ins Zeug gelegt hat. "Ich wünschte, wir hätten all diese alten Geschichten vergessen können.", gebe ich zu, sobald wir angekommen sind und Rio langsam absenken. "Das ist vergeblich gehofft.", erwidert Rio, "Solange ich lebe, werde ich… weder dir noch Basgorn… noch sonst jemanden verzeihen. Nun lass mich gehen, damit ich nicht länger mit euch reden muss… und wir uns nie wieder sehen müssen." Eine einzelne Träne läuft aus seinem Auge. Ich gebe auf. "Utinam maiores res secundae in vita alia tibi obveniat…", betet Ludwig abschließend, ehe wir Rio loslassen. Ich schaue nicht hin, als er im Totenreich verschwindet. Das wäre nicht die letzte Erinnerung an ihn, die ich gerne hätte. IV. An der Spitze des Fünfergespanns, das sich wenig später blicken lässt, läuft Alex und schüttelt den Kopf. Er fragt: "Also echt mal, Kleiner: Dich müssen die Götter doch lieben, kann das mal?" Immerhin lächelt er erfreut, was auch mich glücklicher macht. Er blinzelt und ruft dann noch: "Oh, und da sehe ich noch ein bekanntes Gesicht!" "Ihr seid es Ludwig!", freut sich Selet ebenso und Sira grinst: "War ja klar, dass ihr beide uns zuvorkommt. Ihr habt sogar das Siegelschwert wieder! Habt es Rio wohl abgenommen." "Viel wichtiger ist, dass es euch allen gut geht.", meint Ludwig, "Sepromor ist endlich wieder ein sicherer Ort. Es war sicher nicht leichter für euch als für uns." "Ach was, alles Teil der Arbeit als Exorzist!", sagt Alex stolz, aber Carod erinnert ihn: "Nur, dass eben wieder ein mal kein Geld für euch rausgesprungen ist!" "Wo ist Rio eigentlich?", fragt Selet da, was mich sofort wegschauen lässt. Was sag ich ihr jetzt bloß? Es ist so viel, was ich erklären müsste. Und so wenig, was sie so einfach hinnehmen kann... Ludwig springt für mich ein. Er erläutert: "Rio ist nicht mehr hier. Er ist zurückgekehrt, weil er ein Shikigami war und nicht hierher gehörte." "Ich… kann nicht ganz folgen.", murmelt sie perplex. Ich kann sehen, wie ihr Atem schneller wird. "Es tut mir leid, aber Rio ist fort. Lass es mich so erklären: Mors-Krieger arbeiten nach einem Prinzip des Ausgleichs und Kreislaufes. Wenn ich mein Schwert teile, muss ich es irgendwann wieder zusammenfügen. Wenn etwas lebt, muss es irgendwann sterben und erneuert werden. Wenn Magier die Regeln brechen und etwas aus dem Kreislauf entfernen, muss ich dafür sorgen, dass es wieder hinzugefügt wird. Rio selber war unglücklich, weil er eigentlich eine Seele ist, die einen echten Körper verdient hätte, kein Gefäß, das ihn übermäßig lange festhält." Er entfernt sich kurz von uns, um etwas aufzuheben. Als er es hochhält, fällt mir auf, dass es Geras' Maske sein muss. "Mit dem hier verhält es sich auch nicht anders. Auch in diesem Gegenstand ist eine Seele von jemandem eingesperrt worden, damit sie nicht ins Totenreich gehen kann. Und meine Aufgabe ist, dass ich herausfinde, wie man das beheben kann." Selet ist dennoch den Tränen nahe. Sie hat eine so starke Bindung zu Rio gebildet? … Ich bin ein Idiot, natürlich hat sie das, er hat sich bis heute für sie aufgeopfert. Und mir fallen keine Worte ein, ihren Schmerz zu lindern. Alex klopft ihr auf die Schultern. "Nicht verzweifeln. Wenn der Kerl sagt, dass Rio endlich am rechten Platz ist, wird das schon so sein." "Werden wir ihn womöglich wiedersehen?", will Selet von Ludwig wissen. "Vielleicht nicht in diesem Leben. Vielleicht auch nicht im nächsten. Aber du hast hier deine Freunde und du wirst sie in jedem Leben haben, die dich die Zeit vergessen lassen, bis du ihn wieder triffst." Ihre großen, wässrigen Augen schauen vom Boden auf und begutachten jeden von uns. Dann wischt sie sich schluchzend die Tränen aus dem Gesicht und stimmt schniefend zu. "Das… das klingt vernünftig. Ich werde warten." "Ich fühle mit dir.", tröstet Dorac sie, "Aber bitte wein nicht, das macht mich auch ganz traurig." "Und wehe, du bringst diesen stumpfen Silberdolch auch noch zum Heulen! Sonst mach ich mit!" Carods alberne Reaktion entlockt Selet sogar ein Lächeln. Sie verspricht, sich nicht unterkriegen zu lassen. "Dann lasst uns endlich verschwinden.", bittet Craylo, "Hier ist endlich wieder alles in Ordnung!" "Was dagegen, wenn ich mitkomme?", fragt Ludwig. Gleich darauf schießt Sira herbei und redet wie ein Wasserfall: "Nicht im Geringsten! Ihr seid herzlich dazu eingeladen! Wir wären geehrt, wenn ihr uns helfen würdet, ehrenwerter Mors-Krieger! Oh, aber bitte beeilt Euch, wir haben nicht viel Zeit!" Ludwig lacht herzlich und kratzt sich geschmeichelt am Hinterkopf. "Oh, keine Sorge, ich brauche nicht viel. Geht schon mal vor, ich komme bald nach. Hat es denn schon aufgehört, zu regnen?" "Eine ganze Weile sogar, ja.", erwidert Alex. "Na gut, Leute, dann mal raus hier, ich brauch frische Luft!" Ohne Ludwig setzen wir uns in Bewegung, aber der Mors-Krieger hält mich an der Schulter fest. Grinsend hält er die Hellebarde in der anderen Hand und fragt: "Hast du die nicht vergessen?" "Ich… ich soll sie behalten?" "Hier verstaubt sie bloß, also keine falsche Bescheidenheit! Nur… pass ein wenig auf mit ihr, ja? Die Benutzung dieser magischen Waffe ist nicht ganz ungefährlich." "Wieso, was ist damit?" "Das ist ein Relikt, welches Magie nutzbar machen sollte für Nichtmagier. Die Flammen, die es beschwört… nun ja, zapfen direkt deine eigenen Reserven an." Oh, dann verstehe ich endlich, warum ich immer so ausgelaugt war, nachdem ich sie benutzt habe! "Sie wird dir sicher nützlich sein, aber genieß sie mit Vorsicht." Ein wenig unruhig zupft er sich dabei am Ohrläppchen. "Ist noch was?", erkundige ich mich, weil er immer noch so aussieht, als habe er etwas auf dem Herzen. Ein wenig zögernd nickt er. "J~a… vorhin, als du mit Rio gekämpft hast… warum hast du da plötzlich kurz in der Luft geschwebt?" Ich schnall gar nicht, was er eigentlich meint. Oder etwa… ich runzle meine Stirn. "Etwa, als Rio mich hiermit angegriffen hat? Aber das war doch das Irrlicht, das mich gepackt ha-" "Irrlicht? Wovon redest du?" Verwundert schüttle ich meinen Kopf. Es schwebt doch sogar hinter ihm! Sie alle schweben hinter ihm, in einer Reihe und gucken mich an. Ludwigs "Also Geister wären mir hier neu! Ich bin mutterseelenallein!" geht fast unter in der hallenden Stimme des Irrlichts: "Es ist zwecklos. Er kann uns nicht sehen." "Brr, nicht auszudenken, was wäre, wenn mir jemand außer ein paar Skorpionen oder verirrten Fledermäusen Gesellschaft leisten würde, ohne dass ich es wüsste. Na ja, erklär's mir halt ein andern mal! Oder wir tun es als göttliches Wunder ab, das den Prophezeiten Maljus gerettet hat!" Er ist schon wieder überglücklich. Diese Frohnatur. "Aber-" Die Geister schütteln ihre leeren Kapuzen. Ich seufze. Warum bloß kann er sie denn nicht sehen? Selet und die anderen konnten es doch auch. Nun ja, lass ich es eben bleiben. Es wird vermutlich sowieso das letzte mal sein, dass ich diese Art von Gespenstern sehe. Ludwig klopft mir auf die Schultern und wir machen uns auf den Weg. Über die Schulter schaue ich zu den Geistern. Sie winken uns zum Abschied und verblassen im Nebel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)