The Curse von AlastairBlackwell ================================================================================ Prolog: Machtlos ---------------- „Was ist hier passiert?“ - „Das sieht ja furchtbar aus!“ - „Hat denn niemand etwas mitbekommen?“ „Was denn?“ Das Gedränge war zu dicht... „Waren noch Menschen in dem Haus?“ - „Sie suchen gerade nach ihnen.“ „Was ist denn los?!“ Sie konnte einfach nicht durchbrechen. „Oh Gott!“ - „Der Junge!“ - „Und sein Bruder...“ „Lassen Sie mich durch!“ So sehr sie es versuchte, die Menge wollte keinen Platz machen. „Wo ist der Älteste?“ - „Und das Mädchen? Ist das Mädchen unversehrt?“ „Ich bin doch hier!“, schrie sie, „Hört mich denn keiner?! Was ist passiert?!“ Sie wollte lauter und lauter schreien, sich nach vorn drängen, doch je mehr sie es versuchte, desto schwächer wurde sie, desto leiser schien ihre Stimme zu werden, während die Flammen noch immer hoch in den Himmel schossen... Kapitel 1: Shawna ----------------- Die Sonne war noch längst nicht aufgegangen, doch die Augen der Siebzehnjährigen waren bereits auf Wanderschaft in ihrem Zimmer. Gut, genau genommen war es nicht ihr Zimmer, sondern das einer ihrer besten Freundinnen, Miranda Barker, in welchem sie für die Sommerferien wohnen durfte, denn Shawna Mallory - so der Name des Mädchens selbst - hatte kein Zuhause mehr. Es war inzwischen ein geschlagenes Jahr her, dass das Haus, in welchem sie mit ihren drei Brüdern gewohnt hatte, durch eine verheerende Explosion zerstört worden war. Dawson, Euan und Adrian waren dabei ums Leben gekommen, es war wohl ein Zufall gewesen, dass Shawna gerade an dem Tag nicht dort gewesen war, als es passiert war, ansonsten läge sie in diesem Moment wohl nicht unversehrt hier. Gut, was hieß schon unversehrt... Das Mädchen würde diesen Tag nie wieder vergessen, all die Bilder hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und machten ihr Angst davor, in der Nacht die Augen zu schließen, denn ständig verfolgten sie sie im Traum. Auch heute war sie wieder schweißgebadet aufgewacht, vollkommen ausgelaugt. Einzig und allein der Traum war der Beweis dafür, dass sie wirklich geschlafen hatte, spüren tat sie davon nichts mehr... Eigentlich konnte sie auch gleich aufstehen, was sollte sie denn hier schon verpassen? Zwar nicht wirklich schläfrig, doch trotzdem nur mit großer Mühe kam sie schließlich auf die Beine und ging mit behutsamen Schritten über den Flur zum Badezimmer, um ihre Freundinnen nicht zu wecken. Miranda und Felicity waren Zwillinge und teilten sich während Shawnas Aufenthalt ein Schlafzimmer, was recht problemlos verlief, da die beiden niemals ernsthaft aneinander gerieten - jedenfalls hatte Shawna es noch nie erlebt. Aus dem Spiegel starrte der Siebzehnjährigen ein Gesicht entgegen, welches zwar ihres war, doch ihr trotzdem fremd erschien... Das hüftlange, schwarze Haar, welches für gewöhnlich in sanften Wellen um ihr Gesicht und die Schultern fiel, sah heute Morgen noch zerzauster aus als sonst kurz nach dem Aufwachen, und noch dazu schien es etwas von seinem üblichen Glanz verloren zu haben. Eine dunkle Haut hatte sie noch nie gehabt, doch an diesem Tag wirkte sie besonders fahl und schimmerte vom Schweiß, der sie bedeckte. Nur die Augen ließen erahnen, was für ein hübsches Mädchen sie eigentlich war. Schmal, jedoch nicht wirklich klein, mit unfassbar schwarzen Wimpern und sanft geschwungenen Augenbrauen, tiefgrün glänzend, schauten sie ihr direkt entgegen, als wollten sie ihr einen Vorwurf machen, wieso sie sie denn mit diesen tiefen Ringen so verunstaltet hatte. Schweigend schlüpfte Shawna aus dem dünnen Nachthemd und stieg unter die Dusche, keine Sekunde zögernd, das Wasser sofort aufzudrehen. Der verdunstende Schweiß hatte ihre Haut abgekühlt, wodurch sich jeder einzelne Tropfen im ersten Moment unerträglich heiß anfühlte, als wolle er sie verbrennen, doch mit der Zeit gewöhnte sie sich daran und blieb fast viel zu lange unter dem Wasserstrahl stehen, ohne überhaupt irgendetwas zu tun. Das war eine der Gemeinsamkeiten, die sie mit ihren Brüdern hatte. Auch die drei, besonders Dawson, der älteste von ihnen, hatten stundenlang unter der Dusche stehen können, ohne zu merken, wie viel Zeit dabei eigentlich verging. Shawna konnte nicht dagegen ankämpfen, dass ihr die Tränen kamen, wenn sie an Dawson dachte, und jetzt gerade kam es ihr vor, als stünde er direkt vor ihr, so deutlich sah sie sein Gesicht vor sich, jedes Detail davon. Das kleine Grübchen im Kinn, die zarten Fältchen um diese ganz besonderen, strahlend blauen Augen, wenn er lachen musste, die fast verblasste Narbe auf seiner Stirn, die von einem Unfall kam, den er einmal gehabt hatte, als Shawna noch ein Kind gewesen war. Sie war auf den Rand der Badewanne geklettert, nicht wissend, wie gefährlich es war, was sie dort tat, und sie wäre gefallen, wäre nicht Dawson im rechten Moment dort gewesen, um sie aufzufangen. Er, der ganze fünfzehn Jahre älter war als sie, war dabei mit dem Kopf gegen die Wand geknallt und hatte sich eine Platzwunde zugezogen, Shawna erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. „Mach dir nichts draus“, hatte er gesagt, obwohl das Blut über sein ganzes Gesicht geflossen war, „es hätte mehr wehgetan, wenn du dich verletzt hättest.“ Damals hatte sie diesen Satz nicht verstanden... Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass sie sein Gesicht nie wieder sehen würde, und auch die von Euan und Adrian nicht. Die drei waren einander wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen, sie alle hatten dasselbe goldblonde Haar mit den strohfarbenen Strähnen dazwischen und dieselben blauen Augen gehabt, genau wie ihre Mutter, welche jedoch schon seit Adrians Geburt nicht mehr lebte. Shawna war von Anfang an mehr nach ihrem Vater gekommen, doch auch diesen hatte sie nie wirklich kennengelernt, sie wusste nur, dass er in seinem Beruf ums Leben gekommen war, und das war etwas, worauf die ganze Familie hatte stolz sein können. Frisch geduscht sah Shawna schon viel besser aus, wie sie selbst fand, als sie schließlich wieder vor den Spiegel getreten war. Sie sah zwar noch immer etwas müde aus, doch wenigstens würde sie sich so in der Schule blicken lassen können. Die Schule gehörte zu den letzten Dingen, die dem Mädchen noch etwas bedeuteten, an die sie sich noch halten konnte, von der sie sich ein wenig ablenken lassen konnte. Die Schule, die sie besuchte, war keine normale Schule. Aber sie war ja auch kein normales Mädchen, ganz im Gegenteil. Shawna Mallory war eine Hexe und würde in wenigen Tagen im siebten und letzten Jahr der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei - kurz, Hogwarts - anfangen. Als sie das Bad schließlich wieder verließ, fertig angezogen und mit trockenen Haaren, war es bereits halb sieben und die Sonne ging langsam über London auf. Ein kurzes Lauschen an der Zimmertür ihrer beiden Freundinnen verriet der Schwarzhaarigen, dass diese sich gerade aus dem Bett quälten, begleitet von einem durchdringenden Gähnen. Sofort musste sie leicht grinsen. Diese beiden schafften es immer, sie irgendwie aufzuheitern, selbst wenn sie es manchmal gar nicht mit Absicht taten, und diese Morgenmuffligkeit war für Shawna definitiv etwas, worüber man schmunzeln konnte, weil sie es von zuhause nicht gewöhnt war, bis zur letzten Minute im Bett liegen zu können. „Aufstehen, Schlafmützen, ich mach uns schonmal Frühstück!“, rief die Siebzehnjährige aus, nachdem sie kurz gegen die Tür geklopft hatte, und obwohl sie nicht mehr deutlich verstand, was die zwei als nächstes sagten, war sie sich doch sicher, eine gewisse Begeisterung aus ihren Stimmen herauszuhören. Wenn Shawna eines konnte, dann war es kochen. Kochen war für sie dasselbe wie ihr Lieblingsfach in der Schule: Zaubertränke. Man musste bloß die richtige Menge an richtigen Zutaten zur richtigen Zeit zusammenfügen und dann wahlweise den Topf, die Pfanne oder eben den Kessel rechtzeitig vom Feuer nehmen, um zu verhindern, dass alles anbrannte, und in dieser Kunst verstand sie sich gut. Nun gut, es war keine besondere Schwierigkeit, Schinken und Eier zu braten, nicht einmal wenn man nicht so geübt war wie sie, doch das hieß ja nicht, dass es nicht schmeckte. Das Mädchen selbst aß ungern warmes Frühstück, doch der Geruch von gebratenem Schinken war der sicherste Weg, Miranda und Felicity an den Tisch zu bekommen, und außerdem sah es Shawna als Selbstverständlichkeit an, den beiden im Haushalt zu helfen, wenn sie schon einfach so hier wohnen durfte. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis die Zwillinge unten in der Küche auftauchten, und wenn man sie nicht kannte, so wie Shawna, konnte man sie einfach nur verwechseln. Miranda und Felicity Barker waren, wie Shawna auch, siebzehn Jahre alt, waren jedoch im Juni geboren statt im Februar und damit ein wenig jünger als die Schwarzhaarige. Sie hatten beide weißblondes Haar, welches sie stets exakt gleich frisiert hatten - heute zu einem Pferdeschwanz hochgebunden - und beide hatten neugierige, graublaue Augen, die von genau gleichen Brillen mit eckigen Gläsern betont wurden. Auch ihre Kleidung war absolut identisch. Graue Pullunder über weißen, kurzärmligen Blusen und dazu olivgrüne Faltenröcke, weiße Kniestrümpfe und schwarze Schuhe mit kleinen Absätzen. Die beiden machten sich einen Spaß daraus, andere damit zu verwirren, dass sie Zwillinge waren, und bis heute gab es an der Schule noch einige Leute - unter anderem den einen oder anderen Lehrer - die die zwei nicht auseinander halten konnten. Nicht einmal charakterlich gab es große Unterschiede zwischen den beiden, sie waren beide heitere Gemüter und hatten stets einen lockeren Spruch auf den Lippen. Sie waren - um es kurz zu sagen - fast das genaue Gegenteil zu Shawna selbst, und wahrscheinlich war das einer der Gründe, weshalb die drei so gut miteinander klarkamen. „Gebratener Schinken, klasse!“, riefen beide wie aus einem Munde aus und ließen sich wie einstudiert auf ihre Stammplätze am Tisch fallen, während die Schwarzhaarige sie schmunzelnd anschaute und den Kopf leicht schüttelte. Während des Essens sprach keine der drei besonders viel, die Zwillinge hatten fast die ganze Zeit den Mund voll, während sie es von ihrer Freundin bereits kannten, dass diese eher schweigsam war, und deswegen sprachen sie sie auch gar nicht erst darauf an. Irgendwie verstanden die beiden Shawna auch stumm, und so hatten sie es im Gefühl, dass sie jetzt nicht unbedingt reden wollte. Das würden sie wohl später ohnehin noch versuchen. „Schaut mal, die Post ist da!“, brach Felicity jedoch schließlich das Schweigen, als sie bei einem kurzen Blick aus dem Fenster eine hübsche Schleiereule bemerkte, welche gleich drei Briefe bei sich trug, „Ob wir wohl viele neue Sachen brauchen?“ „Ich hoffe nicht...“, nuschelte Miranda in sich hinein, „Ich konnte ja schon letztes Jahr meine Tasche kaum tragen!“ „Ihr stellt euch vielleicht an!“, erhob nun auch Shawna die Stimme, während sie die Eule hereinließ und ihr eine Schale Wasser hinstellte, „Eure Taschen sind im Gegensatz zu meiner noch gar nichts!“ „Selbst schuld, wenn du immer den ganzen Zaubertränke-Kram mit dir rumschleppst!“, antworteten die Zwillinge im Chor, woraufhin alle drei Mädchen laut lachen mussten, so dass die Eule ihnen einen missbilligenden Blick zuwarf. Aber die beiden hatten Recht. Zaubertränke war nicht einfach Shawnas Lieblingsfach, es war eher so etwas wie ihr Lebensinhalt. Sie verbrachte ohne Übertreibung jede ruhige Minute damit, die Nase in ihre Bücher zu stecken und mehr darüber zu lernen, und es lohnte sich. Schon vom ersten Schuljahr an war sie die Klassenbeste in diesem Fach und hatte bisher immer Spitzennoten darin erreicht. Es war ihr Traum, später einmal Heilerin zu werden und Zaubertränke und Gifte zu ihrem Spezialgebiet zu machen. Selbstverständlich, dass sie dafür lernte! „Meint ihr, sie haben Deveraux endlich rausgeworfen?“, fing Miranda nach einer Weile wieder an. Deveraux - genauer gesagt Professor Jonathan Deveraux - war der Lehrer für Zaubertränke an der Schule, doch so sehr Shawna dieses Fach auch liebte, mit ihm konnte sie sich nicht besonders anfreunden, und das war unpraktisch, denn ausgerechnet er war der der Leiter des Hauses, in welches sie und die Zwillinge gingen: Slytherin. Deveraux war fast an der ganzen Schule unbeliebt, er hatte irgendwie eine Art an sich, die einen abstieß. Er war furchtbar arrogant, schlimmer noch, als man es den meisten Slytherins ohnehin nachsagte, und dazu hatte er eine kaltblütige Ader, die einen nicht selten daran zweifeln ließ, ob so jemand wie er überhaupt menschlich sein konnte. Was man ihm jedoch lassen musste, war, dass er sein Fach verstand, doch das war wohl auch das einzig Positive, das die Freundinnen an ihm gefunden hätten. „Ich glaub nicht dass sie den jemals rauswerfen“, ging Felicity auf die Frage ihrer Schwester ein, „dafür unterrichtet er zu gut. Leider. Ich wäre ihn auch gerne los, der Typ ist mir unheimlich!“ Bevor jedoch noch eine große Diskussion ausbrechen konnte, klatschte Shawna schließlich in die Hände und schwang ihren Zauberstab einmal durch die Luft, woraufhin sich das Geschirr von selbst abzuspülen begann. „Wir haben keine Zeit mehr! Ich will nicht wieder die letzte in der Winkelgasse sein, ihr wisst was wir letztes Jahr für einen Stress in den Geschäften hatten, also los, macht euch fertig!“ Gesagt, getan. Eine knappe halbe Stunde später waren alle Koffer gepackt und die drei Schülerinnen reisefertig eingekleidet, was bedeutete, dass kein Muggel sie so als das erkennen konnte, was sie waren. Zwar waren sie alle drei in reinblütigen Zaubererfamilien aufgewachsen, doch hatten die Eltern der Zwillinge durch ihre Arbeit im Ministerium einen sehr guten Einblick ins Leben der Muggel, und so hatten sie ihnen recht gut beibringen können, wie man sich unauffällig verhielt. Die Folge war, dass keiner der unzähligen Muggel auf den Straßen Londons irgendetwas bemerkte, als die drei Mädchen ihre Koffer in den selbstverständlich magisch vergrößerten Kofferraum des Wagens hievten, den die Eltern der Barker-Schwestern ihnen für die Fahrt zur Winkelgasse dagelassen hatten, so dass Shawna sie bequem und ohne irgendwelche Probleme, nicht einmal mit Zeitverzögerung, zum Eingang in die magische Welt bringen konnte. Kapitel 2: Einkäufe ------------------- Die Zimmer im Tropfenden Kessel waren schnell organisiert, so dass die Mädchen sich noch vor dem Mittagessen in die Winkelgasse begeben konnten, um die ersten Einkäufe für das neue Schuljahr zu tätigen, denn obwohl es für sie alle das letzte Jahr war, brauchten sie ungewöhnlich viel Material. Zwar hatte es nicht ausdrücklich auf den Listen gestanden, doch aus den Titeln der Bücher, welche sie sich beschaffen mussten, ließ sich der Schluss ziehen, dass allein im Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste ganze drei neue Werke benötigt wurden. Das konnten die Zwillinge natürlich nicht unkommentiert lassen. „Ich fass es nicht! Drei neue Bücher! Drei!“, regte sich Felicity auf, als sie den ersten vernünftigen Blick auf die Bücherliste warf, und ihre Schwester konnte ihr nur zustimmen. „Wer auch immer der neue Lehrer ist, der muss wahnsinnig sein!“ „Ich wette, der musste in seinem Leben nie so eine schwere Tasche schleppen.“ „Genau! Felicity, ich sag es dir, wenn ich den sehe, kriegt er was zu Hören!