Weihe des Siegelschwerts von Ubeka ================================================================================ Capitulum II: Die Außenwelt - Wo Magier, Exorzisten und Traumwandler lauern --------------------------------------------------------------------------- I. Nach einer Stunde haben wir den Wald bereits hinter uns gelassen und reiten durch die dunkle Graslandschaft. Der kalte Nachtwind heult in meinen Ohren und schlägt mir ins Gesicht, während ich über die dünn bewachsenen Hügel hinwegfege. Zugegeben, das ist bereits ein neuer Eindruck, aber noch nichts Spektakuläres. Der Vollmond gibt uns großzügige Sicht. Sira hockt mit dem Rücken zu mir auf dem Kopf des Pferdes und schaut stur geradeaus. "Reit' einfach immer weiter nach Norden, irgendwann sollten wir das Ardnasgebirge sehen." "Was, wir machen keine Rast bis zum Gebirge?!", bin ich erschrocken. Das ist doch unmöglich in einer Nacht zu schaffen, jedes Kind weiß, dass es von den Wäldern hinter uns bis zum Gebirge mehrere Tagesreisen sind! "Natürlich nicht, was hast du denn für Vorstellungen, wie weit es bis nach Ardsted ist?!", plärrt Sira gegen den Wind an, "Aber ehe es nicht dringend sein muss, werden wir weiter reiten! Ich hoffe, du hast dich auf weniger gemütliche Schlafplätze eingestellt…" Man, muss die es vielleicht eilig haben… "Ja, ja, ich bin ja schon still!", murmle ich augenrollend und richte den Blick ebenso gen Norden, wo die Hügel am dunklen Horizont verschwinden. Je weiter wir reiten, desto müder werde ich allerdings und wann immer ich auch nur einen Umriss sehe, der zu einem Gutshof gehören könnte, wächst die Sehnsucht nach einem warmen weichen Bett. Irgendwann, Stunden später, halte ich den Rappen schließlich an. Ich könnte umfallen vor Schläfrigkeit und auch einem gewissen Maß an Langeweile. Während des Ritts hat Sira kein Wort gesprochen. "Ich brauch jetzt unbedingt 'ne Pause, Sira..." Sie dreht ihren Kopf zu mir herum und verzieht das Gesicht zu einer grimmigen Grimasse. Doch nach einigem Zähneknirschen entgegnet sie bockig: "Wenn es denn unbedingt sein muss..." "Bist du denn nicht müde?" "Wie könnte ich?! Drei Tage habe ich untätig in deinem Zimmer gesessen! Und bei der Vorstellung, dass irgendwas in der Stätte passiert sein könnte, kann ich unmöglich ans Schlafen denken!" Ich schüttelte mit einem Seufzer auf den Lippen meinen Kopf. Weit und breit nichts, was ein Haus sein könnte… Mit ungutem Bauchgefühl hole ich eine dicke Decke aus meinem Reisesack, binde das Pferd an einem Baum fest und lasse mich daneben nieder, in die Decke eingewickelt und meine Beine angezogen. Fröstelnd und einsam unter dem vom Laubdach verdeckten Sternenhimmel schlafen… das ist schon gleich eine weitere neue Erfahrung. Keine, die mir besonders behagt. Auch den anschließenden Tag verbringe ich kaum so, wie ich es mir vorgestellt habe. In aller Früh reißt Sira mich aus meinem sanften unsteten Schlaf und ordnet die Weiterreise an. Nur mit viel Lautstärke und Beharrlichkeit kann ich heraushandeln, wenigstens noch kurz was von meinem Vorrat zusammen mit ein paar Beeren aus der näheren Umgebung zu mir zu nehmen. Dank meiner vielen Jahre in Welsdorf kenne ich mich zumindest damit bestens aus und erkenne jede giftige oder unbekömmliche Pflanze auf den ersten Blick. wir setzen unseren schier ewigen Weg durch die weite Ebene fort und so langsam kommt es mir so vor, als habe ich all das schon ein mal gesehen. Wie in dieser einen Passage aus einem meiner Lieblingsbücher, in der der Held sich irgendwann gefangen findet auf einer gar endlosen Treppe, die nie enden will, egal wie hoch er steigt - und sobald er sich entschlossen hat, zurückzugehen, sieht er, dass er nicht eine einzige Stufe gegangen ist. doch das am Horizont blaue und nur schemenhaft erkennbare Ardnasgebirge lässt mich Hoffnung schöpfen. Ich muss ihm näher gekommen sein und hinter mir sehe ich nur weite Auen, nirgends den Wald. Ich kann es kaum erwarten, dieses Gebirge vor mir zu haben - es muss majestätisch sein! II. Wieder reiten wir bis spät in die Nacht hinein. Sira zeigt sich immer noch sehr verschlossen und abweisend, redet nur, wenn ihr die Geschwindigkeit nicht passt, in der wir vorankommen. Ich bekomme Mitleid mit dem Gaul, den ich dann jedes Mal weiter antreiben muss. Lange macht er diese Tortur sicher nicht mehr mit - selbiges gilt für meinen Hintern, der tut auch von Minute zu Minute mehr weh. Ich beschließe schließlich und überrede Sira, dass es Zeit ist, den Tag für beendet zu erklären und sich dem Schlafen hinzugeben. Doch diesmal sehe ich zu meinem Glück nicht weit entfernt einen Bauernhof, der von niedrigen Hügeln und ein paar kargen Feldern umgeben ist. Hoffentlich ist noch jemand wach, um uns aufzunehmen, ich kann unmöglich noch mal im Freien übernachten! Es sieht nicht wirklich danach aus, alle Lichter im Haus sind gelöscht und bei der kleinen Scheune oder dem Stall kann ich niemanden entdecken. Was hab ich mir auch gedacht? Es ist seit Stunden stockfinster, eine kühle Sommernacht, in der wohl niemand die Lust vespürt, auf offenem Felde zu wandeln, anstatt unter einer armen Decke und auf Daunen gebettet den Schlaf der Gerechten zu genießen. "Darf man fragen, wer sich zu dieser Stunde hier herumtreibt?" Ich zucke zusammen, als unverhofft die Stimme eines Mädchens an mein Ohr dringt. Verwundert sehe ich mich um, kann aber nirgends jemanden entdecken. Träume ich etwa schon? "Hier oben!", ruft die juvenile Stimme, worauf ich an der Scheune hoch sehe. Dort oben sitzt jemand! Ein spitzer, dunkelgrauer Hut ragt nach oben und hat sich vor den vollen Mond geschoben. Das Mädchen trägt fast gänzlich dunkle Kleidung, soweit ich das im Dunkeln erkennen kann. "Wir-" Ich breche sofort ab und verbessere mich: "Ich bin ein einfacher Reisender! Ich suche eine Unterkunft!" Das Mädchen legt den Kopf schief, lacht hell und wiederholt: "Einfacher Reisender? Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht!" Plötzlich schwingt es sich vom Dach der Scheune, fällt hinunter, aber fängt sich gekonnt ab, ehe es vom Boden aufsteht und mich schmunzelnd anlacht. Das ist das erste Mal, dass ich in so tiefbraune Augen starre, doch mich fesselt sofort das wilde, seltsamerweise silberne Haar, das unter dem spitzen Hut der jungen Dame hervorquckt und hinten zu einem Haarknoten zusammengebunden ist. Sie trägt ein ungefähr knielanges Kleid, das sie an der Taille mit einer hellen Schärpe festgebunden hatte. In zwei langen Enden reicht sie nach unten fast bis zu den Absätzen ihrer schwarzen Stiefel und die Schultern des Mädchens sind mit einem bunt bestickten Tuch drapiert. "So so, eine Unterkunft suchst du also? Da bist du wohl leider falsch hier.", sagt es ganz unverblümt. "Gibt es dann hier irgendwo in der Nähe ein Gasthaus, oder ein Dorf?", frage ich enttäuscht. Das Mädchen schüttelt entschieden seinen Kopf. "Nein, hier gab und gibt es kein Gasthaus. Auch kein Dorf. Du musst schauen, dass du woanders unterkommst!" Ich ächze entkräftet, aber ergebe mich meinem Schicksal. "Gut, dann gehe ich wieder. Aber danke für die Information." Meinen Unmut kann ich nicht ganz zurückhalten, als ich mich umdrehe und schon dabei bin in den Sattel zu steigen. Da überlegt es das Mädchen sich plötzlich anders und schlägt vor: "Nun ja, es gibt hier zwar kein Gasthaus… aber ich kann dich ja unmöglich jetzt noch weiter reiten lassen. Du kannst von mir aus im Heu im Stall schlafen, da ist genug Platz." "Danke!" Besser als nichts, obwohl das immer noch eine eher notdürftige Schlaffstätte ist. Bevor ich mich aber schlafen legen kann, liegt mir noch etwas auf dem Herzen: "Sag mal, du lebst nicht hier auf dem Bauernhof, oder? Du siehst mehr aus wie eine-" "Hexe?", vervollständigt die junge Dame meinen Satz. "Ganz recht, ich bin eine Magierin!" Kleinlaut und leise fügt sie an: "Eine auszubildende, immerhin." Donnerwetter, denke ich hingegen, eine richtige Hexe! Obgleich das angeblich für Cardighna keine Besonderheit ist, ist das für mich das erste Mal, dass ich einer Magierin gegenüberstehe. In Welsdorf hab ich noch keinen einzigen Adepten gesehen. Die Hexe ist etwas distanziert, aber ich frage trotzdem: "Und wie heißt du, wenn ich fragen darf?" "Griselda. Und wer bist du, Alba?" "Ich heiße Maljus." Ich möchte ihr die Hand schütteln, doch sie lehnt ab: "Lass uns morgen weiterreden. Ihr beide werdet sicher müde sein." Mich durchzuckt ein Schreck, hat sie etwa Sira gesehen?! Die Víla hat sich irgendwo in meinen Nacken hinter den Haaren versteckt und kitzelt mich unangenehm mit ihren Flügeln. "Wir... wir beide?" "Na, du und dein Pferd!" "Oh~, ach so!" Grade noch mal gut gegangen. Ich nicke. "Ja, ich bin fast die ganze Nacht gereist und bräuchte unbedingt etwas Schlaf." Griselda registriert es und verschwindet mit einem knappen Winken im Bauernhaus, während ich den Rappen in die Scheune führe, ehe ich mich entkräftet in den Heuhaufen neben ihm fallen lasse. Ich bin so müde, dass mir dann auch dieses Domizil recht ist und binnen weniger Sekunden schlaf ich ein, als sei es von feinsten Federn gefüllte Seide. Als ich erwache, ist es schon längst hell draußen. Erst weiß ich gar nicht, wo ich eigentlich bin, dann erinnere ich mich wieder. Ach ja, ich hab in der Scheune übernachtet, auf diesem kleinen Bauernhof, irgendwo auf dem Weg nach Ardsted. Aber Augenblick, ich lieg gar nicht da, wo ich eingeschlafen bin! Als hätte sie meine Gedanken gelesen, antwortet Griselda, welche Beine baumelnd auf einem Heuballen sitzt: "Du hast dich genau auf den Haufen gelegt, den der Bauer an die Tiere verfüttern wollte. Und du hast sogar noch geschlafen wie ein Stein, als er dich dann aus dem Weg geräumt hat! ... In anderen Worten: Guten Morgen." "M... morgen…", gähne ich. Ich zupfe mir das Heu aus Haaren und Kleidung und stehe auf, um mich etwas zu dehnen. Ahh, mein Rücken macht mir bewusst, wie sich wohl Alid fühlen muss, wenn sie beklagt, so alt und gebrechlich zu werden. Ich bin immer noch hundemüde, aber weiß aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hat, länger herumzuliegen. Einschlafen kann ich ja sowieso nicht mehr. "Du hast sogar so fest geschlafen, dass du nicht mitgekriegt hast, wie ich etwas gefangen habe!" Ich hüte mich, ihr zu sagen, dass mir nicht sonderlich danach ist, zu raten, was das sein mag, daher frage ich müden Blickes schlicht: "Aha? Was denn?" Sie hält mir einen kleinen Käfig vor die Nase, der wohl eigentlich einem Huhn gehört hätte, stattdessen hockt aber eine bitterbös dreinblickende Sira darin und verengt ihre Stirn noch mehr, als sie mir ins Gesicht blickt. Blitzschnell bin ich wach. "Das... das mag sich komisch anhören, aber könntest du sie bitte wieder rauslassen? Das ist sowas wie meine Gefährtin, verstehst du?" "Aber gerne doch! Wenn sie auch die Höflichkeit besäße, sich vorzustellen!", sagt Griselda entschieden, "Irgendwie will sie mit mir nicht so recht reden…" Sira verschränkt die Arme vor der Brust und klingt arg gekränkt, als sie knirscht: "Sira... Hmpf!" Grinsend öffnet Griselda den Käfig. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so listig sein kann. Sira fliegt wie von der Tarantel gestochen zu mir und nimmt auf meiner Schulter Platz, von wo aus sie die Hexe böswillig beäugt. Die meint aber nur gut gelaunt: "Ihr zwei seid tatsächlich interessant! Was treibt Euch denn so durch die Welt?" Siras verstimmter Blick sagt ganz genau: 'Sag ihr auf keinen Fall die Wahrheit!', doch darauf wäre ich auch selber gekommen. "Wir reisen eigentlich mehr oder weniger nur um des Reisens Willen. Um ein bisschen durch die Welt zu kommen!" Das weicht doch gar nicht mal so sehr von der Wahrheit ab, oder? Na ja, für mich selbst zumindest. "Und wohin geht die Reise grade?" "Warum fragst du?", stellt Sira misstrauisch eine Gegenfrage, was Griselda zum Lachen bringt. Etwas zögernd erwidere ich ihr Lächeln. "Soll ich ehrlich sein? Na schön: Ich könnte etwas Begleitung auf meiner Reise vertragen... es ist fürchterlich langweilig, alleine durchs Land zu ziehen." "Du... reist alleine?" "Tust du doch auch... na ja, von Víly in deinem Gefolge mal abgesehen." Sira horcht auf und beugt sich neugierig vor. "Du kennst uns Víly?" Griselda nickt. "Ja, ich hab ab und zu von ihnen gehört... aber ich hielt sie eigentlich nur für irgendein Märchen. Tja, man lernt eben nie aus!" Das ist ein Spruch, den ich nur bestätigen kann, vor wenigen Tagen hab ich genauso wenig Ahnung davon gehabt, dass es Víly gab, hab nicht mal von ihnen gehört im Gegensatz zu der angehenden Hexe, die mehr und mehr einen aufgeweckten Eindruck auf mich macht. Und sie will uns nun begleiten? Ich werfe Sira einen flüchtigen Blick zu, dem sie erst nur ein genervtes Stöhnen zu erwidern hat. "Mein Eindruck sagt mir, dass du sowieso nicht nachgäbest! Aber wenn du nicht auch nach Ardsted reist, wirst du dir jemand anderen suchen müssen!" "Oh, Ardsted klingt fantastisch!", ruft sie und klatscht frohgemut in die Hände, "Das ist genau nach meinem Geschmack!" "Und durchfüttern werden wir dich auch nicht!", stellt Sira gleich im Anschluss klar, was jedoch genauso wenig ein Hindernis für die junge Hexe ist: "Auch das ist kein Problem! Ich habe selber genug Geld und Verpflegung, um mich zu versorgen!" Sie scheint nett und selbstbewusst zu sein. Bestimmt gibt's wenig Probleme, wenn sie mitkommt. Wir unterhalten uns noch ein wenig, ehe sie Sira und mir anbot, ein etwas verspätetes Frühstück einzunehmen. Nachdem auch das geschehen ist, machen wir uns auch schon wieder fertig für die Weiterreise. "Gut, dann mal auf nach Keslynth!" "Keslynth? Ich dachte, wir wollten nach Ardsted!" "Na klar, wir sollen die Höhen des Ardnas-Gebirges in einem Zug erklimmen? Bist du übergeschnappt?!", keift Sira, "Ich wäre auch lieber etwas schneller in Ardsted, aber das schaffen wir bei deiner Kondition sicher nicht!" "Nun hör aber auf... dich möcht' ich sehn, wie du die Berge mit deinen Flügeln erklimmst!" "Zankt euch nicht!", mischt Griselda sich ein, während sie auf dem Pferd hinter mir Platz nimmt, "Ich bin mir sicher, ihr werdet schon früh genug nach Ardsted kommen! Außerdem soll Keslynth auch sehr schön sein! Man kann von dort aus wunderbar den Mons Mortuorum erblicken!" Was war das noch gleich für ein Berg? Ich muss etwas in meinem Gedächtnis kramen, bis es mir einfällt. Ein Berg, der nahe am Totenreich liegen soll. Wer irgendwie in der Lage ist, lässt sich direkt am Fuße dieses sagenumwobenen Berges begraben, um schneller eine Wiedergeburt zu erleben. Das verleiht dem Berg auch seinen Namen, der übersetzt 'Berg der Toten' bedeutet. Ob ich diesen, den bekanntesten Berg des riesigen Gebirges, welches die nördliche Grenze der Präfektur markiert, auch erklimmen werde? Man weiß ja nie. III. "Los, rückt sie raus!! Oder soll ich ausholen?!" Die ersten Worte, die unsere kleine Gruppe vernimmt, als wir nachmittags Keslynth erreichen, sind alles andere als freundlich. Eine kratzige Männerstimme brüllt durch das malerische Dorf, einen kleinen Haufen von Stein- und Lehmbauten, der sich wie ermüdet an die aufragenden Berge schmiegt. Ein verängstigter Bewohner stürmt, Sira, Griselda und mir sogleich entgegen und rät uns: "Haut lieber schnell ab, wenn Euch Euer Leben lieb ist!" Ich gucke den wild gestikulierenden Mann, einen mageren Bauern mit wenigen Zähnen und schmutzigen Gewändern, der schon ganz außer Atem war, fragend an. "E- es sind Untote im Dorf! Sie... sie wollen unsere Töchter rauben! V- verschwindet von hier!" Vor meinem geistigen Auge spielte sich mit einem Mal all das aus dem Wald noch einmal ab, das gerüstete Skelett, das es auf Sara abgesehen hatte, mein kurzer Kampf mit ihm. Besteht da etwa ein Zusammenhang?! Der Mann rennt davon, aber ich bleibe, sehe ihm noch kurz ein wenig verunsichert nach und springe, statt seinen Rat einfach zu befolgen, vom Pferd ab. "Hey, was hast du vor?!", fragt Sira und fliegt mir hinterher, "Hast du ihn nicht gehört?!" "Ich will mir das genauer ansehen!" "Tu es nicht!", will mich auch Griselda abhalten, aber ich lasse nicht mir reden. Ich bin jetzt neugierig geworden und brenne darauf, mir diese Mistkerle anzusehen, die Unheil stiften! Es ist weniger ein übertriebener Drang nach Gerechtigkeit, sondern vielmehr die Hoffnung, jetzt vielleicht Antworten zu fingen. So einleuchtend Siras Geschichte bisher auch klang, sie beantwortet mir noch lange nicht, was der Wiedergänger in den Wäldern zu suchen hatte! Ich laufe dem rechthaberischen Gebrüll nach, bis ich schließlich den Schreienden in einiger Entfernung entdecke: ein weiteres lebendiges Skelett, gepackt in einen prunkvollen Brustpanzer. Auf dem kahlen Schädel thront ein goldener Helm mit rotem Kamm. Der Untote sieht wie ein Relikt aus alten Zeiten aus, wie aus irgendeinem vergessenen Mausoleum. Ich hab noch nie so einen Harnisch gesehen, doch er erinnert mich an die Erzählungen der früheren Zeit, an die Legenden von Altcardighna - auch Cruenta Terra genannt. Des Generals brauner Umhang weht leicht im Wind, der hohe Kragen lässt nur die obere Gesichtshälfte - soweit man das als so etwas überhaupt bezeichnen kann - sehen. Von seinem Ross aus befehligt er zwei weitere wesentlich prunkloser gekleidete Gestalten, die aussehen wie exakte Kopien des Wiedergängers auf der Lichtung. Sie tragen dieselben Helme, die gleichen einfachen Rüstungen und auch ihre Waffen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. "Nein, lasst uns unsere Tochter! Wir flehen Euch, lasst sie!" Die beiden Untoten zerren an dem Leib eines dürren weinenden Mädchen. "Ruhe, ihr zwei Hunde, oder eure Kehlen werden Bekanntschaft mit meinem Schwert machen!", brüllt der General die völlig aufgelösten Eltern, ein Handwerkerehepaar, an. "Hehehe, keine Sorge, wir geben gute Acht auf eure Tochter!" Sein Lachen klingt so widerwärtig und ich höre den Spaß heraus, den es ihm bereitet, die verschreckte Familie rumzuschubsen. Dem Sohn wird es dann allerdings zu bunt, er hat sich einen schweren Stab gepackt und rennt auf eines der Skelette zu, die seine Schwester festhalten. "Dummes Bürschchen... los, du da, schlag ihn zusammen! Anders lernt er's wohl nicht, hehehe!" Des Untoten Schwert hat dem Jungen mit einem einzigen Schlag den Holzstab aus der Hand geschlagen. Der Soldat lässt sein Knie hochschnellen und rammt es dem armen Kerl in den Magen, ehe er ihm das Schwertheft gegen den Hinterkopf donnert. Der Junge fällt zu Boden, betastet vorsichtig und zitternd seinen blutenden Kopf. Der Untote hebt sein Bein und ist kurz davor, auf ihn einzutreten! Das kann nicht gut gehen, wenn ich nicht etwas unternehme! Es ist ein grausamer und lähmender Anblick, als der knöcherne Mann seinen Stiefel mehrmals auf den Rücken des hilflosen Burschen niedersausen lässt. Ich erkenne mich in gewisser Weise selbst wieder, als ich Sara retten musste… aber dieser Junge ist in einer viel schlimmeren Lage als ich! Und jetzt soll er auch noch zu einem Krüppel geschlagen werden?! "Hört auf damit, ihr Schweine!" Ich habe so laut geschrieen wie noch nie in meinem Leben und bin bereits mehrere Meter in ihre Richtung gelaufen. Mit großen stampfenden Schritten nähere ich mich den drei Untoten, welche innehalten und mich ausdruckslos ansehen. Nur dem dezenten Herunterklappen ihrer Unterkiefer entnimmt man noch eine gewisse Verwunderung. Ich beiße die Zähne fest zusammen, ich darf jetzt keine Angst zeigen! Sie sollen sehen, dass ich es ernst meine! Ich starre besonders den Anführer giftig an. "Was... was fällt euch ein?!" "... Hm? Was bist du denn für einer?",fragt der Anführer und verfällt wieder in spöttisches Gelächter. "Haha, alle anderen, die uns zugesehen haben, sind lieber Hals über Kopf geflohen! Gehörst du etwa auch zu der Sippe hier, du Knirps?! Haha, da hat Frau Handwerkerin wohl neben zwei kleinen Menschen auch noch einen Halbelfen ans Licht der Welt gedrückt!" Sofort wirft sich die Frau auf den Boden und schreit: "Nein! Nein, der ist keins von meinen Kinder! Bitte... bitte lasst die beiden in Frieden, nehmt doch lieber uns! Wir-" "Schnauze!", peitscht die Zurechtweisung durch die Luft. Die Dame krümmt sich wimmernd auf dem schlammigen Weg. Der untote General fährt sich derweil nachdenklich mit seiner von einem schwarzen Lederhandschuh bedeckten Hand über das Knochenkinn. "Wie interessant. Für dein Alter hast du eine erstaunlich feste Haltung, junger Alba... sehe ich richtig, dass du ein Schwert bei dir trägst?" Sira zupft an meinen Nackenhaaren, sie zischt irgendwas, aber ich beachte sie gar nicht. Ich bin zu sehr auf den knöchernen Mann konzentriert und erwidere provokant: "Ja, und?!" Ich spüre, dass mein Herz rast, vor Angst, vor Wut. Es klopft so stark, dass mir schon ganz schwummrig wird. Ich gebe mir alle Mühe, mich zu beherrschen. Eine lange Pause entsteht, in der ich kein einziges Mal blinzele, sondern durchgehend ein Auge auf die drei Wiedergänger werfe. Sira will wieder auf sich aufmerksam machen: "Maljus! Nun hör doch zu!" "Nicht jetzt, Sira! Der wird mich kennen lernen!", flüstere ich. "Was für ein Schwachkopf muss das gewesen sein, der so einem frechen Würstchen eine Waffe in die Hand gedrückt hat?", fragt der Anführer schließlich. Er hebt seinen Kopf. "Hm... aber was sehen meine Augen da? Du hast Verstärkung mitgebracht?" Ich drehe mich zur Seite. Griselda steht neben mir! Sie zittert wie Espenlaub, aber arbeitet genauso hart daran, den Blickkontakt zu dem Mann aufrechtzuerhalten. "Maljus! Nun hör doch endlich auf, du Dickschädel!" "Still, Sira!" Langsam lege ich Hand an mein Schwert, während das Skelett noch lacht. Es bricht sofort ab, wie es die Bewegung wahrnimmt. Es sieht zu seinen zwei Lakaien und macht nur eine Handbewegung, mit der sie das Mädchen loslassen, es regelrecht wegwerfen. Verängstigt rennt es zurück zu seiner Familie, nachdem es im Dreck gelandet ist. Die beiden Soldaten warten auf einen Befehl. "Erledigt diesen kleinen Drecksack, der glaubt, sich hier vor Zenturio Cheeta von den Cruor-Garden aufspielen zu müssen! Und nehmt das Mädchen neben ihm gefangen, wenn ihr fertig seid! Das will ich lebend!" Was sagt der da? Griselda ist genauso verwirrt wie ich, verbleibt aber still und beobachtet die drei Untoten genau. Cheeta wendet sich mit seinem Pferd herum und reitet ohne weiteres Wort davon, seine beiden Diener währenddessen erheben ihre Schwerter und rennen auf uns zu. Schnell befreie ich meine eigene Klinge von ihrer Schwertscheide, um auch gleich einen Schlag des ersten Angreifers abzufangen. Ich keuche auf. Was für eine Kraft der hat! Das Skelett weicht zurück und holt erneut aus. Indes springe ich zur Seite und sehe, wie ich es perfekt erwischen kann. Im selben Moment reißt das Skelett die Waffe herum, Metall prallt auf Metall, schon wieder. Für nichts weiter als ein paar Knochen besitzt es aber verdammt viel Kraft! Mir bleibt keine Zeit, in Bewunderung zu verfallen, denn sein Komplize nutzt aus, dass ich mich nicht wehren kann. Mit einem gewagten Sprung zurück versuche ich mich zu retten, sehe ich doch bereits, wie nah die laufenden Gebeine sind. ein Blitz zuckt durch die Luft, er trifft das Monster im Rücken und schleudert es an mir vorbei gegen eine Hauswand. Ich lande auf dem Hosenboden und schaue, ganz aus dem Konzept, zu der jungen Hexe, wie sie nervös lacht: "Habt ihr mich schon vergessen? Denkt ihr, ich gucke einfach zu, wenn ihr meinen Kameraden angreift?!" "D- danke!", rufe ich, rapple mich wieder auf und schaue zu den zwei Unholden. Sie sehen nicht so aus, als hätten sie Schaden von dieser kleinen Magievorführung genommen. Nein, sie sind sogar schon wieder auf den Beinen und setzen zum Gegenangriff an! Erneut kreuze ich mit dem einen die Klingen, der andere rennt los - nicht zu mir, sondern zu Griselda! Offenbar ist diesem Mistvieh in den Sinn gekommen, dass auch Verletzte noch leben und er seinen Auftrag nach wie vor erfüllen würde. Panisch blicke ich zwischen ihm und meinem eigenen Opponenten hin und her. Griselda schickt dem Verfolger mehrere kleine Zauber entgegen, aber noch mal lässt er sich davon nicht zu Boden bringen. Er duckt sich hinweg, oder weicht seitlich aus. Ich darf ihn nicht an sie ranlassen! Vielleicht bin ich zu hastig gewesen und hätte es mir vielleicht doch zwei mal überlegen sollen, Cheeta und seinen Handlangern gegenüberzutreten? Scheißegal, ich muss ihr helfen! Noch einmal strenge ich mich richtig an, stemme das Schwert meines Gegners weg von mir und lege einen Sprint ein. Der Moment, als mir erstmals bewusst wird, wie sehr man jemanden unterschätzen kann. Erst spüre ich bloß ein schlimmes Stechen, bis es zu einem furchtbaren Brennen wird und schließlich zu einem unvorstellbarem Schmerz anwächst, der meinen gesamten Arm erfasst, als ich mir der tiefen Schnittwunde bewusst werde. Die leeren Augenhöhlen des Skelettkriegers starren mich im wahrsten Sinne des Wortes finster von der Seite an… er hat mich eingeholt und blitzschnell erwischt! Obwohl sein Streich so schnell gewesen ist, hat er mir eine schwere Wunde beigebracht, die mich entkräftet zu Boden fallen lässt. Dort krümme ich mich schreiend vor Schmerzen, alles wird überflutet mit dem Pein. Ignis sei verdammt, mein Blut kocht auf meiner Haut! Als hätte ich meinen Arm in ein offenes Feuer gehalten - oder nein, es ist noch schlimmer als das! Ein Fuß trifft mich im Rücken, drückt mich tiefer in die Erde, während ich verkrampft meinen linken Arm festhalte. Mein Schreien verebbt langsam, genauso wie die Schmerzen es geringfügig tun. Die Kraft, mein Leiden herauszubrüllen, verlässt mich schon. Nun ist mein Leben wirklich in Gefahr! Ich hab nicht mal was erreicht und muss jetzt meinem Ende entgegensehen! Ich bin beim bloßen Versuch, diese Familie zu beschützen und den Dingen auf den Grund zu gehen, großartig gescheitert! Ich kann und will mir gar nicht ausmalen, wie mein Ende denn nun tatsächlich aussieht, und so merke ich erst gar nicht, wie der schwere Fuß von meinem rücken ablässt und dessen Besitzer mit einem Mal schleifend im Dreck landet. Ein schimmernder schwarzer Dolch hat sich auf ein mal in seinen Schädel gebohrt, welcher jetzt, von fein verästelten Rissen überzogen, mir ins schmerzverzerrte Antlitz glotzt. Meine Sicht ist von Tränen verschoben, doch ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Wiedergänger sich nicht mehr bewegt. Jemand zieht mich hoch. "Nichts für ungut... aber ab hier übernehmen besser wir!" Ein junger Mann, recht dürr und groß hat mir aufgeholfen; ein Mensch mit einer ziemlich spitzen Nase und einem ebenso spitzen Hut auf dem Kopf… ein bisschen geknickt ist er, passend zu dem alten, unzählige Male geflickten Umhang, den der junge Mann trägt. Ich höre ein hässliches Knacken und als ich mich herumwende, sehe ich, woher es kam: Der Kopf des zweiten Skeletts ist zertrümmert worden von einem blonden Elf, ungefähr so alt wie der Magier, der mir aufgeholfen hat. Über seinen einfachen Klamotten trägt der Kerl eine Lorica Segmentata aus dunklem Leder, einen langen schwarzen Mantel und einen braunen Gurt. Ich kann nicht sehen, was er auf dem rücken trägt, der Gegenstand ist länglich und vollkommen in ein weißes Tuch gewickelt. Schnell wird mir wieder die Verletzung bewusst. Ich sacke beinahe zusammen, als die Schmerzen in geballter Form zurückkehren. "Alex, komm her! Der Junge ist verletzt!", ruft der Magier dem Elfen zu, der mit einem abschätzigen Blick zu Griselda schaut. Ein Glück, es geht ihr gut… Alex, welcher sein widerspenstiges borstiges Haar in einem kurzen Pferdeschwanz trägt, kommt schnell zu uns, aber wendet sich erst an die Familie, die alles wie versteinert mitverfolgt hat: "Los, schnell, holt einen Heiler! Wir bringen ihn ins Gasthaus!" Sie schauen in anfangs verständnislos an, bis er deutlicher wird: "Na los, er hat euch doch geholfen! Ihr habt nichts mehr zu fürchten, also verschiebt die netten Worte und das Staunen auf später!" Zusammen mit dem Maier hebt er mich hoch, nachdem der Vater mit einem knappen Nicken davon läuft. Ich würde gerne sagen, dass ich auch selber laufen kann, bin aber zu beschäftigt mit dem Stechen, Brennen und Ziehen in meinem Arm. Griselda rennt uns hinterher. "Um Terras Willen! Geht... geht es ihm gut?! Maljus!" "Komm, pack lieber mit an, statt Fragen zu stellen! Sonst geht es ihm vielleicht nicht mehr so gut, wenn wir da sind!", entgegnet Alex harsch. Meine Güte, was ist denn mit dem Zeitgenossen los? Sind wir wohl mit dem falschen Bein aufgestanden, als wir uns heute entschieden haben, Untote jagen zu gehen? Aber ich muss grad reden… eigentlich ja gar nicht so schlimm, dass mir jemand unter die Arme greift. IV. Kaum bin ich im Gasthaus auf ein Zimmer und dort in ein Bett verfrachtet worden, rückt der Heiler, ein basalthäutiger Zwerg auch schon an. Er besieht sich die Wunde gar nicht erst lang, sondern lässt gleich seine Kräfte die größte Arbeit machen. Ein helles Leuchten umgibt seine Hände, während seine Stirn sich in tiefe Falten wie Risse in trockenem Boden graben. Die gröbsten Schäden verschwinden bereits, der Heiler behandelt die Wunde dann noch mit mehreren Salben und ein paar Kräutern. Zu guter Letzt verbindet er mir unter unangenehmen Stechen den Arm. Der hat auch ganz schön Kraft in den Armen für einen Magier! "Das braucht auf jeden Fall noch eine Weile, um endgültig zu verheilen!", vermittelt er mit strengem Blick, bei dem seine kleinen tiefliegenden Rubinaugen funkeln. "Was denkt sich jemand wie du eigentlich, in einen Kampf verwickelt zu sein?! Zählt nicht mal zwanzig Lenzen und legt sich mit drei Leuten auf einmal an!" Der Heiler schüttelt irritiert den Kopf, aber der Magier probiert, ihn zu beruhigen: "Prügelt nicht so auf ihn ein, guter Mann. Immerhin hat er sich getraut, gegen die Untoten vorzugehen!" "Ja ja." Der Zwerg brummt und kratzt sich nachdenklich am Kopf. "Unfassbar, was in letzter Zeit passiert..." Er verliert nichts von seiner unangenehmen Art, als er zu Alex und dem Magier sagt: "Wird Zeit, dass ihr endlich mit dem verantwortlichen Pack aufräumt, ihr zwei! Schließlich seid ihr Exorzisten!" Er lässt sich noch von Griselda bezahlen und verschwindet dann schnell, sagt, er habe noch eine Menge anderer Patienten zu behandeln. Der Magier guckt mich mit einem unbeholfenen Lächeln an. "Wir sind wohl noch grade im rechten Augenblick gekommen... geht's dir schon besser?" "Ja, ja, geht schon…", seufze ich. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist irgendwelches Mitleid, wo ich so sauer, stinksauer, bin! Der Mann mit dem spitzen Hut lässt nicht locker: "Das wird bestimmt ganz schnell wieder verheilen, glaub mir. Übrigens, mein Name ist Craylo!" Müde gucke ich ihn an, so, so, Craylo also. Schon wieder ein neues Gesicht neben Alex, welcher schweigend an der Wand lehnt. "Ich bin Maljus... aus Welsdorf.", erwidere ich schwachen Lächelns. "Nett, dich kennen zu lernen. Das heißt also, du bist gar nicht von hier? Dann bin ich umso beeindruckter, wie freigiebig du dein Leben für diese Familie aufs Spiel gesetzt has-" Alex unterbricht ihn und wechselt ganz plötzlich das von Craylo angeschnittene Thema: "Maljus ist ein ziemlich seltener Name." Ein Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. "Alex hingegen weniger, freut mich." Er stößt sich von der Wand ab und ging zu Craylo rüber. Ihm geht's offenbar schon wieder etwas besser, also komm. Gehen wir lieber, der Heiler hat doch gesagt, er soll sich etwas ausruhen." "Na schön, wenn du meinst. Wiedersehen, Maljus! Vielleicht sieht man sich ja noch mal - dann hoffentlich nicht in geschäftlichen Dingen!" Geschäftliche Dinge? Was meint er dami- Die Tür fällt bereits ins Schloss. Griselda ist ebenfalls drauf und dran, mich vorerst alleine zu lassen und erklärt: "Ich möchte nachsehen, wie es der Familie geht, deren Tochter wir grade noch retten konnten! Das ist doch in Ordnung, oder?" "Ja, geh nur…", erwidere ich lustlos, "Ich möchte sowieso etwas alleine sein." Nachdem sie gegangen ist, vergehen mehrere qualvoll eintönige Minuten, in denen ich die Zeit damit totschlage an die Decke des kleinen Zimmers zu starren und mit mir selbst zu streiten, was ich mir bei der ganzen Sache gedacht habe. Ich schiele kurz zu meinem Reisesack am Nachttisch. Auch wenn ich grade unmöglich an die Bücher darin rankomme, ohne wieder von enormen Schmerzen gerüttelt zu werden, weiß ich, dass sowas in ihnen mit Sicherheit nie passiert wäre. Aber ich bin wohl keiner dieser flinken starken Helden, für die jede Herausforderung ein wahres Kinderspiel ist. War es deswegen falsch, etwas zu unternehmen? Cheeta und seine Männer hätten das Mädchen entführt, wenn ich nicht aufgetaucht wäre und mich ihnen in den Weg gestellt hätte. Der Mann am Eingang des Dorfes hat sogar gesagt, dass sie es auf alle jungen Frauen abgesehen haben. Bloß warum? Ein schwacher grüner Lichtschein reißt mich aus meinen Überlegungen. Die Tür steht einen winzigen Spalt offen und Sira fliegt herein, sichtlich wütend. Großartig, genau das, was ich jetzt brauche!, schäumt der Sarkasmus in mir auf. Und siehe da, die Víla beginnt sofort wieder zu fluchen: "Jetzt haben wir den Salat!" Sie hockt sich im Schneidersitz auf den Nachttisch, stützt ihr straffes kleines Gesicht in die Hand und rollt gleich mehrmals mit den Augen. "Das hätte mit ein bisschen weniger Glück dein Grab werden können, Maljus! Ist dir das klar?!", schnaubt sie, beruhigt sich dann aber wieder etwas. Sorge schwingt in ihren Worten mit: "Deswegen war ich dagegen, dich mitzunehmen." Es macht mich so rasend, dass ich die Schmerzen gar nicht beachte, als ich mich weiter verspanne und meine Finger sich in die himmelblaue Bettdecke krallen. Muss ich mir jetzt in allen Variationen anhören, knapp dem Tode entronnen zu sein?! Dass ich nicht das Zeug besitze, mich mit Cheeta zu messen?! "H- hey! So war das nicht gemeint! Tut mir ja leid, aber... so ist es nun mal..." Sie schweigt einen Moment lang, in dem ihr Gesicht einen sehr besorgten Ausdruck annimmt, als grabe Trauer sich hinein und ließe sie altern. "Es ist ja auch hauptsächlich meine Schuld. Ich hab versucht, dich zu warnen..." "Wovor?! Dass es hier nur so wimmelt vor diesen Wiedergängern?! Na schönen Dank!" Sie schüttelt ihren Kopf, bis sie ganz kleinlaut erklärt: "Nein... explizit vor Cheeta... und den Überfällen." Die Glut meiner Wut fängt an zu schwächeln, ein kalter Schauer Verwunderung landet im Feuer meines Jähzorns und erstickt die Flammen. Gemächlich setze ich mich im Bett aufrecht und frage: "Du... kennst diesen Kerl?" "Na ja, nicht so wirklich... ich wusste nicht, wie er heißt, und dass er hinter den ganzen Entführungen in letzter Zeit steckt, die quer in Cardighna stattfinden. Aber glaub' mir, ich vergesse nie, wer die Stätte des gesegneten Schwerts angreift! Nicht mal, wenn er kein Gesicht hat!" Ich bin vollkommen baff. Bin ich etwa dem Strippenzieher alle dessen begegnet?! Nicht ganz, wie Sira beiläufig bemerkt: "Leider ist mir dennoch nicht bekannt, wer sein Meister ist." "Sein Meister?" "Na, der Umbramant, der ihn zum Leben erweckt hat! Tote stehen nicht so einfach auf, dazu braucht es Magier, die unbelebte Objekte mit Leben füllen!", erläutert die Víla, "Diese Magier nennt man Umbramanten, manchmal hab ich genauso die Bezeichnung 'Schwarzmagier' gehört... Umbramantie ist einer der größten Frevel, die man begehen kann! Sie ist ein Eingriff in göttliches Gebiet, ein Terrain, das uns Sterblichen versagt ist!" Ich denke, ich weiß, was sie meint. Ich sehe zum Fenster, durch das man in der Ferne den Mons Mortuorum gen Himmel ragen sieht. Leben wird vom Totengott Mors beendet und die heilige Mutter Terra lässt neues Leben daraus gedeihen. Die Grundlehre unseres Pantheons. "Umbramanten greifen hauptsächlich in den Kreislauf des Lebens ein und gehen mit Seelen um wie mit irgendwelchem Spielzeug!", ereifert sich Sira weiter, "Es gibt scheußliche Geschichten, was sie alles mit Seelen anstellen können... es gibt Adepti Umbrarum, die Seelen als Verkleidung anlegen, andere saugen die Energie aus ihnen heraus und erschaffen daraus magische Angriffe, manche sollen sie Dämonen opfern… tja und fast alle erwecken Tote zum Leben. Und so einer lässt Cheeta grade all die Arbeit machen für irgendeinen Plan. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Umgedrehte König irgendwie damit verbunden ist." Entkräftet stöhne ich und lasse mich ins Kissen zurückfallen, um statt der Víla wieder die Decke anzusehen. Das klingt alles so weit weg. Nichts, was mich direkt betrifft - aber ich weiß, dass ich spätestens jetzt mit hineingeraten bin und ich mich mehr oder weniger ungewollt verpflichtet habe, dieser Sache auf den Grund zu gehen. "Sira, ich will stärker werden… und helfen. Was Cheetas Meister tut, betrifft nicht nur dich, mich oder Griselda... sondern wohl ganz Cardighna, nicht wahr? Lass mich meinen Teil dazu beitragen, diesen Typen einen Strich durch die Rechnung zu machen und Cheeta heimzuzahlen, was er getan hat!" "Wenn du dich wirklich wieder auf so ein Risiko, getötet zu werden, einlassen willst…", erwidert Sira, "Dann werde ich deine Hilfe auch voll in Anspruch nehmen! Also versprich nicht voreilig, was du sowieso nicht halten kannst. Klar?" "Du verstehst es echt, einem Mut zu machen…" "Ich bin gerne offen - vor Allem, was meine Aufgabe angeht!" "Dann solltest du eigentlich jede Hilfe annehmen, die du kriegen kannst!" Kurze Zeit später beschließe ich, mir nun wirklich die Ruhe zu gönnen, die mir verschrieben worden ist. So kuschele ich mich etwas tiefer in das Kissen, schließe meine Augen und gleite binnen kurzer Zeit ins Reich der Träume, nachdem Sira noch scherzeshalber gemeint hat, der 'Quacksalber' könne sich auf etwas gefasst machen, sollte seine Behandlung nicht wie versprochen wirken. V. Alte Ruinen ragen aus der flachen kilometerweiten Wüste, die sich endlos fortzusetzen scheint. Nur zum süden sehe ich etwas anderes: unter dem Sand ragt eine riesige Klippe hervor, gegen die tief unten das im Abendlicht glitzernde Meerwasser schießt, die Gischt nach oben spitzen lässt und sich dann wieder langsam zurückzieht, bis es das nächste Mal auf die schwarzen Felsen zuschwappt. Wenige Wolken ziehen rasend schnell am Himmel vorbei, obwohl kein Lüftchen weht. außer mir ist alles seelenverlassen. Und inmitten der Trümmer steht ein kleines Häuschen mit terrakottafarbenen Dachziegeln, während gelb blühender Efeuer sich an der Fassade hochhievt. Die Fenster sind alt und schmutzig, im Inneren des Hauses sehe ich anfangs nur tiefe Schwärze, als ich mich langsam nähere. Gerade scheint es noch einsam, da schnelle ich schon herum, als eine tiefe, feste Bassstimme mir rät: "Geh dort besser nicht hinein." Die Stimme passt gut zu dem breitschultrigen und vor Allem kräftigen Mann mit schwarzem glatten Haar, das er sich nach hinten gekämmt hat. Mir läuft aber auch eine leichte Schauer über den Rücken, wenn ich den Mitte-Vierziger mit seinem kantigen Gesicht sehe, aus dem die Nase hervorsticht wie ein gezückter Speer und ebenso spitz zuläuft wie sein markanter Kinnbart. Ein dünner Zwirbelbart sitzt auch noch unter des Mannes Nase über seinen vollen, zu einem leichten Schmunzeln verzogenen Lippen. "Was ist los? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!" Verwirrt starre ich ihn an, bis ich schließlich darauf komme, ihn einfach zu fragen: "Wer seid Ihr denn?" "Ich? Oh, das stimmt, du kennst mich ja nicht..." Sollte ich etwa? "Nenn mich Forsiano! Du bist Malfuss, richtig?" "Maljus…", verbessere ich. 'Malfuss', soweit kommt's noch… Forsiano lacht bloß, wobei unter seinem Baumwollhemd und seiner braunen offenen Weste die Muskeln spielen. "Oh entschuldige, mein Fehler!" Er begutachtet mich einige Minuten, eine unangenehme Stille kehrt ein - bis Forsiano schließlich aus heiterem Himmel sagt: "Als du gegen diese Untoten gekämpft hast, hattest du keine deiner Glanzstunden als Schwertkämpfer, nicht wahr?" Es sticht wie eine Nadel, die mir plötzlich ins Fleisch gerammt wird. Um genau zu sein, präzise dort, wo mein verletzt war. War? Ich starre misstrauisch und erstaunt zugleich auf meinen völlig gesunden Arm, dann in Forsianos ernstes Gesicht. "Woher weißt du davon und was willst du von mir?!" "Oh, reiner Zufall, mein Freund.", entgegnet Forsiano mysteriös und seine braunen Augen funkeln, "Und ich bin lediglich hier, um dir etwas zur Hand zu gehen, Maljus. Vorausgesetzt, du bist damit einverstanden?" "Womit einverstanden? Und was... was hat das alles hier zu bedeuten, ich versteh' das nicht!" Ich fasse mir an den Kopf, als alles plötzlich ganz verschwommen wird und ich einen leichten Schwindelanfall habe. Es wird umso schlimmer, je mehr ich darüber nachdenke, dass hier irgendwas nicht stimmt. Etwas klirrt, lenkt mich kurz ab, doch da starre ich schon auf… Himmelsscherben… wie Scherben einer Glasscheibe liegt ein kleines hauchdünnes Stück des Himmels vor meinen Füßen. Alles verschwimmt erneut, es wird dunkel, da packt Forsiano mich an den Schultern. Er zischt: "Denk nicht so viel darüber nach, oder du bringst uns in Teufels Küche, mein Freund!" Langsam weiche ich zurück, während ich mich zügig sammle. Was, in Animas Namen, ist das?! Forsiano holt einmal tief Luft. "Ich bin hier, um dich zu lehren! Den Umgang mit dem Schwert, um es deutlicher zu sagen!" "Du bist auch ein Schwertkämpfer...?" Ich glaube es ihm nicht wirklich. Mit verschränkten Armen beobachte ich die Berge von Muskeln an Forsianos Gliedmaßen. An der Kraft, eine Waffe zu schwingen, wird es bei ihm sicher nicht scheitern, aber ich bleibe vorerst skeptisch: Du scheinst nicht mal ein Schwert zu haben!" Forsiano lacht auf. "Oh, nichts leichter als das!" Er streckt seinen rechten Arm aus, formt seine Hand zu einer Faust, welche er ein Stück öffnet, als halte er etwas in seiner Hand umklammert. Und da! Wie aus dem Nichts formt sich eine lange, einseitig geschliffene Klinge, leicht gegen mit gelbem Seidenband umspannte Heft gebogen. Statt einer Parierstange schmückt dieses Schwert ein dünnes Stichblatt aus silbernem Metall, das mit seltsamen verschlungenen Mustern dekoriert ist. "Sieh dir diese Waffe gut an, Maljus, so eine wirst du in Cardighna nur selten zu Gesicht bekommen. Die Elfenvölker im Norden benutzen diese dünnen Schwerter, sie nennen sie... Katana." Ich nicke und präge mir den Begriff ein… welch ein befremdliches Wort, das klingt wirklich nicht nach Cardighnisch. "Werd ich in der Lage sein, es das nächste Mal mit den Untoten aufzunehmen nach diesen Übungen?" "Nicht so hastig, nicht so hastig!", mahnt Forsiano mit erhobenem Zeigefinger, "Erst will ich selber sehen, auf welcher Stufe du dich bewegst... immerhin kenne ich nicht viele vom Lande, die ein Schwert auch nur halten können. In einer Akademie hast du das sicher nicht gelernt, wer hat dir das beigebracht?" Ich kann meinen Stolz schlecht verstecken, als ich antworte: "Von einem waschechten, reisenden Söldner!" Und ehe ich mich versehe, beginne ich weiter zu erzählen. Er ist eines Tages bei uns im Laden aufgetaucht, ziemlich ausgehungert und hat nicht mal ein einziges Kupferstück in den Taschen gehabt. Zwei oder drei Jahre ist das jetzt schon her. Ich erinnere mich noch gut an Fiore, Fiore Fragum, so hat er sich vorgestellt. Unrasiert und mit stachligen roten Haaren, die sich unter seinem dunklen Bandana hervorgetan haben; so hat er ausgesehen, stets seine schlitzförmigen Augen noch ein Stückchen verengt und mit einem freundlichen Schmunzeln in seinem breiten kantigen Gesicht. "Umsonst gibt's bei mir nichts, solang du noch laufen kannst.", hat Alids Mann erklärt. Fiore beharrte darauf, etwas Speis und Trank zu bekommen, bettelte sogar: "Verflucht, seit Wochen habe ich nichts mehr im Magen gehabt! Seid doch wenigstens so barmherzig, mir etwas Milch zu geben!" Die hauptsächlich lose hängenden Metallplatten seiner Rüstung, die er unter einem Wolfsfell trug, haben aufschreckend gescheppert, als der hellhäutige Menschenmann einen Schritt nach vorne gemacht und Saras Vater angesehen hat. Alid, wohl genauso durch den Lärm neugierig geworden wie ich, ist in diesem Moment ins Zimmer getreten und hat sich den Kerl in dem nach unten ausfransenden schwarzen Hakama genau besehen. "Ah, wohl ein etwas abgenagter Exorzist?", hat sie scherzhaft gefragt. "Ach, als Exorzist würde es mich doch nie in so eine friedvolle Gegend verschlagen.", hat Fiore mit Witz erwidert, "Ich bin bloß ein Söldner, der gleich vor euch aus seinen verschwitzten Latschen kippt." Alids Mann hat gesenkter Brauen gesagt: "Er hat kein Geld bei sich... ich hab schon versucht, ihn wegzuscheuchen." "Ich hab's gehört, Schatz." Anschließend hat sie sich dem Söldner zugewandt und plötzlich ein Angebot gemacht, das besonders mir, wie ich damit beschäftigt gewesen bin, aufmerksamen Ohres die Unterhaltung heimlich mitzuverfolgen und ein wenig die Regale zu ordnen, überrascht hat: "Wie wäre es, wenn Ihr für die Verpflegung ein wenig arbeitet, jemandem... Unterricht gebt. Maljus hier hat zwar ein Schwert, aber kann damit einfach nicht umgehen - er lässt es sich aber auch nicht ausreden, es lernen zu wollen." Ja, ich bin stur gewesen, was das angeht. Auch damals hab ich schon längst die Lust verspürt, eines Tages Welsdorf hinter mir zu lassen und die Welt zu erkunden - und wenn es laut Alid so gefährlich ist, habe ich daraus geschlossen, dass ich mich nur wehren können müsse. Im Rückblick betrachtet hab ich damit nicht falsch gelegen - aber ich konnte mich halt nicht wehren, als es dann so weit war. "Na los, komm her, Maljus!", hat Alid mich zu den anderen gerufen. Nachdem ich mich zu ihnen gesellt hatte, hat mich das erste Mal dieser neugierige gewitzte Blick von oben getroffen. "Abgemacht!", hat Fiore schließlich gerufen und lauthals gegluckst. "Und schließlich hat er mir dann für fast zwei Wochen Unterricht gegeben, danach habe ich alleine weiter geübt.", erzähle ich, woraufhin Forsiano, ein "Mhm" brummend, nickt. "Gut, gut... dann lass uns nun zum Wesentlichen kommen!" Er strafft seine Haltung etwas, nimmt das Schwert in beide Hände und hält es gerade vor sich. Ich tu es ihm gleich. "Dem Kampf! Los, greif mich an!" Spöttisch grinsend fügt er noch hinzu: "Du wirst sowieso von Glück reden können, wenn du auch bloß einen einzigen Treffer landest." Das werden wir ja sehen, du Oberlippenbartträger! Ich renne, mit dem Schwert nach vorne gerichtet, auf ihn zu. Ich lasse einen Kampfschrei verklingen. Forsiano pariert sofort seine Klinge nur mit einer Hand führend. Beinahe lasse ich das Heft los, als es nach oben gerissen wird. "Na los, war das alles?" Ich nehme mich zusammen und drücke gegen Forsianos Schwert an, bis dieser plötzlich einen flinken Schritt zur Seite macht und mich ins Leere stolpern lässt. Kaum bin ich gefallen und hab mich hastig auf den Rücken gedreht, spüre ich wieder einmal einen Fuß - diesmal auf meinem Bauch. Ich starre auf den hauchdünnen Stahl vor meiner Nase. Seufzend lässt Forsiano von mir ab, stemmt einen Arm in die Seite und beobachtet mich genau dabei, wie ich aufstehen. Es sind keine Worte von Nöten, um seine herbe Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen. "... Kann ich's noch mal versuchen?" Forsianos Miene hellt sich sofort wieder ein wenig auf. Er ruft: "Selbstverständlich! Los, ich bin bereit!" Also schön, dies mal werde ich mich nicht so dämlich anstellen! Irgendwie packe ich diesen Brocken schon! Ich renne erneut auf Forsiano zu, hebe mein Schwert, aber greife nicht an, sondern sehe zu, dass ich hinter den stämmigen Mann gelange, als dieser dabei ist, die Finte abzufangen. Ich schaffe es, schwinge die Klinge, doch der Schwarzhaarige merkt es noch schnell genug, um sich herumzudrehen und die Attacke zu parieren. "Schon besser!" Er drückt mich weg und setzt mir nach. Den Schlag von oben wehre ich diesen Mal ab, lasse die krumme Klinge an meiner herabgleiten, ehe ich dem Druck nachgeben muss. Forsiano lässt mit einer Hand sein Schwert los und weicht meinem Frontalangriff mit einer Drehen zur Seite aus. Einen Augenblick lang starren wir beide uns in die Augen. "Worauf wartest du?", will Forsiano mit gesenkter Stimme wissen. Als hätte Forsiano das Startsignal gegeben, stürze ich mich auf ihn. Ich werde zurückgeworfen, Forsianos Schwert beschreibt eine geschmeidige Kurve. Es ist aussichtslos, Forsiano ist bereits dabei auf mich zuzustürmen, um mich zu durchbohren! "Hey! Das sind doch nur Übungen!" Forsiano hört nicht, Zentimeter trennen die Spitze des Säbels und meine Stirn. Wie im Wald geschieht alles schneller, als ich es verarbeiten kann, als ich instinktiv meinen Kopf einziehe, geduckt Forsiano entgegenstürme und mein Schwert in die Brust des Mannes drängen lasse. Ich sehe kein Blut… das Schwert ist durch Forsiano gegangen wie durch Luft. Er senkt seine Waffe und lässt sie wieder verschwinden. Als er zurück schreitet, ist es tatsächlich so, als existiere er nicht wirklich. Nur eine Illusion, der Stahl hinterlässt keine Spuren und stößt nicht auf den geringsten Widerstand. Forsiano lächelt, sichtlich amüsiert: "Na also, in deinem mageren Körper steckt also doch ein wenig Kampfgeist und Geschick!" Entgeisterung ist alles, was ich momentan verspüre. Forsianos Worte gehen zu einem spitzen Ohr rein und zum anderen wieder raus. "Wie... wie ist das möglich...?" "Oh. Das? Nun, glaubst du, du kannst mich verletzen... das ist ja immerhin ein Trau-" Er unterbricht sich selbst, bevor er das Wort beendet hätte, aber es ist schon zu spät. Ein Traum, das ist nichts als ein Traum! Jetzt begreife ich das alles, nichts von dem hier ist ech- Ein unheilvolles Beben lässt die Wüste erzittern, ähnlich dem Schwindelgefühl, das sich in mir breit macht. die Ruinen brechen endgültig ein, werden mitsamt des kleinen Hauses vom Sand verschlungen, soweit ich das in all dem Wirrwarr meines unklaren Blickes sehen kann. Ein aufkommender Sturm trägt die Wüste hinfort, reißt sie förmlich weg. Die Klippe bröckelt, Risse verbreiten sich in dem vorher noch festen Gestein. Und auch der Himmel… er zersplittert! Bald regnet das Firmament herab, ein Regen aus orangen Tropfen, durch die weiße Schlieren, die Bruchstücke der Wolken, fließen. Forsiano stößt einen Fluch aus, während er einer Flamme im Wind gleich zu flackern anfängt. Fast hat der Zerfall der Klippe ihn und mich erreicht, da sagt er noch mit leichtem Zähneknirschen: "Wir werden uns noch wiedersehen, Maljus! Bis dahin solltest du auf dich aufpassen!" Ich kann nichts mehr erwidern, denn im nächsten Moment beginne ich zu fallen, sehe mich selbst hinabstürzen auf das im Nichts verschwindende Wasser zu. Ich bin umgeben von weiter zersplitternden, bis hin zu Sandkörnern schrumpfenden Gesteinsbrocken, weiß nicht mehr, wo oben oder unten ist, links und recht sind plötzlich vergessen, alles war nur noch eine sich wild drehende Leere, in der ich kurz davor bin, aufzuschlagen. VI. Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Hastig atmend und schweißgebadet, sehe ich mich um, bis ich verstehe, was vor sich geht. Ich bin bloß im Gasthof und hab mich schlafen gelegt. Jetzt ist es bereits dunkel draußen, schwaches Mondlicht scheint durch das Fenster. Ich habe bloß geträumt. Forsiano… ist er denn wirklich nur die Ausgeburt eines Traumes gewesen? Ich kann mich nicht erinnern, jemals jemanden gesehen zu haben, der ihm auch nur ein wenig geähnelt haben kann. Was denke ich denn da?! Ich hab nur einen Alptraum gehabt, nichts Ungewöhnliches! Vor Allem nicht nach meinem Kampf mit Cheetas Handlangern. Mein Herzschlag beruhigt sich und ich atme tief durch. Ein mich aufkeuchen lassendes Stechen jagt durch meinen verletzten Arm. Auch bloß geträumt, dass er wieder heil ist… Verdammt, das hab ich also von der Behandlung und ein wenig Schlaf?! Grimmig verlasse ich das Bett, hebe die Decke vom Boden auf und werfe sie zurück auf die Matratze. Mir ist danach, etwas frische Luft zu schnappen, aber kaum bin ich am Fenster angekommen, erleuchtet ein Blitz die Nacht. Erschrocken weiche ich zurück, was hat das nun zu bedeuten?! Soweit ich sehen kann, ist die Nacht sternenklar! Ist das ein Blitz aus heiterem Himmel gewesen? Ich bin mir nicht mal sicher, dass der Blitz von oben gekommen ist… es hat so ausgesehen, als sei er nach oben gewandert, aber er ist viel zu schnell gewesen. Dann spitze ich jedoch nach unten. Unten vor dem Fenster steht eine Gestalt. Langsam öffne ich es, beuge mich leicht nach draußen und versuche, im Dunkeln auszumachen, wer die Person ist. Als ich dann den spitzen Hut erkenne, ist der Fall klar: Es ist Griselda. "Ein wenig spät, um zu üben, nicht wahr?", rufe ich ihr zu. Ertappt dreht sie sich zu mir um und lächelt, peinlich berührt, während sie sich im Nacken reibt. Sie fragt: "Oh, hab ich dich etwa geweckt?" "Nein, nein…", winke ich ab. Dann aber reibe ich mich das Kinn und will nach einigem Bedenken wissen: "Hast du das auch gestern Nacht auf diesem Bauernhof gemacht? Da warst du auch mitten in der Nacht wach!" "Du musst das verstehen, ich brauch einfach ein wenig Übung! Immerhin... ist noch keine Hexenmeisterin vom Himmel gefallen!" Das bringt mich zum Grinsen. Ich rate ihr: "Bleibt nur zu hoffen, dass andere entweder geschlossene Vorhänge oder genauso viel Verständnis haben wie ich, sonst wird das schlimm enden. Also, gute Nacht und..." Ich hebe die Schultern. "... viel Spaß, nehme ich mal an." "Schlaf gut, Maljus!", wünscht sie mir. Ich schließe das Fenster und krieche zurück unter die Bettdecke. Man, ist dieses Mädchen eigentlich jemals des Nachts nichtwach? Schon das zweite Mal ist das jetzt, dass ich mich zu so später Stunde mit ihr unterhalte. Ich für meinen Teil kann mir jetzt zumindest Besseres vorstellen, als zu trainieren: nämlich schlafen! Die Müdigkeit schleicht sich wieder in meine Glieder und für einen Moment flackert Forsiano wieder vor meinem geistigen Auge auf. Ein kleiner Gedanke keimt in mir: Und was, wenn Übung und Schlaf vielleicht sogar dasselbe sind? Seufzend lege ich mich ins Kissen zurück. Ich sollte wirklich erst morgen wieder weiter grübeln… VII. Es folgt am Morgen wieder eine der unzähligen Episoden, dass Sira mich zur unheiligsten Stunde von allen bereits weckt. Da hab ich endlich fest geschlafen wie ein Stein, dies mal nichts Verrücktes geträumt und wieder genossen, wie das ist, in einem normalen Bett zu ruhen - und hätte das noch deutlich länger tun können - aber die Víla muss mich natürlich wieder den Armen des Schlummers entreißen. So stehe ich notgedrungen bereits im Morgengrauen auf, erledige noch den morgendlichen Abortbesuch, kleide mich vollständig an und stelle dann fest, dass der Heiler offenbar doch gute Arbeit geleistet hat. "Fast so gut wie neu…" Ich muss grinsen, als ich mir meinen Arm anschaue, und auch Sira scheint sich zumindest ein wenig zu freuen: "Gut zu wissen - dann können wir jetzt ja weiter, oder?" "Meine Güte, Sira, man soll Luna nicht mehr hetzen, als Sol es schon tut! Darf ich wenigstens noch ein Frühstück zu mir nehmen, bevor es weiter geht?" "... Du gibst vorher ja sowieso keine Ruhe." Musst du grade sagen… Gestärkt und reisefertig hocken wir später auf meinem Pferd, nachdem Griselda sich ebenfalls fertig gemacht hat. Nun steht ihr die Müdigkeit doch noch etwas ins Gesicht geschrieben, aber ich bin mir sicher, dass sie der Ritt schon wach bekommen wird, ha! Wir reiten das Hügelland hinauf, gelangen schließlich auf die Felsstraßen von Ardnas und galoppieren über die bestens in Takt gehaltenen Straßenpflaster vorbei an stufenförmigen Feldern und lichten Wäldern der nördlichen Grenze Rosetum-Rubicundums. Dasist endlich ein mal das, was ich erwartet habe! Ich hab so eine breite und allein durch ihre Länge prächtige Straße noch nie gesehen. Nun so frei über sie hinwegzureiten, sich den Wind durch die Haare wehen zu lassen, während sich die Sonne langsam hervorwagt um uns mit kitzelnden Strahlen zu empfangen, gefällt mir doch wirklich gut! Es lässt mich zufrieden schmunzeln und die Eindrücke aufsaugen wie ein ausgetrockneter Schwamm. Nicht bloß der wolkenlose Himmel ist eine Augenweide, nein, auch die sich hin und wieder die steilen Hänge hinaufwindende und scharf abknickende Straße, an der hier und da pittoreske Häuschen und dichte Olivenwälder warten, hat was! Des Öfteren sehen wir malerische Wasserfälle, die laut Griselda zum Fluss Jemis gehören, der hoch oben in den Bergen entspringt. Sein hübsches Antlitz plätschernden Wassers unter den alten Steinbrücken, die über ihn führen, sind nicht das einzige, was ich an ihm schätze. Auch dass ich meine bereits knapp gewordenen Vorräte an ihm auffüllen kann, ist mir mehr als recht. Hin und wieder kann ich dabei sogar den ein oder anderen Fisch bei Tänzen in der Strömung beobachten. Solche Wassergeschöpfe wie diese habe ich zuhause noch nie gesehen. Da gibt es bloß dieses winzige Rinnsal, in das sich nur warzenüberzogene und hässliche Kröten verirren, die mich mit ihrem Quaken viel mehr nerven als entzücken. Nun und schlecht schmecken tun diese Fische auch nicht, wie ich zur Mittagszeit feststelle, nachdem ich ausgezehrt vom Fangen, Ausnehmen und Zubereiten - das ist mir dann doch wieder vertraut von zuhause, wenn Alid krank war, und Sara ja schlecht selbst kochen kann - von dem zarten Fischfleisch koste. VIII. Irgendwann später, als Griselda wohl wirklich wacher und damit auch gesprächiger geworden ist, wirft sie in das Pfeifen des Windes in unseren Ohren ein: "Sagt mal, was genau wollt ihr zwei eigentlich in Ardsted?" "Ich wüsste nicht, wieso wir dir das erzählen sollten." Ich verenge meine Augen bei Siras unfreundlicher Antwort und zische: "Geht's noch ein bisschen bärbeißiger?" "Entschuldigung…" Sie klingt gekränkt. "Ich war nur interessiert, weil wir in so kurzer Zeit bereits so viel durchgemacht haben. Das gestern, das war schon…" Sie gerät ins Stocken, sucht nach Worten, wobei sie Löcher in die Luft starrt, als würden die dünnen Wolken, die mittlerweile aufgezogen sind, sich in Buchstaben verwandeln. "Da hab' ich mich begonnen zu fragen, ob ihr vielleicht wisst, was dieser Überfall zu bedeuten hatte. Nun, ich will nicht aufdringlich wirken, aber zugegeben, jetzt macht ihr mich noch neugieriger als vorher!" "Tut mir leid, aber das muss unser Geheimnis bleiben! Wir können nicht jedermann, dem wir auf dem Weg begegnen, solch wichtige Dinge erzählen! Du plauderst am Ende nur was aus - und das kann ich momentan wirklich nicht gebrauchen!" Beschwörend hebt Griselda ihre Hand und verspricht: Ich schwöre, dass ich weder in diesem noch einem folgenden Leben auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlieren werde!" Sira bleibt stur: "Ja ja... das würde ich dir vielleicht glauben, wenn ich dich schon etwas länger als grade mal einen Tag kennen würde! Heut Abend in Ardsted wird unsere kleine Gemeinschaft schon wieder auseinandergehen, so wie ich das sehe!" Ich hebe leicht meinen Kopf und drehe ihn zu Griselda herum, um mich zu erkundigen: "Stimmt, was hast dueigentlich vor, wenn du wieder in Ardsted bist? Suchst du nach einem Meister?" Ich gehe einfach mal davon aus, dass es mich mit Adepten ähnlich verhält wie mit Handwerkern. Zuerst schaut sie mich ganz verwundert an, dann weicht sie meinem blick aus und sagt schließlich geheimnisvoll: "Nun, eigentlich nicht, eigentlich... nun ja, ich ermittle, könnte man sagen. Es gibt da etwas, was ich unbedingt überprüfen muss... es ist sehr wichtig und könnte große Auswirkungen in ganz Cardighna haben!" "So etwas Ähnliches kann man über unsere Aufgabe wohl auch sagen.", rutscht es mir da raus. Ein ermahnendes Räuspern seitens Sira bringt mich dazu, meine Lippen fest aufeinanderzupressen. "Plaudertasche…", scheltet sie mich. Griselda ist bereits Feuer und Flamme und mit einem deutlichen Leuchten in ihren Augen ruft sie: "Das klingt ja so, als sollten wir vielleicht zusammenarbeiten! Sira, du könntest mir doch sicher etwas einfacher dein Vertrauen schenken, wenn ich länger bei euch bliebe, oder?" "... und ich habe gehofft, Maljus wäre der Einzige, der so stur an einer Idee festhält, wenn er sie sich erst mal in den Kopf gesetzt hat.", seufzt Sira. Ich maßregle sie mit einem kurzen "Hey!". Danach wende ich mich wieder an die angehende Hexe und muss ihre Freude ein wenig bremsen: "Ichhab diese Entscheidung bereits getroffen, ohne wirklich zu wissen, worauf ich mich eigentlich einlasse... darum will ich, dass du, bevor dudich auf so etwas festlegst, weißt, dass die Strapazen schwerer sein werden, als du dir jetzt vielleicht denken magst. Zum Beispiel dieser Cheeta gestern... bei ihm sind wir uns ziemlich sicher, dass er etwas mit unserer Mission zu tun hat." Gar nicht so recht mit ihr sprechend schiebe ich noch hinterher: "Und du hast gesehen, was mir passiert ist, als ich mich so leichtfertig mit ihm angelegt habe." Erneut ist der Wind der einzige, der noch seinen eigenartigen unverständlichen Gesang erklingen lässt, die Stimme der Göttin Anima, unmöglich für gewöhnliche Sterbliche zu verstehen, so sagt man. Ich komme mir seltsam vor, wenn ich so rede wie jetzt grade. Ich hab bloß selten erlebt, dass ich jemanden so einen Rat gegeben habe, ihn um jeden Preis von einer Riesendummheit abhalten wollte. Gart und ich zum Beispiel haben oft Mist gebaut, aber nie war ein Plan dabei, bei dem ich ihm so eindringlich gesagt habe, dass es nach hinten losgehen könnte. Griselda nickt letztendlich. "Ich bin mir dieser Gefahren bewusst... und ich will sie mit euch durchstehen, wenn ich herausfinden kann, was vor sich geht. Wir profitieren alle davon, meint ihr nicht?" Siras Überzeugung hält sich dennoch in Grenzen. Der einzige Kompromiss, den sie eingeht, lautet: "Überleg' es dir noch ein mal genau, bis wir in Ardsted sind... wenn du dann wirklich noch denkst, das sei eine gute Idee, werde ich auch dich zur Geschichte des Siegelschwertes führen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)