Wüstenkinder von -Izumi- (Fortsetzung zu "Kinder des Wassers") ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- „Sie ist wahrlich schändlich, deine Dummheit, Junge. Wieder von vorn, beschrifte dieses Blatt genau so wie das Letzte, dieses Mal ohne Fehler. Und wenn ich wieder welche finde, dann machst du es wieder und zwar so lange, bis es so ist, wie ich es mir wünsche!“ Der Mann knallte das lächerlich beschriftete Papier vor dem Kind auf den Tisch, dass es zusammen zuckte. Oh ja, es sollte aus seiner Traumwelt erwachen, diese Schande. Und was tat es? Kaute auf einem Stift herum und wagte dann tatsächlich, ihn in Frage zu stellen! „Aber wenn Sie mir nicht sagen, was ich falsch gemacht habe, kann ich das doch gar nicht verbessern, ich denke.“ Er betrachtete seinen Aufsatz kurz nachdenklich. Das hatte er doch eigentlich gut gemacht. Er sah nichts falsches daran. Außerdem hatte ihn das Thema ohnehin gelangweilt. Er wollte viel lieber draußen spielen. „Denke ich, heißt es, du... du...! Ach, hoffnungsloser Fall!“ Sein Hauslehrer schimpfte oft mit ihm und sagte ihm, dass er dumm war. Der Junge wusste, dass er dumm war, er fand, man musste es nicht immerzu erwähnen. Sein früherer Lehrer war viel lieber gewesen. Aber schon alt, seit einigen Wochen kam er nicht mehr. Seine Mama hatte ihm erklärt, dass Menschen irgendwann einfach nicht mehr arbeiten konnten, deshalb hatte sie jemand neues eingestellt und der Kleine mochte ihn überhaupt nicht. Er hatte ein sehr schlechtes Gefühl bei ihm. Sein großer Bruder hatte es jetzt gut, der durfte draußen sein. In seiner Schule hatte es jetzt Ferien gegeben. Er hatte fast nie frei, weil er ja einen Hauslehrer hatte. Ach, es war sicher Recht so. Der Mann seufzte und wandte sich von seinem Schüler ab, als dieser unbeholfen zu schreiben begann. Was sollte er sich damit abmühen? War nicht sein Problem... zumindest nicht wirklich. Er blickte grinsend zu den großen Fenstern des Raumes. Sie begannen am Boden und waren beinahe so hoch wie eine Tür. Und der Raum befand sich im Erdgeschoss. Wundervoll. Der Junge schaute überrascht von seinem Blatt auf, als er aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie sein Lehrer eben ein solches Fenster sperrangelweit öffnete. Es störte ihn nicht, denn es war ziemlich heiß und stickig, aber es wunderte ihn. Und als plötzlich ein anderer, fremder Herr aus den Hecken im Garten genau auf den nun geschaffenen Eingang zukam, war er sogar so geschockt, dass er aufsprang und sein Tintenfass umwarf. -- Chatgaia fuhr erschrocken auf, als ihre Bürotür aufgetreten wurde. „Was zum...?!“ Sie hielt inne, als sie niemand anderes als den sympathischen jungen Mann, dem sie ihren Zweitgeborenen anvertraut hatte, zusammen mit einem anderen Kerl, der eben ihren Sohn auf dem Arm hielt, den Raum betraten. Zu ihrer Empörung jedoch definitiv gegen dessen Willen. Der Lehrer grinste, als sie sich feindselig die Brauen senkend von ihrem Platz erhob. „Guten Tag, Frau Magafi.“, machte er förmlich und der etwas hundeähnliche Begleiter schnaubte verächtlich, „Jetzt wundern Sie sich sicher?“ Noch ehe sie etwas erwidern konnte, zog der Andere eine Schusswaffe und hielt sie dem Jungen an den Kopf, der darauf erschrocken quiekte. „Was soll das, lassen sie meinen Sohn sofort ihn Ruhe!“ Sie unterdrückte ihr Entsetzen und trat ein paar Schritte auf die Männer zu, hielt aber inne, als auch der scheinbar so freundliche Pädagoge ebenfalls eine Waffe, seinerseits ein Messer, zog. „Ganz ruhig. Bewegen Sie sich lieber nicht weiter. Wir möchten doch bloß wissen, wo ihr lieber Ehemann ist... wir wollen uns etwas mit ihm unterhalten.“ „Glaub ihm nicht Mami, der will Papa bestimmt hauen, ich denke!“, mischte sich der kleine Magier ein und erntete darauf selbst einen Schlag gegen den Kopf, „Au!“ Die Grünhaarige hatte unterdessen das Verlangen, sich selbst zu ohrfeigen. Wie hatte sie bloß so leichtfertig jemanden einstellen können? Sie hätte ihn viel eingehender prüfen müssen! Sie hatte die Warnungen ihres Gatten nicht ernst genug genommen. „Wer seid ihr?!“ Der falsche Lehrer lachte. „Davon verstehst du Hexe nichts! Aber grob gesagt die, die Semera Magafi seinerzeit für ihre Zwecke benutzt haben.“ „Für ihre edlen Zwecke.“, fügte der Hundemann hinzu, „Für das Volk, das ihr immerzu betrügt!“ Die Frau erschauderte. Sie hatten ihrem Mann den Sohn gestohlen, weil sie dachten, es sei Recht? Und jetzt wollten sie es wieder tun?! Nicht, wenn dieser Sohn auch ihr Sohn war! „Oh, solche edlen Helden seid ihr, wie geschickt von euch, euch in unserem Haus einzunisten, um euch dann in einem unbeobachteten Moment des vollen Vertrauens Takoda zu schnappen. Aber furchtbar dumm, dann noch zu mir zu kommen. Das hat euch zum Scheitern verurteilt.“ Ihr Gegenüber lachte. „Da fürchten wir uns aber!“ „Das solltet ihr auch...“ Die konnten nicht wirklich erwarten, dass sie ihnen jetzt verängstigt den Weg zum Büro ihres Mannes zeigte, damit sie den kleinen Jungen dort richten konnten. Ja, darauf waren sie doch aus, sie wollten Uda Magafi psychisch schaden, weil ihnen seine Politik nicht passte. Dabei verstanden sie so wenig. Sie würde ihnen das Grinsen aus den Gesichtern wichen. „Ich bin anders, als es Naputi war. Takoda bekommt ihr nicht.“ Hexe war ein guter Begriff. Dann wollte sie dem zweifelhaften Titel einmal Ehre machen. Mit einer einfachen Handbewegung ging der angebliche Lehrer in Flammen auf. Oh ja, er sollte brennen für seine Verbrechen. Der Andere sprang geschockt zurück und keuchte gebannt von den orangenen Iriden der Magierin, während sein Kumpane schreiend zu Boden ging. Der kleine Junge schloss einfach die Augen. „Du gibst mir meinen Sohn jetzt besser wieder, sonst ergeht es dir nicht besser -“ Sie hielt inne, als er den Kleinen tatsächlich auf dem Boden absetzte und trotz seines verbrennenden Komplizen und der für ihn doch eigentlich gruseligen Hexe einfach auf sie zu kam und an ihr vorbei trat, Richtung Fenster. „Fühle dich nicht zu sicher, Feuerfrau.“, riet er ihr wieder beruhigt, „Wir bekommen, was wir wollen.“ Darauf zerschlug er das Glas mit seiner Schusswaffe und trat in die Freiheit, als sei nichts gewesen. ------------------ Willkommen zur Fortsetzung! ^.^ Kapitel 1: Sicherheit --------------------- Uda Magafi trommelte gedankenverloren auf dem edlen Holz der Tischplatte in seinem Versammlungsraum. Anders als sonst befanden sich an diesem Abend keine Kollegen, sondern seine Familie darin, zumindest die erwachsenen Mitglieder. Und das waren mit ihm genau vier Leute. Und die Stimmung war betrübt, nachdem, was seine Ehefrau Chatgaia berichtet hatte. „Was machen wir denn jetzt?“, wagte als erstes sein Schwiegersohn Mayora zu fragen und dessen Frau seufzte. „Die hatten es so einfach, was ist, wenn so etwas noch einmal passiert, ich meine...?!“, sie erhob sich und schritt gedankenverloren durch den Raum, hielt vor einem Fenster inne und starrte hinaus in die finstere Nacht. Da draußen lauerten so verdammt viele Gefahren... „Sie können sich einfach als Angestellte ausgeben, ganz leicht! Und dann haben sie jederzeit Zugang zu uns und den Kindern!“ Es war so beängstigend, warum geschah das jetzt auf einmal?! „Das denke ich nicht.“, widersprach ihr Mann ihr sanft und starrte ungewohnt verbiestert zu ihr, „So einfach werden sie es jetzt nicht mehr haben, dein Vater stellt so schnell sicher niemand neues ein, oder?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen. „Das nicht, nein.“, er räusperte sich, „Aber unsere Angestellten sind allesamt von niedrigem Stand und sehr arm, wenn man denen etwas anbietet, gehen die sicherlich genau so über Leichen – nicht, dass ich diese Leute jetzt vorsorglich alle entlassen wollte, sie können ja schließlich auch nichts dafür.“ Risiken, wo man nur hinsah. Lange war es gut gegangen, aber mit jeder Entscheidung die er traf, machte er sich neue Feinde. Er konnte es eben nicht allen gerecht machen, das ging nicht. Aber manche hatten einfach zu viel Freizeit und waren zu krank im Kopf, als dass es Sinn für sie gemacht hätte, das zu verstehen. Sie schlossen sich in Untergrundorganisationen zusammen und waren dazu im Stande, schreckliche Dinge zu tun. Er hatte damals seinen kleinen Sohn an sie verloren. „Lange überlegen ist falsch.“, mischte sich auch die Magierin nach kurzem Zögern ein, „Wir müssen handeln, Fakt ist, dass sich die Kleinen in ständiger Gefahr befinden. Bis uns eine anständige Lösung eingefallen ist, kann es schon längst zu spät sein...“ Choraly stöhnte. Musste sie das so direkt sagen? „Und was sollen wir deiner Meinung nach machen? Dein Gespräch verängstigt uns nur, sonst nichts!“ „Junge Frau!“ Ihr Vater warf ihr einen strengen Blick zu, als sie sich wieder hinsetzte. „Ist doch wahr!“ Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht, das war nun einmal so. Sie konnten doch nicht einfach die Kinder unter die Arme nehmen und auf und davon rennen! Oder doch? Einmal davon ab, sie war über 30... „Wir könnten ja... das Haus verlassen, untertauchen. Für eine Weile, versteht sich.“ Die trotz ihres für eine Himmelsblüterin äußerst beachtlichen Alters noch bildhübsche Frau drehte gedankenverloren eine Haarsträhne in den Fingern. Das war das Einzige, das ihr für den Übergang einfiel. Aber alles war besser, als ihre Familie irgendeiner Gefahr auszusetzen, die sie gar zerstören konnte. Nein, niemals. „Aber Tante, wie stellst du dir das vor?“, legte ihr Neffe ihr darauf direkt den ersten Stein in den Weg, „Ich muss arbeiten, Uda muss arbeiten, Chorylein muss arbeiten und du musst es auch! Die Kinder müssen zur Schule, wir leben nun einmal hier und nirgends sonst, das ist so nicht machbar!“ „Richtig.“, stimmte ihr Mann zu, „Das, was du sagst, klingt zwar vernünftig, ist aber, so fürchte ich, nicht umzusetzen.“ Er war ein wichtiger Politiker und er legte sein Amt wegen ein paar Spinnern sicherlich nicht nieder, das sah er ja überhaupt nicht ein. Dann hätten die am Ende ja, was sie wollten, nein! „Hört ihr beiden euch überhaupt einmal zu?!“ Er blinzelte überrascht über die ungeahnt heftige Reaktion seiner Gattin, als sie auf den Tisch schlug, dass die Wassergläser darauf vibrierten. Sie war sauer... „Arbeiten hier, Schule dort... nein, wir müssen es in Kauf nehmen, alle zu sterben, unsere Berufe sind doch wichtiger als die Leben unserer Kinder!“ Mayora hustete. „So war das nun aber echt nicht gemeint! Wir...-“ Seine Frau unterbrach ihn. „So klang es aber. Da muss ich meiner lieben Stiefmutter wirklich Recht geben, da will ich mich doch lieber etwas einschränken, anstatt in Kauf zu nehmen, dass meine Kinder niedergeschossen werden wie Verbrecher! Dafür habe ich sie nicht auf die Welt gebracht!“ Sie verschränkte säuerlich die Arme vor der Brust und schnaubte. Wenn sie darüber nachdachte klangen Chatgaias Worte tatsächlich ziemlich unbequem... aber vernünftig. Eindeutig. Uda Magafi rieb sich entnervt die Schläfen. „Und wo wollt ihr hin? Ich komme selbstverständlich nicht mit, ich gebe meinen Posten nicht auf.“ Er lehnte sich zurück und sein Schwiegersohn wollte gerade mit einstimmen und erklären, dass er auch nicht aus der Stadt konnte, da machte man ihm einen Strich durch die Rechnung. Oder eher dem Senatoren, denn der fing sich eine Ohrfeige. Ja, seine Frau durfte es wagen. Er war stolz. Sie war stolzer. Und sie hatte Recht. „Du wirst deine Familie doch nicht allein irgendwohin schicken?! Denk an die Kinder!“ Sie beugte sich über den Tisch zu ihm und starrte ihm wütend ins Gesicht. Sie hatten zwei Söhne, Serenka und Takoda. Und beide brauchten ihren Vater. Ihr Erstgeborener war bereits 14 und wenn sie ehrlich war, konnte sie sich vorstellen, dass ihm etwas Urlaub von Papa vielleicht heimlich gut täte, aber ihr Kleiner kam ohne ihn nicht klar. Takoda war eigentlich gar kein Kleiner mehr. Körperlich vielleicht schon, er war sehr zierlich, aber er war bereits zwölf Jahre alt, auch wenn er diesem Alter nicht gerecht wurde. Er war krank. Seine Mutter hatte ihm eine Krankheit vererbt, die einzig in ihrer Familie vorkam, ihr eigener älterer Bruder war ihr im Alter von 13 Jahren seinerzeit erlegen. Die medizinische Versorgung in der Stadt war natürlich besser und der kleine Magier befand sich in keiner derart großen Gefahr wie Manaia Magovi es getan hatte, aber dafür litt er anders. Kaum ein anderes Lebewesen hatte so dermaßen viele Lernschwächen wie der Junge, der einzig mit Zahlen etwas anfangen konnte. Und er hinkte seinen Altersgenossen hinterher. Ja... zurückgeblieben nannte seine Mutter es nicht gern, das klang nicht schön, fand sie. Er brauchte sehr viel Liebe und Aufmerksamkeit. Und sie konnte nicht zulassen, dass ihr Mann seinen Beruf über die Familie stellte. „Ich kann aber nicht einfach alles stehen und liegen lassen, möchtest du, dass ich meinen Posten verliere? Mein Geld? Dann sind wir doch noch ungeschützter, diese Verbrecher vergessen doch nicht!“, wagte er dennoch zu widersprechen und wandte den Blick etwas verlegen ab. Es war ihm unangenehm, dass seine Gattin ihre Überlegenheit so offen vor den Jüngeren demonstrierte. Das wusste sie auch und deshalb hatte sie es auch getan. Dieser törichte Kerl. „Du musst ja nicht völlig von der Außenwelt abgeschottet sein, ich meine... es gibt doch Möglichkeiten! Einschränken ist das Zauberwort, nicht Aufgeben, Mann.“ Sie ließ sich zurück auf ihren Platz sinken und seufzte. Ihre Gegenüber schwieg. Ja, das sagte sich so einfach, aber wo konnte man den Kontakt zu den Arbeitskollegen halten, ohne damit auch gleich diese Monster auf sich aufmerksam zu machen? Seine Tochter antwortete, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Thilia.“, machte sie ohne Vorwarnung und wurde darauf von allen anderen unverzüglich angestarrt, „In der Wüste findet uns noch niemand, man braucht eine staatliche Genehmigung, um nach dort zu reisen. Nachdem wir die Sache von damals mit Mon'dany geklärt hatten, gehörte das Land Yema'ca als Entschuldigung ja uns, die ehemalige Forschungsstation ist jetzt eine Wachstation von Noboka, die unter anderem auch zu hoch geheimen Besprechungen unter hochrangigen Politikern in Problem-Situationen genutzt wird, eine entsprechende Verbindung zur Außenwelt besteht also.“ Sie blickte etwas verunsichert in die Runde. Hatte sie etwas falsches gesagt? Für sie klang das alles sehr einleuchtend. „Thilia?“, wiederholte ihr Mann da ihren Vorschlag und warf seiner Tante einen fragenden Blick zu, die darauf blinzelte und eben diesen an ihren Ehemann weiter gab. Der schien nicht besonders begeistert von der Idee, auch wenn ihm spontan nichts einfiel, was dagegen spräche. Da galt es wohl zu improvisieren, er wollte nicht fort! „Tochter, du willst, dass wir in die Wüste gehen? Denkst DU denn da an die Kinder, die dieses Klima doch überhaupt nicht gewohnt sind? Das wäre die Hölle für sie!“ Sie widersprach. „Zwei Wochen habe ich damals gebraucht, da hatte ich mich dran gewöhnt. Und dann sollen sie doch jammern, es geht um ihre Sicherheit!“ Choraly fand den Gedanken an den kleinen Ort in der Wüste fernab der großen Stadt nach so langer Zeit auch gewissermaßen beängstigend und befremdlich. Aber grundsätzlich war ihre Idee gut. „Ich würde mich ehrlich gesagt sehr freuen, für eine kleine Weile in meine Heimat zurückkehren zu können.“, gestand die Magierin da wieder überraschend kleinlaut, „Du müsstest Takoda dann bloß noch einmal genau untersuchen, um sicher zu stellen, dass er der Situation auch gewachsen ist, Mayora.“ An sich war sein momentaner Zustand recht stabil, aber nach den Vorfällen am Vormittag hatte der Arme den ganzen Tag gezittert. Das war bedenklich, Stress tat ihm gar nicht gut. Aber die Vorstellung, in ihre kleine Oase zurückzukehren war wirklich schön. Anders als der jüngere Himmelsblüter und ihre Stieftochter hatte sie noch einmal die Ehre gehabt, für wenige Tage in die alte Heimat zu reisen. Damals war ihr älterer Sohn Serenka etwa eineinhalb Jahre alt gewesen und hauptsächlich hatte sie es nur getan, um ihrem anderen Neffen, Imera, zu sagen, dass sie ihren Posten nicht wieder haben wollte. Sie hatte es ihm freigestellt, weiter Dorfoberhaupt zu bleiben, oder sich einen Nachfolger zu suchen, wenn er sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte. Letzteres hatte er sehr zur Freude der Magierin jedoch getan. Damals schon, vor nun mehr zwölf Jahren, war der Ort wieder beinahe komplett aufgebaut gewesen, es hatte sie sehr gefreut. Sie hatte ja gewusst, dass der ältere Zwilling nicht dumm war. Der Jüngere auch nicht, im Übrigen. Letzterer nickte ihr darauf zuversichtlich zu. „Er entwickelt sich gut, ich denke, das schafft er. Aber ich schaue noch einmal.“ Während Mayora tatsächlich ein richtiger Arzt geworden war, hatte sich seine Tante mehr auf das Gedächtnis von Naputi Magafi konzentriert, sich um ihre Projekte gekümmert und für ihr eigenes Volk eingesetzt. Bei einer derart schwierigen Aufgabe fragte keiner mehr nach ihren traditionellen Heilkünsten, die im Vergleich zu denen der zuständigen Stadtmenschen absolut nichts waren, da hatte sie besseres zu tun. Und ihrem Neffen vertraute sie doch gern. „Was sagst du jetzt, Vater?“, wollte Choraly da wissen und der Angesprochene seufzte ergeben. „Wenn die Mehrheit es für vernünftig hält, dann sei es so. Ich frage mich bloß, wie ich meine Kollegen davon überzeugen kann – einschränken werde ich mich ja müssen, und meine Arbeit bleibt dann zusätzlich an denen hängen. Am Ende wollen die mich noch aus dem Amt ekeln.“ Er lehnte sich seufzend zurück und seine Frau unterdrückte ein sehr breites Grinsen. Sie würde noch einmal zurückkehren dürfen, wie schön. Dabei hatte sie fest daran geglaubt, die Oase in ihrem Leben nie wieder zu sehen. „Überlasse das mir, ich kümmere mich darum. Ich fange da gleich eine Ebene höher an...“ Sie konnte nicht weiter sprechen, als jemand die Türe, unverschämter Weise ohne vorher anzuklopfen, aufriss und hereinstürmte. „In Ungewissheit lassen, wie? Nicht mit uns, wir sind reif genug für eure geheimen Gespräche!“ „Und versucht nicht, uns abzuwimmeln! - Richtig so?“ Chatgaia lachte. Und die empörte Mimik ihres ältesten Sohnes entspannte sich darauf zusehends, sein bester Freund und Halb-Neffe Odohri hatte die Versammlung ohnehin bloß aus Solidarität gestört. „Serenka!“, schnaubte sein Vater sichtlich überfordert und mit der Gesamtsituation eindeutig unzufrieden. Ja, man hatte den anderen Kindern noch nichts von dem Vorfall mit Takodas Lehrer erzählt, man hatte sich erst beraten und den Nachwuchs nicht beunruhigen wollen. Nicht, dass die Armen noch in Panik gerieten. Die beiden Großen ließen sich allerdings offensichtlich nicht mehr so leicht abspeisen... „Du wirst geschockt sein.“, begann die Magiern jedoch bloß belustigt und nahm ihrem Mann somit die ungeliebte Erklärungsarbeit , „Wir werden unser schönes Heim für unbestimmte Zeit verlassen und in die Wüste gehen, weil...“ „Weil jemand Takodachen erschießen und Opa verhauen wollte? - Der Kleine hat es uns erzählt.“ Mayoras Sohn lachte. Ja, er lachte oft. Er war ein gutes Kind. Der andere Junge senkte skeptisch die Brauen. „Wessen Idee war das bitte?“ Das war eine äußerst wichtige Frage für eine Persönlichkeit, wie er es war und beinahe hätte seine Halbschwester das vergessen, da kam ihr ihre Stiefmutter dem Himmel sei Dank zuvor. „Meine! Und von Choraly.“ Serenka hatte vor allen Familienmitgliedern, ausgenommen seinem jüngeren Bruder, großen Respekt, allen voran aber vor seiner Mutter, der er mehr oder minder zu Füßen lag. Egal, was sie tat, er fand es toll. Uda Magafi fand seine extreme Zuneigung beinahe krankhaft, seine Frau erwiderte diese Liebe einfach nur. Sie freute sich. „Wie wundervoll und durchdacht!“, strahlte er wie erwartet auch und sein Cousin schüttelte sachte den Kopf. -- Chatgaia kümmerte sich um das Meiste. Sie wusste, dass ihr Gatte sein Heim nur sehr ungern verließ, allein wenn er auf Geschäftsreise ging, jammerte er tagelang vorher schon herum. Dann konnte sie den armen Kerl bloß beruhigen, wenn sie davor Nächte lang... ach, anderes Thema. Seine größte Sorge im Moment war das Ansehen unter seinen Amtskollegen, das, so befürchtete er, erheblich sinken würde. Aber seine Frau hatte ja so ihre Beziehungen... „Also Natrisa, ich denke, du verstehst mich, wenn ich meine Familie in die Heimat bringen möchte, nicht?“ Sie trank seufzend einen Schluck Tee und die noch immer schüchterne Königin hatte sich während dem vorangegangenen Bericht erschrocken die Hand von den Mund geschlagen. Sie war fürchterlich sensibel. „Oh Himmel, ja, natürlich! Schützt eure Kinder!“, sie war ganz außer sich. Immer wieder geschah so etwas mit den Familien ihrer Senatoren und anderer hochrangiger Politiker, sie fühlte sich unsagbar schlecht, denn sie hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun sollte. Sie war quasi machtlos, was konnte sie anderes machen als die grünhaarige Frau bei ihrem Vorhaben zu unterstützen und die Formalitäten etwas zu erleichtern? Wobei sie letzteres auch getan hätte, wenn diese Problematik nicht an ihr gehangen hätte, seit der Geburt des Sohnes der Magierin standen sie sich recht nah. Sie hatte sie damals beunruhigt durch ihren Zusammenbruch im Garten bereits einen Tag später im Hospital besucht und sie plötzlich ganz anders erlebt, als wenige Stunden zuvor. Glücklich, liebevoll... etwas schwach. Tief im Inneren waren sie sich irgendwo vielleicht sogar etwas ähnlich... „Du kannst auf jeden Fall auf mich zählen, ich sorge dafür, dass ihr euch da unten nicht sorgen müsst!“ Sie lächelte. Ihr Gegenüber auch. Ja, sie mochten sich. -- Und da Zuneigung etwas gutes war und vieles bewegen konnte, fand sich die Familie nicht all zu lange Zeit danach in unwirklichen Vorbereitungen wieder. Während Uda sich bis zum letzten Tag aus schlechtem Gewissen seinem Posten widmete und Mayora voll und ganz damit beschäftigt war, Ersatzärzte für seine Patienten zusammen zu suchen, nahmen sich die beiden Damen des Hauses noch einmal die Freiheit, mit den Kindern etwas in die Natur zu fahren, außerhalb der Stadt war die Landschaft wunderschön. So etwas gab es in der Wüste nicht. Auch wenn der Nachwuchs diese „Wildnis“ nicht geschlossen zu schätzen wusste. „Schmutz, Dreck... wo man auch hinsieht, ich hasse es, wenn wir hierhin fahren, es ist langweilig und dreckig! Und schmutzig!“ Ja, einige hassten solche Ausflüge sogar, unter anderen eben Samili, Mayoras und Choralys älteste Tochter. Die beiden hatten tatsächlich vier, sehr unterschiedliche Kinder. Und ihr großes Mädchen war eine Dame, die es sehr unschick fand, außerhalb der Stadt herum zu turnen. Im übrigen war ihr auch der Gedanke, in der Wüste „Urlaub zu machen“ zutiefst zuwider. Da war es so heiß und sandig... „Ich finde es schön hier, man kann doch toll spielen, ich denke!“, widersprach der gleichaltrige Takoda dem Mädchen bloß gut gelaunt und umarmte es mit seinen schmutzigen Händen, die zuvor nach Würmern gesucht hatten. Und es überraschte niemanden, dass er sich darauf eine fing, denn die kleine Magierin war äußerst eitel. Ihrer Mutter war es beinahe peinlich, dass es hieß, sie käme sehr nach ihr. Und noch unangenehmer war ihr, dass sie ihr doch tatsächlich beigebracht hatte, Jungs müsste man auf diese Art und Weise erziehen, außer Acht lassend, dass der Cousin ihres Mannes doch anders war und eine andere Behandlung brauchte. Sie vor ihm darauf hinweisen wollte sie allerdings nicht, dem Jungen war es unangenehm, wenn man ansprach, dass er anders war. Ja, er war sensibler als man annehmen konnte bei seiner durch und durch fröhlichen Art. So mahnte sie ihre Tochter bloß unbezogen. „Samili! Was soll das, stelle dich nicht so an!“ Serenka schüttelte sachte den Kopf über seinen doof in der Gegend herum stolpernden Bruder, dessen Mutter versuchte, ihn rechtzeitig aufzufangen, ehe er sich weh tat. Mayoras jüngster Sohn Korhota versuchte unterdessen, seine Schwester zu beruhigen, die ihr beschmutztes Kleid bejammerte. War doch schlimm mit dem kleinen Penner! „Sei doch nicht traurig, große Schwester! Wir nehmen zuhause Tenside!“ Er lächelte gut gelaunt und sein Gegenüber fauchte ungehalten. Immer dieses Chemiezeug! „Hör mir auf mit deinen Giften, du Spinner, du bist eklig, ich werde mein Kleid nicht verseuchen, lieber bleibt es dreckig!“ Sie stampfte empört davon. Seit ihr jüngerer Bruder sich seine vorderen Haare mit einer komischen chemischen Pampe pechschwarz gefärbt hatte, was in Kombination mit seinem ansonsten brünetten Schopf doch ziemlich dämlich aussah, hatte sie etwas Angst vor seinen komischen Versuchen. Letztere gab es sehr häufig, der Junge liebte es, herum zu experimentieren, sehr zum Leidwesen aller anderen Leute in seiner Umgebung. Mit einer Creme, die gegen Erkältung hatte helfen sollen, hatte er Takoda einmal beide Arme verätzt, seitdem hatte selbst der etwas Angst vor seinem Halb-Neffen. Letzterem war das jedoch recht egal, er lebte die Intelligenz, die ihm geschenkt wurde, fröhlich weiter aus. „Aber Schwesterchen!“, rief er ihr bedauernd hinterher, „Tenside sind die Dinger, die dafür sorgen, dass Seife sauber macht! Wir nehmen Seife!“ „Wir fahren nach Seife?“ Die jüngste Tochter, Dyami, hängte sich kichernd an die Arme ihrer Mutter. Mit ihren gerade mal vier Jahren hatte sie noch nicht besonders viel von der bevorstehenden Reise mitbekommen und dachte nun, es ginge in den beschaulichen kleinen Ort Seife, der irrsinniger Weise genau so hieß wie der Klumpen mit Tensiden darin. Choraly schüttelte lächelnd den Kopf und nahm sie auf den Arm. „Nein, nicht nach Seife. In die Wüste, da, wo es warm ist und viel Sand gibt!“ „Aww...“, nahm das kleine Mädchen die Information halbherzig zur Kenntnis und steckte sich einen Finger in den Mund. Sie war ein liebes Mädchen. Und das einzige Kind ohne Himmelsblut. Seine Mutter hoffte, dass das später keine Probleme geben würde. „Ich bin froh, noch einmal unsere Welt sehen zu können...“ Odohri drehte sich einmal grinsend im Kreis und sein Freund wandte den Blick von seinem Bruder ab und ersterem zu. „Unsere Welt? Na hör mal, wir fliegen nicht ins All.“ Aber viel anders würde es für die beiden verwöhnten Jungen wohl nicht werden. Sie waren im absoluten Wohlstand aufgewachsen, das, was ihnen bevorstand, kannten sie nicht. Und wollten es an sich auch nicht kennen, aber sie waren inzwischen reif genug, um zu verstehen, weshalb sie ihr Heim verlassen mussten. Außerdem würde es ja auch nicht für immer sein... vielleicht auch für gar nicht lang. Ein paar Wochen... vielleicht? „Ich grusele mich etwas vor der Hitze, weißt du? Es wird unbarmherzig sein! Andererseits freue ich mich, unsere Verwandten kennen zu lernen. Und die anderen Leute, von denen meine Eltern gelegentlich erzählt haben.“ Der Jüngere nickte. Ja, die Hitze, der Sand, die Luft... er machte sich auch viele Gedanken um sein empfindliches Wohlbefinden. Aber wenn seine Mutter der Meinung war, es sei gut für ihre Familie, dann war es das auch. Ganz sicher, man konnte ihr vertrauen. „Es wird sicherlich eine gar interessante Erfahrung, das glaube ich. Wen gibt es da noch an Verwandtschaft? Die Familie meines werten Cousins, nicht? Ich hoffe bloß auf ein akzeptables Heim, ich weigere mich in irgendeiner Absteige zu nächtigen. Das wird aber auch nicht der Wille meiner geliebten Mama sein.“ Der konnte man wie gesagt vertrauen. Der Andere kicherte. „Na, wenn es da nur Absteigen gibt, wirst du dich schlecht weigern können, oder? Ich meine, immer noch besser, als im Sand bei giftigem Getier zu schlafen!“ Man wusste nicht, was einen erwartete. Choraly hatte gemeint, so schlimm wäre es nicht, aber dennoch... „Habt ihr auch an den Kaliri-Saft gedacht?“ Die beiden drehten sich um, wo Takoda nun auf dem Boden saß und weiter nach Würmern grub. Als er ihre Aufmerksamkeit bemerkte, strahlte er die Älteren an. Augenscheinlich hatte er sich von seiner Ohrfeige erholt. „Mama hat von Kailiri-Saft erzählt, ich denke!“ Einem seltsamen schmodderigen Fruchtsaft, der große Bruder erinnerte sich. Nach den Erzählungen hatte er keine besonders große Lust, das Getränk zu probieren, aber wenn seine Mutter sagte, es sei gut... „Ach ja, dieses komische süße Zeug? Meine Mutter hat auch davon gesprochen, sie meinte, außer Wasser, Kamelmilch und Ming-Ming gäbe es dort gar nichts anderes! Wobei letzteres glaube ich Kaliri-Saft mit Alkohol war oder so...“ Wirklich auskennen tat sich Odohri nicht, aber er dachte eben öfters darüber nach, wie es wohl sein würde. Das ganze war reichlich überraschend geworden. Sollte er sich eigentlich Gedanken machen, weil er sich nicht fürchtete? Weder vor der bevorstehenden Reise, noch vor den komischen Leuten, die sie töten wollten? „Unser Leben ist zu Ende, so oder so, und ihr unterhaltet euch über Getränke?! Ihr spinnt doch!“ Die drei sahen auf, als Samili dazu stieß. Den Schmutz hatte sie im übrigen weitgehend von ihrem Kleid abgeschlagen, jetzt fühlte sie sich wieder etwas besser. Sollte der blöde Korhota mit seinen Tensiden doch bleiben, wo der Pfeffer wuchs... wo wuchs der eigentlich? „Wir werden sterben? Wir fahren doch in den Sand, ich denke!“, Takoda sprang geschockt auf und klammerte sich panisch an seinen älteren Bruder. Er neigte zur leichten Übertreibung. Er wusste es eben nicht besser. Serenka kümmerte das jedoch wenig und so verpasste er ihm ähnlich wie seine Halb-Nichte zuvor eine weitere Ohrfeige, dass er durch die Gegend stolperte. „Jetzt hast du mich auch beschmutzt, du fürchterlicher... ach!“, er schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust, „Unzivilisierter Banause, genau!“ Odohri wandte sich grinsend an seine genervte Schwester. „Sterben werden wir?“, fragte er verwundert, „Nun ja, möglich wäre es natürlich, aber wie kommst du darauf?“ Das Mädchen schüttelte sich. „Was ich meine? Entweder werden wir erschossen wie ein wildes Tier oder wir gehen in die Wildnis! Wir werden sterben!“ „Nicht übertreiben, junge Dame.“ Sie sahen auf, als die beiden mehr oder minder verehrten Mütter zu der kleinen Versammlung dazustießen. Während Choraly ihre jüngste Tochter noch immer trug, hatte Chatgaia den auch noch recht kleinen Korhota an der Hand. In einem kleinen Beutel hatte er sicherlich sehr gruselige Mutanten-Kräuter gesammelt... „Aber es ist doch wahr, Mami!“, empörte Samili sich weiter, „Das ist voll unter unserer Würde!“ Würde hier, Ehre dort – hätte die Frau eine Hand frei gehabt, hätte sie sich an die Stirn gefasst. Hatten sie sich nicht immer darum bemüht, die Kinder halbwegs normal zu erziehen? Sie sollten sich doch nicht toller vorkommen als alle anderen! Wie sollten sie ansonsten auch in der kleinen Dorfschule in Thilia klar kommen, die sie gezwungenermaßen besuchen würden müssen? Sie sollten doch Freunde finden! Wenn sie so weiter machten, würde ein Großteil der Meute sich bloß verhasst machen... „Nun reicht es aber!“, kam Chatgaia ihr zu Hilfe, „Ich bin in der Wüste geboren und aufgewachsen, findet ihr mich ehrlos? Oder gar unzivilisiert?“ Die Kinder schüttelten den Kopf, allen voran Serenka. „Nein Mutter, du bist eine wundervolle, ehrbare Frau. Und so schön wie der Sonnenaufgang!“ Sein bester Freund und dessen Mutter mussten sich einen Lachkrampf leicht verkneifen, die Magierin nahm die Worte ihres älteren Sohnes bloß leicht lächelnd zur Kenntnis. „Seht ihr? Da unten gibt es Idioten und Leute mit einem Herz aus Gold, genau so wie hier auch. Vielleicht gibt es dort keinen derartigen Luxus, wie ihr ihn gewohnt seid und möglicherweise kennen die Thilianer weniger als ihr, aber sie sind nicht dumm oder weniger wert als die Stadtmenschen hier.“ Genau so wie es alle erwartet hatten, strahlte der älteste Sohn der Grünhaarigen nach ihrem Vortrag wie ein Honigkuchenpferd. „Du hast so völlig Recht! Wir sollten die Dorfbewohner ehren, dass sie uns überhaupt so großherzig in ihrer Mitte willkommen heißen! Und ihr solltet meine Mutter ehren, sie ist sehr intelligent, ohne sie wärt ihr nichts!“ „Nun ist gut, Lieber.“ Seine Worte gingen den anderen ohnehin zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Sie kannten ihn ja. Odohri fragte sich gelegentlich, was eigentlich in ihm vorging, dass er so versessen auf seine Mutter war. Natürlich, er liebte seine auch, aber so...? War das nicht übertrieben? Oder war er einfach zu gefühlskalt? Himmel bewahre! „Ich freue mich schon, weil ich fahre gerne weg, wir werden sicher Spaß haben, ich denke!“ Takoda hüpfte bloß unbeeindruckt auf der Stelle herum. Wenigstens einer, der sich freute. -- Und wie der sich freute. „Und wir fallen auch nicht herunter, oder?“ Uda Magafi fuhr sich entnervt durchs Gesicht, als sie an besagtem Morgen alle zusammen in einer schicken Flugmaschine saßen und gen Süden flogen. Chatgaia hatte ihre Angst im übrigen im Griff. Zumindest soweit, dass es keinem mehr auf den ersten Blick auffiel, war ja peinlich. „Nein Takoda, wir fallen nicht herunter. Wahrscheinlich.“ „Und wenn doch?“ Der jüngste Sohn hatte darauf bestanden, neben seinem Vater zu sitzen, damit er sich nett mit ihm unterhalten konnte. Der Senator bezeichnete es eher als liebevolles nerven, aber er wollte sich nicht beklagen. Er war froh, dass es seinem Jungen so gut ging, dass er das konnte. Es hatte schließlich Zeiten gegeben, da wäre so etwas nicht denkbar gewesen. Letztere durfte man niemals vergessen, man musste den Göttern für jeden Tag, an dem es dem Kleinen gut ging, sehr dankbar sein. Für seine momentane Gesundheit war der Mann seinem Schwiegersohn im übrigen ebenfalls sehr verbunden, er war schließlich der behandelnde Arzt seines Cousins. „Keine Sorge, das geschieht schon nicht.“ „Aber ich meine, wenn doch? Ich meine, was ist dann?“ Serenka wandte genervt von seinem jüngeren Bruder den Blick ab und lehnte seinen Kopf stattdessen an die Schulter seiner Mutter. „Du bist verunsichert, nicht?“ Er zuckte auf ihre Frage zusammen und sie musste grinsen. Er gab so etwas äußert ungern zu, das war ihr klar. „Ich vertraue dir.“, war seine einzige Antwort. Mayoras Kinder waren weniger ruhig. Oder beruhigt, eher. „Wenn es mir nicht gefällt, ja? Wenn es mir nicht gefällt, dann nehme ich meine sieben Sachen und gehe zu Fuß zurück nach Wakawariwa!“ Samili war noch immer sehr unzufrieden mit ihrer Situation. Sie vermisste ihre Freundinnen jetzt schon, ihre Eltern waren echt so fies! „Das schaffst du doch gar nicht.“, nahm ihr älterer Bruder ihr gemeiner Weise auch noch den Wind aus den Segeln, worauf sie ihn mit ganzer Kraft auf dem Oberarm boxte. Und dieser fiese Sack schätzte sie scheinbar noch nicht einmal genug, um darauf von seinem langweiligen Fenster aufzusehen. „Also ich bin ja gespannt, was da so wächst!“, freute sich Korhota bloß. Er würde sicher tolle Experimente machen können, das würde bestimmt klasse werden! Und auf die anderen Kinder freute er sich auch. Zuhause hatten sich alle vor ihm gefürchtet oder ihn wegen seiner Haare ausgelacht, das war nicht nett gewesen. Er hatte seine Schule nicht besonders gemocht. Der Unterricht war im übrigen auch langweilig gewesen, er war in einer Klasse mit viel älteren Kindern gewesen und hatte trotzdem alles gewusst. Ach, er hatte es schon schwer. Aber wie sagte seine Mama immer so schön? Nicht den Kopf hängen lassen, es gab doch noch so viele schöne Sachen, die im Leben auf ihn warteten! „Können da überhaupt Pflanzen wachsen tun? Weil, da ist doch ganz schön heiß?“ Seine kleine Schwester Dyami riss seine Aufmerksamkeit auf sich und erfreute den Älteren so unabsichtlich. Aber wie nett, da interessierte sich jemand für ihn! Dann konnte er ihr doch gleich einmal erklären, warum dort Pflanzen wachsen mussten und weshalb er erahnen konnte, welche das waren und wie es dazu kam, dass diese Oase ausgerechnet an diesem Punkt lag und wie intelligentes Leben es geschafft hatte, sich dort anzusiedeln! Wie schön, dass er so ein wissbegieriges Schwesterchen hatte! „Freust du dich?“ Choraly lauschte dem Gespräch ihrer Kinder nicht, zu oft hatte sie in den letzten Tagen die selben Dinge gehört. Ich will nicht, ich freue mich, ich bin gespannt... ach ja, ihr Leben war doch schön. Sie liebte ihre Kleinen sehr und war im übrigen extrem stolz auf sie. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie zeigte es ihnen zu selten... Ihr Mann blickte ebenso gedankenverloren aus dem kleinen Fenster wie sein ältester Sohn eine Sitzreihe hinten dran. Genau diese Dinge hatte er schon einmal gesehen... vor langer Zeit in umgekehrter Reihenfolge. Er hatte nicht gedacht, dass er noch einmal zurückkehren würde... „Ich fürchte mich etwas.“, gab er zu und seine Frau blinzelte. Was? Er seufzte, dann wandte er ihr dennoch seinen Blick zu und lächelte. Er sah müde aus... „Ich war schon so lange nicht mehr dort. Denkst du, ich bin zu übermütig geworden?“ Sie kicherte. Nach all den Jahren konnte ihr Kichern noch immer sein Herz erwärmen und so schmiegte er sich leise seufzend an ihre Hand, als sie ihm durchs Gesicht strich. „Nicht mehr als alle anderen auch. Man hat ja in die Station gefunkt, die Leute im Dorf wissen ja Bescheid. Und die wissen auch, dass es in der Stadt anders ist als in der Wüste. Wir bekommen das hin, es ist ja nicht für immer. Freue dich, du reist in die Heimat!“ Sie hatte Recht, das wusste er. Und dennoch war der Gedanke seltsam und äußerst befremdlich. Er war glücklich und gleichzeitig verunsichert. Ach, was sollte es schon? „Was meinst du, hat Imera inzwischen schreiben gelernt?“ Sie kicherte weiter und er stimmte leise mit ein. Ja, sein Bruder, den gab es wohl auch noch. Hoffte er zumindest. Vor vielen, vielen Jahren hatten sie sich furchtbar zerstritten. Viele Jahre war es her. Sie hatten eine furchtbare Kindheit geteilt, jeder auf seine Weise. Mittlerweile kam es ihm etwas lächerlich vor, dass sie so lange sauer auf einander gewesen waren. Er mochte seinen Zwilling doch eigentlich. Vielleicht beruhte das nach so einer Ewigkeit ja auf Gegenseitigkeit, es würde sich zeigen. Zu hoffen war es. Er würde in den nächsten Wochen ziemlich auf ihn angewiesen sein... „Na ja, er ist Dorfoberhaupt, es wäre schon sehr praktisch, nicht? Ich wünsche es ihm zumindest!“ Sie war gespannt darauf, ob er den Ort wirklich unter Kontrolle hatte. Und auf die ganzen anderen, Lilliann, den kleinen Genda, Tainini, Maigi und ihren Semiry, sie hatte keine Ahnung, was aus ihnen geworden war. Hoffentlich ging es ihnen gut. Sie freute sich auf sie. Was sie nicht wusste, sie wurden ebenfalls freudig erwartet, auch wenn die Dorfbewohner momentan in ziemlichem Stress waren. Irgendwo musste man den hohen Besuch schließlich unterbringen. Aber das klappte schon, musste. Niemand ahnte, was für eine äußerst interessante Zeit auf sie zukommen würde. ----------------- Das erste Kapitel. Jetzt gehts lohos... Kapitel 2: Wüstenboden ---------------------- „Ich weigere mich, die Flugmaschine zu verlassen! Ich weigere mich, hört ihr?! Ich... AHH!“ Samili schaffte es nicht dauerhaft, ihre Familie daran zu hindern, auszusteigen, indem sie sich so breit machte, wie sie nur konnte und damit den Durchgang versperrte, denn ihr Vater hob sie einfach hoch und trug sie nach draußen. Als das Mädchen nach der Landung aus dem Fenster gesehen hatte, war es zutiefst erschüttert gewesen. Sand... Sand... Sand... Steine... Sand... das konnte nicht alles sein! Sie weigerte sich, an einem solchen Ort zu bleiben! Oder sie wollte es zumindest, hätte die fiese Missgeburt sie nicht einfach nach draußen getragen, wo sie das Gefühl hatte, ein Nudelholz übergebraten zu bekommen. „Es ist... heiß!“ Sie zappelte empört, worauf Mayora sie seufzend wieder absetzte. Natürlich war es heiß und allen anderen ging es nicht besser, als sie nach und nach die Maschine verließen, aber niemand benahm sich so dermaßen daneben wie seine älteste Tochter. Obwohl... „Chatgaia, ich verfluche dich!“ Die Angesprochene lachte, als ihr Mann schnaubend sein Jackett auszog und sich schüttelte. Wo hatte sie ihn nur hingebracht? „Nun einmal vorsichtig mit der Wortwahl, mein Lieber. Wir sollten dankbar sein, dass man uns überhaupt hier aufnimmt. Auch wenn ich im übrigen keine Ahnung habe, wie es jetzt weitergeht...“ Sie sah sich fragend um. Ja, die ehemalige Forschungsstation, die heute eine Wachstation war. Und was war jetzt mit dem Dorf? Hoffentlich hatten die Kollegen hier auch wirklich im Ort Bescheid gegeben, sie waren schließlich vollkommen auf Gastfreundschaft angewiesen. Wenn man keine Häuser oder zumindest Schlafplätze für sie vorbereitet hatte, dann hatten sie eben Pech, das wäre nach der langen Reise reichlich unpraktisch. Uda Magafi wurde inzwischen von seiner Tochter zurechtgewiesen. „Du musst deinen Körper bedeckt halten! Die Sonne verbrennt dich, du bist das doch nicht gewöhnt! Im Ort lassen wir uns Sachen aus Kaliri-Stoff schneidern, der ist dünn und schützt trotzdem, so lange solltest du noch aushalten, du Kind, wie deine Enkelin bist du, wirklich.“ Die Frau schüttelte empört den Kopf, während ihre jüngste Tochter verunsichert die Hände auf ihren braunen Schopf legte. „Heiß?“, machte sie verwirrt an ihre Mutter gewandt, „Gehen wir jetzt nach Seife?“ Scheinbar hatte sie noch immer nicht so ganz verstanden, wo es jetzt hin ging. Mama seufzte. „Nicht nach Seife, mein Schatz. Keine Sorge, wir besorgen dir einen hübschen Hut. Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen hatte...“ Während Chatgaia wieder in ihrem Element war, ganz in ihrer Rolle als Befehlshaberin aufgehend, und sich so ein paar Angestellte suchte, mit denen sie die ganze Sache klärte, war ihr Mann etwas zerknirscht und genervt von den Göttern und der Welt. Sein jüngerer Sohn, der plötzlich ziemlich maulig war, war auch nicht gerade erheiternd, fand er. „Was ist los?“, fragte er so halbherzig, als der Junge eine Weile unzufrieden murmelnd an seinem Ärmel gehangen hatte und bemerkte darauf gestresster denn je, dass der Kleine zu zittern begonnen hatte. Jeden anderen hätte er für verrückt erklärt, aber bei Takoda gehörte es einfach zum Krankheitsbild. „Mir ist schwindelig und... schlecht, ich denke.“, gestand der Kleine da auch und der Vater seufzte abermals. Ja, was hatte er gesagt? Das würde ihm nicht gut tun! Aber nein, auf ihn hörte ja niemand... Er kniete sich zu seinem Kind und musterte es prüfend. Sein Blick wanderte zu den etwas trüben blauen Augen des Jungen. Blau... Seit jeher war der Mann irritiert von diesen zugegebenermaßen hübschen Iriden. Niemand seiner Verwandten, an die er sich noch erinnern konnte, hatte je blaue Augen gehabt, immer braun. Und die seiner Frau waren orange, es war wirklich wunderlich. Aber vermutlich nicht weiter von Bedeutung, wirklich wichtig war, dass sie endlich aus der prallen Sonne heraus kamen. Glücklicherweise war er nicht der Einzige, der so schlussfolgerte, so fand sich die ganze Meute wenig später in einem kühlen Warteraum der Station wieder. Wirklich aufheitern tat ihn das jedoch nicht. „Mit anderen Worten, ihr geht jetzt in den Ort nachschauen, was los ist und ich bin Kindergärtner? Vielen Dank!“ Er ließ sich murrend auf einen ausgeleierten Sitz sinken und seine Frau lächelte gut gelaunt. „Genau so. Es ist einfach am vernünftigsten, glaub es mir. Du willst doch nicht länger als nötig in dieser Hitze herum rennen und deinen teuren Anzug vollschwitzen, nicht?“ Seine Tochter stimmte ihr zu. „Es sind deine Kinder und Enkel, stell dich mal nicht so an! Wir machen hier schließlich die Arbeit! Dabei bist du doch der tolle Senator...“ Der Mann schnaubte. Man hatte ihn ja gar nicht machen lassen! Ach, was regte er sich auf... Und Choraly lachte ihn auch noch aus, freches Ding. „Schau nicht so grimmig!“, sie sah nach ihrem Mann, „Bist du bald soweit?“ Er nickte und erhob sich, strich Takoda dabei noch einmal durchs Haar. „Du musst dich nur an die Hitze gewöhnen, das wird schon. Mach dir keine Sorgen.“ Der Junge nickte und trank genüsslich seine Limonade. Ja, hier gab es so etwas noch, im Dorf nicht mehr. Wenn er da richtig zugehört hatte. Und es auch richtig verstanden hatte, natürlich. War ja immer so eine Sache bei ihm... Dank seines erschöpften Sohnes blieben die anderen Kinder wenigstens verhältnismäßig ruhig und so konnte auch Uda Magafi wieder etwas herunter kommen. -- Der alte Pfad hatte sich nicht verändert. Genauso wie vor vielen Jahren verband der festgetretene Weg die Station noch mit der Oase und genau so wie damals meinten die Dünen an einigen Stellen, sich das Stückchen Land zu eigen machen und überdecken zu müssen. Die Städter waren es noch irgendwo gewohnt und dennoch war es seltsam, wieder über Sandberge klettern zu müssen. Und noch seltsamer war es, diesen grünen Fleck Leben im todbringenden beige der Wüste zu erblicken, es zu betreten und fest zu stellen, dass zumindest was die Pflanzenwelt anging, die Zeit wohl stehen geblieben war. „Kaliri-Bäume!“, gackerte Mayora übermütig wie ein Kind und zog an einem starken, mit Kaliri-Früchten über und über bedecktem Ast. Choraly kicherte. Es freute sie, ihren Mann wieder einmal so zu sehen. Heimlich hatte sie ewig ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er mit ihr in der großen Stadt leben musste, wo er sich zwischendurch heimlich doch ziemlich unwohl gefühlt hatte. Niemals hätte er ihr das gesagt, aber es war eine Tatsache, sie spürte das nun einmal. Sie war eben seine Frau. Vielleicht sollte man die Oase öfters besuchen, auch wenn man wieder in der großen Stadt lebte? Das würde sicher allen gefallen! Oder immerhin den Meisten, sollte ihr Vater doch zu Hause bleiben... „Ich habe sie auch vermisst, aber denkst du nicht, wir sollten langsam einmal in den Ort gehen, mein lieber Neffe?“, kicherte im nächsten Moment auch Chatgaia gut gelaunt und von Vorfreude gepackt ließ der Mann die Pflanze in Ruhe und folgte den Damen brav. Thilia war schön. Das war eine Feststellung, die alle drei hatten, als sie die alte Heimat endlich betraten. Es lebte, es blühte wie eine Blume im Frühling. Und das ehemalige Dorfoberhaupt war bei diesem Anblick mit Stolz erfüllt. Sie hatte doch gewusst, dass Imera es konnte. Dafür würde sie ihn unbedingt irgendwie belohnen müssen. Bei der ersten Idee, die ihr darauf kam, errötete sie... „Die schauen alle so komisch...“, stellte Choraly beiläufig fest, während sie unwirklich grinsend mit den beiden Magiern durch die Straßen schritt. Verwunderlich war es nicht, so stark hatten sie sich nicht verändert in den letzten Jahren, die Missgeburten schon gar nicht, die alterten ja kaum. Man erkannte sie und das verwunderte die Dorfbewohner sicherlich. Und dennoch hatte sich bisher keiner gewagt, sie anzusprechen, obgleich sie wohl auch noch niemanden getroffen hatten, dem sie je näher gestanden hatten. So traten sie wie vom Wind getragen durch den Ort und wagten untereinander nicht darüber zu reden, dass sie sich mehrmals in ihrem eigenen Dorf verliefen. Die Zeit, der Neuaufbau, konnten sie doch nichts für... Wobei die Brünette sich für sich doch fragte, ob ihre Begleiter denn zu dumm waren, ihren Göttern zu lauschen. Oder sagten die ihnen nichts mehr? Unpässliches Gefluche riss die Frau aus ihren Gedanken, gerade noch rechtzeitig, um auf Seite zu springen, als aus einer Seitengasse ein sehr aufgebrachtes Mädchen stampfte und sie glatt umgeworfen hätte, obwohl sie sie eigentlich hätte sehen müssen. „Entschuldigen könnte man sich, junge Dame!“, rief Mayora ihm etwas irritiert nach, als seine Gattin überrumpelt da stand und so auch die anderen anhielten. Vielleicht sollte sie ihren Neffen doch nicht loben, kam der Grünhaarigen nebenbei, hier war die Moral anscheinend etwas verloren gegangen. Das anscheinend ziemlich erboste Mädchen hielt in der Bewegung inne, machte auf dem Absatz kehrt und baute sich in seiner zierlichen Gestalt vor dem überraschten Mann auf. „Weißt du was?!“, begann es, „Angefasst hat er mich, jawohl! Schau, hier!“ Sie packte sich selbst an die hübschen, noch kleinen Brüste und ihr Gegenüber blinzelte errötend. Bitte? „Ich kenne ihn doch nicht wirklich! Er ist ein schlechter Kerl! Meint er, ich hätte keine anderen Gedanken?! Sprich, du bist doch ein Mann! Was fasst mich dieser seltsame Mensch einfach so an? Denkt er, weil ich keinen Vater mehr habe, beschützt mich niemand?! Dann nehme ich mir demnächst eine Flasche mit!“ Mit ihrem Ausraster hatte sie alle drei Neuankömmlinge erst einmal gehörig erschreckt. Sie ließ ihre Hände wieder sinken und schnaubte. Unterdessen war Chatgaia sich sicher, dass sie diesen Deppen sicher nicht belohnen würde...! Ihr vermutlich einziger halbwegs vernünftiger Neffe räusperte sich. Als Arzt war er schon auf viele seltsame Persönlichkeiten getroffen, da würde er jetzt auch Herr der Lage bleiben. Das war doch sicher sein Bruder Schuld? Dann konnte er ihn wenigstens damit aufziehen... „Wenn ich das richtig verstehe, redest du von einem Jungen, der dich gegen deinen Willen angefasst hat, richtig?“ Die Jüngere stampfte einmal auf. „Jawohl!“ Sie war äußerst sauer, so eine Frechheit, das ging doch nicht! Choraly schaltete sich behutsam ein. Ihr kam als einzige die Idee, dass das arme Ding vielleicht einfach nur durch den Wind war, weil man sie gerade unsittlich belästigt hatte. „Am besten solltest du dich beim Dorfoberhaupt melden und ihm sagen, wer dieser Kerl war, damit es ihn bestrafen kann!“ So etwas auf Thilias Straßen, wo sie doch selbst eine Tochter in dem Alter hatte, nein, das ging wirklich nicht. Da würde sich Imera etwas anhören müssen, wirklich. Zu ihrer Überraschung fing die Kleine seltsam zu kichern an. „Dorfoberhaupt!“, sie stampfte wieder auf, „Das glaubt mir nicht, weil ich verrückt bin! Selbst ist es auch verrückt, jawohl! Es war sein eigener Sohn, genau, aber da tut er nichts gegen, nein! Na warte, ich nehme mir eine Flasche mit! Ich... ich gehe mir eine Flasche suchen!“ Sie stampfte ein letztes Mal, dann rannte sie davon. Chatgaia blinzelte ihr hinterher. „Immerhin weiß sie selbst, dass sie verrückt ist, das ist doch ein Ansatz...“ Choraly ihrerseits war empört. Imera hatte einen Sohn, der armen verwirrten Mädchen gegen deren Willen an die Brüste fasste? Also wirklich! Versaute der schon seinen Nachwuchs... Und den von Lilli. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte er mit ihr mindestens ein gemeinsames Kind, als ihre Stiefmutter damals in die Stadt zurückgekehrt war, hatte sie nämlich erzählt, dass die damals noch junge Frau zum zweiten Mal schwanger war. Richtig, Genda, den gab es ja hoffentlich auch noch... „Wir sollten endlich mal zu dem Chef, dann beschwere ich mich gleich einmal darüber, dass junge Mädchen hier wohl nicht sicher sind!“ Da kam ihr gleich wieder ihre Samili in den Kopf. Die anderen beiden, noch immer etwas verwirrt, nickten. Es wurde Zeit, da hatte sie Recht. Der Rest sollte nicht zu lang auf sie warten müssen, am Ende würden die Kinder noch maulig werden und der arme Uda hatte gar keine Hilfe... Sie waren keinen Schritt gegangen, als sie ein weiteres Mal aufgehalten wurden. Zwar wurde niemand nieder gerannt, dafür nun jedoch überraschend direkt angesprochen. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ Als die Gruppe sich geschlossen umdrehte, blickten sie in das äußerst bösartig dreinschauende Gesicht eines jungen Mannes. Seine blauen Augen visierten jeden einzelnen der Neuankömmlinge kurz, ansonsten blieb seine Miene starr, bis Mayora zur Antwort ansetzte. Aus seltsame Persönlichkeiten traf man hier... „Guten Tag erst einmal. Ich bin Mayora Timaro, das ist meine Frau Choraly und diese Dame meine Tante Chatgaia Magafi. Wir kommen aus Wakawariwa und sollten bei dem Dorfoberhaupt eigentlich angemeldet sein. Weißt du zufällig, ob das geklappt hat?“ Er verneigte sich kurz vor dem Jüngeren, der darauf mit den Brauen zuckte. Die brünette Frau war unterdessen etwas verwundert. Sein unfreundliches Gesicht erinnerte sie an irgendwen, ihr wollte aber nicht einfallen, um wen es sich dabei handelte. Vielleicht wusste sie es ja, wenn er sich vorgestellt hatte, was er sicherlich gleich tun würde. Jedoch nicht so unverzüglich, wie sie geglaubt hatte. „Timaro?“, machte er und klang dabei unverhofft spöttisch. Auf seine Lippen stahl sich ein unschönes Grinsen. „Ja, das Gesicht. Timaro.“ Er wandte sich ab und schien wieder zu gehen, scheinbar in die Richtung, aus der er zuvor gekommen war. Ja, Thilias Jugend war verblüffend. Gestört, unhöflich, spannend, was als nächstes kommen würde. Der Typ hielt noch einmal inne, als Choraly ihrem Mann schon einen empörten Blick zugeworfen hatte. „Wenn ihr zu unserem tollen Dorfoberhaupt wollt, dann folgt mir.“ Er stellte sich nicht vor. Chatgaia hatte ein ungutes Gefühl, als sie dem komischen Kerl folgten. Auf ihre Frage, ob Imera denn nicht mehr in ihrem alten Haus wohnte, hatte er wie auch auf alle anderen Versuche, irgendwie mit ihm zu kommunizieren nicht reagiert. Der Ort hatte sich zwar stark verändert, aber in welche Richtung sie ungefähr musste, um zu ihrem alten Heim zu kommen, wusste sie noch. So senil war sie noch nicht. „Ich kenne ihn irgendwo her.“, erklärte ihre Stieftochter ihr überraschend und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie blinzelte verwundert. „Im Ernst? Der ist doch noch blutjung, wie kannst du ihn kennen?“ Die Magiern kannte ihn immerhin nicht, und das obwohl sie vor etwa zwölf Jahren noch einmal im Ort gewesen war. Zwar eine lange Zeit, aber ihr Neffe und seine Frau waren noch wesentlich länger außerhalb gewesen. Verwunderlich. „Wirklich!“, bestätigte die Jüngere da wieder. Sie gab sich keine Mühe, leise zu sprechen, der Penner, der sie da durch das Dorf führte, konnte sie ruhig hören, fand sie. Wenn er sie ignorierte, konnte sie ihn ja auch ignorieren, so einfach war das. So ein unhöflicher Typ. Und etwas hässlich, wenn sie ehrlich war. Na ja, sie hatte ja einen sehr hübschen Mann. Letzterer war seinerseits selbst verwirrt. Timaro, ja, das war sein Name. Und der von Imera. Er hatte ihn wohl mit seinem Bruder verglichen und die Ähnlichkeit festgestellt. Aber weshalb hatte er ihn so dämlich angegrinst? Himmel, diese Reise war verwirrend, dabei hatte ihre Zeit in der kleinen Oase noch gar nicht richtig begonnen... Aber so komisch der junge Mann auch war, er führte sie zielsicher zu einem schicken Haus in der Nähe der Kaliri-Plantagen. Es war eindeutig neu gebaut und das ehemalige Dorfoberhaupt ärgerte sich, dass ihr ehemaliges Heim nun nicht mehr das Hübscheste in der Wüste war. War aber an sich beim genaueren Nachdenken auch recht egal, sie würde ohnehin wieder in die große Stadt gehen und da lebte sie in einem Palast. Wie es sich für eine Königin gehörte. Der Junge schob die bloß angelehnte Tür auf und trat ein, der Rest folgte ihm ungebeten. Sie erwarteten keinen freundlichen Einlass, so viel Menschenkenntnis hatten die Drei mittlerweile. „Penner, deine Gäste sind da!“ Er rief in seinem äußerst liebevollen Ton durch das ganze Haus, ließ darauf die „Gäste“ allein im Flur stehen und verschwand die Treppe hinauf. „Der ist... lustig.“, fiel Mayora darauf bloß ein, als er ihm ungläubig den Kopf schüttelnd nach sah. „Der ist einfach nur der unhöflichste Arsch der Welt! Ich meine... was macht der überhaupt hier, der kann doch nicht einfach in Imeras Haus einmarschieren und ihn Penner rufen!“ Darauf erwiderte ihr Mann nichts. Wo er Recht hatte... „Er ist nicht da, Genda!“, schallte da eine weitere, dieses Mal bekannte Stimme durch den Flur und noch ehe Choraly sich geschockt an die Stirn schlagen konnte, weil ihr einfiel, woher sie den seltsamen Kerl kannte, öffnete sich eine Tür links neben ihnen, was Chatgaia, die direkt davor gestanden hatte, derart erschreckte, dass sie einen Schritt zurück und ihrem Neffen auf den Fuß sprang. Der schrie empört auf und seine Tante stolperte und wäre fast der Person vor sich in die Arme gefallen, hätte ihre Stieftochter sie nicht im letzten Moment an der Hand gefasst und festgehalten. Die Magierin lugte einen Augenblick später errötend in das Gesicht ihres überrumpelten Gegenübers, das darauf unsicher zu grinsen begann. „Ihr... seid es tatsächlich...