“ Wie immer lauschte Shawna dem Gespräch der beiden stumm, jedoch nicht ohne ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht. Natürlich regten sie sich auf, irgendetwas fanden sie immer, um sich darüber aufzuregen, doch das war noch etwas, was das Beisammensein mit ihnen so interessant machte, und jetzt war es eben der neue Lehrer, der dieses Jahr an ihre Schule kommen würde. Professor Laurencine, ihr vorheriger Lehrer, hatte sich nach dem letzten Jahr in den wohlverdienten Ruhestand zurückgezogen. Er war ein winziger Mann, der noch älter ausgesehen hatte als er wahrscheinlich wirklich war, hatte nur noch ein paar Strähnen weißgrauen Haares gehabt, musste, der Dicke seiner Brillengläser nach zu urteilen, schon halb blind gewesen sein und in seinen letzten Dienstjahren hatte er sich stets auf einem Stock abgestützt, doch anders als es sein gebrechliches Äußeres hatte vermuten lassen, war er ein wahrer Meister seines Faches gewesen, der noch jeden seiner Schüler mit Leichtigkeit hätte überwältigen können. Die Schüler selbst hatten ihn gemocht, und man hatte stets mit jedem Problem zu ihm kommen können, obwohl er nicht einmal der Leiter eines ihrer Häuser gewesen war, und vielleicht war das der Grund, dass Miranda und Felicity ein wenig gereizt darauf reagierten, dass er nun durch einen Neuen ersetzt werden sollte. „Meinst du nicht auch, wir sollten uns beschweren, Shawna?“, sprachen die Zwillinge sie schließlich im Chor an, doch außer einem leisen Lachen sollten sie auf diese ohnehin wohl eher rhetorische Frage keine Antwort erhalten. Abgesehen davon, dass Shawna nicht wirklich Lust hatte, den beiden klarzumachen, dass der neue Lehrer wahrscheinlich ein wenig einflussreicher war als sie, war ihre Konzentration schon auf etwas anderes umgeschlagen. Im Schaufenster der Apotheke war ein großes Schild mit der Aufschrift »AUSVERKAUF« angebracht worden, und es gehörte zu den Charaktereigenschaften der Schwarzhaarigen, an solchen Angeboten nicht vorbeigehen zu können. „Ich muss da mal kurz rein...“, murmelte sie in sich hinein, während sie bereits die schwere Tür des Ladens aufschob. Die Apotheke wirkte kleiner, als sie wirklich war, denn nicht nur dass die Fensterscheiben schlecht geputzt waren, nein, auch sämtliche Wände waren mit Regalen zugestellt, auf welchen dicht an dicht Gläser und Fläschchen in unterschiedlichen Größen, Farben und Formen standen - und das wild durcheinander. Ein besonders gut sortierter Laden war dies nicht, doch möglicherweise ließ sich ja hier ein gutes Geschäft machen. Es dauerte eine halbe Stunde - die blonden Zwillinge waren inzwischen weiter gezogen - bis Shawna das staubige Lädchen wieder verließ, voll bepackt mit allerhand Utensilien, die ihr im kommenden Schuljahr hoffentlich nützen würden. Es war das Jahr, in denen für sie die UTZ-Prüfungen anstanden, und das Mädchen musste, um einmal ihren Traumberuf ergreifen zu können, in den meisten Hauptfächern sehr gute Noten erreichen. Warum sie sich ausgerechnet für ihr bestes Fach, in welchem sie - aus der Sicht der meisten anderen - die absolute Bestnote ohnehin schon in der Tasche hatte, am meisten anstrengte, konnte sich zwar niemand erklären, abgesehen von ihr selbst, doch es beschwerte sich auch niemand darüber, und so ließ sie sich nicht stören und lernte fleißig weiter. Erst bei Madame Theresa’s, einem Laden, der neben den gewöhnlichen Zaubererumhängen auch so manches hübsche Abendkleid verkaufte, holte Shawna ihre Freundinnen wieder ein. „Nett von euch, dass ihr gewartet habt!“, meinte sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht, „Ich hab für uns alle schonmal die Zutatenkästen wieder aufgefüllt, ihr wärt da doch sowieso nicht drauf gekommen.“ Da mussten die beiden ihr schweigend Recht geben. Zum Glück dachte wenigstens eine daran, dass es für das neue Schuljahr noch mehr zu besorgen gab als nur die Bücher... Doch auch von diesen wollten Miranda und Felicity noch nichts wissen, sondern deuteten noch einmal auf das Schaufenster, vor welchem sie nach wie vor standen. „Wir haben doch dieses Jahr unseren Abschlussball, lasst uns hier mal schauen, ob wir nicht ein paar schöne Kleider finden!“, schlug Felicity vor, wartete jedoch nicht lange auf eine Antwort, sondern verschwand sofort im Inneren des Geschäfts, dicht gefolgt von den beiden anderen. Dem ersten Eindruck nach war es hier schon um einiges angenehmer als in der Apotheke, zumindest was die Sauberkeit des Ladens anging. Es war längst nicht so stickig und man konnte durch alle Scheiben sehen, und auch die kleine, pummlige Hexe, die sofort auf sie zugestürmt kam, machte einen weit sympathischeren Eindruck als der schrullige Mann hinter dem Tresen der Apotheke, welcher, wie Shawna glaubte gesehen zu haben, nur noch ein Auge gehabt hatte. „Kann ich Ihnen behilflich sein, die Damen?“, sprach die Frau - wahrscheinlich Madame Theresa persönlich - die drei sofort an, und wie immer ließen sich die blonden Zwillinge nicht lange bitten. „Wir kommen jetzt ins siebte Hogwarts-Jahr“, fing Miranda an und ihre Schwester beendete den Satz, „und für den Abschlussball bräuchten wir noch Kleider.“ „Ah, wie wunderschön!“, entgegnete die kleine Hexe träumerisch, „Ich kann mich an meinen Abschlussball erinnern, als wäre er gestern gewesen... Und drei so entzückende, junge Damen wie Sie werden mit Sicherheit atemberaubend aussehen...“ Die drei Freundinnen grinsten einander für einen Augenblick an, scheinbar hatten sie alle denselben Gedanken. „Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?“, riss Madame Theresa sich schließlich selbst wieder aus den Schwärmereien heraus, „Oder wollen Sie sich selbst ein wenig umschauen?“ Während sich Miranda und Felicity sofort danach erkundigten, ob all die Kleider hier Einzelstücke wären oder ob sie auch beide die gleichen bekommen könnten - am besten in einem hübschen Blau - machte sich Shawna allein auf den Weg, um sich im Geschäft umzusehen. Sie hatte sich bisher gar keine Gedanken über diesen Abschlussball gemacht, doch jetzt fiel ihr noch dazu ein, dass sie ja auch noch mit irgendeinem Jungen dorthin gehen musste. Na wunderbar... In ihrer gesamten Schulzeit hatte sie sich noch nicht für Jungen interessiert, und spontan fiel ihr auch keiner ein, den sie hätte fragen können. Mit ein wenig Glück würde ihr jemand diese Entscheidung abnehmen und sie einladen, doch irgendwie rechnete sie nicht damit. Sicher, Shawna war ein hübsches Mädchen, das hatte sie inzwischen eingesehen, doch hatte sie es nie darauf angelegt, sich besonders beliebt zu machen. Diejenigen, die sie mochten, mochten sie eben, und die anderen nicht. Ein leises Seufzen entfuhr der Schwarzhaarigen, als sie in einen der vielen Spiegel blickte, die überall im Laden angebracht waren. Schon wieder sah sie so müde aus, dabei fühlte sie sich doch eigentlich schon besser als heute Morgen. „Was soll’s...“, murmelte sie in sich hinein und wandte den Blick wieder von sich ab, ihren beiden Freundinnen zu, welche geradezu aus dem Häuschen waren, als Madame Theresa tatsächlich mit zwei identischen, himmelblauen Kleidern auf sie zugewuselt kam. Shawna schmunzelte. Nicht einmal auf dem Ball wollten sie es sich also verkneifen, die anderen mit der Verwirrung darüber allein zu lassen, welche von ihnen jetzt welche war, das sah ihnen wieder mehr als ähnlich. Einen Moment schaute das Mädchen zu, wie die beiden schließlich aus den Umkleidekabinen kamen und sich begeistert vor einem besonders großen Spiegel drehten, während sie sich unterhielten. „Die sehen toll aus! Genau die Farbe, die ich mir vorgestellt hatte!“ „Ja, sollen wir die gleich nehmen? Ich finde, wir müssen uns keine anderen mehr anschauen, oder was denkst du?“ Auch Madame Theresa schien den beiden zuzustimmen, da sie die ganze Zeit nickte, während sie um die beiden herumwackelte und versuchte, nachzusehen, ob die Kleider auch optimal saßen. „Sie sehen entzückend aus, einfach entzückend!“, hörte man sie immer wieder ausrufen. „Aber ich komme mir noch ein bisschen nackt vor, oder?“, begann Miranda schließlich erneut, „Wir sollten noch nach ein paar Accessoires sehen!“ An diesem Punkt verlor Shawna das Interesse an der weiteren Unterhaltung, die zwei würden schon klarkommen, lieber schaute sie sich selbst noch ein wenig um, denn ebenso wie über ihre Begleitung, hatte sie sich auch über ihre Garderobe noch keine Gedanken gemacht. Sie musste schon zugeben, dass es hier tatsächlich viele hübsche Sachen gab, doch vollkommen zufrieden schien sie nicht zu sein, so dass sie am Ende die einzige war, deren Tasche noch leer war, als die drei das Geschäft wieder verließen. Sie war froh, dass die Buchhandlung Flourish & Blotts fast direkt gegenüber lag, so dass Miranda und Felicity keine weitere Gelegenheit fanden, sich über diesen Ball auszulassen. Darüber wollte sie sich am besten gar nicht mehr den Kopf zerbrechen, bis es wirklich soweit wäre. Stattdessen fanden die beiden schnell ein neues Thema, als ihnen auffiel, wer der Autor eines der Bücher war, die sie für Verteidigung gegen die dunklen Künste einkaufen sollten. „Arthur Laurencine?! Ich wusste gar nicht, dass der ein Buch geschrieben hat!“, riefen die Zwillinge wie aus einem Munde aus. „Ich wusste gar nicht, dass unser alter Professor Arthur hieß!“, war Shawnas Antwort darauf, woraufhin die beiden sofort losprusteten, so dass der gestresst wirkende Verkäufer, der sich gerade mit den Eltern einer neuen Erstklässlerin herumschlug, zu ihnen herübergestürmt kam und sie mit mäßiger Höflichkeit darum bat, sich doch bitte in angemessener Lautstärke zu unterhalten. „Verzeihen Sie bitte, Sir“, gluckste Felicity und zeigte ihm ihre halb zerknüllte Bücherliste, „Wir brauchen je drei Exemplare von denen hier. Hogwarts, siebtes Schuljahr.“ „Ich bin sofort bei Ihnen!“, rief der Mann aus, als er den Laden schon wieder halb durchquert hatte, um die Mutter zu beruhigen, die inzwischen lauthals zu zetern angefangen hatte, wie schlecht der Service hier doch sei und dass sie dafür sorgen würde, dass der Verkäufer in dieser Stadt nie wieder einen Job bekommen würde. „Mein Gott, sind die aufgeblasen“, murmelte Shawna in sich hinein, „die Frau erinnert mich irgendwie an Mrs Farrington!“ „Oh Gott, ja...“, nuschelten die blonden Mädchen kopfschüttelnd. Mrs Farrington war die Mutter von zwei Schulkameraden von ihnen, Anthony und Victor. Sie hatten sie nur einmal getroffen, als sie ihre Söhne zum Zug begleitet hatten, und wenn diese zwei schon eingebildet waren, dann gab es kein Wort mehr, das ihre Mutter beschreiben könnte. Noch nie hatten sie einen Menschen erlebt, der sich so sehr wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aufgeregt hatte. Shawna hatte schon einige Male darüber nachgedacht, ob es nicht vielleicht an ihr lag, dass die Jungen so waren, wie sie eben waren. Anthony war im selben Jahrgang wie sie und die Zwillinge, er war ebenfalls in Slytherin und sah noch dazu unheimlich gut aus, und obwohl sie eigentlich gar keine Lust gehabt hatte, einen Gedanken daran zu verschwenden, hätte sie sich in diesem Moment gut vorstellen können, mit ihm zum Abschlussfest zu gehen, doch mit seiner Art wollte sie einfach nicht klarkommen, und bei seinem jüngeren Bruder war es ganz genauso. „Dad sagt immer, schade dass es kein Gesetz gegen so hochnäsige Leute gibt, er als Auror würde gern mal ein paar von ihnen jagen...!“, flüsterte Felicity Shawna schließlich zu, was diese aus den Überlegungen riss und ihr wieder einmal ein Schmunzeln ins Gesicht trieb. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nun ohnehin nicht mehr, da der gestresste Verkäufer sich der Dame soeben entledigt hatte und nun erneut auf die drei Mädchen zukam. „Verzeihen Sie, aber das erlebe ich heute schon den ganzen Tag...“, ächzte er und tupfte sich mit einem Einstecktuch die Stirn ab, ehe er jedoch fortfuhr, als wäre nichts gewesen. „Sie brauchen die Bücher für den siebten Jahrgang, war das richtig? Gut, warten Sie bitte hier, ich bin auf der Stelle zurück.“ Noch bevor eine der drei ihn fragen konnte, wieso er die Bücher nicht einfach mit einem Schwebe- oder Aufrufezauber herbeförderte, war dieser schon wieder davongehuscht, doch die Mädchen beschlossen, ihm zu folgen, da er nicht mehr kräftig genug wirkte, die achtzehn Bücher selbst zu tragen, die sie alle drei zusammen benötigten. Amüsiert grinsend traten die drei eine Weile später wieder auf die Straße, nachdem sie dem Verkäufer ein Glas Wasser besorgt hatte, da dieser einen halben Nervenzusammenbruch erlitten hatte, als sie ihre Bücher einfach hatten schweben lassen. „Warum ist mir das nicht schon längst eingefallen...?!“, hatte er noch gestöhnt, ehe die drei nach draußen gegangen waren. „Irgendwie tut er mir Leid.“, merkte Shawna an, obwohl man ihr anhören konnte, dass sie hart gegen einen Kicheranfall kämpfte, „Aber jetzt lasst uns langsam zurück zum Tropfenden Kessel gehen, es wird schon fast dunkel sein, bis wir uns durch die Menschenmenge gequetscht haben, und außerdem kriege ich langsam Hunger!“ Gesagt, getan, und tatsächlich war es bereits höchste Zeit zum Abendessen, als die Mädchen schließlich wieder im Pub angekommen waren, wo der Wirt bereits ihr Gepäck auf ihre Zimmer hatte bringen lassen. Kapitel 3: Anthony ------------------ Im Schankraum war es gerammelt voll, ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Meistens hatten die Hexen und Zauberer, die sich hier herumtrieben, um diese Zeit bereits gegessen, doch was auch der Grund war, es führte dazu, dass Shawna und die Zwillinge keinen Tisch mehr fanden und aus diesem Grund beschlossen sie, später noch einmal zurückzukommen. „Sagt mal, kann es sein, dass es heute irgendwie nicht leerer da unten wird?“, nuschelte Miranda eine halbe Stunde später, als sie einen kurzen Blick aus Shawnas Zimmer geworfen hatte, in welchem die drei sich momentan befanden, „Mein Magen knurrt wie verrückt, lasst uns nachsehen ob wir uns irgendwo an einen Tisch setzen können, ja?“ Sowohl Felicity als auch Shawna ging es genauso, und daher versuchten sie es nun noch einmal. Miranda hatte tatsächlich Recht, es waren noch genauso viele Leute hier unten wie zuvor. Gab es irgendetwas zu Feiern, was die drei verpasst hatten? „Hey ihr drei!“ Die Mädchen fuhren zusammen, als sie plötzlich angesprochen wurden, und schauten sich sofort um, von wo die Stimme gekommen war. Wenn man vom Teufel spricht, schoss es Shawna durch den Kopf, denn von einem Tisch in der Ecke winkte ihnen niemand anderer zu als Anthony Farrington, der Junge, über den sie sich eben auf dem Zimmer unterhalten hatten. „Setzt euch her, hier ist noch alles frei!“, fuhr er fort, und obwohl die drei sich ein Dutzend Personen vorstellen konnten, in deren Gesellschaft sie lieber essen würden, nahmen sie sein Angebot schließlich an, schlängelten sich zwischen den Stühlen durch und nahmen an dem Tisch Platz, an welchem er tatsächlich noch ganz allein gesessen hatte. Anthony bot tatsächlich keinen zu verachtenden Anblick, und irgendwie sah er heute fast noch besser aus als sonst, was womöglich an seiner Kleidung lag. Anders als in Hogwarts hatte er hier nicht die Uniform an, sondern trug ein kurzärmliges, olivgrünes Rollkragenshirt und eine scheinbar brandneue, schwarze Jeanshose. Doch nicht nur die Klamotten ließen ihn gut aussehen, das schaffte er auch in der schlichten, schwarzen Uniform, auch sein Gesicht war hübsch, anders konnte man es nicht bezeichnen. Normalerweise war er ein eher blasser Junge, doch anscheinend hatte er die Ferien irgendwo verbracht, wo es viel Sonne gab, denn heute sah er ungewöhnlich gebräunt aus, was ihm aber durchaus gut stand. Er hatte dunkelbraunes Haar, kurz und wellig, welches er stets nach hinten strich und hinter die Ohren klemmte und welches im schwachen Licht des Schankraumes fast schwarz aussah, und dazu schmale Augen, die dieselbe Farbe hatten wie das Shirt, das er heute trug. Seine Nase hätte gerader nicht sein können und - als hätte ein Architekt sein Gesicht entworfen - stellte ein Grübchen in seinem Kinn noch ein kleines Highlight dar. Noch dazu spielte er mit großem Erfolg Quidditch in Slytherins Hausmannschaft, was ebenfalls seinen Teil dazu beitrug, dass sich Anthony bei seinen Mitschülern und besonders bei seinen Mitschülerinnen einer enormen Beliebtheit erfreuen konnte. Dass er wahnsinnig eingebildet war, schien niemanden zu stören, zumindest nicht die Art von Menschen, mit denen er sich normalerweise abgab, nämlich solche, die genauso waren wie er selbst. „Und, was habt ihr den Sommer über so getrieben?“, fragte er schließlich, als sich die drei gesetzt hatten und er dafür gesorgt hatte, dass man ihnen Getränke bringen würde. „Nichts Besonderes, wir sind nicht verreist oder so“, antwortete Felicity sofort, „aber Mum und Dad haben uns ihren Arbeitsplatz im Ministerium gezeigt, das war ganz interessant. Du warst bestimmt im Urlaub, so braun wie du geworden bist?“ Anthony nickte. „Ja, war ich, in Ägypten, allein, um genau zu sein. Meine Mutter hat mir die Reise zum siebzehnten Geburtstag geschenkt, aber ich dachte mir, ich fliege lieber im Sommer, und ich hatte natürlich Recht, es war faszinierend!“ Er benahm sich heute normaler als man es von ihm gewohnt war, schoss es Shawna durch den Kopf, während sie den beiden zuhörte, das überraschte sie ziemlich. Wahrscheinlich war wirklich seine Mutter schuld daran, wie hochnäsig er und sein Bruder waren, wobei man sagen musste, dass Victor Anthonys Eitelkeit noch um einiges übertraf. Die Schwarzhaarige war sich nicht sicher, ob es stimmte, doch sie hatte gehört, dass der Vater der Farrington-Brüder, welcher gestorben war, als Anthony sieben Jahre alt gewesen war, ein unglaublich freundlicher Mensch gewesen sein sollte. Victor war zwei Jahre jünger als sein Bruder, er hatte weniger Zeit mit seinem Vater verbracht, und vielleicht lag es tatsächlich daran, dass die zwei heute so waren, wie sie waren. Aber darüber wollte Shawna nicht lange nachdenken, denn ihr war noch etwas anderes aufgefallen, was sie noch um einiges mehr verwunderte. Sie hatte bemerkt, wie begeistert Felicity in das Gespräch mit Anthony vertieft war, anscheinend hatte sie ein wenig mehr für ihn übrig, als sie es sich bisher hatte anmerken lassen... Doch genau wie Miranda würde Shawna dazu nichts sagen, denn sie fand zwar, dass man es einigermaßen mit ihm aushalten konnte, doch war sie nicht in ihn verliebt oder etwas Ähnliches, weswegen sie es ihrer Freundin gönnen wollte. In genau dem Moment, als ihr schließlich die Dinge ausgingen, über die sie nachdenken konnte, kam die Kellnerin mit ihren Getränken an den Tisch, woraufhin Anthony gleich darauf bestand, ihr zusätzlich zum normalen Preis ein reichliches Trinkgeld zuzustecken. „Einige Leute können sich wohl echt alles leisten...“, hatte Miranda dazu bloß zu sagen, und im Stillen stimmten die beiden anderen Mädchen ihr zu, doch der Junge ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, sondern schmunzelte nur, strich sich wieder einmal das Haar zurück und meinte: „Naja, wenn man das Geld hat, wieso sollte man geizig sein?“ „Das ist eben ungewöhnlich für uns“, entgegnete die Blonde wieder, woraufhin Anthony sie fragend ansah. „Sind eure Eltern nicht Auroren?“, wollte er wissen, eine Frage, auf die Miranda nur nicken konnte. „Ja, schon, aber deswegen sind wir noch lange nicht reich. Wir haben genug, um uns ein bisschen was leisten zu können, aber trotzdem müssen wir ein bisschen aufs Geld achten.“ „Hey, Schluss jetzt, ihr zwei!“, griff Shawna schließlich ein, ehe sie sich einmal kurz nach der Kellnerin umsah und diese dann an den Tisch rief, „Wir wollen doch bloß in Ruhe essen, und wie viel Trinkgeld jemand gibt, ist ja wohl kein Thema, über das man unbedingt zu streiten anfangen muss, oder seh ich das falsch?“ „Nein, du hast Recht, tut mir Leid...“, nuschelte Miranda kleinlaut, und auch Anthony nickte knapp, ehe die junge Frau endlich am Tisch ankam und ihre Bestellungen aufnahm. „Bist du eigentlich allein hier?“, fing Felicity schließlich wieder das Gespräch an, „Sonst haben wir dich immer erst am Bahnhof gesehen.“ „Ja, ich bin heute allein, Mutter hat Victors Schulsachen schon gekauft, als ich in Ägypten war, und deshalb musste ich nochmal her. Und ich muss morgen sehen, wie ich zum Gleis komme, ich glaube, diese Taxifahrer, oder wie die Muggel sagen, sehen es nicht gern, wenn man mit zwei Koffern, einem Kessel und einem Käfig ankommt, in dem eine Eule sitzt.“ Auf diese Bemerkung hin mussten die Mädchen ein wenig lachen. „Stimmt, das mögen die nicht, das mussten Miranda und ich letztes Jahr machen, da waren unsere Eltern im Ministerium, und wir können beide nicht Auto fahren, der Kerl wäre fast ausgerastet!“ „Ah!“, warf Anthony ein, „Dann bist du Felicity! Ich sehe euch seit sechs Jahren und dann noch fast jeden Tag, aber ich hab immer noch Schwierigkeiten, euch zu unterscheiden.“ „Davon kann Shawna ein Lied singen, nicht wahr?“, kicherten die Zwillinge im Chor, doch die Schwarzhaarige schüttelte nur leicht den Kopf. „Inzwischen kann ich euch auseinander halten, aber zugegeben, leicht war es nicht gerade. Ich hab fast unsere ersten beiden Schuljahre dafür gebraucht, die beiden geben sich aber auch Mühe, so gleich wie möglich auszusehen!“ Shawna blieb einen Moment stumm, ehe ihr jedoch plötzlich eine Idee kam. „Miranda, Felicity? Glaubt ihr, es würde euren Eltern etwas ausmachen, wenn wir Anthony morgen im Wagen mit nach King’s Cross nehmen?“ „Ich glaube, wenn die dich schon einfach mit ihrem Auto fahren lassen, macht es ihnen auch nichts mehr, wenn wir noch jemanden mitnehmen!“ Felicity schien die Idee für äußerst gut zu halten, ihre Augen leuchteten förmlich, während sie Anthony gespannt ansah und darauf wartete, was dieser dazu sagen würde. „Das wäre ehrlich in Ordnung für euch? Also... falls das wirklich ernst gemeint war, würde ich gern mitfahren.“, antwortete dieser, und einen Augenblick darauf kam bereits die Kellnerin mit dem Essen für die vier zurück. „Das wurde aber auch Zeit, nicht mehr lange und ich wäre verhungert!“, sprach Shawna das aus, was sie scheinbar alle gedacht hatten, denn am Tisch ging ein Grinsen herum, ehe die Schüler schließlich zu essen begannen und nebenbei absprachen, wann und wo sie sich morgen treffen sollten. Am nächsten Morgen standen die Mädchen schon früh auf, da sie, bevor sie zum Bahnhof fuhren, vorsichtshalber noch einmal in die Winkelgasse wollten, um ein wenig Geld von der Bank zu holen und noch einmal nachzusehen, ob sie vielleicht noch etwas gebrauchen konnten. So kam es, dass jede von ihnen am Nachmittag, als sie sich mit Anthony am Wagen der Barkers trafen, noch eine weitere Einkaufstasche bei sich hatte. Der Braunhaarige wartete bereits mit seinem Gepäck vor dem Pub und grinste, als die drei schließlich auch ankamen. „Typisch Mädchen, ihr könnt auch an keinem Geschäft vorbeigehen, was?“ „Das hab ich jetzt einfach mal überhört!“, meinte Shawna mit einem herausfordernden Schmunzeln auf den Lippen, während sie ihre Tasche in den Kofferraum legte. Einen Augenblick später saßen die vier bereits im Wagen und waren auf dem sicheren Weg zum Bahnhof. „Wie wollt ihr das mit dem Auto eigentlich machen? Lasst ihr das das ganze Jahr am Bahnhof stehen? Ich würde wetten, irgendein Muggel kommt und klaut es.“, merkte der Junge nach einer Weile an. Die Frage war natürlich berechtigt, wenn man nicht wusste, wie es vonstatten gehen sollte, doch das hatten die Mädchen bereits abgesprochen. „Das ist kein Problem“, antwortete Miranda, welche sich die ganze Zeit ein wenig zurückgehalten hatte, „Mum und Dad kommen nachher kurz vorbei, um uns Auf Wiedersehen zu sagen, die beiden mussten gestern Morgen früh zur Arbeit, so dass wir sie nicht mehr gesehen haben, aber das wollen die beiden nicht, deshalb kommen sie halt nachher noch vorbei und nehmen dann gleich das Auto wieder mit.“ „Oh Gott...“, stöhnte Anthony daraufhin auf, „Dann sollten wir uns trennen, Mutter kriegt einen hysterischen Anfall, wenn sie den Namen Barker nur hört. Sie übertreibt total, finde ich! Ich meine, auf Reinblütigkeit sollte man schon Wert legen, ich selbst finde es auch wichtig, dass die alten Familien nicht verschwinden, aber meine Mutter rastet aus, wenn sich Reinblüter wie eure Eltern mit Muggeln oder Muggelstämmigen abgeben.“ Miranda und Felicity tauschten leicht gereizte Blicke, und Shawna hätte es auch getan, wenn sie nicht auf den Straßenverkehr hätte achten müssen. „Wie gesagt, ich finde es übertrieben, aber es lässt sich nicht ändern... Mutter mochte eure Eltern schon zu ihrer Schulzeit nicht, hat sie mir irgendwann mal erzählt.“, nuschelte der Junge in sich hinein, nachdem er anscheinend bemerkt hatte, dass er etwas Falsches gesagt hatte, „Wahrscheinlich weil sie nicht in ihrem Haus waren, sie konnte sich noch nie mit Menschen abfinden, die anders sind als sie selbst.“ „So wie du redest klingt es fast, als hättest du ein Problem mit ihrer Art“, sprach Shawna ihn schließlich ganz direkt an, „aber die meiste Zeit benimmst du dich ganz ähnlich, wenn ich das mal ehrlich sagen darf. Mir kommt es jedenfalls so vor. Okay, sie ist noch ein ganzes Stück extremer, aber bei dir kommt es immerhin auch nicht selten vor, dass du andere wie Luft behandelst... Wieso tust du das, wenn dich das an deiner Mutter so stört?“ „Die Frage ist nicht schwer zu beantworten“, entgegnete Anthony nüchtern, „Ich mache das, um sie bei Laune zu halten, und in der Schule muss ich das natürlich auch so halten, da sehe ich meinen Bruder immerhin jeden Tag, und der ist nun wirklich so. Der würde es meiner Mutter sofort erzählen, wenn ich aus der Reihe schlagen würde, und das gäbe gewaltigen Ärger, darauf habe ich keine Lust. Ich bringe das Schuljahr noch hinter mich, dann sehe ich, dass ich von zuhause wegkomme. Ich hab mir in den letzten Jahren etwas angespart, davon besorge ich mir eine Wohnung oder so, und mit den Noten die ich hoffentlich kriegen werde, klappt es auch mit einem guten Beruf. Vielleicht bewerbe ich mich auch in einer semiprofessionellen Quidditch-Mannschaft, irgendwas wird sich schon ergeben, Hauptsache weg von da...“ Ich hatte keine Ahnung, dass es ihm so geht, dachte sich Shawna, während sie dem Jungen weiter zuhörte. Sie begriff zwar nicht ganz, wieso er sich nicht gegen seine Mutter zur Wehr setzen konnte, doch sicher hatte er seine Gründe, womöglich war er sogar einfach zu gutmütig dafür, wenn es alles stimmte, was er hier erzählte. Er tat ihr jedenfalls irgendwie Leid und wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihm geholfen oder ihm irgendetwas geraten, doch ihre eigene Situation war nie so schlecht gewesen, dass sie daraus hatte fliehen wollen. Im Gegenteil, das Leben bei ihren Brüdern war wundervoll gewesen, Euan und Adrian waren so etwas wie Shawnas beste Freunde gewesen, und von Dawson wollte sie gar nicht erst anfangen. Dawson... Beim Gedanken an ihn schossen ihr wieder einmal die Tränen hoch, weswegen sie nun für einen Moment die Augen zukniff und stumm weiterfuhr. Kapitel 4: Familien ------------------- Erst am Bahnhof fand Shawna die Sprache wieder, als die vier Schüler ihr Gepäck aus dem Wagen geholt und es in den Zug gebracht hatten. „Ich weiß wieder einmal nicht, ob ich mich auf die Zugfahrt freuen oder davon gestresst sein soll. Dieses ewige Sitzen macht mich ganz wahnsinnig, aber andererseits habe ich eine Menge Zeit um zu lernen!“ „Shawna!“, begannen die Zwillinge im Chor, dann sprach Miranda allein weiter. „Hör auf, vom Lernen zu sprechen! Wir sind noch nicht in der Schule, davon will noch niemand was wissen. Stimmt’s, Anthony?“ Der Junge schien für einen Moment sprachlos, als Miranda sich einfach an ihn gewandt hatte. Nicht weil er die beiden nicht auseinander halten konnte, er hatte schon die Vermutung, mit Miranda zu reden - Felicitys Stimme klang meist ein wenig sanfter - doch genau das wunderte ihn. Bisher hatte er den Eindruck gehabt, Miranda könne ihn nicht ausstehen, doch jetzt schien sie aus irgendeinem Grund zu versuchen, netter zu ihm zu sein. Wahrscheinlich, dachte er sich, wusste Shawna ganz genau, was sie damit bezweckte, Shawna wusste komischerweise immer alles, fast als konnte sie Gedanken lesen, doch noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, stieß ihn Miranda an, einen beleidigten Ausdruck auf dem Gesicht. „Sag mal, redest du nicht mit mir?“ „Ähm... tut mir Leid, ich war in Gedanken...“, meinte er knapp, „Aber was anderes. Sagt ruhig Antho oder Thony zu mir.“ Er grinste. „Am besten sagt eine von euch Antho und die andere Thony, dann kann ich euch unterscheiden!“ „Das halte ich für keine gute Idee!“, warf Shawna ein, denn die Zwillinge grinsten einander bereits amüsiert an, „Die beiden werden versuchen, dich damit reinzulegen, darauf würde ich wetten. Guck sie dir doch an, wie die schon wieder grinsen!“ Miranda und Felicity brachen in schallendes Gelächter aus, doch der frohe Ausdruck, der gerade auf Anthonys Gesicht getreten war, verschwand so schnell, wie er gekommen war, als er in einiger Entfernung zwei Gestalten erkennen konnte. „Wir... wir sehen uns im Zug, wenn ihr wollt, ja?“, stieß er hektisch aus und ging dann los, ohne eine Erklärung, jedoch erhobenen Hauptes, als hätte er gerade irgendeinen Menschen zutiefst gedemütigt. Shawna schaute ihm nach und erkannte die beiden Personen, denen er sich näherte, sofort, als sie nur nahe genug gekommen waren. Victor Farrington war fast ein Ebenbild seines älteren Bruders, sie hatten beide dieselben Augen, Haare und Gesichtszüge, nur war Victors Gesicht ein wenig spitzer als Anthonys und sein Haar war anders geschnitten, auch das Grübchen im Kinn fehlte, doch trotzdem sah man ihnen mehr als deutlich an, dass sie Brüder waren. Jetzt, wo Shawna die beiden nebeneinander sah, fielen ihr diese kleinen Unterschiede jedoch besonders auf, mehr als je zuvor, und sie brauchte nicht lange nachzudenken, um sagen zu können, dass Anthony um einiges hübscher war. Sympathischer, allein schon äußerlich, doch sie wusste nicht genau, ob das nicht möglicherweise an seinem Charakter lag, welchen sie seit einigen Stunden völlig neu kannte. Auch die Mutter der beiden war recht ansehnlich, wenn auch vollkommen anders als ihre Söhne. Sie sah beinahe aus wie eine Skulptur aus Eis, so hell war ihre komplette Erscheinung. Das Haar der Frau war schneeweiß, obwohl sie noch nicht einmal vierzig Jahre alt war, und es war elegant hochgesteckt. Auch ihre Haut war unglaublich blass, nicht vollkommen weiß, doch so hell wie man es selten sah, ihre rosafarbenen Lippen waren fast noch das Dunkelste an ihrer kompletten Aufmachung, von den pechschwarzen Wimpern abgesehen, die ihre schmalen Augen umrandeten, in welchen ein Ausdruck stand, der nur zu deutlich machte, für wie unwürdig sie all die Menschen hielt, die sich noch auf dem Bahnsteig befanden. Ihre Augen waren eisblau und vollkommen kalt, als gäbe es so etwas wie Gefühle in ihrem Leben nicht. Die Kleidung, die sie trug, unterstrich noch alles, was es an ihr zu unterstreichen gab, und Shawna musste bei dem Gedanken schmunzeln, dass sie fast wie eine Figur aus einem mittelalterlichen Schauspiel aussah. Man konnte nur vermuten, dass der weite, bodenlange Reifrock zu einem Kleid mit Korsett gehörte, denn trotz der Hitze trug sie darüber einen weißen Pelzmantel mit dichtem, hellgrauem Kragen, wahrscheinlich aus echtem Fell. In ihr Haar hatte sie eine Art kleines Netz gesteckt, wie ein Witwenschleier, nur war dieses nicht schwarz, sondern aus silbernen Fäden genäht und mit feinsten Perlen verziert. Selbstverständlich trug sie Handschuhe, als fürchtete sie, mit irgendetwas in Berührung zu kommen, was hier in der Öffentlichkeit umherfliegen könnte. Shawna kannte diese Frau nicht, doch sie konnte sich mehr als gut vorstellen, wie sie war, und bei dieser Vorstellung tat ihr Anthony noch mehr Leid als vorhin schon. „So eine Mutter will ich nicht haben...“, hauchte Felicity aus, als auch sie und Miranda sich schließlich unauffällig zu der Familie umgedreht hatten. Auf ihrem Gesicht lag ein mitleidsvoller Blick, anscheinend hatte Shawna wirklich Recht damit gehabt, wie sie zu Anthony stand. „Apropos Mutter - wo bleiben Mum und Dad eigentlich? Der Zug fährt in zehn Minuten ab, die beiden sollten sich langsam mal sehen lassen!“, lenkte die zweite Zwillingsschwester im nächsten Augenblick jedoch ab, worüber die beiden anderen Mädchen recht froh waren. Die drei schauten sich einmal am Bahnsteig um, womöglich waren die beiden ja schon da und fanden sie bloß nicht, doch von dort, wo die Freundinnen standen, war keine Spur von ihnen zu erkennen. Wenn man jedoch vom Teufel sprach, dann erschien er, und ebenso geschah es auch jetzt. Mit einem deutlichen Plopp erschienen schon einen Augenblick später zwei Personen auf dem Bahnsteig, wie sie nur zu perfekt hierher passten. Die beiden waren wohl zuvor noch im Ministerium gewesen, denn über der normalen Kleidung trugen sie beide noch ihre aufgeknöpften Umhänge, die sie anscheinend gerade hatten ausziehen wollen, als ihnen eingefallen sein könnte, dass sie ihre Töchter noch am Bahnhof sehen wollten. Philomenia Barker war hoch gewachsen für eine Frau und man sah gleich, dass sie die Mutter der Zwillinge war. Ihr Haar war genauso hellblond wie das der Mädchen, war etwas mehr als schulterlang und sehr modern geschnitten, stufig und mit leicht abgeschrägtem Pony. Auch sie trug eine Brille, jedoch waren ihre Augen nicht graublau wie die der Mädchen, sondern grün und mit einem hellbraunen Kranz umrandet. Trotz der sonst so jugendlichen Erscheinung der Frau konnte man in diesen Augen eine naturgegebene Weisheit erkennen, welche nur durch eine gewisse Lebenserfahrung hatte entstehen können. „Miranda, Felicity, Shawna, meine Schätzchen, kommt mal her und lasst euch drücken!“, rief sie aus und nahm alle drei Mädchen in eine feste, zärtliche Umarmung. Shawna fühlte sich unheimlich wohl bei ihr, doch das hätte wohl jeder getan, denn es gab ein Wort, welches Mrs Barker nahezu perfekt beschrieb: mütterlich. Auch ihre Mimik gab dies nun her, der aufgeregte Gesichtsausdruck war verschwunden, sie hatte sich wieder ein wenig beruhigt und schaute die Freundinnen nun aus zwei Schritten Entfernung an. Zwar hatten sie sich erst vorgestern gesehen, doch die Barkers hatten ein so herzliches Verhältnis untereinander, dass sie nie lange ohne einander leben konnten, und wann immer Shawna zu Besuch bei ihnen war, behandelten sie sie wie ihre eigene Tochter. Ludovic Barker, der Vater der beiden und der einzige Mann in der Familie, stand noch etwas abseits, doch trotzdem wirkte er keineswegs distanziert, sondern schien seiner Frau lediglich freie Hand lassen zu wollen, und als diese geendet hatte, trat auch er schließlich heran. Seine Haut war sonnenbraun, sein Haar strohblond, beinahe schulterlang, dicht und der Ansatz begann langsam, sich grau zu verfärben. Es war meist kaum zu bändigen, weswegen er es fast immer mit zwei oder drei Haargummis zu einem Pferdeschwanz zusammenband, aus welchem trotzdem einige zu kurze Strähnen herausstanden. Seine Augenfarbe war der seiner Töchter schon ähnlicher, Ludovics Augen waren dunkelblau, und obwohl sie aussahen, als hätte er sie stets ein wenig verengt, leuchteten sie trotzdem aufgeschlossen und warmherzig. Er hatte ein kleines Bärtchen an der Unterlippe, doch das Auffälligste an seinem Gesicht waren die beiden sich kreuzenden Narben auf seiner linken Wange, welche er als Andenken - wie er es nannte - von seinem ersten Einsatz als Auror davongetragen hatte. Die Heiler im St. Mungo hätten sie wohl ohne Weiteres verschwinden lassen können, doch der Mann hatte sie behalten wollen, und irgendwie passten sie ohnehin zu ihm. Vielleicht lag das daran, dass Shawna ihn nicht anders kannte, doch es war eben so, dass er ohne sie merkwürdig ausgesehen hätte. Mr Barker zog jedes der Mädchen einmal fest an sich heran und stellte sich schließlich zu seiner Frau. „Jetzt gehen unsere großen Mädchen also schon in den siebten Jahrgang...“, begann er, mit seiner von Natur aus besänftigend klingenden Stimme zu sprechen, „Ich sehe euch noch vor mir, als ihr das erste Mal an diesem Bahnsteig gestanden habt, erinnert ihr euch noch daran?“ „Ludovic, jetzt hör aber auf, du bist deinen Töchtern am Ende noch peinlich!“, zischte seine Frau ihm zu, woraufhin die kleine Gruppe ein wenig lachen musste, „Und außerdem fährt der Zug gleich ab, wir wollen doch nicht dass sie ihn verpassen.“ Tatsächlich stiegen inzwischen nach und nach die anderen Schüler in die Waggons des Hogwarts-Express ein, so dass für einen Moment der Blick über den Bahnsteig wieder frei wurde. „Ach“, fing Mr Barker ein weiteres Mal zu sprechen an, „Schau mal, Liebling, Adrienna begibt sich unter das gemeine Fußvolk? Wie die schon wieder aus der Wäsche guckt, ihre Majestät ist wahrscheinlich empört, weil niemand sie mit dem gebührenden Respekt behandelt.“ Damit konnte er nur Mrs Farrington meinen, welche noch immer dort stand und die anderen Menschen verachtend musterte. „Ich weiß, so eine schreckliche Person ist mir noch nie untergekommen, ich frage mich immer noch, wie sich jemals ein Mann in sie verlieben konnte... Jetzt aber rasch in den Zug, Kinder, bevor er euch davonfährt! Schreibt uns, wenn ihr gut angekommen seid, ja? Alle drei, verstanden?“, sprach Mrs Barker in einem strengen, aber dennoch sanften Ton, und schob die Mädchen behutsam ein wenig an. Vater und Mutter schlossen die drei noch einmal in die Arme, ehe diese sich schließlich dazu durchringen mussten, in den Zug zu steigen und das Abteil zu suchen, in welches sie ihre Taschen zuvor gebracht hatten, doch es beruhigte sie, dass die Barkers noch am Bahnsteig standen und ihnen winkten, bis der Zug um eine Kurve verschwunden war und man den Bahnhof nicht mehr erkennen konnte. „Anthony Farrington, was?“, sprach Shawna ihre Freundin an, als sie sich gerade auf die Sitzbänke hatten fallen lassen, „Wieso wusste ich davon nichts? Ich weiß normalerweise alles, besonders über euch“ - Miranda gluckste. - „also bin ich jetzt beleidigt. Erzähl, seit wann geht das schon so?“ Felicity war rot geworden und hatte den Kopf ein wenig gesenkt. „Naja... Ich fand ihn schon immer irgendwie niedlich, so rein äußerlich...“ „Und ich wusste das!“, fiel ihre Zwillingsschwester ihr ins Wort, „Ich fand ihn nämlich auch toll, aber bei meinem Schwesterchen war es irgendwie ernster, deshalb hab ich mich ganz schnell wieder entliebt.“ „Ja, und das war wirklich lieb von dir“, unterbrach Felicity den Redefluss Mirandas schließlich wieder, „aber ich glaube, Shawna wollte ein bisschen was von mir hören!“ Spielerisch streckte Miranda ihr die Zunge heraus, ließ sie jedoch weiterreden. „Wie gesagt, aufgefallen ist er mir schon ganz früh, aber ich hab ihn wegen seiner Art nie angesprochen, so aufgeblasene und wichtigtuerische Kerle mag ich nicht. Gestern Abend war er aber irgendwie anders, viel normaler, und vor allem war es das erste Mal, dass er uns nicht so angesehen hat, als hätten wir Dreck im Gesicht oder so.“ „Stimmt“, warf Shawna ein, „Es war ja auch das erste Mal, dass weder seine Mutter noch sein Bruder dabei war, da konnte er mal er selbst sein.“ „Ja, das könnte es gewesen sein“, entgegnete Felicity wieder, während sie sich mit dem Rücken zu Miranda drehte und sich von dieser das Haar zu zwei kleinen Zöpfen flechten ließ, „Wie gesagt, er war einfach normal, und da wollte ich es eben mal versuchen...“ „So eine Mutter würde ich nicht haben wollen, irgendwie kann er einem schon Leid...“, hatte Miranda gerade angesetzt, als plötzlich die Tür zum Abteil aufgeschoben wurde und ein äußerst gestresst wirkender Anthony selbst den Kopf hereinsteckte. „Darf ich mich zu euch setzen?“ Er klang fast kleinlaut, als er diese Frage stellte, doch die Mädchen überlegten nicht lange und nickten leicht, woraufhin er den Käfig mit seiner hübschen Eule durch die Tür zog, sich auf den freien Platz neben Shawna sinken ließ und den Käfig öffnete, um das Tier herauszulassen, welches sofort ein wenig im Abteil herumflatterte, ehe es sich auf der Schulter seines Besitzers niederließ und begann, an dem kleinen, silbernen Stecker herumzuknabbern, welchen er im Ohrläppchen trug. „Normalerweise fahre ich ja mit Victor“, nuschelte der Junge eher, als dass er es laut aussprach, „aber so wie der sich eben wieder aufgeführt hat reicht es mir schon, dass wir uns ständig im Gemeinschaftsraum sehen werden. Ich will eigentlich weder mit ihm noch mit meiner Mutter mehr irgendetwas zu tun haben.“ Es war fast, als würde er bloß mit sich selbst reden, doch die drei Freundinnen schauten ihn aufmerksam an und hörten zu. „Wisst ihr, eigentlich hätte es mir ja gereicht, einfach aus der Villa auszuziehen und mich einfach etwas zu entfernen, aber nach der Vorstellung, die die beiden auf dem Bahnsteig hingelegt haben, reicht es mir endgültig, und ich komme mir schon feige dafür vor, dass ich es ihr nicht gleich in dem Moment gesagt habe, bevor sie richtig loslegen konnte. Sie hat angefangen, über jeden herzuziehen, den sie sehen konnte, und leider hat sie euch auch gesehen... Dann ging es los, der Name Barker ist ja nicht gerade unbekannt, und eure Eltern sind auch ziemlich angesehen, das wisst ihr ja selbst gut genug, aber für sie sind ja alle Menschen Abschaum, die sich nicht ausschließlich mit reinblütigen Zauberern abgeben. Wie solche Blutsverräter überhaupt Auroren werden konnten, all solches Zeug kenne ich ja schon von ihr, aber was danach kam, hat das Fass zum Überlaufen gebracht!“ Kapitel 5: Zurück in Hogwarts ----------------------------- „Nimm es mir nicht übel, aber sollte ich deiner Mutter mal in einem unbeobachteten Moment begegnen, kriegt die was zu Hören, dass ihr solche Sprüche ganz schnell vergehen!“, knurrte Shawna, doch Anthony lachte bloß bitter auf. „Wenn es nach mir ginge, hätte sie das schon am Bahnsteig verdient, vor den Augen aller Leute! Dich hat sie übrigens auch nicht ausgelassen, Shawna. Das Schlimmste hab ich ja bis jetzt noch für mich behalten! Sie hat erst erzählt, wie wunderbar dein Vater gewesen sei, ein waschechter Slytherin, wie es sich gehört, der sich dann aber in „diese Ravenclaw“, wie sie es nannte, verlieben musste. Schön und gut, wie gesagt, solche Aussagen sind noch harmlos für ihre Verhältnisse, Menschen aus anderen Häusern sind für sie fast so schlimm wie Muggelstämmige, aber dann hat sie ganz beiläufig erwähnt, was deinen Brüdern letzten Sommer passiert ist und mit einem süffisanten Lächeln hinzugefügt, dass sie es diesen „Missgeburten“ von Herzen gönnen würde und es doch eine regelrechte Schande sei, dass es dich nicht gleich mit erwischt hätte...“ Die Blicke der drei Mädchen waren in diesem Moment geradezu auf Anthony geheftet, als wollten sie ihn durchbohren. Während Miranda und Felicity ein erschüttertes Aufkeuchen ausgestoßen hatten, war Shawna selbst jedoch stumm geblieben. Ihr Gesicht war weiß geworden, doch man konnte ihr beim besten Willen nicht ansehen, ob Entsetzen oder Zorn die Ursache dafür war. Sie bekam gar nicht mehr mit, wie Anthony erklärte, dass er seiner Mutter für diese Aussage eine gepfefferte Ohrfeige verpasst hatte, senkte bloß den Kopf wieder und heftete die nunmehr flackernden Augen auf den Boden, während ihre Finger sich krampfhaft in das Sitzpolster unter ihr gruben. Wie widerlich konnte eine einzelne Person denn nur sein? Shawna hatte von Anfang an gewusst, dass Adrienna Farrington keine sympathische Frau war, doch hätte sie nie ruhigen Gewissens daran denken können, dass sie sie einmal so abgrundtief verachten würde. Am liebsten hätte sie sie jetzt und hier vor sich gehabt, hätte ihr in die eisigen Augen gesehen und all das herausgelassen, was ihren Kopf in diesem Moment durchströmte. Nein, spätestens jetzt konnte sie Anthony nicht mehr schuldig dafür machen, wie er sich die ganze letzten Jahre benommen hatte, sie konnte ihm höchstens noch vorwerfen, dass er sich immer von dieser Frau hatte beherrschen lassen, statt sich zur Wehr zu setzen, doch wahrscheinlich hatte er auch dafür seine Gründe gehabt. Solange es jetzt jedoch vorbei war, hatte es sich die Schwarzhaarige zum Vorsatz genommen, ihm eine zweite Chance zu geben, nicht zuletzt Felicitys wegen. Was Shawna jedoch nicht verhindern konnte, war, dass nun abermals all die Erinnerungen in ihr hochstiegen, die sie doch eigentlich für eine Weile hatte zurückdrängen wollen. Sie sah die Gesichter ihrer Brüder vor sich, alle nebeneinander, so süß, wie gleich sie ausgesehen hatten. Sie hätten Drillinge sein können, wären sie alle im gleichen Alter gewesen, doch dazu würde es niemals mehr kommen. Shawna hasste sich selbst dafür, dass sie in diesem Moment darüber nachdachte, ob sie einen „Lieblingsbruder“ gehabt hatte, und dafür, dass sie tatsächlich zu einem Ergebnis kam. Adrian war ein so wunderbarer Junge gewesen, er hätte heute hier mit ihr im Zug sitzen müssen, sein drittes Hogwarts-Jahr anzutreten, doch er hatte gerade zwölf Jahre alt werden dürfen, als es passiert war. Und Euan hatte ihr versprochen, nach ihrem Abschluss mit ihr nach Indien zu fahren, wo sie immer schon hingewollt hatte, doch auch seinem Leben war viel zu früh ein Ende gesetzt worden, mit nur einundzwanzig Jahren. Vier Jahre älter nur, als Shawna selbst es jetzt war. Was, wenn auch sie dieses Alter nie erreichen würde? Was, wenn auch ihr ein solches Unglück widerfahren würde, bevor ihr Leben überhaupt richtig begonnen hatte? Doch all diese Fragen wurden von einem Gedanken verdrängt, von welchem dem Mädchen beinahe übel wurde, so schlecht, so gemein fühlte sie sich dabei: Dawson. Immer wieder war es sein Gesicht, welches sie am längsten, am deutlichsten sah. Zu Dawson hatte sie die innigste Bindung von allen gehabt, nicht nur von all ihren Brüdern, sondern von allen Menschen auf der Welt. Er war alles für sie gewesen, Vater, großer Bruder und bester Freund zugleich, er hatte sie immer vor allem beschützt, wovor man sie hatte beschützen müssen, als sie noch ein kleines, naives Kind gewesen war. Shawna musste hart gegen die aufkommenden Tränen ankämpfen, vor ihren Freunden wollte sie nicht weinen. Wie auch vor ein paar Tagen erst schossen ihr wieder Bilder durch den Kopf, die sie mit den dreien geteilt hatte. Sie hatten damals einen Ausflug in den Wald gemacht, das musste jetzt ungefähr acht Jahre her sein, vielleicht auch neun, auf jeden Fall waren sie ein ganzes Stück von zuhause weg gewesen, und als sie zurückkehren wollten, war Shawna bereits so müde gewesen, dass ihre Beine sie kaum noch hatten tragen wollen. Sie hatte zu weinen angefangen, woraufhin Adrian, der vierjährige Adrian, von den Schultern seines ältesten Bruders gehüpft war, sie grinsend angesehen und stolz verkündet hatte: „Ich kann auch schon alleine laufen!“ Wer die Mallory-Brüder gekannt hatte, der wusste, dass keiner von ihnen je etwas gesagt hatte, was er nicht auch so gemeint hätte, und so hatte Dawson nicht lange nachgefragt und das Mädchen auf seinen Rücken klettern lassen, um es sicher nach Hause zu bringen. Ja, selbst ihr kleinster Bruder hatte schon so liebe Dinge für sie getan, und somit verurteilte sie sich nun bloß noch mehr dafür, dass sie Dawson stets die meiste Beachtung zugemessen hatte, so als hätte sie die anderen beiden nicht genug geliebt. Hatte sie das denn? Hatte sie es ihnen je gezeigt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, es kam ihr kein einziges Bild in den Sinn, welches gezeigt hätte, dass sie Euan oder Adrian auch nur einmal deutlich gemacht hätte, wie sehr sie auch an ihnen gehangen hatte. Selbst in ihren letzten Augenblicken hatte sie die Brüder im Stich gelassen, war einfach nicht da gewesen, als sie in Gefahr gewesen waren. Es war einfach ungerecht, sagte sie sich manchmal, dass diese drei wunderbaren Menschen hatten sterben müssen, während sie, Shawna, mit dem Leben davongekommen war, wo doch gerade sie das Gefühl hatte, es am wenigsten von allen verdient zu haben... „Shawna...?“ Nervös warf die Schwarzhaarige den Kopf zur einen Seite und einen Moment später zur anderen zurück. „Hey, Shawna, wach auf!“ Nur langsam drangen die Stimmen der Zwillinge bis in ihr Bewusstsein vor. „Wir sind gleich da, du musst aufwachen!“ War sie etwa eingeschlafen? Ruckartig schlug Shawna die Augen auf - und kniff sie gleich wieder zu, so hell stach das Licht, welches in den Abteilen mittlerweile brannte, hinein. Na toll, so hatte sie sich ihre letzte Zugfahrt nach Hogwarts nun wirklich nicht vorgestellt, durchzogen von Träumen, welche ihr ein drückendes Gefühl im Magen verschafften, und sogar ihre Selbstvorwürfe hatten es wohl inzwischen geschafft, sich so tief in ihr Bewusstsein einzubrennen, dass sie sie sich sogar erträumte. Schweigend und mit wackligen Knien stand sie schließlich von der Sitzbank auf, um sich den schwarzen Umhang überzuwerfen, welchen die Hogwarts-Schüler als Uniform trugen. Die anderen drei hatten dies natürlich schon längst erledigt, und so kam sie sich unheimlich dumm dabei vor, hier so vor ihnen zu stehen und sich anschauen zu lassen, denn auch Miranda, Felicity und Anthony hüllten sich in Schweigen. Wie die vier es in den nächsten Minuten zum Slytherin-Tisch in der Großen Halle schafften, hatte Shawna in dem Moment wieder vergessen, als es geschehen war, genauso auch die Auswahlzeremonie der neuen Erstklässler, doch sie konnte sich erinnern, zumindest diesen Weg ohnehin nie besonders gemocht zu haben, daher war es ihr nicht schade darum. Als sie sich nach dem Applaus für ihre neuen Hausgenossen wieder gesetzt hatte, wanderte der erste Blick der Schwarzhaarigen hinauf zum Lehrertisch, an welchem sich ein freier Platz befand, dort, wo letztes Jahr noch Professor Laurencine gesessen hatte. Der neue Lehrer war also noch nicht da. Na das haben wir gern, hörte Shawna die Zwillinge in Gedanken schimpfen, uns erst so viele Bücher aufdrücken und dann selbst zu spät kommen! Die Vorstellung brachte sie leicht zum Schmunzeln, doch sie hatte nicht viel Zeit, sich Gedanken zu machen, was mit dem Neuen wohl los sein könnte, denn in diesem Augenblick erhob sich der Direktor der Schule, mit seiner Gabel dreimal gegen sein Glas klopfend. Professor Aurelius Greifenstein war ein beeindruckender Mann, auch wenn er nicht besonders groß oder stark wirkte. Abgesehen von Arthur Laurencine möglicherweise hatte man an dieser Schule noch nie einen älteren Menschen gesehen, er musste mit Sicherheit an die hundertzwanzig Jahre alt sein, und das sah man ihm auch an, trotzdem wirkte er jedoch kein bisschen gebrechlich, sondern machte stets den Eindruck, als könnte er noch immer Bäume ausreißen. Er hatte vollkommen weißes Haar, zumindest dort, wo er noch Haare hatte, denn auf dem Kopf trug er wie immer einen spitzen Zaubererhut - heute einen dunkelblauen, passend zum Umhang - so dass man nicht erkennen konnte, ob er darunter nicht vielleicht eine Glatze hatte. Was er jedoch mit Sicherheit hatte war ein Bart, so dass wahrscheinlich selbst der letzte Muggel geglaubt hätte, es mit einem Zauberer aus einem Märchen zu tun zu haben, wenn er vor ihm gestanden hätte. Sein Gesicht war streng und freundlich zugleich. Greifenstein war ein Mensch, den man nur ansehen musste, um zu wissen, wann man mit seinen Worten zu weit ging, auch wenn er scheinbar keine Miene verzog, seine Augen, die dieselbe mitternachtsblaue Farbe hatten wie sein Umhang, verrieten es stets. Als er sich schließlich sicher war, dass ihm jeder zuhörte, erhob er die Stimme, welche kurz darauf klar und deutlich in der Halle zu hören war, obwohl er überhaupt nicht besonders laut sprach. „Ein neues Jahr ist also angebrochen, für einige von Ihnen das erste, für andere das letzte, und ich freue mich, Sie alle wieder hier zu sehen, wohlbehalten, so wie es aussieht. Bevor wir jedoch zu dem Festessen kommen, das Sie wahrscheinlich alle bereits sehnsüchtig erwarten, habe ich noch einige Dinge anzukündigen: Zu allererst möchte ich Sie alle darauf hinweisen, Erstklässler sowie Schüler der höheren Jahrgänge, dass der Wald auf unserem Schulgelände nicht zum Spaß den Namen „Verbotener Wald“ trägt, sondern dass er von keinem von Ihnen ohne eine ausdrückliche Erlaubnis betreten werden darf. Dasselbe gilt für die verbotene Abteilung unserer Bibliothek. Jedes Jahr gibt es Schüler, die glauben, sich unbemerkt hinein- und wieder herausschleichen zu können, und diesen Versuchen werden wir ab heute einen Riegel vorschieben. Lassen Sie sich gesagt sein, dass die Tür zur verbotenen Abteilung von diesem Tag an mit einem starken Bann belegt ist, welchen einzig unser neuer Bibliothekar aufheben kann. Ich rate Ihnen dringlichst davon ab, es selbst zu versuchen, denn eines kann ich Ihnen verraten: Die Folgen einer solchen Torheit möchte niemand von Ihnen am eigenen Leib spüren. Ausschließlich mit der schriftlichen Erlaubnis eines Lehrers ist es Ihnen gestattet, sich ein Buch aus dieser Abteilung auszuleihen, und ich hoffe, dass diese Warnung genug für Sie alle war. Und auch an diesem Tisch gibt es einige Neuerungen, wie einige von Ihnen sicherlich schon bemerkt haben werden. Nachdem Professor Gladsheim vor wenigen Wochen leider durch einen Unfall ums Leben kam, hat sich Professor Adamantius bereiterklärt, von nun an das Fach Alte Runen zu unterrichten.“ „Wer hat schon Alte Runen?“, gluckste ein jüngeres Slytherin-Mädchen seiner Tischnachbarin zu, wurde jedoch durch ein kräftiges Räuspern Greifensteins sofort zum Schweigen gebracht, woraufhin dieser seine Ankündigungen fortsetzte. „Dieser Wechsel hat zur Folge, dass Professor Adamantius leider nicht mehr in der Lage ist, zusätzlich noch den Unterricht in Pflege magischer Geschöpfe abzuhalten, weswegen Madam Crawford das Fach von nun an übernehmen wird.“ Diese Nachricht schien die Schüler schon um einiges mehr mitzunehmen, und auch Shawna wusste etwas mit all den Namen anzufangen. Sie selbst hatte Alte Runen zwar nicht belegt, doch hatte sie bereits in ihrem ersten Jahr Erfahrungen mit Professor Gladsheim gemacht, als dieser eine Tüte Süßigkeiten von ihr beschlagnahmt hatte, die ihr Bruder Euan ihr zuvor aus dem nahe gelegenen Dorf Hogsmeade mitgebracht hatte. Pflege magischer Geschöpfe hingegen gehörte zu ihren Wahlfächern, und auch sie fand es schade, dass Adamantius wechseln würde, denn er war immer sympathisch gewesen, und ein guter Lehrer noch dazu. Samantha Crawford hatte bisher als seine Assistentin gearbeitet, doch niemand konnte sagen, ob sie als richtige Lehrerin ebenfalls taugte. „Das letzte neue Gesicht an diesem Tisch ist, wie Sie sicher ebenfalls sehen, bisher noch nicht erschienen“, setzte Professor Greifenstein seine Rede fort, „Wie Ihnen ja bereits letztes Jahr angekündigt wurde, hat sich Professor Laurencine in seinen wohlverdienten Ruhestand zurückgezogen, und daher war es nötig, einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste einzustellen.“ In genau dem Moment, als Aurelius Greifenstein für einen Moment eine Atempause einlegte und Miranda ein forsches „Na jetzt bin ich aber mal gespannt“ geflüstert hatte, schwangen urplötzlich die Türen zur Großen Halle auf und es war, als würde ein eisiger Windzug durch den ganzen Raum fahren, so schnell wurde es wieder totenstill. Sämtliche Blicke waren auf den Eingang geheftet, in welchem man noch nichts weiter erkennen konnte als eine dunkle Gestalt, fest eingehüllt in einen schwarzen Reiseumhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Kapitel 6: Alastair Blackwell ----------------------------- Obwohl die Halle hell erleuchtet war, konnte man so gut wie nichts von der Person erkennen, welche dort in der Tür stand. Es handelte sich um eine große Gestalt, wahrscheinlich um einen Mann, die Schultern schienen recht breit zu sein, doch mehr konnte man bisher noch nicht sagen. Was jedoch jedem der Schüler klar zu sein schien, war, dass dieser Mensch etwas Eindrucksvolles an sich hatte. Shawna hatte den Atem angehalten, sie hatte das Gefühl, er wäre viel zu laut, so deutlich konnte man in diesem Augenblick jedes einzelne Geräusch wahrnehmen, und es hätte sie nicht gewundert, wenn man auch ihr eigenes Herz hätte schlagen hören. Wie gebannt hingen ihre Augen - und die aller anderen - noch immer an dem Fremden, welcher nun in einer langsamen Bewegung nach dem Verschluss seines Reiseumhangs griff, um diesen zu öffnen und ihn schwungvoll von seinem Körper zu reißen, während er sich mit festem, jedoch nicht zu schnellem Schritt auf den Lehrertisch zu bewegte. Tatsächlich kam unter dem Umhang ein großer Mann zum Vorschein, breitschultrig und anscheinend ohnehin sehr trainiert. Sein Haar war schulterlang, glatt und braun, einen Pony trug er nicht, sondern hatte es sich anscheinend nur rasch mit der Hand aus dem Gesicht gestrichen und sich gar nicht erst die Mühe gemacht, es hinter die Ohren zu klemmen. Das Gesicht des Mannes war schmal, doch war sein Kinn nicht wirklich spitz, sondern leicht abgerundet und wirkte dadurch etwas kräftiger, die dünnen Lippen glichen diesen Eindruck jedoch wieder ein wenig aus. Nichts an seinem Gesicht war jedoch auffälliger als seine Augen. Obwohl sie fast schon zu perfekt in das Gesamtbild passten, bildeten sie auf ihre ganz eigene Art einen Kontrast zu seiner übrigen Erscheinung. Sie waren schmal und blassgrün mit einem Stich von Bernstein darin und in ihnen lag einer der aufmerksamsten Blicke, die Shawna je bei einem Menschen gesehen hatte. Sie war sich sicher, mit diesen Augen würde er selbst das kleinste Detail seines Umfeldes erfassen, so einem wie ihm würde nichts entgehen. Selbst die Kleidung des Mannes war etwas Besonderes. Er trug keinen normalen Zaubererumhang, so wie die meisten anderen in dieser Halle, sondern war in etwas gekleidet, für das sich wohl nur schwer ein Oberbegriff finden ließ: Ein schwarzer, eng anliegender Rollkragenpullover und darüber eine dunkelviolette Weste, mit zwei Schnallen geschlossen, deren Ausschnitt bis zur Mitte seiner Brust führte und die bereits einige Zentimeter oberhalb der Hüfte endete, so dass darunter noch der Rest des Pullovers zu erkennen war. Der Gürtel, den er trug, war ebenfalls schwarz und daran befestigt war etwas, das aussah wie eine Tragemöglichkeit für kleine Fläschchen. Seine Hose hatte dieselbe Farbe wie die Weste und war ebenfalls recht eng, anscheinend legte der Mann Wert darauf, dass seine Kleidung praktisch war und ihn nicht behinderte, und mit den kniehohen, schwarzen Lederstiefeln konnte er sicherlich so manches Gelände problemlos überwinden. Ein halber Umhang, außen schwarz, innen vom selben Violett wie beim Rest seiner Kleidung, bedeckte nur seine rechte Schulter und über den linken Arm hatte er einen fingerlosen Handschuh gezogen, hoch bis zum Ellenbogen, wo er ebenfalls mit einer Schnalle festgezogen war, wahrscheinlich damit er nicht herunterrutschte. So musste ein Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste aussehen, ging es Shawna durch den Kopf, als sie schließlich wieder wagte, leise zu atmen. Inzwischen war der Fremde fast am Lehrertisch angekommen, machte jedoch noch keine Anstalten, sich setzen zu wollen, sondern richtete den Blick auf Aurelius Greifenstein und sprach diesen an, wobei seine Stimme genau so ernst klang, wie man es vermutet hätte, obwohl er noch leiser gesprochen hatte als der Direktor vorhin. „Verzeihen Sie mein Zuspätkommen, Professor, ich wurde aufgehalten.“ Es lag etwas in diesen Worten, was Shawna beunruhigte, auf eine Art jedoch zugleich unheimlich faszinierte, etwas Kaltes, so dass es fast den Eindruck machte, als hätte er vor fünf Minuten noch dem Tod ins Auge geblickt. Mit einem verstehenden Nicken Greifensteins schien die Sache erledigt zu sein und der merkwürdige Neue nahm den leeren Platz direkt neben Jonathan Deveraux, dem Lehrer für Zaubertränke, ein. „Alastair, bleiben Sie stehen!“, forderte der Schuldirektor ihn jedoch rasch auf, bevor er sich setzte, und wandte sich dann wieder den noch immer gespannt dreinblickenden Schülern zu. „Ich darf Ihnen nun also doch Professor Blackwell vorstellen, Ihre neue Lehrkraft für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Er war ursprünglich einer der besten Männer des Ministeriums, und als er von Professor Laurencines Pensionierung erfahren hat, hat er sich freundlicherweise bereiterklärt, die frei gewordene Stelle zu übernehmen. Ich bin sicher, er wird seine Arbeit vorbildlich ausführen.“ Diese Worte sah der Braunhaarige offenbar als einen Abschluss von Greifensteins Ansprache und ließ sich schließlich auf seinen Stuhl sinken, keine Miene verziehend, und dabei hatten selbst einige der anderen Lehrer zu schmunzeln begonnen, als der Direktor begonnen hatte, den Neuzugang in diesen Tönen zu loben. „Ich erkläre das Festessen hiermit für eröffnet!“, gab Greifenstein schließlich bekannt, ehe er sich ebenfalls setzte und die Schüsseln, die vor den Schülern auf den Tischen standen, sich wie von Geisterhand mit den verlockendsten Gerichten füllten. Shawna und die anderen hatten bereits einen gewaltigen Hunger und langten daher sofort kräftig zu, nur Anthony schien der Appetit vergangen zu sein, denn statt ebenfalls zu essen, ließ er immer wieder den Blick zum anderen Ende des Slytherin-Tisches abschweifen, wo sich sein jüngerer Bruder mit einigen Kameraden seines Jahrgangs niedergelassen hatte, den Älteren mit tiefer Verachtung musternd. Natürlich, kam es der Schwarzhaarigen gleich in den Sinn, der Streit am Bahnsteig. Sicher würde Victor seinem Bruder von jetzt an das Leben zur Hölle machen, oder es zumindest versuchen. Wenn er wirklich war wie seine Mutter, würde er es nicht auf sich beruhen lassen, dass ein Mitglied der Familie einfach so mit ihnen gebrochen hatte. So etwas musste doch Konsequenzen haben, da war sie sich sicher, doch wie weit würde er dabei wohl gehen? „Anthony?“, wandte sie sich schließlich an den Gleichaltrigen, „Woran denkst du gerade? Meinst du, Victor wird sich irgendwie... rächen wollen oder so etwas?“ „Ich bin mir sogar sicher, dass er das wollen wird“, murmelte Anthony, den Blick noch immer schwer von seinem Bruder abwenden könnend, „Du kennst ihn ja kaum, bis jetzt war er für seine Verhältnisse noch harmlos, wenn er die anderen getriezt hat. Bei einem Verräter der Familie wird kurzer Prozess gemacht, ich sollte mich wahrscheinlich vor ihm in Acht nehmen...“ Nun war es Felicity, welche sich besorgt ins Gespräch einmischte. „In der Schule kann er sie noch nicht kennengelernt haben, aber sag mal, ich traue ihm zu, dass er...“ Sie senkte die Stimme und stattdessen rückten die vier ein wenig zusammen. „... Unverzeihliche Flüche beherrscht...?“ Ein gequältes Grinsen erschien auf Anthonys Gesicht. „Und wie er die beherrscht, genauso wie ich. Die haben wir schon gelernt, als wir dreizehn waren, aber danke dass du es ansprichst, so weiß ich wenigstens, was mich wahrscheinlich erwarten wird...“ Diese Aussage brachte die Mädchen erst einmal zum Schweigen und erneut schossen zahlreiche Gedanken durch Shawnas Kopf. Was für eine Familie war es, in der man den Kindern schon so früh beibrachte, schwarze Magie anzuwenden? Was für eine Familie war es, in der Kinder überhaupt solche Dinge lernten? Sie selbst würden erst dieses Jahr mit den Unverzeihlichen Flüchen konfrontiert werden, und Anthony war bereits seit vier Jahren in der Lage, sie anzuwenden? Wer auch immer diese Tradition bei den Farringtons eingeführt hatte, musste doch wahnsinnig sein... Ihr nächster Gedanke galt nun dem Unterricht. Sie hatte es bereits realisiert, dieses Jahr würden sie und ihre Freunde schreckliche Dinge sehen. Sehen, nicht erlernen, doch schon das jagte der Siebtklässlerin einen kalten Schauer den Rücken hinab. Die meisten von ihnen kannten die Unverzeihlichen Flüche bereits, denn Professor Laurencine hatte es sich nicht nehmen lassen, ihnen bereits einige Male davon zu erzählen, ihnen die Wirkungen jedes Fluches detailliert zu beschreiben, so dass bloß noch eine Demonstration zum vollkommenen Entsetzen der Schüler gefehlt hätte. Shawnas Blick wanderte zum Lehrertisch. Wie würde Blackwell es wohl anstellen? War er in der Lage, seiner Klasse die Ausmaße solch bösartiger Magie genauso anschaulich zu schildern wie ihr alter Professor es gewesen war? Würden seine Erzählungen ebenfalls dazu führen, dass fünfzig Jugendliche gespannt den Atem anhielten, wenn er sprach? Sie wusste nicht, was sie ihm zutrauen konnte. Arthur Laurencine war mit Abstand der beste Lehrer gewesen, den sie je in irgendeinem Fach erlebt hatte, doch auch Blackwell machte den Eindruck, als verstünde er, wovon er sprach. Shawna schaute sich sein Gesicht in allen Details an. Blackwell wirkte noch erstaunlich jung, sie hätte ihn auf Anfang dreißig geschätzt, so wenige Merkmale von Alter und Erfahrung trug er auf der Haut. Die einzige Falte, die man sofort erkannte, war die Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen, welche ihm selbst dann einen ernsten Blick verschaffte, wenn er, so wie jetzt, in einer mehr oder weniger entspannten Situation war. So wenig es auch zusammenpasste, dieses Gesicht erzählte dennoch Bände, wie auch immer er in so kurzer Zeit so viel hatte erleben können, die Siebzehnjährige wusste genau, er hatte es, und das faszinierte sie nur noch mehr. Was war wohl vorher seine Aufgabe gewesen? Professor Greifenstein hatte davon gesprochen, dass er im Ministerium gearbeitet hatte, also musste er einen wirklich hohen Grad an Intelligenz besitzen. Es gab einige Dinge, die sie schon von Anfang an ausschloss, so würde die Schule beispielsweise wohl eher keinen Lehrer aus der Abteilung für magische Spiele und Sportarten holen, es sei denn es handelte sich um einen, der den Schülern Quidditch beibringen sollte. Nein, für Verteidigung gegen die dunklen Künste musste ein qualifizierter Mann her. Konnte er vorher ein Auror gewesen sein? Möglicherweise, doch hätten Mr und Mrs Barker ihn dann nicht irgendwann einmal erwähnt? Die beiden sprachen so oft von ihrer Arbeit, und wenn er so gut war, wie Greifenstein es angedeutet hatte, hätten sie mit Sicherheit einmal von ihm gesprochen. Shawna war ratlos, das einzige, was ihr noch einfiel, war die Möglichkeit, dass er vielleicht ein Unsäglicher war... Als Unsägliche wurden diejenigen Leute bezeichnet, die in der Mysteriumsabteilung arbeiteten, um die letzten Weisheiten ans Licht zu bringen, die selbst der magischen Welt bisher noch verborgen waren. Gut, ob dies wirklich das Ziel der Abteilung war, wusste die Siebzehnjährige natürlich nicht ganz genau, doch nur so konnte sie es sich erklären, und zudem fand sie es plausibel. Was sollte wohl sonst hinter diesen Mauern geschehen, dass die Mitarbeiter nicht einmal darüber sprechen durften? Sie war sich sehr sicher dass dort versucht wurde, Geheimnisse zu enthüllen, welche der Menschheit, ob magisch oder nicht, bis zum heutigen Tage noch Rätsel aufgaben. Doch falls Blackwell dort wirklich arbeitete, welches Geheimnis erforschte er? Zudem sagte man allen Mitarbeitern der Mysteriumsabteilung nach, sie seien nicht ganz normal, und dieser Gedanke löste wiederum eine Mischung aus Besorgnis und Faszination in der Siebtklässlerin aus. Ließ der Direktor hier etwa einen Wahnsinnigen auf die Schüler los? Konnte das sein? Das konnte er unmöglich verantworten. Einen Sekundenbruchteil nachdem sie diesen Gedanken beendet hatte, wandte Blackwell urplötzlich den Kopf in ihre Richtung, und das nicht zufällig, denn sein Blick traf genau ihre Augen, welche wohl ein wenig zu fest an ihm gehangen hatten. In den blassgrünen Augen des Professors lag etwas Stechendes, so dass sich das Mädchen auf eine furchteinflößende Art sicher war, dass er soeben ihre Gedanken gelesen hatte. War ihm nun etwa klar, was sie sich die ganze Zeit ausgemalt hatte? Wusste er Bescheid über ihre Spekulationen, was seine Arbeit betraf, seine Vergangenheit sowie seinen geistigen Zustand? Das hätte ihr gerade noch gefehlt, ein neuer Lehrer, dessen erster Eindruck von ihr der war, dass sie ihn womöglich für einen Irren hielt. Das Beste war wohl, so zu tun, als wäre nichts gewesen, und so wandte die Siebtklässlerin den Blick rasch wieder von ihm ab und ihren Freunden zu, welche inzwischen offenbar ein angenehmeres Thema gefunden hatten als die Einstellung der Farringtons zu den Unverzeihlichen Flüchen. „Ich bin gespannt, wie Madam Crawford Pflege magischer Geschöpfe schmeißen will, die kann doch bestimmt nichts machen, wenn sowas wie ein Hippogreif sich mal losreißt!“, hatte Felicity amüsiert begonnen. Klar, was gab es denn auch Interessanteres als sich über die möglichen Mängel der neuen Lehrer auszulassen? „Ich denke mal, Adamantius wird ihr zur Hand gehen“, war Anthonys Spekulation dazu, „davon, dass er nicht mehr der Wildhüter ist, hat Greifenstein ja nichts gesagt.“ „Stimmt schon, aber wieso macht er dann nicht gleich den Unterricht weiter?“, fragte sich Miranda und wurde prompt von ihrer Schwester ergänzt. „Wenn er doch sowieso draußen bleiben muss! Ich finde es schade, er war ein toller Lehrer. Hoffentlich kriegt er Alte Runen nicht hin, dann muss er zurückkommen!“ „Ihr zwei seid echt fies“, kommentierte Anthony diese Bemerkung, „Ich jedenfalls bin froh, Gladsheim los zu sein, einen ätzenderen Menschen hab ich noch nie erlebt. ... Naja, doch, aber keinen Lehrer!“ Auf diese Worte hin mussten sie nun alle etwas lachen, und Shawna beschloss, sich wieder in das Gespräch einzumischen. „Also ich persönlich mag Deveraux noch viel weniger. Das ist echt traurig, ich liebe Zaubertränke, aber ich hasse den Mann, der es unterrichtet.“ Es schien, als konnten die anderen drei ihr da nur beipflichten, besonders die Zwillinge, die es nur knapp geschafft hatten, ihre ZAG-Prüfungen mit einem „Annehmbar“ zu bestehen, um ab dem sechsten Jahr Zaubertränke überhaupt noch belegen zu dürfen. „Ich weiß, Sie können eigentlich mehr.“, hatte Deveraux ihnen mitgeteilt, die aufmunterndsten Worte, die je über seine Lippen gekommen waren, doch trotzdem hatte eine solche Kühle darin gelegen, dass man fast nicht glauben wollte, dass er sie ernst gemeint hatte. Die vier unterhielten sich noch eine ganze Weile, ehe der Schuldirektor die Schüler schließlich aufforderte, die Halle zu verlassen und sich in ihre Häuser zu begeben. Auf dem Weg in den Kerker schauderte Miranda plötzlich, ehe sie den anderen mitteilte: „Dieser Neue, Blackwell, der hat mich vorhin echt komisch angesehen, so als wüsste er irgendwas...“ Shawna grinste, während sie alle durch den Eingang zum Slytherin-Gemeinschaftsraum stiegen. „Na, willst du es ihm immer noch wegen der Bücher heimzahlen?“ Kapitel 7: Wie Tag und Nacht ---------------------------- „Der Montag fängt ja toll an...“, murrte Anthony, als die vier Siebtklässler sich zum Frühstück an den Slytherin-Tisch gesetzt hatten, „Zaubertränke, immer noch mit den Gryffindors, wir haben den Hauptgewinn!“ Die Ironie in seiner Stimme war mehr als deutlich herauszuhören. „Ich weiß nicht wen ich weniger vermisst habe, die Gryffindors oder Deveraux.“, gab eine der Zwillingsschwestern daraufhin zurück. Shawna schmunzelte in sich hinein. Anscheinend war sie die einzige in der kleinen Runde, die sich darauf freute, wieder Zaubertränke zu haben. Sicher, auch sie hatte eine Abneigung gegen Professor Deveraux, doch bisher war sie kein Mensch gewesen, der sich von einem Lehrer das Fach vermiesen ließ. Sie war sechs Jahre lang mit dem Mann zurechtgekommen, und dieses letzte würde sie auch noch schaffen, und deswegen hatte sie an diesem Morgen die beste Laune von allen, was nun wirklich nicht häufig vorkam. Zwar war sie wie immer ziemlich still, doch man konnte ihr ansehen, dass sie sich gut fühlte, denn beim Essen langte sie ordentlich zu, mehr noch als Miranda und Felicity, denen die Aussicht auf die gleich folgende Stunde wohl den Appetit verdorben hatte. „Wie viele sind wir eigentlich noch in Zaubertränke? Sind letztes Jahr nicht noch welche gegangen?“, fragte Felicity nach einer kurzen Weile des Schweigens schließlich, und diese Frage gab Shawna die Gelegenheit, sich in die Unterhaltung einzubinden. „Nein, aus Hufflepuff sind zwei gegangen, aber das betrifft uns ja nicht. Wir sind immer noch zwölf.“, entgegnete sie, ehe sie sich noch eine Schüssel mit Müsli füllte. „Dreizehn, wenn man Deveraux mitzählt, das sagt doch schon alles aus!“, kommentierte Miranda diese Aussage, halbherzig von ihrem Toast abbeißend. Etwa zehn Minuten später hatten sich alle zwölf verbleibenden Siebtklässler vor der hölzernen Tür des Klassenzimmers eingefunden, in welches Jonathan Deveraux sie jeden Moment einlassen würde. Ein wenig amüsant sah es schon aus, denn die Klasse war nicht etwa gleich aufgeteilt, sondern bestand nur aus vier Gryffindor-Schülern, deren Namen Shawna ebenfalls wusste: Nathaniel McLean, Edward O’Reilly, Audrey Wadsworth und Rebecca Halkett. Slytherins gab es in diesem Kurs doppelt so viele. Genau wie Anthony hatten auch diese sich über die Ferien verändert, doch noch bevor irgendein tiefsinniges Gespräch hätte entstehen können, schwang knarrend die Kerkertür auf und die Schüler traten ein, sofort in Stillschweigen verfallend, denn ihr Lehrer mochte es nicht, wenn sie den Unterricht mit Gesprächen störten. Im Gegensatz zu vielen ihrer Mitschüler hatte sich Professor Deveraux leider gar nicht verändert. Er war nicht brauner geworden, im Gegenteil, wenn man Anthony gesehen hatte, wirkte er bloß noch blasser als sonst, und das war kaum mehr möglich. Anscheinend verließ dieser Mann wirklich nie das Haus. Das hellblonde, beinahe hüftlange Haar hatte er streng zurückgekämmt und hinter die Ohren geklemmt, so dass es ihm auf keinen Fall im Weg sein würde. Im Nacken hatte er es zusätzlich noch mit einer schwarzen Samtschleife zusammengebunden. Deveraux’ Gesicht war schmal und spitz, die Lippen dünn und ebenfalls totenblass und der Blick aus den hellgrauen Augen war so stechend, so kühl und überheblich wie eh und je. Dieser Mann hätte zu Mrs Farrington gepasst, schoss es Shawna durch den Kopf, als sie ihn heute nach mehreren Wochen zum ersten Mal wieder sah. Gekleidet war Professor Deveraux wie üblich in Sachen, die ihn noch bleicher machten und noch dazu aussahen wie aus dem 18. Jahrhundert. Er trug ein weißes Rüschenhemd mit einem Kragen, den er bis zum Kinn schließen konnte und darüber eine längere, dunkelgrüne Weste mit silbernen Knöpfen und Nähten, eine schwarze Hose, ebenfalls schwarze Stiefel mit einem etwa zwei Zentimeter hohen Absatz und einen altmodischen, schwarzen Mantel mit Stehkragen. Hier unten im Kerker war es zwar meist kühler als im Rest des Schlosses, doch um diese Jahreszeit war es auch hier ziemlich warm, und trotzdem trug Deveraux diese schwere Kleidung, doch er war immer schon so unterwegs gewesen, darüber wunderte sich niemand mehr, nicht einmal über die schwarzen Lederhandschuhe, die er zu allem Überfluss angezogen hatte. In der Ecke des Klassenzimmers stand zu guter letzt noch der ebenhölzerne Spazierstock des Zaubertrankprofessors. Er hatte ihn dort immer stehen, doch innerhalb des Schlosses hatte man ihn noch nie damit herumlaufen sehen, die Schüler fragten sich also immer wieder, warum er ihn dort jedes Mal aufs Neue abstellte. In dieser Stunde geschah nichts Besonderes, jedenfalls nicht für Shawna. Deveraux stellte der Klasse eine Aufgabe, an der die Hälfte der Schüler halbwegs verzweifelte - unter anderem alle vier Gryffindors - und ging schweigend durch die Reihen, um nur zwischendurch einmal gehässige Kommentare darüber abzugeben, wie ungeschickt sich die dort Sitzenden doch anstellten, doch zum Glück gehörten Shawna, Anthony und die Zwillinge nicht zu denjenigen, an deren Kessel er etwas zu kritisieren hatte. „Zum Glück lässt er uns zu viert arbeiten!“, flüsterte Miranda den anderen zu, als Deveraux stumm an ihrem Tisch vorbeigezogen war, und Anthony konnte ihr nur zustimmen. „Guck mal, wie sich unsere Hausgenossen anstellen, ich bin echt froh, dass wir keine Dreiergruppen bilden mussten, so wie letztes Jahr!“ „Ruhe da vorne!“, drang jedoch im nächsten Augenblick Professor Deveraux’ eisige Stimme durch den Raum, woraufhin sich der Dunkelhaarige auf die Unterlippe biss, schnell nach einem Bündel Löffelkraut griff und zerfledderte es, als wollte er es hinterher in den Kessel werfen. Tatsächlich stellten er und die Zwillinge jedoch nichts mit den Zutaten an, was darüber hinausging, sie zu zerkleinern. Die Feinarbeit, das hatten Miranda und Felicity schon früh herausgefunden, überließ man besser Shawna. Genau auf diese Art hatten die beiden es überhaupt geschafft, das sechste Schuljahr bei Deveraux zu überstehen, indem sie immer brav gearbeitet hatten, wenn der Lehrer gerade hingesehen hatte, die wirklich schwierigen Aufgaben jedoch derjenigen gelassen hatten, die sie beherrschte. Diesen Trick hatten sie heute früh an Anthony weitergegeben, so dass die Vierergruppe am Ende der Stunde ein Fläschchen mit einem perfekt zubereiteten Verwirrungstrank abgeben konnte. „Sag mal, Shawna, kriegst du es hin, das bei unseren UTZ-Prüfungen auch zu machen?“, gluckste Felicity, als sie den Kerker schließlich wieder verlassen hatten, doch die Schwarzhaarige musste sie leider enttäuschen. „Ich befürchte, das würden die merken“, entgegnete sie, „es sei denn, ich benutze einen Vielsaft-Trank!“ Miranda und Felicity weiteten die Augen. „Ginge das?!“ Die nächsten Minuten verbrachten die vier Slytherins schweigend. Auf die doppelte Zaubertrankstunde folgte Verwandlung, und obwohl sie auch das mit den Gryffindors zusammen haben würden, freuten sie sich alle darauf. Zum Klassenzimmer war es für die Siebtklässler schon kein weiter Weg mehr, so oft wie sie in all den letzten Jahren schon dorthin gelaufen waren. Hinter sich konnten sie die vier Gryffindor-Schüler reden hören, und das Thema des Gespräches war eines, in das sich Shawna nur zu gern eingemischt hätte. „Ich bin gespannt auf Verteidigung gegen die dunklen Künste!“, begann Audrey an ihre Freunde gewandt, und eine Antwort bekam sie sofort. „Meine kleine Schwester hat es jetzt, wir können sie ja beim Mittagessen fragen.“, meinte Nathaniel, der die ganze Zeit mit irgendeinem Muggelspielzeug an einer Schnur zugange war. Shawna erinnerte sich. Nathaniel McLean hatte drei Geschwister, von denen zwei noch hier auf der Schule waren. Lorena war im fünften Jahrgang und Dustin, sein jüngerer Bruder, im dritten. Wäre Adrian noch am Leben gewesen, hätte er heute ebenfalls das dritte Jahr besucht, dieser Gedanke versetzte Shawna einen schmerzhaften Stich in die Brust. „Ich wette, dieser neue Professor ist total cool! Ich meine, cooler als Laurencine kann man ja nur sein, nicht wahr?“, warf Edward nun ein, woraufhin Audrey jedoch den Kopf schüttelte. „Naja, Laurencine war zwar uralt, aber du kannst nicht sagen dass er es nicht draufhatte, der würde uns doch heute noch fertigmachen!“ Man konnte nur staunen, dachte sich Shawna, wie oft man doch mit den Schülern aus anderen Häusern einer Meinung sein konnte. Wahrscheinlich, überlegte sie, würden sich selbst Slytherin und Gryffindor viel besser verstehen, wenn sie sich nur einmal gegenseitig zuhören würden. „Wie hieß der neue Professor nochmal?“, fragte Edward nun, um von seiner vorherigen Bemerkung abzulenken, und Shawna formte die Antwort, die seine drei Mitschüler ihm nun gaben, stumm mit den Lippen mit: „Blackwell!“ Irgendetwas Besonderes war an diesem Mann, und Shawna wollte unbedingt herausfinden, was. Bisher hatte sie immer ein Talent dafür gehabt, Menschen recht gut zu durchschauen, doch Alastair Blackwell war ein Buch mit sieben Siegeln. Sie wusste zwar, dass er sicherlich noch mehr verbarg als nur seinen eigentlichen Beruf, doch war es ihr unmöglich festzustellen, was genau. „Einen schönen ersten Schultag, meine lieben Siebtklässler!“, wurde die Menge an Schülern begrüßt, kaum hatten sich alle auf ihre Plätze gesetzt. Professor Weston erwartete sie bereits, wie immer lässig an sein Pult gelehnt. Dieser Lehrer war ein wichtiger Grund dafür, dass das Fach Verwandlung bei den Schülern so beliebt war, denn er selbst war es ebenfalls. Anscheinend hatte er in den ersten beiden Stunden den jüngeren Schülern noch Flugunterricht erteilt - dieses Fach unterrichtete er ebenfalls - so sah er zumindest gerade aus. Das kastanienbraune Haar, das gerade so lang war, dass es die Ohren bedeckte, war zerzaust und ein paar Strähnen davon fielen ihm vor die ebenfalls dunkelbraunen Augen, und selbst der kleine Bart an seinem Kinn sah aus, als wäre der Wind ordentlich durchgepfiffen. Den schwarzen Umhang hatte er wahrscheinlich gerade erst übergeworfen, jedenfalls stand er noch offen, so dass man darunter die beige Jeanshose und das T-Shirt sehen konnte, das er trug. Es war ein orangefarbenes T-Shirt mit dem Logo der London Lionhearts, einer berühmten Quidditch-Mannschaft, auf der Brust. Es war kein Geheimnis, dass Professor Weston bis vor einigen Jahren selbst noch für diese Mannschaft gespielt hatte, und die meisten Schüler bewunderten ihn sehr, selbst die älteren. Shawna musste zugeben, dass es ihr nicht anders ging, weswegen sofort ein Schmunzeln auf ihr Gesicht huschte, als sie das Shirt sah. Zwischen den Professoren Weston und Deveraux gab es - milde ausgedrückt - einen Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Wenn Shawna einmal nachdachte, fiel ihr im ersten Moment nicht eine einzige Sache ein, die sie gemeinsam hatten. Nicht nur dass Deveraux der Hauslehrer von Slytherin war und Weston der von Gryffindor, es gab noch viel mehr, was die beiden trennte - und das nicht nur optisch. So kalt und unsympathisch Deveraux auf die Schüler wirkte, so warmherzig war Weston; während Deveraux das Schloss niemals verließ, wollte Weston seinen Unterricht am liebsten komplett draußen abhalten, und das war noch längst nicht alles. Bevor Shawna jedoch noch näher darüber nachdenken konnte, wurde sie von einem erneuten Gespräch abgelenkt, das die vier Gryffindors aufnahmen, welche direkt in der Reihe hinter ihr und ihren Freunden saßen. „Wir haben heute Nachmittag Verteidigung gegen die dunklen Künste, fällt mir gerade ein!“, flüsterte Edward den anderen zu. „Stimmt ja“, entgegneten Audrey und Rebecca im Chor, woraufhin Nathaniel leise lachen musste. „Mal sehen was Lor nachher erzählt. Gespannt bin ich schon, aber ich weiß nicht recht, nicht dass es nachher total schlimm mit ihm ist!“ Shawna wusste zwar nicht, wen er mit Lor meinte, doch trotzdem konnte sie ihm zustimmen. „Naja, lassen wir uns einfach überraschen“, sagte Edward ein wenig zu laut, so dass er die Aufmerksamkeit des Professors auf sich zog. Miranda und Felicity zuckten instinktiv zusammen. Professor Deveraux hätte dem Jungen jetzt eine ziemlich scharfe Ansage erteilt, wahrscheinlich hätte er auch noch einige Hauspunkte verloren, doch das hier war Verwandlung. Man kannte es zwar schon von ihm, doch es erleichterte die Schüler immer wieder, wenn sich der braunhaarige Lehrer, der immer noch aussah, als wäre er gerade vom Quidditch-Feld gekommen, schmunzelnd von seiner Demonstration der aktuellsten Verwandlung umdrehte und sprach: „Edward“ - Er redete seine Schüler stets mit Vornamen an, auch die, die nicht seinem Haus angehörten - „Wenn Sie sich schon in meinem Unterricht unterhalten müssen, machen Sie es bitte wenigstens so, dass ich es nicht mitbekomme!“ „Verzeihung, Professor!“, kam die Antwort des Jungen sofort, während dieser sich verlegen am Hinterkopf kratzte. Nein, bei Professor Angell Weston musste man sich wirklich nicht fürchten. Tatsächlich war es noch nie vorgekommen, dass er in seinem Unterricht eine Strafe erteilt hatte - abgesehen vom Abziehen einiger Hauspunkte, woran kein Lehrer bei diesem Jahrgang lange vorbeikam - doch trotzdem hatte man Respekt vor ihm und wollte es auch nicht herausfordern, ihn wirklich an diesen Punkt zu treiben. Nachdem der Professor der Klasse aufgegeben hatte, einen kurzen Aufsatz über die Verwandlung größerer Säugetiere in andere zu schreiben, verließ er fast zeitgleich mit den Schülern den Raum, denn in Kürze würde es Mittagessen geben, und dazu kam er - im Gegensatz zu so manch eigener Unterrichtsstunde - niemals zu spät. Kapitel 8: Kälte ---------------- Beim Mittagessen hätte Shawna einiges darum gegeben, eine Gryffindor zu sein, allein schon um mit den vier anderen an deren Tisch essen - oder vielmehr einfach sitzen zu können. Nathaniels jüngere Schwester Lorena hatte in der letzten Doppelstunde Verteidigung gegen die dunklen Künste gehabt und erzählte in diesem Moment - so sah es für Shawna jedenfalls aus - aufgeregt jedes Detail dieser Stunde an ihren Bruder und dessen drei Freunde. Da die Siebzehnjährige selbst jedoch nun einmal nicht dort sitzen konnte, begnügte sie sich damit, sich wieder einmal ihre Gedanken zu machen. Verteidigung gegen die dunklen Künste als Unterrichtsfach interessierte sie nicht sonderlich, es war für sie ein Fach wie jedes andere. Sie strengte sich an und verschaffte sich gute Noten, doch man konnte nicht sagen, dass sie sich auch nur annähernd so hineinhängte wie in ihren Zaubertrankunterricht. Was sie wirklich interessierte, war der neue Lehrer. Sie nervte sich schon beinahe selbst damit, dass sie kaum noch an etwas anderes dachte, denn selbst in ihrem Traum der letzten Nacht war sie nicht vom Gesicht Blackwells verschont geblieben. Shawna aß heute nichts zum Mittag, sondern hatte wie gestern Abend den Blick zum Lehrertisch gerichtet, um den Neuen zu beobachten, welcher seinen Teller ebenfalls nicht angerührt hatte. Das überraschte sie. Gestern Abend hatte er nichts gegessen, jetzt tat er es ebenfalls nicht, und heute Morgen zum Frühstück war er nicht einmal erschienen. „Dieser Kerl wird noch sein blaues Wunder erleben!“ Shawna schreckte hoch. Diese Worte waren so unheimlich wütend gesprochen worden, dass man sie eigentlich gar nicht hätte überhören können, doch scheinbar hatte der halbe Slytherin-Tisch dies getan. Es war Victor Farrington gewesen, der sie gesprochen hatte, gerade als er und zwei seiner Freunde die Große Halle betreten hatten. Richtig... Victor Farrington besuchte ebenfalls den fünften Jahrgang, und wahrscheinlich hatten Gryffindor und Slytherin noch immer gemeinsam Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste, also müsste er inzwischen eigentlich auch wissen, wie es dort so war. Ob er sich wohl darüber so aufregte? Shawna würde ihn nicht danach fragen können. Schade. Als Miranda, Felicity und Anthony mit dem Essen fertig waren, konnte es Shawna kaum erwarten, zum Klassenzimmer zu kommen, was sonst ganz und gar nicht ihre Art war. „Nun dräng doch nicht so!“, murrte Miranda, „Blackwell ist doch noch da, wir können noch gar nicht rein, Mensch!“ Doch die Schwarzhaarige ließ sich nicht aufhalten, sondern ging einfach allein los. Sie wusste nicht, wieso dieser Lehrer sie so faszinierte, doch er tat es eben, und aus diesem Grund wollte sie ihm näher auf den Grund gehen, seinen Methoden, seinem Wesen. So war Shawna Mallory, wenn etwas sie faszinierte, beschäftigte sie sich mehr als ausgiebig damit. Einzig und allein Anthony wunderte sich darüber, die Zwillinge kannten sie immerhin nicht anders. Das Interesse der Siebzehnjährigen schwand nicht im Geringsten, als sie schließlich vor dem Klassenzimmer stand - als erste - und die Tür plötzlich von innen geöffnet wurde. Sie hatte ganz genau gesehen, und da war sie nicht die einzige, dass Professor Blackwell noch in der Großen Halle gewesen war, als sie sie verlassen hatte, also wie konnte er jetzt hier sein? Die Lehrer an dieser Schule bewegten sich nicht anders fort als die Schüler, von Angell Weston einmal abgesehen, der - zur Verärgerung einiger anderer Lehrer - des Öfteren einmal auf dem Besen durch die Korridore schoss. Als Miranda, Felicity und Anthony schließlich ebenfalls eintraten, zusammen mit dem Rest der Klasse, konnten sie keinen Einspruch mehr dagegen einlegen, dass sich Shawna einen Platz in der ersten Reihe gesucht hatte, obwohl man ihnen ansah, dass sie sich dabei nicht allzu wohl fühlten. Als der Lehrer pünktlich mit dem Läuten der Glocke zum Stundenbeginn aus seinem Büro trat, sahen die übrigen Schüler nicht minder überrascht aus, als es Shawna vorhin bereits gewesen war. Zwar sprach keiner ein lautes Wort, doch konnte man durch fast jede Bankreihe die getuschelte Frage „Wo kommt der denn jetzt her?“ vernehmen. Dass es in Hogwarts einige Geheimgänge gab, war jedem klar, auch wenn man nicht unbedingt wusste, wo sich diese befanden, doch die zweifelten dennoch daran, dass einer davon wirklich in dieses Büro führen sollte. So dauerte es einige Minuten, in welchen Blackwell einfach vor der Klasse stand, beobachtend, und sich die Schüler aus Slytherin und Gryffindor leise unterhielten, so dass man, wenn man nicht gerade dazwischen saß, wohl nur ein allgemeines Zischen hätte wahrnehmen können. „Anscheinend lag ich falsch mit der Annahme, dass sich zumindest die Siebtklässler an dieser Schule zu benehmen wüssten.“ Blackwells plötzliches Sprechen brachte den gesamten Raum mit einem Schlag zum Schweigen. Seine Stimme war unglaublich, tief, melodiös und an sich ruhig, doch trotzdem lag etwas so Strenges und Starkes darin, dass der beim besten Willen nicht laute Tonfall das Flüstern der etwa vierzig bis sechzig Schüler ohne Weiteres übertönte. Nach einer halben, vollkommen stummen Minute zog der Professor eine Augenbraue hinauf und verzog das Gesicht zu einem amüsierten Schmunzeln. „Ach so ist das! Die Damen und Herren wünschen, dass ich meine Stunde höchstpersönlich eröffne? Bitte, wie Sie möchten! Wir treffen eine Vereinbarung.“ In diesem Augenblick wurde das Gesicht des Mannes wieder eiskalt. „Sobald ich diesen Raum betrete, herrscht hier Ruhe, ist das klar? Ich sehe es Ihnen allen heute noch einmal nach, weil es unsere erste gemeinsame Stunde ist, aber wenn ich ein solches Benehmen noch einmal erlebe, werden Sie mit den Konsequenzen rechnen müssen.“ Blackwell streckte den rechten Arm aus, scheinbar um auf einen Schüler zu zeigen, und als Shawna bemerkte, dass seine Hand auf sie wies, saß sie noch stocksteifer und stiller dort als ohnehin schon. Sie rechnete damit, dass er nun nahtlos mit dem Unterricht beginnen und ihr eine wahnsinnig komplizierte Aufgabe stellen würde, doch stattdessen sprach er - ohne das Mädchen auch nur anzusehen - weiter zur Klasse. „Nehmen Sie sich ein Beispiel an Miss Mallory!“ Woher er ihren Namen kannte, war ihr schleierhaft. „So gehört es sich, still sein und aufpassen. Ich würde Slytherin dafür glatt fünf Punkte zuschreiben, wenn es nicht eine Selbstverständlichkeit wäre. Eigentlich, wenn ich es mir so überlege, sollte ich Ihnen allen sogar jeweils fünf Punkte für Ihre Häuser abziehen, aber davon sehe ich - wie gesagt - heute, und nur heute, noch einmal ab.“ Mit diesen Worten verstummte Professor Blackwell, und obwohl Shawna sich nicht umdrehte, spürte sie dennoch unzählige Blicke der Marke „Was für eine Streberin!“ auf sich liegen. „Fangen wir also mit dem Unterricht an!“ Die rettenden Worte. Nach dieser Ansprache wagte es niemand mehr, Blackwells Unterricht nicht zu folgen. Der Neue war gewöhnungsbedürftig, wahrscheinlich müsste man später noch austesten, wie weit man es bei ihm treiben konnte. „Wie ich mir von Professor Greifenstein habe sagen lassen“, begann der Professor nun, „ist Ihr Wissen um die dunklen Künste und die Verteidigung gegen eben diese bereits breit gefächert. Mein Vorgänger, Professor Laurencine, scheint Ihnen bereits alles beigebracht zu haben, was Sie für Ihre UTZ-Prüfungen benötigen. Sehr erstaunlich, ich habe es noch nicht oft erlebt, dass ein Lehrer solch eine gute Vorarbeit bei einer Klasse geleistet hat. Wir werden dieses Jahr, Ihr letztes Jahr, demnach hauptsächlich dafür nutzen, den Stoff, den Sie bisher erlernt haben, zu wiederholen und zu vertiefen, angefangen von Ihren ersten Wochen hier in Hogwarts. Ich hoffe natürlich, dass ich auf diesem Gebiet keine Enttäuschungen erleben muss, und immerhin...“ Er sprach die nächsten Worte mit einem fast schon sadistischen Mitschwang. „... wäre das auch ziemlich peinlich für Sie, nicht wahr?“ Das stimmte. Dieser Jahrgang bestand aus einer Horde ziemlicher Stur- und Hitzköpfe, von denen sich keiner eine solche Blöße geben wollte. Zum Glück, dachte Shawna bei sich, hatte sie für Verteidigung gegen die dunklen Künste immer recht gut üben können, so dass die Techniken bei ihr wohl nicht perfekt, aber dennoch gut genug saßen, was das E, welches sie in ihrer Prüfung dafür erhalten hatte, immerhin auch bestätigte. „Da wir heute leider nicht das Glück einer Doppelstunde haben“, fuhr Blackwell ohne weitere Umschweife fort, „kann ich mein Vorhaben heute noch nicht umsetzen. Sie dürfen sich freuen, denn die Doppelstunde, die wir am Mittwoch haben werden, fällt aus“ Die Klasse wollte bereits erleichtert aufatmen, als Blackwell mit einem fast spöttischen Grinsen hinzufügte: „- am Vormittag. Ich habe den Direktor gebeten, sie diese Woche zu verlegen.“ Ratlose Blicke wurden zwischen den Schülern ausgetauscht. „Anstelle der Doppelstunde vor dem Mittagessen, werden wir den Unterricht nach dem Abendessen abhalten. Um Punkt acht Uhr abends wird sich dieser gesamte Kurs bei Professor Greenwoods Blumenbeten einfinden, schreiben Sie sich das auf. Ich werde es nicht tolerieren, wenn irgendeiner von Ihnen meint, zu spät kommen zu müssen.“ Sofort war der Raum erfüllt von raschelndem Pergament und kratzenden Federn, während Blackwell weitere Anweisungen erteilte. „Ziehen Sie warme Kleidung über, wir werden eine ganze Weile draußen sein. Mitzubringen haben Sie nichts weiter als Ihre Zauberstäbe und - was ich als Selbstverständlichkeit betrachte - einen klaren Verstand. Ich werde Ihnen noch nicht verraten, mit was Sie es am Mittwoch zu tun bekommen, doch lassen Sie sich gesagt sein, dass ich voraussetze, dass Sie alle in der Lage sind, mit brenzligen Situationen umzugehen. Sollte dies nicht der Fall sein...“ Er brach ab. Eine bedrohliche Stille legte sich über den Raum. Jeder, wirklich jeder Schüler hatte den Blick mittlerweile dem Professor zugewandt, welcher nun schweigend an seinem Pult lehnte und, obwohl seine Augen sich zu keiner Seite bewegten, die Klasse mit all ihren Details überblickte. Ab hier ging der Unterricht relativ still voran. Der Professor hatte einen kleinen, schriftlichen Test vorbereitet, welcher sich hauptsächlich mit den einfacheren Schutzzaubern befasste. Während die Schüler allesamt auf ihren Plätzen saßen und die Fragen mit mehr oder weniger großem Wissen zu beantworten versuchten, ließ es sich Blackwell nicht nehmen, zwischen den Reihen herumzugehen und hin und wieder auf die Blätter zu schauen. Er sprach dabei kein Wort und bewegte sich lautlos wie immer, doch Shawna spürte, als er direkt hinter ihr stehen blieb, wie die Luft um sie herum plötzlich ein wenig kühler zu werden schien. Sie bekam eine Gänsehaut. Der Professor stand - so kam es ihr vor - viel länger hinter ihr als hinter einem der anderen, und mit jeder zusätzlichen Sekunde wurde ihr ein wenig unbehaglicher, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen und behielt den Blick streng auf ihr Pergament geheftet, wo sie die sechste Aufgabe mittlerweile zum dritten Mal las, ohne sich darauf konzentrieren zu können. Nennen Sie die Formel und den Gegenfluch für einen einfachen Schockzauber, beschreiben Sie kurz die Wirkungsweise und geben Sie ein Beispiel dafür, wie man seine Anwendung effektiver gestaltet. Was wollte er von ihr wissen? Je öfter sie die Frage durchlas, desto mehr fiel ihr auf, was sie ablenkte, angefangen bei der Handschrift. Klein, regelmäßig und äußerst sauber. Es war nicht ein einziger Tintenklecks auf dem Bogen, nicht ein Wort war durchgestrichen oder korrigiert worden, und sämtliche Fragen waren mit violetter Tinte geschrieben. Blackwell schien eine Vorliebe für diese Farbe zu haben, dachte sie sich. Und er musste ein Perfektionist sein, so streng, so sauber und ordentlich wie er alles machte, nicht nur diesen Test, auch den ganzen restlichen Unterricht. Dieser Professor duldete keine Ausreißer, anders als Laurencine, bei welchem es Gang und Gebe gewesen war, dass hin und wieder ein Schüler (oder je nach eigener Laune auch mehrere) zu spät zum Unterricht erschienen war. Solange sie die Mitschüler nicht gestört hatten, war es für ihren alten Lehrer kein Problem gewesen, doch der Neue war anders. Zum fünfzehnten Mal flogen die grünen Augen nun über diese Frage. Schockzauber, Gegenfluch, Wirkungsweise... Sie wusste die Antwort, irgendwo in ihrem Kopf war sie versteckt, doch solange sie die Kälte dieses Mannes noch so dicht bei sich spürte, würde sie nicht darauf kommen. Als hätte Blackwell ihre Gedanken gelesen - mittlerweile war sie überzeugt davon, dass er dies tatsächlich konnte - setzte er sich in genau diesem Moment wieder in Bewegung, um weiter durch die anderen Reihen zu gehen, und tatsächlich. Kaum hatte er sich einige Schritte von ihr entfernt, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und sie hätte sich vor den Kopf schlagen können, bei einer solch einfachen Frage so lange nachgegrübelt zu haben. Pünktlich zum Ende der Stunde, mit dem Läuten der Pausenglocke und einem Schlenker seines Zauberstabs, sammelte Professor Blackwell die Testbögen ein, stieg die kleine Treppe hinauf, die zu seinem Büro führte, und wandte sich noch einmal an die Schüler. „Mittwoch Abend um Punkt acht Uhr an den Blumenbeeten, und seien Sie versichert, dass ich es merken werde, wenn auch nur einer von Ihnen fehlt!“ Als er schließlich in seinem Büro verschwunden war, war es, als läge ein Bann auf der Klasse. In vollkommenes Schweigen gehüllt packten die Siebtklässler aller Häuser ihre Sachen zusammen und verließen den Raum, um erst dort ihre Sprache wiederzufinden - mehr oder weniger. „Das... das war...“, stammelte Miranda, welche ihren kleinen Gefühlsausbruch in der Winkelgasse inzwischen vollkommen vergessen hatte. Felicity und Anthony konnten nur nicken, alle drei sahen völlig erstaunt aus, man konnte jedoch nicht deuten, ob in einem positiven oder negativen Sinn. Nur Shawna selbst war es anzusehen. Sie hatte den Klassenraum zwar mit den anderen dreien verlassen, doch irgendwie war sie nicht wirklich bei ihnen. Sie war die Stunde in all ihren Details noch einmal durchgegangen, und ihre Gefühle hingen nun an dem Punkt fest, als der Professor hinter ihr stehen geblieben war. Für einen Moment hatte sie versucht, sich auf ihn zu konzentrieren, hatte versucht, irgendein Geräusch aufzuschnappen, den Rhythmus seines Atems, das Rascheln seiner Kleidung, irgendetwas, doch irgendwie war er vollkommen ungreifbar für sie. Alles, was sie wahrgenommen hatte, war diese Kälte, eine Kälte, die ihr, wie ihr schien, bis in die Seele gekrochen war... Kapitel 9: Die Waldprüfung -------------------------- Miranda, Felicity und Anthony ließen sich auffällig viel Zeit, doch Shawna konnte es nach dem Abendessen gar nicht abwarten, schnell in ihren Schlafsaal zu kommen, um sich einen passenden Umhang herauszusuchen. Ihr normaler Reiseumhang wäre vermutlich zu unpraktisch, da sie damit rechnete, ein wenig Bewegungsfreiheit zu brauchen. Aus diesem Grund beschloss sie, nur einen leichten Mantel überzuwerfen und entschied sich somit dafür, lieber zu frieren als nachher vor irgendwelchen Problemen zu stehen. „Ich will nicht wissen, was der Kerl mit uns vorhat...“, murmelte Felicity matt, als die Zwillinge den Schlafsaal schließlich ebenfalls erreichten und Shawna dort bereits fertig angezogen und mit gezogenem Zauberstab vorfanden. „Du bist echt begeistert von diesem Blackwell, kann das sein?“, murrte Miranda, als sie an ihrer Mitschülerin herunterschaute, und irgendwie fühlte sich Shawna nun ertappt. Begeistert war vielleicht nicht das richtige Wort, begeistert war etwas Positives, und sie wusste nicht, ob ihre Einstellung ihm gegenüber positiv war, doch sie konnte nicht leugnen, dass dieser neue Lehrer sie mit jeder neuen Begegnung mehr faszinierte. Je öfter sie mit ihm zu tun bekam, desto mehr wollte sie von ihm wissen. Zwar war sie sich dessen bewusst, dass sie ihn nicht einfach fragen konnte - das gehörte sich einfach nicht - doch trotzdem hätte sie es unheimlich gern getan. Sie hätte sich zu gern mit ihm zusammengesetzt und ihn nach allem Möglichen gefragt, nach Oberflächlichem sowie tiefgründigeren Dingen. Noch nie hatte es einen Menschen gegeben, über den sie einfach alles hatte wissen wollen, und es war ein merkwürdiges, beunruhigendes Gefühl, dass es bei diesem ersten Mal ausgerechnet ein Lehrer war, doch sie konnte nichts dagegen ausrichten. „Wenn du weiter da rumstehst, kommst du zu spät. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das willst?“, sprach Miranda sie schließlich wieder an, wobei ihr Gesicht ziemlich ungeduldig wirkte. „Äh... Nein, nicht wirklich...“, nuschelte die Schwarzhaarige und steckte ihren Zauberstab weg, ehe die drei sich schließlich auf den Weg zu den Blumenbeeten machten, wo sie gerade noch pünktlich ankamen. Das Wetter hätte besser sein können, ging es Shawna durch den Kopf, als sie einen Blick in den Himmel warf. Dieser war mit dichten, dunklen Wolken überzogen und hier und da kamen bereits erste Regentropfen herab, und noch dazu wehte ein eisiger Wind. Das Mädchen zog den Mantel enger zusammen, im Nachhinein war es vielleicht doch ein Fehler gewesen, sich nur so dünn anzuziehen, doch sie ahnte, dass Blackwell ihr nicht erlauben würde, sich noch einmal umzuziehen. Immerhin hatte er sie vorgewarnt, es war ihre eigene Schuld. Tatsächlich wurde die gesamte Klasse bereits von Professor Blackwell erwartet, welcher heute die violette Kleidung weggelassen hatte und in einem vollkommen schwarzen Umhang vor den Schülern stand. Dieser verschluckte ihn fast völlig unter dem dunklen Himmel, doch dennoch beherrschte er es wieder einmal meisterhaft, sich bemerkbar zu machen. „Wie ich sehe, haben Sie sich meine Worte fast alle zu Herzen genommen. Das überrascht mich angenehm!“ Die Stimme des Professors war an sich leise, doch er sprach mit solch einer Ausdruckskraft zu den jungen Erwachsenen, dass sie sich fast nicht zu atmen trauten, da sie befürchteten, selbst das könnte in dieser Situation zu laut sein. „Willkommen zu Ihrer zweiten Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste! Ich habe mir Ihre Tests gründlich angeschaut und kann eine gewisse Enttäuschung nicht verbergen! Es ist traurig, sehen zu müssen, dass der Stoff der ersten Schuljahre bei Ihnen so große Lücken hat.“ Er ging vor der Klasse auf und ab, während er sprach. „Selbstverständlich gilt das nicht für Sie alle, doch diejenigen, die ich gerade meine, werden sich wohl von selbst angesprochen fühlen. Aufgrund dieses... Defizits, mit dem ich ehrlich gesagt nicht in einem solchen Ausmaß gerechnet hätte, sehe ich mich gezwungen, vor Beginn des eigentlichen Unterrichts noch einige Grundlagen mit Ihnen durchzugehen.“ Mit diesen Worten wandte er sich nun wieder den Schülern zu. „Versetzen Sie sich in eine Situation hinein. Sie duellieren sich mit einem Gegner. In welchem Moment ist dieser keine Gefahr mehr für Sie?“ Shawna dachte nach, und offenbar tat das auch der Rest der Klasse, denn kein einziger Arm war in der Luft zu sehen und nach wie vor wurde kein Wort gesprochen. Wann war ein Gegner ungefährlich? Wenn man ihn geschlagen hatte, fiel ihr als erstes ein, doch das war Unsinn. Es ging um ein Duell. Ein im Duell geschlagener Gegner konnte hinterher wieder aufspringen und sie hinterrücks angreifen, das war es also nicht. Kurz warf das Mädchen einen Blick in die Runde, welche nach wie vor ebenso ratlos war wie sie selbst. „Wenn er nicht mehr kämpfen kann?“, fragte sie schließlich ein wenig kleinlaut, doch deutlich genug, dass Blackwell es hören konnte. Mit einem kleinen Wink seiner Hand gebot er den ersten Schülerreihen, beiseite zu treten, und selbstverständlich wagte es niemand, sich nicht daran zu halten, so dass er Shawna nun direkt gegenüberstand. Die Schwarzhaarige spürte, wie in ihrem Hals langsam ein Kloß anschwoll. Sie wusste beim besten Willen nicht, was nun auf sie zukam, denn man konnte dem Lehrer nicht ansehen, ob die zögerliche Antwort ihn zufrieden gestellt hatte. „Miss Shawna Mallory, nicht wahr...? Wenn er nicht mehr kämpfen kann, meinen Sie? Das ist durchaus ein richtiger Ansatz“ - Shawna atmete auf - „doch es ist mir noch etwas zu ungenau. Wann kann Ihr Kontrahent nicht mehr kämpfen? Diese Frage richtet sich an alle!“ Diesmal dauerte es länger, bis schließlich ein Junge aus Hufflepuff, wie Shawna sich anhand seines kanariengelb-schwarz gestreiften Schals denken konnte, die Hand langsam in die Luft streckte und auf ein Nicken Blackwells hin seine Vermutung äußerte. „Wenn er bewusstlos ist?“ Shawna kannte den Namen des Jungen nicht, doch der Professor würde ihr diese Frage gleich beantworten. „Daniel... Brown? Ja, Daniel Brown. Natürlich ist das richtig, ein bewusstloser Gegner kann nicht kämpfen. Die Frage ist nur, wie Sie das auf die Schnelle erreichen wollen. Wenn er Sie angreift, wenn er sich schnell bewegt, wie wollen Sie ihn in diesen Zustand bringen? Weitere Vorschläge? Vielleicht einmal jemand aus den anderen Häusern? Gryffindor? Die Gryffindors haben insgesamt am schlimmsten abgeschnitten, wenn ich das mal so anmerken darf. Also, wie sieht es aus?“ Die Zwillinge konnten sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als Blackwell das andere Haus so heruntermachte. Es steckten eben doch Slytherins in ihnen, doch lange hielt dieses Gefühl nicht an, nicht nur, weil Nathaniel McLean nun die Hand erhob, sondern auch wegen des Gefühls, ständig von Professor Blackwell beobachtet zu werden. „Man darf ihn nicht angreifen lassen!“ Diese Antwort schien dem Lehrer zu genügen, oder sie entnervte ihn vollkommen, jedenfalls löste er die Spannung nun auf. „Ja, Mr McLean, ganz recht. Man darf ihn nicht angreifen lassen, oder um es genauer auszudrücken: Ein Gegner ist in genau dem Moment ungefährlich, in dem er seine Waffe verliert!“ Ein Raunen ging durch die Menge und auch Shawna schlug sich vor den Kopf. Daran hätte sie denken können. Sie warf einen Blick zu dem Professor herüber. War er jetzt enttäuscht? Hätte er mehr von ihr erwartet? Und vor allem - warum interessierte sie das? Blackwell jedoch würdigte sie keines Blickes, sondern wandte sich stattdessen an ein Mädchen aus Ravenclaw mit glattem, dunklem Haar und konzentriertem Blick. „Miss Callaway!“ Das Mädchen sah selbstsicher aus, anscheinend hatte sie keine besonders große Sorge darum, die Frage des Lehrers nicht beantworten zu können. „Da wir jetzt wissen, dass es um Entwaffnung geht, nennen Sie uns bitte die Formel für einen Entwaffnungszauber, und sprechen Sie laut, denn dieser Spruch wird für die kommende Stunde wichtig sein!“ „Die Formel lautet Expelliarmus, Sir!“, sprach die Ravenclaw deutlich, woraufhin Nathaniel und Edward, die beiden Gryffindor-Jungen, deren Namen Shawna kannte, einander vielsagende Blicke zuwarfen und die Antwort des Mädchens stumm nachäfften, was vom Professor jedoch nicht unbemerkt blieb. „McLean und O’Reilly, solche Albernheiten will ich nicht noch einmal erleben. Gryffindor verliert fünf Punkte!“ Ein verärgertes Grummeln ging durch die Reihen der Gryffindors, doch davon nahm niemand mehr Notiz. „Das ist richtig. Ich werde den Spruch nicht wiederholen, ich hoffe für Sie, dass Sie ihn sich alle gemerkt haben. Nun, dann kann die Stunde ja endlich beginnen! Sie werden sich jetzt in Paare aufteilen, und ich möchte die Barker-Zwillinge bitten, sich zu trennen. Sie werden gleich den Verbotenen Wald betreten“ - Nun hielt die Klasse wirklich den Atem an - „und wenn Sie sich begegnen, sollen Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, nur zur Sicherheit.“ Miranda und Felicity, welche sich die ganze Zeit ein wenig aneinander gedrängt hatten, schauten einander nun beunruhigt an, rückten jedoch widerwillig auseinander, Felicity in Anthonys Richtung und Miranda in Shawnas. „Sehr schön, na das ging ja wenigstens schnell! Jetzt hören Sie mir alle sehr gut zu. Ich habe ein Stück des Verbotenen Waldes abgegrenzt. Sie erkennen diese Grenze an einer blau leuchtenden Linie, und wenn ich es erlebe, dass auch nur einer von Ihnen diese Linie übertritt, dann wollen Sie die Strafe dafür nicht kennenlernen! Sie werden sich also in Ihren Paaren innerhalb dieses Waldstückes bewegen und... nun ja, sehen, dass Sie heil wieder herauskommen...! Sollte einem von Ihnen etwas passieren, wird der Partner rote Funken versprühen und ich bin auf der Stelle bei Ihnen. Auf meinen Pfiff!“ Mit diesen und nur mit diesen Worten stieß Blackwell einen kurzen, lauten Pfiff aus und die Schülerpaare betraten mit unsicheren Schritten den Wald. Anscheinend war das Gebiet, welches der Lehrer abgegrenzt hatte, recht groß, denn schon bald waren Shawna und Miranda vollkommen allein. Der Waldboden war uneben und inzwischen hatte der Regen richtig eingesetzt und fiel nun durch die Baumkronen. Es war Herbst, weswegen bereits eine dichte Schicht aus Laub auf der Erde lag, und durch die Nässe wurde es ekelhaft glitschig, was den beiden Mädchen das Vorankommen nicht gerade erleichterte. „Ich hätte mir wirklich etwas Wärmeres anziehen sollen...“, murmelte die Schwarzhaarige in sich hinein, während sie sich das feucht werdende Haar zurückstrich, „Es ist eiskalt hier.“ „Sag mal, wozu hat er eigentlich gesagt, wir sollen uns den Entwaffnungszauber merken? Wir sollen uns ja nicht gegenseitig angreifen, und ein Expelliarmus wird uns nicht viel nützen, wenn wir hier auf“ Sie schluckte. „... Werwölfe oder so etwas stoßen!“ Shawna musste im Stillen zugeben, dass ihre Freundin Recht hatte, und sie stellte sich dieselbe Frage wie sie. Wozu sollten sie diesen Spruch dann beherrschen? Sicher, es war immer gut, seinen Gegner entwaffnen zu können, doch Alastair Blackwell war kein Mensch, der seine Zeit mit unnützen Informationen verschwendete, also musste es irgendeinen Zweck haben. „Lass uns lieber über was anderes reden...“, murmelte sie der Blonden beunruhigt zu, „Das macht mir alles Angst hier. Lass uns sehen, dass wir die Stunde heil überstehen und dann bloß schnell weg von hier!“ „Mal ehrlich, dieser Blackwell ist doch irre! Der Wald hier ist nicht umsonst verboten, es ist gefährlich hier! Was, wenn wir...“ „Psst!“, unterbrach Shawna ihre Freundin und zog sofort ihren Zauberstab heraus. Zwar war die Luft ohnehin erfüllt von einem leisen Rauschen, da der Regen noch immer sanft auf die Blätter fiel, doch die Schwarzhaarige war sich sicher, dass sie gerade eben noch etwas anderes gehört hatte. Etwas wie ein Knacken, als wäre jemand in der Nähe. Mit angestrengt geöffneten Augen versuchte sie, durch die Finsternis etwas erkennen zu können, doch nach wie vor zeichneten sich lediglich die schwarzen Silhouetten der Bäume vor dem etwas weniger schwarzen Hintergrund ab. Nichts bewegte sich, jedenfalls nicht soweit sie es erkennen konnte. „Ist da jemand?“, rief sie gedämpft aus und trat einen Schritt vor, doch Miranda packte sie sofort am Arm und zog sie zurück, sich eng an sie drückend und mit gepresster Stimme flüsternd: „Lass uns abhauen, bitte, ich hab kein gutes Gefühl...!“ Bereits im nächsten Augenblick hätte Shawna am liebsten die Zeit zurückgedreht, um auf das Bauchgefühl der Blonden hören zu können, denn schneller als sie hätte reagieren können schoss plötzlich eine Gestalt hinter einem Busch hervor und riss den Arm hoch. „EXPELLIARMUS!“, schrie Shawna instinktiv heraus und stieß die Hand mit dem Zauberstab in die Richtung dieses schattenhaften Wesens, während Miranda so laut aufkreischte, dass sie die Zauberformel, die der Fremde hatte sprechen wollen, völlig übertönte. Dieser wurde ein Stück nach hinten geschleudert, stolperte über irgendetwas am Boden und ergriff, kaum hatte er wieder Halt gefunden, die Flucht, die beiden Mädchen mit einem schweren Schrecken in den Gliedern zurücklassend. Miranda ließ sich auf die Knie fallen. Normalerweise ekelte es sie vollkommen an, ihre Kleidung nass oder dreckig zu machen, doch in dieser Situation war es ihr anscheinend egal. Einen Moment brauchte sie, bis der Schock sie wirklich erreicht hatte, doch schließlich schlug hob sie eine Hand vor den Mund und brach in Tränen aus. Shawna war nicht minder erschrocken, doch scheinbar ging sie um einiges gefasster damit um, weswegen sie erst einmal ein leises „Lumos“ sprach, um mit ihrem Zauberstab Licht zu machen, sich dann ebenfalls ins nasse Laub kniete und ihre Freundin sanft in den Arm nahm, ihr mit zitternder Stimme zuredend: „Es ist doch gut, alles okay, keinem ist was passiert...! Hey... Willst du hier raus? Soll ich rote Funken sprühen? Dann kommt der Professor und holt uns!“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, wandte sich Miranda ihr zu, die geröteten Augen voller Panik geweitet und den Mund halb geöffnet, ehe sie den Kopf heftig schüttelte. „Nein!“, keuchte sie, „Nicht! V-Verstehst du nicht? