Weihe des Siegelschwerts von Ubeka ================================================================================ Capitulum VII: Terras Krypta - Tod und Geburt --------------------------------------------- I. Der Regen hatte komplett aufgehört und nur noch das verwaschene Graugemisch aus Wolken am Himmel erzählte von dem Unwetter, das kurz zuvor noch getobt hatte. Gen Süden lichtete sich das Wolkenmeer über den Wipfeln der Bäume. Eine lange Steintreppe zog sich durch den Schlamm und zog eine Linie weiter hinauf, fast bis zur Spitze des Berges. Und diesen Weg hatte Kora eingeschlagen, die zufrieden eine Schriftrolle zusammenrollte und wegsteckte. Kein Zweifel, dies war der Weg zum Wunder des Terratempels. Für eine gewiefte Diebin wie sie würde es sicher nicht das geringste Problem werden, sich in die Krypta zu schleichen, wo das Wunder wartete. Aber irgendetwas war seltsam an diesem Hain. Es lag in der Luft wie ein Unheil verkündender Geruch, wie das Aroma einer Leiche, aber sie wusste nicht, was es war. Sie sah nichts Besonderes, roch es nicht, fühlte es nicht auf ihrer Haut, sondern tief in ihrem Inneren. Drohend kündete die Vorahnung, sie solle umkehren, sich entfernen - oder war das ihr Körper, der sie warnte vor was auch immer am Gipfel des Berges wartete? Was es auch war, da spielte ihre Fantasie nur mit ihr, sagte sie sich! Nichts würde sie davon abhalten, das Wunder einzusammeln, das Oreichalkos zu erschaffen und sich als Heldin Cardighnas feiern zu lassen! Sie erreichte endlich die Lichtung, wo sich der Zugang zur Klosterkrypta befand. Mitten aus der monumentalen Felswand ragte ein steinerner Eingang voller Reliefen von Ranken und Dornengestrüpp. Die schwere Eingangstüre stand sperrangelweit offen. Das wird ja noch einfacher als ich gedacht habe!, freute Kora sich und setzte einen Fuß in die riesige Halle im Inneren des Gipfels. Ihr Geist konnte den unvorstellbaren Druck und die unaussprechlichen Visionen, die plötzlich über sie hereinbrachen wie schäumende Wellen aus kalter Säure kaum bewältigen. Die drei Hastenden waren einige Zeit gerannt, bis sie den schwarzhaarigen Burschen aus dem Inneren des alten Heiligtums laufen sahen. Die beiden Männer und das Zwergenmädchen bei ihnen waren gebadet in Schlamm, der von ihren schnellen Schritten in die Höhe spritzte. Craylo und Alex ignorierten es gekonnt, aber Zea in der Mitte verzog angeekelt ihr Gesicht, war sie doch klein genug, um die aufgeweichte emporschießende Erde ins Gesicht zu kriegen und auf ihrer ganzen Kleidung schnell ein Muster aus großen und kleinen Klecksen und Punkten zu erblicken. Alex' Verdacht, den er sofort gehabt hatte, als er die Flucht ergriffen hatte, bestätigte sich spätestens, als er sah, wie gehetzt Rio war. Zweifelsohne gab es Ärger - schließlich verhieß so ein lauter Krach samt Rauchwolke nie etwas Gutes. Für lange Erklärungen blieb auch keine Zeit, denn Rio rief sofort: "Schnell, wir müssen sofort einen Priester namens Basgorn finden!" "Ihr sucht Priester Basgorn?", fragte Zea überrascht, "Aber wer seid Ihr denn überhaupt-" "Wisst Ihr, wo er ist, Maid? Dann verratet es mir schnell, oder ein furchtbarer Dämon wird in Kürze auf die Erde kommen!" "Denke nur ich, dass diese Wolke irgendwelche giftigen Dämpfe freigesetzt haben muss, oder ist er einfach so durchgedreht?" "Hört zu, ihr zwei Exorzisten und plappernden Dolche, wir wissen selbst erst seit Kurzem, weswegen Meisterin Griselda und Maljus ihre Reise angetreten haben, aber Ihr tätet gut daran, uns genauso zu glauben, wenn wir Euch sagen, dass ein Priester mit Namen Basgorn zu eben dieser Stunde dabei ist, einen uralten Dämon zu befreien, den man den 'Umgedrehten König' nennt!" Zea konnte nicht anders als das flugs zu dementieren: "Das kann nicht sein! Wie könnt Ihr ihm so etwas unterstellen?!" Eindringlich schaute der Dunkelelf die Zwergin an, welche erschrocken etwas zurückwich. "Was… was Ihr da sagt, ist ungeheuerlich!" "Leute…", versuchte Craylo, sich zu Wort zu melden, dennoch überstieg Alex' Lautstärke seine Stimme sofort: "Hey, hey, ich versteh' von alledem nur die Hälfte! Erst mal möcht' ich wissen, was mit dem Kleinen und der Hexe ist!" "Na, was wohl! Sie ziehen noch mal ordentlich an der Kräutermischung, die sie da unten gefun-" "Maljus ist verletzt und Meisterin Griselda kümmert sich um ihn!", berichtete der Dunkelelf mit sich überschlagender Stimme, "Sie sollten bald hier auftauchen, da unten hat ein Spiegeldämon sein Unwesen getrieben! Und bestimmt einer, der auch mit Basgorn in Verbindung steht!" "Hört mal-" "Hört auf zu lügen, wer seid Ihr überhaupt?!", kreischte Zea, "Gehört dieser Rüpel etwa zu Euch, Herr Alex und Herr Craylo?!" Alex gab sich größte Mühe, sie zu beruhigen, während Craylo sich bemühte, sich endlich Gehör zu verschaffen, doch niemand wollte ihm zuhören. Zea hatte sich immer noch nicht beruhigt: "Und wie kommt Ihr überhaupt auf solche abstrusen Geschichten?!" "Nun hört mir doch alle mal zu, verdammt!", schrie Craylo mit aller Lautstärke, die seine Lungen und Stimmbänder hergaben. Schlagartig war jedes Gesicht ihm zugewandt und jede andere Stimme verstummt. Er atmete schwer und blickte ganz gequält drein. In Alex' Kopf begann zu dämmern, was los war. "Wenn das stimmt… dass dieser Hohepriester gerade eine Zeremonie vorbereitet…", keuchte der Magier unter starken Schmerzen, "… dann macht euch sofort auf zu dem Berg dort! Er… er hat schon längst begonnen." "Bitte, liebe Zea, schenkt seinen Worten Glauben! Craylos Migräne hat sich nie geirrt, wenn es um schwarze Magie ging!", bat Dorac für alle Anwesenden. Zea war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und eine Welt schien für sie zusammenzubrechen. Sie holte tief Luft… "Er… er muss irgendwo bei der Krypta sein! Kommt, ich bringe Euch hin!" "Aha! Da drüben sind sie, haben wir das Geschrei richtig gedeutet!", dröhnte im selben Moment von anderer Stelle eine tiefe Stimme. Alex, Rio und Craylo fuhren erschrocken herum, das waren ja schon wieder diese verflixten Titanen! Sie stampften durch den Schlamm auf die eigenartige Versammlung zu und hatten auch noch ein paar bullig aussehende Klosterinsassen bei sich. Alex übernahm blitzschnell das Kommando und beorderte alle: "Alles klar! Kleine, du und Rio rennt zu diesem Berg, Craylo, du verschwindest und hältst dich versteckt, um Maljus und Griselda abzufangen! Wenn du sie aufgelesen hast, geh' auch zu diesem Priester! Ich kümmere mich solange um diese Dickwänste!" "Na wunderbar, er muss unbedingt wieder den Helden spielen! Na, dann beweis du uns mal schön, wie gut du noch im Versteckspielen bist, Craylo!" "Seid bitte alle vorsichtig und nehmt euch vor dem Flamen in Acht!" "… Alles klar, Alex.", murmelte Craylo und rannte davon. Zea zögerte erst, bis Rio ihr einen leichten Stoß gab und ihr querfeldein durch das Unterholz folgte. Mittlerweile rannte Alex todesmutig den Soldaten entgegen. Nach wenigen Minuten hurtigen Spurts schlug Zea einen scharfen Haken und führte Rio vom moosbewachsenen, feuchten Erdreich zwischen den hochragenden Stämmen, deren Wurzeln sich einen Spaß daraus machten, das Vorankommen zu erschweren, auf eine gut ausgebaute, steinerne Treppe, die eine echte Schneise in den Wald schlug. Harz- und Erdgeruch lagen in der Luft und ein eisiger Wind pfiff ihnen entgegen. Zea war zielstrebig und schenkte den vorbeihuschenden Eichhörnchen keinerlei Beachtung. Ein mal schaute sie über ihre Schulter zurück zu Rio. "Ich stelle hiermit eines klar: ich bin immer noch nicht überzeugt von Eurer Geschichte!" "Verständlich…", gab Rio zu, der selbst noch immer haderte, seine Gedanken über Griseldas Erzählungen und die Mission zu ordnen. Zea sprach sofort weiter, redete fast schon wie ein Wasserfall: "Und was wollt Ihr bitte tun, wenn wir ihn finden und er wirklich das tun sollte, was Ihr behauptet?! Wollt Ihr… wollt Ihr ihn etwa umbringen?!" Sie sah aus, als würde sie jeden Moment anhalten und ihn die Treppe hinunterstoßen, wenn sie auch nur den Ansatz einer Bestätigung in seinem Gesicht fände. "Das ist Unrecht und das wisst Ihr! Ihr seid doch sicher hier eingedrungen und plant doch jetzt nicht auch noch wirklich nach unbefugtem Betreten des alten Heiligtums Euch mit Priestermord zu belasten, oder?!" "Wir stecken alle zusammen in der Klemme, wenn wir nicht versuchen, die Sache gütlich zu lösen.", bestätigte Rio sachlich, "Und die Gefahr, dass dieser Umgedrehte König sich befreit, verfliegt lange nicht damit, dass Basgorn bezwungen würde, soweit ich weiß." Zea wirkte mit Rios Denkweise sehr zufrieden. "Schön, dass es Euch einleuchtet! Und deswegen bin ich ja auch mit von der Partie." Rio schaute sie überrascht an. "Priester Basgorn ist mein Lehrmeister, wir beide kennen uns sehr gut! Und daher werde ich all meine Kraft darin investieren, ihn von seinen Taten abzubringen! … Vorausgesetzt, Ihr bindet mir keinen Bären auf." "Aber niemals." "Weit ist es nicht mehr… langsam kann ich ebenfalls spüren, dass dort oben etwas Seltsames vor sich geht." Sie hatte Rios volle Zustimmung, der schon länger diesen ächzenden Hauch bemerkt hatte, der vom Tod sprach. Und auch die Bäume um sie herum sahen aus, als hätten sie an Leben und Farbe verloren. Die Rinde sah steingrau aus, die Blätter schienen sich bräunlich verfärbt zu haben, als sei der Herbst bereits eingekehrt. Das beklemmende Gefühl wuchs schlagartig auf das Doppelte an, als sie eine eisig wirkende Lichtung rund um den Berggipfel erreichten. Aus der Exklave des Felssaales tönte ersticktes Keuchen und Schreien. "Da ist offenbar schon jemand drin! Gehört der zu Euch?" "Nein.", knirschte Rio, der die Stimme trotzdem erkannte, "Das ist nur eine dreiste Federfrau!" Ohne Zeas Reaktion abzuwarten, rannte er hinein in die marmorskelettgestützte Halle im Inneren des Berges. Im diffusen Schein der riesigen, bunten Bogenfenster sah er Kora erschöpft in der Mitte des Raumes stehen. Vierunddreißig Marmorfliesen weiter entfernt, vor dem Altar, stand Basgorn, nicht im Geringsten angestrengt und finster dreinblickend. "Ich frage mich, wieso ausgerechnet eine Magie, die mit dem Tod so eng vermählt ist, die Leute so sehr anzieht.", begrüßte er Rio und Zea zähneknirschend, "Sagt, was denkt ihr, das ihr hier wollt, junge, unerfahrene Wesen, an so einem alten, geweihten Ort?" "Wir wollen verhindern, dass dieser Ort und so viele andere dem Übel zum Opfer fallen, das Ihr im Begriff seid, wieder auf die Welt loszulassen.", erklärte Rio mit erstaunlicher Fassung, während er den Schweiß auf seiner Haut kalt werden fühlte. Flimmernde Luftschemen flackerten und bildeten grausige Grimassen. Der Priester seufzte: "Zusammen mit tausend anderen Frevlern, Mördern, Verrätern und sonstigen Tunichtguten auf dieser Erdplatte fällt ein eurer Aussage nach böses Wesen nicht mehr auf als alle anderen." Kora festigte ihre Stimme, bevor sie Worte für ihren Ärger fand: "Ach, und deswegen meinst du, du darfst einfach alles schlimmer machen als es ist?! Echt mal, mit euch Dunkelelfen stimmt doch was nicht!" "Du, als ein Mitglied der Diebesgilde von Meskardh, eine Harpyie, die wohl in vielen Teilen unseres Landes auf Verachtung stößt, zu jenen gehörig, die ich soeben erst aufgelistet habe, siehst auf mich herab?", fasste er zusammen. "Und du willst so mit Sünde beladen zur großen Mutter Terra durchdringen?" Zea fror am meisten von allen. Basgorns tiefe Mundwinkel zuckten noch weiter hinunter, als er mit seinen gefühllosen Augen seine Schülerin streifte. Da verkündete er mit donnernder Stimme: "Ihr seid gekommen, um eine Göttin aus ihrem gerechten Schlaf zu wecken! Ihr seid Wesen, die sich erdreisten, ihren Schöpfern keine ruhige Minute zu lassen! So seid euch eurer Frevel bewusst und legt euch in die kalten Arme eines anderen Gottes, der nach einem viel längeren Schlaf erweckt werden muss!" Kaum wurden die Umbramantischen Schwingungen in just diesem Moment wieder stärker, drohten sie, Kora ganz vorne zu erdrücken, und veranlassten Rio und Zea, ungewollt zurückzuweichen vor dem Mann. "Doch da ihr nun hier seid, dürft ihr euch einer besonderen Rolle bewusst sein bei diesem Ritual! Immerhin ist dies… eine Opferstätte!" II. Es ist ein schleppender Weg gewesen, den Selet, Sira, Ludwig und ich zurückgelegt haben. Uns allen ist jetzt erst wirklich bewusst, wie sehr wir uns verausgabt haben - und diese Anstrengungen reichen Sira noch lange nicht: "Wir müssen sofort hinter Rio und dieser Harpyie her, um ihnen zu helfen!" "Sie heißt Kora, wie oft denn noch?", erinnere ich mit entkräfteter Stimme die Víla, wobei ich mehr humple als gehe. Sira verdreht genervt die Augen. "Kora hin, Kora her, es ist wirklich wunderbar zu wissen, dass wir jetzt sogar einen Wettlauf gegen eine Harpyie zu gewinnen haben! Einer Harpyie aus Meskardh zu allem Überfluss auch noch!" Dann macht sie sich vor Selets Nasenspitze breit: "Und das obwohl ich sogar noch ausschließlich gesagt habe, dass wir nicht jedem Dahergelaufenen von unserem Auftrag erzählen dürfen!" "Sie wusste doch ohnehin schon von den Wundern!", ruft Griselda zornig. "Wärst du ihr gar nicht erst gefolgt, hätten uns weder Echidna noch sie im Wege gestanden!" "Ich soll eine Harpyie gehen lassen, die mein Siegel gestohlen hat?!", empört Selet sich. Das ist also die Bedeutung dieser Kette, die nun wieder sicher versteckt um Selets Hals ruht. "Nun streitet euch doch nicht so!" Zur Antwort erhalte ich, wie im Chor geplärrt von beiden: "Misch du dich doch nicht ein!" Immerhin leuchtet mir nun ein, wieso Selet so energisch geworden ist - und vermutlich auch bleiben wird, nun da sowieso klar ist, dass sie eigentlich eine Dame ist, die sich mit einem Wimpernschlag ein Haus aneignen könnte, das rechtschaffenen Bürgern bis zu ihrer schicksalhaften Liderbewegung gehört hat. "Nun mal immer hübsch die Ruhe bewahren, meine Damen!", schlägt Ludwig vor, als der Streit immer noch tobt, und legt zur Besänftigung eine Hand auf Selets Schulter - wäre Sira nicht kleiner als seine Hand, hätte er bei ihr wohl dasselbe getan. "Ich halte es für alles andere als dienlich, blindlings in den nächsten Kampf zu stürmen. Seht mal, Maljus kann kaum laufen!" "Du brauchst mich nicht so zu exponieren, es geht schon!" Ich brauch nicht auch noch jemanden, der mir meine so formschöne Gangart vorhält. Sie missfällt mir selbst schon genug. "Außerdem… außerdem kann ich Rio jetzt doch nicht hängen lassen!" "Nun bleib mal auf dem Teppich, Maljus! Du musst Vertrauen haben in ihn. Was könnt ihr schon tun, wenn ihr jetzt zu ihm geht?" "S… sie im schlimmsten Fall zurückholen, falls es hart… auf hart kommt.", ächzt jemand zur Antwort. Der Moment, in dem wir die vertraute Stimme des stöhnenden Craylos hören, und der Augenblick, in welchem wir kurz davor sind, die Eingangshalle zu verlassen, überschneiden sich. Leicht an die Wand gelehnt und den Kopf gesenkt haltend, erwartet der Magier uns bereits. Er sieht aus wie in einen Kampf um sein Leben verstrickt. "Endlich seid ihr gekommen! Wenn ihr bloß spüren könntet, wie sehr die dunklen Mächte im Gange sind…!" "Alex hält die Wächter fern, sie haben uns entdeckt… ich habe, um ehrlich zu sein, schon fast aufgegeben, dass ihr noch rechtzeitig wiederkommt…", gesteht Craylo mit bitterer Miene, welche wir vier erwidern. Ludwig, der den Trupp angeführt hat, fährt sich mit einem Seufzer durch sein Haar. Aus heiterem Himmel beschließt er: "Gut, wenn es wirklich so ernst ist, leihe ich euch noch ein mal meine Kräfte. Ich werde diesem Alex etwas unter die Arme greifen!" Da schaut er uns schon mit einem Grinsen an. Kurz begutachtet er auch noch mal seinen rechten Arm und seine Hand. "… Mal sehen, ob 'Beidhänder-Ludwig' wirklich noch so gut mit der Linken kämpfen kann wie mit der Rechten! Und auch euch wünsche ich viel Glück - hoffentlich sehen wir uns mal wieder!" "Warte, Ludwig, du geh-" Meine Hand, die nach dem Braunhaarigen greift, fasst ins Leere, weil der Exorzist schon längst losgesprintet ist. Craylo blickt ihm kurz nach, ehe er fragt: "Also... seid ihr bereit, dass wir gehen?" "Und uns womöglich ein baldiges Ende setzen?" "Darauf kannst du Gift nehmen, du dämlicher Dolch!", rufe ich. "Wie ich sehe, erdrücken euch bereits die Querschläger meines Rituals. Doch war es auch lachhaft, sich mit ungestählten Körpern, kindlichem Geist und verblendeten Vorstellungen mir gegenüberzustellen… als wären wir gleichauf - eine Beleidigung!" Rio zwang sich selbst dazu, gerade zu bleiben, er wollte sich keine Niederlage vor diesem falschen Priester eingestehen müssen. Genauso bäumte sich Kora noch etwas gegen den starken Druck auf und hielt ihre Krallen bereit, obwohl vor ihren Augen bereits alles unscharf wurde. "Wer zuletzt lacht… lacht am besten…!", knurrte sie und näherte sich Basgorn blitzschnell unter kräftigem Schlagen ihrer Flügel. Jedoch bremste seine Hand sie abrupt, er hielt ihren Kopf mit Leichtigkeit fest. Dafür war seine anfängliche Freude ob der Gegenrede wie weggeblasen. "Wer zuletzt lacht, begreift den Ernst der Dinge zu spät. Du und deine Freunde seid keine Ausnahme." Er verengte seine Augen etwas und Kora spürte, wie sich seine Finger in ihre Haut bohrten. "Warte nur, wie dich dieser unüberlegte Sprint das Leben kosten wird." Da weiteten sich ihre blauen Augen drastisch, ein schwerer Schock durchzuckte ihren ganzen Körper. Anfangs elektrisiert, ermüdete ihre Muskeln plötzlich, ihre Sinne wurden stumpf. Schon tat sich eine verschlingende Leere in ihr auf, es war, als verließe das Lebensgefühl selbst sie durch die Hand des Priesters. Verzweifelt hob sie ihren zitternden, schwachen Arm, Finger- und Zehenspitzen froren ihr, die Kälte kroch hinauf. Ein Auge gegen ihr Leben, wenigstens das Gesicht zerkratzen wollte sie ihm! Der Spuk fand jäh ein Ende, weil Rio sich noch rechtzeitig gegen Basgorn warf. Schnell packte er Kora am Handgelenk und zerrte sie weg von ihm. "Hey, loslassen!", keifte sie ihn erschrocken an und schlug seine Hand weg. Ihr Atem war vermutlich nur selten so schnell gegangen, und sie hatte erst gar nicht begriffen, dass er sie gerettet hatte. Ohne ihn wäre das ins Auge gegangen, doch sie überwand sich nicht, ihm ihre Dankbarkeit zu offenbaren. Scheinbar war sie in Ordnung, befand Rio anhand ihrer Reaktion derweil und konnte sich ein wenig Ärger nicht verkneifen. "Hm… eure Zahl ist euer einziger Vorteil.", presste Basgorn hervor und erhob sich von dem kalten Steinboden. "Wollt ihr nicht ehrenhaftsterben wie all diese großen Kämpfer aus den Geschichten? Euer Leben geben, anstatt jemanden feige von hinten zu erdolchen? Zeigen, wie viel besser ihr doch seid?!" Seine Worte trieften vor Abscheu, Kritik und Sticheleien, als er wirklich in Fahrt geriet. Sein langes, dunkles Gesicht verfärbte sich rot. Er hielt seine Kraft nicht mehr so einfach hinter dem Berg, sodass Rio und Kora in die Knie gingen. Zea sackte zuckend zusammen und verlor fast das Bewusstsein, als der alte Alba schrie: "Ich vergreife mich also an Regalien, die der Götter Eigen sind, ist es das, wessen du mich belehren willst, heuchlerischer Knabe?! Das ich nicht lache! Eure Gottesfürchtigkeit ist eine Lüge, die jeder Beschreibung spottet! Terra sei unser aller Mutter?! Eine seltsame Mutter, die gewissenlos und unbehelligt ihren Kindern erlaubt, sich gegenseitig auf Feldern zu verstümmeln, wo Ackerbau hätte betrieben werden können!" Er senkte seine Stimme auf ein zischendes Flüstern herab und trat vor Kora. "Gib es zu: hätte dir nie jemand erzählt, Terra sei geschwächt oder gefangen genommen worden, dir wäre kein Unterschied in dieser Welt aufgefallen! Du hättest dein Leben ganz und gar in deiner sterblichen Ignoranz weitergelebt, du hättest dasselbe Leid, dasselbe Glück wie vorher gesehen in allem, was du erblickt hättest!" Seine Augen waren weit aufgerissen und er ging zu Rio, den er am Kragen hochriss. "Und du! Gerade du müsstest den Frevel aus nächster Nähe betrachtet haben - du als Elfenbastard!" Die Worte schlugen wellenhaft gegen die Wände und wurden laut zurückgeworfen. Zitternd vor Jähzorn hob Basgorn seine andere Hand, formte eine feste Faust, kurz davor, alles mit einem Schlag in das Gesicht des Jungen herauszulassen. "Sag das noch mal…", zischte Rio plötzlich und packte den Arm des Priesters. War Basgorn doch unbeeindruckt ob der Kraft des Burschen, hielt er dennoch inne, und ehe er sich versah, leuchtete Rios Handfläche plötzlich auf und ein Blitz jagte in den Arm des alten Dunkelelfen. Brüllend vor Schmerz warf Basgorn Rio beiseite und hielt sich die schwelende Haut unter dem verbrannten Ärmel seines Mantels. Keuchend quälte Rio derweil sich wieder auf die Beine und verdrängte die eigene Brandwunde auf seiner Handfläche, von der dünner Rauch zum Himmel aufstieg. Er hatte es gerne in Kauf genommen, da durfte er nun nicht heulen! Zea und Kora wurden sich der abnehmenden schwarzmagischen Wellen gewahr und waren sichtlich erleichtert. "Nicht schlecht, Kerl… dem… hast du's… gegeben.", meinte Kora anerkennend, wurde aber scharf abgewiesen: "Sei ruhig, du bist nicht gefragt worden!" Abwartend schaute Rio zu Basgorn. "Meine Güte… ich hätte nicht erwartet… dass du auch Magier bist. Oder ließ dich die Wut so zu Kräften kommen?" Der Flamen stützte sich auf ein Stück Boden, wo die Fließen fehlten und saftiges Gras hervorquoll. Urplötzlich verdorrte es, die Halme vertrockneten und wurden brüchig. Es entstand ein hässlicher Fleck aus Grau und Braun - und die schwarze Stelle an seinem Arm wurde dafür wieder normal fleischfarben mit einer nur gering erkennbaren Rötung. "Spürst du nun den Zorn, der sich in dir aufgetan hat? Du weißt, was damit verbunden ist, wenn man nach dem Volke behandelt wird. Besonders beim Volk der Dunkelelfen." "Ich gehöre nicht zu deinem verfluchten Volk!" "Ja… genau das haben sie alle gesagt, als das Ende nahte - die Dunkelelfen, die sich lossagen wollten. Oder nein… damals hießen wir noch Schattenelfen, aber das weißt du selbst sicher gut genug." Rio konzentrierte sich in seinem Wutausbruch schon auf den nächsten Zauber, ließ eine blitzende Kugel auf seiner Fingerspitze wachsen, aber Basgorn fuhr seelenruhig fort, wieder die Hocke verlassend. "Zehn Schattenelfen wurden im Durchschnitt für einen Umbramanten unter ihnen exekutiert, so besagen es die alten Dokumente dieses Klosters, die ich in meiner Studienzeit in der Krypta des alten Heiligtums entdeckt habe. Wenn sich Menschen oder Hell- oder Schneeelfen oder wer auch immer mit einem Schattenelfenmädchen einließen, wurden der Mann, die Elfe und die Kinder allesamt hingerichtet… oder schlimmer noch: Sie wurden gleich in das Imperium Mortis verbannt!" "Sei endlich still!", brüllte Rio und schickte den Blitz los, der rasend schnell dem Priester den Tod bringen wollte, doch der hagere Priester riss lediglich seine Hand in die Höhe, ein dunkler Schein zog dabei einen leuchtenden Schweif hinter sich her, und das Geschoss zersplitterte in verglimmende Funken, welche zischend in der Luft verglühten. Rio konnte sich nicht mehr halten und zog sein Schwert für einen blinden Frontalangriff. "Nein, hört auf!" Entsetzt schreiend rappelte Zea sich auf und stellte sich schützend zwischen die Beiden. Im letzten Moment konnte Rio stoppen und starrte die Novizin aus seinen wilden, gelben Augen an. Sie drehte sich zu Basgorn herum, starrte ihm ungläubig und flehend ins kühle Antlitz. "Das… das ist doch nicht wahr! Hohepriester Basgorn, was sagt Ihr da?! Warum wollt Ihr wegen dieser vergangenen Dinge… nun… warum wollt Ihr Euch so eine Schuld auflasten?! Die Verfolgung der Dunkelelfen liegt jahrhundertelang zurück, seit dem Niedergang des Alten Reiches sind die Völkertrennungen aufgehoben! Selbst wir Zwerge haben unsere Fehde mit den Elfen beigelegt!" "Frage doch lieber dich selbst, warum du es nicht tun wolltest, wenn das Blut deiner Eltern an den Händen anderer klebte, die glauben, über die anderen Völker bestimmen zu können." Zeas Herz schlug schneller und unregelmäßiger, als er plötzlich ganz traurig aussah. W… weinte er etwa?! "Du unwissendes Ding, du… lebst im Glauben, die Völker seien geeint. Ist es das, was man noch gelehrt wird, wenn man von den Eltern in ein Kloster geschickt wird?" "Was-?!" Sie stöhnte überrumpelt auf, als seine Hand sich um ihren Hals schlang. Rio erwachte aus seiner Starre und verlangte lautstark: "Lasst sie in Ruhe!" "Weshalb? Sie will selbst wissen, was mich dazu bewegt, heute diese Revolution einzuläuten. Soll sie doch die armen Seelen im Totenreich fragen! Wir wurden alle in einen Topf geworfen, werden noch immer in Rollen gezwungen, die nicht zu uns passen wollen!" Basgorn drückte fester, verschloss gewaltsam ihren Hals, was sie veranlasste, zu schreien. "Und Ihr wollt damit dann wieder dasselbe Licht auf die Dunkelelfen werfen wie die früheren Ausüber der dunklen Künste?!" Augenblicklich hielt Basgorn inne, Zea nutzte die Gelegenheit, um japsend Luft zu holen und sich damit abzuplagen, seinen Griff irgendwie zu lösen. "Seid Ihr wirklich so ein Schwachkopf?! Ich verabscheue Euch!" Ganz schnell war Zea frei, nämlich als sie von Basgorn weggeworfen wurde, doch kometenhaft schnell drückte er sie mit seinem Fuß zu Boden. Fest schaute Basgorn Rio in die Augen und sprach: "Sobald ich mit einem von euch als Tribut den Umgedrehten König aus seiner Verbannung geholt haben werde, wird niemand es mehr wagen, aus meinen Taten Schlüsse für die Gesamtheit der Dunkelelfen zu ziehen. Dann lassen sie selbst einen Bastard wie dich laufen, wenn es nur ihre eigene Haut rettet." Prompt kochte die Tobsucht in Rio erneut auf, er rief: "Vorher beende ich dein dreckiges Schattenelfleben mit einem einzigen Stich, du erbärmlicher Heiland! Und dann lass ich dich in deinem eigenen Blut bedenken, ob ich zu Dreck wie dir gehöre, oder nicht!" Die scharfe Klinge raste auf den Priester zu, Zea stieß einen erstickten Ruf aus, flehte die beiden aus trockener Kehle an, den Wahnsinn zu beenden. Basgorn blockte das Schwert mit der bloßen Hand, um die sich wieder ein flammenartiger, violetter Film gelegt hatte. Verflucht, diese Umbramanten waren ja teilweise sogar in der Lage, bereits kleinste Wunden von sich fernzuhalten! Rio änderte schnell seine Taktik, riss sein Schwert auf ein mal leicht zur Seite, was der Flamen zu spät bemerkte. Er hatte nicht mehr genug Zeit, um sich zur Seite zu werfen - da riss der andere Dunkelelf sein Schwert plötzlich schon wieder weg, an der Brust des Mannes vorbei, auf ein Funkeln im Mantel zu. Die Klinge frass sich durch den Stoff, der Fetzen fiel auf den Boden und bekam Rios festen Fußtritt zu spüren. Leise knackte etwas unter der grünen Seide. "Nein!", rief Basgorn ungläubig aus und taumelte leicht zurück. Dunkle Schlieren stiegen unter Rios Schuh auf und verflüchtigten sich rasch. "Meine Entschuldigung, Herr Pater… aber euer Seelenstein ist wohl 'angeknackst'!" "Du weißt recht gut bescheid über Umbramantie…", begann Basgorn stichelnd, sobald er sich von dem Schreck erholt hatte, "… aber wen wundert es, wir Dunkelelfen sind doch sowieso allesamt Adepti Umbrarum, nicht wahr?" Rios Gelassenheit fiel von ihm ab wie eine Maske. Kaum starrte er auf den blanken Stahl in seiner Rechten sah er, wie tief seine Stirnfalten schon geworden waren vor Wut. Zeit wurde es, dass die Klinge Blut zu schmecken bekam! Und er war sich nicht sicher, ob der verklumpte, schwarze Lebenssaft dieses Schweinepriesters ausreichen würde, um die Schneide zu stillen. Basgorn derweil war nicht tatenlos, er hob die immer noch um Atem ringende Zea hoch und hielt sie vor sich wie einen Schild. Drohend positionierte er seine freie Hand neben ihrem Hals. "Überleg' dir genau, was du tust! Ich mag vielleicht keine Beschwörung mehr ausführen können… aber ihr Leben auszusaugen, vermag ich auch ohne Seelenstein!" "Und weiter?" "Wie meinen?" "Soll mich das abhalten, dich Abschaum zu töten? Ich schneide einfach durch sie durch und töte sie mit dir, du Lump! Sie ist selber schuld, sich gefangen nehmen zu lassen! Also sprich dein letztes Gebet, 'Flamen'." "Du… du Filius Diaboli!" Mit Sira an der Spitze rennen wir die Treppe hinauf, nachdem wir der Sicherheit halber einen Umweg durch den Wald genommen haben. Vom Hauptplatz des Klosters höre ich zahlreiche Leute durcheinanderschnattern. Für die Geistlichen scheint die Welt unterzugehen in all dem Trubel, der herrscht. Und irgendwo weiter weg führt Alex die beiden Titanen mitsamt ihrem weniger friedfertigen Gefolge aus aufgebrachten Mönchen an der Nase herum. Bei Fortuna, hoffentlich kann Ludwig ihm wirklich helfen. Als Schlusslicht der Gruppe, an deren Spitze Craylo und Sira sind, komme ich kaum hinterher, obwohl ich mich bereits weit über meine Grenzen verausgabe. Carod hat selbst jetzt noch die Nerven, ein wenig Galgenhumor zum Besten zu geben: "Na los, häng' dich mal etwas mehr rein! In deinem Alter sollte man doch schon etwas sportlicher sein!" "Du hast gut Reden! Du musst ja auch nicht laufen, sondern Craylo!" Und der sieht genauso alles andere als in guter Form aus, ständig hämmert er sich gegen die Schläfe, wohl, um sich von dem eigentlichen Kopfschmerz abzulenken. Zwischen zwei Atemzügen füge ich dann noch an: "Außerdem bin ich wegen dieser Paste dieses Mors-Kriegers noch lange nicht geheilt!" Sira bremst urplötzlich, als sie das hört, und knallt gegen mein Gesicht, wodurch sie mich nach hinten umreißt. Überhaupt nicht zu meinem Wohle rolle ich gleich noch ein paar Stufen nach unten. "Sag mal, was soll das verdammt noch mal denn?!", beschwere ich mich, "Gib nächstes Mal bescheid, bevor du mich so einfach anfällst, du Naturkatastrophe!" Sol verflucht's, mein Rücken fühlt sich an wie über ein Waschbrett gezogen. Craylo und Selet halten an und wechselten verwunderte Blicke. "Beruhig' dich und sag mir lieber, ob ich mich grad' verhört habe, oder du wirklich das Wichtigste vergessen hast, mir zu sagen!" "Ich kann dir nicht wirklich folgen…" Ich halte mir zischend den Hinterkopf. Der Schmerz verdient eines der Worte, für das es zuhause rote Wangen und noch längere Ohren gegeben hätte. "Ist dieser Kerl allen Ernstes ein Mors-Krieger?! Und wir haben ihn so ohne Weiteres gehen lassen?!" "Warum ist das denn so eine große Sache?", wirft Craylo drängend ein. "Vily kennt niemand mehr und Mors-Krieger auch nicht?! Wer von uns hat die letzten Jahrzehnte unter einer Stadt verbracht, ihr oder ich?!" Sira rauft sich die Haare und ich stehe wieder auf. Für dieses Theater hab ich keine Zeit! Schnurstracks gehe ich weiter, bis Sira brüllt: "He, du gehst?" "Natürlich! Was soll ich denn sonst machen? Rio da oben seinem Schicksal überlassen?!" Sira gibt nicht nach: "Aber Ludwig-" "Wie wahrscheinlich ist es bitte, dass der schwarzgekleidete Schönling da Zeit hat für was-auch-immer-du-ihm-erzählen-willst?" "Maljus hat nicht das Wichtigste vergessen! Das Wichtigste ist jetzt Rio… und Zea!", meint auch Dorac. "Und ich werde mich auf Ludwig und Alex verlassen, die für uns da unten ihr Leben riskieren, damit wir in der Zwischenzeit das der Anderen retten können!", schließe ich und laufe humpelnd und mehrere Stufen auf einmal nehmend los. Gleich darauf gibt auch Craylo sich einen Ruck und schließlich noch Selet, die Sira einen letzten ernsten Blick zuwirft. "Nun, meinst du es wirklich ernst, Junge?", wollte Basgorn von Rio wissen,"Lass mich die Schärfe deiner Klinge spüren, oder ist sie genauso stumpf wie dein Verstand? Egal, was du tust, dieses Mädchen wird sterben." Entsetzen machte sich in Zea immer weiter breit. Unter Angstschweiß und kräftigem Zittern schluckte sie schwer, bevor sie mit vor Todesangst geweiteten und geröteten Augen schrie "Nein, tu es nicht! Nein!!" Rio erwiderte nichts mehr, beachtete nicht mal ihre Tränen, sondern machte sich gefasst, spannte seinen Körper an, seine Beine waren gerüstet für diesen einen Sprint, aber eine Hand packte ihn wie aus dem Nichts an der Schulter. Er wirbelte halb herum und schaute Kora an, die mindestens genauso wütend wie er zurück starrte. "Was willst du, Harpyie?!", zischte Rio wütend mit achtsamen Blick auf Koras Klauen. Dennoch war er nicht vorbereitet, dass sie ihn gar herumriss und anplärrte: "Sag mal, spinnst du, oder was?! Lass das Mädel in Ruhe, du hirnloser Mann!" "Halt' dein freches Mundwerk, Diebin! Ich töte diesen Priester und die Sache ist erledigt! Wenn dir das nicht passt, verkriech dich doch in dein-" "Du denkst also, mich so einfach töten zu können?", schnitt Basgorns tiefe Stimme einem tiefschwarzen Schwert gleich durch Rios Satz. Zusammen mit einem schlagartigen, erneuten Anstieg von Basgorns Kräften durchfuhr die beiden Streitenden ein kräftiger Schrecken. Nachdem Rio sich zu dem Priester gedreht hatte, schoss bereits ein violetter Blitz auf ihn zu und traf ihn mitten an der Brust. Die Wucht riss sowohl ihn, als auch Kora zu Boden. Rio konnte schwören, sein Herz setzte aus, vor unbeschreiblichem Schmerz krümmte er sich, kriegte keine Luft, keinen Ton zustande, starrte gebannt zum grauen Himmel und befürchtete bereits das Schlimmste, als seine Gliedmaßen anfingen, starr zu werden und die Sicht nebelig wurde. Gerade, wie ihm schon der Körper schwer wurde, zu schwer für die Seele, die kurz davor war, ihn unter den letzten qualvollen Sekunden der Pein zu verlassen, glätteten sich die Angstfalten in seinem Gesicht wieder etwas, Luft strömte in seinen brennenden Brustkorb, der Blick wurde flugs wieder klar... "Bas... Basgorn... ihr seid...", verfluchte er den Umbramanten atemlos. "Ich bin was?", fragte Basgorn, ohne eine Antwort abzuwarten: "Hinterhältig? Ich würde die Bezeichnung 'vorausdenkend' bevorzugen. Glaubst du, mein Meister würde mir die Wiedergeburt des neuen Gottes anvertrauen, wenn ich ein zweitklassiger Umbramant wäre, der so dumm ist, sich mit nur einem einzigen Seelenstein auszustatten? Euch Kindern mangelt es wirklich an Intellekt." Dennoch verbargen all seine Bemühungen nicht, dass er zunehmend beunruhigter wurde. "Aber dein Durchhaltevermögen überrascht mich... dieser Angriff hätte ausreichen müssen, dich zu töten... dieser Schmerz erreicht selbst die Seele, er soll sogar bis ins nächste Leben hinweg spürbar sein, heißt es." In Gedanken versinkend schwieg Basgorn für wenige Sekunden. Seine Lider waren fast nur noch zwei winzige Schlitze, hinter denen die Augen wachsam alles im Blick behielten. "Oder kann es sein, dass du dich selbst mit Umbramantie weiter befasst hast? Bist du doch genauso einer, der 'Gesetze der Götter' auf den Kopf stellt?" Rio gelang es nicht, aufzustehen, er hob schwach den Kopf und erwiderte Basgorns Provokation mit einem gequälten: "Ihr... ihr redet Unsinn." Er war wieder zu Ruhe gekommen, er bedachte noch einmal die Ereignisse der letzten Minuten und sah angestrengt zu der Novizin. "Zea... ich hoffe... Ihr nehmt mir das gerade… nicht länger übel. Ich... ich bin nicht ganz ich selbst gewesen..." Er drehte seinen Kopf schließlich auch zu Kora. "Du... ach, du weißt schon." "Wenn ihr Kerle uns Frauen nicht hättet, mein Lieber.", erwiderte die Harpyie schwach grinsend, aber scheltend. Sie stellte sich wieder gerade hin, wobei sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. "Aber jetzt müssen wir dennoch diesem Schweinepriester eine Ohrfeige links und rechts geben!" Basgorn lächelte müde und führte seine Hand zurück zu Zeas Gesicht. "Du vergisst, dass ihr Leben am seidenen Faden hängt - und ich besitze die unaufhaltsame Schere, die diesen Faden durchtrennen kann, wenn du auch nur eine falsche Bewegung machst." "Warum zögerst du dann? Du wolltest sie doch sowieso töten?", fragte Kora provokant, als sie mit ihren Augen ganz dezent etwas auf der Lichtung wahrnahm. Zea verschlug es die Sprache. "… A-aber… ihr…!", rief sie nur und weitere Tränen flossen aus ihren blauen Augen, die Kora fest fixiert hatten. Auch Basgorn zeigte sich verwundert: "Wie schnell ihr eure Meinung ändert, wenn es um das Leben der jungen Auszubildenden geht. Aber nun gut, dann will ich es jetzt zu Ende bringen und meine Zeremonie endlich fortführen. Eine Diebin ist nur gut im Wegrennen, sonst nichts." Am liebsten wäre Kora ihm an die Gurgel gesprungen, doch all ihre Willensstärke aufbringend hielt sie sich zurück. Von unten ächzte Rio: "Harpyie... ist jetzt in dich…der Teufel gefahren?!" "Pscht!", zischte sie bedacht dumpf, "Wenn der Filius Diaboli sich mal ruhig verhält, dann haben wir noch eine Chance. Pah... Männer!" Basgorn begann leise, alte Formeln aufzusagen, eine Ansammlung wirrer Zischlaute und aneinandergereihter Konsonanten, die ihn klingen ließen, als verknote seine Zunge sich selbst. Zea nahm panisch einen violetten Schein aus dem Augenwinkel wahr, die Hand Basgorns leuchtete bedrohlich. All die wie ein unsichtbares, tausendarmiges Ungetüm um sich schlagende Umbramantie hörte auf, Rio und Kora auf den Schultern zu lasten, zog sich mehr und mehr zusammen. Der dunkle Zauber konzentrierte sich in Basgorn, in seiner Hand, die fast schon Zeas Wange berührte und in deren Schein sie meinte das eingefallene, vernarbte Gesicht eines Ungeheuers sehen zu können. Und während der Priester immer unruhiger seine unverständlichen Sätze murmelte, die Zwergin den kalten Hauch bereits an ihrer fröstelnden Backe spürte, begann sie in Gedanken, ein verzweifeltes Gebet zu sprechen. An Terra, Fortuna, Sol, oder Mors, oder welche Gottheit auch immer, irgendjemand musste sie doch erhören! Basgorn brach abrupt ab, stieß Zea beiseite und warf sich selbst ungeschickt zu Boden, als ein heller Lichtschein die Krypta erleuchtete. Ein Feuerball von der Größe zweier ausgewachsener Männer raste durch die Halle. Zea blickte in die gierig lodernden Flammen, tauchte ein in das rote Licht der Verzehrung… doch spürte sonderbarerweise nichts. Es war nicht heiß... es brannte nicht. Nein, eigentlich waren die Flammen sogar recht kühl. Sie fiel durch den zischenden Kometen aus Zinnoberrot, welcher schließlich lautlos an der Rückwand in tausende kleine Funken zersprang, und landete sanft in den Armen eines Mannes, der sie trotz sichtlicher Schmerzen anlächelte. Craylo erkundete sich lachend: "Na, alles in Ordnung?" Verwundert schaute Basgorn auf, erblickte die Truppe, die im Eingang erschienen war und den Feuerball als blanke Ablenkung benutzt hatte. Er verfluchte seine Unachtsamkeit an die acht mal und mit ihr die Harpyie, die ihn so in Sicherheit gewogen hatte. Der Augenblick ist einer der wenigen, in denen wir alle, Craylo eingeschlossen, froh über sein miserables Magievermögen sind. Noch während er das Klostermädchen aufgefangen hat, bin ich in Position gegangen und halte Basgorn die Klinge entgegen. "Also hab ich mich doch nicht getäuscht!", jubelt die Harpyie Kora triumphierend, langsam wieder den Priester in Augschein nehmend. "Tja, Basgorn, ich bin vielleicht als Diebin auch gut im Wegrennen, dafür ist meine Sehstärke als Harpyie wesentlich besser als deine!" Ich kann sehen, wie der verschrammte und leicht verkohlte Rio mir schwach zulächelt. "Ihr… ihr frechen Burschen!", sprechen tiefsitzende Furcht und Hass aus Basgorn, "Hätte diese Dämonin nicht wenigstens einen von euch vernichten können?!" Er speit verächtlich aus. "… Es war zu erwarten, dass dieses stolze Mädchen wohl doch nur große Töne spucken kann." Er streicht seine zerzausten Haare zittrig zurecht, wobei er von Sekunde zu Sekunde wieder in gespielter Ruhe und Überlegenheit untertaucht. Kaum ist er wieder komplett darin verschwunden, kommentiert er: "Trotzdem kann ich hier niemanden sehen, der die Fähigkeiten besäße, gegen die Fälschung anzukommen. Wer von euch will mich denn belehren? Dieser Magier, der bereits jetzt zu kämpfen hat?! Die blutjunge Hexe ohne wenigstens einen Abschluss im Elementorum II?! Diese winzige Víla?! Dieses Kind mit dem Schwert, die einfache Diebin oder doch der Schattenelfbastard?!" "Haha, wir zwei können ja mal drüber reden! Na los, komm her, wenn du dich traust!", fordert Carod ihn heraus. "Wie wäre es, wenn Ihr einfach von selbst zur Vernunft kämet?", schlägt Dorac hingegen vor. Ich zweifle, dass das etwas nutzt - und siehe da, wie erwartet beeindruckt es den Flamen Terrae nicht im Geringsten: "Ich bin so vernünftig wie noch nie. Ich werde dieser Welt einen Spiegel zeigen, während sie im Angesicht eines neuen Gottes erzittern wird!" "Und weiter?", krächzt Rio, der von Kora gestützt wieder auf den Beinen ist, "Davon werden die Dunkelelfen auch nicht wieder… lebendig. Und das wisst Ihr…" Er hätte noch etwas angefügt, fasst sich aber verzweifelt an die Brust, als er erneut Schwäche zeigt und beinahe Kora mit zu Boden zieht. Selet läuft bestürzt zu ihnen, um zu helfen, während Sira fortführt, was Rio begonnen hat: "Nur Terra kann das Leben wieder erneuern! Und selbst wenn jemand anderes es täte... der Umgedrehte König wird nicht zwischen Elfen, Menschen, Zwergen, Nymphen, Harpyien oder Dämonen unterscheiden! Und ganz bestimmt erst recht nicht bei den Dunkelelfen!" Basgorn zieht die Augenbrauen zusammen und bohrt nach: "Was willst du damit sagen, kleines Geschöpf?" "Er… wird sie alle gleich verdammen.", spricht Rio wieder, "Ihr hättet dieselben Seelen nur… vom Regen in die Traufe geführt. Oder sogar schlimmer." "Bedenke, was du von dir gibst, Unwissender! Jeder ist fürsorglicher als eine Mutter, die ihre Kinder im Streit nicht unterbindet. Und selbst wenn der König ein grauenvoller Tyrann würde - es wäre das beste." "Was redet Ihr da für ein dummes Zeug?!" Wozu benutzt dieser Mann seinen Kopf eigentlich? Damit es ihm nicht in den Hals regnet?! Mit Freuden erwidere ich den bösen Blick des Hohepriesters. "Was du da dumm nennst, ist für dich nur nicht zu begreifen, weil du ein unerfahrener Simplex bist. Dummköpfe verstehen nie die großen Geister… aber vielleicht findet sich unter euch ja doch wenigstens einer, der fähig ist, es zu begreifen. Ihr kennt die Sage, wie Prometheus verbannt worden sein soll, also warum lest ihr nicht zwischen den Zeilen? Die Göttinnen haben den Helden damals mit der heiligen Klinge ausgestattet, indem sie ihm Wunder darbrachten! Nicht etwa, um das Ende aller Lebewesen zu verhindern - sondern ein aufkommendes Gemeinschaftsgefühl!" "Oh je, da sind jemandem aber eindeutig ein paar dumme Ideen zu Kopf gestiegen. Aber erleuchte uns doch ruhig weiter, was du sagst, ist wenigstens nicht langweilig!" "Ich nehme deinen Spott als Kompliment.", weist Basgorn die Kritik zurück. "Habt ihr euch nie gefragt, ob die Sterblichen sich nicht auch hätten selbst helfen können? Unter solchen Umständen hätten sie gelernt, zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Umgedrehten Männer zu verjagen! Und anschließend wären die Götter an der Reihe gewesen, denn wer einen Schreckensherrscher besiegen kann, kann hundert weitere genauso besiegen!" Er schweigt und sieht jeden einzelnen von uns noch mal aus seinen eiskalten Pupillen an. "Die Götter sind es, die Zwietracht säen und Leid heraufbeschwören. Aber ich werde diesem willkürlichen Treiben nicht länger zusehen, mit Dyonix werde ich das Regiment der Götter einreißen und dieser Welt den Weg entweder zum Urfrieden oder der endgültigen Verdammnis für dieses gottlose Leben öffnen!" Als er geendet hat, hebt er seine Hand, über der sich augenblicklich eine dunkle Kugel formt. Ein unnatürlich starker Wind fegt vom Wald herein, Basgorn will nun mit uns abrechnen! Ich bin geblendet von der sich sträubenden Kugel, die der Schwarzhaarige schweißgebadet in ihre Form presst. Doch da kommt ein Blitz ihm zuvor, lässt die Kugel zerplatzen und sich in einem schwarzen Schlierenwirbel verflüchtigen. Im nächsten Moment fliegen zwei bekannte Klingen surrend durch die Luft, schneiden Basgorn in die Hand, ehe er noch gar von Kora, die Rio ganz in Griseldas Obhut belassen hat, zu Boden gerissen wird. Sie hält ihm die Klauen an den Hals und zum krönenden Abschluss fischt sie mit dem Geschick einer eingespielten Taschendiebin noch zwei Klunker aus seinem zerrissenen Umhang, die sie mir vor die Füße wirft. Prompt höre ich auf, das Geschehen gespannt und beeindruckt zu beobachten, sondern zerquetsche die empfindlichen Steine mit meinem Fuß. Kein Zweifel, dass das Seelensteine waren. "Du… du penetrantes Miststück…!", flucht Basgorn zappelnd. "Lass mich… lass mich dir dein kümmerliches Leben rauben!" Mit seiner unverletzten Hand will er nach ihr greifen, da findet er seinen Arm plötzlich festgetreten auf dem Boden vor… von der Zwergin. Sie weint bitterlich, aber keine Tränen der Trauer oder Angst mehr, sondern Tränen der Wut. Halb knurrend, halb schluchzend sagt sie: "Priester Basgorn… wie immer klingen Eure Thesen schlüssig…" "Aber da gibt es zwei Probleme!", ergänzt Sira, "Es stimmt zwar, dass die Sterblichen sich selbst zu helfen wissen, wenn sie in Bedrängnis geraten." Basgorn wird ruhiger und betrachtet sie aus großen, staunenden Augen. Auch seine Magie wird schwächer, sodass Craylo wieder weniger Probleme mit den dunklen Auren um sich herum hat. So zeigt er auf: "Und genau das machen wir gerade. Wir arbeiten zusammen, um die Wiedergeburt dieses Umgedrehten Königs zu verhindern." "Außerdem hast du verpennt, dass die Sterblichen einen Plan wie deinen ganz einfach verhindern.", leitet Kora den zweiten Fehler ein und ich verstehe es nun auch. Daher sage ich: "Indem sie sich der Hilfe der Götter bedienen, die Ihr zu schwächen versucht!" Die Miene des Klerikers wird schleppend sanfter. Schließlich sagt Selet: "Und Terra ist keine Rabenmutter, nur weil sie uns uns selbst überlässt. Irgendwann müssen wir lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich kann nicht wissen, welches Leid Ihr erfahren haben müsst, um so zu denken, wie Ihr es tut. Aber das kann doch nicht Euer Ernst sein! Dyonix wird bestimmt nicht daran denken, dem Volk vorzuführen, wozu es in der Lage ist! Niemand kann ein solches Blutbad verantworten, versteht Ihr?! Er lebt fernab der Gegenden, in denen gekämpft wird, er sitzt im Schloss von Ardsted und gibt alles aus der Hand, wofür er selber sich zu schade ist, anstatt wie echte Könige an der Spitze seines Heeres zu reisen! Ihr denkt, jemand wie er ist uneigennützig genug, eine Läuterung der Welt durchführen zu lassen?!" Basgorns Leib bebt, wild sieht er von einem zum anderen und wehrt sich anfänglich noch schwach gegen Kora und Zea, doch er gibt nach kurzer Zeit auf. Die gefährliche Aura, die ihn umgibt, kommt zum Erliegen und der beklemmende Eindruck verfliegt. Bitter schlägt er die Augen nieder. "Ihr… ihr habt Recht.", gibt er sich zitternd geschlagen, "Bei Allem, was mir etwas bedeutet, ich sehe es nun ein." "Ach wirklich?", stochert Sira spitzfindig nach. Basgorn nickt - wenn man das so nennen kann, denn Koras Klauen lassen ihm kaum die Bewegungsfreiheit, auch nur einen Muskel zu rühren. "Ihr habt mein Wort als Dunkelelf, dass ich mich ergebe. Und nun lasst mich bitte aufstehen… ich will für meine Fehler geradestehen und um eure Vergebung bitten." Zögernd lassen Zea und Kora ihn los. Ich derweil beobachte jede seiner Bewegungen genauestens. Basgorn tut nichts, greift nicht an oder Sonstiges, sondern schreitet langsam zu einer Treppe im hinteren Teil der Halle. "Ihr seid sicherlich hier wegen der Wunder… um einen Bruchteil meiner Schuld zu begleichen, ehe ich unverzüglich mein Amt ablegen und mich der Buße für meine Sünden hingeben will, werde ich euch zu dem Wunder dieses Klosters führen." Ob ich ihm das glauben soll? Was, wenn es eine Falle ist? Fragend schaue ich die anderen an. "Priester Basgorn…", erhebt Zea zögernd ihre Stimme. Der Priester bleibt stehen. Er dreht sich nicht um. "… Zea?" "Tut Ihr das wirklich aus freiem Willen? Oder werdet Ihr wieder zu etwas gezwungen wie… wie damals, als die Dunkelelfen-" "Wenn ich mich jetzt aus freien Stücken entscheide, gezwungenermaßen für das, was ich verbrochen habe, die Verantwortung zu tragen, ist es besser, als gezwungen zu sein, diesen heiligen Boden mit meinem verdorbenen Blut zu beschmutzen, oder?" "Damit Ihr es wisst…", beginnt Rio ernst währenddessen, immer noch auf Griseldas Hilfe angewiesen, "Ich… ich für meinen Teil werde nie verzeihen… was uns oder mir angetan wurde. Auch Euch werde ich nie verzeihen können." Basgorn erwidert nichts. "Nur, wenn meine Meisterin es wünscht, werde ich Euch verschonen." "Nenn' mir deinen Namen, Halbblut." "Rio… Rio de Dschanehro." "Auch wenn es dich nicht gütlich stimmen mag, Rio, ich werde die wenigen Heilkräfte, die mir neben meiner Totenmagie gegeben sind, gebrauchen, um deine Wunden zu behandeln." III. Nachdem er Rios Verletzungen gelindert hat, ist er uns voraus flugs die lange Treppe emporgestiegen, ehe ein unnötig langer Gang uns wieder aus dem Berg herausführt. Dass das, was sich uns erschließt, zweifelsohne das Wunder sein muss, wissen wir alle sofort, als wir die Lichtung erblicken, die auf einer riesigen Klippe am äußersten Rande der Bergspitze liegt. Das in der Mitte muss der größte Olivenbaum Cardighnas sein! Er erhebt sich weit über die anderen hinaus und streckt seine knorpeligen, grün- und silberbesetzten Äste wie ein zu den Göttern Flehender dem Himmel entgegen. Viele Jahrhunderte muss dieser Baum alt sein mit seiner Höhe von mehr als zwanzig Metern und mit seiner dicken Borke, die den knorrigen, krummen und gewundenen Stamm bedeckt. "Wäret ihr nicht gekommen, hätte ich den Baum in Brand gesteckt und mit ihm den gesamten Hain, um ein letztes Zeichen zu setzen - und um Dyonix zu benachrichtigen, dass sein Vorhaben geglückt ist.", erklärt Basgorn ein wenig wehmütig, aber immer noch auffällig kühl, "Das Öl dieses altehrwürdigen Baumes ist eines von vier Wundermitteln, die Allerweltsmetall zum Stahl des Impristinum machen." Nachdem ich nicht mehr von Demut und Erstaunen ergriffen bin, wage ich, ihn zu fragen: "Was wird passieren, wenn das Feuer nicht entzündet und Dyonix damit sicher sein wird, dass Ihr seinen Befehl nicht ausgeführt habt?" Er ist einflussreich und überall, wohin wir auch gereist sind, sind seine Gefolgsleute damit beschäftigt gewesen, uns bis ans Ende der Welt zu jagen. Aaron, Basgorn, Cheeta, Echidna und Ventosus kennen wir bisher, aber irgendwie kann ich mir schon denken, dass sie bei Weitem nicht alle sind, die in Diensten des Consultors stehen. "Wer weiß, wozu ihn das veranlassen wird. Vermutlich wird er mich auf die ein oder andere Art zur Rede stellen." Dass das milde formuliert ist, steht ihm auf die Stirn geschrieben. "Könnt Ihr nicht etwas tun, dass Dyonix entlarvt wird? Wir hätten es um Einiges leichter, wenn wir ihn gar nicht erst als Gegenspieler hätten!", bittet Selet. "Ein einfacher Flamen der Terra soll den Consultor Maximus des Königreiches stürzen? Das ist lächerlich, so leid es mir tut." "Aber es wäre das Mindeste, was Ihr tun könntet, wäre es Euch auch nur ansatzweise ernst, etwas wiedergutzumachen.", sagt Rio ihm daraufhin auf den Kopf zu. Es lässt den Priester scharf die Luft einziehen. "Aussichtslose Kämpfe sind keine Heldentaten, nur weil man sie dennoch bestreitet und sein Leben gibt. Ich tue besser daran, auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten, an dem Dyonix verwundbar sein wird. Bis dahin werde ich durch die Qualen wandern, die das Leben ab sofort für mich bereithalten wird." Während Basgorn zu dem Baum geht, bemerke ich, wie die blonde Zwergin, die laut Craylo Zea heißt, sich aktiv im Hintergrund hält und misstrauisch alles beobachtet. Irgendwie will in mir keine Siegesstimmung aufkommen, wenn ich sie so sehe - obwohl wir das erste Wunder vor uns und zum Greifen nahe haben. Mit einer faustgroßen Olive in der Hand spricht Basgorn: "Nun, gebt mir die Klinge, welche geweiht werden soll." "Los, Maljus, gib es ihm schon!", verlangt Sira, ehe sie Craylo, Rio und Selet zuflüstert, wachsam zu sein. Ich bezweifle, dass Basgorn als Alba das überhört hat. Und eben deswegen zögere ich besonders, als ich mein Schwert aus dem Gurt löse und es Basgorn übergebe. Wachsam hätten wir sein sollen, doch auf die Harpyie, die aus unseren Reihen hervorschießt wie ein Pfeil, blitzschnell die Olive gepackt und sich damit in die Lüfte begeben hat, sind wir nicht vorbereitet gewesen, als es auch schon passiert ist. "Tausendfachen Dank!", lacht sie schallend von oben und ihr triumphierendes Gelächter verhallt in den ungeahnten Weiten der Schlucht. "Damit hätte ich das erste Wunder eingesackt, fehlen bloß noch drei! Ach, nun macht doch kein so mürrisches Gesicht!" "Du verdammte Diebin änderst dich nie!", schreie ich zu ihr empor. "Oh~, das ist eben meine Natur und gegen die kann ich nicht an. Tja, Blondchen, du bist eben nicht der Prophezeite, sondern ich!" Sie fliegt weg und bloß eine herabsinkende, rote Feder erinnert noch an sie. Oh, ich könnte dieses Teufelsweib erwürgen! Basgorn muss leise lachen. "Ihr zwei seid wie die heiligen Geschwister Gergna und Sacc aus der Comoedia Cosmica." So irritiert ich ihn auch erst angucke, desto herrischer werde ich, als ich rufe: "Sie hat gerade das Wunder gestohlen und Ihr könnt darüber grinsen?!" Und überhaupt, wenn das meine Schwester wäre… bah, was würde ich mich nach einem Engelchen wie Sara sehnen! Basgorn wird wieder etwas ernster, bleibt aber zuversichtlich. Erst, als er mit einer zweiten Olive, mindestens genauso groß wie die andere, zurückkommt, beruhige ich mich etwas. Er sagt: "Dieser Baum wäre kein Wunder, könnte er bloß eine Frucht mit genügend heiligem Öl hervorbringen." Die dürren, knöchernen Hände des Priesters schließen sich kurz darauf um Scheide und Heft meines Schwertes. Er zieht die Klinge schwerfällig heraus, legt die Schwertscheide zu Boden, um mit seiner Hand nun die dicke Olive auszupressen und ihren Saft präzise auf die Klinge zu träufeln. Zäh- und dickflüssig klebt das Öl nun am Stahl. Als nächstes zieht Basgorn ein feines Taschentuch hervor und wischt noch ein mal über die Klinge, um das Öl hauchdünn auf beiden Seiten der Schneide zu verteilen. Zu guter Letzt platziert er die Waffe wieder in der Schwertscheide und gibt sie mir zurück. "Hier… das wäre alles. Terras Segen liegt nun auf dieser gesalbten Klinge. Geht behutsam damit um, bis ihr noch die restlichen drei Wunder gefunden haben werdet!" "Priester Basgorn, wisst Ihr denn auch, worum es sich bei den anderen drei Wundern handelt?" "Nun… ich weiß nur, was Wunder des Aqua-Nymphaeums im Gersaitsee ist. Tief unten, in den Kammern, die längst unter dem Wasserspiegel verlaufen, entspringt angeblich einer Quelle gleißend blau leuchtendes Wasser. Dies müsst Ihr genauso auf die Klinge auftragen wie die anderen zwei Wunder, über die ich nichts weiß." "Ich denke, Ihr habt uns schon mehr als genug geholfen, Flame-" "Bei Weitem nicht!", fährt Sira mitten im Dankesausspruch dazwischen, "Denn da gibt es noch etwas, worum Ihr Euch kümmern müsst, bevor wir das Kloster so mir-nichts-dir-nichts verlassen können!" "Ich habe eine leise Vorahnung…" "Einer unserer Freunde hält gerade diese unheimlich freundlichen Titanen auf, die dank Dyonix' Ablenkungsmanöver das Kloster bewachen! Ihr habt uns jetzt das Wunder gezeigt und uns ein wenig mit Informationen versorgt, aber noch ist nicht vergeben und vergessen, was Ihr vorhin noch Rio, Griselda und dieser Novize antun wolltet!" Beschämt senkt Basgorn den Kopf. Rio unterstützt Siras harte Worte: "Ihr wisst, dass sie Recht hat, denn ich habe Euch genauso darauf hingewiesen, dass die zwischen uns gerissene Kluft zu tief ist!" "Nun macht mal halblang, ja?!", rufe ich. Im wahrsten Sinne des Wortes bin ich auf Basgorns Seite, als ich Sira und Rio wie meine ärgsten Feinde anstarre. "Ich bin ja genauso der Meinung, dass wir noch lange nicht gute Freunde sein müssen! Aber wenn ihr von vornherein auf ihn einprügelt und ihm sagt, dass zwischen uns nie Frieden herrschen kann, wundert es mich doch sehr, dass ich bis jetzt noch keine Klinge im Bauch habe und er schließlich doch diesen Wald abfackelt! Dyonix hat mit ihm genau dasselbe abgekartete Spiel abgezogen wie mit uns…" Ich balle meine Hand zur Faust und drücke mit dem Daumen gegen meine Brust. "Ich bin damit einverstanden, in Basgorn ab sofort einen Verbündeten zu sehen, egal, ob er uns jetzt auch noch hilft, Alex vor den Titanen zu schützen!" "Und ich werde mich erkenntlich zeigen.", verspricht Basgorn mit einer Verbeugung. IV. "Werdet Ihr Euch wohl unterstehen, sie anzugreifen?!", donnert Basgorns Stimme über das Forum und der dichte Kreis aus schaulustigen Novizen, Capellani und Priestern zerspringt augenblicklich. Der klobige Titan vor Alex blutet aus der Nase und mehreren kleinen Wunden im Gesicht, in dem sich Bestürzung breit macht, als er den Alba Occulta erkennt. "Flamen Terrae Basgorn! Was gibt es?!", haucht er zu Tode erschrocken. "Das habe ich doch soeben deutlich angeführt!", schimpft Basgorn den Titanen mit gebrochener Nase wutentbrannt aus, "Lasst diesen Mann sofort in Frieden und erklärt mir, wieso Ihr auf ihn losgegangen seid wie eine Belua Peccati!" Der Titan gibt sich aber nicht so einfach geschlagen: "Mit Verlaub, Hohepriester, aber was haben überhaupt diese Kinder da bei Euch zu suchen?!" Er dreht sich vollends zu uns um und zieht seinen Speer weg von Alex, der in Schweiß, Schmutz und ein paar Regentropfen getaucht auf den Knien gelandet ist. "Diese Spitzbuben und die junge Hexe sind hier trotz der strengen Auflagen eingedrungen! Seine Majestät selbst hat veranlasst, dass wir niemanden im Kloster einlassen sollen, der keine Befugnis hat, während seine Tochter hier residiert!" Basgorn wartet, bis der Riese ausgesprochen hat, um ihn zurechtzuweisen: "Hat König Gustere damit gemeint, dass Ihr diesen guten Bekannten meinerseits nicht einmal die Möglichkeit gebt, sich auszuweisen?! Soweit ich weiß, habt Ihr versucht, sie ohne Weiteres wegzuscheuchen!" "Aber das stimmt doch gar nicht-" "Werft Ihr ihnen vor, mich zu belügen?! Hütet Eure Zunge, oder ich werde Eurem Vorgesetzten Gerdonis anraten, sie abtrennen zu lassen!" Der Titan schrumpft immer weiter zusammen, je lauter Basgorn ihn anherrscht. Meine Güte, das ist erstaunlich, wie gut er seine Rolle spielt! Etwas zurückhaltender entgegnet der Wachmann dennoch: "Aber Flamen, wie kommt es, dass Eure Bekannten so zugerichtet sind? Ich schwöre auf mein Amt und meine Familie, dass wir damit nichts zu tun haben!" "Wir haben mit Dämonen gekämpft!", rufe ich da, weil ich Basgorn etwas unter die Arme greifen sollte, "Während Ihr Alex nachgestellt habt, mussten wir im alten Heiligtum mit einer Bestie kämpfen!" "Das Ungetüm hat sogar die Prinzessin angegriffen!" Selets Ausruf lässt den Wächter kreidebleich werden und die Mönche und Nonnen schockiert die Hände vor den Mund schlagen. Ich nutze die Aufregung, um meinen nächsten Zug zu bedenken, dann sage ich: "Dieses Vieh hat sogar einen Teil des Gebäudes eingerissen. Wir sind mit dem Leben davongekommen!" Basgorn nickt und fährt fort: "Und dann sind sie zu mir geeilt, um Hilfe für Prinzessin Selet zu holen! Da aber manche Wächter eher hinter ihnen her waren als dieser Ausgeburt des Bösen, ist wertvolle Zeit verloren gegangen!" Er deutet ausschweifend in Richtung Heiligtum. "Na los, holt die Prinzessin sofort da raus und lasst einen Medikus oder Heiler holen, sonst gnade ihr Mors und euch der Rex Sacer et Cosmicus!" "Aber halt!", schreitet Craylo noch ein, als der Titan im Begriff ist, folgsam von dannen zu laufen, "Wo ist denn der andere Wächter? Und… und…" "Und Ludwig!", helfe ich dem Magier auf die Sprünge. Der Wächter will wissen: "Was…? Dieser schwarzgekleidete Mann mit der braunen Sturzfrisur? Der ist verschwunden! Wächter Thioklez ist ihm nach in die Stadt! Aber jetzt aus dem Weg, ich muss Prinzessin Selet retten!" Er trampelt an den aufgeregt ausweichenden Hakama- und Haoriträgern vorbei, welche zuvor noch ihre Blicke an Basgorn und uns geheftet haben, wie eine Zecke sich an ihren Wirtskörper. Priester unterhalten sich tuschelnd mit ihren Adjutanten, während manche der weiblichen Novizen sich ängstlich aneinanderklammern. Zea schaut uns starr an. "Das klappt ja wie am Schnürchen.", murmelt Dorac, "Während die beiden beschäftigt sind, hauen wir ab und sind noch vor Sonnenuntergang weit weit weg!" "Ihr beliebt zu scherzen. Nichts garantiert, dass ihr nicht als Vogelfreie endet, wenn ihr flieht.", flüstert Basgorn uns zu. Er schaut auf, um Alex vor sich stehen zu sehen. Er ist auch ganz schön angekratzt und zischt: "Was für eine komische Scheiße ist das denn jetzt?! Kann mich mal jemand aufklären, was zum Fatum plötzlich los ist?! Craylo?!" "Ich rette Euch gerade das Leben, mein Herr. Zumindest solange, bis Ihr aus der Stadt seid!" "Alex, halt dich zurück, bis wir unseren Hals aus der Schlinge gezogen haben!", bittet Craylo energisch, "Wir erklären's dir alles noch, versprochen!" "Als ob du nicht selbst das ein oder andere mit den Kindern zu bereden hättest!", giftet Alex sich nur langsam beruhigend, ehe er dann still bleibt. Basgorn fährt fort: "Consultor Majoris Gerdonis von der Stadtverwaltung ist ein guter Bekannter von mir. Vielleicht kann ich andeuten, worum es wirklich geht, wenn wir ihn jetzt aufsuchen, und dafür sorgen, dass er euch auch weiterhin in Schutz nimmt, sollte die Situation sich verkomplizieren." Also eines ist klar… die Sache ist noch lange nicht gegessen. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über das von einer zunehmend verblassenden Wolkendecke überdachte Forum schweifen, auf dem die Geistlichen noch immer aufgelöst versuchten, zu erfahren, was vor sich ging. Wer waren diese Kinder und die zwei Männer, die sich um den Hohepriester der Terra geschart hatten? Hausten nun also wirklich Dämonen in ihrem alten Heiligtum? Und war Prinzessin Selet wohlauf? Was würde passieren, wenn sie verletzt oder sogar gestorben wäre?! Auch die auszubildende Zwergin Zea war überwältigt und perplex, da sie ihren obersten Lehrmeister zusammen mit diesen eigenartigen Reisenden, deren Namen sie teils noch nicht ein mal kannte, von dannen ziehen sah. Inmitten der verstreuten Kreisstücke verblieb sie mit offenem Mund, umringt von anderen Novizen, die nicht viel weniger wussten als sie, und glaubte, ihre Brust zerspringe an dem wild pochenden Herzen darin. Nein, es war noch lange nicht das Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)