“, sie sah auf und zu der schnaubenden Brünette und dem fluchenden Mayora, der auf einem Bein herum hüpfte. Wie seltsam. Sie öffnete die Küchentür und mit einem Mal standen da diese jahrelang verschwundenen Gestalten. Nun ja, nicht wirklich verschwunden, aber eben nicht mehr vorhanden... Sie blinzelte. „Choraly!“ Angesprochene schnappte nach Luft. Sie waren angekommen. Einfach so. In dem Moment, in dem sie der kaum Älteren in die blauen Augen sah, traf es sie wie ein Schlag. Die ganze Zeit, der Einstieg in die Flugmaschine am frühen Morgen, die Stunden in der Luft, der Ausstieg, der Weg zum und durch das Dorf... immerzu hatte sie völlig rational gedacht. Zum ersten Mal an diesem Tag spürte sie die verborgenen Gefühle überschwappen, als sie nach so langer Zeit jemanden wieder sah, den sie damals, in dem halben Jahr, das sie hier verbracht hatte, unsagbar lieb gewonnen hatte. „Lilli!“ Sie ließ die arme Chatgaia los, die beinahe abermals hingefallen wäre und hochrot anlief, als sie stolperte und ihrem Neffen auf den anderen Fuß trat. „Hexe!“, jammerte der außer sich und wusste gar nicht mehr, wie er springen sollte, während seine Tante das Verlangen hatte, sich irgendwo zu verstecken. „Wie ungeschickt.“, murmelte sie nur betroffen und fasste sich beklommen an die Stirn. Choraly ignorierte die Beiden und stürzte an ihnen vorbei, zu ihrer alten Freundin, die sie darauf beinahe mechanisch in die Arme schloss. „Ich kann es nicht glauben!“, erklärte sie die Geste eine Sekunde darauf auch schon, „Wir wussten, dass jemand kommt... aber nicht wer! Wir haben es so gehofft! Und ihr seid da!“ Sie drückte die Brünette fest an sich. Wie lange war es her? 14 Jahre mussten es sein, es war der Wahnsinn. Dagegen erschien das halbe Jahr, das das „Mädchen aus der großen Stadt“ damals hier im Ort verbracht hatte wie eine furchtbar kurze Zeit, aber dennoch war sie allen hier im Gedächtnis geblieben. Und manch einer hatte sich tief gewünscht, dass sie wieder kam. Unter anderem sie. „Ich hab dich vermisst!“, gestand sie so, drückte sie noch einmal fest und ließ sie dann los, um sie richtig anschauen zu können. Mit ihren Haaren machte sie Chatgaia beinahe Konkurrenz... sie sah hübsch aus. „Ich hab dich auch vermisst!“, gestand der Gast da und war mit einem Mal ganz aufgeregt wie ein kleines Kind. Die grünhaarige Frau dahinter räusperte sich und neigte leicht den Kopf. „Tut mir Leid für die ganzen Umstände, Lilliann, wir danken euch, dass ihr bereit ward uns wieder aufzunehmen.“ Sie winkte bloß übermütig lächelnd ab. „Oh, nicht doch, nicht doch, das ist doch selbstverständlich!“, sie schaute kurz zu Mayora, der sich ebenfalls leicht verneigte, „Willkommen. Kommt herein.“ Sie hatte eine hübsche geräumige Küche mit einem netten großen Tisch, an dem sich alle niederließen und den ersten Kaliri-Saft seit vielen Jahren genossen. Er schmeckte seltsam, beinahe ungewohnt und dennoch machte er alle glücklich. Auch wenn sich das Dorf weiter entwickelt hatte, hier schien die Zeit dennoch etwas stehen geblieben zu sein. Auf die Frage, wie sich der ungewiss lange Besuch hier gestalten würde, hatte die Gastgeberin allerdings überraschend keine ernstzunehmende Antwort. „Das müsst ihr meinen Mann fragen, der hat das geregelt. Ich habe mich da nicht eingemischt, es ist schließlich sein Beruf.“ Sie grinste guter Laune und wippte unter dem Tisch mit den Beinen. Oh, sie hatte so gehofft, dass es sich um Choralys Familie handeln würde, sie war den Göttern dafür so furchtbar dankbar! „Wenn ich mir die Frage erlauben darf...“, wagte Mayora sich und noch nicht einmal seine Anwesenheit konnte die Freude trüben. Nein, sie würde ihm nicht verzeihen, niemals. Aber sie konnte damit leben, dass es ihn gab und dass er glücklich war. Und sie konnte mit ihm sprechen, Himmel bewahre, sie war kein kleines Kind mehr! „Erlaube es dir!“, grinste sie so bloß und er kratzte sich am Kopf und wusste nicht so ganz, wie er sich ausdrücken sollte. Klang das nicht komisch aus ausgerechnet seinem Mund? „Der Junge vorhin, der uns zu eurem Haus gebracht hat, das war dein Sohn Genda, nicht? Ich meine, ich war etwas irritiert...“ Da hatte er doch wirklich allen Grund sich zu erkundigen. Warum war Jiros Sohn so ein unhöflicher Kerl? Das passte nicht wirklich zusammen... Seine Begleiterinnen stimmten ihm stumm zu, sagten aber nichts. Ihr Gegenüber strich sich seufzend lächelnd durch das orangene Haar. „Genda ist schwierig, ich weiß, was du meinst. Man muss ihn nehmen, wie er ist, oder vor ihm weg laufen. Seine Schwestern haben es da zwar reichlich schwer, zugegeben, aber im Großen und Ganzen hat man keine anderen Auswahlmöglichkeiten, wenn man ihn kennt.“ Angesichts der Tatsache, dass sie sich gerade erst heute wiedergetroffen hatten, war ein Gespräch, das auf unschönere Geschichten hinaus lief, irgendwie fehl am Platz. Choraly ergriff so die Gelegenheit, mit etwas anderem anzufangen. „Schwestern? Du hast Töchter mit Imera?“ Sie strahlte. Wie schön, ihre Kinder hatten Cousinen! Irgendwo war es ja klar gewesen, dass der Bruder ihres Mannes und Lilli zusammenfinden würden, nicht verwunderlich, dass sie auch Kinder hatten, aber der Gedanke, dass es sicher war, freute sie doch unheimlich. Ihre Freundin hatte es ohnehin nicht verdient, ihr Leben allein fristen zu müssen, sie war viel zu hübsch und lieb und da ihr Gatte nach dem momentanen Schein des Dorfes wirklich ein vernünftiger Kerl war, machte es sie gleich doppelt glücklich. Und die Ältere war es scheinbar auch, wie ihr Strahlen zeigte. „Ja, wir haben zwei Mädchen. Teneri ist zwölf, Namini noch neun.“, sie goss sich bester Laune neuen Kaliri-Saft ein und Chatgaia gleich mit, da diese ihren Becher einen Augenblick zuvor ebenfalls geleert hatte, „Teneri hat uns alle überrascht. Zuerst waren wir völlig besorgt, weil sie sich ganz anders entwickelt hat, bis wir irgendwann merkten, dass es einfach daran lag, dass sie kein Mensch ist! Sie kommt scheinbar nach ihrer Großmutter oder so. Und Namini ist unser helles Köpfchen, sie ist sehr intelligent und belesen.“ Der Stolz stand ihr ins Gesicht geschrieben. Die Magierin verbarg ihr schmunzeln hinter ihrem Glas, sie konnte sie ja so gut verstehen. Wenn man Kinder hatte, wollte man immer zu allen von ihnen erzählen, am liebsten den ganzen Tag. Choraly kannte das auch, während ihr Mann es vorzog, sich erst einmal etwas im Hintergrund zu halten und zu lauschen. War ja alles schön und gut, aber sollten sie sich nicht langsam mal um ihre Bleibe kümmern? Der Rest der Familie wartete schließlich auf sie! „Also wir haben auch zwei Töchter! Und zwei Söhne! Odohri ist toll, er ist sehr nett und vernünftig für seine vierzehn Jahre, Samili ist etwas schwierig, sie kommt nach mir und ist zwölf, Korhota ist ein kleines Genie und etwas gefährlich mit seinen Experimenten und ist neun und unsere Kleinste, Dyami, ist vier und sehr brav. Ich musste sofort von ihnen erzählen, du kennst das ja!“ Die Frauen kicherten. Mayora kam sich etwas doof vor, als er sich dazu entschloss, das fröhliche Gespräch zu unterbrechen, war dann aber dankbar, dass er es doch nicht tun musste, als sich die Tür öffnete. Die beiden Gestalten, die darauf eintraten, waren ebenso überrascht, wie erfreut und abermals war es Choraly, die sofort aufsprang und dem erst besten am Hals hing, in diesem Falle Imera. Er wirkte ziemlich ansprechend auf sie, musste sie sich im Nachhinein eingestehen, es lag vielleicht daran, dass er seinem Bruder noch ähnlicher sah als bei ihrem letzten Treffen. Aber über so etwas machte sie sich keine weiteren Gedanken, Himmel bewahre. Die zweite Person wurde noch im selben Moment ebenfalls geknuddelt, von Chatgaia, was den jüngeren ziemlich überraschte. Hatte er jemals etwas mit dem Dorfoberhaupt zu tun gehabt? „Wir sind da!“, verkündete die Brünette unterdessen, während Mayora den beiden anderen Männern gezwungen bloß freundlich zuwinkte, weil die Damen der Schöpfung gar nicht mehr loslassen wollten. „Tatsächlich!“, kicherte das Dorfoberhaupt nur etwas doof und tätschelte den Kopf seiner Schwägerin, schielte darauf kurz zu Chatgaia, die ihr Gesicht an der Schulter des reichlich verwirrten Maigi vergrub. Imera war da. Sie würde sich von ihm fern halten. In Lillianns Schuld stand sie noch, an irgendwem musste sie die Wiedersehensfreude doch auslassen. „Hallo, Frau Setari...“, machte der bloß äußerst verwirrt und erschreckte sich, als die Grünhaarige zu kichern begann. „Magafi, das wirst du doch wohl mitbekommen haben.“ Ach ja, richtig. Es war eine äußerst überraschende Geschichte gewesen, mit der er nie gerechnet hätte. Das Dorfoberhaupt war weggegangen, um wichtige politische Angelegenheiten zu regeln, kehrte viel später als geahnt zurück und erzählte dann, dass sie den Vater des Stadtmädchens geheiratet und ihm ein Kind geboren hatte. Natürlich hatte es ihn sehr für die Gute gefreut, aber so etwas für möglich gehalten hätte er nie. So emotional kannte er sie nicht. Aber er fand es schön, sie so einmal kennen lernen zu dürfen. „Sie sind es wirklich gewesen, du hattest Recht, Imera.“, mischte sich Lilli ein und ihr Mann sah lächelnd zu ihr auf. Klar hatte er Recht gehabt, es war doch logisch gewesen, fand er. Wer wollte ansonsten freiwillig in die Wüste flüchten, es gab doch luxuriöse Villen an einsamen Bergseen und so einen Quatsch. Aber es freute ihn. Und es war verunsichernd... Er schielte zu seinem etwas verloren da stehenden Bruder. „Wo habt ihr denn den Rest gelassen? Es waren eine sechsköpfige und eine vierköpfige Familie angekündigt, wenn ihr die Anderen jetzt zuhause gelassen habt...!“ Er hatte doch toll vorgesorgt, wenn das jetzt alles umsonst gewesen war, dann fing sich die Missgeburt aber augenblicklich eine. Oder zumindest sobald Choraly von ihm abgelassen hatte... „Die warten in der Station, wir wollten erst einmal nachschauen und uns erkundigen, wie das Ganze jetzt laufen soll. Keine Sorge, die sind da.“ Chatgaia, die Maigi los gelassen hatte, war darauf verwundert. „Wo wollt ihr uns eigentlich unterbringen? Tut mir Leid für die Unannehmlichkeiten.“ Sie verneigte sich leicht vor ihrem älteren Neffen, der darauf ebenfalls wieder frei war, weil seine Schwägerin nun ihren „besten Freund“ knuddelte. Der Brünette lächelte verlegen. „Wir haben viel Platz in Thilia, es ist meiner Dummheit zu verdanken. Damals, als ihr dann weg wart, sind die Städter in der ersten Zeit bei uns geblieben, um den Ort gemeinsam mit uns wieder aufzubauen. Und sie wollten Anweisungen, die ich ihnen gezwungenermaßen geben musste. Blöd wie ich nun einmal bin, habe ich gesagt, sie sollen den Ort komplett wieder aufbauen, alle zerstörten und stark angegriffenen Gebäude wieder aufbauen. Dass etwa ein Drittel aller Bewohner an jenem verhängnisvollen Tag in der Vergangenheit ums Leben gekommen sind, fiel mir erst später ein...“ „Wir haben jede Menge leer stehender Häuser.“, erklärte Lilliann, die das Vorhaben ihres Mannes nun verstanden hatte, weiter, „Wenn ich das richtig sehe, hat man für euch einfach zwei Stück hergerichtet, nicht?“ Ihr Gatte nickte. Ja, genau so war es. Seine Tante verneigte sich abermals. „Habt vielen Dank.“ Anstatt sich hundert Mal zu verneigen, hätte sie ihn genau so begrüßen können, wie auch Choraly es getan hatte, dachte sich der Mann darauf bloß. Er wusste, weshalb sie es nicht tat, und dennoch... Ach, dafür war keine Zeit. „Ich denke, Maigi wird euch zeigen können, wo ihr hin sollt? Ich habe noch zu tun, so Leid es mir auch tut...“ An sich nicht, aber sein Gegenüber brachte ihn mit seiner bloßen Anwesenheit mehr und mehr außer Fassung, irgendetwas würde es schon zu machen geben... „Ja, klar, kann ich machen!“, antwortete der jüngere Magier auch, während er nun etwas sicherer mit der braunhaarigen Frau kuschelte. Er hatte sie schließlich lieb... irgendwo, es war lange her, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Sie sah hübsch aus. „Frau... Magafi darf mit ihrer Familie wieder in ihr altes Haus zurück, Choralychen und Mayora dürfen mit ihren Kindern in ein anderes Haus am Ende der selben Straße – ich gehe einmal davon aus, dass ihr die mit den vier Kindern seid, ansonsten müsste man natürlich tauschen.“ „Wir sind es!“, bestätigte die kaum Jüngere und er musste lachen, weil sie so an ihm hing. Lilliann kam unterdessen eine Idee. So eine Gelegenheit musste man nutzen, so klatschte sie gut gelaunt in die Hände, um Aufmerksamkeit zu erlangen, letztere kam ihr darauf auch zu. „Wie wäre es, wenn wir eure Ankunft hier feiern würden? Morgen Abend?“ Ihr gefiel der Gedanke, dann konnten sich auch alle einmal kennen lernen. Mayora blinzelte irritiert. „Wie feiern, was meinst du?“ Nicht, dass sie hier noch unnötig Stress machten. Das wollte er nicht, sie belästigten die Dorfbewohner ohnehin schon dermaßen... Lilli fand das nicht. „Bei uns im Garten! Dann nehmen wir den großen Tisch, genau, und alle treffen sich, ich bin doch auf die Kinderchen so gespannt.“ Sie war bester Laune. „Wenn euch das nicht zu viel Arbeit macht, mich würde es ehrlich gesagt wahnsinnig freuen!“, stimmte Choraly mit ein und wenn seine Frau dafür war, dann konnte Mayora kaum etwas dagegen einwenden, so gab er sein Okay schließlich mit einem leichten, ergebenen Lächeln. „Tainini wird sich wahnsinnig freuen, das glaubst du gar nicht!“, freute Maigi sich nebenbei und die Städter waren froh, angekommen zu sein. -- „Das. Ist. Nicht. Euer. Ernst. HILFEE!“ Samili gefiel ihr „zweiter Wohnsitz“, wie Papa es liebevoll nannte, ganz und gar nicht. Liebevoll eingerichtet hatte man ihr Zimmer, das war wohl wahr, aber das änderte nichts daran, dass es eine unwürdige kleine Kammer war! „Stell dich nicht so an.“ Sie schnaubte, als ihr älterer Bruder in der Tür erschien. Klar war das Haus nicht das, was er gewohnt war, aber er hatte es sich wirklich schlimmer vorgestellt. Das ging doch echt noch, man sah wirklich die ganze Mühe, die man sich für sie gemacht hatte. Er war völlig zufrieden, zumal es ja auch nicht für immer war. „Stell dich nicht so an, sagt er!“, empörte seine Schwester sich da lautstark und stampfte auf, „Hallo? Wie soll ich bitte hier leben, ich will nach Hause, und zwar sofort! Auf der Stelle! Jetzt gleich!“ Und das Schlimme war, egal wie sehr sie sich empörte, schrie und jammerte, sie hatte keine Chance. Sie saß mitten im Nichts, sie kam nicht weg, sie kam nicht zur Zivilisation, ihrem schönen zuhause und ihren Freundinnen. Sie war verloren. Und ihr Bruder gab ihr bloß einen simplen, an sich aber guten Rat. „Finde dich damit ab und mache das Beste daraus, Samili. Das wird schon.“ Selbiges musste Serenka auch seinem Vater erklären, als dieser mit den Nerven am Ende am Küchentisch seines Gästehauses saß. Seine Frau brachte ihren jüngsten Sohn unterdessen zu Bett, er war sehr erschöpft und brauchte Ruhe. Den Weg ins Dorf hatte sein Papa ihn tragen müssen. „Du beleidigst Mutter, wenn du nicht zufrieden bist mit diesem schönen kleinen Haus!“, ließ der Senator sich so von dem kleinen Magier belehren, „Sie wurde hier geboren und ist sehr glücklich, noch einmal hier sein zu dürfen! Hast du denn nicht dieses sternengleiche Funkeln in ihren strahlenden Augen gesehen? Es war hinreißend, verdirb es doch nicht!“ An sich hatte der Junge ja Recht und Uda Magafi beneidete ihn um seine Toleranz, nachempfinden konnte er dennoch nicht. Er war das nicht gewöhnt, die Hitze und dieses erdrückende Gefühl, das Falsche getan zu haben. Natürlich, man musste den Beruf hinter die Familie stellen, das war wahr, das verstand er auch. Aber aus irgendwelchen Gründen hatte ihn kurz nach der Ankunft das Gefühl überkommen, auch für die Familie nichts Gutes getan zu haben... im Gegenteil... ------------------ Ja, sie sind da XD Kapitel 3: Kennenlernen ----------------------- „Ich habe kein ernsthaftes Interesse daran, diese Leute kennen zu lernen, Mutter, ich weiß nicht, was das soll.“ Es war nicht so, dass Genda sich sein Hemd nicht selbst zuknöpfen konnte, aber heute wollte Lilliann wirklich sicher gehen, dass sie das Beste, was nur überhaupt möglich war, aus ihrem Sohn heraus nahm. Den meisten Leuten gefiel er nicht sonderlich, hatte sie schon mitanhören müssen und es hatte sie als Mutter natürlich ziemlich geknickt, wo er doch der schönste Junge der Welt war, so schob sie es auf seine immer grimmige Miene. Die konnte sie ihm leider nicht aus dem Gesicht waschen, aber da er auf ihre Gäste am ersten Tag ohnehin schon ziemlich schlimm gewirkt haben musste, wollte sie nun zumindest, dass er etwas schickes trug und nicht in Alltagsklamotten herum lief. Damit hätte er seine Meinung, nämlich dass die Ankunft der Städter ihm völlig egal war, nämlich sehr schmerzhaft für sie verdeutlicht. „Tu es für mich, Genda, ich mag sie fast alle sehr. Choraly hat oft mit dir gespielt, als du ein Baby gewesen bist, sie hat dich sicher noch in guter Erinnerung irgendwo. Tu mir den Gefallen und versuch dich zusammenzureißen, nur dieses eine Mal. Für mich.“ Er erwiderte nichts, als sie ihm den Kragen zurecht rückte und einen Schritt zurück trat. Er war schon so furchtbar groß, er reichte beinahe an Imera heran. Und das war ein Problem, er wurde immer stärker... Sie hatte im übrigen auch noch andere Probleme, von denen sie eines aus den Augenwinkeln wahrnahm. „Teneri! Komm mal zu mir!“ Ihre ältere Tochter hatte sich nichts ahnend an der offen stehenden Zimmertür vorbei schleichen wollen und quiekte unangenehm, als ihre Mutter sie plötzlich ansprach. Der ältere Bruder schnaubte ärgerlich. Halbbruder. „Mädchen, was soll das denn jetzt bitte?!“, empörte Lilli sich da und die Angesprochene stand vor ihr wie ein begossener Pudel, „Was denkst du, achte ich so sehr darauf, dass Gendachen schön aussieht, wenn du in einem Kartoffelsack herum rennst?! Rasch, zieh dich um!“ Gendachen wandte sich schäbig grinsend ab und die Jüngere lief über und über rot an. In den letzten Monaten hatte sie einen in der Tat sehr eigenen Modegeschmack entwickelt. „Ich mag doch keine engen Klamotten, Mama, das weißt du!“ So etwas, was diese ganzen pinken Tussis trugen war wirklich nichts für sie. Sie hatte einen ganz furchtbaren Körper, den sollte niemand sehen! Schon gar nicht ihre seltsamen Verwandten von weit weg. Ihre Eltern mochten sie, aber sie hatte das seltsame Gefühl, Städter könnten dumm sein... Ihre Mutter seufzte ergeben. „Ich suche dir etwas schickes heraus, okay? Und dann hilfst du mir weiter, ich habe schon viel vorbereitet und möchte, dass alles perfekt ist, es soll schließlich eine Willkommensfeier werden, wenn die nicht schön ist, fühlen sie sich am Ende noch unwohl bei uns!“ Das durfte definitiv nicht sein und so huschte sie an ihrem Mädchen vorbei in deren Zimmer, um sich nach etwas schickem für sie umzusehen. Als Teneri sich seufzend abwenden wollte, hielt ihr Bruder sie noch einmal auf. „Am besten setzt du dich zwischen deine Eltern, damit dir niemand zu nahe kommt. Du hast soweit ich weiß auch Cousins...?“ Auch er trat an ihr vorbei, wobei er ihr kurz, aber unsanft an die Brüste fasste. Sie quiekte abermals, nicht vor Schock, sondern vor Wut. Das tat er nicht, weil er es so toll fand, seine eigene Halbschwester anzufassen, nein, er machte es einzig, weil er genau wusste, dass sie das nicht leiden konnte. Dass sie es hasste, egal, wer es bei ihr tat. Und weil sie ihn nicht mochte, ärgerte es sie doppelt. Er nutzte es gerne aus. „Sei dankbar, du Kind.“ -- „Ich möchte keine schlechte Laune! Haben das alle gehört? Nummer eins bis vier? Großer kleiner Bruder und kleiner kleiner Bruder?“ Choraly ließ ihren Blick zufrieden über die Kindermeute schweifen, die mehr oder minder erzwungen nickte. Besonders ihre Samili war im höchsten Maße genervt, die Arme hatte doch tatsächlich ihre Sachen ganz allein auspacken und wegräumen müssen und war an sich absolut mies drauf – ihr guter Stand verbat es ihr aber, ihre Eltern derart zu blamieren, wenn sie es sich so ausdrücklich wünschten. „Warum bin ich kleiner kleiner Bruder? Ich kann doch auch kleiner Bruder sein und Serenka großer Bruder, ich denke?“ Die kleine Dyami lachte, weil sie ausnahmsweise einmal verstanden hatte, was ihre Mutter meinte, Takoda jedoch nicht und so kam sie sich ziemlich toll vor. Letzterer war sehr zu aller Freude auch wieder fit. Mayora hatte schon befürchtet, er hätte sich doch geirrt und der Junge sei nicht in der Lage, in der Wüste klar zu kommen, seine schlechte Verfassung vom Vortag war letztendlich dann aber wohl doch einfach vom Stress gekommen. War der Gute doch kein schlechter Arzt. Die große Schwester winkte unterdessen bloß seufzend ab. „Lass gut sein. Wir gehen gleich, sobald eure Eltern dann auch da sind.“ In diesem Falle Mayora, seine Tante und sein Schwiegervater, die in diesem Moment zu der Gruppe stießen. Letzterer hätte sich mit seiner ältesten Enkelin im übrigen wunderbar zusammentun können. Es war heiß und er schwitzte, er hatte sich extra schick gemacht und obwohl es bereits dämmerte, hatte er sich noch einmal umziehen müssen. Was dumm war, denn wenn die Sonne erst einmal hinter den Dünen verschwunden sein würde, würde ihn mit Sicherheit die Kälte überkommen. „Keine Sorge, wir gehen morgen zum Schneider.“, seufzte seine Frau bloß etwas genervt von seiner miesen Laune und er schnaubte nur. Ehe sich auch seine Gattin unnötig über ihren Vater aufregte, beschloss der grünhaarige Mann unterdessen, einfach schon einmal los zu gehen, worauf ihm alle zum Teil trotzig folgten. -- Es war etwas traurig, dass diese undankbaren Leute bloß so wenig Lust auf die nett gemeinte Begrüßungsfeier hatten. Choraly verstand sie nicht, sie freute sich sehr. Wer wusste schon, wer noch alles vorbei schauen würde? Sie ging viele Leute gedanklich durch, als sie mit ihrer Gruppe jedoch an dem nun bekannten Haus ankam, trafen sie neben einer beschämten Lilli tatsächlich auf ein weiteres bekanntes Gesicht, mit dem aber keiner viel anfangen konnte. Das seltsame Mädchen vom Vortag, im übrigen in Begleitung eines Mannes, der schätzungsweise in Uda Magafis Alter sein musste. Und er war sauer, während er mit der Frau des Dorfoberhauptes, die sehr schick hergerichtet da stand, schimpfte. Während ihr Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate annahm, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, dass ihre irritierten Gäste gerade eintrafen, empörte sich der Herr einfach unbeeindruckt weiter. War ihm doch egal, wer das alles mitbekam, er hatte doch schließlich Recht. „Eingesperrt gehört Ihr Verbrecher!“, schnappte er wütend, „Wie kann man es nicht schaffen, einen Jungen auch nur im Ansatz zu erziehen, das ganze Dorf redet doch darüber! Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass er noch nicht einmal den normalen Unterricht hat besuchen können?!“ Die Gastgeberin senkte ihr Haupt tief. „Ich bitte abermals um Verzeihung, ich werde versuchen, es ihm auszutreiben. Ich weiß sehr wohl, wo die Fehler meines Sohnes liegen, keine Sorge.“ „Das will ich auch sehr hoffen.“, war der letzte säuerliche Kommentar, ehe er sich abwandte und das hübsche Mädchen, das etwas geistesabwesend durch die Gegend starrte, an der Schulter fasste, „Ich habe dieses arme Ding nicht bei mir aufgenommen, damit irgend so ein Perverser ihm die Unschuld stiehlt, Himmel.“ Damit verschwanden beide schnellen Schrittes. Lilliann kicherte etwas dümmlich, als die Gruppe darauf verwirrt bei ihr ankam. „Ja, das ist eine... etwas dumme Geschichte, alle Tage wieder – egal, herzlich willkommen!“ Sie verneigte sich einmal tief und alle mit genügend Verstand erwiderten die höfliche Geste. Choraly entschloss weise, ihre Freundin nicht vor allen Leuten weiter darauf anzusprechen und überspielte ihre Irritation einfach mit einem freundlichen Lächeln. „Das ist Lilliann Timaro.“, stellte sie sie stattdessen ihrer Familie vor, „Die Mutter der Cousinen meiner Kinder, um genau zu sein. Na ja, und das ist mein lieber Herr Vater, daneben meine Halbbrüder Serenka und Takoda, neben Mayora stehen Odohri und Dyami, Korhota bindet sich gerade den Schuh und diese gute Laune auf zwei Beinen ist meine Tochter Samili.“ Letztere errötete, als ihre Mutter sie derart bloßstellte und schnaubte, als Lilli ihr freundlich zulächelte. Lauter hübsche Kinder... ihr Blick blieb an dem kleinen Takoda hängen, der nervös an der Hand seines Papas stand. Ihr Mann, der mit einem Mal hinter ihr auftauchte, riss sie kurzerhand aus ihren Gedanken. „Da sind sie ja!“, machte er fröhlich, als sich die Gruppe abermals leicht verneigte, „Willkommen, kommt doch herein!“ Er musste abermals kichern, als sein Bruder die Meute darauf wie eine Hühnerschar durch das geöffnete Gartengatter scheuchte und erschreckte sich etwas, als plötzlich Uda Magafi vor ihm stand und ihm die Hand entgegen streckte. „Oh, ach so!“, er grinste verlegen und schüttelte sie, „Imera Timaro, freut mich.“ „Uda Magafi, ganz meinerseits.“ Der Ältere blieb noch einen Moment stehen und musterte sein Gegenüber, während dieses unangenehm erschauderte unter dem prüfenden Blick. Das war also Choralys Vater, der mächtige Senator aus der großen Stadt. Und der Mann von Chatgaia. „Mayoras Bruder also?“ Er nickte. Klar, das sah man doch, mehr als je zuvor im übrigen. Er hatte sich richtig erschrocken, als er seinen Zwilling am Vortag nach langer Zeit wiedergesehen hatte, es war beinahe so gewesen, als hätte er in den Spiegel geschaut. Mit falschen Farben, aber immerhin. Komische Sache, ihn sollte es nicht stören. „Zwillinge, falls nicht bekannt, ja.“, freundlich musste man ja sein. Die Antwort war ebenso höflich wie auch reserviert. „Das sieht man auch. Vielen Dank für die Einladung.“ Persönlich warm mit dem Herrn würde er sicherlich nie werden, dachte sich das Dorfoberhaupt unbemerkt seufzend hinter seinem Gast den Hof betretend. Das Essen lockerte die Stimmung deutlich auf, auch wenn ein großer Teil der Kinder etwas Angst vor dem grimmigen Genda hatte. So hatte man auch Takoda neben ihn gesetzt, weil der nie etwas mitbekam. Etwas gemein, aber als beim ersten Versuch zunächst Serenka auf besagtem Platze gesessen hatte, musste sein Vater ihn zehn Minuten später empört vom Schoß seiner Mutter zerren. Jiros Sohn amüsierte die Dummheit der anderen eigentlich, aber immer wenn er Lilli zuliebe die Leute anzugrinsen versuchte, waren diese noch entsetzter als zuvor. Lag sicher daran, dass er eine ehrliche Haut war und aufgesetzte Gesichtsausdrücke ihm nicht besonders lagen. Ach, was scherte es ihn...? „Ich fand es ausgezeichnet!“, freute Choraly sich unterdessen und klatschte begeistert von dem guten Essen in die Hände. Ja, ihre Freundin war schon immer eine gute Köchin gewesen... „Dem kann ich nur zustimmen, und ich bin die besten Küchen gewohnt...“, stimmte Uda Magafi mit ein und die Meute applaudierte überraschend, worauf die Gastgeberin errötete. Das war doch viel zu viel der Ehre, das ging doch nicht... sie versuchte verlegen von sich abzulenken, als sie sich an ihren Mann wandte, der gerade einen Arm um sie gelegt hatte. „Was ist eigentlich mit Kura? Kommt der nicht?“ Ach ja, der Cousin der Zwillinge, den gab es auch noch. Mayora blinzelte interessiert. Er hatte den Kleinen ja ewig nicht mehr gesehen. Wie es ihm wohl ging? „Der wollte später nachkommen, der müsste an sich bald eintrudeln. Hoffe ich.“ Wie schön, das hatte der Grünhaarige gehofft. „Wie geht es ihm denn?“ Imera grinste gut gelaunt. Das würde sicher komisch für die sein, wo sie ihn so lange nicht mehr gesehen hatten. „Kura ist zu einem richtigen Mann geworden.“, erklärte er, „Viel gesprächiger ist er zwar nicht, aber seine noch stummere Verlobte stört das ganz und gar nicht.“ Wie geahnt, großes Erstaunen. Einen Moment war es sogar still, weil die Kinder neugierig auf das waren, was ihre Eltern so wunderte, bloß der summenden Takoda, der mit Besteck spielte, war zu hören. „Wenn du mir das Ding in meine Luxusaugen stichst, dann reiße ich dir deine eigenhändig aus und fülle deine Augenhöhlen mit dem Blut, das entrinnt, wenn ich dir die Kehle zerfetze.“,kommentierte Genda sein Verhalten als einziger murmelnd und der Jüngere, der das nicht richtig verstand, hielt inne und blinzelte doof. Was wollte der? „Er ist verlobt?“, unterbrach Choraly darauf strahlend die Stille und klatschte abermals in die Hände, „Oh nein, das ist ja wirklich wunderschön! Ich freue mich so für den Kleinen!“ So klein war er an sich nicht mehr, sicherlich so groß wie der Griesgram und der überragte immerhin Mayora um ein Stück. Und das war noch nicht alles. Lillian stützte lächelnd ihren Kopf auf ihre Hände. „Ja, ist er. Und vor ein paar Wochen ist er Papa geworden.“ Nun strahlten selbst Chatgaias Augen etwas. Sie hielt sich lieber etwas im Hintergrund, aus vergangenem hatte sie schmerzlich lernen müssen, so passte sie lieber auf. Irgendwo tief in ihr war sie besorgt... „Papa, oh nein, ich meine... oh nein!“ Choraly quiekte und ihr Mann freute sich in höchstem Maße, nicht nur für seinen schüchternen Cousin, sondern auch darüber, dass seine Frau so glücklich war und derart aus sich heraus kam. In der großen Stadt arbeitete sie viel, an sich war sie ständig gestresst. Halb so viele Kinder hätten auch gereicht, murmelte sie oft vor sich hin, wenn neben ihrem Beruf auch die Kleinen Probleme machten. Dann fühlte er sich jedes Mal im höchsten Maße schäbig. Ursprünglich hatte sie sich auch nur zwei Kinder gewünscht und mit einem Jungen und einem Mädchen hatte er sie unheimlich glücklich gemacht, Korhota war dann bloß ein Versehen gewesen und ihn in ihrem Leibe noch zu töten hatte sie beim besten Willen nicht über sich gebracht. Am meisten Leid tat es ihm jedoch wegen der kleinen Dyami. Als seine ersten drei Kinder das Kleinkindalter allesamt verlassen hatten, war in ihm ein unheimlicher Wunsch nach noch einem Baby aufgekommen und monatelang hatte er herum geheult, bis er zutiefst verletzt hatte einsehen müssen, dass seine Frau absolut nicht mehr wollte. Hatte er gedacht, denn sie hatte es dann doch nicht über Herz gebracht und ihre Kräutermischung, die verhinderte, dass sich neues Leben in ihr ansiedelte, einfach abgesetzt und ihm an seinem nächsten Geburtstag mitgeteilt, dass er noch einmal Papa wurde. Es hatte ihn unsagbar glücklich gemacht, Choralys Anliegen verstand er jedoch erst jetzt, wo es bereits Jahr zu spät war. Es tat ihm Leid. „Ja, unheimlich niedlich ist der Kleine!“, bestätigte Lilli da fröhlich und ihr Mann grinste dreckig. „Da bekommt man doch glatt Lust, selbst noch einmal eines zu machen, was?“ Seine Töchter raunten, Genda setzte ein gespielt entsetztes Gesicht auf. „Himmel bewahre!“ „Wen soll der Himmel bewahren? Der ist doch nur ein Oben-Dings, ich denke?!“, blinzelte Takoda nur erstaunt und der andere verdrehte die Augen. Was genau war das eigentlich für eine behinderte Mist-Bratze? Lilliann lächelte bloß, seufzte dann aber. „Du widerst die Kinder an.“ „So lange ihr nicht so laut werdet wie wir gelegentlich...“ Mayora grinste etwas doof, während er errötete, zeitgleich mit seiner Gattin, die ihm darauf in höchstem Maße empört ansah. „Ist aber wirklich wahr, was er sagt, du bist wirklich laut.“, bestätigte Uda Magafi jedoch noch ehe seine Tochter etwas hätte einwenden können, „Wir hören euch ständig.“ „Wir euch aber auch!“, empörte Choraly sich darauf über ihren Vater. Tse, sowas über sie zu sagen, dabei war er selbst viel schlimmer... Die Erwachsenen bemerkten nicht, wie immer mehr Kinder den Tisch verließen und am Ende bloß noch Takoda und Genda übrig waren. „Interesse an einer Führung durch unser Haus?“ Samili nickte ihrer Cousine, die sie vor kurzer Zeit erst kennen gelernt hatte, dankbar zu. Teneri hieß sie, war in ihrem Alter und genau so wie sie eine Magierin, obwohl ihre Eltern Menschen waren. War ja auch nicht so wichtig. „Vielen Dank. Dieses perverse Gespräch ist nichts für meine armen Ohren. Immer fangen sie in netter Gesellschaft damit an, alle Familienfreunde sind irgendwie pervers, wirklich abscheulich!“ Die wenig Ältere öffnete die Hintertür und ließ das andere Mädchen eintreten, worauf sie lächelnd seufzte. „Besser, als hätten sie sich nicht lieb, finde ich. Und wirklich pervers ist das nicht. Wirklich nicht. Mein Bruder ist pervers, unsere Eltern bloß etwas verdorben.“ Sie öffnete die Küchentür und winkte die Grünhaarige zu sich. „Ach, bei pervers und versaut besteht ein Unterschied? Ist ja interessant, man lernt wohl wirklich nicht aus. Nettes kleines Kochzimmer.“ So klein war es eigentlich nicht, aber die Tochter des Dorfoberhauptes entschied weise, die Andere nicht darauf hinzuweisen. Sie kam aus der großen Stadt und war reich, sie war nun mal einfach anderes gewohnt. Außerdem wusste sie, dass die Küche in dem Haus, in dem sie sich im Moment aufhalten musste, sogar noch kleiner war. So war es keine Beleidigung. Als solche war es auch nie gedacht gewesen. „Dein Bruder ist im übrigen komisch – darf ich mich setzen?“ Sie trat an den Tisch und die Andere nickte ihr zu. Diese Stadtmenschen waren so übertrieben höflich, das ging echt nicht. Würde sie ihr schon noch austreiben... Ungefragt schenkte sie ihrem Gast ein Glas Kaliri-Saft ein. Wenn sie sich schon in der Küche niederließ... „Ja, allerdings. Mach am besten einen großen Bogen um ihn, ich versuche es auch... und das ist nicht leicht!“ Sie setzte sich dazu und die Jüngere nahm dankend an. Sie wohnte ja leider mit ihm unter einem Dach. Himmel, bald war er 15 und angeblich seinem Alter doch ohnehin voraus, konnte der nicht ausziehen?! „Was hat er denn für ein Problem?“, erkundigte Samili sich darauf und die Andere kicherte. Das war die Frage des Jahrtausends. Berechtigt war sie, ja, aber dennoch ein Witz... „Versuche es doch, heraus zu finden! Ich kann dir bloß sagen, dass ich es Zeit meines Lebens nie geschafft habe.“ Und irgendwie hatte sie auch das Interesse daran verloren. Er war einfach ein widerlicher Idiot und fertig. Teneri war ohnehin recht einfach gestrickt. „Ich mache mir Sorgen um sie.“, berichtete ihre Mutter zeitgleich im Garten, „Früher war sie so ein glückliches Mädchen, aber seit einigen Monaten...“ Ihr Mann sprach für sie weiter, als sie besorgt an einer Haarsträhne zu spielen begann. „Sie ist ein wirklich hübsches Mädchen und, nun ja, das sehen auch die Jungs hier und dem entsprechend verhalten sie sich auch.“ Choraly blinzelte verwundert. Und was war da dabei? Sie ihrerseits hatte es in ihrer Jugend immer gefreut, wenn die wehrten Herren ihr nachgeschaut hatten. Ja, sie hatte es immer genossen. Wobei das, wenn sie heute so richtig darüber nachdachte, doch irgendwie furchtbar dumm gewesen war. Ihr war wohl kaum einer wegen ihrer umwerfenden Schönheit nachgerannt. Denn wirklich schön war sie nie gewesen. Aber reich. Sie sprach es nie aus, denn ihr Mann würde es ohnehin abstreiten, ebenso wie ihre Eltern, aber mittlerweile hatte sie ein Alter erreicht, indem sie ihr Spiegelbild realistischer betrachten konnte. Uns sie war nicht hässlich, das nicht. Aber auf der Welt gab es unendlich viele Frauen, die hübscher waren als sie es je gewesen war. Als junges Ding hatte sie das hinter den ganzen Rüschen nie erkannt, aber heute... ihr kam unwillkürlich Shakki in den Sinn. Shakki war eine wirklich schöne Frau gewesen, zum beneiden. Imera erzählte weiter. „Das Problem an der Sache ist, dass diese Idioten fast alles gute Freunde von ihr gewesen sind... und diese Freundschaft haben sie ruiniert, indem sie meine arme Kleine einfach notgeil angemacht haben, so hat sie jetzt fast alle ihre Freunde verloren und ist dementsprechend totunglücklich.“ Bedrücktes Schweigen. Einzig Takoda registrierte das dreckige Grinsen seines Nebenmannes und fragte sich, weshalb er sich jetzt freute. Selbst er erkannte doch, dass es nicht schön war, dass Teneri keine Freunde mehr hatte. Und er kannte sich ja wohl überhaupt nicht aus, er war schließlich nicht nur dumm, sondern hatte Zeit seines Lebens selbst noch nie auch nur einen einzigen Freund gehabt. Man lebte einsam, wenn man immerzu von den anderen abgeschottet war, weil man anders war. Ja... Dummheit machte einsam. Er wandte sich bedrückt ab. „Aber sie ist vorhin mit Samili verschwunden, vielleicht freunden sie sich irgendwie an?“, warf Mayora da ermutigend ein, doch noch ehe die Eltern über seinen Satz nachdenken konnten, machte Chatgaia ihnen einen Strich durch die Rechnung. „Verzeihung, aber das halte ich für unwahrscheinlich. Wenn sie zuvor hauptsächlich etwas mit Jungs anzufangen wusste, dann wird sie mit einer kleinen Tussi, vergebt mir, reichlich Probleme bekommen.“ „Außerdem wäre das ohnehin nicht für die Dauer, wir werden im Laufe der nächsten Monate schließlich wieder zurückkehren.“, stimmte ihre Gatte ihr ebenfalls zu und nahm den Beteiligten damit elegant die Hoffnung. Seine Tochter fragte sich unterdessen, wie man so fies sein konnte. Wie grob von ihnen! Weiteres konnte nicht folgen, da sie unterbrochen wurden. Nicht von irgendeinem Kind, das hingefallen war und sich das Knie aufgeschlagen hatte, sondern von angekündigten Gästen. Trotz Ankündigung erschreckend, denn von Grüßen hielten die drei nicht viel und so saßen sie irgendwann irgendwie am Tisch und brachten manch einen zum Quieken, weil er nicht bemerkt hatte, dass noch jemand hinzu gekommen war. So auch Uda Magafi, der erschrocken auffuhr, als plötzlich ein blonder Kerl neben ihm saß. „Was bei allem...?!“, schnaubte er und der Jüngere sah erschrocken auf, hielt ihm darauf jedoch höflich eine Hand entgegen. Ja, er hatte sich ziemlich angeschlichen, er mochte es nun einmal nicht, wenn alle einen schon von der Ferne aus anstarrten, das war doch peinlich... Der Senator blinzelte bloß verwirrt, fasste sich darauf jedoch wieder. Himmel, wie stellte er sich denn an? Er ignorierte die dummen Blicke der anderen und dass seine Tochter gerade nach Luft rang gekonnt und stellte sich vor. „Uda Magafi, ... freut mich. Oder so.“ Der Blonde lächelte, schien irgendetwas zu verstehen und Choraly starrte unterdessen geschockt zu ihrem Mann, der bloß fröhlich grinste. „Kura Timaro.“, nuschelte der Andere da unhöflich leise und die Brünette sprang auf, hechtete um den Tisch, an dem komischen Mädchen mit dem Korb vorbei und zu dem Jungen, den sie so unglaublich lange nicht mehr gesehen hatte, dass sie gar nicht hatte mitbekommen können, wie er zu einem Mann geworden war. Ja, ein richtiger Mann, und was für ein hübscher, es war kaum zu glauben. Sie warf sich unwillkürlich an seinen Hals und seine Begleiterin mit dem kurzen schwarzen Haar warf Lilli einen verzweifelten Blick zu, die darauf jedoch bloß lachte. Ach herrje, wie unschuldig... „Was ist aus dir geworden, oh Himmel, sieh dich an, ich glaube es nicht!“ Kura musste ebenfalls kichern und während Uda Magafi sich verwirrt wieder auf seinen Platz sinken ließ, zog der junge Mann seine Tochter überraschend zu sich auf den Schoß, um sie einmal zu knuddeln. Seine Verlobte beruhigte er damit tatsächlich, er kannte die Frau, alles war okay. Dass er damit bei seinem grünhaarigen Cousin in Ungunsten fallen würde, vermutete er nicht.... „Kura kennen die Meisten wohl noch, aber für alle, denen er unbekannt ist, mein kleiner Cousin. Wobei... klein, na ja, nicht mehr wirklich.“, Imera lachte, während sein Bruder zähneknirschend neben ihm saß und seiner ahnungslosen Frau zusah, „Na ja, und die hübsche junge Dame dort heißt Chahana und ist seine liebe Verlobte. Und das Ding im Korb ist ein Baby und heißt Kalyani.“ Damit hatte er Chatgaia, die sich mit einem bloß all zu bekannten Funkeln in den Augen erhob und sich der jungen Mutter mit ihrem Kind widmete, voll und ganz erwischt. Ihre gut gelaunte Stieftochter wollte es ihr an sich gleich tun, wurde aber von dem Jüngeren zurückgehalten, der sie amüsiert festhielt. „Bin ich groß geworden?“, fragte er sie leise und strahlte dabei und die Frau kicherte. „Absolut, ich bin gerade aus allen Wolken gefallen, es ist ja unglaublich! Ein richtiger Mann bist du geworden! Und was für ein Schöner! Ich würde mir ja auch gern dein Baby anschauen...“ Er lachte wie ein Kind, als er sie weiter festhielt und sie schlug ihm übermütig, aber nicht fest auf den Kopf. „Na, wirst du wohl...?!“ „Was würde der wohl sagen, wenn ich das selbe mit seiner Tussi da machen würde...?!“ Lilliann blinzelte überrascht zu dem mies dreinschauenden Mayora. Huch? So kannte sie ihn ja überhaupt nicht. Aber seinen Hang dazu, negative Charaktereigenschaften lange Zeiten lang zu verbergen war ihr ja bekannt, so äußerte sie sich nicht weiter dazu. Außerdem war das doch bescheuert, der würde doch nicht eifersüchtig auf seinen viel jüngeren Cousin sein...? Sie wandte sich von ihm ab und dem noch immer ziemlich betrübt dreinschauenden Takoda zu. Moment...? „Genda, sprich, hast du etwas zu dem Jungen gesagt?“ Betrübt dreinschauende Leute die neben ihrem Sohn saßen schauten meistens betrübt drein, weil sie eben neben ihm saßen. Warum war er nur so, wie er war...? Er blinzelte sie scheinbar unschuldig an. „Ich? Warum sollte ich?“ Das wusste sie auch nicht, und so fiel ihr keine gescheite Antwort ein. Irgendwie kam sie nie gegen ihn an und so schnaubte sie nur und wandte den Blick wieder ab. -- „Himmel hilf!“ Samili und Teneri hätte fast der Schlag getroffen, als sich plötzlich die Tür ohne Vorwarnung öffnete. Es war jedoch kein wahnsinniger Massenmörder mit Schlachtmessern, sondern bloß Odohri und Serenka, die nun beide doof schauten. Das ältere Mädchen schnaubte entrüstet. „Ich glaube, jetzt geht es aber los hier! Was rennt ihr einfach so durch fremde Häuser?“ So etwas unhöfliches! Und dabei lief der eine doch herum wie der Prinz aus dem Pfefferkuchenland... sie musterte ihn etwas auffällig, worauf er sich die Nase rümpfend räusperte. „Tut uns ja Leid.“, entschuldigte sich der Älteste da verlegen und kratzte sich peinlich berührt am Kopf. Er hatte doch geahnt, dass das keine gute Idee war, Wüste hin oder her, das blieb einfach unverschämt... „Ihr habt uns doch eingeladen, also dürfen wir auch tun und lassen, was wir wollen, der Gast ist schließlich König!“, schnappte Serenka da für das einheimische Mädchen ungewohnt grantig. Ein ungehobelter Pfefferkuchenland-Prinz...?! Draußen am Tisch war er doch so lieb und brav gewesen, was ging denn mit dem ab?! „Einladen heißt aber nicht, dass ihr unser ganzes Haus durchsuchen dürft! Ich würde ja sagen, vielleicht ist das in der Stadt ja anders, aber Samili hat nicht einfach alle Schränke aufgerissen, als sie hereinkam!“ Der Ältere grinste abwertend und sein Halb-Neffe verdrehte seufzend die Augen. Bitte, musste das sein? „Ist mir an sich völlig egal, was die tut, meine Teuerste. Ich weiß um meinen Stand und um deinen, von daher sollte es dir eine außerordentliche Ehre sein, dass ich deine schäbige kleine Hundehütte überhaupt betrete, denn ich bin mit Verlaub wesentlich höhere Qualitäten gewöhnt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihr mit Vergnügen dabei zu, wie ihr ihre Gesichtszüge entgleisten. Bitte?! Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Sie wollte gerade fragen, was er sich erlaubte, da kam ihr ihre Cousine zuvor. „Mache dir nichts aus dieser verwöhnten Porzellanpuppe. Der bekommt sein Maul ohnehin nur auf, wenn er allein ist, sobald Mamilein in der Nähe ist, ist er zahm wie ein kleines Reh. Der schläft doch noch bei ihr im Bett...“ „Samili!“ Der große Bruder unterbrach sie und die ältere Magierin blinzelte überrascht, als sich in Serenkas Gesicht tatsächlich eine verräterische Röte schlich. Moment, der tat das doch nicht echt...? Na ja, der sah auch so aus, als würde seine Mutter ihn liebevoll einkleiden. Was es nicht alles gab, so jenseits der Dünen... „An sich waren wir beiden nur durstig und wollten und noch einmal was zu trinken nehmen... wenn es gestattet ist.“ Teneri seufzte. Ihr Cousin schien ja okay zu sein... Sie nahm zwei weitere Gläser und füllte sie kommentarlos mit Kaliri-Saft, während der Prinz aus dem Pfefferkuchenland leise vor sich hin meckerte, dass es doch so viel bessere Getränke auf der Welt gab und wie arm er doch gerade dran war. „Wenigstens bist du nicht verrückt, wie die arme Yivakavi.“, erwiderte sie darauf nach einer Weile dann doch, obwohl sie es sich hatte verkneifen wollen und reichte ihm seinen Becher, „Ein hübsches Mädchen aus dem Dorf, ich meine, sie ist überhaupt nicht dumm. Aber irre. Du solltest also dankbar sein, anstatt dich über Kaliri-Saft zu beschweren.“ Ehe er etwas dazu sagen konnte, wandte sie sich an Odohri, dem sie seinen Saft an sich einfach nur in die Hand hatte drücken wollen. „Verzeihung für die Unannehmlichkeiten!“, begann der darauf jedoch bekümmert, kurz etwas genervt zu seinem besten Freund schielend, der angewidert trank, „Es soll nicht wieder vorkommen! Ich fürchte bloß, wir sind etwas anders als ihr... und deshalb zum Teil sehr anstrengend. Ich entschuldige mich deshalb im Namen aller bei dir, wir wollen niemanden belasten.“ Er lächelte ihr freundlich zu und seine Schwester überlegte sich, ob sie ihn dafür loben sollte, dass er jedes Wort ihres Vaters auswendig gelernt hatte. Die Reaktion des anderen Mädchens auf die dahergesagten Worte fanden die Anwesenden darauf jedoch überraschend, denn sie wandte sich einfach unfreundlich schnaubend ab und entfernte sich mit grimmiger Miene ein paar große Schritte von den Jungen. So hatte sie beinahe etwas Ähnlichkeit mit ihrem Halbbruder... „Wie wäre es, wenn wir die Herren sich selbst überlassen und ich dir die erste Etage zeige?“, schlug sie da in einem seltsam harschen Tonfall ihrer irritierten Cousine vor, die zunächst bloß mit den Schultern zuckte, dann aber nickte. Wenn es sie glücklich machte... Schien ja fast so, als wollte sie unbedingt flüchten vor den Beiden... -- Die obere Etage hatte erstaunlich viel Ähnlichkeit mit der in dem Haus, in dem ihre Familie die nächste Zeit leben würde, stellte Samili etwas erstaunt fest, als sie sich oben umsahen. „Dieser Raum ist Todeszone!“, erklärte Teneri nebenbei und zeigte auf eine ganz und gar unscheinbare Tür. An sich konnte sich dir Grünhaarige durchaus denken, weshalb, aber sie fragte dennoch einmal nach. „Weshalb das?“ „Gendas Zimmer.“, war wie erwartete die Antwort. Womit ihre Cousine nicht gerechnet hätte, was Serenkas Worte von zuvor jedoch unerwartet unterstrich, war, dass die Jüngere trotz der Warnung in der Betitelung des Raumes einfach die Tür öffnete und eintrat. Ja, das war unhöflich, das wusste sie. Aber sie hatte schon immer einmal wissen wollen, wie Arschlöcher wohnten. Zumindest war dieser komische Kerl ein ziemliches, wenn man den Worten der kleinen Schwester Glauben schenken konnte. Er schlug Mädchen... „Das... halte ich für keine gute Idee.“, gab die Ältere irritiert zu bedenken, die ihr mehr schlecht als recht folgte. Das Zimmer war sehr simpel eingerichtet. Es gab ein Bett, einen Schrank, ein Regal, einen Tisch und einen Stuhl. Keine Dekorationen, nichts. Lediglich ein paar Bücher. „Das ist... echt langweilig. Meinst du, er versteckt etwas unter seinem Bett?“ Sie kniete sich unverzüglich davor und hob die lange Decke hoch. War zwar unschick, aber die Neugierde... die Finsternis unter dem Möbelstück machte ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung. Zur Strafe hatte sie bloß Staub aufgewedelt, der sie nun niesen lies. „Außer Köpfen von ermordeten Kindern sicher nicht viel...“, antwortete die Andere ihr da auch und sah der anderen skeptisch dabei zu, wie sie mutig die Arme darunter ausstreckte und nach irgendetwas tastete. Das war mutig, am Ende waren da wirklich noch Kinderköpfe. Beide Mädchen quiekten erschrocken, als die Tür mit einem unschönen Quietschen ins Schloss fiel und Teneri bereute es, an diesem Morgen überhaupt aufgestanden zu sein, als ein bekannter Schatten über sie fiel. Hey, es war dunkel, warum hatte der einen Schatten?! „Na, interessant?“ Samili drehte den Kopf dramatisch langsam in entsprechende Richtung und zum ersten Mal bemerkte sie, wie böse dieser komische Kerl wirklich schauen konnte. Bisher hatte sie ihn einfach nur ein wenig hässlich gefunden... „Was machst du hier?“, fragte sie dennoch keineswegs wirklich verschüchtert. Sie hatte sich vorhin erschrocken, mehr nicht. So richtete sie sich einfach wieder auf und schüttelte sich den Staub von den Armen. „Ich denke, er wohnt hier.“, war der gar nicht mal so dumme Kommentar des älteren Mädchens darauf, der allerdings ignoriert wurde. Genda trat bloß an ihr vorbei und umkreiste den Neuankömmling einmal wie ein hungriges Raubtier. Die Feststellung, dass von diesem Typen ein seltsames Unbehagen ausging, hatte die kleine Magierin im übrigen gleich darauf gemacht, sie konnte seine Halbschwester durchaus verstehen. Anmerken lies sie sich jedoch nichts, wer war sie denn? „Mutig von dir, normalerweise schreien die Mädchen, wenn ich sie in mein Zimmer schleife, sofern sie dazu noch in der Lage sind, du betrittst es freiwillig. Was darf ich mir darauf denn einbilden?“ Sie erbleichte dann doch, als er wider Erwartens einen Arm um sie legte. „Lass das, sie mag das nicht!“, schnaubte Teneri da doch und ballte die Hände zu Fäusten. Ja... schon oft hatte diese Fäuste auf schmerzhafte Weise den Körper der Älteren berührt, ihr Leben hier war ohnehin ein einziger Kampf... Er grinste sie gespielt freundlich an. „Ach? Weshalb besucht sie mich denn dann?“, das aufgesetzte Lächeln verschwand, als er die Jüngste im Raum direkt ansah, „Was willst du hier...?“ Sie schnappte nach Luft. Ganz sicher, das war der furchtbarste Kerl, den sie je getroffen hatte! Obwohl er ihr an sich noch nichts getan hatte, aber er strahlte einfach etwas furchtbar widerliches aus... „Nichts, mich trieb die Neugierde...!“, gestand sie einfach, worauf er sie los lies und von sich stieß, worauf sie stolperte und beinahe hingefallen wäre. „Haut ab.“ ------------ Irgendwie ein super-sinnlos Kapitel, aber es ging, wie der Titel ja sagt, ums Kennenlernen ^^' Noch immer... Kapitel 4: Kästchen im Schrank ------------------------------ „War diese Arbeit nicht unter unserer Würde, liebe Mama?“ Serenka überflog stirnrunzelnd den kleinen Zettel, den er in den Händen hielt, während er mit seiner Mutter reichlich früh am Morgen durch das erwachende Dorf schritt. Zum Schneider wollten sie. Ungewohnte Sache, der Junge hatte bisher nie in eine Schneiderei gemusst, die guten Leute waren immer in sein Anwesen gekommen, um Maß zu nehmen und die fertigen Klamotten zu bringen, hier in der Oase war das leider anders. Genau so wie die Zeit, in der es galt, das zumindest halbwegs bequeme Bett zu verlassen. Die Wüste erwachte früh, hatte er sich sagen lassen müssen. So war er artig aufgestanden und hatte seiner Mama geholfen, die ganze Familie zu vermessen und hatte sich gewundert, dass scheinbar auch in dem anderen Haus, in dem sein bester Freund wohnte, die selbe Moral herrschte. Alle waren früh auf den Beinen, sein eigener Vater hatte sich an diesem Tag auf den Weg zur Station gemacht, um irgendwie zu arbeiten und so mussten sie sich etwas beeilen, damit Takoda nicht zu lange allein war. Ja, der war einmal mehr die Ausnahme, Takoda durfte immer so lang schlafen, wie er wollte und der große Bruder durfte es ihm noch nicht einmal übel nehmen. Krankheitsbedingt hatte er starke Schlafstörungen und so musste man ihm jede mögliche ruhige Minute lassen. Schlafstörungen... der Junge war insgesamt etwas sehr gestört. „Das hat nichts mit Würde zu tun, Serenka.“, antwortete seine Mutter da und er sah zu ihr auf. Aussehen war gut gesagt, sie waren beinahe gleich groß. „Es hätte einfach viel zu lang gedauert, den Herrn Schneider uns alle vermessen zu lassen. Er hat schließlich noch andere Kunden, das würde den ganzen Betrieb aufhalten.“ Das klang einleuchtend. Er seufzte bezaubert. „Deine unendliche Weitsicht wundert mich immer wieder, liebe Mama.“, lächelnd ergriff er ihre Hand, „Du hast natürlich völlig Recht. Wie immer.“ Sie erwiderte nichts darauf. Abstreiten hatte ohnehin keinen Sinn, zumal er doch irgendwie Recht hatte. Nein... natürlich nicht, aber dennoch, davon war er nicht abzubringen. Sie hatte es aufgegeben. Es war ihr einfach eine Ehre, dass er so an ihr hing, mehr nicht. Als sie die kleine Schneiderei erreichten, ließ sie ihn jedoch los, nicht zuletzt, da sie sich beim Betreten im Angesicht eines jungen Mädchens befanden. Noch etwas müde lehnte es an der Theke und blinzelte bei den ihr völlig unbekannten Kunden. Wie seltsam, normalerweise kannte sie die Leute aus dem Ort doch? „Guten Morgen!“, machte es dennoch höflich und stellte sich gerade auf, „Wie kann ich helfen?“ Chatgaia erwiderte ihren Gruß sachlich. „Guten Morgen. Kleidung brauchen wir, wie du dir vielleicht bereits denken kannst. Mein Sohn hat eine Liste mit allen Familienmitgliedern. Das ganze Programm ist benötigt, wir kommen aus der Stadt und haben fast nichts aus Kaliri-Stoff, das ist problematisch.“ Die Jüngere nahm den Zettel von Serenka irritiert an, sah nach einem kurzen Blick darauf wieder auf. „Das wird etwas dauern, fürchte ich.“ Für so viele Personen genügend Klamotten anzufertigen war eine wirklich heftige Aufgabe. Sie hoffte, dass ihr Vater noch ein paar Sachen in angegebenen Maßen auf Lager hatte, ansonsten war das bloß schwer in annehmbarer Zeit zu schaffen. Auf ihre Feststellung bekam sie bloß eine eher sehr unpassende Frage von dem fremden Jungen. „Musst du nicht zur Schule?“ Sie blinzelte. „Bitte was? Äh... nein, muss ich nicht, ich bin gerade fertig geworden...“ Chatgaia wollte gerade dazu ansetzen, ihrem Sohn zu erklären, dass Menschen hier bloß bis zu ihrem 14. Lebensjahr zur Schule gingen, da kam der Schneider persönlich in seinen kleinen Laden und staunte unverzüglich nicht schlecht bei dem Anblick seiner Kundschaft. Natürlich hatte auch er mitbekommen, dass da jemand aus der großen Stadt gekommen war und sicherlich hatte auch er gehofft, dass es sich um die ausgerissenen Thilianer handelte, dass sie es wirklich waren, hatte er aber kaum für möglich gehalten. Wer kehrte schon in die Wüste zurück, wenn er in einer tollen Stadt leben konnte? Nicht, dass er je in einer gelebt hätte... Tafaye Alhatfa hatte sich kaum verändert, stellte das ehemalige Dorfoberhaupt grinsend fest, als er auf sie zutrat und sie mit einem ehrfürchtigen Handkuss begrüßte. „Ich bin zutiefst überrascht Euch noch einmal hier wiedersehen zu dürfen! Aber erfreut, so viel Schönheit in meinem bescheidenen Laden...“ An sich war es als Himmelsblüterin ja nicht schwer, die Schönheit im Alter zu wahren, aber dennoch war es erwähnenswert. Magier sein machte schließlich nicht automatisch hübsch, die grünhaarige Frau war es jedoch. Und ihr Respekt zu zollen war garantiert nicht schlecht, sie war immerhin noch immer sehr mächtig. Wobei es ihn wirklich zum Lachen gebracht hatte, als er vor einigen Jahren erfahren hatte, dass sie sich ausgerechnet in der von ihr verhassten großen Stadt in den Vater der lieben Choraly verliebt und diesen auch geehelicht, ihm ja sogar ein Kind geschenkt hatte. Er schielte zu dem Jungen, der mit etwas Fantasie tatsächlich ein wenig Ähnlichkeit mit dem Mädchen von damals hatte. Sehr amüsant. „Nun einmal nicht so förmlich.“, bestimmte das ehemalige Dorfoberhaupt da und er nickte grinsend, „Ja, wir sind eine Weile da, das Leben in der Stadt ist für uns im Moment zu riskant, um es kurz zu machen. Ich habe Kirima bereits einen Zettel zukommen lassen mit den Maßen der Meute, wir brauchen deine guten Klamotten in der Zeit hier.“ Das Mädchen erschreckte sich etwas, weil die fremde Frau ihren Namen kannte, wurde aber beiläufig von dem etwa gleichaltrigen Jungen diesbezüglich aufgeklärt. „Meine Mutter ist einmal Oberhaupt dieses netten kleinen Ortes gewesen.“, er lächelte ihr höflich zu, „Chatgaia... Setari, ich nehme an, Ihr habt bereits von ihr gehört, meine Teuerste?“ Ja, das hatte sie. Auch wenn ihr Vater nicht viel von der Zeit vor ihrer Geburt erzählte, so hatte sie von Chatgaia durchaus gehört. Eine fabelhafte Feuermagierin und Heilerin sollte sie gewesen sein... oder war es auch noch, sie hatte ja keine Ahnung. An einer Antwort darauf hinderte seine Art zu sprechen. Der war fein und adlig und so etwas, am Ende sagte sie noch etwas, was ihn verärgerte... Tafaye seinerseits war ebenso überrascht. „Meine Güte!“, machte er an den Jungen gewandt, „Und da werde ich gebeten, nicht so förmlich zu sein!“ Serenka errötete, erwiderte jedoch nichts. Er war anders, das wusste er. Seiner Meinung nach war sein Verhalten allerdings das einzig Richtige. Einerseits töricht, sich derart gegen die Masse zu stellen, aber was war schon dabei, wenn er in Worten sprach und die Kleidung trug, die seinem Stand entsprach? Und vor allen Dingen, wenn er etwas tat, was an sich jeder tun sollte; seine Mutter ehren? Oh ja, er lag ihr zu Füßen und war stolz darauf, sie war einfach so eine wundervolle Frau, sie verdiente es! Und so verteidigte sie ihn in seinen Augen auch. „Mein Sohn ist nun einmal etwas speziell, ich weiß nicht so genau, weshalb. Er meint es nicht so hochgestochen, wie er spricht, nicht?“ Zur Antwort strahlte er seine Mama beinahe verliebt an. Sie war so toll! Der Schneider und seine Tochter schenkten sich dabei bloß unauffällig vielsagende Blicke, wobei der Vater unabsichtlich darauf an das jetzige Dorfoberhaupt denken musste – aber so krank schätzte er den Jungen dann auch wieder nicht ein. Was daraus wohl geworden war...? -- Choraly hatte gerade andere Probleme. So lange sie damals auch in Thilia gelebt hatte, nie hatte sie Bekanntschaft mit dieser Person gemacht, dabei war es gar nicht so abwegig gewesen. So saß sie nun zum ersten Mal auf der anderen Seite des Schreibtisches des Schulleiters des Wüstendorfes, allein, im Übrigen. Mayora wollte sich aus welchen Gründen auch immer mit den anderen Heilern im Ort beraten und ihre Kinder... hatten keine Lust gehabt. Diese Fiesen. Lillianns Vater war ihr gruselig, als er sie unfreundlich musterte. Irgendwie schien er furchtbar unzufrieden zu sein, weshalb auch immer. „Ist Ihnen unsere kleine, schäbige Dorfschule etwa wirklich gut genug für Ihre werten, adligen Kinder?“ Ein Schwall von Hohn und Spott schwang in seiner Stimme mit, als er sie das fragte und sich etwas über seinen alten, morschen Schreibtisch beugte. Sie saß regungslos auf ihrem Stuhl. Himmel, bei diesem Herrn war sie sich wirklich nicht so sicher, ob es ernsthaft eine gute Idee war, ihre armen Kleinen hier hin zu lassen... Ihr Vater würde darauf jedoch schimpfen, es gab keinen Rückzieher, wie alt war sie denn? „Es wäre uns eine Ehre, wenn unsere Kinder hier unterrichtet werden könnten, mein Herr.“, machte sie so gefasst und ihr Gegenüber nickte und schob ihr darauf schnaubend eine Liste vor die Nase. „Gut, dann tragen Sie die entzückenden Kleinen doch bitte gleich da ein.“ Na der war gut, sie konnte diese Schrift kaum noch. Jetzt schrieb sie sicher die Namen ihrer eigenen Kinder falsch... Himmel, die würden es auch nicht leicht haben hier... Dabei fiel ihr noch etwas ein. Natürlich, ihre Stiefmutter hatte sie ja noch um etwas gebeten! Und das bei diesem grantigen Kerl, na gut... „Eine Sache noch.“, sprach sie so tapfer und ihr Gegenüber hob seltsam schauend eine Braue, „Mein jüngster Bruder, Takoda, ist nicht so, wie die anderen Kinder... also er ist krank. Und etwas zurück, fürchte ich, wenn sie verstehen, was ich meine... ich glaube, er wird im normalen Unterricht nicht klar kommen, zuhause wurde er auch separat unterrichtet, denken Sie, da gibt es irgendwelche Möglichkeiten?“ Zumindest war sie zuversichtlich, dass der arme Junge sich hier nicht in Lebensgefahr befand, wenn er einen Lehrer hatte. Der Ältere musterte sie eine Weile und ließ sich dann im Stuhl zurücksinken, kratzte sich dann nachdenklich am Kopf. „Wenn ich das als Bitte verstehen darf, dann kann ich das jemandem wie Ihnen wohl kaum abschlagen, wie? Nun ja... fragen sie Lilliann, sie kann sich um den Jungen kümmern. Wenn sie nicht will... dann haben Sie Pech, so Leid es mir auch tut.“ -- Takoda seinerseits war gleichermaßen sauer, wie auch stolz. Ganz allein war er gewesen, als er aufgewacht war, niemand war im Haus gewesen! In dem fremden Haus, im übrigen, daran gewöhnt hatte er sich noch lange nicht. Aber er war sehr erwachsen gewesen, fand er. Er konnte sich nämlich allein anziehen und kämmen, im Gegensatz zu seinem großen Bruder, der gar keinen Antrieb zur Selbstständigkeit besaß. Der Jüngere verstand das nicht. Warum verließ er sich immer so sehr auf die Hilfe von Anderen? Er seinerseits hasste es, in vielen Bereichen auf eben diesen Beistand abgewiesen zu sein und daran nie etwas ändern zu können. Krank... warum ausgerechnet er? Alle anderen waren gesund! Das war doch gemein... Er starrte deprimiert auf seine Füße, während er durch die Hitze des Wüstendorfes schritt und bemerkte gar nicht, dass er auf jemanden zurannte und im Begriff war, in ihn herein zu rennen. „Vorsicht!“, lachte eben dieser Jemand gerade noch rechtzeitig und fing ihn mit den Händen ab. Der Junge errötete, als er aufsah. „Ich bin so ein Trottel, ich denke!“, schimpfte er darauf dann über sich selbst und der Mann tätschelte ihm den Kopf. „Entweder das und ich bin auch einer, weil mir sowas auch gelegentlich passiert, oder du warst einfach etwas unachtsam. Macht doch nichts.“ Er lächelte. Takoda war wirklich froh, dass er keinen völlig Fremden getroffen hatte, seinen anderen Cousin kannte er zumindest vom Vorabend aus flüchtig. Imera hieß er... Moment einmal. Er blinzelte verwundert. „Musst du nicht König sein, ich denke?“ Ja, genau, so etwas hatte man doch erwähnt? Er war König von Thilia oder so etwas... Scheinbar lag er falsch, denn der Ältere lachte verwirrt. „König? Ähm – nö. Dorfoberhaupt, wenn überhaupt. Auf mich hört hier eh niemand, aber hey, nur wegen mir ist es hier so schick.“, er hielt einen Moment inne, „Na gut, also schick im Sinne von dem, was ich kenne, da wo du herkommst ist es sicher noch viel schicker. Aber sag, wo sind denn die Anderen?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Chatgaia ihren Sohn ganz allein auf die Straße gelassen hatte. Nun ja, Serenka vielleicht schon, aber Takoda war doch, wenn er das richtig verstanden hatte, anders...? Was wäre denn, wenn er zufällig zu den Klippen liefe? Von grausigen Erinnerungen gepackt verschwand das Grinsen des Mannes einen Moment. Das war wirklich extrem unvorsichtig, fand er. Der Junge schenkte ihm darauf einen etwas verzweifelten Blick. „Die sind alle einfach nicht da! Ich wollte sie suchen!“, er seufzte etwas, „Auf dem Tisch lag ein Zettel, der war für mich, ich denke. Ich konnte ihn aber nicht lesen. Ich kann fast gar nicht lesen... ich bin nämlich etwas dumm, ich denke.“ Fast gar nicht lesen? Na, das kannte er doch irgendwo her. Oh ja, er verstand den armen Kerl. „Ich glaube, es ist nicht gut, wenn du so ganz allein durch einen dir völlig fremden Ort rennst, Takoda.“, sprach er so ernst, „Magst du vielleicht etwas zu mir kommen? Ich meine, ich habe noch ein bisschen etwas zu tun, aber das wäre mir wirklich lieber... ich denke, wenn ich an deiner Stelle wäre, wäre es mir gruselig, ohne jemanden, den ich kenne, durch Thilia zu rennen.“ Der Grünhaarige blinzelte. Das war aber ein sehr nettes Angebot, fand er. So ein lieber Kerl. Er mochte den Wüstenkönig! „Das finde ich aber viel lieb von dir! Du bist nett, ich denke.“ Imera gluckste, als er nach seiner Hand griff und fröhlich vor sich hin kicherte. Nanu? Man merkte ihm seine zwölf Jahre wirklich kaum an, der Arme... „Woher hast du denn die hübschen blauen Augen?“ Der Mann fragte beiläufig, als er dem Kind seine Haustüre offen hielt und dieses sich wieder in dem vom Vorabend bekannten Gebäude befand. Moment, hier wohnte doch auch dieser komische Kerl, der immer so gruselige Sachen sagte? Himmel, der war wirklich unsympathisch... „Na ja, also soweit ich mich erinnere, waren die schon immer da. Also, seit ich ein Baby-Takoda war, ich denke.“ Folglich war er also damit zur Welt gekommen. Was war das eigentlich für eine doofe Frage, hatten nicht alle Leute automatisch Augen? Imera lachte bloß. „Ja, okay, das ist wohl wahr, da hast du sicher Recht.“ Er hatte eigentlich die Farbe gemeint, die nicht ganz in den Familienzweig passte, aber er kannte ja nicht die Vorfahrenschaft der Magafis, war an sich auch egal. Viel wichtiger war, was machte er jetzt mit dem Jungen? Allein lassen kam nun wirklich nicht in Frage, aber er hatte echt noch zu tun. Er hatte in den letzten Wochen wirklich zu viel auf Maigi abgewälzt... Maigi arbeitete für ihn. Mit Papierkram kannte er sich gut aus, auf Grund seiner vorherigen Karriere, in die er für nichts auf der Welt zurück kehren hatte wollen. Zu viele Erinnerungen... schlechte Erinnerungen. Das hatte ihm jeder nachgesehen. Mittlerweile gehörte er zu Thilia wie die Kaliri-Bäume, er war nicht mehr wegzudenken. Dabei hatte er es so schwer gehabt. Das Dorfoberhaupt dachte seufzend an den Jüngeren, den er inzwischen als seinen Freund bezeichnen konnte, als er gefolgt von Takoda sein kleines Arbeitszimmer betrat. Zunächst einmal hatte es sehr lange gedauert, bis er überhaupt wieder belastbar gewesen war. Pinita hatte ihn damals wirklich heftig getroffen, er hatte noch lange Zeit danach an den Spätfolgen gelitten. Außerdem war er ja zeitgleich Vater geworden und seine damalige Verlobte, heutige Ehefrau, war blind und brauchte dementsprechend von Beginn an viel Hilfe bei der Umsorgung des Kindes. All das war ihm gelungen und langsam war er genesen, doch vor dem Spott der Dorfleute hatte es auf Dauer nicht geschützt. Seine Vergangenheit war zu abstrus, um sie geheim zu halten, jeder hatte „Dafi“ gekannt und hatten ihr wirkliches Ich darauf nur mehr als lächerlich gefunden. Er hatte sich an den Spott gewöhnen müssen. Inzwischen genoss er durch seine nicht zu verachtende Intelligenz aber bei den meisten höchsten Respekt, obgleich man hinter seinem Rücken noch immer über ihn sprach. Damit konnte er leben. Musste er. War an sich aber auch gleich. Imera seufzte, als er sich an seinen Schreibtisch setzte. Schreiben, furchtbar. „Ich muss jetzt etwas arbeiten, Kleiner... gibt es irgendetwas, was du gern tun würdest?“ Vermutlich fiel dem Guten jetzt nichts ein. Klar, welches Kind in einem beinahe völlig fremden Haus konnte darauf auch anständig antworten? Takoda. „Hast du ein Puzzle für mich?“ Er drehte sich einmal im Kreis, um das Arbeitszimmer genau anzusehen. Das seines Papas war viel größer und edler. Das Leben in der Wüste war so arm, fand er. Und trotzdem waren die Leute glücklich, das war schön. Er mochte es hier auch, in kleineren Häusern war die Familie viel mehr zusammen, hatte er bemerkt. Er liebte seine Familie. „Spontan... nein, lass mich nachdenken.“ Das Dorfoberhaupt seinerseits war überrascht. Na, an sich war das gut, der Kleine machte ja wirklich keine Probleme. Dabei hieß es immer, Kinder wie er würden viel mehr Arbeit machen, so etwas aber auch... Die Frage war bloß, wo bekam er ein Puzzle er? Die leider etwas knarrende Holztreppe verriet ihm, dass jemand nach unten kam und die Uhrzeit auch, um wen es sich dabei handeln musste. Kaliri-Holz knarrte im übrigen immer, das lag nicht an der schlechten Qualität. Für seine Familie das Beste! Das Beste in der Wüste, verstand sich... Er trat in den Flur und fing seinen Sohn, der eigentlich gar nicht seiner war, ab. „Genda?“ Man warf ihm einen tödlichen Blick zu. Imera verkniff sich ein Seufzen. „Mein kleiner Cousin ist hier, Takoda... du weißt nicht zufällig, ob wir sowas wie ein Puzzle haben?“ Und selbst wenn, wie konnte er darauf hoffen, dass der ihm half? War ja lustig... Ach, er hatte es versucht. Der Jüngere grinste dreckig. „Ich hatte mal eines mit einem Kamel darauf. Deine Töchter haben die Einzelteile im Haus verteilt, die Hälfte habe ich wiederfinden können, sie befindet sich in meinem Schrank. Die andere Hälfte... viel Glück beim Suchen.“ Ehrlich war Genda bloß, wenn es um etwas negatives ging. Wundervoll. Und damit kehrte er seinem Vater, der nicht wirklich sein Vater war, den Rücken zu und verschwand aus der Haustüre. Imera seufzte. Was hatte er bloß für Gören? Die würden ja etwas zu hören bekommen... Takoda sah das seinerseits nicht ganz so negativ. „Ich suche sie, ich denke, ja?“, strahlte er und der Mann stutzte. Das wollte er nicht echt? „Na ja, wenn du das magst, tu dir keinen Zwang an.“ Das tat er nicht. Als er in den Schränken in der Stube herum suchte, konnte er sich ein etwas fies angehauchtes kichern nicht verkneifen. Er war dumm, aber nicht völlig auf den Kopf gefallen! Wie gut, dass das die Meisten nicht ahnten, so konnte er das ganze Haus ungestört erkunden. Er war doch so furchtbar neugierig! Und dieses Gebäude war echt toll... -- „Wein doch nicht!“ Mayora saß seufzend am Boden vor seiner jüngsten Tochter Dyami. Er hatte die Kleinste zu einem Kollegen mitgenommen, mit dem er an sich abklären hatte wollen, wo er denn im Ort gebraucht wurde. Er hatte immerhin keine Lust, wochenlang völlig sinnlos vor sich hin zu gammeln, auch wenn es seine Familie gefreut hätte. Er war sehr vielbeschäftigt. So war er jetzt bei einem Bekannten, den er noch aus der Schulzeit kannte und der den selben Beruf ausübte wie der Grünhaarige. Auch wenn er nicht hatte studieren können und sein Wissen von daher doch sehr begrenzt war. Vielleicht konnte man ja etwas lernen... Jedenfalls hatte man sich noch etwas unterhalten über die letzten Jahre, die Stadt, das Dorf und die Kinder und dabei hatte das kleine Mädchen mitbekommen, dass es in der Wüste keine Kinderkrippen gab. Und das war äußerst dramatisch, sie wollte doch mit anderen Kindern spielen! „Fräulein Tahavi!“, jammerte sie so den Namen ihrer Erzieherin, die sie scheinbar sehr vermisste. War ja auch eine nette Frau, das war wahr... „Mausi, du siehst sie doch wieder in ein paar...“ „JETZT!“, sie weinte bitterlich. „Kann ich etwas machen?“, fragte der Gastgeber beiläufig, wurde aber vorerst ignoriert, als der Magier seine Tochter seufzend aufhob. Etwas verzogen war sie dann doch, jedoch dennoch wesentlich einfacher als Samili oder Korhota, wo auch immer die heute steckten... Gute Idee, die Kleine liebte ihre Geschwister! „Sollen wir die Großen einmal suchen gehen? Vielleicht wollen die ja mit die spielen?“ Sie nickte und drückte sich schluchzend an Papas Brust, während er sie trug. Ach, die Ärmste. Er wandte sich an den anderen Mann. „Danke für die Gastfreundschaft, es hat mich gefreut, dich noch einmal wiedergetroffen zu haben. Ich gehe jetzt, du siehst ja...“ Dyami war totunglücklich. Sein Gegenüber nickte gezwungen lächelnd. „Natürlich, wenn es der kleinen Dame hilft. Man sieht sich, denke ich.“ Wenigstens all zu lange suchen mussten sie nicht, denn als der nun etwas gestresste Mayora mit seiner Jüngsten durch den Ort spaziere, kam ihm Korhota entgegen. Und nicht nur das... „Lass mich los! Lass... du bist völlig bescheuert, lass mich los verdammt!“ „Aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der so viel über die Botanik seiner Heimat weiß! Ich will jetzt mit dir zu den Kaliri-Plantagen, damit du mir alles erklären kannst!“ Himmel, das durfte doch nicht wahr sein... Da zog der Junge, anscheinend eindeutig gegen deren Willen, seine Cousine Namini durch die Gegend. Sie trug noch ihre Schultasche, vermutlich hatte er sie vor der Schule zufällig getroffen und sich mit ihr unterhalten... und dabei gemerkt, dass sie irgendwovon Ahnung hatte. Und dann hatte er das getan, was er in solchen Fällen immer tat, er hatte sie entführt. Er war einfach unbelehrbar... „Korhota!“, empörte der Vater sich laut und der Junge hielt inne und sah grinsend auf. Woher kam der denn plötzlich...? Er lachte gut gelaunt. „Papa! Wusstest du schon, was für ein schlaues Ding die Namini ist? Wusstest du es?“ Er seufzte. Nein, aber geahnt hatte er es, obgleich es ihn doch sehr verwunderte. War Lilliann da etwa untreu gewesen oder so? Von ihrem Vater hatte das Mädchen sein Wissen sicherlich nicht, zumindest wenn ihr Intellekt über die Fähigkeit des Kopfrechnens hinaus ging... „Das ist ja sehr schön für sie, aber denkst du nicht...“ Das Mädchen versuchte es selbst. „Ich will jetzt heim und zu Mittag essen, so hilf mir doch, Onkel!“ Sie versuchte sich zu befreien, doch der stärkere Junge lachte bloß. Sein Vater ahnte, was nun kommen würde... wenn es etwas gab, was Korhota fehlte, dann war es das nötige Feingefühl. „Ach was, ich finde, du bist sehr speckig, du kannst problemlos eine Weile von deinen Fettreserven leben! Komm, zeig mir doch bitte deine schöne Heimat!“ Sie erstarrte. Dyami schaute ihren Vater schräg an, als der die Augen entnervt verdrehte. Das konnte nicht wahr sein... und da hatte er gedacht, er sei unsensibel... Aber zumindest bemerken tat der Sohn das Fettnäpfchen, in das er getappt war, als er seine erbleichende Cousine ansah. „Du meine Güte!“, er lachte verlegen, „Also ich finde es ja gut, dass du so speckig bist! Wenn du erst einmal beginnst, eine richtige Frau zu werden, dann wird dich das sehr kurvig und schön machen, bestimmt! Und bis dahin ist es auch nicht so schlimm, dass du etwas pummelig bist, finde ich...“ „Ich werde nie wieder etwas essen!“, unterbrach sie ihn und schaffte es hysterisch, sich los zu reißen. Sie wusste ja, dass sie speckig war, verdammt, warum musste der das in aller Öffentlichkeit sagen, dieser miese Kerl?! „Heißt das, du zeigst mir jetzt die Kaliri-Plantagen?“, freute der Junge sich da tatsächlich doof und wunderte sich, als er sich eine Ohrfeige fing, worauf er dann entsetzt zu seinem Vater blickte. „Sie... hat mich geschlagen!“, stellte er weinerlich fest und Mayora hustete. „Ja, das hast du dir auch verdient, du kannst doch nicht einfach...“ „Das sag ich Mama!“ Er rannte weinend weg. Und genau darum fand er Dyami viel einfacher, sein gutes Mädchen. Odohri so wie so, der war ja eine richtige Missgeburt, ganz der Papa, sagte Choraly immer. Hatte sie vielleicht auch Recht. Korhota war es hoffentlich nicht. Zumindest erinnerte sich der Grünhaarige nicht daran, jemals zu einer Frau gesagt zu haben, sie sei fett... Himmel, was ein schrecklicher Junge! Namini weinte auch. „Mach dir nichts daraus, er ist eben sehr ungehobelt. Ich finde nicht, dass du besonders... speckig bist.“ Doch, eigentlich schon etwas, aber das sagte er ihr natürlich nicht, ehe er das kleine Mädchen noch in die Magersucht trieb. Bei allen Göttern, sie war doch wirklich noch ein Kind! „Geh heim, sonst wird das Essen noch kalt, das möchtest du doch nicht?“ Sie nickte traurig und wandte sich ab. Das tat doch weh, verdammt... -- So viel geschickter war der etwas missgeburtige älteste Sohn jedoch auch nicht. Zumindest unbegabt in neue Bekanntschaften machen war er wirklich. Aber woher sollte er das auch können, in der großen Stadt war er in einer Klasse mit superreichen adligen Spasten gewesen, von denen er sich fernhalten sollte, weil er noch viel toller war als sie und die selbst wiederum nichts von ihm wissen wollten, weil... er grünes Haar hatte. War aber nie schlimm gewesen, er hatte seinen besten Freund Serenka ja. Serenka war an sich mehr als sein Freund, sie waren wie Brüder aufgewachsen. Sie hatten sich lieb. Dass sagten sie sich natürlich nicht mehr, aus dem Alter waren sie heraus... zumindest nicht, wenn jemand anderes dabei war, was keiner hörte, konnte ja keinen interessieren... Jedenfalls hatte sein Vater am Abend zuvor gemeint, die Leute im Dorf seien sehr nett und er solle sich doch einmal umschauen, ob er jemanden fand, mit dem er sich gut verstand. Das war an sich keine schlechte Idee, wie er fand, aber Serenka, der Trottel, hatte darauf bestanden, den Morgen mit seiner Mutter zu verbringen und so konnte er ganz allein durch den staubigen Ort irren. Fremde Leute ansprechen war ihm zudem zuwider, so hatte er sich nach einer Weile einfach entnervt und völlig überhitzt unter einen Schatten spendenden Baum gesetzt und schmollend den Dorfbewohnern zugeschaut. Was an sich schon Erlebnis genug war. Auch wenn es hier natürlich lange nicht so zuging wie in der großen Stadt, aus der er stammte, er hatte hier zum ersten Mal die Möglichkeit, ungestört das Treiben zu beobachten. Zuhause war das unmöglich für ihn. Als Sohn seiner Eltern war er ohnehin schon sehr gefährdet, zudem signalisierten seine grünen Haare nichts anderes als „Erschieße mich!“, immerzu musste er beschützt werden, es war wirklich nervig. Wenn man es genau nahm war er heute zum ersten Mal ganz alleine außerhalb seiner sehr geräumigen Vierwände unterwegs. Das sollte eigentlich gefeiert werden. Gekommen war es so, dass irgendwann die Schule von Thilia, die er auch bald besuchen würde müssen, zu Ende gegangen war und er eine Menge Schulkinder an sich hatte vorbei ziehen sehen. Und ein Junge hatte ihn überraschenderweise erkannt, obwohl der Grünhaarige ihn selbst zuvor noch nie gesehen hatte. „Ich kenne dich aus Erzählungen meiner Eltern.“, erklärte er ihm, als er sich ebenfalls in den Schatten gesetzt hatte, „Nun ja, also ich kenne deine Eltern aus diesen Erzählungen, meine Eltern kennen dich nämlich auch nicht. Aber mein Vater hat als ihr angekommen seid von dir und deinen Geschwistern und Cousins erfahren. Wir wollten euch übrigens noch alle einmal besuchen, kannst ja zuhause vorwarnen.“ Er strich sich grinsend durch sein dunkelblondes Haar. Odohri blinzelte überrascht. Er musste ebenfalls Magier sein, das spürte er, aber das einzig auffällige diesbezüglich waren seine unnatürlich scheinenden grünen Augen. Wobei er insgesamt doch ein eher seltsamer... Kerl war. „Und wie heißt du, wenn ich das fragen darf? Wenn du schon so viel über mich weißt...“ Es war ungewohnt, so ungezwungen zu reden. Normalerweise achtete man doch so auf höflichen Ausdruck... wobei er da eh nie so geschickt drin gewesen war, da kam er sich des öfteren reichlich dämlich vor. Besonders neben Serenka, er beneidete ihn um seine ausgeprägte Gabe zur gepflegten Artikulation, obgleich es manchmal etwas zu übertrieben für ihn klang. War ja auch nicht so wichtig... Der Fremde grinste etwas errötend und schüttelte ihm dann ein wenig grob die Hand. Dabei sah der so zart aus, also echt... „Semiry Tebettra heiße ich, freut mich. Dein Name war...?“ „Odohri Timaro.“, er musterte den Jungen skeptisch, Etwas sehr auffallend, wie er bemerkte, als dieser etwas verlegen wurde, aber hey, er war adlig, er durfte das... auch wenn der Andere seine Meinung da nicht ganz teilte. „Stimmt etwas nicht?“, erkundigte er sich verwirrt, „Ich meine... du schaust mich an wie ein Raubtier ein Stück Fleisch... oh Himmel, du stehst doch nicht auf Jungs, oder?!“ Er rückte erschrocken ein Stück weg und blinzelte unsicher. Wer wusste schon, wie diese Städter tickten? Er hatte da ja ohnehin immer Pech! Ach, wie ärgerlich, dabei hatte er dem Neuen doch bloß nett etwas helfen wollen, weil der so einsam da gesessen hatte! Der Grünhaarige errötete empört. „Natürlich nicht, was denkst du dir? Bloß weil ich dich anschaue, meine Güte, ich gucke grundsätzlich, wenn meine Augen offen sind!“ Aber nicht unbedingt auf diesen Semiry, so wandte er sich aufgesetzt hochnäsig ab. Unverschämtheit, also wirklich. „Ich war bloß etwas verwundert...“, sprach er da dann doch gespielt arrogant weiter, „Ich habe zuerst gar nicht gewusst, ob du Junge oder Mädchen bist.“ Ja, das hatte gesessen. Und zudem war es noch ehrlich gewesen, er hatte weder die Figur, noch das Gesicht eines Jungen, lediglich seine Art zu sprechen und zu reden erinnerte an einen. Und nun starrte er seinen Nebenmann hochrot an. War vielleicht doch etwas sehr direkt gewesen... „Ich bin ein Kerl, ich kann es beweisen, verdammt!“, jappste er vor Verlegenheit der Ohnmacht nahe und der Jüngere pfiff durch die Zähne. „Na, jetzt kommst DU mir aber so vor, als würdest du auf Jungs stehen! Also da vertrau ich dir dann lieber, so misstrauisch bin ich dann auch wieder nicht...“ Na immerhin, er vertraute ihm. Semiry faltete verklemmt da sitzend die Hände. „Ich höre das öfters, ja? Meine Güte, ich komme eben nach meinem Vater, ist doch egal, wie man aussieht!“, er machte eine kleine Pause und der Grünhaarige schielte ihn wieder von der Seite an, „Meine Mutter ist schon sowas von auf ihr Aussehen versessen, es ist grässlich, dabei sollte sie am besten wissen, dass es darauf nicht ankommt!“ Er schnaubte und schien etwas sauer darüber zu sein. Nein, das war kein schlechter Kerl, auch wenn er etwas komisch erschien. Vielleicht konnte man sich ja etwas anfreunden? Das ging sicher nicht so leicht, wie man es sich vorstellen konnte, aber einen Versuch sollte man wagen... nicht? „Weißt du...“, sprach er da weiter, „Meine Mutter ist nämlich blind.“ -- „Ungezogenes Gör, das kann doch nicht wahr sein!“ Serenka rannte erbost schnaubend neben seiner Mutter durch den Ort, sah sich um und schaute in jede Seitengasse. Als sie nach Hause gekommen waren, war von Takoda keine Spur zu finden gewesen, er war einfach weg. Dabei hatte man ihm doch extra einen Zettel mit genauen Anweisungen hinterlassen, dieser Torfkopf! „Sei ihm nicht böse.“, unterbrach Chatgaia seine aufgebrachten Gedanken jedoch besorgt, „Du weißt doch, wie er ist, an einem Tag kann er lesen, am nächsten hat er alles wieder vergessen. Er wird es wohl wieder verlernt haben, er hatte ja schließlich schon eine etwas zu lange Zeit keinen Unterricht mehr.“ Der Junge erwiderte nichts. Ja, so musste es sein, wie immer hatte sie Recht. Der große Bruder verstand nicht, wie es sein konnte, dass der Jüngere immer wieder alles, was man ihm beibrachte, vergaß, das ergab kaum Sinn für ihn. Wahrscheinlich hatte sein Vater da wohl Recht, sein Gehirn funktionierte einfach anders... Takoda machte sich weniger Gedanken. Imera auch, im übrigen. „Ich meine, es ist wirklich süß von dir, dass du den kleinen Mann aufgesammelt hast, aber meinst du nicht, du solltest deine Tante mal suchen und ihn ihr zurückgeben?“ Das Dorfoberhaupt blickte genervt von seiner Arbeit auf zu seiner Frau, die mit einem Kochlöffel in der Luft herum fuchtelte. „Und überhaupt, wo bleibt Namini? Teneri ist längst da, sie meinte, sie sei ohne ihre Schwester losgegangen, bloß kommt die kleine Dame hier einfach nicht an!“ Tante hier, Tochter da, schiebe nicht alle Arbeit auf Maigi ab, mach das doch ordentlicher... Der Mann schenkte ihr einen leichten Mörderblick. „Vielleicht hatte sie heute so viel Spaß beim Lernen, dass sie sich an einer Schulbank festgekettet hat? Und... ach, die soll ihn abholen kommen, wenn sie ihn vermisst, meine Fresse...“ Er erhob sich und schritt an seiner schnaubenden Gattin vorbei an die Tür des Arbeitszimmers. „Takoda?“, rief er, „Hast du Spaß?“ „Jahaa, ich denke!“ Den hatte er. Oh ja, es war spaßig, alles zu durchsuchen, das machte viel, sogar sehr viel Spaß, hatte er festgestellt. Er machte sich keine Gedanken darum, dass das doch unhöflich war... nein, er durfte das. Fertig. Er war ein Magafi. Ja, damit rechtfertigte er sich gern. Und was hatte er schon alles schönes gefunden! Bücher zum Beispiel, bei denen es gar nicht schlimm war, dass er so schlecht in Sprache war, denn die waren komplett in lustigen Kritzeleien geschrieben! Was sich die Autoren dabei wohl gedacht hatten? War an sich aber auch egal, jetzt wusste er zumindest, dass hier in der Wüste selbst er einen eigenen Roman schreiben konnte. Worüber denn? „Über die Ziege Be!“ Er lachte und räumte weiter. Ja, das würde er heute Abend doch gleich einmal versuchen, schlafen konnte er so wie so nicht. Unter einem Haufen sehr alter und staubiger Krakel-Bücher machte er unterdessen eine noch sehr viel interessanterer Entdeckung, nämlich eine kleine Kiste. Sie musste schon sehr lange da stehen, ohne, dass sie jemand jemals wieder angerührt hatte, hätte er weiter gedacht, hätte es dem Jungen beinahe so erschienen, als sei sie unter dem ganzen Papier gewollte versteckt worden. Vor ihm war sie dennoch nicht sicher gewesen, so wie es schien und so öffnete er sie neugierig. Darin befanden sich Lichtbilder und nun erkannte sogar er ihr Alter, denn heute war die Qualität doch sehr viel besser. Er und sein Bruder wurden nämlich ständig abgelichtet, alle wollten immer viele Bilder von ihnen haben, der Junge wusste überhaupt nicht weshalb. So hübsch waren sie nun auch wieder nicht und Serenkas Klamotten fand er dämlich und unbequem, obgleich er den Älteren zutiefst verehrte. Auf den Bildern jedenfalls waren scheinbar Teneri, Namini und Genda, als sie noch klein waren. Fiel schwer, zu glauben, dass dieser eine komische Kerl wirklich mal so unschuldig und niedlich gewesen war. Aber irgendwann musste auch er mal ein Genda-Baby gewesen sein und Babies waren immer süß und niedlich, das hatte ihm seine große Schwester Choraly beigebracht. Egal, er schaute weiter. Baby-Genda, Baby-Teneri, Baby-Namini... dann kam etwas anderes. Dumm wie er nun einmal war brauchte er erst eine Weile, um das Motiv für sich zu verstehen und als es dann geschah, wünschte er sich, nicht so verdammt neugierig zu sein. „Ah... uiuiui!“ Vor Schreck landete er auf dem Hintern und warf die restlichen Lichtbilder von sich, dass sie im ganzen Raum verteilt waren. Er keuchte. Das war ja das mit Abstand gruseligste, was er jemals gesehen hatte! Er konnte sich nicht erklären, wie diese Lichtbilder dorthin gekommen waren, dafür hatte er auch keinen Kopf, viel zu erschrocken war er. „Takoda?“, hörte er da Lillianns Stimme von irgendwo, „Möchtest du gleich mit uns essen?“ Ihre Frage ignorierend erstarrte er zur Salzsäule. Langsam! Lilliann war Imeras Frau, vielleicht war das ja ein Geheimnis... aber von wem? Von Imera? Letztendlich war es egal, er rappelte sich geschockt auf und begann die im ganzen Raum verteilten Bilder wieder einzusammeln. Dabei begann er ärgerlicherweise zu zittern... wie er es hasste, warum ausgerechnet er? Auf dem Gang hörte er Schritte. „Oh Himmel!“, schnappte er und suchte schneller, packte den Stapel angewidert wieder in das Kästchen und warf es in den Schrank, den er unsanft zuknallte. Einen Moment später stand die Frau seines Cousins verwundert in der Tür. „Takoda, was machst du hier?“ Er lief hochrot an und schnappte nach Luft. Oh nein, sie hatte sicher etwas bemerkt... „Ich suche Puzzleteile, ich denke!“, log er und wusste, dass man es ihm nicht wirklich abkaufte. Lilli schüttelte bloß lächelnd den Kopf. „Komm mit, das wird dir schmecken.“ ------------------------------- Tja, sehr mysteriös, kann sich jetzt keiner denken, was das wohl für Bilder sind XD Ich mag den Titel ^^ Kapitel 5: Schulweg ------------------- Takoda ging es überhaupt nicht gut. Seine Mama hatte mit ihm geschimpft, weil er einfach weg gegangen war und dann war da noch die Erinnerung an diese Lichtbilder im Schrank seines Cousins... Er lag erschöpft auf seinem Bett und starrte die Decke über ihm an. Der Raum hatte einmal Choraly gehört, vor langer Zeit... der nebenan Mayora. Jetzt wohnte Serenka da. Ja... er hatte gerade Besuch von Odohri. Er hörte sie miteinander reden und lachen und der Jüngere beneidete seinen Halbneffen, dass er sich so gut mit dem großen Bruder verstand. Ihn hatte Serenka nämlich nicht lieb... „So sehr ich die Entscheidung meiner Mutter auch gut heiße, dieses Bett ist wahrlich die Hölle.“, seufzte Chatgaias Erstgeborener da nebenan und sein bester Freund lachte ihn aus. Um sein Amüsement zu verdeutlichen ließ er sich dazu noch auf die „Höllen-Pritsche“ fallen und der andere schüttelte bloß schnaubend den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Unverschämtheit, und er litt hier... „Stell dich mal nicht so an, dein Zimmer, wie auch dein Bett sind größer als meine. Also in nächster Zeit werde ich eher bei dir übernachten als du bei mir... wenn es sein muss, ich meine, das ist wirklich schon sehr kuschelig.“ Er verstummte, als ihm plötzlich etwas einfiel. Serenka hob beide Brauen. Kuschelig war gut gesagt, das Bett seiner Eltern war auch so klein, er passte kaum da rein, ohne dass sein Vater heraus fiel... und dann schimpfte er immer so fürchterlich, ach! So ein Spinner war der, gar kein Verständnis, also echt... Odohri ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken, als er erschrocken aufsprang und quietschend durch den Raum sprang, den Jüngeren dabei unsanft anrempelte und dabei fast umwarf. „Was fällt dir ein...?!“ „Sag, wessen Zimmer war das?“ Chatgaia hatte ihren Kindern bereits über dieses Haus erzählt, dass sie darin geboren worden war, dass sie hier mit ihrem ersten Mann und ihrem Sohn und zum Schluss mit Mayora gelebt hatte. „Das Zimmer deines Vaters.“, antwortete der Junge so auch und sein Gast verzog angewidert das Gesicht. „In diesem Bett bin ich entstanden, Serenka...“ Er errötete. Und darin ließ seine Mutter ihn schlafen, wunderbar. Sein Kumpel überlegte sich derweil, dass Übernachtungsparties doch bei ihm angebrachter waren – bei ihm wusste er wenigstens nicht, wem der Raum zuvor gehört hatte. Mussten sie halt noch mehr kuscheln, aber der Gedanke daran, dass sich seine Eltern dort... aus diesem Grund verstand er auch nicht, wie sein Halbonkel bei jeder Gelegenheit zu seiner Mama kriechen konnte, wo Oma und Opa sich doch benahmen wie notgeile Hasen... Ja, der Kerl schlief allen ernstes noch bei seinen Eltern im Bett, obwohl er bald vierzehn Jahre alt wurde. Odohri fand es lächerlich, aber er akzeptierte es und würde ihn sicher nicht verraten, wo er ihm das doch im Vertrauen erzählt hatte. „Meine... Mutter hat gesagt, ich solle doch bitte dieses Zimmer nehmen.“, murmelte dieser da, „Das wird schon schön sauber sein, denke ich. Es geht in Ordnung. Lache nicht darüber, ja?“ Die Betten waren im Moment die Letzten, denen Chatgaias Gedanken gehörten. Sie stand unter der Dusche und genoss das warme Wasser, das an ihrem Körper entlang rann, obgleich sie das Element an sich nicht sonderlich mochte. War ungewohnt gewesen, Mayoras verkrüppelte Badezimmer-Armaturen nach so langer Zeit im Luxus wieder zu bedienen, ihrem Mann hatte sie es erst beibringen müssen. Bei den Jungs erübrigte sich das ja, ihnen fehlte entweder der Wille oder die nötige geistige Reife, sich ganz alleine zurecht zu machen. Aber wie auch immer, das war jetzt egal... Sie brauchte ein paar Minuten... ach ja, und Abendessen musste sie noch machen. Uda war sehr erstaunt von den Kochkünsten seiner Frau gewesen, sie beeindruckte ihn gerne. Positiv, verstand sich. Sie hätte es auch durchaus drauf gehabt, ihn sehr negativ zu beeindrucken. Sie schloss die Augen. An diesem Haus hingen viele Erinnerungen. Und manche waren gar nicht so weit entfernt, wie die Meisten annahmen... Es sollte ihr schlecht vorkommen, doch dem war nicht so. Und das, obwohl ihre Götter sie unruhig stimmten... Sie schreckte aus ihren Gedanken, als sie etwas hören konnte. Jemand hatte das Badezimmer betreten... nicht? Sie lauschte irritiert den leisen Schritten, die sich ihr näherten und noch ehe sie etwas hätte sagen können, riss jemand ohne Vorwarnung den Vorhang auf. Sie keuchte entsetzt. „Takoda!“ Der Junge errötete, schien aber keine besonders großen Probleme mit dem Anblick zu haben... im Gegenteil, er musterte seine Mutter sehr eingehend, bis diese nach wenigen Sekunden den Sichtschutz wieder vor zog. „Takoda, was denkst du dir?!“, schnappte sie darauf und fuhr sich mit der Hand durch das glühende Gesicht. Gut, lieber der als Serenka, aber dennoch... „Ich wollte mal schauen, wie du nackt aussiehst.“, antwortete ihr Sohn ehrlich, mit ungewohnt nachdenklichem Unterton. Er hatte noch kein Interesse an nackten Frauen, er ging einfach einmal davon aus, dass Mama das wusste. Es ging ihm bloß um ihr Aussehen, ganz ohne Hintergedanken. Mama schien die jedoch dennoch zu haben. „Aber du kannst doch nicht einfach den Vorhang aufreißen, wenn ich dusche, Takoda. Ich möchte das nicht, das ist mir peinlich!“ Der Junge legte den Kopf schief. Peinlich? Erwachsene waren ja so elend kompliziert... „Aber du siehst mich doch auch oft nackig, mir ist das nicht peinlich, ich denke.“ Er war naiv. Manchmal beneidete die Magierin ihre Stieftochter um ihre gleichaltrige gesunde Tochter. Dennoch würde sie natürlich niemals tauschen wollen... „Süßer, du bist zwölf! Ich bin... die Zahl ist höher als dein Cousin Mayora rechnen kann, so alt bin ich! Dann ist das peinlich!“ Sie ahnte beinahe, dass er diese Logik nicht verstehen konnte. „Ich finde dich aber hübsch, Mami.“, machte er ihr tatsächlich unabsichtlich ein Kompliment und sie musste unwillkürlich lächeln. Er konnte es nicht besser, wobei sie seine Gedanken, die ihn dazu brachten, seine Mutter beim Duschen beobachten zu wollen, dennoch nicht nachvollziehen konnte. „Danke, aber geh jetzt bitte.“ Er nickte, obgleich sie ihn gar nicht mehr sehen konnte und tat brav, wie ihm geheißen. Er hatte ja, was er wollte... Chatgaia widmete sich wieder ihrer an sich erholsamen Dusche. Der Junge irritierte sie doch von Tag zu Tag mehr. Irgendetwas machte sie falsch in ihrer Erziehung, oder nicht? Ja, wenn so etwas das nächste Mal vorkommen würde, würde sie definitiv mit ihm schimpfen, sie nackt anschauen und dann noch nicht einmal einsehen wollen, warum das nicht klar ging, das war ja wirklich unerhört! Auch wenn er nicht so weit denken konnte, dann sollte er sich doch zumindest belehren lassen, ach! Am Ende wurde er noch pervers, das ging doch nicht. Die Frau schnaubte. So hart sie auch zu allen anderen sein konnte, zu ihren Kindern war sie definitiv zu weich. Das würde sich jetzt ändern, das schwor sie sich. Und prompt entglitten ihr auch die Gesichtszüge, als sie hörte, wie sich die Tür abermals öffnete und er wieder fröhlich den Raum betrat. Das konnte doch nicht wahr sein, sprach sie mit einer Wand?! „Mein lieber Junge, jetzt reicht es aber!“, schnappte sie sauer, „Ich weiß ja, dass du nicht so schnell bist, aber wenn ich dir doch sage, dass ich beim Duschen nicht gestört werden möchte, dann solltest du ja wohl soweit denken können, dass du dich artig in dein Zimmer verziehst und dich etwas hinlegst! Sag nichts, ich weiß, dass du es nicht magst, aber du musst doch am Ende sein, bis zum Abendessen könntest du dir ruhig noch ein paar Minuten Ruhe gönnen! Und jetzt meckere nicht, ich möchte keine Widerrede, ich bin eine Frau von Rang und Ehre und ich sehe es nicht ein, mir von einem vorlauten Rotzbalg auf der Nase herum tanzen zu lassen!“ Ja, das war wirklich konsequent gewesen, ihre Mutter wäre stolz auf sie gewesen. Erziehung musste einfach sein, so Leid es ihr um ihre Lieblinge auch tat. „Na gut.“, erwiderte man da, „Eigentlich wollte ich dich jetzt in der Dusche lieben, weil ich dich heute vermisst habe, aber wenn dir meine Anwesenheit derart missfällt, werde ich mich natürlich artig schlafen legen, an deinen Worten wird wohl etwas dran sein...“ Sie riss den Vorhang auf. „Hier geblieben, Uda!“ -- „Du hast doch keine Ahnung! Kannst du dich nicht verdammt nochmal dahin verziehen, wo du mir nicht auf den Geist gehst?“ Imera schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Lilli störte sich nicht daran, sie wischte ruhig mit ihrer jüngeren Tochter Geschirr ab. Letztere war jedoch verängstigt, jedes Mal erneut, obwohl es bereits seit ihrer Geburt so ähnlich gewesen war. Sie mochte es nicht, wenn Papa schrie. „Warum sollte ich das tun, wenn du das auch nicht machst?!“, erwiderte Genda da giftig und krallte sich so fest am Türrahmen fest, dass dieser knackte. Dieser Typ war sowas von schrecklich! Absolut kritikresistent! „Genda, verdammt, noch ein letztes Mal!“, das Dorfoberhaupt keuchte. Er musste sich zusammenreißen, Namini war doch ängstlich.. Seine arme Kleine. „Takoda ist noch ein kleines Kind, wenn es dich so dermaßen stört, dass die Kammer unordentlich ist, dann räume sie doch selbst auf! Mich stört es nicht, ich bin da ohnehin nie.“ Himmel, war es denn so schwer, dass der kleine Junge nicht mehr alles dahin gelegt hatte, wo er es gefunden hatte? Davon ging die Welt nun wirklich nicht unter, aber nein, der Herr brauchte etwas, worüber er sich aufregen und dem Rest der Familie das Leben schwer machen konnte. So war er nun einmal. Vom Hass zerfressener Irrer... „Der Punkt ist doch ganz einfach, dass du nichts unter Kontrolle hast, Imera, so ist es doch, nicht?“, er wartete nicht auf eine Antwort und wandte sich ab, „Oh ja, ich räume auf, und wie ich das tun werde...“ Dann verschwand er die Treppe hinauf. „Die schöne Einrichtung...“, murmelte Lilli bedauernd und ihr Mann vergrub das Gesicht in den Händen. Der junge Mann schnaubte, als er die Tür zu entsprechendem Raum aufriss und ihm das Chaos entgegen sprang – warum hatte seine Mutter eigentlich nicht darauf geachtet!? Es war doch schändlich! Nicht, dass er so dermaßen auf Ordnung bedacht war, das nicht, aber es störte ihn, wenn die Leute um ihn herum nichts auf die Reihe bekamen. Etwas so hinbekommen, wie es gedacht war, das schaffte in diesem verfluchten Ort doch eh niemand. Er trat erbost gegen einen Schrank, worauf bei dem alten Teil alle Türen aufsprangen und noch mehr Dinge heraus fielen. Typisch. Sich keine Blößen geben wollend, bückte er sich widerwillig nach dem alten Zeug – wusste der Geier, weshalb man das überhaupt aufgehoben hatte. Mehr zufällig griff er nach einem einsamen Lichtbild, das hinter ein paar Büchern klemmte und seinen Zustand nach höchster Wahrscheinlichkeit der kleinen Missgeburt zu verdanken hatte. Und nach einem Blick darauf hatte er ganz andere Gedanken. -- Am nächsten Tag war Unterricht, zum ersten Mal für die Stadtkinder seit einer Weile. Übersichtlich war die Dorfschule, da waren sich alle einig, aber ebenso sicher waren sich alle, dass das absolut unter ihrem Niveau lag. Wo waren sie hier bloß hingeraten? Serenka beschwerte sich nicht. „Es ist doch von enormen Vorteil, seinen neuen Klassenraum auf Anhieb entdecken zu können.“, meinte er vor Beginn bloß und lehnte sich vorsichtig an eine kleine Mauer am Vorhof der Schule. Natürlich hatte er sich zuvor versichert, dass sie nicht all zu schmutzig war, seine wertvolle Kleidung musste beschützt werden. Entgegen den Anweisungen seines Vaters hatte er sich nämlich Klamotten von zuhause angezogen – er hatte sich am Morgen vor seiner Mutter verstecken müssen, damit die nicht auf die Idee kam, ihn zurecht zu weisen. Jedenfalls konnte er es nicht verantworten, solche unwürdigen Stoffe zu tragen. Das, was der Schneider ihm mitgegeben hatte, war nicht extra für ihn angefertigt worden, er hatte es einfach auf Vorrat gehabt. Und es biss sich zutiefst mit seinem sehr empfindlichen Sinn für Stil, er brachte es nicht über sich, es anzuziehen. Konnte er nur hoffen, dass dieser Blondi schlau genug war, ihm etwas entsprechendes anzufertigen. „Wenn es nur das ist, kann ich verzichten. Da suche ich doch lieber, ehrlich.“ Samili hatte mehr Glück gehabt, ihr Kleid sah ganz nett aus. Für die hier herrschenden Verhältnisse, verstand sich. „Ich freue mich! Kommt doch nicht aufs äußere an, sondern auf das, was man lernt!“ Korhotas Worte waren ein gutes Stichwort, dachte sich sein älterer Bruder, der darauf seinen besten Freund musterte und ihm schließlich an den Haaren zog. „Au!“, schnappte der und die einzige Dame in der Runde verdrehte die Augen. Sobald sie hier jemanden kannte, der es würdig war, in ihrer Nähe sein zu dürfen, würde sie vor dem Unterricht sicher nicht mehr mit ihren Brüdern und ihrem Halbonkel hier herum stehen. Ihre armen Nerven... „Du trägst das selbe Zeug wie zuhause, lass dir gesagt sein, du wirst verbrennen. Ist doch jetzt schon furchtbar, denke an heute Mittag, wenn wir heim gehen.“ Ja, da hatte der Gute Recht. Angesichts der Tatsache, dass seine Schwester sich Serenka beim besten Willen nicht in auch nur ansatzweise normaler Kleidung vorstellen konnte, war ihr das gar nicht aufgefallen. Er gehörte so tuntig, Himmel. „Ach, ich leide gerne für mein Ansehen! Es ist nicht zu vertreten, in Bauernklamotten durch die Lande zu ziehen, niemals!“ Er hoffte bloß, er schwitzte nicht zu sehr, Schweißflecken waren blöd. Ebenso wie Samilis Lachen darauf. „Ansehen sagst du! Ich kenne mich auf dieser niederen Ebene wahrlich nicht aus, aber glaube mir, die werden hier noch mehr über dich lachen, als in der großen Stadt!“ Er schnaubte nur. „Töricht!“ Weiter kam er nicht, denn da kamen plötzlich die beiden Töchter des Dorfoberhauptes an. „Willkommen an unserer kleinen, aber feinen Schule!“, lachte Teneri fröhlich und die Miene ihrer kleinen Schwester verfinstere sich bedrohlich. Korhota war immerhin hell genug, um zu erkennen, dass diese Geste ihm galt. Er kratzte sich besorgt am Kopf. „Guten Morgen!“, begrüßte sein älterer Bruder die Mädchen da gut gelaunt, Serenka nickte nur. „Schau mal, die Fettreserven haben doch ausgereicht...“ Der Jüngste versuchte aus schlechtem Gewissen noch einmal Kontakt zu seiner Cousine aufzunehmen, deren Gesicht sich zu seinem Unverständnis bloß hochrot verfärbte und sie anschließend weg rannte. Was hatte sie denn nur? „Warte!“ Das wollte er nicht aus sich sitzen lassen, so setzte er ihr nach. Was hatte sie nur? „Dein... Bruder ist sehr dämlich, ist das möglich?“ Naminis ältere Schwester wandte sich irritiert an ihre Cousine, die sich darauf seufzend an die Stirn fasste. Und wie das möglich war. Intelligent und dumm zugleich, immerhin hatte sie von ihm gelernt, dass es so etwas gab. -- „Du musst nicht schüchtern sein, Takoda, wir beiden kennen uns ja schon. Das ist Yivakavi – ich nehme an, du wurdest bisher immer allein unterrichtet, aber ich verspreche dir, zu zweit ist es viel lustiger!“ Das Mädchen mit den schwarzen Locken winkte ihm übermütig zu, obwohl es bloß an der anderen Seite des Küchentisches saß. Er fand sie etwas komisch. Sie hatte zwei verschiedene Augenfarben, das sah gruselig aus. Aber sie schien nett zu sein. Seine Lehrerin Lilliann auch, er durfte sie sogar beim Vornamen anreden. Okay, sie war auch die Ehefrau seines Cousins, von daher war das nichts derart besonderes, aber wenn er an die in der großen Stadt dachte... der Junge hoffte, so lange in der Wüste bleiben können, bis seine Schulzeit vorbei war. Er hatte leider gehört, wie seine Eltern sich darüber unterhalten hatten, dass man zuhause mit allen Mitteln versuchte, diese Kriminellen zu fassen, aber trotzdem... er war jetzt ängstlich. Er wollte keinen Unterricht mehr dort. Hier war es schön, Lilli war lieb, das spürte er. Wobei... etwas besorgt war er. „Ich...“, begann er und errötete, „Ich kann aber fast gar nicht schreiben! Und fast nicht lesen...“ Er missverstand das Lachen der Angesprochenen zunächst einmal. „Ich kann nichts dafür, ich denke!“ Sie schüttelte den Kopf. Na war das denn möglich? Wie niedlich. „Natürlich nicht, keine Sorge.“, sie setzte sich zu den Kindern an den Tisch, „Ob du es glaubst, oder nicht, dein Cousin kann das auch nicht gut. Oder konnte es zumindest nicht gut, mittlerweile kann man alles, was er schreibt, mit etwas Fantasie lesen. So unglaublich geübt bin ich mit der Schrift der Städter auch nicht, übrigens, da arbeite ich mich in den nächsten Tagen noch etwas ein. Ich schlage vor, heute üben wir Mathematik.“ Sie sah zu dem Mädchen mit dem viel zu langen Namen, den der Jüngste sich nicht einmal im Ansatz merken konnte. Sie grinste etwas doof zurück. „Wer ist denn der Kerl?“ Lilliann blinzelte. „Takoda, ich habe ihn dir doch eben vorgestellt?“ Man hatte ihn Himmel sei Dank etwas vorgewarnt, sonst wäre er sich jetzt doch sehr dumm vorgekommen, noch viel dümmer, als er war. Ich unterrichte Yivakavi seit sie hier im Dorf aufgetaucht ist damals. Sie ist nicht so wie du... du hast Probleme mit normalen Unterrichtsstoff, das ist bei ihr nicht der Fall. Sie ist intelligent, aber im Kopf ganz anders als wir. Nicht verrückt, versprich mir, dass du das niemals verwechselst! Sie ist anders, nicht verrückt. Und sehr nett, ich hoffe, ihr freundet euch an. Das hoffte er auch, er hatte schließlich noch nie eine Freundin gehabt. Er war immer allein. Auch wenn sie etwas komisch war. „Was isst du gern?“ Er blinzelte, aus seinen Gedanken gerissen. „Ich? Gebratene Pilze, ich denke...“ Sie riss beide Arme in die Luft, worauf er erschrocken zurückwich. Waren gebratene Pilze nicht in Ordnung? Die waren doch schließlich lecker! „Ich trinke Kamelmilch, jawohl!“ Lilli lachte. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, sich die beiden einander zunächst einmal etwas annähern zu lassen... -- Der Vormittag ging rasch vorbei – die Schule war hier wesentlich früher zu Ende, als in der großen Stadt. Gewisse Dinge ersparte es den Kindern jedoch trotzdem nicht. Semiry, Odohri und Serenka traten zusammen den Heimweg an, der komische Wüstenjunge wohnte anscheinend nicht all zu weit entfernt. Und er amüsierte sich köstlich, während der Ältere der Städter etwas überfordert, aber hauptsächlich überrascht war. „Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr wundern soll.“, setzte er blinzelnd an, „Darüber, dass du deine Schweißdrüsen nicht derart unter Kontrolle hast wie dein Mundwerk, oder dass du es tatsächlich wagst, oberkörperfrei durch die Straßen zu rennen.“ „Ach!“ Sein bester Freund keuchte. Ja, so wie jetzt bekam man ihn so gut wie nie zu sehen, außer seinen schicken, zu seiner Freude kurzen Hosen, seinen Schuhen und vermutlich seiner Unterhose trug der Gute... nichts. Nun gut, seine Schultasche an der Schulter und die ausgezogenen Klamotten unter den Armen, aber das galt wohl nicht. „Hölle ist das!“, schimpfte er und zog damit noch mehr fremde Blicke auf sich als ohnehin schon, „Ich sterbe hier, bei meiner geliebten Mutter, das ist es nicht wert, das ist es einfach nicht wert! Ich sterbe!“ „Oh ja!“, stimmte Semiry amüsiert zu, „Dein Sonnenbrand wird dich garantiert töten, das kann ich mir gut vorstellen, du Blassnase.“ „Das bezeichne ich eher als Hühnerbrust.“ Die Jungen sahen auf, zu Genda, der gelangweilt an einer Hauswand lehnte, nun jedoch dreckig grinste. Sein Cousin, wie sich herausgestellt hatte, seufzte. Er legte es darauf an. „Was erlaubst du dir?!“, machte der ohnehin schlecht gelaunte Jüngste darauf entrüstet und baute sich so ehrerbietend wie ihm halbnackt nur möglich vor dem komischen Kerl auf. Unsympathischer Typ. Sein Grinsen verschwand. Odohri war er nicht so ganz geheuer, er wirkte gruselig. Semiry hatte etwas über ihn erzählt; er mochte seinen Cousin zwar, aber er musste schon ziemlichen Mist gebaut haben. Seine Götter schienen unruhig... und seine waren auch die von Serenka. „Ich erlaube mir nicht mehr, als ich mir erlauben darf.“, erwiderte der Brünette da kalt, „Und du hast eine Brust wie ein Huhn.“ Da trafen Persönlichkeiten aufeinander. Der Angesprochene zischte. Er war ein Magafi! „Wie schön!“, machte er mit giftigem Unterton, „Und du hast ein Gesicht wie eine Mülltasche. Ich erlaube mir ebenfalls nur das, was...“ Er schrie geschockt auf, als sein Gegenüber ihn an den Schultern packte und rückwärts gegen die Hauswand rammte, wobei er sich den nackten Rücken aufschrammte. Es brannte mehr als die Sonne! „... was du dir erlauben darfst?“, beendete der Ältere da seinen Satz, während Odohri sich entsetzt die Hände vor den Mund schlug und Semiry sicherheitshalber näher zu den beiden trat, „Das ist schön, aber solltest du dazu nicht erst einmal lernen, was das ist?“ Er ließ ihn los, zu seinem eigenen Cousin sehend, der sich seufzend an den Kopf fasste. „Keine Sorge.“, meinte er zu diesem, „Wenn Mami ihn etwas getröstet hat, ist alles wieder in Ordnung. Ich habe gute Laune.“ Und damit verschwand er. Mayoras Erstgeborener eilte unterdessen zu seinem besten Freund, der nun keuchend am Boden saß und starr seine Füße anvisierte. Oh Himmel, der hatte doch jetzt einen psychischen Schock fürs Leben! Zuhause hatte es doch niemand gewagt, ihn anzurühren, man hatte ihn immerzu mit Samthandschuhen angefasst. Oh nein, was, wenn er in dieser rauen Welt auf offener Straße...? Er kniete sich dicht zu ihm und legte ihm beide Hände auf die Schultern, ehe er leise begann, auf ihn einzureden, den anderen Jungen vorerst ignorierend. „Hör zu!“, sprach er leise, „Steh auf, sei tapfer! Nicht weinen!“ Der Jüngere hielte den Kopf tief gesenkt und schluchzte leise, ohne etwas zu erwidern. Das kannte er nicht... und das wollte er auch nicht kennen! So sehr er seine Mutter auch liebte... er hasste diesen verdammten Ort! „Reiß dich zusammen!“, machte der Andere weiter, „Bitte, du wirst dich sonst nie wieder hier blicken lassen können, es ist nicht mehr weit, dann kannst du heulen, so viel du möchtest, aber nicht hier!“ Semiry bemühte sich weg zu hören und sammelte stattdessen die zu Boden gefallenen Klamotten des Stadtjungens auf. So sensibel wirkte der gar nicht... War er aber. Aber auch ein Magafi, und Magafis hatten sich unter Kontrolle, mit Verlaub. So rappelte er sich tapfer wieder auf und ging mit seinem besten Freund weiter. Der andere Junge verabschiedete sich wenig später an einer Wegabzweigung... jetzt wussten sie immerhin, woher er in etwa kam. Nicht, dass es von Belang gewesen wäre... „Dein Rücken ist total blutig...“, stellte Odohri zwischendurch mitleidig fest. Sein Halbonkel erwiderte nichts darauf, trottete einfach stumm vor sich hin. Diese Welt war ein grausamer Ort. Wenn er ehrlich war, fürchtete er sie schon seit Beginn seines Lebens, seit er denken konnte. Er wollte am liebsten für immer in den schützenden Armen seiner Mutter bleiben... Er schreckte aus seinen Gedanken. „Serenka! Serenka?“ Als die beiden Jungen sich umdrehten, kam ein weißblondes Mädchen vor ihnen zum stehen. Der Angesprochene kannte sie, die Schneiderin war es, genau. Sie errötete, als sie ihn einen Moment ansah. „Ich... habe mir erlaubt, Euch bei eurem Vornamen zu rufen, verzeiht!“, sie verneigte sich tief, dabei fiel ihr das sehr lange Haar vor ihr Gesicht. Odohri erinnerte es etwas an Chatgaia. Seine eigene Mutter hatte ebenfalls langes Haar, aber an das seiner „Oma“ kam niemand heran, den er jemals gesehen hatte. Wenn er ein Mädchen gewesen wäre, dann hätte er aber auch versucht, es so wachsen zu lassen, er fand das hübsch an Frauen. „Schon gut. Aber weshalb?“, fragte der Jüngere da in etwas leiserem Tonfall als normal und sein Gegenüber stellte sich wieder aufrecht vor ihn. Es war noch immer rot und wandte den Blick nach wenigen Sekunden verlegen ab. „Ich... habe geahnt, dass jemand mit einem derart ausgeprägten Stilempfinden wie Ihr lieber halbnackt durch den Ort laufen und seine sensible Haut der garstigen Sonne aussetzen würde, als so einen Restmüll zu tragen, wie mein geliebter Vater Euch mitgegeben hat! Deshalb habe ich mich sobald Ihr weg wart daran gesetzt, etwas angemessenes zu schneidern – es ist bloß ein einziges Kostüm geworden und, verzeiht, ich lerne noch, aber ich denke, hier in Thilia sollte es Euch nicht beschämen, nehmt es bitte bereits an, auch wenn der Rest für Euch und Eure Familie noch nicht fertig ist!“ Sie hielt ihm eine gefüllte Stofftasche hin. Der ältere Junge sah blinzelnd zwischen den beiden her. Ach ja, die waren ja in der Schneiderei gewesen! Na der hatte aber auch mehr Glück als Verstand... Er nahm die Tasche unterdessen irritiert an, lugte darauf kurz hinein und war von dem, was er erkennen konnte, doch recht angenehm überrascht. „Vielen Dank.“, entgegnete er so höflich, obgleich sie doch weit unter einer Persönlichkeit wie ihm stand, „Mein Herz ist hier wahrlich in Verzweiflung ertrunken, es ist schwer hier, das Leben.“ Sie sah ihm wieder ins Gesicht, schien einen Moment verwirrt, dann nickte sie. „Nichts zu danken, mein Herr!“, sie verneigte sich abermals, sah dann zu Odohri, „Und Verzeihung dem anderen Herrn gegenüber, Kirima Alhatfa mein Name, guten Tag wünsche ich.“ Er lächelte. Kirima? Na die war doch sympathisch. „Sag einfach Odohri. Und zu ihm Serenka – wenn man zu respektvoll mit ihm umgeht, bekommt das seinem Ego nicht besonders gut.“ „Ach!“, der Jüngere zischte entrüstet, als die junge Frau etwas kicherte. Was erlaubte diese Spinner ihr einfach, ihn anzusprechen wie einen guten Freund? Und etwas dagegen sagen konnte er nun auch nicht, sie war immerhin immer noch eine Dame, die sich viel Mühe für ihn gemacht hatte, das wäre wahrlich ungehobelt gewesen. Nun gut, er rannte im Moment auch herum wie die Bauarbeiter, aber dennoch. „Odohri, Serenka... ich weiß Bescheid.“, sie lächelte, „Ich wünsche euch einen schönen Tag!“ -- Nicht weit entfernt bereute Samili es, nicht mehr mit den Jungs hatte heim gehen zu wollen. Korhota hatte seine arme Cousine Namini abermals entführt, sodass der als Begleitung gleich doppelt weg fiel. Armes Mädchen, jetzt bekam es sicher wieder zu hören, dass es fett war. War sicher sehr deprimierend. Sie ihrerseits hatte sich noch ewig mit Teneri unterhalten. Sie schien nett zu sein, wesentlich einfacher gestrickt als sie aber doch durchaus umgänglich. Außerdem war sie mit ihr verwandt, so war sie von Niveau her nicht weit entfernt, das war ihr wichtig. Sie gab sich doch nicht mit Abschaum ab. Im selben Moment begegnete ihr genau solcher. Genda. Er trat genau auf sie zu, dann aber an ihr vorbei, als hätte er sie nicht gesehen. Sie hielt empört inne. „Da, wo ich herkomme, grüßt man zumindest die Leute, die man kennt, auf der Straße.“ Sie drehte sich zu ihm um und sah, dass er auch stehen geblieben war, bereute es aber sofort wieder, ihn angesprochen zu haben, als er ihr ins Gesicht sah mit diesem... Blick. Sie mochte ihn überhaupt nicht. Er war unsympathisch und gruselig. „Wie gut, dass ich nicht dort geboren bin.“, entgegnete er da zu ihrer Überraschung jedoch nur gelassen, ohne auch nur halb so böse zu klingen, wie er aussah. Sie blinzelte. Vielleicht war er ja gar nicht so furchtbar übel, wie alle dachten? Seine Eltern mussten ihn wohl kennen, aber er hätte sicher viel freundlicher gewirkt, wenn er nicht ganz so düster dreingeschaut hätte. Ja, genau... Sie zwang sich zum lächeln. „Ein Glück für dich, ja. Musst du nicht zur Schule?“ Ein nettes Gespräch konnte nicht schaden. Wobei sie sich ernsthaft fragte, weshalb sie das auf sich nahm, davon hatte sie doch nichts. Neugierde, vielleicht? Er zuckte kurz mit der Braue. „Ich bin nie zur Schule gegangen und werde es auch nie tun.“ Damit drehte er ihr den Rücken zu und ging weiter. Darauf war sie dann doch etwas überrumpelt. Wie, nie zur Schule? Na, das sagte doch einiges über ihn aus, jetzt war zumindest klar, weshalb er so ein Idiot war! Sie setzte ihm nach. „Bitte? Nie? Wie das?“ Er schenkte ihr einen Mörderblick, als sie plötzlich neben ihm auftauchte und mit ihm Schritt hielt. Abschrecken ließ sie sich nicht, ihre Mutter war eine Magafi, Himmel. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge.“, war die nach einer Weile gezischte Antwort und das Mädchen strahlte ihn falsch an. „Ach, komm, sag schon! Ich bin eine gute Zuhörerin, glaube es mir, ich schwöre!“ Das weckte die Detektivin in ihr. Hatte sie tatsächlich etwas positives an ihrem Aufenthalt hier gefunden? Tatsächlich. Sie würde ihren Freundinnen zuhause allerlei abenteuerliche Geschichten erzählen können. Ja, sie war schon eine Heldin. -- „Ach du... das... ach herrje, Serenka!“ Mayora war sehr glücklich, ausgerechnet an diesem Mittag nichts zu tun zu haben, denn als das Haus seines Cousins leer gewesen war, waren er und der Sohn des Grünhaarigen gemeinsam zu ihm gekommen... und hatten ihn sehr geschockt. Dieser törichte Kerl war von oben bis unten verbrannt, Himmel, hatte man ihnen vor der Anreise nicht zehntausend Mal gesagt, dass das Sonnenlicht hier sehr aggressiv war? Wie dumm, und dann doch den ganzen Rücken offen, seine Tante würde ihn dafür töten... „Tut mir Leid, ich habe nicht genügend auf ihn aufgepasst.“, entschuldigte sich Odohri kleinlaut bei seinem Vater, der den Halbbruder seiner Frau mit einer Salbe einrieb. Der stolze Junge hatte den Blick tief gesenkt. Diesen Tag heute hätte er sich wahrlich sparen können. „Ach was, so schlau müsste er selbst sein mittlerweile.“ Der Mann seufzte. Hinter dem Rücken von Chatgaia hatte er sich gelegentlich mit seinem Schwiegervater über das abnormale Verhalten seines Sohnes unterhalten. Irgendetwas stimmte mit ihm auch nicht, da war er sich sicher. Aber das würde er nie wagen, auszusprechen, es würde seine Mutter töten. Seine Gattin war unterdessen mit etwas ganz anderem beschäftigt. „Ich habe mich wirklich so über euren Besuch gefreut!“ Sie klatschte fröhlich in die Hände und ihre beiden Gäste lächelten guter Laune. Sie hatte sie irgendwie völlig vergessen... „Es hat uns auch gefreut... wir wissen ja, dass ihr viel zu tun habt, also haben wir und einfach selbst eingeladen.“ Gute Idee. Viel zu tun war dabei gut gesagt, nichts hatten sie hier zu machen... nun gut, Mayora vielleicht schon, aber alles, was Choraly hätte machen können, riss sich ihr arbeitsgeiler Vater unter den Nagel. Er sollte sich schonen, der alte Mann... „Du solltest das kleine Mädchen aber vielleicht hier lassen, Maigi.“ Er sah seine hübsche, blinde Frau lachend an. Die kleine Dyami war total niedlich, sie war seine kleine Freundin, hatte er entschlossen. „Wir treffen und wieder!“, versprach er ihr, als er sie wieder am Boden abstellte und sie ihn enttäuscht ansah, „Wir kommen ja noch mal.“ „Und ihr müsst echt schon gehen?“, fragte die Gastgeberin bedauernd und Tainini nickte. „Semiry kommt doch von der Schule, da will ich schon da sein.“ Das verstand die Ältere natürlich. ------------------------ Serenka wird in den nächsten Kappis viel Spaß haben XD Kapitel 6: Beginn ----------------- „Untergrundorganisation?“ Genda hob unbeeindruckt eine Braue. Samili hatte sich in ihrer Abenteuerlust nicht abhängen lassen und jetzt saß sie mit ihm auf irgendeiner vergammelten kleinen Mauer in einer Seitengasse, nebenbei ignorierend, dass ihre Mutter sich um sie sorgen könnte. An sich war es ihr ursprünglich auch nur darum gegangen, weshalb dieser komische Typ nie zur Schule gegangen war – leider hatte sie schnell feststellen müssen, dass er nicht besonders viel von sich erzählte. Das Mädchen war nicht so, irgendwann hatte sie einfach begonnen, davon zu erzählen, wer sie eigentlich waren, wo sie herkamen und weshalb sie überhaupt da waren. Und es freute sie irgendwie, dass er ihr trotz seines abgeneigten Ausdrucks zu lauschen schien. „Ja!“, antwortete sie deshalb voller Elan, „Sie haben auch meinen Onkel auf dem Gewissen! Also, das war lange vor meiner Geburt, Mutter war noch ein Kind, aber die haben es jetzt auch auf uns abgesehen!“ Der junge Mann schüttelte leicht den Kopf, während er aus seiner Hosentasche ein Päckchen mit Zigaretten zog und sich eine in den Mund steckte. „Und dann kommt ihr hier her?“, er durchwühlte seine Hose weiter, „Selbstverteidigung beibringen, das wäre sinnvoll. Wo sind diese verfluchten Streichhölzer...?“ „Wir sollen uns selbst verteidigen? Bitte?!“, sie legte kurz einen Finger auf die Spitze seines an sich ungeliebten Suchtmittels, worauf es aufglimmte, „Körperliche Gewalt ist nichts, was unserer Familie liegt, wir sind zivilisiert!“ Bei dem Gedanken daran, wie sie selbst versuchte, einen Mann abzuwehren, erschauderte es sie. Allein, wenn sie sich vorstellte, dass dieser komische Kerl neben ihr ihr etwas böses wollte, wurde ihr mulmig. Nein, das konnte sie nicht. „Nichts, was eurer Familie liegt?“, sprach der da weiter und nahm seine Zigarette wieder aus dem Mund um sie zu betrachten, nachdem er einmal daran gezogen hatte, „Ein Großteil von euch sind Kalenao und wie du gerade bewiesen hast fehlt es nicht an Begabung, etwas Mühe und keiner von euch müsste sich vor irgendeinem Menschen fürchten.“ Sie schnaubte. Wie einfach der sich das vorstellte! Da sah man doch wieder, dass diese Dorfleute keine Ahnung vom Leben in der Zivilisation hatten. Nicht, dass sie etwas dafür konnten, aber solche Pseudo-intelligenten Ratschläge konnten sie sich sparen... „Gegen Schusswaffen kommen wir trotzdem kaum an. Ich finde, es war eine gute Entscheidung, die Stadt erst einmal zu verlassen, auch wenn der Zustand mir persönlich nicht gefällt.“ So sehr stand sie dann doch zu der verhassten Entscheidung ihrer Familie. Dumm war es, ja, aber es hatte einen Sinn, das hatte sie erkannt. „Mag sein, damit kenne ich mich ehrlich gesagt nicht aus.“, erwiderte Genda da und setzte sich etwas anders hin, „Aber um ehrlich zu sein, Leute wie ihr es seid widern mich an, ohne dir zu nahe treten zu wollen.“ Ihm entging ihr empörter Blick natürlich dennoch nicht, so fuhr er fort. „Ihr hebt eure Häupter so hoch, dass ihr gar nicht mitbekommt, wenn ihr andere zertrampelt. Dieser Serenka in seinen abartigen Rüschenhemden ist am schlimmsten, der verdient doch jeden Tag eine Abreibung.“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht, dachte das Mädchen und errötete. Sie war so erzogen worden, für sie war das in Ordnung... aber besonders bei ihrem Halbonkel war es ihr ebenfalls schon öfters aufgefallen. Von dem Geld, das man bekommen hätte, wenn man bloß eines seiner Kostüme verkauft hätte, hätte wahrscheinlich das halbe Armenviertel Wakawariwas eine Woche leben können... aber wenn es jemanden gab, der da noch uneinsichtiger war als sie, dann war es der kleine Prinz. Ihr fiel etwas ein. „Wurdest du denn oft geschlagen? Ich meine, du sagst das einfach so daher, ich glaube nicht, dass das einem gut tut.“ Sie hatte an sich geahnt, dass er ihr keine direkte Antwort geben würde. Überraschen oder mehr schocken tat er sie beiläufig dennoch. „Das tut einem nur nicht gut, wenn man es nicht auch verdient hat.“, war seine gar nicht so dumme Antwort, ehe er wieder an seiner Zigarette zog. Das Mädchen versteifte sich unterdessen geschockt und er hob abermals eine Braue. „Was?!“ Sie erschauderte, dann schnaubte sie empört. „Du... berührst mich!“ Sie sah demonstrativ auf seine Hand, die skandalöser Weise auf ihrem Oberschenkel lag und der Ältere pfiff amüsiert durch die Zähne. „Gut erkannt.“, lobte er sie spöttisch, „Bist du jetzt schon zu edel, um berührt zu werden?“ Das natürlich nicht und so war sie im ersten Moment auch zu verblüfft um etwas zu entgegnen, fasste sich aber wieder, als er noch näher rückte und sie in seine Arme zog, nachdem er das, was von seiner Zigarette übrig war, weggeworfen hatte. „Was soll das?! Lass mich sofort los! Ich bin doch nicht mit dir gegangen, weil ich dich so ansprechend finde!“ Sie war entsetzt, jedoch nicht beunruhigt. Ihre Götter versetzten sie nicht in Alarmbereitschaft, was sie doch sehr verwirrte. Sie wurde hier gegen ihren Willen angefasst! „Das ist natürlich dumm, hättest du mich wiederum nicht angesprochen, hätte ich nie bemerkt, dass ich dich ansprechend finde... was interessieren mich die Timaros?“ Er grinste und sie versuchte erfolglos, sich zu befreien. „Keine Sorge.“, sprach er weiter und ignorierte ihr Tun, „Erfährt auch niemand, wie könnte ich es wagen, jemanden wie dich in Verlegenheit zu bringen?“ Fast noch erschreckender als seine plötzlichen Berührungen war, dass er genau so schnell von ihr abließ und sich seltsam grinsend erhob. „Deine Mama sorgt sich um dich, gehe lieber nach Hause.“ -- Als Takoda nach Hause kam, war er allein. Dass Papa noch arbeiten war, hatte er geahnt und dass sein Bruder mit Odohri unterwegs war, wunderte ihn auch nicht, aber wo war seine Mama? Sie hatte ihm doch erklärt gehabt, dass sie in der Wüste weder arbeiten könnte, noch wollte. Ich habe da keine Möglichkeit, ausreichend mit anderen zu kommunizieren. , hatte sie ihm erklärt, außerdem haben wir dort keinerlei Angestellte, ich muss mich doch um euch kümmern! Das war logisch, selbst für den etwas unterbelichteten Jungen. Schön ordentlich und sauber war alles, ja, da wunderte es nur, dass die Mutter nicht da war. Essen wollte sie erst abends kochen, aber normalerweise bekam er doch ein Brot von ihr, wenn er heim kam. Aber sie war nicht da und er war hungrig, was sollte er denn tun? Er setzte sich auf das Sofa in der Stube, seine kleine Schultasche achtlos auf den Boden davor fallen lassend. Imera war auch nicht da gewesen. Sein Cousin. Er war ein netter Mann mit einer lieben Familie, er mochte ihn. Aber er besaß sehr komische Lichtbilder von seiner Mama... Takoda fragte sich, warum. Irgendetwas sagte ihm zumindest, dass sie niemand anderes in diesem Haushalt gehören konnte, aber was macht denn der König damit? Gefiel ihm das etwa? Er blinzelte. Wenn Imera sein Cousin war, dann war Mama doch seine Tante? Als er sie unter der Dusche angesehen hatte, war sie sehr erbost gewesen, dann konnte er ihr doch auch nicht recht sein, wenn ihr Neffe den selben Anblick hatte, er musste sie warnen! Ob es Odohris Papa wohl auch gefiel, seine Tante so anzusehen? Irgendwie erschien das dem Jungen doch alles sehr, sehr suspekt... Er schreckte aus seinen Gedanken, als sich die Tür öffnete. Chatgaia schien ihn nicht zu bemerken, obgleich er erstrahlte wie die Sonne und erschreckte sich tatsächlich, als er ihr in die Arme fiel. Er hatte sich gesorgt... „Nanu?“, lachte sie ungewohnt überdreht und der Sohn sah blinzelnd zu ihr auf, „Du bist schon da? Mir erschien es früher...“ Das fand das Kind seltsam. Sein Vater hatte ihm einmal beigebracht, wie man am Sonnenstand ungefähr die Zeit abschätzen konnte, und so wie er das sah war es auf jeden Fall Nachmittag. Und nachmittags kam er doch nach Hause und wollte ein Brot essen! „Du bist dumm, ich denke.“, machte er so frei heraus, ohne etwas böses zu erwarten. Die Frau lächelte wohlwollend. Er meinte es nicht so, es war in Ordnung. „Nein.“, erklärte sie ihm so bloß und hob ihn sich auf den Arm. Mit zwölf Jahren waren normalerweise auch die meisten Himmelsblüter zu groß, um einfach so getragen zu werden, vor allen Dingen, wenn es sich beim Träger um eine kleine Frau wie der Grünhaarigen handelte, aber Takoda war anders. Er war wirklich auffällig klein für sein Alter, aber wie so vieles störte es ihn nicht – seine Mutter im übrigen auch nicht. Sie trug ihn gern durch die Gegend, wo ihre Babies doch schon so groß waren... „Ich habe bloß die Zeit etwas vergessen, verzeihe es mir bitte. Ich wette, du bist hungrig?“ Er nickte und sie brachte ihn in die Küche, wo sie ihn auf der Ablage absetzte. Es freute sie, dass ihm die Nahrung hier bekam – und auch schmeckte. Serenka schmeckte es überhaupt nicht, er sagte zwar nie etwas schlechtes, lobte sie sogar, aber sie spürte instinktiv, dass er mehr unter dem Leben hier litt als alle anderen zusammen. Ihr armes Kind. „Wo warst du denn?“, wollte der Jüngere da wissen und strampelte etwas mit den Beinen, den Kopf schief legend. Sie schmierte ihm ein Kaliri-Brot. „Oh!“, wieder kicherte sie ungewöhnlich, „Ich... war unterwegs, mit deinen Cousin, Imera. Wir haben uns lange nicht gesehen und stehen uns an sich ziemlich nah... ich habe ihn etwas auf seiner Arbeit begleitet. Seine war schließlich auch einmal meine.“ Ja richtig, sie war ja auch einmal Königin der Wüste gewesen. Königin, König... irgendwie hatte jeder in seiner Familie so einen komischen Titel. „Pfefferkuchenland-Prinz, ach!“, hatte sein großer Bruder einmal vor kurzem geschimpft, „Sehe ich aus wie aus dem Pfefferkuchenland? Ich meine, ich habe Stil, nicht? Mehr als diese Dorfbratzen, ach, unerhört!“ Takoda hatte nicht ganz verstanden, was Serenka da gemeint hatte. Pfefferkuchenland klang doch lecker, war doch schön, wenn er da der Prinz war. Der kleine Bruder wäre auch gern irgendwo der Prinz gewesen, aber er hatte keine Ahnung, wie man das wurde. „Aber ich finde das nicht gut, ich denke.“, antwortete er da und verdrängte somit die Gedanken an schöne Pfefferkuchenschlösser, „Du musst doch da sein, wenn ich heim komme. Ich bin doch noch klein, ich denke.“ Chatgaia hielt in der Bewegung inne und sah zu dem Kind auf. Das Brot war ohnehin fertig. Sie seufzte, dann lächelte sie wieder und übergab ihm sein Essen, das er dankend annahm und sofort gierig abbiss. Gierig... ach herrje, der Arme. „Du bist nur klein, weil du es denkst.“, erklärte sie dann für den Jungen ungewöhnlich ernst, „Du bist zwölf, du bist bereits ein kleiner Mann – wenn du willst. Du musst es nur wollen.“ Groß sein wollen? Er verstand sie nicht und sie sagte auch nichts weiteres dazu. Wurde er groß, wenn er es wollte? Das wurde er. Zu deutlich hatten sie ihm sein Leben lang gemacht, dass er irgendwie anders war, er lebte in dieser Rolle und irgendwie hatte sie das Gefühl, das schadete ihm nun. Er war etwas zurückgeblieben, ja... aber auch er würde irgendwann ein erwachsener Mann sein, wie jeder andere auch. Zierlicher und nicht so stark vermutlich, aber ein Mann. Er musste langsam lernen, anders zu denken. Alles andere konnte auf Dauer problematisch werden, befürchtete sie. -- „Dein Vater sei echt verflucht! Richte ihm das gern aus, jahaa!“ Odohri stand etwas verlegen in der Tür zum Büro seines Onkels. Mayora hatte ein paar Unterlagen gewollt – Krankenakten, um genau zu sein, die bewahrte das Dorfoberhaupt schließlich auch auf. Und der Grünhaarige hatte nach denen von Nagaoyao Maharaa verlangt. Soweit der Sohn verstanden hatte, hatte der Kerl schlimme Brandverletzungen und irgendwie interessierte es ihn, wie er wohl behandelt worden war. Serenka hatte das nicht lustig gefunden, aber womöglich war es tatsächlich hilfreich bei seinem schlimmen Sonnenbrand. Sein Arzt wollte schließlich nicht von seiner Tante getötet werden, weil... er zufällig der nächste war, was konnte er dafür, wenn der Trottel nackt durch den Ort rannte? So konnte der arme Imera jetzt wie blöde in seinem Chaos herum suchen – sah abenteuerlich aus. „Ah!“, freute er sich und zog eine kleine Mappe hervor, „Ma... ha... raa.... das ist gut! Maharaa... I... va... ach Mist, es ist Shakkis dumme Mutter!“ Er warf die Blätter achtlos hinter sich und hätte beinahe seinen Neffen getroffen, der dann doch etwas belustigt zur Seite trat. Tat ihm ja Leid, aber irgendwie... Als plötzlich eine weitere Stimme ertönte, erschreckte er sich. „Hat der Prinz sich nicht ordentlich eingerieben?“ Es war Teneri, die nun missmutig neben ihm stand und die Arme vor der Brust verschränkte. Sie mochte ihren Cousin nicht und dessen besten Freund noch weniger. Im übrigen mochte sie überhaupt keine Jungs mehr, konnten ihr alle gestohlen bleiben. Allen voran ihr Bruder, das Ekel. Wobei sie ihren Vater natürlich trotzdem noch lieb hatte, der war eine Ausnahme. „Eingerieben?“, fragte ihr Cousin da lächelnd, „Du meinst, mit dem grünen Zeug? Das war ihm zu ekelhaft, wobei ich sagen muss, ich habe dank dessen überhaupt keine Probleme mit der Sonne, er sollte sich ein Beispiel an mir nehmen!“ Er grinste kurz amüsiert, unterdrückte es bei dem bitterbösen Blick des Mädchens jedoch schnell wieder. Sie mochte ihn irgendwie nicht. Odohri konnte das nicht verstehen. Auch in der großen Stadt hatten viele ihn nicht gemocht, aber das hatte größtenteils daran gelegen, dass er kein Mensch war. Hier war das jedoch normal... war er vielleicht zu überheblich? Eingebildet? Er gab sich viel Mühe, um umgänglich zu sein, aber das, was ihm nett erschien, war möglicherweise noch immer völlig hochgestochen. Aber warum war nur Teneri so? „Ich fürchte, bei euch beiden ist es zu spät, da kann weder der eine, noch der andere etwas von dem anderen lernen.“ Imera sah auf die giftigen Worte seines Mädchens auf. Zunächst wollte er sich einmischen, schenkte ihr dann aber bloß einen viel sagenden Blick und suchte weiter. „Ich habe es gleich, Moment noch.“, sagte er nur seinem Neffen. Der Junge nickte. Hier fühlte er sich unwohl. „Wie meinst du das?“, fragte er die Jüngere dennoch, worauf sie angewidert das Gesicht verzog. „Ich finde, du, nein, ihr beide seid Idioten – das ist alles.“ Darauf ließ sie ihn stehen. „Mach dir nichts daraus.“ Noch ehe er ihr hatte empört nachsehen können, stand das Dorfoberhaupt vor Odohri und hielt ihm ein paar Papiere hin. Die Lichtbilder hatte er aus Rücksicht auf den Jungen nicht mitgegeben, die waren wirklich abartig, fand er. Der arme Naga, er fand es immer wieder schlimm, auch so viele Jahre später noch. „Sie hat in letzter Zeit einige ziemlich schlechte Erfahrungen mit Jungen in deinem Alter gemacht, deshalb.“ Der Jüngere nahm die Dokumente nickend entgegen. Schlechte Erfahrungen? „In wie fern, wenn ich fragen darf? Ich meine... ich würde mich gern gut mit ihr verstehen.“ Imera grinste. Da kam aber wer sehr nach seinem Papa... er behielt es sich vor, ihn darauf Missgeburt zu nennen, auch wenn Choraly nebenbei einmal angemerkt hatte, dass sie ihre Kinder so betitelte. Was für eine bezaubernde Mutter, wirklich. „Nun ja.“, seufzte er dann, „Sie ist hübsch, nicht?“ Er errötete, entgegnete aber nichts und lauschte seinem amüsierten Onkel weiter. „Das ist bereits vielen aufgefallen... auch all ihren Freunden, aber sie ist noch nicht so weit, wie sie aussieht, weißt du? Sie will noch keinen Freund und weil sie alle hat abweisen müssen, gingen auch die Freundschaften zu Brüche. Jetzt ist sie allein und ziemlich sauer... um ehrlich zu sein würde ich es gut heißen, wenn du dich irgendwie mit ihr anfreunden könntest, am Ende entwickelt sie noch einen Männerhass, dabei soll sie doch meine Nachfolgerin werden und Kinder bekommen!“ Himmel, er klang schon wie seine Tante früher. Nachfolger hier, Kinder bekommen da... ach ja, die liebe Chatgaia. Aber das Dorf war ihm wichtig geworden über die Jahre, er genoss den Respekt seiner Bewohner und sah ihm gern beim wachsen zu. Und die Schwierigkeiten förderten ihn, mittlerweile konnte er fast schon normal schreiben, das hätte er nie für möglich gehalten. Zu seiner Ärgernis konnte Mayora dank seines Berufes als Arztes nun auch ganz annehmbar rechnen, da war er ja überhaupt nichts besonderes. „Ich würde mich auch gerne mit ihr anfreunden!“, verkündete Odohri da, „Ich meine... ich bin neu hier und wir gehören zu einer Familie... da gehört doch Zusammenhalt hin, oder nicht?“ -- „Das... wird meine Frau nicht gut heißen.“ Uda Magafi schritt unterdessen um seinen nur noch mit Unterhosen bekleideten Sohn wie ein Museumsbesucher um ein Ausstellungsstück und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Besonders viel Arbeit hatte er im Moment ja nicht und so war er bereits zurück, hatte aber noch einen Abstecher zu seiner Tochter gemacht, um etwas berufliches mit ihr zu besprechen und Serenka in Brathähnchen-Modus dort vorgefunden. „Was habe ich dir gesagt? Zieh dir die Sachen an, die man dir gegeben hat! Und benutze diese komische Paste, ich finde sie auch nicht unbedingt appetitlich aber meiner Haut geht es ausgezeichnet, obwohl sie kaum etwas gewöhnt ist, meine Güte. Ich habe echt keine Ahnung, was ich noch mit dir anfangen soll, hast du überhaupt noch Respekt vor mir?“ „Natürlich!“ Es war nicht leicht zu unterscheiden, ob der Junge errötete oder ob die Röte von seinem heftigen Sonnenbrand kam. Ja verdammt, er hatte es gelernt, musste das denn jetzt sein? Er litt doch wahrlich genug! „Ich respektiere keinen Mann der Welt so sehr wie dich, das solltest du wissen, mein törichter Vater!“, schlug er so zurück, „Ich möchte einmal ehrlich sein, mir fällt es nicht weniger schwer, hier zu leben wie dir, im Gegenteil, aber wie meine liebste Mutter zu sagen pflegt, man muss...“ „Still jetzt! Interessiert mich nicht, du Spinner.“ Er zuckte zusammen und verstummte. Respekt. Er hatte großen Respekt vor seinem Vater, er empfand große Bewunderung für ihn. Uda Magafi war nämlich etwas besonderes. In eine hochrangige Politikerfamilie mit Adelstitel geboren hatte auf ihn von Anfang an ein enormer Erfolgsdruck gewirkt, dem er sein Leben lang ohne größere Probleme hatte Stand halten können. Doch damit war er kein Einzelfall, das grenzte ihn nicht von anderen ab. Nein, Serenka hatte auch eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, was es denn war... heute wusste er es. Zwar war sein Vater autoritär und eine absolute Respektperson, aber... er hatte eine durchaus menschliche Seite, die er seiner Familie immer mehr oder weniger zeigte. Er hatte ein gutes Herz. Seine Söhne erzog er lange nicht so streng, wie er tat. Er ließ beiden eine Menge durchgehen... und war dennoch sehr stolz auf sie. Der Junge hatte einmal mehr zufällig mitgehört, wie seine Eltern sich unterhalten hatten. Seine Mutter hatte dabei von ihrem langjährigen Kinderwunsch gesprochen und irgendwann hatte sein Vater entgegnet, wie sehr er sich freute, zwei Söhne mit ihr zu haben und wie glücklich sie ihn machten. Es hatte ihn als seinen Erben sehr stolz gemacht. Er liebte ihn. „Das wird schon wieder.“, seufzte Mayora währenddessen, der dabei war, irgend eine Salbe zusammen zu mischen, „Odohri kommt auch gleich, wenn ich erfahre, was ich wissen will, ist er sogar wieder sehr schnell in Ordnung.“ Wobei die nächsten Tage eine Qual werden würden für ihn. Er hoffte, dass er sich schon geschält hatte, wenn sein Jahrestag kam, der würde nämlich nicht mehr all zu lange auf sich warten lassen. Dann wäre er ebenso wie sein bester Freund 14 Jahre alt. -- „Wer war das?“ Lilliann lugte aus der Stube, als ihr Mann die Tür hinter jemandem schloss. Er seufzte. „Odohri. Mayora brauchte irgendwelche Unterlagen, was weiß ich.“ Er war gestresst... das war er leider recht oft. Nicht selten hatte sie das Gefühl, dass sein Posten ihm zu viel abverlangte, aber zugegeben hätte er das nie. Er war mit der Zeit verdammt stolz geworden, der Idiot. „Bringt er sie wieder? Du weißt ja, wenn es nicht ordentlich ist...“ „Jaja!“ Er trat an ihr vorbei und sie folgte ihm. Sie nervte ihn auch, so sehr er sie auch liebte, aber sie behandelte ihn wie ein Kind. Er war ein Mann, nicht irgendein Mann, nein, der mächtigste Mann dieses Dorfes und so auch der Mächtigste in dieser ganzen winzigen Welt, die die Oase darstellte. Und immer ihre Fragen... „Wo warst du heute?“ Er verdrehte die Augen. „Weg.“ Sie schnaubte und wandte sich der Tür zu, als ihr Sohn ebenfalls den Raum betrat. Er hatte das Gespräch gehört, so wie es schien. „Antworte meiner Mutter gefälligst richtig, du Abschaum.“, war seine liebevolle, an seinen „Vater“ gerichtete Begrüßung und dieser seufzte. Ja, an sich war er sein Vater, zwar nicht der Leibliche, aber er hatte ihn adoptiert und aufgezogen. Aber davon wollte der junge Mann nichts hören. „Ich habe gearbeitet!“, zischte er dann, „Wie immer, was soll ich denn ins Detail gehen?“ Seine Frau verschränkte die Arme fragend vor der Brust. Im Prinzip hatte er ja Recht, aber... „Na ja, hätte ja sein können, dass du etwas anderes machst, Chatgaia war schließlich bei dir.“ „Chatgaia?!“ Überrascht sah das Paar zu dem Jungen, der mittlerweile auf dem Sofa saß und einen ungewohnten Blick aufgesetzt hatte. Eine Mischung auf Unglauben und Entsetzen irgendwie. „Ja.“, bestätigte Imera blinzelnd, sah dann wieder zu Lilli, „Sie wollte halt sehen, wie das so läuft und wie ich zurecht komme... nichts weiter. Ich hatte lediglich Gesellschaft, sonst war nichts anders als sonst.“ Sie nickte, scheinbar erleuchtet. Ihr Sohn schwieg. Wie es läuft und wie er zurecht kam, was? Das war doch lächerlich... dieser Idiot. „Und ich dachte, ich müsste mir schon Sorgen machen!“, lachte die Frau unterdessen und das Dorfoberhaupt hob nun auch etwas besser gelaunt beide Brauen. „Sorgen? Um mich? Na hör mal...“ „Na ja!“, sie wedelte mit dem Zeigefinger theatralisch in der Luft herum, „Du kennst wohl die Gerüchte, nicht? Du und deine Tante... ihr Skandal-Nudeln!“ Der Mann errötete über und über und sie kicherte, während sie sich neben Genda niederließ. Sie hatte sich immer geweigert, zu glauben, was die Leute im Ort so sprachen, es war schließlich wirklich... nicht so schön, fand sie. „Meine Güte, doch nicht vor dem Kind!“, schnappte er und das „Kind“ schnaubte empört. Dieser Arsch... „Ist da eigentlich etwas dran?“, ignorierte die Jüngere jedoch seine Bitte und tat ungezwungener, als sie eigentlich war. Es war beängstigend. Ihr Gatte ließ sich nachdenklich auf seinem Sessel nieder. Ja, er hatte einen Sessel und er fand ihn toll. „Vor sehr langer Zeit... da... gab es da so etwas, ich gebe es ja zu. Weiß dank Tafaye ja ohnehin jeder, von daher.“ Er sah den anderen beiden nicht ins Gesicht und in seiner Frau zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Das war gewesen, bevor sie ein Paar geworden waren, verdammt, war doch alles in Ordnung. Sie zwang sich einfach zum weiter reden. „Und woher weiß Tafaye das?“ Ihr Sohn unterbrach sie. „Mutter, ich fürchte, das ist etwas, was keine Ohren hören sollten.“, er verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen, „Ich frage mich, was man an seiner eigenen Tante finden kann...“ „Und ich beantworte es dir nicht.“, war Imeras trockene Antwort darauf, ehe er sich erhob und sich auf die andere Seite zu Lilliann setzte, um sie darauf auf seinen Schoß zu ziehen. Sie quiekte erstaunt und der Junge verdrehte die Augen. Musste das sein? „Das ist lange her.“, seufzte der Mann da und vergrub sein Gesicht in ihrem orangenen Haar, während er sie knuddelte, „Jetzt habe ich dich, meine hübsche Lilli.“ -- „Habe ich als dein Vater eigentlich das Recht, mich bis ans Ende meines Lebens über dich lustig zu machen?“ Uda Magafi konnte nicht anders, als alle zwei Sekunden zu glucksen. Dabei gab er sich solche Mühe, es zu unterdrücken. Sein Sohn ging genervt neben ihm her. Wie er das hasste. „Nein, hast du leider nicht, lieber Papa.“, war seine äußerst gereizte Antwort und der Mann gackerte abermals. „Mach dir keine Sorgen!“, schnappte er, „So als Mumie siehst du richtig gut aus! Außerdem hast du heute abermals bewiesen, dass du ein richtiger Magafi bist – normale Leute bekommen Hautrötungen, dich musste man beinahe komplett verbinden, dass nichts schlimmeres passiert! Richtig so! Wenn schon, dann auch ordentlich!“ „Papa!“ Er blieb stehen. Er hatte Schmerzen und sah völlig behindert aus mit den ganzen Verbänden und dann zog man ihn zusätzlich noch auf, das war eine bodenlose Frechheit! Warum hatte er diese Wüstensonne auch derart unterschätzt? An einigen Stellen war er wirklich heftig verbrannt, irgendwo verdiente er den Spott ja... Errötend wandte er sich ab. Der Mann seufzte. Hatte es wohl übertrieben, so erschien es ihm... „Verzeih mir.“, er strich ihm durch sein grünes Haar, „Aber glaube mir, von deiner Mutter wirst du noch Mitleid genug bekommen.“ Er kannte seine Frau schlecht. „Du hast mich entehrt! Im ganzen Dorf hast du mich entehrt, Schande!“, sie verpasste dem Jungen eine schallende Ohrfeige und Uda musste sie festhalten, dass sie nicht gleich noch eine nachsetzte. Serenka hielt den Kopf tief gesenkt. Er hatte sie entehrt. Er hatte sie entehrt! Er wagte sich nicht einmal, sich bei ihr zu entschuldigen. Sie war sauer auf ihn... ach, er hasste es! Wie hatte er so töricht und dumm sein können?! „Es reicht, was regst du dich so auf?!“, fragte sein Vater die Magierin unterdessen empört, „Er ist ja wohl gestraft genug, er hat es gelernt, meine Güte!“ Sie riss sich los. War er es sonst nicht immer, der so auf das gute Ansehen bedacht war? Moment... „Tu nicht so, als kanntest du mein Problem nicht!“, fuhr sie ihn an und wirkte trotz ihrer zierlichen Statur bedrohlich, „Ich war einst das Oberhaupt dieses Ortes, Uda! Ich habe meinen Posten in Ehre freiwillig abgelegt, für dich und diesen... Nichtsnutz! Ach! Ich bin total verweichlicht, mein Kinderwunsch hat mein Gehirn aufgelöst, wie es mir scheint!“ Sie wandte sich ab und stampfte aufgeregt durch die Küche, ohne bestimmtes Ziel. Ihr Sohn erschauderte. Nichtsnutz? „Und ausgerechnet MEIN Sohn rennt wie ein blöder halbnackt, und ich betone, OHNE sich einzusalben, was wirklich jeder Blöde tut, durch die Straßen! Kämpft wie ein Rowdy mit diesem ungehobelten Bastard! Dir ist es egal, Mann, du hältst die Bewohner der Oase doch ohnehin für minderwertige Wesen, habe ich Recht? Ist es nicht so? Dir ist es egal, was sie über uns denken! Sieh dich an, du läufst selbst herum wie ein Penner!“ Tatsächlich trug er im Moment bloß ein sehr einfaches Hemd und eine ebenso simple Hose, keine Krawatte, nichts. Aber für wen hätte er das anziehen sollen? Wenn er sich zu Hause einen schönen Tag machte, rannte er auch nicht so herum, so bedacht auf sein Äußeres war er nicht... So schnaubte er nur und sie sprach weiter. „Mir hingegen sind die Leute hier aber ganz sicher nicht egal, ja? Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe mich selbst bereits genügend entehrt, ich möchte, dass meine Familie, die Thilia einst gegründet hat, in guter Erinnerung bleibt und ihr versaut es, weil ihr denkt, außerhalb Wakawariwas hättet ihr einen Freifahrtschein! Ihr dreht am Rad, merkt ihr es? Allesamt seid ihr komisch, Takoda kommt ins Badezimmer und möchte mich nackt sehen, ich meine, hallo, ist euch die Sonne zu sehr aufs Hirn geschlagen?!“ Serenka, der nun aufgefahren war, unterbrach sie empört. „Moment, Takoda kommt ins Badezimmer um dich nackt zu sehen?! Ich will auch!“ Uda schlug ihm an den Kopf, als seine Frau entsetzt errötete. „Spinner, suche dir eine Freundin!“, schimpfte der Vater und der Junge schnaubte entrüstet. Was erlaubten die sich eigentlich alle? Das war unfair! „Wie auch immer.“, zischte Chatgaia da und schenkte ihrem Mann einen Blick, den er so nicht kannte, „Wir sind da, wo ich herkomme. Hört auf mich.“ Das war ein guter Rat. Ihr bisheriges Leben interessierte ihren Gatten im übrigen sehr... es musste doch sehr seltsam gewesen sein, die Wüste hatte mit dem heutigen Tag ein anderes Gesicht von ihr zu Tage gebracht. Nicht, dass das zwingend schlecht war, er wollte sie schließlich genau kennen, aber ganz nachvollziehen konnte er das Ganze nicht. „Was war heute los?“, fragte er sie lauernd und sie schnappte nach Luft, „Du warst heute unterwegs... ist etwas passiert? Du bist komisch. Du würdest Serenka normalerweise niemals auf der Welt weh tun, auch wenn er es noch so sehr verdient...“ Da hatte er Recht und anstatt etwas zu erwidern, erhielt er zusätzliche Verstärkung. „Als sie heute heimkam war sie voll... verstrahlt, ich denke!“, schallte eine bekannte Stimme aus der Stube, „Aber sie hat mir ein leeres Buch und einen Stift gegeben! Ich schreibe jetzt eine Geschichte über die Ziege Be!“ Schreiben? Seit wann konnte er das? Na, den Vater sollte es freuen. „Wunderbar, das finde ich sehr toll!“, ermutigte er den Jüngeren, der darauf freudig kicherte und seinen gedanklichen Ergüssen in Form von Strichmännchen freien Lauf ließ. „Nichts war. Alles okay. Ich... habe über reagiert. Tut mir Leid, ich... bin verwirrt.“ Er sah wieder zu Chatgaia, die ihr ältestes Kind in diesem Moment zärtlich in die Arme schloss. Der Junge kuschelte sich etwas ernüchtert an sie. Er hatte sie so enttäuscht, er Scheusal... Uda Magafi seufzte. „Ja... es ist schwer. Für uns alle.“ -- Mayora bekam davon nicht viel mit. Er rannte schnaubend durch das mittlerweile im Dunkeln liegende Dorf. Die Unterlagen hatten ja auch wieder zurück gemusst. Seiner Meinung nach hätte das auch bis zum nächsten Tag Zeit gehabt und eines seines faulen Kinder hätte es tun können, ja, am besten Korhota, der Blödmann, der sich ohnehin noch bei seiner Cousine entschuldigen musste, aber seine Frau war anderer Meinung gewesen. Heute Mittag hast du schon Odohri geschickt, fauler Sack!, hatte sie gemeckert, Jetzt sei eine ordentliche Missgeburt und bring deinem Bruder seine Unterlagen wieder! Was du heute gemacht hast, brauchst du morgen nicht mehr zu erledigen, Experte. Ich verspreche dir, du wirst auch etwas davon haben. Heute Abend. Da war er natürlich artig gewesen, aber genervt hatte es ihn dennoch. Und dann hatte er sich auch noch mit seinem blöden Bruder verquatscht, ach. Er errötete etwas. So sehr er sich auch dagegen sträubte, er hatte Imera wahnsinnig vermisst. Er war einfach ein Teil von ihm, sie waren verbunden und nach so langer Zeit konnten sie sich auch einfach nicht mehr böse sein. Schon, sie zogen sich gern auf... aber alles wirklich unangenehme ignorierten sie einfach. Es gefiel ihm, aber nach all der Zeit, in der er beleidigt gewesen war, kam ihm das nun irgendwie falsch vor. Er hielt erschrocken inne, als ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. Moment, dabei hatte er doch gerade noch gedacht, er sei allein? Sein Gegenüber weckte ein unruhiges Gefühl in ihm, als er sich umdrehte und einer verhüllten Gestalt gegenüberstand. „Guten Abend.“, machte er irritiert, „Wir kennen uns?“ Er war sich sicher, dass er sie kannte. Sie, ja, sicherlich eine Frau, der Statur zu urteilen. Sie zog sich ihre Kapuze vom Kopf. „Guten Abend Mayora.“, seine Augen wurden tellergroß, „Sei unbesorgt, ich war gerade in der Gegend und wollte dich nebenbei willkommen heißen, wo du mir doch so wie so im Begriff warst, vor die Füße zu laufen.“ Auf ihr unsagbar hübsches Gesicht schlich sich ein leichtes Lächeln. „Was du für ein schöner Mann bist...“ Wie er aussah war ihm gerade reichlich gleich. Er brauchte erst einige Momente, bis er etwas erwidern konnte, was sein Gegenüber sichtlich belustigte. „Man... sagte, du seist tot. Aber du... stehst vor mir!“ Sie senkte den Blick aus der violetten Iriden. „Etwas ähnliches hat mein Bruder vor wenigen Jahren auch zu mir gesagt. Nein, ich lebe, Liebster, ich bin völlig in Ordnung, ich lebe bloß nicht in der Oase.“ Er schnaubte. „Ich bin glücklich verheiratet und habe vier Kinder, nenne mich nicht so!“ Wie konnte das sein? War sie laut der Erzählungen nicht schwer verletzt gewesen, als Kinai sie hatte liegen lassen? Hätte sie nicht verbluten müssen? „Verzeihung.“, erwiderte sie handzahm, „Du denkst dir auch etwas sehr ähnliches. Nein, ich lebe, meine Götter wollten es so. Ich musste den Ort allerdings verlassen... es kam heraus, wer ich wahr. Was ich getan habe mit meiner goldenen Klinge, die meinen Körper am Ende selbst durchbohrt hat.“ Er schüttelte sich bloß. „Und was machst du dann hier? Wolltest du mich sehen? Damit bringst du dich um, mach nichts dummes!“ Sie lachte leise auf. „Nein, ich habe doch bereits gesagt, weshalb ich jetzt vor dir stehe. Die Sehnsucht trieb mich, Mayora. Ich kenne deine Gefühle... die Liebe. Ich habe doch eine Tochter, sie ist hier, weil es ihr hier besser geht, aber ich vermisse sie sehr.“ ---------------- Ja, ich weiß, lange kein Kapitel. Na ja, zuerst habe ich gehangen und dann war Linni zu Besuch, konnte ich also auch keines hochladen. Dafür sind die nächsten dann länger. Kapitel 7: Angelegenheiten -------------------------- „Und weißt du, warum ich lila so gern mag?“ „Weil... rot und blau lila werden, ich denke.“ „Nein, weil meine Mama es auch mag, jawohl!“ Einige Tage waren vergangen in der Wüste. Serenka würde am darauf folgenden Tag seinen Geburtstag feiern, zu seiner Ärgernis hatte er sich jedoch noch nicht komplett geschält und sah so nun etwas aus wie ein gerupftes Huhn oder auch ein Dalmatiner durch die verschiedenen dunklen und hellen Hautstellen. Es störte ihn enorm, so sehr dass er einen Abend zuvor bloß in Unterhosen im Badezimmer gestanden hatte und sich mit der härtesten Schuhbürste, die sie besaßen, überall versucht hatte, die tote Haut ab zu reiben. Das war wirklich sehr widerlich gewesen, denn von der alten Haut hatte er reichlich wenig abbekommen, stattdessen bloß die neue verletzt und so hatte er am Ende verzweifelt heulend auf dem Boden gesessen. Ihm war sein Äußeres sehr wichtig. Zum Trost war kurz darauf das Schneidermädchen Kirima da gewesen und hatte Klamotten gebracht, auch viele für ihn, was ihn aufgeheitert hatte. Sich vor ihr zu zeigen, wie er war, war ihm momentan jedoch sehr peinlich. Aber das war jetzt egal, der kleine Bruder ging gerade ziemlich guter Laune mit Yivakavi vom Unterricht nach Hause. Er blinzelte verwundert. „Wo ist deine Mama?“ Sie lebte weder bei ihr, noch bei ihrem Vater, das wusste der Junge inzwischen. Irgendein freundliches Ehepaar hatte sie bei sich aufgenommen, als sie vor wenigen Jahren einfach hier aufgetaucht war und irgendwohin hatte müssen. Es hieß, sie sagte keinem, wer sie war, aber hatte sie ihm gegenüber nicht zufällig gerade ihre Mama erwähnt? „Nicht hier.“, antwortete sie unbekümmert und lachte. Sie lachte sehr oft, hatte er bemerkt, häufig völlig ohne Grund. Er beneidete sie darum, er war zwar an sich fröhlich, aber auch oft deprimiert. Die Schwarzhaarige schien nie traurig zu sein. Es musste doch toll sein, immer zu strahlen, nicht? Er hatte oft Schmerzen, besonders wenn er allein war. Nicht nur körperliche, sondern seelische. Er war als einziges Kind in seinem Haus krank, das wurmte ihn sehr... „Irgendwen hat es treffen müssen, Takoda. Sei froh, dass es nichts schlimmeres ist.“, hatte sein Vater einst zu ihm gesagt und er fühlte sich dreckig, weil er seiner Aufforderung nicht immer nachkommen konnte, aber es gelang ihm einfach nicht. Manchmal konnte er nicht einmal seiner Lieblingsbeschäftigung Puzzlen nachgehen, weil seine Hände zu sehr zitterte... wenn er ehrlich war, hasste er es. „Sag mal...“, wechselte er so das Thema etwas betrübt, „Kannst du weinen? Du bist anders, ich... denke nicht. Oder?“ Das Mädchen hielt überrascht inne und er tat es ihr gezwungen gleich. Sie sah ihn seltsam an. Ihre beiden verschiedenen Augen waren für ihn noch immer gruselig... aber an ihr war nichts böses, das sagten ihm seine Götter. Sie sprachen leider sehr wenig mit ihm, wesentlich weniger als seinen Altersgenossen. Lag auch an seiner Krankheit. „Natürlich kann ich weinen.“, antwortete Yivakavi da und klang auf einmal überhaupt nicht mehr „anders“, „Ich weine oft, Takoda.“ Dann lachte sie wieder und nahm ihn an der Hand. „Musst du nach Hause?“, wollte sie wissen, wartete allerdings keine Antwort ab und zog ihn mit sich. Sie mochte ihn. -- „Du schon wieder? Sag mal, das... ach!“ Teneri war wirklich ein liebes und vernünftiges Mädchen, ihre Cousine Samili war sehr froh, dass sie sich gut miteinander verstanden. Sie kamen zwar aus verschiedenen Welten, aber das störte überraschender Weise kaum; im Gegenteil, auf diese Art lernten sie sehr viel voneinander. Einen negativen Nebenaspekt gab es allerdings und der hieß Genda. Er ließ die Mädchen nie in Ruhe, mindestens einmal, wenn sie bei ihm zu Hause waren, tauchte er im Zimmer seiner Schwester auf, um sie irgendwie zu ärgern... und ihrer Cousine Blicke zu zu werfen, die der nicht gefielen. Schlimmer war es aber, wenn er sie allein traf. „Du fragst Imeras Tochter über mich aus, die Wände sind dünn, du kannst es nicht leugnen.“ Sie hasste sein höhnisches Lächeln. Ja, er hatte Recht, trotz allem fand sie ihn interessant – als Persönlichkeit, mehr nicht. Er war seltsam und es war spannend, Dinge über ihn zu erfahren, wo es ihr so unverständlich erschien, dass er so seltsam war, obwohl er eine so liebe Familie hatte. Ja, sie mochte die Familie ihres Onkels. Was sie bisher wusste, war, dass Genda nicht ihr leiblicher Cousin war, Imera war sowohl sein Stief- als auch Adoptivvater. Er war noch ein Kleinkind gewesen, als dieser seine Mutter geheiratet hatte und laut den Erzählungen seiner Halbschwester hatte ihr Vater ihn immer so behandelt wie seine leiblichen Kinder und die hatten viel Liebe von ihm bekommen. Teneris Erinnerungen nach war er bereits als kleiner Junge extrem aggressiv gewesen; er hatte die örtliche Schule genau zwei Tage lang besucht, dann hatten ihm seine Großeltern, die die Lehranstalt leiteten, Privatunterricht geben müssen. Dumm war er nicht, aber er hatte einen etwas dämlichen Klassenkameraden beinahe tot geschlagen und war auch sonst sehr grob gewesen... nicht in der Lage, sich der Gruppe anzupassen. Es war zu gefährlich für die anderen gewesen, so hatte er nie die Chance gehabt, aus seinen Fehlern zu lernen, geschweige denn Freunde zu finden. Aber wer wollte schon etwas mit dem zu tun haben? Samili nicht. „Ja, das ist wahr!“, bestätigte sie so einfach trotzig und angewidert, weil er sie einfach an den Schultern festhielt. Er war stark, viel stärker als sie, wenn er nicht wollte, dass sie entkam, dann tat sie das auch nicht. „Du bist so psychisch gestört, das ist einfach unheimlich interessant! Da, wo ich herkomme, trifft man nicht auf Individuen wie dich, die sperrt man nämlich ein.“ Sie grinste. „Das muss ein sehr eintöniges Leben sein, kleines Mädchen.“ Samili hasste es, wenn er ihr so auf die Pelle rückte. Himmel, er nannte sie kleines Mädchen und im nächsten Moment zog er sie in seine Arme... ebenso wie in diesem Moment. Wenigstens tat er das nur, wenn sie wirklich absolut allein waren, ansonsten wäre sie dann wohl vor Scham gestorben... dieser Kerl war total hässlich und bei ihm von innerer Schönheit zu sprechen, war in etwa so, wie Serenka normal zu nennen. Nein, an diesem Typen war nichts begehrenswertes außer seiner Persönlichkeit selbst, weil die spannend war. „Nein, eigentlich ist das ganz toll... Hände von meinem Hintern, du notgeile Sau!“ Er lachte nur und hob sie hoch und das Mädchen ärgerte sich enorm, weil es so reflexartig die Arme um seinen Nacken und die Beine um seinen Rumpf schlang, um nicht hinzufallen. Das war auch etwas, was sie von ihm wusste, er war ziemlich pervers. Ständig tummelte er sich in der Dorfbar und füllte irgendwelche Weiber ab, die er dann mit zu sich nahm, um sie durchzunehmen. Das machte ihn nicht unbedingt beliebter im Ort, noch weniger, dass er es immer wieder bei der geistig verwirrten, aber bildschönen Yivakavi versuchte, die allerdings gar nicht so verwirrt war, wie es immer schien, zumindest in solchen Dingen. Immerhin hatte er es noch nie geschafft, sie bis in sein Zimmer zu bekommen... was nicht viel heißen musste. Was er von Samili wollte war so auch ziemlich klar, zu ihrer Freude hatte er bisher aber noch nie mehr getan, als sie verkraften konnte. Sie schnaubte dennoch. „Bin ich dir denn nicht zu... unreif?“ Er sah ihr auffallend auf ihre Brüste. „Eigentlich... nicht.“ Auf ihren abermals ziemlich doofen Blick musste er grinsen. Ja, er wusste, dass sie das nicht gemeint hatte. „Ich meinte geistig, du Idiot. Meine Eltern nennen mich gelegentlich unreif, aber bei dir scheint es sich wohl zu erübrigen...“ Das war es, was sie nicht verstand an ihm. An sich erschien Genda ihr ganz gescheit, aber gleichzeitig auch so furchtbar dumm... eben interessant. Was darauf kam, war jedoch neu... nicht unbedingt überraschend, sie war ja schon eine Weile in der Wüste und kannte ihn, aber das hatte es bisher nicht gegeben. Der Ältere sah sich zu beiden Seiten um. Er hatte sie unhöflicherweise in eine leere Seitengasse gezerrt. Immerhin war es schattig, aber auch ziemlich stickig und etwas schwül. Der Staub bekam Samilis armen verwöhnten Lungen nicht wirklich, aber es ging ihr immer noch besser als Serenka mit seiner Haut, so tröstete sie sich. „Jetzt mal im Ernst.“, schnappte er, sie weiter ohne irgendwelche Probleme tragend, „Du spionierst mir nach... was soll ich denn davon halten? Deine Absichten sind mir egal, aber so viel Aufmerksamkeit macht mich doch stutzig. Halt still.“ Sie war empört. Halt still, sagte er und küsste sie einfach auf die Lippen. Das war ein Skandal und entkommen konnte sie kaum, so drehte sie nach ein paar Augenblicken einfach das flammende Gesicht weg. „Das...“, zischte sie, „... ging zu weit.“ -- „Und was tun wir hier? Hier ist es langweilig, ich denke.“ Takoda stand unbeeindruckt an irgendeiner komischen Klippe. Es ging ziemlich tief hinab, unten war genau so feiner Sandboden wie hier oben, wenn man von dort gerade aus ging, kam man direkt in die offene Wüste. Yivakavi stand neben ihm. Sie hatte unbedingt hier hin gewollt. „Ich habe mich letztens mit meiner Mama über dich unterhalten!“, erklärte sie und wedelte dabei wichtigtuerisch mit dem Zeigefinger in der Luft herum, „Meine Mama hat gemeint, dass deine Mama schon einmal ein Kind hatte und dass es da...“ Sie zeigte die Klippe herunter. „... dass es da hinunter gefallen und gestorben ist!“ Der Junge hob beide Brauen. Seine Mutter hatte ihm bereits erzählt, dass er schon einmal zwei Brüder gehabt hatte und dass der eine nicht der Sohn seines Papas und der andere nicht der Sohn seiner Mama gewesen war. Komische Sache. „Das... ist nicht schön, ich denke.“, antwortete er so, „Aber was habe ich davon?“ War ihm doch egal, wo der eine gestorben war. Er vermisste ihn nicht, er war sehr lange Zeit bevor seine Seele diese Welt betreten hatte aus selbiger gegangen, folglich hatte er ihn auch nie gekannt. Das Mädchen kicherte. „Na, jetzt weißt du, wo dein Bruder gestorben ist, das hast du davon! Ich finde Orte, an denen Leute verstorben sind, sehr romantisch, jawohl.“ Er verdrehte die blauen Augen. Sie konnte nichts dafür, genau. Das war zwar schwer zu verstehen für den selbst doch etwas zurückgebliebenen Jungen, aber es war so. Romantisch, tse... Ihm fiel etwas ein. „Deine Mama weiß aber viel, ich denke!“, begann er, zu dem Mädchen sehend, das darauf doof blinzelte, „Weiß sie zufällig auch, warum mein Cousin Lichtbilder von meiner Mami besitzt, auf denen sie... na ja, nackig ist?“ Wer auch immer Yivakavis Mutter war, sie kannte sich wohl aus. Vielleicht hatte sie ihrer Tochter ja auch darüber etwas erzählt, das hätte ihm sehr geholfen... „Aber das ist doch ganz einfach!“, antwortete man da verblüfft, „Weil er sie schön findet! Er küsst sie doch sogar! Auf den Mund und mit Zunge!“ Sie wunderte sich, als Takoda angewidert das Gesicht verzog. Hatte er das nicht gewusst? Was für ein dummer Kerl! Sie mochte ihn trotzdem. „Wirklich mit Zunge?“, fragte er ungläubig, „So... richtig...? Und... sie fassen sich an?“ Die Ältere nickte übermütig. Irgendwie wollten ihre Götter ihr sagen, dass sie zu viel sprach, aber sie widersetzte sich ihnen ohnehin immer, von daher... „Ja, und wie die sich anfassen! Pass auf!“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu und zog ihn in eine enge Umarmung, etwas planlos an ihm herum fummelnd. „So in etwa. Soll ich dich auch küssen?“ Er überlegte kurz. Ja, also er war schon etwas schwer von Begriff. Das tat sein Cousin mit seiner Mama? War das nicht eigentlich Papas Aufgabe? „Ja, mach mal!“, nickte er reichlich planlos und sie kicherte doof und überwand den geringen Abstand, um seiner Aufforderung nachzukommen. Sie gab sich ziemliche Mühe, es gut zu machen, nämlich so, dass es sich so anfühlte, wie es ausgesehen hatte... aber ob sie es richtig machte, wusste sie nicht. Jedenfalls kribbelte es im Bauch, sie mochte das Kribbeln. Takoda an sich auch, auch wenn er das Gefühl befremdlich fand. Das war es doch, das machte Mama normalerweise mit Papa! Und auch mit seinem Cousin, wie es schien. War das nicht Ehebruch? Als sie sie nach wenigen Sekunden von ihm abließ, war er entsetzt. „Das darf er nicht!“, empörte er sich, „Dazu ist nur mein Vater privi... privil... der darf das nur, ich denke!“ Das war etwas ganz böses, das wusste er. Und Yivakavi hatte allem Anschein nach einfach zugesehen, warum hatte sie die beiden nicht aufgehalten. „Aber was dein Vater nicht weiß, kann ihn auch nicht stören, nicht?“ Das Mädchen war scheinbar weiterhin fröhlich. Es wiegte sich selbst leicht im sanften Wind hin und her und schien bester Laune zu sein. Konnte die sich nicht in seine Lage hinein versetzen? Er hatte gerade etwas schlimmes erfahren! Und dabei nahm er die Information vermutlich noch nicht einmal selbst in angemessener Intensität zur Kenntnis... -- An so etwas dachte Serenka gerade im Traume nicht, er hatte ganz andere Probleme. „Das ist... es tut mir wahrlich Leid, aber das ist unwürdig, Mutter!“ Die Frau sah ihn bedauernd an. Sie war gerade etwas beunruhigt, weil ihr jüngerer Sohn sich anscheinend verspätete und sie nicht wusste wieso, widmete sich an sich im Moment aber mehr dem Älteren. Er wollte seinen Geburtstag feiern – aber nicht hier. Normalerweise wurden immer jede Menge Leute eingeladen, mit denen die Mutter eigentlich weniger einverstanden war. Kontakte seines Vaters, von denen die wenigsten Kinder im Alter des Jungen hatten und selbst wenn, kannte er sie kaum. Serenka hatte keine Freunde, die nicht blutsverwandt mit ihm waren. Odohri und er waren wie Brüder aufgewachsen, sie hielten zusammen und die Frau vermutete, dass sie es in ihrer Schulklasse auch nur aushielten, weil sie zu zweit waren. Samili und Korhota hatten es da schon leichter gehabt, ihre Mitschüler, oder besser deren Eltern, waren mehr auf sie vorbereitet gewesen und so hatten sie bloß geringfügige Probleme, die sich immer wieder leicht aus der Welt schaffen ließen. Nun stand also der bereits vierzehnte Jahrestag des Sohnes an und es galt, irgendeine Art von Feier zu organisieren – was Chatgaia bereits getan hatte, sie hatte sich genau überlegt, was sie zubereiten würde und wie man den Garten herrichten musste. Scheitern schien es nun bloß an der Gästeliste. „Nimmst du ernsthaft an, der Tag würde an Wert verlieren, weil dich einige Leute, die du ohnehin kaum kennst, nicht beehren können? Das ernüchtert mich ehrlich gesagt, aber wenn es dich freut, dein Vater meinte gestern Abend, in der Stadt gäbe es Fortschritte, man setzt alles daran, deine Heimat wieder sicher zu machen.“ Serenka senkte den Blick etwas ernüchtert. Ja, sie hatte ja Recht. Aber... sein Ansehen! Da war er wohl doch ein Magafi. „Du sprichst vermutlich vernünftig.“, gestand er dennoch ein, „Aber wer soll denn kommen, außer der Familie? Ich meine, kenne ich hier jemanden? Hast du hier irgendwelche guten Freunde? Ich fürchte nicht, du warst mit Verlaub nie sonderlich umgänglich.“ Dank seiner Haut hatte er ziemlich schlechte Laune, das bekam dann sogar seine heiß und innig geliebte Mutter etwas zu spüren. Sie setzt sich ernst zu ihm an den Tisch. Er kannte sie wohl besser, als ihr lieb war. Sie wollte, ebenso wie vermutlich alle anderen halbwegs vernünftigen Frauen der Welt, von ihren Kindern als liebevolle, anständige Dame gesehen werden und nicht als verdorbene, eiskalte Furie. Wie gut ihr das gelang, wusste sie jedoch nicht – sie liebte ihre Söhne mehr als alles andere auf der Welt, aber sie war und blieb nun einmal sie selbst, das strenge, berechnende Oberhaupt der Wüstendorfes Thilia. Sie hoffte, dass die Jungs wussten, wo sie waren mit ihr. „Das ist wohl wahr.“, antwortete sie so ernst, „Gratulieren wird dir ohnehin beinahe jeder, ich denke, die Nachricht, dass es morgen soweit ist hat sich bereits weit verbreitet und hier in der Wüste gibt es keinen wichtigeren Anlass, jeder möchte dich an diesem Tag ehren. Wie du jedoch siehst ist unser Haus lange nicht so groß wie in der großen Stadt, selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht so viele Gäste einladen. Ich denke, die Familie reicht für dieses Jahr. Kennst du in der Schule vielleicht noch jemanden, den du gern dabei hättest?“ Er dachte nach. Spontan fiel ihm bloß einer ein, der da in Frage kam, denn auch wenn ihr Himmelsblut hier normal war, so waren sie als Städter doch etwas ungeliebt. Die, die das Dorf vor vielen Jahren ins Unglück gestürzt hatten, waren schließlich auch welche gewesen. Und von denen stammte diese Person auch, fiel ihm auf. „Semiry Tebettra, ich hatte selbst noch nicht all zu viel mit ihm am Hut, aber Odohri versteht sich äußerst gut mit ihm. Er würde sich sicherlich sehr glücklich schätzen, wenn er auch da wäre – dann könnte man seine Eltern auch her bitten, nicht?“ Die Mutter nickte. Und das wiederum würde ihrer Stieftochter gefallen, die mit beiden eng befreundet war. Chatgaia selbst hatte noch nicht viel von dem Paar mitbekommen, sie fragte sich, wie es ihnen wohl ergangen war. Das musste doch schwierig gewesen sein, Taininis Behinderung machte es ihnen mit Sicherheit nicht leicht und Maigis Vergangenheit schon zwei Mal. „Das klingt vernünftig.“, stimmte sie so auch zu und lächelte. Darauf fiel ihr noch etwas ein. „Ich wüsste sogar noch jemanden, den du einladen könntest.“, sie machte eine Spannungspause und der Sohn hob interessiert beide Brauen, „Das Schneidermädchen, Kirima heißt sie doch. Ich habe immer das Gefühl, sie scheint dich zu mögen.“ Er hatte seiner Mutter nicht weiter widersprechen wollen und war auch artig gewesen, als sie ihn geschickt hatte, selbst die Leute einzuladen – auch wenn er es unerhört gefunden hatte, wer war er denn? Ein Magafi!, kam ihm grantig, als er schnaubend durch den Ort marschierte, natürlich nicht, ohne sich zuvor noch einmal gründlich mit dem grünlichen Ekelbrei eingerieben zu haben. Er hatte sehr empfindliche Haut, empfindlicher als die der anderen, hatte er bemerkt, er hielt wesentlich weniger aus als die. Aber er war ja auch edel, er musste nicht braun wie die Borken der Bäume im Wald vor der großen Stadt werden. Wollte er auch nicht, das sah nicht schick aus. Sein größeres Problem war nun auch seine Aufgabe – wo wohnte Semiry denn? Er war bloß bis zu der entsprechenden Straße gekommen vor ein paar Tagen, aber die war lang mit vielen Häusern. Sollte er an jedem nachfragen oder was? Er hielt seufzend inne. Er musste zuerst zur Schneiderei und nachfragen. Doch auch da klang einfacher, als es war, als er sich wenig später vor einem „Geschlossen“-Schild wiederfand. An sich konnte er die komischen Zeichen noch nicht wirklich gut lesen, aber angesichts der Tatsache, dass sich die Eingangstür nicht öffnen ließ... „Der Eingang zur Wohnung ist auf der Rückseite!“ Der Junge sah auf. Vor ihm stand sein Bruder mit dem verrückten Mädchen mit den zwei verschiedenen Augen. Er mochte sie nicht, sie war ihm suspekt, aber höflich wie er war sagte er ihr das natürlich nicht direkt ins Gesicht. Viel mehr empörte ihn Takodas Auftauchen, der bloß bleich daneben stand. „Mutter sorgt sich!“, schnappte er und stemmte säuerlich die Hände ihn die Hüften, „Wo hast du gesteckt? Wir wollten meinen Jahrestag doch vorbereiten, doch sie war völlig unruhig, ich möchte, dass du dich bei ihr entschuldigst!“ Der kleine Bruder sah blinzelnd auf, starrte sein Gegenüber einige Momente ungewohnt an. „Nein.“, machte er dann einfach, „Es ist gut, dass sie sich gesorgt hat, ich denke.“ Dann ging er an ihm vorbei weg. Der Ältere war zu entsetzt, um in den nächsten Sekunden etwas zu tun. Es ist gut, dass sie sich gesorgt hat? Dass er behindert war, wusste er ja schon länger, aber das war einfach gestört, wie konnte er es wagen, ihrer geliebten, wundervollen Mutter absichtlich Sorgen zu bereiten?! Yivakavi wusste es. „Ich darf es nicht verraten!“, lachte sie jedoch bloß demotivierend. Er hatte irgendwie gemeint, es dürfe niemand mehr erfahren, weil es sonst Probleme mit seinem Vater geben könnte... ja, das war sicher möglich. Das Mädchen kannte sich damit nicht aus, ihr Vater war leider bereits tot, seit sie sehr klein war. Sie hatte ihn kaum gekannt, aber lieb gehabt. „Normalerweise würde ich dich jetzt höflich darauf hinweisen, dass es eine bodenlose Unverschämtheit von einem unzivilisiertem Weibsbild wie dir ist, mir eine Antwort zu verweigern, noch ehe ich dazu kam, meine Stimme zu erheben, aber ich unterlasse es gütiger Weise, du bist schließlich verrückt. Außerdem... -“ Er stoppte, als sie sich doof kichern mit leichten Rotschimmer im Gesicht vor ihm hin und her wiegte. War denn das die Möglichkeit?! Sie hatte ihm gar nicht zugehört, dieses Luder! Ehe er sie entgegen seiner Art darauf anschreien konnte, sprach sie selbst. „Ich habe deinen Bruder geküsst...“ Und darauf schien sie reichlich stolz zu sein. Serenka hatte sie kurz darauf stehen lassen und ihren vorherigen Rat befolgt, so stand er nun sehr schlecht gelaunt vor der Haustüre der Schneiderfamilie. Geküsst hatten die sich?! Da hatten sich ja die beiden richtigen Behinderten gefunden! Oh, sein Bruder würde leiden! Es war nicht so, dass der Ältere bereits besonders großes Interesse an irgendwelchen Mädchen gehabt hätte, aber dass der ach so zurückgebliebene Takoda da vor ihm an war, machte ihn äußerst sauer, dafür würde er sich ein paar fangen, das schwor er sich! Aber Ruhe bewahren, er musste jetzt diese komische Tante einladen. Nachdem er angeklopft hatte und sich an der alten Holztür einen Splitter gezogen hatte, stand er vor ihrem Vater, der ihn irgendwie... unfreundlich musterte. Na toll, wenn der jetzt auch noch schlechte Laune hatte, drehte er durch! „Guten Abend!“, knirschte er gezwungen, „Ist ihre werte Tochter zu sprechen?“ Der Mann hob kurz etwas überrascht die Brauen, dann senkte er sie wieder. Zu Kirima wollte der? Er hatte schon gedacht, der würde sich schon wieder schwule Rüschen-Klamotten verlangen, dabei hielten sie mit dem Zeug doch schon so sehr drauf wie nur irgendwie möglich. Aber er hatte sich geirrt, was wollte er von seinem Mädchen? Jungs in dem Alter traute er nicht, auch wenn es sich dabei um den Sohn des ehemaligen Dorfoberhauptes handelte. Oder gerade deswegen, wenn der nach seiner Mutter kam... seine arme Umkleide. „Vielleicht.“, entgegnete er so mit väterlichem Misstrauen, „Worum geht es denn?“ Der Blick des Jungen wurde seltsam. Gedanklich wog er ab, was nun besser war, kuschen und artig sein oder diesen Kerl in Grund und Boden stampfen für seine Unverschämtheit. Er entschied sich schließlich für ersteres, er hatte keine Lust auf Stress, außerdem hing von dem Kerl sein gutes Aussehen ab, zum Teil zumindest. „Ich feire morgen meinen vierzehnten Jahrestag und würde sie gern dazu einladen. Ich würde mich sehr geehrt fühlen über ihren Besuch.“ Tafaye seufzte. Na toll. „Komm rein.“ „Sie kleidet sich gerade an, ich habe ihr ein altes Kleid etwas umgeändert und sie schaut nun, ob das so in Ordnung ist – nicht, dass sie ein Recht hätte, sich zu beschweren, ich habe es schließlich freiwillig getan, es war ein Geschenk.“ Die Wohnung des Schneiders war bescheiden oder eher schäbig, auch wenn sie sehr sauber und ordentlich war. Ja, er hatte tatsächlich Glück gehabt mit dem Haus, in dem er da gelandet war, hier würde er es keinen Tag lang aushalten. „Kirimachen, bist du angezogen? Hier ist jemand für dich!“ „RUHE!“ Beide fuhren zusammen – das war definitiv nicht das Mädchen gewesen. „Halts Maul du alter Sack! Stirb doch, wenn wir dich nerven! - Ähm, Kirimachen...?“ Serenka blinzelte entsetzt. Was genau war das denn gewesen...? „Einen Moment bitte noch...“, antwortete da die sanfte Stimme der jungen Frau und ihr Vater kratzte sich etwas verlegen lächelnd am Kopf bei dem empörten Blick des Jungen. „Ja, mein Vater. Ich stelle dich ihm nicht vor, der schreit, wenn er fremde Leute sieht, oder Tageslicht...“ Der Grünhaarige verbesserte seine Gedanken, hier würde er es nicht nur nicht einen Tag, sondern nicht einmal eine Stunde aushalten, das war fürchterlich, so ein rauer Umgangston war gar nichts für seine sensiblen Ohren... So fiel ihm auch keine entsprechende, seinem Sprachgebrauch würdige Antwort ein und wartete, bis sich die Tür vor ihm öffnete. „Schau Vati, wie wunderschön...“, sie erstarrte und der Grünhaarige neigte leicht den Kopf. Das Gesicht des Mädchens flammte entsetzt auf. „Himmel!“, war alles was sie heraus brachte. Serenka unterdessen musterte sie, oder eher ihr Kleid anscheinend überrascht. Da hatte er sich aber Mühe gegeben, der alte Herr. „Welch nettes Kleid!“, sprach er ehrlich und sein Gegenüber taumelte, fasste sich erst wieder, als es sich einen vielsagenden Blick von seinem Vater fing. Oh ja, er hatte ja Recht! Aber hatte sie damit rechnen können? Weshalb besucht er sie, wenn nicht für Klamotten – denn wenn er die gewollt hätte, hätte er sich auch an Tafaye wenden können. Egal, höflich sein. Nein, sehr höflich sein, sie hatte so lange vor dem Spiegel geübt, das musste doch klappen! „Guten Abend!“, sie verneigte sich tief, „Ich... vielen Dank für das liebe Kompliment!“ Kompliment? War es das gewesen oder hatte sie jetzt übertrieben? Himmel, warum half ihr niemand. Er hob bloß eine Braue und sie blinzelte. Oh nein, was bedeutete das nun wieder? Sie ignorierte ihren Vormund, der sich kopfschüttelnd abwandte. Na wenigstens war sie schick... „Ich... ich habe Kaliri-Kuchen gebacken, möchtest du vielleicht ein Stück davon?“ Na das klang ja nett. Aber davon würde er morgen sicher genug bekommen, was das also betraf... „Vielen Dank, aber nein.“ Sie verstand ihn falsch und erbleichte. „Habe ich... dich irgendwie beleidigt? Verzeih bitte, ich... ich habe doch keine Ahnung von Höflichkeit, die Stadt habe ich zum letzten Mal als Säugling gesehen!“ Heute schienen alle verrückt zu sein, kam Serenka darauf nur und er seufzte, bemerkte förmlich, wie das arme Ding dachte, schon wieder etwas falsch gemacht zu haben. Nein, was stellte die sich so an?! Nicht, dass es ihn störte, dass es außer ihm immerhin eine einzige Person gab, die zumindest auf Höflichkeit bedacht war, aber übertrieb sie es nicht? „Ich wollte dich eigentlich bloß zu meinem Geburtstag am morgigen Tag bitten, ich würde mich über dein Kommen in höchstem Maße geehrt fühlen.“ Jetzt errötete sie wieder. Ach herrje, da war aber jemand nervös. Ob man sie noch nie irgendwohin eingeladen hatte? Dann war er nun einmal der Erste, war doch gut. „Ist... ist das dein Ernst?!“, keuchte sie da, „Ich meine, ich fühle mich im allerhöchsten Maße geehrt, aber... bin ich dir nicht zu... unwürdig?“ Moment – das gefiel ihm nicht. Er erniedrigte die Leute wenn schon, wenn sie es bei sich selbst taten, war ihm das zuwider. „Ich entscheide selbst, wer meiner würdig ist, aber danke.“, zischte er so, entspannte sich bei ihrem verzweifelten Blick jedoch gleich wieder, „Komm einfach, es würde mich wirklich sehr glücklich machen, eine talentierte junge Dame in unserem leider sehr bescheidenem Heim willkommen heißen zu dürfen.“ Sie nickte leichenblass und vermochte nichts mehr darauf zu erwidern. -- Der nächste Tag war anders, als vorgesehen. Im Nachhinein dachte sich das Geburtstagskind, es hätte es sich am Vortag sparen können, durch das halbe Dorf zu rennen, um sich seine Gäste zu suchen, denn am nächsten Abend waren plötzlich alle möglichen Leute da, die er gar nicht hatte sehen wollen. Und irgendwo hörte es dann doch mit der Toleranz auf – zumindest im engeren Kreis beschwerte er sich da, als er in der kleinen Küche stand, wo seine Mutter und seine Schwester sich hektisch um das Essen kümmerten. Hektisch, Himmel, sie sollten doch mit ihm feiern und sich nicht abmühen für Leute, die er ohnehin kaum kannte, geschweige denn irgendwie mochte. „Da winkt mir doch dieser Idiot, dieser Volltrottel, dieser Affenarsch... ach! Ich beschmutze meinen Mund hier mit Wörtern, auf meinen Jahrestag, kaum zu fassen! Er sitzt da, isst Salat und winkt mir zu, ich meine, was wagt der sich, zu erlauben?! Er hat mir meinen sensiblen Rücken zerstört!“ Choraly seufzte laut, während sie irgendwelches Pseudo-Gemüse zubereitete. „Iss Seife, damit dein Mund sauber wird. Genda ist dein Adoptiv-Cousin, er gehört nun einmal zur Familie, finde dich damit ab.“ Er schielte etwas säuerlich zu seiner Mutter, die irgendwelches Fleisch zubereitete. Hier in der Wüste war die Anzahl an essbarem Vieh doch sehr eingeschränkt, der Junge wollte gar nicht so genau wissen, was das war. Er vertraute darauf, dass es lecker schmeckte, Mama bereitete es ja zu, auch wenn ihm das, was die Oase bot, an sich nicht reichte. Und Chatgaia schenkte seiner Empörung einfach kein Gehör. „Nun gut, so sei es!“, schnappte er, dabei demonstrativ den Rücken der Magierin ansehend, „Aber warum ist diese kleine Behinderte hier? Verzeiht die Bezeichnung, aber meine Zunge vermag sich nicht derart zu verbiegen, dass sie ihren Namen jemals ordnungsgemäß aussprechen könnte.“ Zu seiner Ärgernis antwortete ihm abermals die ältere Schwester. Was mischte die sich die ganze Zeit ein?! „Takoda hat sie nun einmal mitgebracht, das ist doch nicht so schlimm. Und nun gehe lieber zu deinen Gästen, anstatt deine Zeit hier in der Küche mit uns Frauen zu vergeuden. Entspanne dich, versuche doch einmal, dich zu amüsieren.“ Sich amüsieren? Na die war gut! Seine Mutter ignorierte ihn einfach, das war alles so gemein! Vor Wut schäumend machte er tatsächlich auf dem Absatz kehrt und stampfte in den Garten. Choraly warf ihrer Stiefmutter einen fragenden Blick zu. „Ich hätte ihn gern in meine Arme gezogen und den Rest des Tages nicht mehr losgelassen.“, begann die da auch schon unaufgefordert zu erklären, „Aber hätte ich das getan, hätte er niemals die Chance, das Positive am Leben hier zu erfahren.“ Die jüngere Frau verstand sie nicht. „Aber ist das denn so wichtig, dass du es in Kauf nimmst, ihn derart zu verwirren und aufzuregen? Wir kehren ohnehin in den nächsten Wochen zurück, so wie es scheint...“ Serenka war eben etwas besonderes. Nicht, dass sie das besonders gut fand, aber er war nun einmal so und es erschien ihr sinnlos, ihn mit einem Mal irgendwie ändern zu wollen, bloß weil er ihren Aufenthalt hier in seinem Inneren verabscheute. Chatgaia klärte sie über ihr Denken auf. „Genau genommen ist Serenka der rechtmäßige Erbe dieses Dorfes – er wird dieses Erbe zwar niemals antreten, doch er soll seine Heimat zu schätzen lernen. Er ist ein Kind der Wüste...“, sie lächelte, „Er bemüht sich, mir zu gefallen, doch im Augenblick macht er eine ähnliche Wandlung durch wie du vor vielen Jahren, Choraly. Man merkt, dass ihr vom selben Blute seid.“ Die Jüngere errötete. -- „Nanu, so abgeneigt?“ Samili wandte sich demonstrativ ab. Ja, sie war abgeneigt, verdammt! Dieser widerliche Kerl... „Du warst doch die ganze Zeit so interessiert...?“ „Aber nicht so!“ Sie musste sich immerhin nicht selbst verteidigen, Teneri tat es. Ja, die wich ihr nicht mehr von der Seite, seit sie ihr von gewissem Vorfall berichtet hatte. Als einzige, im übrigen, wer wusste schon, was ihr Vater darauf getan hätte? Am Ende hätte er sich noch die Finger wegen so etwas schmutzig gemacht... ärgerlich bloß, dass sie bereits mit Konsequenzen gedroht hatte und der Idiot sie nun doppelt lächerlich fand. Ach, konnte ihr gleich sein, auf so einer Ebene dachte sie nicht, fertig. „Misch dich nicht ein, Timaro.“, schnaubte Genda darauf und schielte zu Odohri, der gerade eben unbeteiligt an dem Tisch, an dem die anderen saßen, vorbei gehen wollte. „Komm mal.“ Er hielt inne und fasste sich überrascht an den Kopf, als er den mürrischen Blick auf sich spürte. Was wollte der denn? „Ja?“ Er winkte ihn näher zu sich, ehe er leise zu ihm sprach. „Meine Schwester.“, er deutete auf Teneri, die ihn nicht verstand und nur irritiert eine Braue hob, „Meine Schwester scheint ja etwas schüchtern – das ist sie gar nicht! Um ehrlich zu sein, sie redet den ganzen Tag nur von dir und so... Dinge...“ Der Jüngere errötete. Sie sprach von ihm? Warum das denn? Hatte er ihr etwas getan?! Vermutlich war er doch zu hochnäsig gewesen oder so, verdammt... „Welche Dinge?“, wollte er so verlegen wissen, ebenso leise, dass es niemand mitbekam. Genda seufzte aufgesetzt verlegen. „Nun ja, wie soll ich die das sagen... sie scheint ein äußerst ausgeprägtes Interesse an dir zu haben, mein Guter. Ich gehe lieber nicht ins Detail, es gibt manches, das will Mann gar nicht wissen...“ Odohris Gesicht flammte hochrot auf. Was? Sie war doch seine Cousine, seine extrem männerfeindliche Cousine überdies. Das klang ja beinahe so, als würde er ihr gefallen! Oh Himmel... Als er zu dem Mädchen sah, das sich mittlerweile wieder guter Laune mit Samili unterhielt, kam er ins Staucheln. „Sei nicht so nervös deswegen.“, sprach der Braunhaarige weiter, „Rede doch mit ihr, sie freut sich sicher. Und lass dich nicht abschrecken, wenn sie irgendetwas schlechtes spricht... sie meint es nicht so. Sie will deine Aufmerksamkeit.“ Seine Aufmerksamkeit! „Oh mein Himmel! Ich... nun gut, Onkel hat auch gemeint, ich solle mich mit ihr anfreunden, es wird wohl keine schlechte Idee sein. Ich war bloß... verwirrt. Gut, dass du mir das gesagt hast.“ Er nickte ihm zu, dann trat er auf die andere Seite und überlegte sich unterdessen, wie er es am besten anstellte, seiner komischen Cousine näher zu kommen, ohne, dass sie ihn erschlug. Seltsames Mädchen, Genda schien doch gar nicht so schlecht zu sein. Dachte er. Der Ältere beobachtete zufrieden, wie er versuchte, seine Halbschwester in eine Unterhaltung zu verwickeln. Da würde er auf Granit beißen, das war Imeras bescheuerte Tochter, die hatte sich in den Kopf gesetzt, das alle Männer schlecht waren und das würde in diesem Leben sicherlich niemand mehr aus ihrem primitiven Hirn heraus bekommen. Lächerlich, aber sollte er doch versuchen, er lenkte ihre Aufmerksamkeit von Samili ab, die nun gelangweilt dabei zusah, wie ihr Bruder sich um das andere Mädchen bemühte. Samili war interessant. Sie spionierte Genda nach, gab aber an, keinerlei Interesse an ihm zu haben. Vermutlich hatte sie das auch nicht, sie war bloß neugierig, weil er nicht so war, wie alle anderen auf der Welt. Dumm, aber wie oft rannte ihm schon freiwillig eine Frau nach? Er wusste selbst, dass er sicherlich nicht das war, was man unter einem hübschen Jungen verstand und es ärgerte ihn wenn er ehrlich war auch etwas, obgleich es natürlich nicht so schlimm war, dass es ihm Komplexe verursacht hätte. Aber wenn einmal eine Dame freiwillig bei ihm aufgetaucht wäre, hätte ihn das bestimmt nicht gestört. Nun gut, er konnte es nicht ändern, die Götter hatten es nun einmal nicht gut gemeint mit ihm. In keinem Punkt. Es überraschte ihn, als sie ihn abermals von selbst ansprach, ja, sogar die Tischseite wechselte und sich neben ihn setzte. Sie zischte. „Ich habe keine Ahnung, was du meinem Bruder da gerade erzählt hast, aber ich bin mir sicher, dass es nicht zu Teneris Bestem war!“ Das hatte sie gut erkannt. Er grinste bloß. „Was hast du davon, wenn du so bist, wie du eben bist? Ich finde dich unmöglich, so etwas wie dich verdient deine Familie doch gar nicht! Und dabei glaube ich, dass du anders sein kannst, wenn du nur willst...“ Sie schnaubte empört, als er zu lachen begann. Er konnte es anders, wenn er nur wollte, ja. Das galt für so unglaublich viele Dinge, es war einfach nur lächerlich. Diese Stadtmenschen waren so vollkommen verblendet und dämlich, es tat einem fast schon weh. „Was ich davon habe? Tse, hast du etwas davon, wenn du du selbst bist? Und meine Familie... meine Familie besteht aus einem ängstlichen kleinen Mauerblümchen, einem männerphoben Kampfweib, meiner vollkommen verblödeten Mutter und dem größten Abschaum unter der Sonne, in Wahrheit passe ich doch wunderbar dort hinein, nicht?“ Sie weitete entsetzt die Augen, als er so herablassend sprach, kam aber nicht dazu, etwas zu sagen, denn darauf folgte etwas für sie noch wesentlich Unverschämteres. Und mit einem Mal fragte sie sich, wie dämlich ein einzelner Mensch sein konnte. „Ich weiß, was dir jetzt auf der Zunge liegt und irgendwo hast du natürlich Recht, ich sollte mich niemals über diesen abscheulichen Haufen beschweren. Wenn ich mir vorstelle, bei euch zu leben, in der großen Stadt, jeden Morgen gepudert und parfümiert in eine Schule voller eingebildeter adliger Schnöselkinder zu gehen, als Erbe einer Familie voller Schwerverbrecher, die euren idiotischen Staat einzig zu eurem Vorteil lenken, dann will ich mich doch zufrieden bekennen.“ Sie hätte ihn erschlagen. Sie hätte es so gern getan. Ihn angeschrien. Jeden wissen lassen, wie tief dieses Scheusal sie beleidigt hatte, doch sie tat es nicht. Serenka, der diesen Bastard selbst nicht mochte, zu Liebe. Denn sie hatte ihn, gepuderten und parfümierten Erben einer Verbrecherfamilie, sehr lieb und wollte ihm nicht den Jahrestag verderben. Das verdiente er nicht. Ruhe bewahren, das hatte ihre Mutter ihr immer gepredigt und vermutlich überraschte es den jungen Mann, als sie sich einfach erhob und ins Haus rannte. Sie musste weg, sonst konnte sie für nichts garantieren. -- Serenka war selbst nicht bester Laune. Das war eine Veranstaltung voller ignorantem Abschaum! Er rannte herum, war völlig unzufrieden und wen scherte es? Niemanden! Noch nicht einmal seinen Vater, der führte lieber eine Pseudo-Unterhaltung mit dem Dorfoberhaupt. Es war wirklich lächerlich. „Und über welches politisches System verfügt das Dorf so?“ „Na ja, ich bin das Oberhaupt, die sollten alle auf mich hören...“ „Ah... nun ja, ich meine, etwas tiefgründiger, treffen Sie alle Entscheidungen alleine? Gibt es Abstimmungen? Einen Rat?“ „Also... Maigi gibt mir manchmal einen guten Rat. Also... und wenn jemand irgendetwas will, dann kommt er und sagt es.“ „... aber schönes Wetter ist, doch.“ Das war so, als würde der Junge sich mit einer kleinen Ratte unterhalten, das war völlig gehirnamputiert und sinnlos, verstand sein Vater das denn nicht? War er mehr auf den guten Ton bedacht als auf das Wohle seines Kindes?! Nun ja, das hatte er ja bereits geahnt an dem Tag, an dem seine Familie sich dazu entschieden hatte, in die Wüste zu gehen. Zu seiner Freude, bloß vorübergehend. So rannte er wütend und traurig über den seiner Meinung nach verlorenen Geburtstag durch den Garten und merkte gar nicht, dass es jemanden gab, dem er definitiv nicht egal war, ihn sogar mit größter Vorsicht verfolgte und es erst wagte, ihn anzusprechen, als er sich enttäuscht gegen einen seltsamen Baum anlehnte. „Du... siehst nicht glücklich aus.“ Er sah erschrocken auf. Ach ja, Kirima, die gab es auch noch. Stimmt, er hatte sie ja sogar eingeladen. Hübsch sah sie aus, sie trug das nette Kleid vom Vortag, das heute irgendwie noch schöner schien. „Du auch nicht.“, entgegnete er dennoch bloß nüchtern. Recht hatte er, sie stand da in der Gegend herum und schien sich ganz und gar unwohl zu fühlen, furchtbar, so etwas auf seiner Feier sehen zu müssen. Die anderen unverschämten Schandflecken hatten wenigstens Spaß. „Nun ja, das liegt an dir.“, gestand sie da auch noch zu seiner Betroffenheit und tänzelte etwas unruhig hin und her. Nervös war sie. Und was hatte er jetzt schon wieder angestellt? Konnte man diesen Tag nicht einfach überspringen? Ach, es machte ihn sauer. „Wegen mir, sagst du? Ich lade dich zu dieser unredlichen Feier ein und dann schiebst du deine schlechte Laune auf mich?! Wie kannst du das verantworten?!“ Er schnaubte und konnte seine Wut nicht unterdrücken, auch nicht, als das Mädchen sich geschockt beide Hände vor den Mund schlug und ein paar Schritte zurück trat. „Ich bin völlig zerfressen von Wut und Enttäuschung, niemand nimmt sich Zeit für mich! Ich beteure, ich hasse diesen Ort!“ Am liebsten hätte er ihr all seinen Frust ins Gesicht geschrien, er hatte es satt! Warum sollte er in diesem verdammten Dorf derart auf sein Ansehen achten, das verdienten diese Primitiven doch gar nicht, er war viel zu gut für sie! Er hielt in seinen Gedanken inne, als die junge Frau sich plötzlich in dem hübschen Kleid vor ihm auf die Knie warf. Er stutzte. „Es tut mir so Leid!“, keuchte sie, „Das verdienst du nicht, Herr! Viel mehr Respekt gebührt dir, ich weiß es! Ich will ihn dir zollen, ich... ich bin beeindruckt von dir, seit ich dich zum ersten Mal sah! Solch einen edlen Herrn habe ich zuvor nie zu Gesicht bekommen, ich habe mich so über deine Aufmerksamkeit gefreut, wo ich doch so weit unter dir stehe! Vielen Dank!“ Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Sie senkte den Blick tief, wieder so, dass ihr beinahe weißes Haar ihr Gesicht bedeckte. Sie erniedrigte sich vor ihm. Und warum? Weil er schlechte Laune hatte. Weil sich einmal in seinem Leben nicht die ganze Welt um ihn drehte. Darauf fühlte er sich schlecht. „So steh doch auf.“, bat er kleinlaut und fasste sich erschrocken über die eigene Überheblichkeit an den Kopf, „Beschäme dich nicht zu meinen Füßen, Kirima. Ich zolle dir höchsten Respekt, die du in deinem jungen Alter deine Handwerkskunst bereits derart perfekt beherrschst. Die Hitze ist mir wohl zu Kopfe gestiegen, verzeih.“ Als sie dennoch nicht aufsah und bloß weiter vor ihm kniete, piekste er sie sachte mit seinem Spazierstock an. Ja, er besaß seit dem heutigen Tage einen, von Papa bekommen und das, obwohl er seine reichliche Bescherung erst in der großen Stadt haben würde, wie es bereits zu Beginn der Reise abgemacht gewesen war. Der hat ja nicht viel Platz weg genommen., hatte er gesagt, Ein Statussymbol, wie du es nennst. Hast du dir nicht einen gewünscht? Hatte er. Und er hatte sich sehr gefreut darüber am Morgen. Er liebte seine Eltern sehr. Das Mädchen sah verschüchtert auf und er fuhr sich geschockt an die Stirn, als er ihre bedrohlich glänzenden Augen sah. „So bin ich normalerweise nicht!“, schnappte sie darauf, „Ich bin nicht schwach! Nie! Nur bei dir.“ Sie erhob sich langsam und klopfte sich den Staub vom Kleid, soweit sie konnte, leicht errötend. Himmel, war das peinlich hier. Sie hätte auf ihren Vati hören und zu Hause bleiben sollen, genau. Er war ein gescheiter Mann und dennoch übte der Junge aus der großen Stadt eine enorme Faszination auf sie aus. Er musterte sie etwas besorgt. Hatte er Ahnung von Mädchen? Alles, was er wusste, war, dass man sie nicht zum Weinen bringen durfte, aber daran hielt er auch fest. „Ich habe nie gedacht, du seist schwach.“, sprach er leiser, ohne die Blicke zu bemerken, die sein Vater ihm vom nicht all zu weit entfernten Tisch ab und an zuwarf, „Nehme es nicht persönlich, wenn du das nun nicht magst, aber mir kam es in den Sinn, dich einmal zu umarmen. Mir selbst tut es ja immer sehr gut, wenn ich meine geliebte Mutter umarmen kann, wenn es mir nicht so gut geht.“ Er lächelte und wurde seinen Worten gerecht, Kirima erwiderte die freundliche Geste erbleichend. Uda Magafi und Imera, der dessen Blick gefolgt waren, grinsten. -- Nicht weit entfernt fand das jemand sehr komisch. „Boah, Takoda, schau, die grinsen beide!“ Yivakavi hatte darauf bestanden, auch mitfeiern zu dürfen. Der Junge hatte zwar geahnt, dass sein Bruder das nicht unbedingt gut heißen würde, aber in „Nein“ sagen war er nie besonders begabt gewesen. Wie in eigentlich allem. So saßen sie nun gemeinsam auf einer vergammelten kleinen Mauer, weil es ihnen an den Tischen zu eng war und das Mädchen zeigte unhöflicherweise mit dem nackten Finger auf die beiden Männer. Er wusste, worauf sie hinaus wollte, ausnahmsweise. Aber hatte er auch sehr viel darüber nachgedacht. Was es bereute, denn je länger er es getan hatte, desto schlechter war sein Gefühl betreffend geworden. Er schreckte aus seinen Gedanken, als ein Schatten über ihn fiel. „Darf ich mich zu euch setzen?“ Ausgerechnet Lilliann, seine liebe Lehrerin, war es. Das schwarzhaarige Mädchen machte ihr Platz und so setzte sie sich guter Laune zwischen die beiden Kinder. „Hier ist es besser, auch schattiger!“, begann die Frau fröhlich, „Ich hätte ja gern geholfen, aber die werten Damen in der Küche lassen mich nicht, ich bin Gast, sagen sie, ich soll nichts tun! Und Genda ist irgendwie auch weg, der ist mit mir nach drinnen gegangen, kam aber nicht mehr mit mir nach draußen – ach, egal, wird schon.“ Yivakavi kicherte doof. Ja, sie kicherte ständig, obwohl sie selten einen Grund dazu hatte. „Weißt du, wovon wir gerade sprachen?“, wollte sie dämlich wissen und zeigte wieder auf die beiden Herren, „Davon, wie komisch es ist, dass die beiden einfach da sitzen und sich unterhalten! Und grinsen dabei!“ Takoda zog scharf die Luft ein. Was redete sie da?! Das sollte sie doch nicht! Hatte er ihr denn nicht gesagt, dass sie das unbedingt für sich behalten musste? Niemand durfte davon etwas wissen. „Was meinst du denn damit?“, gackerte Lilli darauf nur unwissend, „Weil Herr Magafi so ein toller Hecht ist und mein Mann bloß... Imera? So sehr sie ihn auch liebte und respektierte, er war nun einmal ein Idiot und in ein Bild mit dem Herrn aus der großen Stadt wollte er beim besten Willen nicht passen. Wenn es das war, dann konnte sie ihre Schülerin durchaus verstehen. Soweit dachte diese aber gar nicht, Takodas Gesichtsausdruck ebenfalls nicht bemerkend. Und sein Problem war ihr entfallen. „Nein, dass dein Mann Imera ist, ist doch völlig egal! Aber er unterhält sich mit dem Herrn, dessen Frau er heimlich stiehlt, das ist doch lustig!“ Der erbleichende Freund fand das nicht so lustig, ebenso die Lehrerin. Mayora sah aus ein paar Metern Entfernung kaum, was mit den dreien los war. Sein Blick lag auf Yivakavi. Ich habe doch eine Tochter, sie ist hier, weil es ihr hier besser geht, aber ich vermisse sie sehr. Shakki Kaera war ihm in Form einer schönen, beinahe normalen Frau erschienen. Dieses Mädchen war ihr... es war ein komischer Gedanke. Sie war nicht so, wie sie vorgesehen gewesen war... vielleicht, weil sie sein Kind hätte sein sollen und es nicht war. Wer sie stattdessen gezeugt hatte, war ein Mysterium. Es gibt Dinge, bei denen ist es besser, wenn man sie nicht ausspricht. Und zudem ist es irrelevant, es gibt sie, mehr ist nicht zu Wissen . Das war wohl wahr. Wie jedes andere Kind lebte die Erbin der Seherin hier im Dorf... nein, sie war eines der „anderen“ Kindern, bis auf ihren besonderen Geist unterschied sie sich nicht im Geringsten von ihnen. Und das war gut für sie. Er lächelte leicht. Choraly hatte er nichts von seiner Begegnung erzählt, der Einfachheit halber. Außerdem hatte er das Gefühl gehabt, dass es seiner Ex-Freundin peinlich gewesen wäre, hätte er ihre Geschichte vor seiner Frau erwähnt. Das musste ja nicht sein, er hatte ihr wohl genügend angetan. Apropos, wo war seine Gattin denn? -- Seine Gattin bewirtete noch immer die Gäste und war etwas sauer auf ihre Tochter, die einfach an ihr vorbei gerannt war, als sie sie um Hilfe hatte fragen wollen. Die würde natürlich noch etwas zu hören bekommen, einmal davon abgesehen, dass sie doch nicht einfach so in dem Haus herum rennen konnte, wenn niemand bei war. Wobei... ach, ihre Großeltern störte es sicherlich nicht. Allein war sie überdies auch nicht. Ich fürchte ja, sie hat mich falsch verstanden!, hatte Genda bedauernd zu ihr gemeint, Ich will mich einmal in Ruhe mit ihr unterhalten. Dann war sie sicher beleidigt. Dass dieser Kerl nicht ganz so war, wie es gut gewesen wäre, hatte sie bereits gemerkt, wenigstens bemühte er sich um ihr Kind. Schade, als Baby war er so niedlich gewesen. Konnte man seinen Vater eigentlich vermissen, selbst wenn man ihn nie gekannt hatte? „Man könnte meinen, du hättest Nachhilfestunden bei Imeras Tochter genommen.“ „GEH WEG!“ „Die sperrt sich auch immer im Badezimmer ein.“ „HAU AB!“ „Darf ich rein kommen?“ Er legte es nur darauf an, sie zu reizen, so dachte sie sich. Darf ich rein kommen, fragte er, was für eine Unverschämtheit! Sie hätte es doch ihrem Vater sagen sollen, sie wusste es, der hätte ihn erschlagen dafür! Er hatte ihre Lippen beschmutzt, dieser Widerling... Sie quiekte, als sich die Tür plötzlich öffnete und er gelangweilt vor ihr stand, den Eingang wieder verschließend. Moment – das ging doch nicht! „Ich habe abgesperrt mit diesem primitiven Sperrwerk!“, schrie sie ihn an, „Wie hast du es aufbekommen?!“ Er grinste. Sie hatte die Frage doch selbst beantwortet, das Sperrwerk war primitiv, nicht schwer in die Knie zu zwingen. Das war mitunter das Problem der Städter, sie sahen manchmal die Hand vor Augen nicht. „Ich bin doch einsichtig.“, vertrieb er seine immer gleichen Gedanken, „Ich habe deiner Mutter gesagt, ich will mich mit dir unterhalten. Also... lass mich das doch tun.“ Es gefiel ihr nicht, dass er ihr näher kam, so schritt sie rückwärts, bis sie an die nächste Wand stieß. Das Mädchen zischte, erwiderte aber vorerst nichts. Zunächst einmal war sie damit beschäftigt, böse zu ihm nach oben zu schauen, als er direkt vor ihr stand. Genda war groß, sie war klein. So wirkte er gleich viel älter, als er war – er war größer als Samilis Vater, das machte einen seltsamen Eindruck. „Was willst du denn mit mir reden, du ungehobelter Sack?!“, rang sie sich dann doch zu einer Erwiderung hindurch, „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du völlig gestört bist, lass mich in Ruhe!“ Auf ihre Forderung ging er nicht ein, stützte sich mit den Händen neben ihrem Kopf ab und beugte sich etwas zu ihr. Er grinste. „Zuerst rennst du mir wie ein kleiner Hund von Neugierde gepackt hinterher und jetzt, da du alles weißt, willst du mir den Rücken kehren? Oh nein, schlag dir das aus dem Kopf, meine Kleine.“ Mit ihm konnte man nicht spielen, zumindest sie konnte es nicht, denn diese Stellung hatte sie nicht inne. Nein, was man begann, musste man auch zu Ende führen, das schien das verwöhnte Gör noch lernen zu müssen. „Und was willst du jetzt tun?“, giftete sie dennoch weiter, obwohl sie genau ahnte, was er wollte. War wohl doch eine schlechte Idee gewesen, allein weg zu gehen. Nach einer kurzen Pause überraschte man sie. „Hör zu, ich lasse dich in Ruhe.“ Er sah ihr den Unglauben nur so aus den Augen tropfen. So naiv war sie hoffentlich nicht ernsthaft – falls doch, war das irgendwie niedlich. Nicht, dass er davon viel verstand. „Unter einer Bedingung.“, ihre Miene verdunkelte sich zu seinem Amüsement wieder zusehends sehr, „Ich schätze, deine kleinen... Nachforschungen, wie du es bei Imeras Tochter zu nennen gepflegt hast, waren nicht so ertragreich, wie erhofft. So will ich auch nicht zu viel von dir verlangen... einen Kuss und ich verschwinde und alles ist so, wie es war, bevor du mich auf der Straße zu deinem Pech angesprochen hast. Na?“ Er wusste nicht, was ihn so daran reizte, sie dazu zu bekommen. War auch egal, war eben so. Er bekam eben immer, was er wollte, auch wenn Imera ihm oft im Weg stand dabei. Aber der war nicht hier. Zumindest nicht in diesem Raum. Also bedeutungslos. „Du bist so widerlich!“, schnappte Samili da, als er ihr noch etwas näher kam, „Ich finde dich furchtbar! Aber... stehst du zu deinem Wort?“ Innerlich lachte er auf. Sie ging darauf ein! „Selbstverständlich, so viel Ehre erhalte ich mir.“ Sein darauf folgendes Grinsen wirkte leider nicht so freundlich und wohlwollend, wie er es gern gehabt hätte, aber er war sich ohnehin sicher, dass er dieses Mädchen nicht mehr anlügen konnte, dazu hatte er sich zu lange von ihr beobachten lassen. Ihr Interesse verwunderte ihn noch immer. Und sie bereute es. Gleichzeitig war sie heimlich auch stolz, denn er war der erste Mann, der von ihr geküsst werden wollte... ihr Vater hatte Recht, sie wurde echt langsam erwachsen. Irgendwie war es ja aufregend, aber musste es ausgerechnet dieser hässliche Primitivling sein? So groß war die Auswahl nicht. „Ich zähle darauf.“, zischte sie noch, dann streckte sie sich zu ihm und tat ihm den Gefallen. Gefallen nannte er es nicht, als er amüsiert in den planlosen Kuss hinein kicherte. Sie kannte sich nicht aus, also half er ihr, weil er so nett war und zeigte ihr, wie es richtig ging. Da hatte sie doch sogar noch etwas von, schließlich musste auch eine Prinzessin aus der großen Stadt irgendwann lernen, wie es ging. Ja, er war schon ein guter Kerl, was hatten die anderen bloß? Sie löste sich hustend wieder von ihm, errötend aufsehend. „Danke.“, machte er sachlich, „Jetzt hatte ich, was ich wollte.“ Er entfernte sich ein paar Schritte von dem Mädchen und hoffte doch sehr, sich in seinem Blick darauf nicht zu irren – konnte das denn sein? „Oder möchtest du noch einmal?“ Dass sie nicht antwortete, wunderte ihn nicht sonderlich, aber es hob seine Laune gewaltig. Wollte da jemand noch lernen? Ja, wollte. Wo sie beim ersten Kuss mit ihm bloß geschockt und angewidert gewesen war, hatte sie dieses Mal nach der Erkenntnis, dass sie nun eine richtige junge Frau wurde, genauer aufgepasst – und so widerlich dieser Typ auch war, er machte das gut. Dieser Perverse hatte wohl genügend Erfahrung... so genau wollte sie da gar nicht dran denken. Wer wusste schon, wen der bereits alles abgeschleppt hatte, hier im Dorf rannten echt seltsame Frauen herum... Daran wollte sie nicht denken, das war eklig, noch ekliger als die Tatsache, dass sie auf diesen Widerling zutrat und ihn ganz von selbst wieder auf die Lippen küsste. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was der jetzt wohl dachte... aber es gefiel ihr, dieses Gefühl. Seine Lippen waren warm und weich und an sich war er ganz zärtlich, viel mehr, als ihm ein gesunder Mensch zutrauen konnte. Es fühlte sich wirklich nett an... Und so stieß sie ihn auch nicht von sich, als er die Arme um sie legte und seine Hände sie unsittlich am Hintern berührten. Das war wirklich schändlich, aber auch das mochte sie irgendwie... war sie am Ende etwa ein Flittchen? Ihre Mutter hatte Odohri mit sechzehn bekommen, vielleicht vererbte sich so etwas ja... Als sie mutig die Arme um den Nacken des jungen Mannes schlang, beendete dieser den Kuss. Und er lächelte. Es war tatsächlich ein Lächeln, kein Grinsen. Lächelnd sah er schöner aus, fiel ihr auf. Er hätte es öfters tun sollen. „Ich sage jetzt nichts, auch wenn mir genügend Dinge einfallen, die dir diesen Augenblick zerstören würden. Ich bin still.“ Dafür war sie ihm dankbar. Erste Erfahrungen sammeln, nannte sich das, und es war viel aufregender als es klang – sie waren hier im Badezimmer ihrer Großeltern auf dem Geburtstag ihres Onkels, wie absurd! Er küsste sie wieder und sie keuchte erschrocken, als er es dieses Mal mit Zunge tat, das war wiederum neu. Ja, sie mochte neues, sie gab sich Mühe, zu erwidern. Musste sie, sie war eine Magafi. Wenn sie sich nun dumm anstellte, würde dieser Mistkerl sie sicherlich in nächster Zeit vor versammelter Mannschaft bloß stellen, das konnte sie sich auch auf diesem Gebiet nicht erlauben. Sprechen taten sie erst nach endlosen Minuten wieder – es war eine Frage, deren Ausmaß die junge Frau kaum abschätzen konnte. „Willst du weiter machen?“ Sie hielt ihr bereitwillig den Hals entgegen, den er zuvor mit den Lippen berührt hatte. „Ja doch!“, schnaubte sie nur, ohne weiter nachzudenken und er tat ihr den Gefallen... und sich selbst, als er sich bis zu ihrem leider nicht all zu weitem Ausschnitt hervor kämpfte. Er half nach, indem er ihre Bluse einfach ein Stück aufknöpfte und wunderte sich nicht wirklich, als sie darauf erstarrte. Fast hätte sie gefragt, was das wurde, dann erinnerte sie sich an seine Frage zuvor und verkniff es sich doch... oh je. Das durfte wirklich niemals jemand erfahren. „Tu mir nicht weh!“, forderte sie bloß mit dem Stolz einer Magafi und er sah kurz zu ihr auf, nickte ihr dann zu und entkleidete ihren Oberkörper dann komplett, worauf sie rot anlief – und er auch, er war überrascht. So sehr Genda sich auch zurückhielt, dazu musste er nun wirklich etwas sagen. „Hat dir noch niemand gesagt, dass du kein kleines Mädchen mehr bist? Wenn sie Brüste hat, trägt Frau doch BH...“ „Ich habe doch nicht viel!“, konterte die Grünhaarige bloß garstig, höchst verlegen, dass er sie so direkt anstarrte an dieser doch etwas peinlichen Stelle. Konnte er nicht einfach weiter machen? Konnte er scheinbar nicht. „Ich glaube, du misst dich bloß an den Falschen... an Teneri kommt so schnell keine heran, aber das ist nicht wenig, ich kenne mich aus. Und ich habe mich bereits gewundert, warum du so... ansprechend aussiehst, ich wollte dich schon immer einmal... da berühren.“ Und er tat es. Irgendwie hätte er es sich ja denken können, aber er hatte an die Moralvorstellungen der Städter geglaubt... obwohl, kannte er die denn? Vielleicht war die Kleine auch nur ungeahnt pervers, war an sich auch egal, sie ließ ihn jedenfalls gewähren, zog ihn sogar wieder zu sich und küsste ihn auf dem Mund. Er begehrte sie, das machte sie irgendwie stolz. Sie wollte doch sexy sein und die Aufmerksamkeit der werten Herren auf sich lenken... jetzt hoffte sie bloß, dass niemand in nächster Zeit auf Toilette musste. Als sie sich wieder lösten, sah sie ihn ernst an. „Wir machen jetzt weiter.“, bestimmte sie, „Aber pass auf.“ ------------- Sagt mir bitte, wenn hier was mit dem Kuriven nicht geklappt hat óô Yai, das "Serenka rennt in der Gegend herum"-Kapitel! Na ja, dafür bekommt er einen Marken-Spazierstock von Zinca, lol. Ich habe mich gerade über den einen Satz von Uda amüsiert („Irgendwen hat es treffen müssen, Takoda. Sei froh, dass es nichts schlimmeres ist.“). Der Junge wird an dieser Krankheit sterben und sein Vater sagt sowas, der Idiot XD Kapitel 8: Bruch ---------------- Der nächste Morgen hätte so sein sollen wie alle, die die Städter seit ihrer Ankunft in der Wüste erlebt hatten. Hätte. Denn irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Zum einen war Samili doch sehr verändert, als sie mit ihrer Familie am Frühstückstisch saß – das war sie jedoch bereits seit vorangegangenem Abend, wie nach und nach alle bemerkt hatten, als sie viel zu spät zum Essen im Garten erschienen war. Ihre Gesichtsfarbe hatte abwechselnd von leichenblass in tomatenrot gewechselt, sie war unaufmerksam gewesen und hatte ihren Teller kaum angerührt und auch ein paar Stunden später wirkte sie zerstreut und abwesend. Auch Odohri war verwirrt. Teneri hatte ihm doch ziemlich die kalte Schulter gezeigt, so lange er auch versucht hatte, ihr irgendwie näher zu kommen. Egal, was Genda gesagt hatte, er wurde das Gefühl nicht los, dass sie wirklich sehr abgeneigt von ihm war. Korhota seinerseits war äußerst deprimiert, denn Namini mochte ihn noch immer nicht. Anscheinend machte er irgendetwas wirklich sehr falsch, aber was? Man sagte doch, er sei so intelligent, warum konnte er dann keinen Fehler in dem finden, was er tat, obwohl es doch augenscheinlich nicht in Ordnung ging? Er schwor sich, dass sie ihn irgendwann mögen würde... dabei musste er sich wohl oder übel ziemlich beeilen, denn all zu lange würden sie sicherlich nicht mehr hier bleiben, Opa meckerte schon. Das ist wahrlich zu viel für mich, Liebes., hatte er am Vorabend zu seiner Frau gesagt, als sie kurz etwas abseits gewesen waren, In diesem ganzen Ort gibt es wirklich niemanden außer unserer Familie, mit dem ich etwas anzufangen weiß. Dein Neffe Imera ist, mit Verlaub, wirklich strohdumm und versteht von Politik in etwa genau so viel wie ein Sack Mehl, ich bin beschämt, im selben Berufsbereich tätig zu sein wie er! Nicht, dass sein Gemüt mich verwundern würde, Mayora ist ja auch nicht von großer Intelligenz... aber der versucht auch nicht, für ein Dorf zu sorgen! Oma hatte darauf nicht viel zu erwidern gewusst. Sie hatte ihn zum Oberhaupt ernannt und hatte sich auch sicher irgendetwas dabei gedacht – augenscheinlich klappte es ja auch ganz gut, der Ort blühte ja, sofern das in dieser unwirklichen Gegend möglich war, verstand sich. Wobei das mit dem Verstehen ja auch wieder so etwas war, dachte sich der Junge, als er säuerlich in ein Kaliri-Brötchen biss. Er verstand augenscheinlich nichts. Dyami auch nicht, selbst das kleine Mädchen war besorgt und nicht sehr hungrig. Takoda war sehr schlecht gelaunt gewesen und hatte ihr nicht sagen wollen, warum. Das hatte sie sehr traurig gestimmt und sie hatte weinen müssen, denn normalerweise erzählte er ihr alles. Und den Eltern ging es natürlich nicht besser. Ihnen war am Abend zuvor zwar nichts besonderes aufgefallen, aber die Unruhe der Kinder ging natürlich irgendwie auf sie über und so saßen sie sehr unzufrieden und nervös am Frühstückstisch. Serenka seinerseits fand, sein Geburtstag war gar nicht so schlecht gewesen. Seine Mutter hatte sich am Abend noch sehr um ihn bemüht. Vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie zuvor so abweisend gewesen war, an sich war es ihm jedoch gleich, er war glücklich. Im übrigen auch wegen Kirima, dem furchtbar unterwürfigen und vor allen Dingen sympathischen Mädchen aus der Schneiderei. Bis sie nach Hause gemusst hatte, war sie nicht von seiner Seite gewichen. Er fragte sich ernsthaft, warum. So interessant war er nun wirklich nicht – nun gut, in der großen Stadt war er das schon, er war talentiert und anders, das traf natürlich auf Aufmerksamkeit. Das fing da ja schon bei so simplen Dingen wie seiner Haarfarbe an. Hätte er sie nicht von seiner Mutter geerbt gehabt, er hätte sie gehasst, denn dank ihr sah jeder schon von weitem, dass er vermutlich kein normaler Mensch war. Es nervte ihn, nicht ganz so sehr wie das Muttermal auf seiner Wange, aber es nervte wirklich. An letzteres hatte er sich wohl oder übel gewöhnen müssen, aber in der Kinderkrippe hatte man ihn damit immer aufgezogen – das war im übrigen sehr mies gewesen, man hatte den kleinen Spießerkindern beigebracht, ihn und seinen besten Freund nicht wegen ihrer Haar- und Augenfarbe zu ärgern, aber sein Muttermal hatte niemand beachtet. Eine Zeit lang hatte er sogar ein Pflaster darüber getragen, bis Odohri es ihm wütend abgerissen und mit ihm geschimpft hatte, weil er sich doch nicht schämen brauchte. Das brauchte er wirklich nicht, aber auch Jahre später verstimmte es ihn. Irgendwie war das einfach nicht schick und besonders im Gesicht ein wahres Ärgernis. Aber das war nun gleich, er war im Moment völlig zufrieden und glücklich. Wobei sein kleiner Bruder ihm schon ein Dorn im Auge war. Dieser war nämlich außergewöhnlich schlecht gelaunt, viel schlechter, als man es bei dem simplen, zurückgebliebenen Kind zu vermuten vermochte. „Du hast wohl kaum geschlafen.“, stellte Chatgaia seufzend fest, als sie das Frühstück servierte, „Du hättest noch liegen bleiben sollen, das hätte dir gut getan. Die letzte Nacht war zu lang für dich.“ Takoda warf ihr einen beunruhigend finsteren Blick zu, den allerdings bloß sein Vater bemerkte, weil die Grünhaarige ihm wieder den Rücken kehrte. Der Mann verschluckte sich dabei erschrocken an seinem aus der Station geklauten Kaffee – das kannte er nicht. „Für dich sind doch auch einige Nächte zu lang und offensichtlich bist du ebenfalls wach.“ Serenka, der seiner Mutter etwas planlos zur Hand ging, drehte sich schnaubend um. „Das verbitte ich mir aber! Wie sprichst du denn bitte mit unserer ehrenwerten Mutter?!“ Er wollte noch etwas hinzufügen, als er einen vielsagenden Blick von eben dieser bemerkte. Ja, der altbekannte, „Er weiß nicht, was er sagt“-Blick, darauf verkniff er es sich und wandte sich wieder ab, wie stumm befohlen. „Nun, ich weiß, du hörst es nicht gern, aber deine Mutter ist eine gesunde, starke Frau, der es nichts ausmacht, einmal etwas länger auf zu sein, du jedoch bist ein zu meinem Leidwesen sehr krankes Kind, das viel Ruhe braucht – du solltest dich wirklich noch einmal hinlegen.“ Takoda wollte widersprechen. So schlecht fühlte er sich eigentlich gar nicht, aber er wusste, warum die so darauf herum hackten, er sah wirklich furchtbar aus. Man sah ihm seine Gedanken wohl an, irgendwie zumindest, denn sonst würde es seinem armen Papa nun auch so schlecht gehen wie der armen Lilliann am Vorabend. Sie hatte es zwar zu verdrängen versucht, aber es war ihr wirklich kaum gelungen, denn selbst er hatte ihr Unbehagen bemerkt. Wobei es vielleicht auch einfach daran gelegen hatte, dass er wusste, worum es ging. Er hätte Yivakavi dafür töten können! Hatte er natürlich nicht. Er seufzte leise. „Mir geht es gut, ich sehe bloß doof aus, ich denke. Ich lege mich hin, wenn ich merke, dass es schlecht ist, okay?“ Der Mann grinste und sein Gegenüber erwiderte. Ja, er hatte keine Ahnung. Hoffentlich würde er die auch niemals haben, denn auch wenn der Junge nicht der hellste oder schnellste war, dass ihm das weh tun würde, wusste er mit Sicherheit. Und das wollte er nicht. Lilli hatte das auch nicht gewollt. „Dieser Idiot, ich meine, er hat mich keine Sekunde aus den Augen gelassen!“ Teneri schimpfte ausgelassen, während ihr älterer Bruder sie schallend auslachte. Oh ja, die hatte sicherlich Spaß gehabt – nicht so sehr wie er. Überraschend, wie reif die kleine Grünhaarige unter ihren niedlichen Rüschenklamotten schon war. Sie war eine Frau... wenn sie es bis gestern nicht gewesen war, dann hatte er sie nun zu einer gemacht. Es war etwas länger her, dass er sich derart mit einer Dame vergnügt hatte und noch nie war es vorgekommen, dass er der Erste für sie in diesem Bereich gewesen war. Noch seltsamer jedoch, sie hatte es auch noch freiwillig getan. Das hatte ihm gut getan, wer wusste schon, vielleicht ergab sich da ja noch die ein oder andere gute Gelegenheit... so abgeneigt war die Kleine sicherlich auch nicht, die war doch ziemlich abgegangen, dachte er sich. Er hatte gute, wirklich gute Laune... wie sie sich heute wohl fühlen mochte? Hoffentlich besser als die kleine Ziege neben ihm. Namini ihm gegenüber ignorierte das Gezetere ihrer Schwester und aß versonnen ihr Frühstück. Sollte der Idiot sie doch fett nennen, war ihr ja sowas von gleich. Sie fühlte sich total wohl in ihrer Haut, das ließ sie sich von so einem pseudo-intelligenten Idioten nicht nehmen. Ohnehin, was erlaubte der sich denn? Er hatte zwei verschiedene Haarfarben, der Spinner! „Lache sie nicht aus!“, lachte Imera ebenfalls und sprach damit Genda an, den das jedoch herzlich wenig interessierte. Selbst wenn er seinen Fast-Vater ernst genommen hätte, in dieser Situation so oder so nicht, denn der machte doch selbst mit. Das Mädchen schäumte vor Wut. „Ihr Dummköpfe, alle seid ihr gleich!“ Lilliann am anderen Ende des Tisches widersprach ihr stumm. Ihr Blick lag auf ihrem Mann. Er wirkte ganz normal, kaum verändert...fröhlicher. Jiro war immer fröhlich gewesen, bis auf die letzte Zeit seines Lebens, als er in Sorgen zu ertrinken gedroht hatte. Er war ein guter Mann gewesen... vielleicht nicht ganz so hübsch wie Imera und auch nicht viel intelligenter, aber mit einem durch und durch guten Herz. Er wäre immer für sie da gewesen. Aber er war tot und ihr Gatte lebte. Sie wusste nicht, woran es lag, dass sie plötzlich nicht mehr Mayora, der ihren damaligen Verlobten belauscht und verraten hatte, sondern dessen Tante Chatgaia für seinen Tod verantwortlich machte. Vermutlich lag es einfach an dem tiefen Groll, den sie plötzlich tief in ihrem Inneren gegen sie hegte... oh ja, er war gewaltig, er hatte sie kein Auge schließen, sie verstummen lassen und er war ganz über Nacht zu einer Art stummen Hass gegen die ältere Frau, die einst das Dorfoberhaupt gewesen war, gewachsen... und es tat weh. Es tat verdammt weh. Yivakavi mochte intelligent sein, aber im Leben selbst war sie furchtbar dumm... ihre geistige Behinderung ließ sich auf die Dauer nicht schön reden, so sehr sie das Mädchen auch mochte. Sie konnte nichts dafür. Leider log sie nicht. Manchmal verstand sie Dinge falsch, aber sie sprach immer die Wahrheit, so, wie ihre Augen gesehen und ihre Ohren gehört hatten. Und Takoda, dessen Seele nicht normal, aber gesünder war als die des Mädchens, hatte eine ebenfalls eindeutige Reaktion gezeigt. Scham, Wut, Enttäuschung... er hatte es zu verbergen versucht, aber er hatte es nicht geschafft. In diesem Jungen steckte mehr, als man dachte, auch zurückgebliebene Kinder reiften langsam heran und wurden erwachsen, bei dem kleinen Magier schien es bisher äußerst unbemerkt geblieben zu sein. Er war schon lange nicht mehr so klein, dass er nicht verstand, was um ihn herum geschah, sie vermutete, dass ihm dieses Wissen über das schändliche Tun seiner Mutter ähnliche Schmerzen bereitete wie ihr. Den Rest ihrer Familie ignorierend legte die Frau sich eine Hand auf den flachen Bauch. Die Schwangerschaften hatten ihn etwas gezeichnet, aber er war verhältnismäßig schön flach und ansehnlich, was sie eigentlich stolz machte. Aber im Moment tat er weh, diese traurige Vermutung schlug ihr bereits seit Stunden auf den Unterleib... und es wurde immer schlimmer. „Wie dem auch sei.“, riss ihr Mann sie aus ihren Gedanken und lenkte sie kurz vom seelischen und körperlichen Schmerz ab, „Ich muss arbeiten... hat ja nicht jeder frei wie die lieben Schulkinder... oder Genda – sag mal, willst du dir nicht langsam einmal einen Beruf zum erlernen aussuchen?“ Der Angesprochene biss gelangweilt in eine seltsame rote Frucht, die erst seit wenigen Jahren dank der Station in der Nähe angebaut wurde. Die Frage war berechtigt, das wusste er. „Habe ich versucht. Habe ich echt versucht. Ich war bei jedem erdenklichen Idioten und habe freundlich nach Arbeit gefragt, aber irgendwie wollte mich keiner. Das hat mich so dermaßen deprimiert, dass ich mir geschworen habe, niemals in meinem Leben einen Finger krumm zu machen.“ Oder mit anderen Worten, dachte sich Teneri dumm schauend, er war total mies gelaunt und unhöflich bei zwei bis drei Läden angekommen und hatte irgendwo in einem auslegbarem Satz nach einer kleinen Arbeit, bei der man kaum etwas tun musste, gefragt, und war abgelehnt worden... dieser Kerl war einfach unverschämt faul. Er war weder dumm, noch schwach, aber einfach total unwillig, etwas anderes zu tun, als irgendwelche Mädchen zu belästigen, unschuldige Dorfbewohner zu nerven und seiner Familie zur Last zu fallen. Sie fragte sich, ob das nicht unheimlich unbefriedigend war. Wobei... der hatte wohl keine Ansprüche. Der Vater erhob sich. „Na wir werden ja sehen.“, schnappte er, seinem Sohn einen schiefen Blick schenkend, „Du bist mir zu stark und intelligent, um dich dein Leben lang ausruhen zu können... sei unbesorgt, ich finde etwas schönes für dich.“ Er schenkte dem Rest der Familie ein Lächeln und nickte ihnen zum Abschied zu, dann verließ er den Raum und bald darauf das Haus. Genda wollte ihm folgen. Nicht nur aus Langeweile, sondern auch, um ihn zu überwachen... das Lichtbild, das er gefunden und die Worte, die er von seinen Eltern gehört hatte, hatten ihn äußerst nachdenklich gestimmt. Er wollte Gewissheit... irgendwie machte es ihn unruhig, dass eine Möglichkeit bestand, dass das Dorfoberhaupt nicht so das liebe Familienoberhaupt war, wie es immer tat. Es stimmte ihn zu seinem höchsten Entsetzen sogar etwas traurig, denn letzten Endes wusste er, dass es sein Vater war... zwar nicht sein biologischer, aber sein gefühlter. Er hatte sich immer dagegen gesträubt, aber letztendlich war er es gewesen, der ihn aufgezogen, mit ihm gespielt und ihn geliebt hatte. Diese minimale, natürliche Liebe, die er für ihn empfand, verabscheute der Junge an sich zutiefst, aber sie trieb ihn nun dazu, dem Mann zu folgen, hoffend, dass er mit seiner wagen Vermutung falsch lag. Im Flur wurde er noch einmal zurück gehalten. „Genda?“ Er drehte sich um und sah Namini, die ihn leicht errötend ansah. Immer wenn sie so ankam, wollte sie irgendetwas, er kannte doch seine Schwester. So hob er nur eine Braue. „Was willst du?“ Sie senkte den Blick. Sollte sie wirklich fragen? Ja... ja, nur er konnte ihre Frage beantworten, er war schließlich ein junger Mann, der konnte das beurteilen. „Ich... ich wollte wissen, ob du denkst, ich... wäre zu fett. Bin ich zu fett?“ Sie sah deprimiert auf. Genda blinzelte, dann musste er glucksen. Langsam schien sie ja erwachsen zu werden, erstaunlich. Er kniete sich zu ihr und kniff ihr in den speckigen Bauch. „Das denkst du?“, fragte er zurück, „Nun, ich denke, du bist genau so gut, wie du bist. Du wirst einmal eine sehr schöne junge Frau sein, sei unbesorgt. Ich verspreche es dir... soll ich Korhota alle Zähne ausschlagen?“ Ihr Gesicht flammte weiter auf. Zum einen, wegen seiner ungewohnt lieben Worte, zum anderen, weil er anscheinend bemerkt hatte, was sie für ein Problem mit ihrem Cousin hatte. Das war furchtbar, jetzt wusste er ja, warum sie bei ihm angekommen war! „Nein... der hat keine Ahnung, der kann nichts dafür! Ich frage nur so.“, versuchte sie von dem offensichtlichen abzulenken und ihr Bruder grinste breiter. Er war grob und nicht sehr gefühlvoll, doch sie mochte ihn, denn er war nie böse zu ihr gewesen. Dennoch hatte sie auch irgendwie Angst, er schlug oft zu, auch ihre ältere Schwester hatte er bereits geschlagen und auch die hatte sie lieb, so hatte ihr das natürlich nicht gefallen. Doch sie wehrte sich nicht, als er die Arme um sie schloss und sie hoch hob, klammerte sich sogar an ihn und musste irgendwie plötzlich weinen. Ja, sie war traurig... sie war nicht fett! „Wenn du zu schwer wärst, könnte ich dich nicht heben.“, sprach Genda weiter, der sie unbeeindruckt trug, „Wein doch nicht. Du bist wunderschön.“ Er war auch nur ein Mensch. Jeder Mensch hatte irgendwen, den er mochte, ob er wollte, oder nicht. In seinem Fall war diese Person neben seinen Eltern seine jüngste Schwester. Er hatte keine Ahnung, warum, Teneri hatte er immer verabscheut, aber als er Namini zum ersten Mal angesehen hatte, hatte er gewusst, dass er gut zu ihr sein musste. Er hatte es bisher auch nie bereut, sie war niemand, der ihn deshalb für schwach halten würde. Aber seine Zuneigung zu dem kleinen Mädchen war im Moment nur nebensächlich, jetzt musste er sehen, dass er sich an Imeras Fersen heftete. Er sah ihn nicht mehr und einen der Idioten, die gerade vor seinem Haus auf der Straße waren, würde er sicher nicht nach ihm fragen, so verließ er sich einfach auf seinen kaum vorhandenen Instinkt und folgte ihm in die Richtung, in der das Dorfoberhaupt meistens verschwand. Darauf fand er sich bald in einer leeren Nebenstraße wieder. Hier in der Nähe befand sich eine Art Archiv, es war klar, dass der Mann ab und an hier her musste... ob das auch heute so war, wusste Genda nicht, er hoffte es zumindest. Aus ihm unbekannten Gründen bewegte er sich so vorsichtig, als ginge er auf die Jagd und ärgerte sich darüber, als der Sand unter seinen Füßen dennoch aufstaubte. Er war hier scheinbar sehr fein. So kam er zu dem Schluss, dass es gut war, dass er kein Jäger war. Der Junge hoffte bloß, dass sein Vater nicht wollte, dass er diese Fertigkeit erlernte. Einige Tiere wurden zivilisiert in Höfen gehalten, wie das auch in der großen Stadt Brauch war, aber bei vielen Wüstenbewohnern war das einfach nicht möglich... die Hauptaufgabe einer Menge Menschen im Ort war es, Nahrung für den Rest des Dorfes beizuschaffen, indem sie alle möglichen Tiere jagten. Meist Kleinvieh, aber auch das rannte flink weg, wenn man zu grob war, um sich sanft genug zu bewegen, damit kein Sand aufwirbelte. Und das war der junge Mann wohl oder übel. Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es waren Stimmen aus einer noch viel versteckteren Gasse hinter einem verwitterten Holztor zu irgendeiner Art Hinterhof, soweit man den kleinen Platz am Ende des Weges als solchen bezeichnen konnte. Er lauschte. „Dieser Ort ist wirklich furchtbar.“, empörte sich eine Frau, die Genda mit großer Sicherheit als Chatgaia ausmachen konnte, „Es ist stickig und schwül... und furchtbar schmutzig!“ Das Lachen, das darauf folgte, gehörte eindeutig Imera. „Die Dame wurde in der großen Stadt zu sehr verwöhnt!“, stellte er fest, „Aber hier kommt niemand vorbei. Die Bewohner dieses Hauses sind lange tot, sie verstarben dummerweise bei der Flucht an jenem dunklen Tag vor vielen Jahren, dabei wurde ihr Heim verschont... das klingt jetzt sicher dumm, aber irgendwie kann ich dazu nur sagen, Pech gehabt.“ Was darauf war, wusste Genda zunächst nicht, er musste sich strecken, um über das Tor hinweg lugen zu können. Die sehr schöne, an sich aber schon recht alte grünhaarige Frau lehnte sich grinsend an die staubige Wand des einen Hauses, während sein Vater sich mit einem Arm neben ihrem Kopf abstützte und ihren Blick erwiderte. Irgendwie... lüstern. „Tragisch.“, schnappte sie dann, „Aber erzähl mir keine Geschichten. Ich will Takoda nicht umsonst allein gelassen haben... eigentlich müsste alles gut sein, ich habe ihn vor ein neues Puzzle gesetzt, aber sicher bin ich mir nicht, heute morgen war seine Laune extrem schlecht.“ Sie sah nachdenklich etwas zur Seite, in Richtung des Jungen, der sich darauf kurz erschrocken duckte und erst wieder aufsah, als er bemerkte, dass der Blick irgendwo auf dem Boden vor der Abgrenzung ins Leere ging und für ihn keine Gefahr bestand. Imera legte den Kopf etwas schief. „Jahaa...“, kam gedehnt, „Es ist sicher schwer mit einem Kind wie ihm, oder? Ich meine... es tut bestimmt weh...“ Er senkte den Blick und Genda fragte sich, wie man so dumm sein konnte, das so einfach auszusprechen. Wenn er der Vater eines kranken Kindes gewesen wäre, dann hätte er sicherlich keine Interesse an einem solchen Gespräch gehabt – wobei, er hätte es vermutlich auch nicht einfach vor irgendein Spielzeug gesetzt und gehofft, dass es sich nicht beschwerte. Das war doch viel zu einfach. So wunderte es ihn kaum, als sie tatsächlich auf darauf einging. „Die Ärzte im Hospital sagen, er wird vielleicht fünfzehn Jahre alt... Mayora sagt, wenn wir gut auf ihn achten, vielleicht sogar etwas älter. Ich genieße die Zeit mit ihm, so gut es geht... es besorgt mich immer, wenn er nicht gut gelaunt ist... sein kurzes Leben sollte voller Freude sein, nicht?“ Der Mann wusste nichts zu erwidern und auch der Junge wandte sich kurz etwas ab. Fünfzehn? Und wie alt war der Kleine? Zwölf? Das war... grausam... Als er wieder aufsah, hatte er Imeras Nicken verpasst. Chatgaia sprach weiter. „Ich frage mich... wenn du ein solches Kind hättest... wenn du Takodas Vater wärst... was würdest du tun?“ Aus unerfindlichen Gründen errötete sie leicht. Ihr Gegenüber musste nicht lange nachdenken. „Ich würde ihm alle meine Liebe schenken, so lange ich noch die Möglichkeit hätte! Und ich wäre natürlich stolz auf ihn... ich meine, speziell wenn es Takoda wäre – er wirkt so fröhlich und unbeschwert!“ Die Ältere sah ihn gequält an. „Imera, er weiß es nicht. Es würde ihn zerstören, er fürchtet sich doch so schon genug.“ Beinahe hätten ihre Worte Mitleid in Genda geweckt, was wirklich sehr, sehr selten vorkam... besonders lange konnte es jedoch auch dieses Mal nicht halten, als das Dorfoberhaupt sich nach vorne beugte und die hübsche Frau, in deren orangenen Augen sich Tränen gesammelt hatten, zärtlich auf den Mund küsste. Er küsste sie mit einer solche liebevollen, zärtlichen Hingabe, dass man das Gefühl hatte, die Beiden seien ein jahrelang auseinander gerissenes Liebespaar, dass sich gerade eben wiedergefunden hatte. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich schutzsuchend an ihn, während seine Hände zu ihrem Hintern glitten... und wenig später zu ihren Seiten, wo sie am Verschluss ihres Rockes zu nesteln begannen. Das reichte. Einen Moment lang überlegte sich der Junge, ob er das Tor aufreißen und dazwischen stürmen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Er wandte sich ab und verschwand hastigen Schrittes wieder auf die offene Seitenstraße, wo er sich dann selbst gegen eine modrige Mauer lehnte und keuchte. Er wusste, was er wissen musste. Diese widerlichen Ehebrecher taten es tatsächlich... und hatten es während des Besuchs der Städter vermutlich schon einige Male getan. Er fühlte sich so dermaßen im Recht, dass es beinahe schon schmerzte. Er wollte gar kein Recht haben, nicht in diesem Fall! In ihm zog sich etwas zusammen, als er die Augen schloss und sich in seinem Kopf die Szene weiter abspielte... wie er sie auszog, ihren Körper so liebkoste, wie er es nur bei Lilliann tun sollte und sie dann auf dem staubigen Boden nahm... und am Abend würde er fröhlich nach Hause kommen, sich beklagen, wie viel er doch gearbeitet hatte, gut essen, sich baden und danach das Bett mit seiner Frau teilen, während irgendwo ein paar Häuser weiter Maigi unter der Last der doppelten Arbeit zu ersticken drohte. Und sie würde es ähnlich tun... verdammt, sie ließ ihren schwer kranken kleinen Sohn dafür allein?! Das war so widerlich! Er riss die Augen wieder auf. Takoda... dieses furchtbar dumme Kind, das noch viel weniger intelligent war, als Imera, der laut eigener Aussage trotzdem stolz auf ihn gewesen wäre. Vermutlich, weil er selbst kaum schreiben konnte. Das musste es wohl sein. Wie lange trieben die Beiden ihr dreckiges Spiel eigentlich schon?! Er dachte an das abartige Lichtbild, das er gefunden hatte... es war eindeutig ziemlich alt gewesen... vielleicht schon von der Zeit vor dem großen Angriff... ja, danach war die Frau ja in die große Stadt gegangen. Dabei fiel ihm ein, einmal war sie doch wieder zurückgekehrt, um bekannt zu geben, dass sie nun im fernen Land lebte... Er stieß sich von der Wand ab und schwankte ungewollt die Straße in die Richtung entgegengesetzt zu der, aus der er gekommen war. Bei dem Gedanken, der ihm darauf kam, erschauderte er trotz der Hitze. In ihm brodelte es, je länger er seine Vermutung innerlich durchging. Er bemerkte die Leute auf den belebteren Straßen gar nicht, die er nun passierte, gelegentlich rempelte er irgendwen an, um ihn aus Wut umzuwerfen, was eigentlich auch immer ganz gut gelang. Doch Beruhigung verschaffte ihm das nicht, ganz im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, sein Hass immer größer... irgendwem wollte er seine berechtigten Gedanken ins Gesicht schreien. Als jemand ihn ansprach, hätte er es beinahe auch getan, entschloss sich jedoch im nächsten Moment, sich das doch für den nächsten Unglücklichen aufzubewahren, denn es war Yivakavi. „Schon wieder du!“, schimpfte sie, „Und ich habe keine Flasche, ach!“ Die wollte er gerade echt nicht sehen. Ansonsten freute er sich, weil er sie gerne berührte, denn das verrückte Mädchen war mit einem wahrlich wunderschönen Körper gesegnet, doch heute hatte er wirklich überhaupt keine Lust auf sie. „Stecke dir deine dumme Flasche sonst wo hin, du dummes Flittchen! Ich habe keine Zeit für dich, behinderte Ziege. Aber nächstes Mal mache ich dir ein Kindlein, wenn du magst, das kannst du dann so hirnlos erziehen wie du es selbst bist.“ Selbst das geistig kranke Mädchen erstarrte über die doch sehr direkte Aussprache seiner Absichten und schlang einen Moment später schutzsuchend die eigenen Arme um seinen Oberleib. Ein Kindlein? Das war nichts für sie! „Widerlich bist du!“, schrie es aufgelöst und rannte weg. Er ergötzte sich etwas an ihrer Verzweiflung, aber seinen eigenen Hass hatte es nicht gestoppt. Im Gegenteil, er loderte weiter, als ihm wieder einfiel, was ihm zuvor so klar erschienen war mit einem Mal... Das Schicksal meinte es wohl gut mit ihm, denn bald fand er jemanden, den seine Worte sicherlich interessieren würden... bald würde er es auch seiner armen Mutter mitteilen müssen, das war ohnehin seine Pflicht. Oh ja, dann würde sie sehen, dass er all die Jahre lang Recht gehabt hatte und es würde ihr Leid tun, ständig mit ihm geschimpft zu haben, weil er Imera nicht mochte und immer nur nach seinem eigenen, bereits toten Vater verlangt hatte. Er war sich sicher, das Jiro Raatati ein wundervoller Mann gewesen war... seine Mutter sprach selten von ihm. Viel zu selten. „Herr Magafi?“ Er verdrängte die Gedanken an seinen eigenen Erzeuger, als er den Mann entdeckt hatte, der nun verwundert auf- und sich in der Menge umsah, weil er nicht ganz zuordnen konnte, wer da nach ihm verlangt hatte. Der Junge bemühte sich um Höflichkeit – er war gespannt auf seine Reaktion, im besten Fall demonstrierte der Senator aus der weit entfernten Stadt einmal seine Macht... nicht, dass Genda davon Ahnung gehabt hätte, aber es hätte seinen Durst nach Rache sicherlich irgendwie befriedigt. „Hier! Genda Timaro, wir sahen uns mehrmals auf Feierlichkeiten.“ Ihre Blicke fanden sich und der Ältere nickte ihm verwundert zu. An sich stach er gar nicht so sehr aus den ganzen Dorfbewohnern heraus, er sah zwar ordentlich aus, war aber nicht auffällig schick gekleidet, anders als sein Sohn. Irgendwie war der junge Mann froh darum... der hatte wohl auch nicht all zu viel zu tun in der Station, wenn er am Vormittag schon wieder zurückkehren konnte... „Ich erinnere mich.“, sprach er, als sie sich gegenüber standen, „Worum geht es?“ Er schien verwundert über die Aufmerksamkeit des seiner Meinung nach außergewöhnlich hässlichen Jungens, was hatten sie denn bitte miteinander zu tun? Vielleicht wollte er sich ja als Laufbursche bewerben, er passte gut in deren Reihen und war kräftig. Wobei... konnte der überhaupt von dieser unterqualifizierten Berufsgruppe wissen? „Ich stehle Ihnen ungern Ihre Zeit, aber ich befürchte, es wäre besser, wenn wir irgendwo anders hingehen könnten, wo nicht so viele andere Menschen sind.“ Der Mann hob beide Brauen, nickte aber. Normalerweise war es nicht seine Art, sich mit pubertierenden Halbstarken abzugeben, geschweige denn deren törichten Worten ernsthaft zu lauschen, aber der komische Kerl erschien ihm nicht so, als würde er ihn mit Unsinn nerven wollen. Einmal davon abgesehen, dass er an sich in einem Haus voller pubertierenden Halbstarken wohnte. Dyami und Korhota waren vielleicht noch zu klein, um sie als solche zu bezeichnen und Takoda musste man gesondert zählen, aber Odohri, Samili und Serenka waren es definitiv. Besonders letzterer entwickelte sich in eine seltsame Richtung... er musste ihn gut im Auge behalten und vor allen Dingen dafür sorgen, dass er sich endlich von seiner Mutter löste, an der er viel zu sehr hing. Aber das war nun irrelevant, als er sich im Schatten eines Kaliri-Baumes an einer kleinen staubigen Mauer wiederfand, ihm gegenüber der seltsame Kerl namens Genda. Er begann unvermittelt zu sprechen und der Ältere fragte sich einen Augenblick, ob es ein Fehler gewesen war, einfach so mit diesem Trottel zu gehen, als sich dessen Gesicht vor Hass verzog und noch hässlicher wurde, als es ohnehin schon war. „Das wird Ihnen nicht gefallen, Herr Magafi.“, er sprach den Namen mit unüberhörbarem Hohn, der gar nicht seinem Gegenüber galt, „Um es auf den Punkt zu bringen – Ihre Frau ist ein widerliches Flittchen und unser Dorfoberhaupt ein Hurenbock.“ Wie erwartet entgleisten dem ehrenwerten Mann die Gesichtszüge zunächst einmal, ehe er sich wenige Sekunden darauf wieder mit eingeübter Mimik fasste und dem Jüngeren fest in die zu schmalen Schlitzen verengten blauen Augen sah. „Ganz richtig bist du mir vom ersten Moment an nicht erschienen, aber dir sollte klar sein, dass diese Unverschämtheit gegenüber meiner geliebten Frau und deren Neffen, der dein Vater ist, nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.“ Genda lachte kurz auf. „Nennen Sie diesen Widerling niemals wieder meinen Vater! Gesehen habe ich die beiden, wie sie sich berührten, sich begehrten, wie sie nur ihre Ehepartner begehren sollten. Wie sie Sie und meine Mutter hintergangen haben, Herr Magafi.“ Darauf war wieder einmal Stille, bloß ein leichter Wind, der mit einem Mal aufgekommen war, ließ die Blätter des Baumes leise rascheln. Der Junge beobachtete, wie die Fassade, die der Mann als Politiker besitzen musste, ein weiteres Mal zerbröckelte und er ihn aus entgeisterten Augen anstarrte. Normalerweise erfreute er sich an solchen Anblicken, an Menschen, die litten, für die gerade eine Welt zusammen brach... aber in diesem Moment sollte seine sadistische Ader ruhen. Beinahe fühlte er etwas mit ihm, aber das ließ er sich nicht anmerken. „Du weißt, dass du einen Mann wie mich nicht anzulügen hast! Es könnte dich dein Leben kosten!“, schnappte Uda Magafi da mit ungewöhnlich dünner Stimme. Er hatte anscheinend nicht all zu viel geahnt, schien ihn aus welchen Gründen auch immer innerlich jedoch ernst zu nehmen. Wer wusste schon, was die Dame in der großen Stadt bereits getrieben, wie sie mit ihren weiblichen Reizen gespielt hatte? „Damit ich sicher sein kann, dass meine leider schon etwas älteren Ohren all deine Worte richtig verstanden haben; du dichtest meiner Gemahlin eine Affäre mit ihrem eigenen Neffen an?!“ „Ich habe sie gesehen. Mit meinen eigenen Augen. Ich kann Sie in eine Straße in der Nähe führen, wo Sie beide abfangen können.“ „Nun mal langsam!“, der Mann hob wieder etwas sicherer eine Hand. Sein Blick war skeptisch geworden. „Wir sind erst seit wenigen Wochen hier, wie soll es kommen, dass zwei erwachsene, vernünftige Leute, die beide eine Familie haben, sich auf so eine schändliche Beziehung einlassen? Ganz von dem Ehebruch abgesehen, Genda, deine Worte sind widerlich, meine Frau ist seine Tante! In der eigenen Familie verkehren ist schon seit vielen Jahren nicht mehr üblich – bei uns zumindest, aber das weiß Chatgaia auch.“ Der Junge senkte über die berechtigen Zweifel die Brauen. Es war ein Wagnis, was ihm auf der Zunge lag... wenn er sich als falsch erwies, hatte Imera das Recht, ihm letztere abzuschneiden, damit niemals wieder Unsinn seinen Mund verließ. Er wagte es dennoch. „Ich fürchte, dafür habe ich eine Erklärung.“, wieder wehte ein Wind und er kam ihm eisig vor, obwohl das unmöglich war, „Ihre... Liebe, falls es das ist, wurde neu entfacht, als sie sich wieder trafen. Ich denke...“ Es war nicht von Nöten, weiter zu sprechen, Uda Magafi verstand ihn auch so und strich sich kurz durch sein braunes Haar. Er war stolz darauf, dass es noch nicht ergraut war, wo es ihn an sich schon etwas beschämte, in seinem Alter Vater solch junger Söhne zu sein. „Du denkst, bereits bevor sie zu mir kam, waren die beiden... ein Paar? Das mag ich nicht glauben!“ Seine Frau war doch nicht pädophil oder pervers, ganz davon abgesehen, dass das eine noch wesentlich größere Beleidigung für ihn gewesen wäre, als ein einfacher Seitensprung – dann wäre er der Ersatz gewesen, die zweite Wahl... dabei fiel es ihm schon schwer genug, sich damit abzufinden, dass sie nicht zum ersten Mal eine Ehefrau war. Aber damit konnte und musste er leben, mit allem Weiteren... Himmel, diese Schande! Dieses Kind log ihn an! „Ich will meine Gedanken weiter aussprechen.“, machte letzteres da und senkte gegensätzlich zu seinem Ausdruck den Blick, „Es schwirrt mir seit vorhin im Kopf herum und lässt einige Dinge plötzlich furchtbar logisch erscheinen – aber ich weiß nicht, ob es stimmt. Ich weiß nicht, wie das in der großen Stadt ist, bei uns jedoch handelt es sich dabei um die größte Schande überhaupt, deshalb bitte ich zuvor um Erlaubnis, diese zugegebenermaßen wirklich abartige Mutmaßung aussprechen zu dürfen.“ Um diese Erlaubnis hatte Genda niemals zuvor in seinem Leben gebeten, aber in diesem Moment erschien es ihm angebracht. Er hatte sich zuvor auch nie in einer solchen Situation befunden. Der Mann hob zögerlich beide Brauen. Zustimmen tat er letztendlich wohl bloß, damit er nicht schwächer erschien, als er war. Er tat es mit einem einfachen Nicken, verengte darauf selbst die braunen Augen zu schmalen Schlitzen. Der Jüngere sah ihm nicht ins Gesicht. „Es gibt ein Bild... nun ja, vermutlich mehrere Lichtbilder von ihrer Frau im Besitz von Imera. Sie ist darauf... nun ja, so, wie sie Ihnen vorbehalten sein sollte und sie sind in ihrem Wissen gemacht worden. Scheinbar vor ziemlich langer Zeit. Wie dem auch sei, ihre Gattin ist meines Wissens nach noch einmal zurückgekehrt, als Serenka noch ein Baby war und war für einige Tage hier – meiner Meinung nach war sie Ihnen auch damals bereits untreu.“ Aus seinen Augenwinkeln sah er den verwunderten Gesichtsausdruck seines Gegenübers. „Das ist natürlich nicht schön.“, kam dann, „Aber es erscheint mir angesichts der bestehenden Möglichkeit, dass du tatsächlich Recht hast, der Himmel bewahre, doch etwas irrelevant.“ Er glaubte ja immer noch an einen dummen Jungenstreich des Jüngeren, er traute es seiner Frau, die seinetwegen nicht einmal mehr einen großen Ausschnitt trug, einfach nicht zu. Sie war doch sein. Aber angenommen, er sprach die Wahrheit, dann machte es die Sache kaum schändlicher, als sie es ohnehin schon war. „Ich war auch noch nicht fertig.“, erklärte Genda weiter, „Ich kenne Takodas Geburtstag nicht, aber ich glaube zu wissen, dass er zu dieser Zeit irgendwann entstanden sein muss. Er... sieht Ihnen verglichen mit Serenka nicht sehr ähnlich.“ Noch ehe die gerade wieder aufgebaute Fassade ein weiteres Mal brechen konnte, sprach er weiter. Die Worte sprudelten aus seinem Mund wie bei einem Wasserfall und er hörte erst auf, als er merkte, dass es seinem Gegenüber längst klar war. „Je länger man darüber nachdenkt, desto einleuchtender ist alles! Seine niedrige Intelligenz und eingeschränkte Lernfähigkeit zum Beispiel, oder seine Krankheit – auf solche Weise gezeugte Kinder sind meines Wissens nach oft nicht gesund. Aber allem voran sein Äußeres, ich denke da allein an die blauen Augen...“ Uda Magafi erwiderte nichts mehr. Sein Gegenüber sah wieder auf und entschloss sich, nicht mehr weiter zu sprechen. Er hatte verstanden. Es erboste ihn jedoch sehr, als der Herr ihm ohne weiteres den Rücken kehrte und einfach weg ging, ohne ein weiteres Wort. In „seinem“ Haus war es wie immer. Der Senator sah sich ermüdet im Flur um, er hatte das Gefühl, als hätte er zwei Tage lang durchgearbeitet. Dabei waren es bloß wenige Stunden gewesen, aber das unvermittelte Gespräch mit Genda Timaro saß ihm noch tief in den Gliedern. Er wollte ihm nicht glauben... aber irgendetwas in ihm tat es dennoch. Er erschreckte sich etwas, als sich die Haustüre hinter ihm öffnete und seine besagte Ehefrau das Haus betrat. Chatgaia blinzelte überrascht und errötete, als sie den Mann sah. „Du meine Güte! Du bist aber früh dran.“ Sie wirkte etwas erschöpft und tatsächlich nicht mehr so ordentlich zurecht gemacht wie am Morgen... sie bemerkte seine prüfenden Blicke nicht, als sie ihre sandigen Schuhe auszog. „Für jemanden wie mich gibt es in einer niederen Institution wie dieser tollen Station leider nicht all zu viel sinnvolles zu tun und alles was da war, hat mir Choraly gestohlen.“, hörte er sich selbst antworten, als die Grünhaarige kurz in die Stube lugte. „Ah.“, war die halbherzige Antwort, „Sag, hast du Takoda gesehen? Ich habe ihm ein neues Puzzle geschenkt, er hat es gar nicht fertig gemacht, sehe ich gerade.“ Sie schritt wieder an ihm vorbei, dieses Mal in die Küche, um sich nach einem kurzen Blick aus dem Fenster an ein kleines Mittagessen zu machen. „Wobei Serenka mir noch versprochen hatte, etwas kleines mit ihm zu unternehmen... sie sind sicher zusammen unterwegs, ist okay.“ Er hatte dem Inhalt ihrer Worte eben so wenig gelauscht wie sie ihm zuvor, nur wenig war bis zu ihm hindurch gedrungen. Takoda. Etwas zog sich in ihm zusammen. Vielleicht war es sein zerberstender Stolz. Er wollte es wissen. Ohne seine Schuhe ausgezogen zu haben, folgte er ihr, trat neben sie an die Küchenablage und sah sie von der Seite her ernst an. Sie hielt inne und erwiderte seinen Blick. Ihre orangenen Augen waren stolz... es gab nichts wofür sie sich schämten. Sie waren unverschämt! Noch ehe sie sich nach seinem seltsamen Verhalten erkundigen konnte, brach er das Schweigen. „Woher kommt Takoda, Chatgaia? Wer ist dieses Kind?!“ Darauf weiteten sich die ehrerbietenden Augen minimal, kaum merklich, aber es entging ihm nicht. Etwas in ihm begann darauf zu stechen. „Takoda?“, fragte sie mit kaum veränderter Stimme zurück, „Woher kommt er wohl? Aus meinem Unterleib, so, wie alle Kinder aus dem Unterleib ihrer Mütter kommen. Er ist unser Sohn.“ „Ist er das?“ Sie wich einen Schritt zurück, als er ihr näher trat und sie anfunkelte wie ein Raubtier seine Beute. Das kannte sie nicht von ihm... sie erkannte sein Wissen und verweigerte jegliche Reaktion darauf, doch ihre nun etwas trotzig wirkende Fassade fiel anders als bei ihm zuvor nicht. Er legte ihr sanft eine Hand auf die Wange und sie beugte sich seiner Berührung. „Lüge nicht im falschen Augenblick, Frau.“, warnte er sie mit ruhiger, aber zitternder Stimme und als sie den Blick abwandte, wusste er, dass ihr klar war, wovon er sprach. „Takoda ist unser Kind!“, sprach sie dann, „Das Kind von uns beiden!“ Darauf fing sie sich eine schallende Ohrfeige. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr zumindest zu seiner Familie voll und ganz zahmer Mann so etwas tun würde und so stolperte sie unvorbereitet und von ihren Göttern im Stich gelassen und landete unsanft auf dem Hintern, sich den Kopf am Küchentisch anstoßend. Letzteres tat jedoch weitaus weniger weh als ihre pochende Wange und die aufgeplatzte Lippe... und ihre Seele, als Uda Magafi ihr den Rücken kehrte und das Haus verließ. -- Genda war sauer. Er war wirklich sauer. Da machte er sich die Mühe, dem guten Mann die ganze Geschichte zu erzählen und dann bekam er überhaupt keine Rückmeldung! Woher sollte er denn jetzt bitte wissen, ob Imera zum Tode verurteilt wurde oder nicht? Ach, wie er es hasste! Er hatte irgendwie Lust, dem dummen Lockenmädchen seine Unschuld auf grausame Weise zu rauben – das war eigentlich nicht seine Art, aber im Moment wollte er einfach möglichst brutal sein und viel Schaden anrichten... und das würde er auch. Er hielt blöd lachend inne, als die nächsten Magafis, dieses Mal ein sehr genervter Serenka und ein schüchtern lächelnder Takoda, in seiner Sichtweite erschienen. Na super, da würde der alte Mann einmal sehen, was man davon hatte, wenn man ihn einfach so stehen ließ... er war nicht weniger wert als diese dummen Stadtgören... Zärtlich begrüßt wurden die Beiden, die ihn zuvor nicht gesehen hatten, als er dem Älteren der Brüder so fest ins Gesicht schlug, dass er sein Gleichgewicht verlor und in seinen edlen Rüschenklamotten im Sand landete. Er war sogar zu geschockt zum Heulen, als er mit gerötetem Gesicht und dröhnendem Schädel zu ihm aufsah. Der Jüngere schlug sich geschockt beide Hände vor den Mund. „Wo-wofür war die denn bitte?!“, keuchte Serenka da und rappelte sich verwirrt über Himmel und Erde wieder auf, Takoda stützte ihn sofort besorgt . „Bloß zur Begrüßung!“, grinste der Ältere und entblößte einer Reihe kleiner Zähne, unterbrochen von einer unästhetischen Lücke vorn oben, „Ich weiß etwas schönes, wollt ihr es wissen?“ Während sein verletztes Gegenüber zu verwirrt war, um überhaupt irgendetwas konstruktives zu erwidern, weiteten sich die Augen des Kleinsten mit einem Mal bedrohlich. „Nein!“, schnappte er, „Wir möchten nichts hören, ich denke!“ Er versuchte seinen Bruder weg zu ziehen, doch der blieb perplex stehen, als Genda wieder lachte. Er konnte definitiv nicht schön lachen, dem kleinen Jungen standen die Nackenhaare dabei zu Berge. „Ich möchte aber sprechen!“, er hob amüsiert beide Brauen, „Nanu, wie viel weißt du denn? Hast du bloß mitbekommen, dass deine Mutter es fröhlich mit Imera treibt oder weißt du sogar bereits, dass du dessen rechtmäßiger Erbe bist?“ Er sah nicht nur den Angesprochenen, sondern auch Serenka aus seinen Augenwinkeln erbleichen und es erfüllte ihn mit einer angenehmen Wärme, dass er sich so abreagieren konnte. Das brauchte er. Auch wenn er sich kurzzeitig fragte, ob er vielleicht doch etwas unüberlegt gehandelt hatte, als Takoda erbärmlich zu zittern und zu wimmern begann, ohne, dass irgendwer einer seiner Laute als Wort hätte erkennen können. „Wovon redest du?“, mischte sich dann auch der Ältere der beiden Brüder – Halbbrüder – wieder ein und Genda warf ihm einen abschätzenden Blick voller Spott und Hohn zu. Ja, die tollen Städter... „Deine ehrenwerte Mami macht es fröhlich mit ihrem Neffen – nicht erst seit kurzem, sondern bereits seit ewigen Jahren und sie hat mit ihm ein Kind gezeugt, dass durch diesen Leichtsinn mit einer jämmerlichen Krankheit gestraft ist und es ihrem bonzigen Ehemann untergeschoben, in der Hoffnung, es würde niemals auffallen!“ Serenka schüttelte entgeistert den Kopf und sein Gegenüber lachte weiter höhnisch. „Das ist nicht wahr...“, schnappte er, „Das ist einfach nicht wahr! DU LÜGST!“ Er schrie es mit einer solch entsetzlichen Hysterie, dass dem Älteren das Lachen im Hals erstickte und Takoda darauf ebenfalls aufschrie. „Wie kannst du es wagen, meine Familie derart in den Dreck zu ziehen?! Wie kannst du es wagen, zu behaupten, mein Bruder sei nicht vom selben Fleisch wie ich?! Sprich! Sag es mir!“ Als ein ungewöhnlich starker Wind aufkam befürchtete Genda einen Augenblick lang tatsächlich, einen Fehler gemacht zu haben, einen Magier derart auf die Palme zu bringen, dann entschied er jedoch, dass es nichts zu bereuen gab. „Ich kann denken!“, war die amüsierte Antwort so einfach, „Ich habe die beiden gesehen! Ich habe Bilder gesehen, alte Bilder! Und ich sehe das Gesicht meines Vaters in dem deines Bruders!“ Der Grünhaarige starrte ihn aus weit aufgerissenen roten Augen an. In ihnen lag etwas wahnsinniges... er wusste es auch. Er hatte es gerade zur Kenntnis genommen, soweit es ohne Beweise möglich war, aber vielleicht war es ihm im hintersten Bereich seines Kopfes sogar selbst schon einmal aufgefallen. Dennoch schüttelte er den Kopf, ehe er ihn langsam zu dem wimmernden kleinen Jungen umdrehte. Er hätte ihn an diesem Tag nicht mitnehmen dürfen. „Sprich...“, forderte er trotzdem von ihm, „Was weißt du?“ Er erwiderte nichts. Er konnte nichts sagen. Auch er war intelligent genug, um die Worte des Älteren verstehen zu können... und er gab ihnen von Anfang an mehr Wahrheit als Serenka es tat, denn er wusste bereits von dem Tun seiner Mutter. Aber dass er da mit drin steckte... dass er ein Teil, nein, das Resultat davon war, das war ihm neu. Er war krank deswegen... er war krank deswegen! Deswegen war er krank?! Er schrie gellend auf, dann wandte er sich ab und rannte weg. Genda war fast schon irritiert von der heftigen Reaktion der Geschwister auf seine dahergesagten Worte... vielleicht hätten sie ihm nicht einmal geglaubt, wenn der kleine scheinheilige Junge nicht zuvor schon so viel gewusst hätte... er unterbrach seine verwirrten Gedanken, als er mit einem Mal selbst eine Faust im Gesicht spürte und er ungewollt ein paar Schritte zurück stolperte, sich empört an die brennende Stelle fassend. Er hatte kaum Zeit zur Reaktion, da blies der Wind ihn zu Boden und kurz darauf war Serenka über ihn, zog ihn unvermittelt brutal an den braunen Haaren etwas hoch. „Was hast du getan?!“, schrie er wie besessen, „Wie soll ich meine Mutter nach deinen Worten und der eindeutigen Reaktion meines Bruders bitte noch lieben, kannst du mir das sagen?! Wie sollen wir heute Abend nach Hause gehen?! Du hast unser Leben zerstört!“ Er ließ von den Haaren ab und schlug ihn abermals... er wusste gar nicht, wie oft er mit aller Kraft, die deutlich höher war, als man seiner schlanken Gestalt auf den ersten Blick zutraute, in sein Gesicht getroffen hatte, das einzige, was er wusste, war, dass der Ältere ziemlich kämpfen musste, um ihn wieder von sicher herunter zu bekommen und dass der Jüngere sich darauf selbst über sein brutal zugerichtetes Antlitz erschreckte. Genda stand blutend vor ihm. „Ich spreche die Wahrheit!“, keuchte er, „Ich spreche die Wahrheit und das ist der Grund, weshalb ihr mich aus eurer Welt voller Lügen ausstoßt!“ Dann verschwand er. Serenka stand alleine da. Wo war Takoda? -- Genda war zu geschockt, um sauer zu sein. Als würde er träumen schleppte er sich zu seinem eigenen zu Hause zurück, das nach seinem Betreten scheinbar leer war. Niemals im Leben hätte er damit gerechnet, dass dieser kleine Halbstarke es wagte, derart an ihn zu gehen, ihm ernsthaft Schmerzen zu bereiten – das war Wahnsinn! Er betrat sein Zimmer und erschreckte sich, als er seinen Kleiderschrank öffnete... an der Innenseite der Tür war ein kleiner Spiegel angebracht und er zeigte ihm, dass sein Gesicht definitiv so aussah, wie es sich anfühlte. Rot und geschwollen... dieser Spinner hatte ihm ein blaues Auge geschlagen! Das würde in den nächsten Tagen ja klasse aussehen, wie ärgerlich, als ob er nicht schon hässlich genug war. Er erschauderte, als er mit einem Mal bemerkte, dass sein unschönes Antlitz ihm eigentlich mehr ausmachte, als er sich selbst eingestehen wollte. Als Imeras leiblicher Sohn wäre er hübscher gewesen... Er schüttelte kurz den Kopf und nahm sich ein neues Hemd, ehe er den Schrank angewidert wieder schloss und sich umzog. Er wollte ins Badezimmer, sein Gesicht kühlen... wenn er es gleich tat, würde es vielleicht nicht zu widerlich werden. Am Ende ekelte Samili sich noch vor ihm... Er schnaubte. Sie war ein bildschönes Mädchen, er hatte ihr die Unschuld geraubt und sie hatte allem Anschein nach viel Spaß dabei gehabt... aber für eine ernsthafte Beziehung war sie wahrlich ungeeignet. Nein, falsch – er war es. Selbst wenn sie ihn gewollt hätte, er hätte lächerlich ausgesehen neben ihr. Er hatte nie eine Freundin gehabt... Mit einem Mal war er deprimiert und als die Badezimmertür sich als verschlossen erwies, wurde er wieder wütend. „Hallo?!“, schnappte er säuerlich, „Ich müsste da hinein!“ Hoffentlich war es nicht Imera, er würde ihn tot schlagen, wenn er jetzt öffnete. Dieser widerwärtige Mistkerl... wie konnte er seiner Mutter so etwas nur antun?! Nichts regte sich. „Wer ist denn bitte da drin? Hallo?!“ Er rüttelte demonstrativ an dem Holz, ehe er nach unendlichen Momenten endlich seine Antwort erhielt. „Ich... bin es...“ Genda hob beide Brauen bei der schwachen Stimme seiner Mutter. Sie zitterte... etwas schlug in ihm Alarm. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich, während sich seine Wut verflüchtigte und wieder ließ die Reaktion unnatürlich lange auf sich warten. Es beunruhigte ihn. „Ist schon okay... aber du kannst nicht hier rein... ist es dringend?“ Er ging nicht auf ihre Frage ein. „Was ist los? Sprich! Weinst du?“ Sie ahnte sicher bereits etwas... wer wusste schon, weshalb Takoda bereits so viel gewusst hatte? Sie war seine Lehrerin... „Ich weine nicht!“, kam dann, „Aber du... kannst nicht hier herein, das... wäre nicht gut für dich... gib mir Zeit, ich komme schon klar... ich...“ Ihre Stimme erstickte und der Junge öffnete verwirrt seinen Mund ein Stück. Was war das? Das kannte er nicht, das war nicht normal für seine Mutter! „Irgendetwas stimmt nicht mit dir!“, entschied er einfach und als sie ihm nicht öffnete, brach er die Tür mit Gewalt auf. Fast hätte er sich über den darauf folgenden ziehenden Schmerz in seiner Schulter beschwert... aber nur fast. Er erstarrte. Lilliann sah ihn an, als sei er ein Geist. In ihrem Blick lag so vieles... Verzweiflung, Trauer, Unglauben, Verwirrung... Schmerz. Nicht nur seelischer. Sie saß angelehnt an die gegenüberliegende Wand und der Sohn dachte zunächst beim Anblick der zähflüssigen Blutlache vor ihr am Boden, sie hätte sich etwas angetan, aber dem war nicht so, als er ihren unversehrten Körper mit dem Blick überflog. Sein Mund bewegte sich, aber kein Laut verließ seine Kehle, als er sich die rote Flüssigkeit genauer betrachtete... kein normales Blut... schleimig, unrein mit... Brocken... Sein Gesicht wurde bleich, als er an ihr vorbei stürmte und es gerade noch bis zur Toilette schaffte, um sich heftig zu übergeben. Das riss sie wohl aus ihrer Starre... sie sah ihm besorgt nach, ehe sie mit ungewohnt tadelnder Stimme zu ihr sprach. „Sagte ich dir nicht, dass es nichts für deine Augen ist?“ Sie versuchte, sich zu erheben, brach aber bald wieder zusammen, als der Schmerz in ihrem Unterleib wieder bedrohlich zunahm. Sie keuchte. Genda sah sie keuchend wieder kurz an, ehe er das Gesicht wieder wegdrehte. „Was ist das?!“ Woher kam dieses abartige, widerliche Blut... es stank irgendwie in der Hitze des Raumes... er stürzte die wenigen Schritte auf das Fenster zu und riss es weit auf. Seine Mutter schluchzte leise. „Was soll ich antworten?!“, wisperte sie schwach und fuhr in sich zusammen, als der Schmerz weiter wuchs, ihren Unterleib unangenehm zu verbrennen drohte, „Mein Geist weiß es nicht! Er versteht es nicht! Mein Verstand sagt mir, dass es dein Geschwisterchen war...“ Er wandte sich geschockt wieder zu ihr um, wie sie zusammengekauert in der langsam wirklich eklig riechenden Brühe hockte... sie musste schon eine ganze Weile so hier sitzen, dass man das Zeug schon riechen konnte. Er hatte das Bedürfnis, seinen Magen erneut zu entleeren, unterdrückte es jedoch zunächst einmal noch. „Du warst schwanger?“, fragte er tonlos und war zu geschockt um sich zu schämen, als ihm Tränen in die Augen stiegen, „Du hast... es verloren?!“ Sie musste nicht antworten. -------------------- The Drama. Das Kappi ist komplett entstanden, als Linni bei mir war (ja, so unhöflich bin ich). Komische Widerlichkeiten Schuld by Eiszeitbuch. Kapitel 9: Folgen ----------------- Mayora war sauer. Er versuchte es zu unterdrücken, weil seine Töchter mit im Raum waren, aber er war es. Und er wusste nicht einmal genau warum. Er war töricht... aber seine Götter gaben ihm ein flaues Gefühl, sie warnten ihn. Und seine Götter sprachen immer die Wahrheit, so konnte er sein Misstrauen, das in seiner Stimme mitschwang, nicht ganz unterdrücken. „Was suchst du denn hier?“ Seine Frau sah stirnrunzelnd zu ihm. „So begrüßt man Besuch aber nicht.“, sie blickte zu dem blonden jungen Mann, der auf die Frage errötet war, „Kura hatte heute Nachmittag frei und hat mich besucht, wir hatten viel Spaß. Wir haben uns ja schon gut verstanden, als er noch klein gewesen ist, aber jetzt, wo man sogar mit ihm reden kann, muss ich sagen, ist es viel schöner.“ Sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Ihr Gatte verengte die roten Augen zu schmalen Schlitzen. Wir hatten viel Spaß. „Aha.“, schnappte er unfreundlich und hob seine jüngere Tochter Dyami auf, die mit einer Puppe auf dem Boden spielte, um sie väterlich an sich zu drücken, „Hat er denn keine Familie?“ Kura passte es nicht besonders, dass Mayora so von ihm sprach, als sei er nicht da, während er daneben saß. Früher hatten sie sich gut verstanden, heute misstraute er ihm aus irgendwelchen Gründen. „Was denkst du bitte von mir?“, erlaubte er sich in seinem üblichen, sehr leisen, aber verständlichen Ton zu fragen und der Ältere warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Ehe er etwas erwidern konnte, klopfte es an der Tür. Samili erstarrte, als sie öffnete. „Genda...?“ Ein leichter Rotschimmer schlich sich in ihr Gesicht... warum hatte sie sich gleich noch einmal auf einen solchen Kerl eingelassen? Moment, so hässlich war der gestern aber noch nicht gewesen... „Was ist denn mit dir geschehen?“ Er ging nicht auf sie ein, schien sie nicht einmal zu sehen und zwängte sich einfach an ihr vorbei ins Haus. Als er schon beinahe an der Stubentür war, hielt er noch einmal inne und küsste das Mädchen kurz auf die Lippen. „Unwichtig.“, antwortete er da doch noch auf ihre Frage, „Ist dein Vater da?“ Er strich ihr kurz durch ihr grünes Haar und sie erschauderte, nicht nur dank der Berührung, sondern auch wegen des ungewohnt brüchigen und leisen Klangs seiner Stimme. Ihre Götter versetzten sie in Alarmbereitschaft – hier bahnte sich irgendetwas sehr schlechtes an. Sie deutete auf die Tür, durch die er ohnehin hatte gehen wollen. Er nickte und betrat den Raum schnellen Schrittes, sie folgte ihm. Die drei Erwachsenen sahen verwundert auf, als sie den Jungen sahen. Mayora überkam ein ähnliches Gefühl wie seine Tochter und er setzte Dyami wieder ab, ehe er näher an seinen Fast-Neffen trat. „Du hast dich aber ordentlich geprügelt.“, stellte er stirnrunzelnd fest, „Das sollten wir kühlen.“ Sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf und sah ihn gequält an. „Du musst mitkommen.“, seine Stimme war noch schwächer als zuvor, „Meiner Mutter geht es nicht gut.“ Choraly fuhr geschockt auf. Moment, Lilliann? „Was hat sie?!“ Genda antwortete nicht, senkte bloß den Blick und fuhr sich durch sein übel zugerichtetes Gesicht. Er blamierte sich... aber er fühlte sich furchtbar! Er konnte gar nicht sagen, was geschehen war, irgendetwas zog sich dabei zu schmerzhaft in ihm zusammen. Ihm kamen wieder die Bilder vor Augen... dieses schleimige Blut, vermischt mit den Überresten seines Geschwisterchens, das niemals leben würde. Und seine Mutter schwach und verwirrt mittendrin. Verdammt, das verdiente sie doch nicht! „Komm mit!“, forderte er nur energischer und das Paar nickte sich kurz zu. „Ich kann bei den Mädchen bleiben.“, wagte Kura sich ebenfalls besorgt einzumischen und seine Gastgeberin lächelte ihm dankbar zu. Hier würde ihr lieber Ehemann hoffentlich nichts einzuwenden haben. Diese Missgeburt... über sein feindseliges Verhalten musste sie unbedingt noch einmal mit ihm sprechen. Aber nicht jetzt, dazu war nun keine Zeit. Samili ihrerseits war nicht einverstanden. „Ich möchte auch mitkommen!“, beschloss sie und Genda sah kreidebleich zu ihr. „Nein!“ Sein Klang duldete kurzzeitig keine Widerrede und das Mädchen schnaubte. Was bildete der sich denn ein, er hatte ihr überhaupt nichts zu sagen... „Bleib lieber hier.“, stimmte ihr Vater dem Jungen sehr zu ihrem Leidwesen jedoch zu und sie war gezwungen, sich zähneknirschend geschlagen zu geben. Mayora und Choraly blieb das Horrorszenario erspart. Die Badezimmertür war geschlossen, Lilliann gewaschen – ihr Sohn hatte ihr geholfen. Nun lag sie auf dem Rücken in ihrem Bett und starrte die Decke an, während ihr Schwager sie untersuchte. Dessen Frau war mit Genda in der Küche. „Meinst du, sie hat davon gewusst, dass sie ein Baby bekam?“, fragte sie behutsam, während sie sein Gesicht vorsichtig mit einem kalten Lappen abtupfte. Sie war verwundert darüber, wie kindlich dieser Kerl doch noch wirken konnte. Sie erinnerte sich versonnen daran, wie sie mit ihm gespielt hatte, als er selbst noch ein Neugeborenes gewesen war... wie sie ihn gewiegt und irgendwie geliebt hatte. Jetzt war er beinahe erwachsen. Jiros Sohn. „Ja, hat so geklungen.“, antwortete er wieder etwas gefasster, „Aber vielleicht war es besser so.“ Die Frau nahm entsetzt den Lappen weg und starrte ihn an. Wenn er nicht schon so übel zugerichtet gewesen wäre, hätte sie ihm dafür noch eine Ohrfeige verpasst. „Bitte? Das wäre einmal ein Baby geworden, deine Eltern hätte es sicher sehr glücklich gemacht! Liegt dir denn so wenig an deiner Familie?“ Einen Moment später schämte sie sich dafür, den Jungen so angefahren zu haben, hielt es zunächst jedoch für besser, sich nicht zu entschuldigen. Er senkte den Blick. „Nein. Aber wir haben im Moment andere Probleme, noch ein Kind wäre jetzt fehl am Platz, fürchte ich. Zu einer anderen Zeit meinetwegen, auch wenn ich nicht scharf auf noch einen Nachkommen von Imera bin, aber jetzt nicht.“ Er wirkte nicht so, als wollte er weiter darauf eingehen. Choraly legte mitleidig den Kopf etwas schief. Er wusste, wovon er sprach. Sie hatte kein Recht, sich einzumischen... zumindest in diesem Moment, in dem sie noch keine Ahnung hatte, wie tief ihr eigener Familienzweig mit in diesen Problemen steckte. Sie entschloss sich, das Thema zu wechseln. Nicht zu Gendas Vorteil, allerdings. „Was ist denn mit deinem Gesicht geschehen? Du hast dich geprügelt – aber mit wem?“ Er konnte sein linkes Auge kaum noch öffnen, das sah echt heftig aus. Irgendwie passte diese brutale Ader ja zu ihm... aber was sollte sie sonst sagen? „Mit jemandem – ist völlig egal.“ Der würde seine Abreibung schon noch erhalten... oh ja, er würde ihm alle Zähne ausschlagen für diese Schande! Jeder würde ihn auslachen, wenn herauskam, dass es Serenka gewesen war, dessen hysterischem Wutanfall er zu Opfer gefallen war. So eine Hühnerbrust war er gar nicht, er war verdammt stark für seine noch recht geringe Körpergröße. Wenn er erst einmal erwachsen war, würde er ein stattlicher Mann sein, soweit das als Magier möglich war. Da kam er wohl nach seinem Vater... der war Genda zumindest recht kräftig vorgekommen. Ach ja, auf den war er ja auch noch wütend... aber zur Rache hatte er das Zerbersten seiner Familie liebevoll beschleunigt, das hatte der gute Mann nun davon. Mayora war verwirrt. Die Frau hatte sich artig untersuchen lassen, obwohl er das Gefühl gehabt hatte, dass es ihr nicht passte, dass ausgerechnet er das tat, auch wenn sie mittlerweile wieder ziemlich normal miteinander umgingen. Aber sie hatte sich nicht beschwert. Sie hatte kaum gesprochen, bloß deutlich auf seine Fragen geantwortet, wenn er welche gestellt hatte. „Bin ich krank?“, wollte sie zum Schluss dann doch von selbst wissen und er kratzte sich am Kopf. Darüber wunderte er sich. „An sich nicht, nein. Ich meine... ich kann nichts finden. Am Alter liegt es auch wohl kaum, also... was soll ich sagen, versuche es einfach noch einmal!“ Versuche es noch einmal. Dazu hatte sie im Moment gewiss keine Lust. Auch dieses Kind war ein Versehen gewesen... aber sie hatte sich gefreut, als sie es gemerkt hatte. Der Gedanke, wieder ein Baby in den Armen halten zu können, hatte sie unheimlich glücklich gemacht, wo ihre anderen Kinder bereits so groß waren. Sie war gerne Mutter. „Fällt... dir kein Grund ein, was es gewesen sein könnte?“, versuchte sie es abermals und ihr Schwager musterte sie eine Weile, dann wandte er den Blick ab. „Hast du Kummer?“ Choraly war so nett gewesen, das Badezimmer zu reinigen. Ihre Bereitschaft hatte alle Beteiligten überrascht und sie selbst konnte nicht benennen, warum sie der Familie diesen Gefallen tun wollte, aber sie tat es. Als ihr Mann kurz nach Hause gegangen war, um Lilliann Medikamente gegen die Schmerzen zu holen, hatte sich seine Tochter Samili nicht mehr abhalten lassen, auch wenn man ihr den Schock deutlich ansah. Aus irgendeinem Grund hatte sie gemeint, unbedingt mit zu müssen. „Ich möchte gern hier bleiben.“, sprach sie auch zu ihren Eltern, als diese sich wenig später auf machen wollten. Lilli hatte gemeint, sie wollte alleine sein, um sich ordentlich ausruhen zu können. Sie war eine starke Frau. Vermutlich lag ihr weniger an der Ruhe, als an der nötigen Zeit, den ersten Schock zu verarbeiten – sie weinte nicht vor den Augen anderer. Nie. „Ich will auf Teneri warten... ich meine, wir sind Freundinnen und wenn ihr Papa nicht hier ist...“ Ihre Mutter seufzte. Eigentlich gab es ja niemanden, der etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte, aber dennoch. „Na schön.“, seufzte sie, „Aber nerve bitte niemanden. Komm nach Hause, wenn man dich darum bittet.“ Sie nickte. Kurz darauf war sie mit Genda allein. Er saß am Küchentisch und hielt sich noch immer einen nassen Lappen auf sein geschwollenes linkes Augenlied, ohne ihr weitere Beachtung zu schenken. Sie würde ihn vorerst nicht danach fragen... vorerst. Sie war neugierig, irgendwann würde er es ihr sagen, aber im Moment ging es ihm wohl schlecht genug. Sie war nicht wegen ihrer besten Wüstenfreundin geblieben, zumindest nicht nur – sie sorgte sich auch um den Jungen. Dabei hatte sie selbst doch genügend Probleme... dieser Kerl hatte ihr die Jungfräulichkeit gestohlen! Oder zumindest einzureden versuchte sie sich das. Samili hatte es selbst so gewollt in einem plötzlichen, unbekannten Schwall von Hitze in ihrem Unterleib, aber das gehörte sich nicht für ein Mädchen von ihrem Rang, also fiel es ihr auch äußerst schwer, sich das einzugestehen. Es war aber eine Tatsache, er hatte nichts getan, womit sie nicht einverstanden gewesen wäre. Manche Einzelheiten hatte sie im Nachhinein ein wenig bereut, den Großteil schändlich genossen... es war alles genau so gewesen, wie sie es gewünscht hatte. Er hatte sie in einem kleinen Badezimmer auf dem Geburtstag ihres Halbonkels zur Frau gemacht. Das war so... sie wollte nicht wissen, was ihre Eltern wohl mit ihr getan hätten, wenn sie es erfahren hätten. Einmal davon abgesehen schämte sie sich nicht nur der Tatsache selbst, sondern auch des Jungen, der ihre Erster war. Sie kam sich undankbar vor, sich noch immer darüber Gedanken zu machen, dass er überhaupt nicht hübsch war – er war schließlich trotz seines unsympathischen Charakters im großen und ganzen sehr nett zu ihr gewesen. Außerdem konnte er doch nichts dafür... aber dennoch, das war Genda! Sie setzt sich ihm vorsichtig gegenüber, während er mit seinem weitgehend unversehrten Auge die Tischplatte anstarrte. Samili wollte ihm irgendwie helfen... „Willst... du dich vielleicht mit mir unterhalten?“ „Nein.“ Sie verzog das Gesicht beleidigt. Na so eine Überraschung, aber was hätte sie sonst sagen sollen? Er war eben kein Mann der großen Worte... Moment, Mann? Wie alt war er eigentlich? Sie hörte einen Moment in sich hinein und stellte fest, dass ihr das nie jemand gesagt hatte. Sie beschloss, einfach danach zu fragen. Letztendlich half ihm schließlich doch nur Ablenkung, so dachte sie sich. „Wie alt bist du eigentlich?“ Das Mädchen wusste, dass die Frage ziemlich grob in den Raum gestellt war, aber die Regung in seinem ausdruckslosen Gesicht gefiel ihr. „Vierzehn.“, entgegnete er jedoch ohne weiteres, „Bald fünfzehn... ich sehe älter aus, ich weiß.“ Er sah ihren Unglauben und konnte ihn nicht ertragen, also wandte er den Blick von ihrem hübschen Gesicht wieder ab und starrte wieder das Holz unmittelbar vor sich an. Es nagte an ihm... „Ja!“, bestätigte sein Gegenüber ohne böse Absichten darauf, „In der Tat, ich habe dich gedanklich bereits als Mann betitelt, dabei bist du noch ein Junge, wie seltsam!“ Er sagte nichts darauf. Sie schwiegen lange. Hatte sie ihn damit verärgert? Diesen Jungen, der kaum älter war als ihr großer Bruder... Es beruhigte sie ungemein, als Genda irgendwann von selbst begann, wieder zu reden. Er wechselte das Thema. „Meine Schwester kann noch eine ganze Zeit lang auf sich warten lassen.“, gab er zu bedenken, „Sie ist gerne draußen und nutzt es aus, wenn sie schulfrei hat.“ Sein Gegenüber schenkte ihm darauf einen bedeutungsvollen Blick und wenn er Magier gewesen wäre, dann hätten ihm seine Götter in diesem Moment in die Ohren gelacht. Sie wollte bei ihm bleiben, nicht bei Teneri. Er brauchte lange, um das zu begreifen, dann räusperte er sich. „Du törichtes Ding!“, kam dann, „Ich habe dich benutzt und du sorgst dich um mich, ha!“ Er war sich nicht sicher, ob benutzt das richtige Wort dafür war. Sie schien es jedenfalls nicht zu glauben, als sie ihre schmalen Brauen etwas senkte. „Ich hatte meinen Spaß!“, erwiderte sie erstaunlich offen darauf, „Und weshalb ich hier bin, weiß ich irgendwie selbst nicht mehr genau – jedenfalls werde ich mich so schnell nicht vertreiben lassen!“ Es waren seltsame Worte, die ihren Mund verließen. Sie war verwirrt, sie wusste selbst nicht genau, warum sie sie aussprach. Die Reaktion des Jungen war ebenso verwirrend, missfiel ihr jedoch nicht. Er erhob sich und schritt Richtung Flur. „Komm.“, forderte, „Wir gehen jetzt in mein Zimmer.“ -- Serenka hätte vor Erleichterung aufschreien können, als er seinen jüngeren Bruder endlich gefunden hatte. „Takodachen...“, jappste er am Ende und fühlte sich, als müsste er jeden Moment zusammenbrechen, obgleich er eigentlich gar nicht hätte müde sein dürfen. Dennoch kam es ihm so vor, als hätte er den kleinen Jungen stundenlang gesucht. Nun stand er da, regungslos an der seltsamen Klippe, vor der ihre Mutter sie vor nicht all zu langer Zeit einmal gewarnt hatte. Takoda hatte es vermutlich wieder vergessen, er hatte ein sehr, sehr schlechtes Gedächtnis. Die Hoffnung darauf, dass auch Gendas Worte ihm entfallen würden, würde sich jedoch noch als vergebens erweisen. Die Ältere schritt seufzend auf den Anderen zu, fasste ihn von hinten und zog ihn mit sanfter Gewalt etwas zurück. „Du stehst zu dicht am Abgrund.“, erklärte er sein Tun und der kleine Bruder senkte sein Haupt tief. „Ja.“, bestätigte er dann, „Das tue ich.“ Einen Moment geschah nichts, dann sah er mit verheultem Gesicht auf. Sein Gegenüber zuckte leicht zusammen, er weinte nicht oft. Wobei er in diesem Moment alles Recht dazu hatte. Er verfügte über mehr Verstand, als man ihm zutraute. „Was tun wir jetzt, Serenka?“, sprach der Kleine da weiter, „Ich meine... hast du mich überhaupt noch lieb? Du... hattest mich nie lieb, ich denke.“ Er wandte sich schluchzend ab, entfernte sich ein paar Schritte und kehrte seinem Bruder den Rücken. Letzterer sah ihm entsetzt nach. Was sagte er da? „Ich... was?“, erst nach einigen Augenblicken verstand er die Worte, „Nun einmal langsam, bittesehr!“ Es erschütterte ihn etwas, dass der Jüngere tatsächlich dachte, er würde ihn nicht mögen und mit einem Mal biss ihn sein Gewissen. Serenka liebte, vergötterte ihre Mutter, oder hatte es zumindest getan. Aber Takoda bekam mehr Aufmerksamkeit als er, denn er war krank. Er hatte es nie ganz geschafft, damit klar zu kommen, seine Eifersucht beschämte ihn, aber er konnte sie nicht verdrängen. Das alles hatte jedoch nichts mit gern haben oder nicht zu tun. Er folgte ihm schnaubend die wenigen Schritte und drehte das nun weinende Kind abermals zu sich um. „Du sprichst Unsinn! Ich liebe dich und habe dich immer geliebt, du bist mein Bruder, egal, was geschieht.“, er zwang sich zu einem Lächeln, „Was wir tun, liegt auf der Hand., wir gehen schlicht nach Hause und schauen einmal, wie es da so aussieht. Genda spricht viel, wenn der Tag lang ist, wer weiß, vielleicht ist es ja nur halb so schlimm, wie es klingt?“ Das war möglich, aber Takoda glaubte es nicht. Er konnte es nicht, es klang einfach zu einleuchtend, wenn selbst er es verstehen konnte. Im Gegenteil, es hätte ihm viel früher auffallen müssen, er hatte doch einen Spiegel, er wusste doch, wie er aussah! Nicht ein einziges Haar hatte er mit Uda Magafi gemeinsam, während sein Gesicht mit dem von Imera beinahe identisch war! Wie idiotisch, warum war da nie jemand drauf gekommen? Er erschauderte. Der Ältere nahm ihn an der Hand. „Komm.“, forderte er, „Wir wollen nun nachsehen, was unsere Eltern dazu sagen, einverstanden?“ Zuhause war bloß Chatgaia. Sie saß am Küchentisch und sah nicht auf, als ihre beiden Söhne den Raum betraten. Instinktiv wusste sie, was als nächstes geschehen würde – dazu musste sie keine Seherin sein. Ihr angeschwollenes Gesicht verbarg sie hinter einer Haarsträhne. „Hallo Mama.“, begrüßte Serenka sie zunächst einmal und allein an seinem Ton erkannte sie, dass er es wusste, „Vorhin sind Takoda und meine Wenigkeit auf Genda Timaro getroffen... nun ja. Er hat ziemlich harte Worte über dich verloren und dir gar schreckliche Dinge unterstellt. Ich glaube nicht, dass sie wahr sind, bei allen Göttern, aber für den Fall, dass sie stimmen – hat er Recht?“ Er sprach absichtlich nicht aus, worum es sich genau handelte. Es war eine Art Test an die Frau, die er am meisten liebte. Er hoffte, sie würde ihn nicht enttäuschen. Er hoffte, sie würde „Welche Dinge?“ fragen. Sie tat es nicht. „Wie er es formuliert hat, weiß ich nicht. Ich will es auch nicht wissen.“, erwiderte sie stattdessen, ohne eines der Kinder dabei anzusehen oder sich überhaupt irgendwie zu regen, „Eine eindeutige Antwort kann ich euch nicht geben. Es ist gut möglich. Es ist... wahrscheinlicher, als dass alles so ist, wie es sein sollte. Ich bin im Fehler. Mehr müsst ihr nicht fragen, denn mehr weiß ich nicht.“ Einen Moment lang regte sich nichts, dann fasste Serenka seinem kleinen Bruder sachte an die Schulter. Als dieser daraufhin aufsah, erkannte er in den roten Augen eine gewisse Strenge, die er ansonsten nur von seinem Vater kannte... nein, dem Mann seiner Mutter. Er hatte ihre Antwort nicht ganz verstanden, wenn er ehrlich war, und war so in erster Linie etwas überfordert, was den Schock und das sich langsam bildende Verständnis für diese fatale Situation kurzzeitig überdeckte. „Geh jetzt in dein Zimmer.“, verlangte der Ältere da, „Rasch! Ich schaue nachher nach dir.“ Er konnte nicht anders, als zu gehorchen, denn dem strengen Blick von Uda Magafi konnten sich bloß die Wenigsten widersetzen. Wo er wohl war...? Serenka wartete, bis er hörte, dass sich die Zimmertür seines kleinen Bruders schloss. „Wo ist Vater?“ „Weg.“ „Kommt er wieder?“ „Wenn er möchte.“ Sie beachtete ihn kaum. Er kam sich vor wie ein kleines Kind, dass seine Eltern bereits stundenlang mit irgendwelchem Spielen genervt hatte und nun nur noch teilnahmslose, erzwungene Halb-Aufmerksamkeit bekam. Er schnaubte leise. Konnte sie sich das im Moment wirklich erlauben...? „Du betrügst ihn wirklich?“ „So nennt man das.“ „Warum?!“ „...“ Sie saß starr da, trotz ihrer Verletzung und ihrer Schande stolzer und schöner denn je, doch damit betörte sie ihren älteren Sohn nun nicht mehr. Er liebte sie von ganzem Herzen... aber seinen Vater liebte er auch. „Und Takoda ist wahrscheinlich... mein Halbbruder?“ „So sieht es aus.“ Serenka ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass die Knöchel weiß hervor traten. Unmerklich spannte er seinen kompletten Körper an. Diese törichte Frau... „Nun gut.“, er gab nicht auf und versuchte mit bebender Stimme weiter, sie aus ihrer aufgesetzten Ignoranz zu ziehen, „Du betrügst deinen Mann mit deinem Neffen, schiebst ihm ein Kind von ersterem unter, das vermutlich dank der schmutzigen Verbindung seiner Eltern todkrank ist und als es aufgedeckt wird, ist es dir völlig gleich, wohin dein rechtmäßiger Gatte verschwindet und was dein behinderter kleiner Sohn davon denkt? Wunderbar. Ich bin beeindruckt.“ Sie rührte sich minimal, belohnt seinen Einsatz mit einem beinahe gelangweilten Blick. Ihre Frage darauf brachte seinen Geduldsfaden zum reißen. „Warum erzählst du mir Dinge, die ich selbst längst weiß, kleiner Junge?“ Hätte er in diesem Moment nicht gesehen, dass ihr schönes Gesicht verletzt war, dann hätte er sie vielleicht geschlagen. Er war im Nachhinein froh, es nicht getan zu haben, denn dazu hatte er nicht das Recht, aber wäre sein Vater ihm nicht zuvor gekommen, dann hätte er es sicherlich getan. „Und dann sitzt du hier?!“, schrie er sie an, „Tu etwas! Suche deinen Mann! Tröste deinen Sohn! Entschuldige dich! TU ETWAS!“ Er hatte das Gefühl, sie ärgerte ihn mit Absicht, als das einzige, was sie darauf tat, ein leichtes Schulterzucken war. Dann erhob sie sich tatsächlich, machte aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen, sondern begab sich an die Küchenzeile, um das angefangene Essen fertig zu machen. „Und was würde das bringen?“ Sie schnitt seelenruhig Gemüse, wie sie es in letzter Zeit oft getan hatte, als sei nichts geschehen. Heimlich war sie gespannt auf seine Antwort, ließ es sich aber nicht anmerken. Was konnte sie schon tun? Takoda töten? Es gab nun einmal Dinge, die man nicht wieder rückgängig machen konnte. Dass sie nach ihrer erneuten Ankunft in der Wüste wieder dem Verlangen nach dem jüngeren Mann erlegen war, war ein großer Fehler gewesen, dass man es heraus gefunden hatte, war eben dumm gelaufen. Aber sie konnte es nun nicht mehr ändern. Takoda würde ihren Trost nicht wollen... er sollte sich ausruhen und dann abwarten, was aus seiner Familie wurde. Es würde sich sicher eine Lösung finden, das würde der größte Trost für das nun sicherlich sehr verwirrte Kind sein. Es würde alles wieder in Ordnung kommen – musste, allein wegen der Gesundheit des Jungen... die Uda Magafi an sich egal sein konnte. Aber ihre Götter sagten ihr, dass sie das nicht war und nie sein würde. Was ihr Ehemann nun weiter tun wollte, lag bei ihm. Sie hoffte, er setzte sich nicht in die nächstbeste Flugmaschine und ließ sie alle hier, ohne noch ein Wort mit ihr zu wechseln... aber selbst, wenn er das tat, war es sein Recht. Jedoch musste er zumindest Serenkas Vater bleiben, denn dessen Erzeuger war er ohne Zweifel. Sie zur Frau würde er ohnehin nicht mehr wollen. Seine Schande war zu groß. Aber es schmerzte sie trotzdem... Sie bemerkte, dass der Junge langsam auf sie zutrat. Selbst, wenn sie nicht darauf geachtete hätte, hätte sie es seinem bedachten Gang zu Trotz gehört, denn er hatte seine hochhakigen Schuhe nicht ausgezogen. Er mochte solche Fußbekleidung, weil er dank ihr neben seinen Klassenkameraden nicht so winzig wirkte, aber das war nun nebensächlich. Sie ließ sich von ihm mit sanfter Gewalt umdrehen, worauf sein hübsches Gesicht, das dem seines Vaters so ähnlich sah, direkt vor ihrem war. Er war ihr unangenehm nah, aber die Absichten in seinen roten Augen erschlossen sich ihr nicht. „Und was würde das bringen?“, wiederholte er dann ihre Worte von zuvor erstaunlich leise und brüchig, „Du hättest eine Chance darauf gehabt, meine Liebe nicht völlig zu verlieren.“ Er wandte sich ab und schritt zur Tür. „Die Zeit, in der du meine Mutter warst, war wundervoll.“ Dann verschwand er. -- Imera war vollkommen ahnungslos. Er betrat sein Haus, als es dämmerte, wie jeden Tag. Es war still, doch bereits vor der Küchentür wurde er abgefangen. Obwohl er nicht der Hellste war, war er verunsichert, als seine älteste Tochter, wie auch sein gefühlter Sohn den selben Gesichtsausdruck hatten, wo sie sonst nur selten einer Meinung waren. Verwundert nickte er ihnen zu und entledigte sich seiner Schuhe, ehe er sich ihnen entgegenstellte. „Guten Abend.“, machte er, sich keine Mühe gebend, seine Verwunderung zu verstecken und registrierte am Rande, dass es anders als sonst zu dieser Zeit nicht nach Essen roch. Irgendetwas war hier doch faul... „Wir müssen reden.“, knurrte Genda darauf nur und Teneris rosa-rote Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Der Mann erschauderte. „Okay...“, kam dann gedehnt, „Setzen wir uns?“ Wieder ging der Jüngere nicht darauf ein. „Ich habe dich gesehen.“, sprach er es ohne Zögern aus und seine kleine Schwester erschauderte kurz, ließ sich ansonsten aber nichts weiter anmerken. Sie wäre froh gewesen, wenn Samili hätte bleiben können, aber Genda war der Meinung gewesen, dass man das im engen Familienkreis klären sollte und so hatte er sie, nachdem sie sich sehr lange in seinem Zimmer unterhalten hatten, nach Hause geschickt. Sie schienen sich nun besser zu verstehen, was die junge Frau verwunderte, aber nicht stören sollte. Je mehr Frieden es im Moment um sie herum gab, desto besser. Wie immer war das Dorfoberhaupt im Geiste nicht besonders schnell. „Gesehen? Ich... sehe dich auch...“ Der Jüngere schnaubte verächtlich, als der den verwunderte Blick bemerkte, der nun sein Gesicht genau musterte. Ja, verdammt, er war von einem kleinen Jungen in Rüschenklamotten verprügelt worden, als ob es im Moment nichts wichtigeres gegeben hätte, Himmel... „Schalte ein einziges Mal in deinem Leben dein Hirn ein!“, verlangte er genervt, „Ich habe euch gesehen! Dich... und deine Tante. In dieser komischen kleinen Gasse. Und ich kenne ihr Geheimnis – ich wette, du hast es nicht kapiert, obwohl es reichlich offensichtlich war, nicht?“ Dem Mann klappte die Kinnlade herunter. Teneri wandte sich ernüchtert ab. Wie hatte er das tun können? Wie hatte er ihnen das antun können? Ihre Mutter hatte es geahnt! Deswegen war ihr Baby jetzt tot! Die Enttäuschung ließ irgendetwas in ihrem Inneren zerbrechen. Es... tat weh. „Wie...?“, keuchte Imera nur und erbleichte. Er hatte ihn gesehen? Toll, nun wusste er, warum er die ganze Zeit über ein so mulmiges Gefühl gehabt hatte! Als Sohn einer Himmelsblüterin war er den Göttern nicht so fern wie andere Menschen es waren... man hatte ihn vorwarnen wollen... und er war zu taub gewesen. Lächerlich. Er war und blieb nun einmal ein Idiot. „Ja, wie!“, fuhr Genda ihn an und seine Stimme wurde unwillkürlich lauter. Er riss sich bereits mit aller Macht zusammen. Er wollte sich auf ihn stürzen und ihn töten für seine Taten! Aber er tat es nicht. In Absprache mit der älteren seiner Schwestern hatte er schließlich doch entschieden, diese „Sache“ mit Takoda nicht ihre Mutter wissen zu lassen... das wäre unnötig gewesen und hätte das Ganze bloß noch schwieriger gemacht. Sie litt im Moment ohnehin genug. „Wie habe ich mich auch gefragt!“, machte der Junge da weiter, „Wie konntest du nur?! Wie konntest du uns alle verraten?! Du bist das Dorfoberhaupt! Der Mann meiner Mutter! Unser Vater! Warum?!“ Es dauerte etwas, bis Imera antwortete. Er hielt zunächst den Blick gesenkt, erschauderte und ballte seine Hände zu Fäusten. Dann sah er mit einem unbeschreiblichen Ausdruck zu den Kindern auf. Beinahe stolz... aber voller Reue. „Weil ich ein widerlicher, unvernünftiger Idiot bin.“ Er machte sich nicht die Mühe, irgendwelche Ausreden zu erfinden. Spontan war er darin ohnehin nie gut gewesen, einmal davon abgesehen dass er sich sein letztes bisschen hart erkämpfte Würde erhalten wollte, indem er zu seinen Taten stand. Das hatte er verdient... eine gerechte Strafe für seine Dummheiten. Aber seine arme Familie doch nicht... Dabei war er sich so sicher gewesen, über seine schöne Tante hinweg zu sein. Er hatte sich auf sie gefreut, rein im familiären Sinne und dann hatte sie plötzlich vor ihm gestanden und hatte ihn mit ihrer bloßen Anwesenheit bereits irgendwie erregt. Er schämte sich dessen zutiefst, würde aber alle Konsequenzen tragen. Zu hoffen blieb nur, dass Lilliann ihm nicht all zu wütend sein würde... das würde sie. Nein, zu hoffen war eher, dass sie ihm wieder verzeihen konnte... Das würde sie können, dachte sich unterdessen die Frau, die von innen an die Schlafzimmertüre lehnte und dem Gespräch lauschte. Die Kinder dachten, sie würde schlafen... das tat sie nicht. Aber es musste alles wieder in Ordnung kommen... sie vertrug keinen Unfrieden in der Familie im Moment. Ihre Liebe zu Imera war gigantisch... aber ihr Vertrauen kaum noch vorhanden. Er würde es sich wieder erkämpfen müssen. Aber so lang er das tat und es ihm nicht einfach egal war, war es nur halb so schlimm, so versuchte sie es sich, einzureden. „Schön, dass du das selbst weißt!“, sprach nun Teneri weiter, ihn aus nassen Augen ansehend. Nass, aber stark. Es waren die Augen einer Kämpferin. „Aber was willst du jetzt tun? Und vor allen Dingen, weißt du denn von dem, was dir Chatgaia laut Genda hat mitteilen wollen?!“ Der Mann hob seine Brauen leicht, wandte sich wieder dem Jungen zu, der vor Wut zitterte und sich auf seine Unterlippe biss. Da hatte er wohl etwas missverstanden. „Chatgaia hat mir deiner Meinung etwas sagen wollen? Und du weißt, was es ist?! Das verwundert mich.“ Er war ehrlich, auch wenn er arroganter klang, als er gewollt hatte. Arrogant zu sein konnte er sich im Moment wahrlich nicht erlauben. Eine kalte Schauer überkam ihn, als es ihm langsam dämmerte, was seine Situation alles bedeuten konnte... „Sollte es eigentlich nicht!“, antwortete man ihm da, „Deine Dummheit solltest du eigentlich kennen, aber nun gut, ich helfe dir. Deine tolle Tante hat Takoda angesprochen... sie hat dich gefragt, was du tun würdest, wenn er dein Sohn wäre... hat dich das nicht stutzig gemacht?!“ Augenscheinlich nicht. Der Mann schüttelte irritiert den Kopf. Er erinnerte sich in der Tat an diese Frage... und auch später hatte sie noch ein paar Mal von ihrem jüngeren Sohn gesprochen, so wie bisher bei fast jedem Treffen getan hatte. Was war schon dabei? „Sie spricht öfters von dem Kleinen.“, entgegnete er so auch ehrlich ahnungslos und beide Kinder warfen sich zeitgleich den selben genervten Blick zu, ehe Genda ihn über den Sachverhalt aufklärte. Er sollte es wissen! „Deine Schlampe war hier zu der Zeit, als er gezeugt wurde! Ihr habt ihn gemacht, deshalb ist er krank! Takoda ist dein Sohn, Imera!“ Noch ehe der Mann darauf etwas erwidern konnte, öffnete sich die Schlafzimmertür. Lillianns Gesicht war bleich, als sie ihrem Gatten entgegentrat. Sie hatte es gehört. Genda schlug sich eine Hand vor den Mund – augenscheinlich war er zu laut gewesen. Vor Anspannung begann er zu zittern, denn so sehr er seinen Ziehvater auch verabscheute, er wollte nicht dafür verantwortlich sein, wenn seine Mutter sich von ihm trennte. Das Paar hatte immerhin zwei Töchter hervorgebracht, die darunter sehr leiden würden. Es wäre eine Schande gewesen. Es würde eine sein. „Hast... du das gewusst?“, fragte die Frau leise und zur Überraschung aller Anwesenden begann sie zu lächeln, „Das... das freut mich! Während ich heute ein Kind verloren habe, hast du dennoch eines gewonnen... dann muss ich mich auch nicht so... schuldig fühlen...“ Imera wusste nicht, was er erwidern sollte. Kind verloren? Gewonnen? Takoda?! Träumte er. „Mama... hatte eine Fehlgeburt...“, half Teneri ihm kleinlaut, die Situation zumindest im Ansatz zu verstehen und erschauderte, „Ich glaube... weil du sie traurig gemacht hast.“ „Nein!“, widersprach ihre Mutter ihr noch immer apathisch lächelnd, „Alles ist gut so. Dein Vater hat einen Sohn... ich habe ihm nie einen schenken können... einen Erben. Für mich ist kein Platz...“ Sie taumelte an ihm vorbei und aus der Tür hinaus. Genda wollte ihr zunächst folgen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Irgendetwas sagte ihm, dass sie zurückkehren würde, wohlbehalten, denn sie war stark. Und so hielt er geistesgegenwärtig auch Imera zurück, der ihr in seiner grenzenlosen Dummheit einfach nachstürzen wollte. -- Serenka war verzweifelt. Beinahe grob strich er durch das Haar seines kleinen Bruders, während dieser apathisch starrend und flach atmend in seinem Bett lag und sich seit Stunden nicht mehr gerührt hatte. Fast hätte er einen Anfall bekommen... Der Ältere seufzte erschüttert. Als kleiner Junge hatte Takoda immer mal wieder solche Krankheitsanfälle gehabt, es war ein grausames Bild gewesen, wie das Kind zusammengebrochen war, die Augen verdreht hatte. Wie seine Glieder wahllos gezuckt hatten und er nicht mehr atmen hatte können. Mayora und seine Kollegen hatten in dieser Zeit fieberhaft nach Medikamenten gesucht, die dieses Leiden, das in Stresssituationen auftrat, vermeiden zu können oder zumindest die Häufigkeit des Auftretens zu lindern und waren recht erfolgreich gewesen. So hatte der ältere Bruder ihm sofort, als er bemerkt hatte, dass sich etwas in dieser Richtung ankündigte, Medizin eingeflößt und so wohl auch gerettet... er erschauderte. Leute wie der Kleine starben unbehandelt beim Eintritt in die Pubertät. Takoda hatte diesen bereits knapp hinter sich und war so recht alt für einen Betroffenen und durch seine gute ärztliche Versorgung hatte man ihm ein noch höheres Alter prophezeit, dennoch konnte er nicht mehr das aushalten, was er fünf Jahre zuvor noch vergleichsweise leicht hatte einstecken können. Einen Anfall in seinem Alter hätte ihn töten können... Serenka schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass er dem Jüngeren aller Wahrscheinlichkeit nach gerade das Leben gerettet hatte. Das war alles so fürchterlich... Er erschreckte sich, als er die leise, brüchige Stimme des Kleinen vernahm. „Was... wird jetzt aus mir?“, wollte er wissen, ohne sich jedoch weiter zu regen. Er sah den Älteren nicht an, zeigte kein Zeichen der Besserung. Der Bruder dachte nach. Einen Moment lang fragte er sich selbst, ob diese Frage berechtigt gewesen war oder nicht. Er versuchte, zu antworten. „Du sorgst dich zu sehr. Alles wird gut, wir lieben dich.“ Er wartete kurz, dann musste er lächeln. Der Atem klang mit einem Mal etwas ruhiger, das Kind entspannter... noch während der große Bruder gesprochen hatte, war er eingeschlafen. Seltsam. Aber es war gut, denn so lange er schlief, war die Gefahr, dass ihm etwas zustieße, gering. Und bei der Menge an Medikamenten tat er ersteres meist gut... -- Ein leichter Wind fuhr unaufhörlich über die unendliche öde Landschaft hinweg. Das war schon immer so gewesen... Lilliann fragte sich, ob es überhaupt jemals eine Zeit gegeben hatte, in der ihre Heimat anders ausgesehen hatte. Freundlich, vielleicht? Ihre Hände lagen auf ihrem noch immer schmerzendem Unterleib. Durch Mayoras Medikamente war es erträglich geworden, doch sie gehörte noch immer ins Bett. Ihre Fehlgeburt war erst wenige Stunden her, was sie tat, war Irrsinn. Aber es war ihr egal. Sie senkte den Blick auf die sehr simple steinerne Platte am Boden vor ihr. Viele waren auf dem einsamen Gelände um sie herum verteilt, es war gepflastert damit, aber die Meisten waren kaum noch zu erkennen, denn der Wind trug den Staub der nahen Wüste über das Ödland und versteckte diese letzten Erinnerungen. Doch die vor ihren Füßen war etwas besonderes. Die Frau verengte ihre blauen Augen leicht. In den traditionellen Zeichen war der Name ihres Verlobten darauf eingemeißelt. Jiro Raatati. Nicht nur ihrem Gesundheitszustand ging ihr Handeln zum Trotz, es war auch ein Regelverstoß. Laut der Tradition war das Betreten des Friedhofes den Lebenden nur dann erlaubt, wenn sie einem Verstorbenen hier die letzte Ehre erweisen wollten, ansonsten brauchten die sterblichen Überreste absolute Ruhe. So lange auch nur ein einziger Teil des Körpers unter dem Boden darauf wartete, von der Wüstenerde für immer verschluckt zu werden, so lange konnte auch seine Seele zurückgerufen werden – also auch noch viele Jahre nach dem Tod, denn Knochen hielten bekanntlich oft noch lang. Körper verstarben niemals ohne Grund und so verstand es sich von selbst, dass die Geister nie wieder in ihre Hüllen zurückkehren konnten. Stattdessen wurden sie durch die Störung der Lebenden bei ihrem weiten Weg durch Raum und Zeit aufgehalten... wenn es zu oft geschah, konnten sie ihn gelegentlich überhaupt nicht mehr fortsetzen und so zu bösen Windgeistern werden, die bis zum Ende in der Welt gefangen waren, in der sie zuletzt geboren worden waren. Das war schlecht für die Sterblichen und traurig für die Toten. Lilliann war sich dessen bewusst und sie fürchtete sich davor, dennoch hatte irgendetwas sie hierher getrieben. Sie hatte zu Jiro gemusst. Auf dem Weg hierher hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie hier erwartet wurde. Sie hatte damit gerechnet, dass er hier stand und sich grinsend zu ihr umdrehte, um sie dann zu fragen, warum sie ihn so lange hatte warten lassen. Aber nichts war gewesen. Der Ort der letzten Ewigkeit war still und einsam und dennoch hatte sie den verstaubten Stein, der die Stelle markierte, an der der damals junge Mann begraben worden war, sofort gefunden. Nun stand sie da und fühlte sich beobachtet, von hunderten Augenpaaren längst vergangener Generationen, die sehr wütend waren über ihr törichtes Handeln. „Ich sollte nicht hier sein.“, bekannte sie leise, aber verständlich, „Aber ich habe zu dir gemusst, Jiro.“ Er antwortete ihr nicht. Genauso wie viele Jahre zuvor, wenn sie ihn in Gedanken angesprochen hatte. Ihr letzter gemeinsamer Abend war furchtbar lange her. Längst hätte sie vergessen gehabt, wie seine Stimme geklungen hatte, währe die Gendas der seines Vaters nicht so ähnlich gewesen. „Weißt du, was geschehen ist?“, redete sie nach einer Weile einfach weiter, als sie sich damit abgefunden hatte, keine Reaktion zu erhalten, „Ich wage es nicht auszusprechen. Wenn es einen Tag gibt, der mit seiner Abartigkeit an deinen Todestag heran reicht, dann war er heute. Ich... bin verzweifelt... hilf mir doch!“ Er half ihr nicht. Sie stand da. Ein heftiger Wind ließ sie erschaudern. Die Sonne war noch nicht hinter den Dünen verschwunden, noch konnte kein Hauch in der ganzen Oase kühl sein... sie wusste, was es bedeutete. Hier gehörst du nicht hin. Geh weg. Als Nicht-Magierin bildete sie sich diese Worte letztendlich bloß ein, doch es erschreckte sie und machte sie wütend. Die Frau ballte ihre Hände verkrampft zu Fäusten, während sie gegen ihre Tränen kämpfte. Nicht einmal im Angesicht längst vergangener Leben wollte sie sich diese Blöße geben, denn auch von Geistern ließ sie sich nicht verspotten! „Du hilfst mir nicht, Jiro!“, schrie sie wütend, „Du Feigling! Du hast mich allein gelassen mit Genda, wegen dir geht es mir an diesem Tag so schlecht!“ Auf Lillis Lippen lag noch so viel mehr, was sie dem längst toten Mann sagen wollte, aber ihr erschloss sich mit einem Mal, wie unsinnig das doch war. Allein, ihn als Mann zu bezeichnen... er war sechzehn Jahre alt gewesen, als sein Leben geendet hatte, fast noch ein Junge. Sie war mittlerweile beinahe eine Frau mittleren Alters. Beinahe. Sie schnappte nach Luft und wandte sich ab, um den verbotenen Ort zu verlassen. -- Die nächsten Tage vergingen wie in einem Traum. Imera war ein Fremder in seinem Haus, während seine Familie ihm geisterhaft erschien. Lediglich Namini schenkte ihm ab und an scheue liebevolle Blicke, die er nur schwach erwidern konnte. In Mayoras Haus bekam man davon nicht viel mit. Samili besuchte oft Teneri, so sagte sie, und jedes Mal fragte sie im Namen ihrer Eltern nach, ob Lilliann Besuch wollte, doch immer wieder kam zurück, dass ihr Ruhe im Augenblick ausreichte, sie sich aber sehr über die Bemühungen freute. Dass sie irgendwo die Wahrheit sprach, ließen die Götter des Wassers den grünhaarigen Mann wissen und so ließen er und seine Frau seine Schwägerin zunächst einmal in Ruhe. Irritierender war dabei schon, dass Uda Magafi mit einem Mal unsagbar viel Arbeit in der Station gefunden hatte, wie es schien. Er war bereits vor seiner Tochter dort und blieb noch, wenn sie längst heim gegangen war... und hatte scheinbar irre viel zu tun, denn er hatte nicht die Zeit, Choraly zu erklären, was los war. Auch der Rest der Familie war unauffindbar, von Odohri wussten sie jedoch, dass es daran lag, dass sie sich im Moment sehr um Takoda kümmern mussten, dem die Hitze scheinbar doch zu schaffen machte. Der Junge hatte seinem besten Freund sofort angeboten, seinen Vater vorbei zu schicken, aber der hatte dankend abgelehnt und gemeint, sie hätten alles im Griff. Wirklich glauben tat er ihm das aber nicht, er meldete sich nicht mehr und hatte ihn nicht einmal ins Haus gelassen, als er nach ihm hatte sehen wollen. Irgendwann in nächster Zeit würde er ihn noch einmal besuchen... Er ahnte nicht, dass Serenka genügend mit seiner zerbrochenen Familie zu kämpfen hatte und mit seiner Besorgnis nur wenig anfangen konnte. Takoda kam nicht mehr aus dem Bett, mit seiner Mutter wollte er nicht mehr sprechen und sein Vater war nicht da... es war wirklich furchtbar. Nicht einmal das bemerkte er in den Bemühungen, in denen er steckte, bis der Morgen kam, der ihn aus seinem verschwommenem Traum riss. Er saß gerade am Tisch und würgte sich ein trockenes Kaliri-Brot hinunter, als es geschah. Wie jeden Morgen hatte Chatgaia ihm ein Frühstück vorbereitet, das in der Wüste nicht besser sein konnte, doch er rührte es nicht an. In seinen ganzen Bemühungen um seinen Bruder hatte er nicht vergessen, wie sehr diese Frau ihn verletzt hatte. So versorgte er sich mehr schlecht als recht selbst... immerhin hatte er so herausgefunden, warum es ganz praktisch sein konnte, zumindest so selbstständig zu sein, dass man sich allein anziehen konnte. An diesem Morgen endete jedenfalls seine Einsamkeit, obgleich er sich sein Kaliri-Brot noch länger weiter selbst machen musste. Ganz unverhofft und unangekündigt öffnete sich mit einem Mal die Haustüre und die Person die darauf eintrat war niemand geringeres als Uda Magafi, der zunächst einmal inne hielt, nachdem er hinter sich geschlossen hatte. Serenka wäre beinahe das Essen wieder aus dem Mund gefallen. Er war zurückgekommen? Spielten ihm seine Sinne jetzt schon einen Streich? Die Reaktion seiner Mutter, die ihrem Mann verwirrt ein paar Schritte entgegen schritt, ließ ihn diesen Gedanken jedoch schnell wieder vergessen. Unmerklich verkrampfte er sich. „Wie geht es deinem Gesicht?“, wollte der Mann von ihr wissen und sie brauchte zunächst einen Augenblick, um die Situation zu registrieren und schließlich zu antworten. „Ich spüre kaum noch Schmerz darin, danke...“ Sie sahen sich einige Zeit lang bloß stumm in die Augen. Ihren immer nervöser werdenden Sohn ignorierten sie dabei. Erst als der Mann bemerkte, dass sein Gegenüber zum Sprechen ansetzen wollte, wandte er den Blick demonstrativ von ihr ab und seiner Hand zu, in der er eine selbst gepflückte, aber hübsche Blume hielt. Sie sollte nichts sagen, sie sollte sich ihre Worte sparen. Ihre Taten waren nicht zu entschuldigen, für so etwas brauchte er keine Erklärung, im Gegenteil, so wenige Informationen wie möglich waren am angenehmsten, denn so konnte man leichter vergessen. Genau so wie erhofft blieb Chatgaia stumm, so dachte er sich. In Wahrheit hatten ihre Götter sie dezent darauf hingewiesen... „Es war ein Fehler, dich zu schlagen.“, sprach er so weiter, „Das ist nicht mein Recht und obendrein vollkommen unehrenhaft. Ich hoffe, du nimmst diese Blume an und lässt mich wieder in deinem Haus wohnen...“ Dass sie ihn eigentlich nie herausgeworfen hatte, wunderte die Frau noch am wenigsten. Verwirrt nahm sie die kleine Pflanze entgegen und konnte es sich dann doch nicht verkneifen, auf das wirkliche Thema zurück zu kommen. „Du kehrst einfach so zurück?“, wunderte sie sich, „Was... was wird aus uns? Und Takodachen?“ Uda Magafi lächelte leicht. Nicht einmal die Feuergötter schienen zu bemerken, dass es kein ganz ehrliches Lächeln war. Er hatte viel nachgedacht. „Eine überflüssige Frage!“, entgegnete er, „Ich werde darüber hinweg sehen. Sprich nicht mehr davon – nie wieder und in der Stadt doppelt nicht, es würde mich den letzten kümmerlichen Rest meines Rufes kosten. So jedoch kann ich damit leben.“ Einen Moment hielt er inne, dann begann er tatsächlich zu lachen. „Und Takoda? Denkst du, ich lasse mir meinen Sohn, den ich geliebt und aufgezogen habe, von einem Deppen stehlen, der nicht einmal weiß, was ein Rat ist? Ich bitte dich!“ -- Daraufhin hatte Serenka in seiner unendlich Erleichterung wieder das Haus verlassen. Die Entscheidung seines Vaters verwunderte ihn extrem – er hatte ihn anders eingeschätzt... Doch für die Allgemeinheit war es um so besser. Ein Senatoren-Ehepaar musste schließlich eine gewisse Vorbildfunktion für die Bevölkerung tragen... und ihn freute es. Es war schließlich seine Familie, um die es ging. Er wusste nicht, ob er es ertragen hätte, wenn seine Eltern sich wirklich getrennt hätten. Mit einem Mal fand er sich mitten im Dorf wieder. Seine Gedanken hatten ihn blind hierher getragen und nun fragte er sich, was das wohl zu bedeuten hatte. Ablenkung wird dir gut tun. Er nickte der Stimme in seinem Kopf unmerklich zu. Sie hatte Recht, zu sehr hatte er sich eingespannt, zu schmerzhaft war die Situation gewesen. Sein Herz schickte ihn zu Odohri, doch er hielt nach wenigen Schritten in Richtung des Hauses seines besten Freundes wieder inne. Er würde schwach werden. Er würde ihm alles erzählen, was niemals seinen Mund verlassen durfte. Das ging nicht, am Ende hätte er damit die zerbrechliche Beziehung zwischen seinen Eltern zerstört. Ein Seufzen entwich seiner Kehle. Aber er brauchte jemandem zum Reden, jemanden, dem er nicht nah genug stand, als dass er Gefahr laufen würde, das falsche Thema anzusprechen, mit dem er aber immerhin vertraut genug war, um sich in seiner Gegenwart zu entspannen. Ihm fiel jemand ein. „Ich weiß nicht, ob ich es gut oder schlecht finden soll, dass du nicht wegen Kleidung hier bist... gut ist, dass ich dir dann keine neue machen muss, dein Stil ist echt aufwendig... und schlecht... nun ja. Die Treppe einfach nach oben, wenn mein Vater dich nervt, stoße ihn selbige herunter.“ Auf diese Aufforderung würde er sicher nicht zurückkommen, dennoch nickte er und betrat den Wohnbereich des Schneiderhauses. Er war Tafaye sehr dankbar, dass er ihn so einfach zu seiner schüchternen Tochter ließ... Als er unverzüglich auf diese traf, reagierte sie ganz, wie er es sich vorgestellt hatte. Er musste leicht lächeln, als sie geschockt nach Luft schnappte und errötete. „Serenka!“, keuchte sie seinen Namen, „Was... warum...?“ Der Junge seufzte etwas verlegen. Er wusste nichts gescheites zum antworten. „Es gibt nichts, wonach es sich zu fragen lohnen würde. Ich bin einfach so hier, ohne bestimmten Grund.“ Nun erbleichte sie. „Meinetwegen?“, erriet sie und nun war er es, dem das Blut etwas in das Gesicht stieg. Er wusste nicht einmal genau weshalb, vielleicht, weil es bei Jungs und Mädchen in ihrem Alter seltsam wirkte, wenn sie sich gegenseitig besuchten... zumindest in der Stadt, eigentlich hatte er angenommen, dass es in der Wüste einfacher damit war. Aber einfach war hier überhaupt nichts. „Du bist eine sehr nette junge Frau.“, zwang er sich dann zur Antwort, „Ich hatte den Gedanken, wenn meine Füße mich schon einmal in diese Gegend getragen haben, dann könnte ich dir doch auch die Ehre eines Besuches erweisen.“ Sie schien einen Moment äußerst verblüfft zu sein, dann erstrahlte sie. „Ich habe wieder Kuchen gemacht!“, verkündete sie fröhlich, „Setzen wir uns in die Küche?“ „Die Früchte, aus denen du diesen, so muss ich mir eingestehen, äußerst köstlichen Kuchen gemacht hast, nennt man Äpfel. Erstaunlich, dass so etwas hier wächst.“ Kirima lauschte ihrem Gegenüber gespannt. Sie konnte es gar nicht glauben – Serenka Magafi besuchte sie freiwillig, bloß, weil er sie nett fand. War das denn gerecht? Sie fühlte sich mit einem Mal wieder wie ein kleines Mädchen. Einer derart edlen Person entgegen zu sitzen, machte sie unheimlich stolz. Er war wahrlich ein richtiger Prinz... „Dieses Obst gibt es auch erst seit wenigen Jahren...“, entgegnete sie so leise und er nickte... er hatte sich gedacht, dass diese Dinge nicht von selbst hier wachsen konnten. Vermutlich hatte irgendwer von der Station sie hier eingeschleppt. Ihn sollte es nicht stören, er mochte Äpfel, obgleich es eher Früchte für die untere Schicht waren. Wobei der Kuchen dafür wirklich zu gut war... „Du warst heute nicht in der Schule. Und gestern auch nicht.“ Er sah das Mädchen verwundert an. „Woher weißt du das?“ Sie selbst hatte doch bereits ausgelernt, wie konnte sie dann von seiner Abwesenheit wissen? Er blinzelte. Da fiel ihm gerade auf, dass sie wohl doch etwas älter sein musste als er... und etwas größer als er war sie auch, obgleich es durch seine Schuhe kaum auffiel. „Wenn du zur Schule gehst und von dort wieder nach Hause, musst du an der Schneiderei vorbei... ich habe aus dem Fenster gesehen. Ich wollte dich hallo sagen.“ Kirima errötete wieder und begann gedankenverloren an einer ihrer sehr langen, beinahe weißen Haarsträhnen zu spielen. Er lächelte. „Du bist ein sehr freundlicher Mensch.“, stellte er richtig fest, „Deine Mühen und Aufmerksamkeit ehrt mich im höchsten Maße, um ehrlich zu sein, und diese Worte bekommen mit Verlaub nur die wenigsten von mir zu hören.“ Sie schien wirklich sehr bemüht um ihn zu sein. Es faszinierte ihn, so etwas kannte er in der Stadt nicht. Alle Leute, die dort um ihn bemüht waren, waren mit ihm verwandt oder wurden dafür bezahlt. Es freute ihn wirklich, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben... irgendwie kam ihm plötzlich, dass ein Abschied von ihr sicher schmerzhaft sein würde, obgleich sie bisher nie sonderlich viel miteinander zu tun gehabt hatten. Sie war immer so verlegen, das war... niedlich... „Diese Worte verdiene ich auch gar nicht, so fürchte ich!“, wisperte sie da auch mit flammendem Gesicht und und gluckste unwillkürlich. Durch ihr außergewöhnlich helles Haar erschien ihr Gesicht noch roter, als es eigentlich war. „Du bist eine ganz... bemerkenswerte Person! Du kommst aus der großen Stadt und obwohl ich nichts über sie weiß, verbindet mich etwas damit, denn ich bin auch in einer geboren... Fides, das sagt dir sicher etwas? Außerdem... habe ich schon immer einmal einen echten Prinzen kennen lernen wollen...“ Sie senkte den Blick. Serenkas Grinsen verschwand, als ihm etwas einfiel. Diese Frage spukte ihm schon länger im Kopf herum... „Ja, Fides ist eine sehr große Stadt, genau so wie Wakawariwa... Es geht mich zwar nichts an, aber du scheinst mir eine interessante Geschichte zu haben. Du wurdest in der zivilisierten Welt geboren, lebst aber nun bei deinem Vater in einem winzigen Wüstendorf und übst die Arbeit einer Schneiderin aus, obgleich deine Hände viel zu zart für diesen Beruf sind. Ich nehme an, die Schlüsselfigur ist deine Mutter... was ist mit ihr geschehen?“ Er hoffte bloß, ihr damit nicht zu nahe getreten zu sein, aber ihre Art zu leben irritierte ihn. Dieses Haus war doch kein Ort für ein Mädchen wie sie... er hatte Mitleid mit ihr gehabt, keine Mutter zu haben musste grausam sein. Dabei hatte er seine eigene von sich gestoßen... aber sie hatte ihm auch das Herz gebrochen. Sie hatte es verdient. Kirima lächelte ihr Feenlächeln. „Meine Mutter verstarb, als ich noch ein Baby gewesen bin. Ich weiß ebenso wenig über sie, wie Genda über seinen Vater weiß. Sie war eine Frau aus einer kleinen Stadt in Mon'dany, hatte blondes Haar, blaue Augen und war ziemlich groß. Und hatte angeblich einen ganz anderen Charakter als ich... mehr kann ich dir nicht über sie erzählen.“, sie senkte kurz den Blick, ehe sie weiter sprach, „Ich habe meinen Papa nie nach ihr gefragt. Ich glaube, sie hat ihn sehr schlimm verletzt... ich möchte keine alten Wunden aufreißen. Jedoch...“ Sie sah wieder zu ihm auf, lächelnd. Ihm war die Fröhlichkeit etwas vergangen, weil er es so traurig fand, dass sie so wenig über die Frau wusste, die sie geboren hatte, doch sie wechselte schnell das Thema. „Du findest meine Hände zu zart für diesen Beruf? Das verstehe ich nicht, wir alle müssen doch arbeiten, selbst deine adlige, wohlhabende Familie tut es, wenn ich nicht irre.“ Sie kicherte und er hob kurz beide Brauen. Ihr Lachen erstickte im Hals, als er über den Tisch nach ihren in der Tat sehr zierlichen, weiblichen Händen griff und sie in seine nahm, sie prüfend musternd. „Total verstochen!“ „Was?“, sie keuchte, erneut aufflammend. Er sah ihr wieder in die Augen, sie weiter haltend. „So bezaubernd die Kleidung auch ist, die du in deiner Leidenschaft für die Kunst des Nähens herstellst, so sehr leiden deine hübschen Finger darunter! Natürlich arbeiten auch wir, aber keine Frau mit solchen Händen wie du muss diese in meinen Kreisen in selbigem Ausmaß wie du benutzen oder besser... abnutzen!“ Sie war erstarrt und einen Augenblick lang fragte er sich irritiert, ob sie ihm überhaupt gelauscht hatte, dann verstand er, was mit ihr los war, und fror selbst etwas ein. Irgendwann räusperte er sich kurz, das war alles, was in den nächsten Sekunden geschah. Der Junge dachte nach. Ihm kam Yivakavi in den Sinn, die vor ihm irgendwie zugegeben hatte, dass sie in Takoda verliebt war. Eine seltsame Liebe zwischen zwei seltsamen, kranken Menschen... Er war nicht krank. Aber er hatte sich darüber geärgert, dass sein kleiner Bruder seinen ersten richtigen Kuss noch vor ihm hatte erleben dürfen. Im Moment gab es nichts, worum er den Jungen beneidete... im Moment war er ihm kurzzeitig beinahe egal. Nur in diesem Moment. Kirima war nett zu ihm... sie sah ihm nach... sie lächelte ihn an und errötete dann... nein, so dumm war er nicht mehr, mit einem Mal kam ihm ein sehr einleuchtender Gedanke. Selbst mit hochrotem Gesicht beugte er sich etwas über den Tisch. Die Tatsache, dass die geliebten Rüschen an seinen beiden Ärmeln in den übrig gebliebenen Krümeln seines Kuchenstücks landeten, war ihm mit einem Mal gleich. Sie kam ihm etwas entgegen, damit sie sich erreichen konnten. Einen Moment zögerten beide, dann lächelte er und versuchte sich schüchtern daran, zum ersten Mal in seinem Leben ein Mädchen zu küssen. Er mochte das warme Gefühl darauf, ihre scheuen Lippen, die seine sanft berührten und ihr angenehmer Duft nach irgendeiner Seife, die es nur hier gab. Das war eine wahrlich gute Ablenkung... -- Lilliann wollte keine Ablenkung. Sie war an diesem Morgen ungeahnt beschäftigt. Sie hatte sich in den vergangenen Tagen zurückgezogen und nachgedacht. Immerzu waren ihre Gedanken zu Jiro gewandert, zu Jiro, den sie noch immer liebte, den sie nie aufgehört hatte zu lieben und dem sie hätte treu bleiben müssen, obgleich sie sehr glücklich um das Leben ihrer Töchter gestimmt war. Sie liebte ihre Mädchen natürlich über alles. Hoffentlich würden sie klar kommen, sie musste noch mit beiden sprechen, fiel ihr ein, als sie einen Großteil ihrer Klamotten in eine Tasche packte. So oft hatte sie an Jiro gedacht... so oft hatte sie ihm fragen gestellt. Sie lächelte. Und er hatte ihr geantwortet. In der vorangegangenen Nacht, als sie schlaflos und mit so viel Abstand wie möglich neben Imera gelegen hatte, der ebenfalls wach gewesen war. Er schlief seit vielen Nächten nicht mehr, ebenso wie sie. Doch kurzzeitig war sie eingedöst, sicher, damit die Geister sie einfache Menschenfrau in ihren Träumen erreichen konnten, so dachte sie sich. Jiro hatte sie erreicht. Mein dummes Mädchen, hatte er gesagt und den Kopf geschüttelt, Was hast du dir nur dabei gedacht? Das tut dir nicht gut! Sie hatte ihn nicht ganz verstanden, aber nachfragen gekonnt hatte sie auch nicht. Ihr geliebter Jiro. Du solltest dahin gehen, wo du auch wirklich hingehörst. Und wo war das? Wo hatte sie sich wohlgefühlt? Sie lächelte, als sie an die Zeit dachte, in der sie mit ihrem Verlobten, Tai und deren Mutter zusammen gelebt hatte. Sie war glücklich gewesen. Tainini war wie eine Schwester für sie. Bei ihrer Schwester war immer Platz. Zufrieden seufzend schloss sie die Tasche, nachdem sie noch ein Lichtbild von ihrem Liebsten hinzu gelegt hatte. ------------------------ Jiro hat nicht wirklich mit ihr gesprochen XD Die Figur in ihrem Traum hat ihr nur das gesagt, was sie selbst hat hören wollen ^^' Kapitel 10: Verstand -------------------- „Ihr stört nicht... keinen von uns. Bleibt so lange ihr wollt. Oder es für euch nötig ist, wie auch immer.“ Maigi seufzte und lehnte sich betrübt gegen seine Küchenzeile, während er zu Lilliann sah, die leicht lächelnd neben seiner eigenen Frau am Küchentisch saß. „Und ich bin auch nicht im Weg?“ Semiry schüttelte leicht den Kopf, während sein Cousin ihn fragend anschielte. Sie würden sich ein Zimmer teilen – zwar war noch eines frei, aber das sollte Lillis Eigentum werden. Zumindest für die nächste Zeit. Genda war es egal, für wie lang, so lange sie niemandem auf den Geist gingen. Wobei... wenn er sich das Zimmer mit jemandem teilen musste, konnte er natürlich keinen Besuch mitbringen. Das war sehr schade... in der letzten Zeit hatte er viel Besuch gehabt... manchmal mehrmals am Tag und selbst dann hatte es ihm zum Teil nicht gereicht und er war selbst zum Besucher geworden. Er würde sie vermissen... aber ihre Tür stand ihm offen, hatte sie ihm gesagt. Tainini stützte traurig den Kopf auf den Händen ab. „Es... tut mir so furchtbar Leid, was geschehen ist. Dass mit Imera... und dem Baby, das verdienst du nicht!“ Ihr Mann musterte sie auffällig. Lilliann sah kurz zwischen beiden her. „So ist das Leben.“, erwiderte sie beinahe tröstend, „Ich komme klar. Ihr helft mir schon enorm.“ Die Angesprochene nickte nur schwach, erhob sich dann und irrte aus der Tür. Ihr Sohn erhob sich geistesgegenwärtig und folgte ihr. „Entschuldigt uns kurz.“ Maigi beantwortete wenige Sekunden später die in deren Verblüffung unausgesprochene Frage der beiden Gäste – ungern, wie es schien. Aber er war fair und wollte niemanden in Unwissen lassen, der es nicht auch verdiente. „Sie ist im Moment ziemlich sensibel, wenn es um das Thema... na ja, Kinder geht.“ Er sah niemandem in die Augen, hielt den eigenen Blick jedoch nicht gesenkt, sondern ließ ihn aus dem Fenster schweifen. „Sie wünscht sich schon seit einiger Zeit sehr eines... aber das wäre nicht gut, ich meine, ich muss arbeiten und Semiry wollen wir noch nicht so sehr belasten... und sie selbst ist einfach zu unselbstständig. Das tut ihr sehr weh... uns allen.“ Genda wandte sich ab. Er wollte nichts von den Problemen seiner Tante wissen – nicht, weil er sie nicht gern gehabt hätte, nein, sondern weil er nicht mit ihrem Leid zurecht kam. Er mochte ihr fröhliches Gesicht, mit dem, was sie bedrückte, wollte er sich nicht auseinandersetzen. Musste schlimm sein, blind zu sein... „Aber... ich würde gern helfen, das würde doch...“ „Daran zweifeln wir nicht.“, unterbrach der zierliche Mann Lilliann prompt, als sie sich betrübt äußern wollte, „Aber wir wollen das alleine hinbekommen. Bei Semiry hast du uns schon zu sehr geholfen, wir sind beides erwachsene Leute... und wenn wir keine Möglichkeit finden, dann müssen wir eben verzichten.“ Die Frau seufzte, dann erhob sie sich. Sie verstand die Beiden... aber dennoch fand sie ihr Verhalten töricht. „Das Leben geht eben nicht immer die idealen Wege. Ich biete euch meine Hilfe an – ihr solltet sie annehmen, so lange ihr noch jung seid. Ihr habt ein Recht auf euer Glück.“ Beeindruckt von den Worten seiner Mutter schielte auch Genda wieder zu seinem Onkel. Das war ein sehr liebenswürdiges Angebot... aber wer verdiente so etwas mehr als die Beiden? Er hatte sie gern. „Na... mal sehen. Vielen Dank.“, erwiderte Maigi nur nicht ganz überzeugt. -- Als Imera von seiner Arbeit – seiner wirklichen Arbeit – zurückkehrte, erlebte er wie Tage zuvor wieder eine böse Überraschung. An sich hätte es ihm kaum auffallen dürfen, denn es sprach ohnehin niemand mehr mit ihm, aber Teneri machte ihn stutzig, als sie ihm mit einer gepackten Tasche entgegenkam. „Wohin denn?“, wagte er sie anzusprechen, worauf er sich zunächst einmal wie geahnt einen bitterbösen Blick fing. Dann drehte sie sich ab, war aber so gnädig ihm zu antworten. „Mama ist weg gegangen. Sie hat eigentlich gemeint, wir sollten vorerst hier bleiben, aber Genda hat sich nicht abhalten lassen und ich habe vorhin auch abgeklärt, dass ich zu Samili kann. Ich werde Mami zuerst einmal Bescheid sagen und dann ziehe ich um.“ Als sie aus der Tür wollte, setzte er ihr im ersten Schock nach und hielt sie an der Schulter fest, allerdings nicht fest genug, um sie auch zu halten, wie er merkte, als sie sich kaum einen Moment später grob losriss und schnaubte. „Stell dich nicht an, das war doch nur eine Frage der Zeit! Namini ist noch hier, sie liebt dich noch immer, du solltest ihr viele schöne Sachen schenken, damit sie darüber hinweg sehen kann, was du uns angetan hast... denn so nachsichtig ist die Kleine auch nicht! Und jetzt lasse mich in Ruhe!“ Schnaubend verließ sie das Haus. Der Mann starrte ihr entsetzt nach. Das war genug. In den vergangenen Tagen hatte er die ganze Zeit einfach darauf gehofft, dass wieder alles in Ordnung kommen würde... er war wirklich dumm. Unmerklich sank er auf die Knie, apathisch die nun wieder geschlossene Tür anstarrend. Er hatte ein uneheliches Kind mit seiner Tante, wie hatte er darauf hoffen können, dass seine Frau da einfach irgendwann drüber hinweg sehen würde können? Wie konnte ein einziger Mann bloß so naiv und dumm sein, das war doch so klar gewesen! Er hatte es einfach so gelassen, wie es war, weder versucht, sich mit Lilliann auszusprechen, noch Kontakt mit seiner Affäre aufgenommen. Und seinem Sohn. Er fasste sich an die Stirn. Den hatte er völlig verdrängt. Was sollte er mit einem kranken Kind? Imera merkte nicht, dass seine Gedanken auf eine ähnliche Art abschweiften, wie es auch die seines Vaters in dieser Situation getan hätten, während er sich erhob. Takoda war für ihn sein Cousin... sein kleiner, gestörter Cousin, mehr nicht! Er wollte keine Nachkommen mit Chatgaia! Wollte? Zumindest konnte er keine gebrauchen. Und welche, die nicht gesund waren, schon zwei Mal nicht. Dennoch hätte er sich darum kümmern müssen. Er schnaubte, ehe er sein Haus wieder verließ. Es reichte. Das war nicht seine Schuld, fand er. Und die, deren Schuld es war, würde es bald zu hören bekommen. Die, die seines Erachtens nach Schuld war, hatte ihrem menschlichen Neffen in der letzten Zeit überraschend wenig Gedanken geschenkt, denn sie war voll und ganz damit beschäftigt, für ihre in letzter Sekunde gerettete Familie zu sorgen, wie es auch ihre Aufgabe war. Und das war trotz allem nicht leicht, denn während sie ihrem Mann vor Scham kaum unter die Augen zu treten wagte, war besonders Takodas Zustand besorgniserregend. „Ich weiß nicht, was ich tun kann!“, sprach sie an diesem Tag zu Serenka, der gerade die Stube betreten hatte. Ihr Verhältnis hatte sich extrem abgekühlt. Wenn sie ihn ansprach, antwortete er ihr höflich, aber alles andere als liebevoll oder verbunden. Dennoch war er im Moment der Einzige, der ihr zur Verfügung stand – wie sehr wünschte sie sich, sich mit ihrer geliebten Stieftochter unterhalten zu können? Aber das wäre schlecht gewesen... irgendwann würden sie darüber sprechen, aber im Moment war es zu frisch und ihr Gatte obwohl er es nicht zugab zu beschämt, als dass das eine gute Idee gewesen wäre. Oh ja, sie hatte ihn ganz fürchterlich entehrt... „Wovon sprichst du, Frau?“, riss ihr Sohn sie da aus ihren Gedanken und sie sah zu ihm auf. Es wunderte sie, dass er sie kaum zu vermissen schien – aus Angst, sich zu versprechen, hielt er sich von seinem besten Freund weitgehend fern, suchte er denn nirgends nach etwas Verständnis? Gab es keinerlei Verlangen in ihm, sich mit ihr zu versöhnen? Sie wusste, dass sie es verdiente, und dennoch enttäuschte es sie und verstärkte ihren Schmerz. Aber das war nun nicht von Belang. Sie sprach weiter. „Ich rede von Takoda.“, antwortete sie und senkte bekümmert den Blick, „Körperlich ist er so gesund, wie er nur gesund sein kann, aber er kommt trotzdem nicht auf die Beine...“ Der Junge senkte den Blick etwas. „Auch meiner Wenigkeit ist das nicht entgangen, jedoch finde ich es völlig verständlich. Das hat ihn alles sehr schlimm getroffen – ich wollte nicht mit ihm tauschen.“ Das wollte wohl niemand. Uda Magafi saß seufzend am Bett des kleinen Jungen, der sich kaum rührte, bloß leise atmete und zwischendurch blinzelte. „Sprich doch.“, bat er behutsam, „Ich habe es dir doch erklärt, alles ist gut. Fehlt dir denn noch etwas? Sprich doch bitte!“ Er sprach nicht. Das brachte er nicht über sich. Wie konnte sich dieser Mann nur so um ihn bemühen? Er war nicht sein Sohn! Er war bloß irgendein krankes Kind, das ihm nur Ärger machte, er sollte ihn am besten in der Wüste aussetzen. Und was tat er? Er saß bei ihm und sorgte sich! Das tat nur zusätzlich weh! Und das seit Tagen schon, immer wieder tauchte er bei ihm auf und sprach zu ihm und immer wieder hoffte der Junge, es sei das letzte Mal, aber das war es nie, er bemühte sich immer wieder erneut um sein Kind. Sein Kind. Er entschloss tapfer, etwas dazu zu sagen, ihn endlich darauf hinzuweisen, dass es sinnlos war. Sein erster Versuch scheiterte, denn er war heiser durch die lange Sprechpause und die unangenehmen Medikamente, die er hatte schlucken müssen und so musste er sich zunächst ordentlich räuspern. Uda Magafi hob überrascht beide Brauen. „Du... bemühst dich unnütz für mich, ich denke. Lasse mich doch einfach...“ „Nein!“, widersprach der Mann streng, griff aber zeitgleich beschwichtigend nach Takodas Hand, „Ich will dich wieder lächeln sehen.“ Er grinste. „Meine Güte, das nimmt dich ja mehr mit als mich. Und dabei ändert sich für dich doch nichts.“ Der Junge weitete die blauen Augen merklich. Für ihn änderte sich... nichts? Er setzte sich langsam auf, fasste sich von einem plötzlichen Schwindel gepackt an den Kopf und sah den Älteren dann verständnislos an. „Ist das für dich so einfach? Immerzu nutze ich dich aus, ich denke! Und... und...“ Er begann zu zittern und wandte sich apathisch ab. Sein Fast-Vater senkte beunruhigt die Brauen, griff jedoch noch nicht ein. „Ich kann nichts dagegen tun, ich denke! Ich... ich bin mir selbst ausgeliefert und das ist alles die Schuld von Mama und diesem blöden Wüstenkönig! Ich bin krank wegen ihnen! Ich hasse sie!“ Takoda schlug sich die Hände vor sein Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen. Der Senator strich ihm zärtlich durchs Haar. Natürlich war es schwer für ihn, aber wenn er dieses Kind so sah, kam in ihm einfach ein wahnsinniger Beschützerinstinkt auf... und Schutz brauchte der Kleine nun allemal, letztendlich vielleicht sogar vor sich selbst. „Du hasst sie nicht.“, sprach er behutsam auf ihn ein, „Menschen – und Magier – machen Fehler. Das tut jeder. Und der Fehler, den deine Mutter und dein Cousin gemacht haben, hatte nun einmal fatale Auswirkungen. Jedoch nicht nur schlechte.“ Der Junge sah wieder auf, als der Mann ihn liebevoll anlächelte. „Ohne ihn gäbe es dich heute nicht und das würde ich sehr bedauern.“ Er war sein Sohn. Lange genug hatte er in Einsamkeit darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es so war. Auf diese Weise konnte er der ganzen Situation auch etwas Gutes abgewinnen. Der Kleine jedoch konnte seine Meinung nicht teilen. „Ich nicht.“, antwortete er in einem ungewohnten Tonfall, „Ich würde am liebsten auf der Stelle sterben, ich denke.“ Es klopfte an der Tür. Als Serenka öffnete, konnte er es entgegen seiner Art nicht vermeiden, seine roten Augen feindselig zu schmalen Schlitzen zu verengen. „Welch Ehre.“, schnarrte er, „Hat man bereits bemerkt, dass etwas nicht stimmt?“ Imera schnaubte nur und drängte sich an dem Jungen vorbei. Diesen eingebildeten Bengel konnte er im Moment beim besten Willen nicht gebrauchen. „Mische dich nicht in Dinge ein, von denen du nichts verstehst!“, riet er ihm nur, während er an ihm vorbei trat, zielsicher in Richtung Stube, wo Chatgaia bereits alarmiert aufgestanden war. Sie sah ihn aus ihren wie üblich stolzen, aber leicht irritierten orangefarbenen Augen an. „Imera.“, nannte die Frau den Jüngeren beim Namen und verschränkte die Arme vor den üppigen, wie seit Jahren üblich ordentlich verdeckten Brüsten, „Ich habe wohl eine Vermutung, was dich zu mir führt. Sicherlich gibt es Redebedarf – auch wenn ich nicht weiß, was ich dir sagen soll.“ Sie sah kurz zu dem vor Wut schnaubenden Serenka und wollte ihn damit vertreiben, denn das ging ihn nicht direkt etwas an, doch es gelang ihr nicht. Dabei wusste sie genau, dass seine Götter ihm übermittelt hatten, was sie wollte, er widersetzte sich dem einfach. Mit ihm würde sie sich auch dringend noch einmal unterhalten müssen. Sie zwang sich, die Gedanken daran zu verdrängen und sprach weiter zu ihrem Gast. Dabei senkte sie den Blick etwas. „Du möchtest nicht etwa Anspruch auf Takoda erheben?“ Der Mann weitete die blauen Augen kurz, dann lachte er schallend auf. Sein Cousin trat unterdessen irritiert ein paar Schritte zurück. „Du bist gut!“, schrie er da fast, „Dieses Kind ist im Begriff, mein Leben zu zerstören und ich soll... Anspruch auf es erheben? Ich glaube, du wirst wirklich alt!“ Chatgaia hob ihr Antlitz wieder, die Brauen zusammenziehend. Moment – sein Ton gefiel ihr definitiv nicht. „Takoda zerstört keine Leben. Er hat niemals etwas Schlechtes getan, er ist unser Opfer.“ In seinen Augen war etwas, das sie nicht kannte. Zumindest nicht bei ihm. Es lag neben Wut, Enttäuschung und Trauer... sie kam zunächst nicht darauf, was es war. „Nicht unser, höchstes deins! Er hat mein Leben zerstört!“, er schnaubte verächtlich, „Anspruch, dass ich nicht lache! Er ist mir völlig egal, Tante! Von mir aus soll er doch nächstes Jahr draufgehen, mir völlig gleich, ich sehe ihn nicht als meinen Sohn, eher sterbe ich!“ Serenka war zu entsetzt, um sich einzuschalten. Er brachte bloß ein stimmloses Keuchen hervor, als er zum Treppenaufgang blickte, an dessen Ende Uda Magafi und sein kleiner Fast-Sohn standen und alles mithören konnten. Die Reaktion der Frau war zunächst nur ein einziges Wort, das sie hervor brachte, nachdem sie ihre Hände hatte wieder senken lassen, die sie sich vor den Mund geschlagen hatte. „Alhata!“ Imera wusste, dass er gerade an seinen Vater erinnern musste, aber es war ihm egal, einmal davon abgesehen, dass er noch immer eher positiv an diesen Mann zurück dachte. Er war bloß ehrlich, so grausam seine Worte auch klangen. Er hatte den kleinen, kranken Jungen als seinen Cousin geschätzt, nicht mehr. Jetzt war er ihm jedoch ein gewaltiger Dorn im Auge – mit Lilliann wäre vielleicht schon wieder alles in Ordnung, wenn sie nichts davon gewusst hätte. Wenn es nichts zu verbergen gegeben hätte – keinen Takoda. „Denke über deine Worte nach, Sohn meiner Schwester!“, fuhr die Frau ihn da aus ihrer Schreckensstarre erwacht an, „Überlege, was du sagst! Das ist dein Kind, ob es dir passt, oder nicht! Seine Versorgung und Erziehung hat bereits ein anderer Mann für dich übernommen, aber DU hast es gezeugt, ohne dich gäbe es den Kleinen nicht – und ich bin dir dankbar dafür, dass es ihn durch dich gibt, denn ICH liebe meinen Sohn!“ Sie zuckte unter seinem Blick, der darauf folgte, zusammen. Alhata... er war definitiv der Erbe des schrecklichen Dorfoberhauptes von Morika. Und ihm hatte sie ihr schönes Thilia gegeben? Er ließ sich nichts mehr von ihr sagen... aus dem Alter war er heraus. Er war ein Mann... und heimlich ein verdammt stolzer. Er bildete sich so viel auf seine Machtposition ein wie Serenka auf die Tatsache, ein Magafi zu sein. Letzterer war im Übrigen einer Ohnmacht nahe, wurde aber ignoriert. „Wie schön für dich!“, schrie er ihr ins Gesicht und der ältere Sohn wurde alarmiert aus seinem Schwindel gerissen, als der extrem ungeliebte Besucher ein paar Schritte auf die Magierin zutrat, „Wurde dein bescheuerter, geistesgestörter Kinderwunsch gestillt? Hast du jetzt genügend Kinder zum Bemuttern?...“ Er lachte auf und Chatgaia erbleichte bei seinem Anblick. Welche blinde Wut, welche Verzweiflung hatte den dämlichen Kerl dazu gebracht, so zu werden? Zu dem, was ihm im Blut lag, doch sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie ein Wort Alhatas jemals derart zu treffen vermocht hatte. Sie konnte nichts erwidern. „Vielleicht benutze ich auch das falsche Wort!“, gackerte er boshaft weiter, dann wandte er sich Serenka zu, „Was macht sie mit dir? Macht sie mit dir auch Dinge, die keine Frau mit einem Jungen deines Alters tun sollte, schon zwei Mal nicht, wenn sie vom selben Blute sind? Tut sie das? Es würde mich nicht wundern, du bist hübsch, das genügt schließlich schon...!“ „Es reicht!“ Hinter dem vor Schock in sich zusammensackenden Jungen war der vor Wut schnaubende Uda Magafi erschienen – seine Frau wusste nicht, in wie weit sich der temperamentvolle Mann nun noch unter Kontrolle haben würde. Sie sah ihn vor Wut beben und fühlte sich mit einem Mal hilflos wie ein kleines Mädchen... was hatte sie nur getan? „Was erlaubst du dir? Was denkst du Bastard dir?!“, fuhr er den Jüngeren an und hätte ihn am Kragen gepackt, wenn der nicht geistesgegenwärtig ausgewichen wäre, „Du macht meine Frau allein dafür verantwortlich? Wer hat ihr denn dieses Leben in den Bauch gepflanzt?! Und erzähl hier keinen Mist, eine Frau kann keinen Mann vergewaltigen, erst recht keine so zierliche wie deine Tante es ist, du perverser Idiot!“ Er hätte gerne mehr gesagt... Schlimmeres... doch seine Würde, die er, so dachte er sich, im Gegensatz zu Imera zweifelsohne besaß, hinderte ihn zunächst daran. Sein Gegenüber grinste dreckig. „Deine Frau ist die widerlichste Schlampe unter der Sonne dieser Wüste!“, behauptete er, „Aber schön, wenn du so hinter ihr stehst – anders als meine nicht ganz so geistesgestörte Gattin es bei mir tut! Ja, geistesgestört bist du, der du bei dieser Hure bleibst! Aber damit passt du ja toll zu deinem... Sohn.“ Der ältere Mann hätte vor Wut platzen können, als er nach ihm schlug und ihn abermals nicht traf, denn Thilias Dorfoberhaupt war jünger und flinker als er, wenn auch körperlich vermutlich unterlegen. Das nützte dem Senator allerdings reichlich wenig, wenn er den Guten nicht zu fassen bekam. „Wenn ich deine Frau wäre, würde ich dir auch davon rennen!“, fuhr er ihn verärgert an, „Du selbst bist doch geistesgestört, wenn du behauptest, ich wäre selbiges, weil ich dir meine Chatgaia nicht einfach so überlasse!“ Serenka saß mit den Nerven am Ende am Boden und beobachtete die unwirkliche Szene wie durch einen Schleier. Dass Takoda neben ihn getreten war, nahm er ebenfalls bloß am Rande wahr. „Ich nenne dich geistesgestört, weil du dieses behinderte Kind deines nennst! Dabei hast du doch sicher genügend Geld, um es irgendwohin abzuschieben und nie wieder ansehen zu müssen!“, schrie Imera da verständnislos zurück. Uda Magafi schlug sich gegen die Stirn, um zu verdeutlichen, wie grenzenlos dumm er sein Gegenüber fand. „Ich will das Kind, das ich als meinen Sohn aufgezogen habe, behalten! Ich weiß ja nicht, was bei deiner Erziehung falsch gelaufen ist, dass dir dein Hirn fehlt, aber ich sehe es nicht ein, die ganze Mühe, die ich daran gesteckt habe, den Jungen aufzuziehen, einfach in den Wind zu schießen!“ Der Jüngere würde seine Haltung niemals verstehen können. Ihm wäre es am liebsten gewesen, sein ungeliebter Nachwuchs wäre irgendwohin verschwunden, wo ihn nie wieder jemand gefunden hätte. Seine Tante wäre wieder seine Tante gewesen und seine Frau seine Frau. Seine Tante... Er zischte. „Vielleicht wäre das aber besser für den Kleinen, am Ende bekommt Chattilein noch ein Kind von ihm, zuzutrauen wäre es ihr! Du willst gar nicht wissen, wie sie mich für sich gewonnen hat...!“ Das wollte er ehrlich nicht. Serenka am Boden schrie gequält auf. „Das würde sie nicht tun! Mutter liebt uns beide wie eine Mutter ihre Söhne lieben soll, unterstelle ihr nicht mehr Abscheulichkeiten, als sie verbrochen hat! Lass... lass uns in Ruhe!“ Sein Cousin lachte über die verzweifelte Bitte des Jungen, dabei gekonnt ignorierend, wer neben ihm stand. „Ach, sei doch still. Gib es zu, du bist total scharf auf sie und sagst das nur aus Wut auf mich, weil sie dich nicht will...“ Wieder schrie der Junge auf, das rot angelaufene Gesicht in den Händen vergrabend. Seinem Vater fehlten einen Moment lang völlig die Worte. Das musste beendet werden. Chatgaia griff instinktiv nach einer Blumenvase, die auf einem Beistelltisch neben ihr gestanden hatte und warf sie an die entgegen liegende Wand, wo sie laut zerschellte. Darauf erhielt sie die geschlossene Aufmerksamkeit, die sie sich auch gewünscht hatte, obgleich ihr ebenso die Worte fehlten wie ihrem Mann. „Hört ihr euch einmal zu?!“, brachte sie trotzdem hervor und in ihr kurz zuvor noch geschocktes Gesicht kehrte der Stolz einer Königin zurück, „Was willst du, Imera? Bist du überhaupt noch bei dir?! Du kommst einfach hier an, schiebst mir die komplette Schuld – die ich zweifelsohne nicht alleine trage – in die Schuhe, verleugnest dein Kind, beschämst meinen Erstgeborenen und beleidigst meinen Mann! Wie kannst du das verantworten, Dorfoberhaupt?!“ Serenka sah zu seinem kleinen Bruder auf, als der etwas murmelte. Er verstand nicht, was er gesagt hatte, bemerkte bloß, wie er sich abwandte und zu dem Scherbenhaufen der ehemaligen Blumenvase schritt. „Es gibst nichts zu verantworten, Tante.“, fauchte der Neffe da zurück, „Ich wollte dir nur einmal mitteilen, wie sehr du mich verletzt hast... dass du mein Leben zerstört hast mit deiner Unvernunft! Irgendwann ist auch meine Geduld einmal zu Ende, Frau! Einmal davon abgesehen, dass jedes Wort, was meinen Mund verlassen hat, an sich die reine, ungeschminkte Wahrheit war...“ Er wurde abermals durch Serenkas Schrei unterbrochen. Die drei Erwachsenen wandten sich ihm erschrocken zu, als er aufsprang, die wenigen Meter bis zu seinem jüngeren Halbbruder hechtete und ihm etwas heftig aus der Hand schlug, worauf seine eigene aus einem kleinen Schnitt zu bluten begann. Vor Uda Magafis Füßen landete eine scharfkantige, blutige Scherbe. Sein ältester Sohn ignorierte den Schmerz – oder bemerkte ihn in seinem Schrecken überhaupt nicht – und packte den Jüngeren an den Schultern, um ihn heftig zu schütteln. Der sah nur unbeeindruckt zu dem verzweifelten Jungen auf. „Tu das nie wieder!“, wurde er von letzterem angeschrien, „NIE WIEDER!“ Chatgaia blickte mit großen Augen zu ihren Söhnen. Was war da gerade geschehen...? Sie wusste nicht, ob es die Götter des Windes waren, die Serenka ihre Frage mitgeteilt hatten, oder ob er sie instinktiv beantwortete, als er von den zierlichen Schultern abließ und stattdessen den linken Unterarm des Kleinen gewaltsam anhob, damit alle anderen die leicht angeritzte Stelle sehen konnten. Die Frau schlug sich abermals die Hände vor den Mund. Das durfte doch nicht wahr sein... „Ich habe es nur gut gemeint, ich denke.“, rechtfertigte Takoda sich gleichmütig, „Damit ihr nicht mehr streiten müsst.“ Seine blauen Augen trafen auf die gleichen von Imera, die ihn ungläubig anstarrten. Eben diesen Moment nutzte Uda Magafi, um dem jüngeren Mann einen Zahn auszuschlagen. Er stürzte Blut hustend zu Boden, während der mit den Nerven völlig fertige Serenka seinen kleinen Halbbruder schützend an seinen eigenen Körper drückte und ihm keine Chance gab, sich aus der innigen Umarmung zu befreien. „Siehst du, was du angerichtet hast?!“, schrie der Senator auf den jüngeren Mann herab, der sich verwirrt wieder aufrappelte, und war im Begriff, nach ihm zu treten. Er unterließ es dennoch – das war nicht sein Niveau, auch wenn der andere es in seinen Augen durchaus verdient gehabt hätte. Wegen dieses Schweins hatte sich sein jüngster Sohn... er wollte nicht zu Ende denken. „Konnte ich wissen, dass er zuhört?“, wollte der andere da erheblich leiser und ruhiger als zuvor umgekehrt wissen, während er schwankend auf die Beine kam. Das hatte er nicht gewollt, musste er sich eingestehen... „Er wohnt in diesem Haus!“, unterstützte Chatgaia ihren Ehemann da und wankte zu den beiden Jungen, um beide kurz in die Arme zu schließen. Das war wahr, kam dem Dorfoberhaupt. Und mit einem Mal war er zumindest zu einem kleinen Teil wieder da, Imera. Alhata konnte jedoch nicht mehr verdrängt werden... zumindest in nächster Zeit nicht. Er schnaubte. „Wen ich nicht sehe, der ist für mich nicht da! Hätte ja auch sein können, dass er sonst irgendwo ist, Himmel...“ Dass er auch weiter gesprochen hatte, als er den Jungen längst bemerkt hatte, ignorierte er. Das war nun eh nicht mehr von Belang. Sie wurden aus den Gedanken gerissen, als sich die Haustüre öffnete. Uda Magafi wunderte sich kurzzeitig darüber, dass der Gast so unhöflich gewesen war, zuvor nicht anzuklopfen, vergaß es jedoch wieder, als der Raum von Mayora, gefolgt von dessen Frau und seinen beiden älteren Kindern den Raum betrat. Sie wirkten angespannt. „Was ist hier los?“, fragte der Grünhaarige scharf und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Er wollte eine sofortige Antwort. Seine Götter hatten ihm ein Gefühl gegeben, das so schlecht gewesen war, dass er sich unverzüglich hatte übergeben müssen und auch seinen Kindern war mulmig geworden, so hatten sich die beiden Ältesten auch nicht abwimmeln lassen. Odohri aus Sorge um Serenka, Samili, weil sie ohnehin noch zu ihrer 'Oma' gemusst hatte. Imera wischte sich das Blut vom Mund, seine Tante stellte sich wieder aufrecht hin. Sie war dankbar, aus dieser widerlichen Situation gerissen worden zu sein – zumindest etwas. Sie blinzelte, als ihre Götter sie auf etwas hinwiesen. Darauf fing sie sich den fragenden Blick des grünhaarigen Mädchens. „Komm mit!“, forderte sie es auf und es tat wie ihm geheißen und verließ mit der Frau den Raum. Uda Magafi sah beiden irritiert nach. „Sie sind beide Kinder des Feuers, sie haben eine sehr enge Bindung.“, erklärte Mayora kurz angebunden und schenkte den beiden übrig gebliebenen Männern einen Blick, der sehr deutlich zeigte, dass er nun von ihnen erwartete, dass sie ihm die Situation erklärten. Eher würde er sich nicht um den Zahn seines Bruders kümmern... Letzterer tat den Mund nicht mehr auf und Takoda, der sich aus der Umarmung Serenkas befreite, rannte schnaubend die Treppe hinauf und verschwand in seinem Zimmer. Erst jetzt hatte Odohri freien Blick auf seinen besten Freund und erschauderte bei dem bleichen, tränennahen Gesicht. Sie sahen sich in die Augen... kaum eine Sekunde später löste sich der Jüngere aus seiner Starre und stürzte sich schluchzend in die Arme des anderen, der instinktiv seinen Schmerz spürte. Er hielt ihn fest und er tat ihm mit einem Mal so unglaublich Leid, dass er am liebsten mitgeweint hätte. Sie waren beinahe wie Brüder und jeder bedeutete dem anderen unheimlich viel. Seit sie Babies gewesen waren kannten sie sich und teilten jeden Kummer... das würden sie auch immer tun. „Antwortet mir vielleicht einmal jemand?“, riss Mayora die Aufmerksamkeit da wieder auf sich und sein Schwiegervater räusperte sich etwas verlegen. War es jetzt etwa an ihm, davon zu erzählen? Der Blick seiner Tochter beantwortete seine unausgesprochene Frage. „Nun ja.“, begann er sachlich und setzte sich auf einen alten, aber noch bequemen Sessel, „Es ist nun einmal so, dass wir seit einiger Zeit... Probleme haben, meine Frau und ich. Das liegt daran, dass... sie mir untreu war – ich will davon nicht all zu viel sprechen und verschont mich von Fragen nach meinem Befinden.“ Mayora öffnete ungläubig den Mund, während sein Sohn die Worte seines Großvaters bloß nebenbei registrierte, er war beschäftigter damit, Serenka zu trösten. Choralys Blick fiel instinktiv auf Imera. „Was?!“, schnappte der Grünhaarige da, „Sie... ehrlich?!“ „Mit ihm?“ Die Aufmerksamkeit legte sich auf die brünette Frau, als sie auf ihren Schwager deutete, in dessen Gesicht sich keinerlei Emotion regte. Sein Zwillingsbruder blinzelte ungläubig. Sie ihrerseits fühlte sich irgendwie erleichtert, den viele Jahre alten Verdacht endlich einmal geäußert zu haben. „Warum denn mit ihm?!“, wurde sie da von Mayora gefragt, in dessen genervten Blick eine unmissverständliche Aggression lag. Zuvor hatten sie eine leichte Meinungsverschiedenheit bei einem Gespräch über Kura gehabt... Sie antwortete dennoch ruhig, mehr Trubel als nötig musste sicherlich nicht sein, angesichts der angeschlagenen Psyche der anderen... „Weil ich die Vermutung habe, dass die beiden bereits miteinander verkehrt haben, als ich noch das erste Mal hier war.“ Ihr erbleichender Mann kam nicht zum weiter fragen, als Uda Magafi ihre Aussage bestätigte. „Gut aufgepasst, Tochter.“ Es war kein ehrliches Lob, beinahe schon eine Art Vorwurf, weil sie ihm zuvor niemals davon erzählt hatte, doch so direkt merkte sie das nicht, denn ihre Aufmerksamkeit lag bei dem nach Luft schnappendem Magier. Sein Bruder und... seine Tante?! Warum hatte er das nie bemerkt?! Und wie kamen die beiden dazu...? Er musste sich setzen. Sein Schwiegervater sprach weiter. „Sie hat mich nicht nur jetzt hintergangen, sondern bereits vor fast dreizehn Jahren... so entstand dann Takoda. Takoda ist nicht mein Kind.“ Er verstummte und wollte nicht mehr weiter sprechen. Selbst Odohri sah kurz auf, als nun auch seine Mutter erbleichte und sein Vater sich dämlich statt auf das Sofa daneben setzte. „Wie...?“, wisperte Choraly und schlug sich dann beide Hände vor den Mund. Imera kratzte sich am Kopf. „Biologisch ist er das nicht.“, meinte er dann zu dem Senator, „Aber hast du... habt Ihr vorhin nicht darauf bestanden, dass Blut bei Euch nicht dicker sei als Wasser? Ich bleibe jedenfalls dabei, ich erkenne diesen Jungen nicht als mein Kind an. Ich will nicht, dass er mein Sohn ist, ich überlasse ihn ganz und gar Euch.“ Er seufzte und schreckte heftig auf, als seine Schwägerin erschreckender reagierte, als er es für möglich gehalten hätte. „Du machst ein Kind und es... es ist dir egal?! Wie kannst du nur?!“ Der Mann antwortete nichts. Egal war falsch ausgedrückt... er konnte nur nichts damit anfangen. Er wusste nicht, was er mit dem kranken Sohn seiner Tante sollte. Er hatte seine Kinder, sie reichten ihm... -- „Was bedrückt dich?“ Chatgaia hatte ihre Schlafzimmertür geschlossen und Samili kam sich angesichts des üblen Gefühls, das sie kurz zuvor gehabt hatte, sehr seltsam vor, diese Frage von ihrer Fast-Oma gestellt zu bekommen. Sie verkniff es sich aber, sie das Selbe zurück zu fragen. Seufzend setzte sie sich auf dem verhältnismäßig großen Bett nieder. Das ihrer Eltern war im Moment kleiner. „Na ja, es ist so...“, begann sie verlegen und errötete, während sie verunsichert ihre Hände aneinander rieb, „Ich habe jetzt seit einer Weile... einen Freund.“ Die Frau hob beide Brauen und fühlte sich einen Moment aus ihrer miserablen Situation gerissen angesichts der in ihren Augen niedlichen der Tochter ihres jüngeren Neffen. Ein sehr leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, während sie dicht neben ihr Platz nahm. „Aha?“, machte sie dann interessiert und Samili senkte ihren Blick tief. Na, wenn die gewusst hätte... bald würde sie es. „Wir sind uns auch schon näher gekommen...“ Sie sah auf und mit einem Mal verflog der Älteren das Grinsen, als sie in den roten Iriden sich selbst sah. Sich, die kleine Schlampe... Sie fasste sich an den Kopf. „Wie oft habt ihr beiden euch schon geliebt?“ Das Mädchen quietschte. Bewusst hatte man sie verlegen gemacht, Chatgaia verstand sie eben, gelegentlich auch zu gut für ihren Geschmack. Sollte sie ehrlich antworten...? „Ein paar Mal...“, murmelte sie leise und auf den beinahe gefährlichen Blick der hübschen Frau entgegnete sie dann lauter, „Beinahe jeden Tag! Manchmal auch mehrmals! Bitte verrate mich nicht...“ Sie wusste nicht, dass ihre Großtante sie besser verstand als die meisten anderen. Sie kam nach ihr, dachte sich letztere leise seufzend und bedauerte sie einen Moment lang darum. Unter den Rüschen war sie alles andere als unschuldig... Sie schielte sie nachdenklich an. Ich weiß nicht, ob es dir noch nicht aufgefallen ist..., hatte sie vor nicht all zu langer Zeit zu ihrer Stieftochter gesagt, Aber deine Tochter hat für ihr Alter einen nicht zu ignorierenden Vorbau – wie alle Frauen in meiner Familie. Ich empfehle, ihr einmal einen BH zu schenken. Choraly hatte das gar nicht so toll gefunden und bloß säuerlich geschnaubt. Ach was!, hatte sie trotzig wie ein Kind erwidert, Sie ist doch noch jung! Außerdem haben wir es bereits einmal versucht, sie meint, das würde sie nerven, sie möchte keinen. Chatgaia mochte die Dinger auch nicht und trug sie nur ihrem Mann zuliebe. Wenn es erlaubt gewesen wäre, dann hätte sie den Spinner, der das lästige Kleidungsstück erfunden hatte, dafür verflucht. Aber zumindest bei dieser Frechheit hatte sie sich im Griff und konnte sich zurückhalten. Ach, war an sich auch gleich. „Ich nehme an, dadurch, dass deine Mutter wohl nicht Bescheid weiß, hast du diesen gewissen Tee auch nicht getrunken – aber auf die Woche geachtet sicherlich. Wer ist denn eigentlich der Glückliche?“ Genau das war das Problem. Samili senkte den Blick tief. Oh Himmel... „Da hast du jetzt gerade die peinlichen Punkte angesprochen – ich habe eben überhaupt nicht darauf geachtet, ich... ich habe gar nicht so weit gedacht! Und wer es ist willst du sicher gar nicht wissen...“ Die Ältere fuhr zu ihr herum. Moment – die Gute war ihr doch nicht derart ähnlich, wie sie gedacht hatte. Sie ihrerseits hatte seit frühester Jugend genau auf das geachtet, was sie so getrieben hatte... und mit wem. Ein kalter Schauer überkam sie und für einige Augenblicke vergaß sie ihre Misere komplett, während Takoda sich wenige Zimmer weiter gerade versuchte in den Schlaf zu weinen. „Mit anderen Worten, du wolltest dich mit mir unterhalten, weil du... du... schwanger sein könntest von irgendeinem Abschaum? Samili, was soll ich denn da bitte von halten?!“ Das Mädchen senkte den Blick vor Verlegenheit tief. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie dämlich sie gewesen war, während sie immer und immer wieder zu Genda gerannt war, damit er ihr diese gewisse, spannende Hitze geben konnte, die beide so liebten. Erst, als ihr am voran gegangenen Morgen furchtbar schlecht gewesen war, waren ihr beängstigende Gedanken über die möglichen Folgen ihres naiven Handelns gekommen. Sie war dabei, sich ihr Leben zu verbauen... jetzt hatte sie Hilfe gesucht. „Tut mir Leid...“, erwiderte sie kleinlaut und die Ältere schüttelte ungläubig den Kopf. „Schön!“, schnappte diese und erhob sich, um ein Fenster zu öffnen, auf dessen äußerer Bank ein paar kleine Töpfe mit Kräutern standen. Sie zupfte von verschiedenen Blätter ab und tat sie in eine Schale, die sie darauf aus einem Schrank nahm... und ein kleines, scharfes Messer. „Gleich haben wir Gewissheit, du kleines Flittchen, ach!“ Chatgaia trat auf sie zu und hatte sie schneller in die Hand geschnitten, als die Jüngere „Au!“ sagen konnte. Ihr Blut tropfte in die Schüssel mit den Medizin-Kräutern und als die Blutung aufhörte, wurden diese darin zermalmt und das Ganze mit Wasser vermengt, das die Heilerin aus dem Badezimmer nahm. Das widerliche Gebräu landete dann ebenfalls auf der Fensterbank. „Und jetzt sagst du mir seinen Namen!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, während sie vor ihrer Fast-Enkelin stand. Diese wagte nicht, auf zu sehen. „Ist doch völlig egal...“, entgegnete sie nur murmelnd. Das war so unsagbar peinlich! Warum hatte sie auch so gedankenlos sein müssen, dümmer laufen hatte es wirklich nicht können! „Und was ist, wenn das kleine Mädchen wirklich Leben in sich hat?! Da wirst du uns wohl den Namen des Vaters verraten müssen!“ Sie schlug sich die Hände vor das tomatenrote Gesicht. Sie hatte ja Recht, aber... es war so furchtbar... „Ich schäme mich so!“, klagte sie gedämpft, „Genda! Genda Timaro!“ Das verschlug der Älteren tatsächlich einen Moment lang die Sprache. Ihre niedliche, hübsche Großnichte, wohlbehütet und zivilisiert, und der rüpelhafte, hässliche Adoptivsohn von Imera, der Mädchen abfüllte, um sie flach legen zu können, weil sie freiwillig nicht zu ihm kamen... das war eine eindeutig verkehrte Welt, in der sie gerade lebte. „Dein Geschmack scheint sehr eigene Wege zu gehen, Samili...“, murmelte sie so betroffen, „Ich erkenne in diesem Jungen weder äußere, noch innere Schönheit...“ Sie selbst besaß immerhin äußere, fiel ihr ein. Sicherlich nicht in den Augen aller, aber viele bedachten sie mit gierigen oder neidischen Blicken, das merkte sie und wenn sie es nicht selbst tat, taten es ihre Götter für sie. Es machte sie heimlich sehr stolz... Die Kleine fuhr auf. „Er besitzt innere Schönheit! Irgendwo... ich finde sie noch! Er ist kein schlechter Mensch, ich... ich mag ihn gern!“ Es tat ihr gut, es auszusprechen. Mit allen Leuten, bei denen sie überhaupt den Namen ihres Geliebten in den Mund genommen hatte, hatte sie schlecht über ihn gesprochen... dabei mochte sie ihn doch. Sie mochte ihn wirklich und wusste nicht einmal, weshalb sie es tat... er war wirklich nicht schön und grantig obendrein... „Es freut mich, dass du daran glauben kannst.“, riss Chatgaia sie aus ihren Gedanken, „Aber, Mädchen, was tun wir, wenn sich dein Blut verfärbt? Sollen wir es weg machen, ohne es deinen Eltern zu sagen? Dazu reichen meine Kenntnisse noch...“ Der Gedanke tat der kinderlieben Frau irgendwo weh, aber er war vernünftig, das wusste sie, obgleich sie in den letzten Wochen immerzu mehr als nur unvernünftig gewesen war. Samili war viel zu jung für so etwas, ganz egal, wie reich ihre Eltern waren und wie viele Ammen ihr hätten helfen können. Das war nichts für sie. Und schon gar nicht, wenn Genda der werdende Vater war... der würde sie doch mit dem Hintern nicht mehr ansehen, wenn er das erfahren würde. Wenn er nach seinem Ziehvater kam, würde er niemals etwas von dem Kind wissen wollen... „Das war sicher falscher Alarm!“, beschwichtigte ihre Großnichte sie oder versuchte es zumindest, dabei theatralisch mit den Händen in der Luft herum wedelnd, „Und wenn doch, dann müssen es meine Eltern unbedingt wissen!“ Die Ältere nickte, dabei verstand sie sie falsch. „Da bekommst du meinen vollen Respekt für deine Ehrlichkeit, Samili. Das wird dir sicher Ärger machen, aber auch dein Gewissen reinigen. Es wird auch deine Eltern positiv beeindrucken, dass du dich ihnen anvertraust, obwohl sie es eigentlich nie hätten erfahren müssen, das zeigt deine starke Persönlichkeit.“ In dem Mädchen zog sich etwas äußerst schmerzhaft zusammen. Sie hatte zuvor niemals darüber nachgedacht, aber nun, wo diese Entscheidung auf einen Schlag möglicherweise so nahe war, war sie sich sicher, das, was vielleicht in ihr war, nicht töten zu können. Sie wollte das nicht... sie wollte ihren jungen Körper auch keiner solchen Belastung aussetzen, aber das nahm sie lieber in Kauf, als ein unschuldiges Baby zum Tode zu verurteilen. Ihr Baby... „Ich kann es aber nicht aus meinem Körper spülen mit dem komischen Gift-Tee da...“, sie senkte den Blick noch tiefer als ohnehin schon, „Meine Götter sagen, dass ich das nicht darf. Das hatte schon seinen Sinn, weißt du?“ Als sie aufsah, blickte sie in ein durch und durch empörtes Gesicht, dessen Mund dennoch gefasst zu ihr sprach. „Deine Götter? Vermagst du die in deinem Alter überhaupt schon richtig zu verstehen?! Wie will ein kleines Mädchen sich um einen Säugling kümmern, das ist absurd!“ Sie wandte sich ab und der Schale mit dem Blut-Kräuter-Gemisch zu. „Na wundervoll...“ -- Als Chatgaia wieder ihre Stube betrat, wurde sie von Blicken voller Vorwurf beinahe gerichtet. Imera war weg, sie wusste nicht, wann und warum er gegangen war – sie wollte es auch nicht wissen. Als Mayora gerade ansetzen wollte, sie anzufauchen, kam sie ihm zuvor. „Spare dir deinen Atem.“, riet sie ihm mit üblichem Stolz, „Du hast gerade ganz andere Probleme.“ Das reichte, um die anderen aus dem Konzept zu reißen. Uda Magafi, der mit tief gesenktem Haupt auf dem Sofa saß, reagierte kaum, ebenso Serenka und Odohri, die neben ihm hockten. Choraly und Mayora waren da aufmerksamer, auf die kam es wohl auch an. „Wo ist Samili?“, fiel der brünetten Frau da auch schon auf und ihre Stiefmutter sah ihr sehr eindringlich in ihr Gesicht. Das würde ihr nicht gefallen, denn auch wenn sie ihren Kindern viel Freiraum ließen, waren sie als Eltern irgendwo auch recht streng – Mayora überraschender Weise sogar noch mehr als seine Gattin. „Samili wartet in meinem Schlafzimmer, sie hat sich nicht getraut, mit zu kommen.“ Ihre Worte zeigten Wirkung, als nun auch ihr eigener Mann etwas irritiert aufsah. Hier ging es schließlich um seine Enkelin, war ja nicht so, dass er da keinerlei Verantwortung hatte. „Was hat sie angestellt?“, wollte Mayora da missgelaunt wissen, während der Blick seiner Tante ihn mehr und mehr ängstigte, so lange, bis sie ihn senkte und er so die gewisse Schärfe verlor. „Es gefällt euch wohl kaum, dass eure Tochter ganz und gar nach mir zu kommen scheint.“, begann sie die Erklärung sachte, „Nun, wie es scheint, führt die junge Dame eine Beziehung... mit Genda Timaro.“ „Ich bring ihn um!“ Choralys geistesgegenwärtige Reaktion verhinderte, dass ihr Mann auf der Stelle aus dem Raum tobte, als sie ihn mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, am Oberarm festhielt, allerdings alles andere als begeistert. Ihr Glück in diesem Moment war, dass der wenig Ältere ohnehin nicht besonders stämmig und von seinem immer häufiger auftretenden Fieber etwas geschwächt war. Das war auch so ein ewiges, leidiges Thema... „Warte damit noch.“, bat seine Tante ihn wenig beeindruckt darauf, als sie die Aufmerksamkeit aus düsteren Blicken wieder erlangt hatte, „Es geht noch weiter. Mit Sicherheit kann ich es zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht sagen, aber laut des ziemlich zuverlässigen Tests meiner verehrten Großmutter, ist euer dummes Kind... schwanger.“ „Ich bringe ihn auch um!“, zur Überraschung aller war es nun Uda Magafi gewesen, der entrüstet aufgesprungen war. Da vergaß man doch glatt das eigene Leid bei einer derart törichten Enkelin. Ihre Eltern waren für den Augenblick zu geschockt zum weiteren Reagieren, aber als Chatgaia noch einen drauf setzte, hätten sie am liebsten geheult. „Und sie weigert sich, den Tee zu trinken, der das kleine Leben aus ihr spülen würde. Sie meint, ihre Götter würden es ihr verbieten.“ Serenka und Odohri warfen sich sehr dumme Blicke zu, als die Erwachsenen gemeinsam das Haus verließen, nachdem Chatgaia sie darum gebeten hatte, ab und an unbedingt nach Takoda zu sehen, davon ausgehend, wie lange sie weg bleiben würden. Das konnte unter Umständen dauern. „Jetzt komme ich gar nicht mehr mit.“, gestand der Ältere kopfschüttelnd, „Zuerst das mit deinem Bruder und jetzt... ist meine Schwester... schwanger?! Du meine Güte! Und das von diesem komischen Genda!“ Das konnte sich der Junge gar nicht vorstellen, sie war doch noch so klein. Scheinbar gar nicht so sehr... dabei hatte er selbst noch nie ein Mädchen geküsst, das fand er sehr ärgerlich. Serenka erahnte seine Gedanken dank seiner Götter und lächelte schwach. „Mein... Halbbruder hat einmal Yivakavi geküsst, danach bin ich mir ähnlich vorgekommen, so glaube ich...“ Odohri senkte darauf den Blick wieder. Serenka hatte Schmerzen... und er konnte nichts dagegen tun, das verursachte in ihm selbst welche. Vor dem, was er als nächstes sagen musste, grauste es ihm etwas. „Wir müssen nach Takoda schauen...“ Der Jüngere bejahte stimmlos. Als sie sich erhoben, ließ er sich bis zur Tür an der Hand nehmen, dann stoppte er unwillkürlich glucksend. „Ich fürchte, wir benehmen uns wie falsch gepolte oder kleine Kinder, nicht wahr? Lass uns aufhören mit dem Unsinn, Bruder...“ Der Angesprochene seufzte und kratzte sich etwas unbeholfen am Kopf. Er suchte nach den richtigen Worten... wenn er ihm sagte, dass er so gewirkt hatte, als bräuchte er diese Stütze, beleidigte er ihn damit sicher. „War nicht böse gemeint.“, entgegnete er deshalb bloß leise und Serenka umarmte ihn noch einmal kurz, ehe er an ihm vorbei trat. „Weiß ich.“, er bemühte sich darum, fröhlicher zu klingen, als er war, „Ich bin froh, dass ich dich habe. Einen besseren besten Freund zu haben ist nicht möglich, meinen größten Respekt dafür, dass du jemanden wie meine Wenigkeit bereits so lange aushältst.“ Ob Takoda wach war oder schlief, konnte niemand sagen. Seine Augen waren halb geöffnet, aber er schien nichts zu sehen, als er leicht zitternd in seinem Bett lag. Die älteren Jungen setzten sich vorsichtig zu ihm, dabei wagten sie es kaum, sich gegenseitig anzuschauen angesichts der erbärmlichen Situation des Jüngeren. „Hörst du uns?“, wagte Odohri sich nach ewigen Augenblicken zu erkundigen. Als Antwort erhielt er zunächst bloß ein schwaches Zucken. Bis Worte folgten, verging eine ziemlich lange Zeit. „Ich... verstehe das nicht.“, sagte der Kleine, „Vor ein... paar Wochen... da... da war noch alles gut, ich denke. Und jetzt...“ Er schloss seine blauen Iriden, die er heimlich zu hassen gelernt hatte. „Jetzt... will ich am liebsten sterben.“ „Das wirst du zu meinem allerhöchsten Leidwesen noch früh genug, so fürchte ich!“, fuhr sein Halbbruder ihm ungeahnt scharf ins Wort und sein Cousin seufzte leise, kaum hörbar. Irgendwie verstand er ihn ja... aber war das wirklich ein Grund, sterben zu wollen? Für ihn eigentlich nicht, so dachte er sich... „Vielleicht solltest du versuchen, zu schlafen... richtig meine ich. Morgen sieht die Welt sicher schon viel besser aus.“ Er hatte keine Ahnung, ob er das, was er da sagte, auch genau so meinte, aber er hoffte zumindest inständig, dass es so zutreffen würde. Takoda sagte nichts, schien aber zu gehorchen, als er sich etwas entspannte und sein Gesicht leise atmend abwandte. -- „Ah!“ Tainini schrie erschrocken auf, als irgendwer die Haustür gewaltsam aufstieß, was ein lautes, reichlich unschönes Geräusch verursachte. Hätte ihr Mann nicht gerade vor ihr gestanden, dann hätte Lilliann darauf gewettet, dass es Imera war, doch auch der schien nicht wirklich eine Ahnung zu haben, was sein verwirrter und etwas verärgerter Blick zeigte. Verdammt, er musste sich endlich mit seiner Liebsten aussprechen, damit seine Familie wieder in Ordnung kam... Ihn traf beinahe der Schlag, als die, die er gerade zurückgelassen hatte, wieder vor ihm standen. „Was ist denn jetzt noch?!“, schnappte er negativ überrascht und Maigi fasste sich ahnungslos an den Kopf. Was wollten die ganzen Leute in seiner Küche...? Dass es nichts mit ihm zu tun hatte, bemerkte das Dorfoberhaupt schnell, als sein Zwilling Genda, der auf einem Stuhl in der Ecke gesessen und gelesen hatte, am Kragen packte und sehr gewaltsam zu sich hochzog. Lilli schrie empört auf, ihr Sohn schien nach einem kurzen Moment der Verwirrung bereits zu ahnen, worum, oder besser, um wen es hier zu gehen schien. Weh tat er ihm so ohnehin nicht, er war größer als der Grünhaarige... „Was erlaubst du elende Missgeburt dir, meine Tochter zu schwängern?!“ Auf die erste Verblüffung folgte zunächst Schweigen. Bei manchen über die grob übermittelte Nachricht, bei anderen allein über die Tatsache, dass ausgerechnet Mayora jemand anderes als Missgeburt bezeichnete. „Was?!“, schnappte Maigi dann als Erster, „Samili ist schwanger? Von Genda?!“ Lilliann wandte sich erbleichend an ihren Sohn. „Kann das sein? Weißt du etwas davon?!“ Die Aufmerksamkeit lag geschlossen auf dem Jungen, dessen Blick keinen Aufschluss gab. Seine Worte wurden erwartet. Und seine erste, weltbewegende Reaktion auf diesen Satz, der unter Umständen sein Leben verändern konnte, war: „Ups...“ Darauf fing er sich prompt eine Ohrfeige und seine Mutter konnte Mayora seine Reaktion nicht einmal verübeln. Genda tat es auch nicht, obgleich er empört schnaubte, als er sich die gerade abgeklungene Wange rieb. Grünhaarige Kerle waren gefährlich, hatte er gelernt. „Ja.“, entgegnete er dann, „Ja, ist schon möglich. Dumm gelaufen... eben ups.“ Sie wurden unterbrochen, als eine weitere Person den Raum betrat, völlig außer Atem und definitiv sauer. „Ihr habt mich in eurem blöden Schlafzimmer vergessen!“, empörte sich die, um die es die ganze Zeit ging und stemmte die Hände in die Hüften, „Wie ich jetzt gerannt bin, ach! Ah ja, eure Haustüre hier sieht übrigens ungesund aus...“ Der strenge Blick ihrer Mutter traf sie. „Ich bin schwer enttäuscht, ich hoffe, das weißt du.“, sprach sie mit bebender Stimme, „Und dass du diesen Tee trinkst ist selbstverständlich, am besten bereits heute Abend.“ Samili schwindelte es. Sie lehnte sich etwas an den Rahmen der Küchentür an, während alle Blicke, falls vorhanden, auf ihr ruhten und auf ihre Reaktion warteten. Sie sah zu Genda. Sie wusste selbst, dass die Worte ihrer Mutter vernünftig waren und wenn sie in sich hinein hörte, dann war sie sicherlich noch nicht soweit, sich ein eigenes Kind zu wünschen, aber sie konnte dieses Getränk nicht zu sich nehmen... Die Erinnerung an die Stimmen, die auf dem Weg hier her zu ihr gesprochen hatten, ließ sie zusammenzucken. Du darfst es nicht töten! Es muss leben! Stelle dich deinem Schicksal! Schicksal war gut, fand sie, ihr Schicksal machte es ihr im Moment gerade ziemlich schwer. Mit einem Mal kamen ihr die Tränen. „Ich kann es nicht töten, Mami!“, jammerte sie, „Ich darf das nicht, wenn ich es tue, wird es mein Leben zerstören!“ Chatgaia hob eine Braue. Imera zischte. „Kinder machen wahrlich nur Ärger! Höre doch einfach darauf, was man dir sagt, Mädchen!“ „Das tu ich doch, genau das mache ich!“, sie schluchzte herzergreifend, „Soll ich das menschliche Urteil meiner Mutter über das der Götter des Feuers stellen? Wie könnte ich das bitte verantworten?!“ „Siehst du, was du angerichtet hast?!“ Mayora fauchte und schüttelte Genda unsanft, während dieser irritiert zu dem weinenden Mädchen sah. Das war ja wirklich dumm gelaufen. Sie bekam ein Baby... von ihm? Wie bescheuert, sie war wohl doch noch zu jung gewesen, wenn sie es nicht geschafft hatte, darauf zu achten, wann sie miteinander schliefen. Jetzt war es ohnehin zu spät... Ihm fiel darauf etwas ein, was er gar nicht einmal so schlecht fand. „Ich kenne mich mit der Verbindung zu den Göttern ja nicht aus, aber das halte ich in deinem Alter auch für äußerst unvernünftig, Samili!“, sprach unterdessen auch seine Mutter auf das Mädchen ein. „Selbst ich war älter...“, stimmte auch Tainini mit ein und die Grünhaarige sank verzweifelt zu Boden. Uda Magafi, der ihr am nächsten gestanden hatte, erbarmte sich, sich zu ihr zu knien und etwas zu sich zu ziehen, um sie zu trösten, obwohl sie es in seinen Augen nicht ganz verdient hatte. Aber er konnte seine Enkelin doch nicht weinen sehen... Seine Enkelin, die im Begriff war, ihn mit Mitte fünfzig zum Urgroßvater zu machen, das war gemein! Genda grinste unwillkürlich leicht, dann ergriff er das Wort. „Und wenn ich sie zur Frau nehme und wir eine Familie werden? Eine... sehr junge, zugegeben.“ Chatgaia hob nicht weniger verblüfft als alle anderen beide Brauen, als auch sie in sich hinein hörte, so, wie es ihre Großnichte zuvor wohl getan hatte. Wenn sie Recht hatte, mit dem, was sie da sprach, dann würden die Götter ihr das Selbe sagen. „Das kommt gar nicht in Frage, du Spinner!“, versuchte Imera seinem Fast-Sohn den Garaus zu machen, „Sehr jung, dass ich nicht lache, VIEL zu jung! Als ob du dich um die arme Kleine kümmern würdest, ich weiß ja nicht, was hier gerade in dich gefahren ist, aber das lässt du gefälligst bleiben!“ „Außerdem würde ich dir nie mein Kind überlassen!“, schnappte Mayora darauf zustimmend. Keiner von ihnen schaffte es auch nur annähernd, den Jungen zu verstehen. Er sah wieder zu der Grünhaarigen, in ihr an sich bildhübsches, aber vom weinen verzerrtes Gesicht. Wirklich... sie war hübsch. Er senkte den Blick etwas. „Lasst uns das doch versuchen.“, bat er in ungewohnt höflichem Ton und der Magier vor ihm war beinahe im Begriff, ihn ein weiteres Mal zu schlagen, riss sich aber unter einem vorwurfsvollen Blick seitens Maigi noch einmal zusammen. Einmischen wollte dieser sich nicht, aber der Kerl sollte nicht in seiner Küche durchdrehen und den notgeilen Jungen verprügeln, Himmel... „Verstehst du das nicht?!“, schrie der Ältere da dennoch und seine Frau war sich beinahe sicher, dass er am Abend wieder unter seinem Fieber würde leiden müssen, „Sie ist fast noch ein Kind! Du selbst bist es beinahe noch, du bist kaum älter, auch wenn du dich so aufspielst! Du kannst das nicht!“ „Und dir meine Tochter zur Frau geben wir dir erst recht nicht!“, fügte Choraly hinzu, deren Vater daraufhin schnaubte, aber ignoriert wurde. „Man könnte das Mädchen ja auch einmal fragen...“ Lilliann fuhr sich gestresst durchs Haar. Als ob sie nicht genügend Probleme gehabt hätte, war ja wundervoll. An sich hatte ihr Sohn sich wirklich noch eine Ohrfeige verdient, so ein Ärger! „Du bist dazu doch noch gar nicht in der Lage, Genda, du arbeitest nicht und bist kein bisschen liebevoll, so schwer es mir auch fällt, das über mein eigenes Kind zu sagen!“ „Ich kann sehr wohl liebevoll sein!“, wehrte sich der Junge nur und Samili kuschelte sich verzweifelt an ihren Großvater. „Ich muss dieses Baby bekommen, mit oder ohne Genda! Meine Götter wollen es! Ich muss es tun!“ Sie blinzelte kurz zu dem, mit dem sie zu häufig das Bett geteilt hatte. In seinen Augen war keine Wut oder Enttäuschung, anders, als sie gedacht hatte, es schien beinahe, als würde ihn der Umstand gar nicht stören. Und er... wollte sie zu Frau nehmen? Zur Frau?! Was ging in ihm vor?! „Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe!“, schnarrte der Brünette scheinheilig und Choraly kreischte auf, als ihr nichts mehr einfiel. Warum waren die unempfänglich für ihre Worte?! Sie waren zu jung und sie wollte für ihre Tochter einen anständigen Mann! „Keine Widerrede! Finger weg von meinem Kind und du...“, sie wandte sich der weinenden Samili zu, „Du trinkst diesen verdammten Tee und mir ist vollkommen egal, was dir deine blöden Götter angeblich sagen, ich bin deine Mutter, ich weiß, was gut für sich ist!“ „Höre auf sie!“, forderte auch Lilliann und ihr Mann stimmte mit ein. „Das, was ihr da vorhabt, kann nur schief gehen!“ Er schnaubte, als er kurzzeitig an seine eigene Misere dachte... nun ja, immerhin, das hier brachte Abwechslung. Zwar nicht unbedingt positiv... „Wisst ihr doch gar nicht!“, wehrte Genda sich weiter, „Wenn sie sagt, sie will ein Baby bekommen, dann wird sie das auch!“ „Das hast du nicht zu entscheiden!“, wurde er von Mayora darauf angefahren und Maigi schnaufte. „Und das alles in meiner Küche, schämt ihr euch nicht?!“ „Dazu ist später Zeit...“, erwiderte Imera nur müde und Lilli faltete die Hände seufzend. „Tut uns Leid...“ Genda ereiferte sich unterdessen weiter am Streit mit dem Magier. „Du aber auch nicht! Das ist ihre Sache!“ „Ihre Sache? Dieses Kind würde von dem Geld leben, dass ich und meine Frau verdienen, da werden wir sehr wohl ein paar Worte mitzureden haben!“ Choraly quiekte abermals. „Einmal davon abgesehen, dass sie noch keine sechzehn Jahre, also noch nicht volljährig ist! Wir bestimmen, was mit ihr geschieht!“ „Aber ihr habt keine Ahnung!“, jammerte Samili weiter und Genda drängte sich an ihrem Vater vorbei zu ihr, wurde aber von Uda abgehalten, ihr zu nahe zu kommen. „Wer weiß schon, was du vorhast...“ „Gar nichts!“, empörte er sich, näherte sich dennoch und griff nach der Hand des Mädchens, „Werde meine Frau! ... sobald du kannst.“ Sie starrte ihn verwirrt von seiner Zuwendung an. Ich nutze dich nur aus! Du nervst zwar an sich, aber zu manchen Sachen bist du echt zu gebrauchen... Notgeiles Kind! Aber gut, dass du da bist... Warum wollte er jetzt eine Beziehung zu ihr, die an sich auf Gefühlen basieren sollte? Sie sah nichts Falsches in seinen wie immer recht dunkel unterlaufenen Augen. Sie verstand es nicht... auf eine seltsame Art vertraute sie ihm in diesem Moment und ihre Götter bestärkten sie darin, etwas Richtiges zu tun. „Ich glaube... ich sollte deine Frau werden!“ Irgendwie glaubte sie sich selbst kaum, an sich wollte sie doch viel lieber ihre Jugend als adliges Mädchen in der großen Stadt genießen, aber ihre Worte waren dennoch die Wahrheit. Ihr Gegenüber grinste, Uda Magafi schnaubte und schubste den Jüngeren von seiner Enkelin weg, worauf er gezwungen war, sie los zu lassen. Einen Moment lang verharrte sein Blick noch auf dem hübschen Gesicht, dann wandte er sich den anderen zu und schenkte ihnen ein siegessicheres Grinsen. Die gaben sich nicht so einfach geschlagen. „Ich gebe dir meine Tochter nicht, du hässlicher Bastard!“, schrie Mayora außer sich. „Und dieses Kind schminkst du dir auch ab!“, stimmte seine Frau mit ein und Lilli seufzte kurz, ehe sie dagegen anbrüllte. „Dieses „hässlicher Bastard“ verbitte ich mir aber! Und du, Genda, hörst jetzt auf mit dem Unsinn, sei nicht so unvernünftig!“ „Und höre auf, so zu grinsen!“, ereiferte sich auch Imera weiter und der Junge fasste sich an den Kopf und wollte gerade lautstark etwas erwidern, da unterbrach Chatgaia sie schrill. „Jetzt reicht es aber!“, in ihrer Stimme lag eine so wichtige Entschlossenheit, dass es niemand wagte, sich ihrer Aufforderung zu widersetzen, „So dumm es auch klingt und so wenig ich es euch verüble, wenn ihr mir nach allem, was geschehen ist, nicht mehr vertraut – an Samilis Worten ist etwas dran. Die Götter des Feuers würden ihren Kindern niemals etwas Falsches empfehlen.“ Sie machte eine Spannungspause und das grünhaarige Mädchen, das sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte, blinzelte sich irritiert die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte Recht gehabt, diese Stimmen waren keine Einbildung gewesen! „Ich fürchte, sie wird nicht damit klar kommen, wenn sie diesen Tee trinken soll... nichts geschieht ohne Grund und wenn es etwas Schlechtes wäre, dann hättest du, Mayora, es doch gar nicht erst zugelassen. Wir wissen immerhin um dein Sein...“ Götterkind, ja. Er errötete. Warum hatte er das nicht verhindert?! Warum hatten seine eigenen Götter, seine Eltern, ihn nicht gewarnt? Stattdessen hatten sie ihn sich künstlich über Kura aufregen lassen, das war so ärgerlich! Er senkte den Blick. Choraly schnaubte. „Das kommt so trotzdem alles nicht in Frage...“, sie war leiser geworden, doch die Bestimmtheit in ihrer Stimme war hartnäckig nicht gewichen. „Damit schadest du ihr.“, war die trockene Entgegnung ihrer Stiefmutter und sie senkte den Blick verunsichert schnaubend. Chatgaia war eine Magierin ohne gleichen, wenn sie so etwas sagte, dann wusste sie, wovon sie sprach. Dass sie das Mädchen, das sie doch so sehr liebte wie ihre eigene Enkelin, in Gefahr bringen würde, stand außer Frage. Lilliann sah verwirrt zwischen den anderen hin und her. „Was bedeutet das jetzt?“ „Das wir das Ganze ziemlich überdenken müssen.“, war die Antwort seitens Mayora und Samili rannte an allen vorbei zu ihrer Großtante und stürzte sich in ihre Arme. Sie hatte ihr geholfen! Sie hatte zu ihr gestanden! „Danke!“, schrie sie beinahe, während sie ihr Gesicht am Hals der Älteren vergrub, „Ich wusste, ich kann auf dich zählen! Ich habe dich so lieb!“ Auf sie zählen können, na immerhin eine. Die Frau erwiderte die Umarmung seufzend. Sie war doch eigentlich ein gutes Mädchen... ein gutes Mädchen, das nun einmal einen verheerenden Fehler gemacht hatte, der sich nun nicht mehr rechtmäßig rückgängig machen ließ. „Na gut!“, Mayora kratzte sich am Kopf, „Und was wird jetzt aus ihm?“ Er deutete auf Genda, der nun etwas verloren blinzelte, als mit einem Mal aller erwarteten, dass nun er reagierte. Das tat er nach einem Augenblick auch, als er Imera am Ärmel packte und ihn aus dem Raum zog, ehe der sich hätte widersetzen können. „Wir müssen reden!“ Sie fanden sich in der Stube wieder. Der Junge konnte es seinem an sich so verhassten Adoptivvater nicht verübeln, dass er ihn ziemlich verwirrt und überrumpelt anschaute. Er seufzte, ehe er ihn mit einem festen Blick bedachte. „Das ist ein Gespräch, das ich gern mit meinem Vater geführt hätte!“, begann er, „Jemand anderes als du war aber nicht übrig dafür.“ Der Ältere hob eine Braue, riss sich aber angesichts des Vertrauens, das man ihm entgegen brachte, zusammen. Erstaunlich, dass er das überhaupt noch konnte, stellte er überrascht fest, an einem solchen Tag. Er wünschte sich, ihn aus dem Kalender streichen zu können... „Es ist so...“, sprach Genda da, „Du musst mir helfen, du musst unbedingt dafür sorgen, dass ich bei Samili bleiben kann. Dass... die mich dann wohl mit in die Stadt nehmen. Auch wenn das gruselig ist...“ Er senkte den Blick tief, während er mit einem Fuß auf dem hölzernen Boden herumscharrte. Kaliri-Holz, wie fast alles in diesem Ort. Kein Baum wuchs so schnell und in so großen Mengen nach wie dieser. „Warum willst du das auf dich nehmen?“, wurde er zurückgefragt, völlig ruhig, „Wenn du Vater wirst, wirst du gerade einmal fünfzehn sein... willst du das wirklich?“ Es dauerte etwas, bis der Jüngere antwortete. Er blinzelte in das goldene Licht hinter den Fenstern... ihm fehlte jede Ahnung darüber, wie spät es war. Es war aber auch egal in diesem Moment. „Geplant war das nicht.“, räumte er dann ein, „Aber ich will das, es... ist meine Chance. Ich meine...“ Genda sah seinem Gegenüber wieder ins Gesicht. Er war unglücklich. „Sieh mich an!“, forderte er, „Wer will schon etwas von mir wissen? Ich bin hässlich und unsympathisch! Samili mag mich vielleicht, da lasse ich sie mir doch nicht davon rennen, wenn ich vielleicht eine akzeptable Zukunft mit ihr haben kann!“ Er errötete. „Man muss schließlich sehen, wo man bleibt...“ Imera hob beide Brauen. Irgendwo hatte er ja Recht, im Ort war er alles andere als beliebt, aber richtig überzeugen tat das den Mann nicht. Da musste es doch andere Möglichkeiten geben... sein Fast-Sohn nahm ihm den Wind aus den Segeln. „Außerdem steht es jetzt so gut wie fest, sie wird dieses Baby bekommen. Ich stehe zu dem, was ich getan habe.“ Unbeabsichtigt versetzte er dem Dorfoberhaupt mit seinen Worten einen kleinen Stich. Er hatte Takoda gezeugt und stand nicht zu ihm... und würde es nie tun. Das war falsch, das wusste er, und dennoch... er wollte nichts mit diesem Kind zu tun haben. Da war er einfach egoistisch und würde es bleiben. Zu den Worten, die ein Mann einmal gesprochen hatte, musste er schließlich auch stehen, so hatte sein Vater immer gesagt. An Gendas Überzeugung war jedoch nicht zu rütteln. Dennoch, eine wichtige Frage lag ihm noch auf den Lippen. „Liebst du dieses Mädchen denn? Wenn du sie nicht begehrst, ist das Ganze sinnlos, egal wie vernünftig es klingen mag... für dich.“ Die Antwort ließ auf sich warten. So war sie immerhin halbwegs wohlüberlegt, dachte sich Imera, als er die Arme vor der Brust verschränkte, geduldig auf die Reaktion seines Gegenübers wartend, das seinen Blick zu gesenkt hielt. Liebte er sie? Konnte er überhaupt irgendwen lieben? Mich trieb die Neugierde...! Ich bin eine gute Zuhörerin, glaube es mir, ich schwöre! Wurdest du denn oft geschlagen? Du schon wieder? Sag mal, das... ach! Da, wo ich herkomme, trifft man nicht auf Individuen wie dich, die sperrt man nämlich ein. Mochte sie ihn denn? Sie hatten oft das Bett geteilt, das war wahr, aber mochte sie ihn? Ach, das zählte nicht! Selbst wenn nicht, er würde sie irgendwie von sich überzeugen können, auch wenn es nur durch seine nicht vorhandenen Fähigkeiten als Vater war. Vater... er mochte Babies. Sie waren unschuldig. Er sah ernst auf. „Ich denke, ich liebe sie. Hilf mir, bitte.“ -- Es waren wenige Tage vergangen, als sich die Situation grundlegend änderte. „Das ist alles... furchtbar dumm gelaufen. Tut mir Leid.“ Imera seufzte. Sein braunes Haar wehte wild um seinen Kopf herum dank des Windes, den die Flugmaschine verursachte. Wenigstens bekam er dank der gefestigten kleinen Startbahn der Station kaum Staub ab. „Wir wären ohnehin in der nächsten Zeit zurückgekehrt.“, antwortete Uda Magafi dumpf, aber recht laut, um den Krach der warm laufenden Rotoren zu übertönen, „Die Stadt erscheint mir wieder sicher für meine Familie.“ „Ich würde gerne mitkommen, jawohl!“, Yivakavi spielte mit Takodas Händen und lachte. Der Blick des Jungen war düster, wie er seit einigen Tagen immer war. Wie eine Regenwolke, die sich einfach nicht ausregnen konnte. „Du wirst mich vermissen, ich denke.“, sprach er gleichmütig, „Du lachst nur, weil du mir nicht zeigen willst, dass du in Wahrheit weinst.“ Das Mädchen hielt inne. Einen Moment starrte es sein Gegenüber aus den verschiedenen Augen entgeistert an, dann beugte es sich nach vorn und küsste es kurz auf den Mund, ehe es sich wortlos umdrehte und den Weg zurück Richtung Oase rannte. Vermutlich würden sie sich nie wieder sehen. Es war besser so. Lilliann weinte bitterlich, während sie sich an ihren ältesten Sohn klammerte, der nur wortlos auf sie hinab sah. „Du nimmst mir meine letzte Erinnerung an deinen Vater!“, warf sie ihm vor, „Wie kannst du mir das antun, Genda?“ Er seufzte und drückte sie fest an sich. „Du hast doch noch die Mädchen... ich werde dich stolz machen. Dich und Papa. Wir sehen uns wieder, versprochen.“ Er küsste sie auf den rot-blonden Schopf und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er, wie viel sie ihm eigentlich bedeutete. Seine Mama... Er hatte sich dafür entschieden, ein Mann zu werden. Sein Blick wanderte kurz zu Samili, die sich gerade von Teneri verabschiedete. Hoffentlich würde er gut für sie sorgen können. Irgendwie... er hatte ja überhaupt keine Ahnung, was in der Stadt auf ihn warten würde. Was er tat, war ein Wagnis, niemand, von denen, die ihn mitnahmen, mochte ihn wirklich. Zur Not konnte er immer noch zurück... nein, das kam nicht in Frage. Überrascht grinsen musste er, als er sah, wie Namini, seine pummelige jüngste Schwester, ihren Cousin Korhota schüchtern auf die Wange küsste. Der lachte daraufhin doof. Vielleicht hatte er ihr ja gesagt, dass er auf kräftige Frauen stand oder so... Dramatischer war es an anderer Stelle. Tafaye sah verzweifelt zu seiner hysterisch weinenden Tochter, die völlig am Ende in den Armen ihres Prinzen hing. „Du darfst nicht gehen!“, schrie sie, „Ich liebe dich!“ Sein Gesicht war hochrot, als er sie deprimiert an sich drückte. „Ich kann nicht bleiben.“, war seine leise Antwort, „Ich... ich lebe in der Stadt, ich besuche dort die Schule. Es tut mir Leid...“ „Nein!“ Ihr Griff verfestigte sich. Er konnte nicht gehen, sie hatte ihm ihr Herz geschenkt! Und das wusste er auch... ihm kamen die Tränen, als er einen folgenschweren Entschluss fasste. „Lausche mir!“, forderte er und der Schneider war über den liebevollen Unterton in seiner Stimme überrascht, „Ich kehre zurück! Ich mache den von mir verlangten Schulabschluss, Liebste, dann kehre ich zu dir zurück! Wir entscheiden dann, was wir tun – entweder ich bleibe hier, oder du kommst mit mir, ich schwöre es dir bei allem, was mir heilig ist, Kirima!“ Sie sah bebend zu ihm auf. „Ist das wahr?“ „Ist es!“ Tafaye räusperte sich, verlegen, die beiden unterbrechen zu müssen. „Höre mal, Serenka...“, der Junge drückte seine Freundin noch enger an sich als ohnehin schon, „Dann musst du mir auch versprechen, wirklich zu deinem Wort zu stehen. Unsere Familie ist vermutlich die treuste unter der Sonne, Kirima wird auf dich warten, wenn es sein muss tausend Jahre. Nach dem Tod ihrer Mutter habe ich nie wieder eine andere Frau angesehen, ebenso mein Vater und mein Onkel hat Ewigkeiten gebraucht, die Frau, die seinen Heiratsantrag abgelehnt hat, zu vergessen. Wenn du dein Wort nicht hältst, zerstörst du ihr Leben. Falls das also nur daher gesagt war, dann ist das der Augenblick, in dem du...“ „Ich halte mein Wort, ein Magafi hält immer sein Wort!“ Kirima schenkte ihm darauf ein Blick, in dem eine junge, aber grenzenlose Liebe lag. Serenka spürte instinktiv, das mehr dahinter stecken musste... er war fest entschlossen. Er hatte sich verliebt... richtig verliebt, nicht nur ein bisschen. Er würde zurückkehren... das würde er wirklich... Das würden so einige tun. Ob die Wüste Glück oder Unglück brachte war je nach Gesichtspunkt verschieden, doch sie war ein Teil der Bewohner des Magafi-Anwesens in Wakawariwa. Sie würden sie nie abschütteln können. Sand war hartnäckig. -------------- Das letzte Kapitel, es folgt noch der Epilog in den nächsten Tagen. Danksagungen und so auch wieder da. Ja, ich hoffe, es war nicht zu verwirrend? Und vor allen Dingen ein gelungener Abschluss, so ohne Gemetzel kommt es mir komisch vor ._.' Epilog: Epilog -------------- Sieben Jahre später. „Renne doch nicht so!“ „Wir haben doch noch Zeit, es ist noch früh...“ Der kleine Junge schnaubte, als seine Eltern ihm etwas genervt und noch müde folgten. Heute war doch ein besonderer Tag, heute kam er in die Schule! Heute war er groß! „Ihr seid voll unhöflich!“, schnaubte er, ungeduldig von einem Fuß auf den Anderen trampelnd und wartend, dass die Älteren ihn einholten, „Nyemih wartet doch auf mich, jahaa!“ Lilliann schnaubte. „Nyemih schläft vermutlich noch... genau so wie alle anderen halbwegs vernünftigen Menschen, Tanaki!“ Der Kleine raufte sich sein rot-braunes Haar. Ach, vernünftige Menschen, die gingen bloß alle zu spät zu Bett und kamen morgens nicht mehr auf! Dass seine Mutter so etwas unterstützte, Unverschämtheit! „Aber ich mag doch der Erste sein, jahaa!“, er stampfte säuerlich auf und sein Vater, der ihn nun eingeholt hatte hob ihn tröstend auf die Schultern. „Du wirst der Erste sein, versprochen.“ Er lächelte. Es hatte lange gedauert, bis sich alles wieder eingependelt hatte in seiner Beziehung mit seiner Frau... aber irgendwann war es wieder in Ordnung gewesen. Und ihre Mühen waren belohnt worden mit ihrem kleinen Sohn Tanaki, der das nächste Dorfoberhaupt sein würde. Er johlte fröhlich, als er so durch den Ort getragen wurde, im übrigen absichtlich laut, damit alle sahen, wie groß er schon war. Lilli ihrerseits kicherte über Imeras List, jetzt waren sie nicht mehr gezwungen zu rennen wie von Wüstendämonen gejagt. Zu ihrer Überraschung war die kleine Nyemih doch schon wach. Eigentlich war sie eine ziemliche Langschläferin, aber die Aufregung auf ihren ersten Schultag hatte sie früh erwachen lassen. Oder das Geschrei ihres besten Freundes, aber darauf ging niemand so genau ein. „Freust du dich auch so sehr, Tanaki?“ Taininis Frage war eigentlich überflüssig gewesen, als der kleine Junge blöd vor ihr herum zu hüpfen begann. „Jahaa! Jahaa, das wird voll lustig, ich bin voll intelligent, das seht ihr dann, jahaa! Ich kann so gut rechnen, jahaa, Mama, sag ihr, wie gut ich rechnen kann!“ Lilliann verdrehte die Augen. „Oh Tai, er kann so gut rechnen.“ Die jüngere Frau kicherte. Maigi half unterdessen seiner kleinen Tochter beim Schuhe anziehen. Er gluckste amüsiert über den Jungen. „Klasse.“, lobte er ihn. „Ich lerne das auch bald!“, Nyemih klatschte in die kleinen Hände und Tanaki sah zu ihr herüber. Er schnaubte. „Aber ich kann das besser, jahaa!“ Das Mädchen zog eine Schnute. „Okay...“ Imera schüttelte bloß leicht den Kopf. Beinahe peinlich, dass er ebenso ein Angeber gewesen war im Alter seines Sohnes. Er kam eben sehr nach ihm, jahaa. Sein Blick schweifte aus dem Fenster. Die Sonne war gerade über die Dünen gekrochen und tauchte die Oase nun in ein goldenes Licht. Ob sein andere Sohn in diesem Alter auch so gewesen war? Direkt zutrauen tat er es ihm nicht, aber es war auch nicht auszuschließen. Er hatte ihn damals eben nicht gekannt... und wirklich kennen tat er ihn auch heute noch nicht. Er hatte ihn erst zwei Mal gesehen... einmal, als der Junge zwölf gewesen war und einmal mit sechzehn. Zuletzt hatte er nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt. Aber es freute ihn, dass er trotz seiner Krankheit auch an diesem Tag weit weg noch lebte. Die medizinische Versorgung in der großen Stadt war ohnegleichen... Er wünschte ihm viel Glück. -- „Was... wollt ihr alle hier?!“ Takoda warf seinem älteren Halbbruder einen missgelaunten Blick zu. Serenka lachte etwas dämlich. „Nun ja... Kirima ist in die Stadt und weil ich frei habe, hat sie gemeint, ich solle mich um die Kleinen kümmern und sie... würde, du weißt schon, was sie meiner Wenigkeit stets antut, sobald ich nicht gehorche... nachts...“ Er räusperte sich und der Jüngere verzog angewidert das Gesicht. Wenn es etwas gab, wofür er sich definitiv nicht interessierte, dann war es, was sein Bruder und seine scheinbar schüchterne Ehefrau in ihrem Schlafzimmer – oder sonst wo – so taten. Leider wusste er recht viel davon... „Welch graziöse Gattin du doch hast...“, er schüttelte den Kopf, „Und was sucht ihr zu der Zeit in meinem Zimmer?“ Es hatte nicht einmal Mittagessen gegeben, zu der Zeit wollte er seine Ruhe. Ebenso wie nach dem Mittagessen und nachts. Und zu allen Tageszeiten, die er gerade vergessen hatte. „Aaaaalso...“, begann der Ältere da gedehnt, „Na ja, mir kam so der Gedanke, ich hoffe, es war nicht zu töricht, dass der stolze Onkel doch gerne ebenfalls etwas Zeit mit seinen süßen, bezaubernden, liebenswürdigen Nichten... und Takema... verbringen würde? Und mit mir, versteht sich.“ Takoda hob eine Braue, ehe er sich zu den zweijährigen Drillingen bückte. Während die kleine Samai brav mit ihrer Schwester Shira Händchen hielt, war ihr Bruder Takema damit beschäftigt, in ein Taschentuch Löcher zu beißen. Ja, noch waren es Taschentücher, aber sein Onkel rechnete jeden Tag damit, dass bald die Gardinen daran glauben mussten. Besonders mit dem Jungen war Serenka etwas überfordert... aber nicht mehr zu sehr als zu Beginn. Als er mit seinen damals Neunzehn Jahren Vater von gleich drei Kindern gleichzeitig geworden war, war er einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen. Heute ging das besser, obwohl er anders als sein Bruder schwer beschäftigt war. Letzterer tat wenn er nicht gerade puzzlete einzig Dinge, die man ihm tausendfach verboten hatte. Automatisch zog er seinen Pullover mehr über seine malträtierte Unterarme. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Dieses Mal war es niemand anderes als ein gähnender Genda, gefolgt von seiner grundsätzlich böse schauenden Tochter Mayana. Sie sah ihrem Vater unheimlich ähnlich, war aber hübscher als er und wirkte durch ihre winzige Gestalt obendrein niedlich, egal, wie bösartig sie dreinschaute. Takoda schnaubte empört. „Ähm... hallo? Abhauen, aber alle!“ Genda hob blöd eine Braue. „Ich habe doch noch gar nicht gesagt, weshalb ich hier bin!“ „Warum denn?!“ „Ich hatte gerade einmal nichts zu tun und Mayana war ohnehin langweilig...“ „RAUS!“ Seine Familie war nervig. Aber sie war das Einzige, was ihn überhaupt am Leben erhielt. Er hoffte, bald ließ man ihn los... er würde enttäuscht werden. Ende ------------------------- Und was keiner weiß, Mayora ist seit drei Jahren tot =P Hiermit bedanke ich mich bei allen Lesern, vor allen Dingen aber bei und , die einzigen, die kommentiert haben uû. Hätte jeder von euch kommentiert, dann hätte die Story nach diesem Kappi 72 Kommentare, immerhin. Abder dennoch, danke bei jedem, der bis hier hin durchgehalten hat. Vorerst seht ihr diese Charas nicht wieder, aber ich habe mein nächstes Projekt "Kinder der Erde" begonnen, das ich auch hochladen werde, sobald ich ein paar Charabilder habe. Wer also Interesse hat, ich würde mich freuen... PS: Ich habe auch ein paar gesonderte One Shots zu KdW2 und Wk geschrieben, soll ich eine One Shot-Sammlung von dem Mist machen? oô Ich mein ja nur... *spontane Idee* LG Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)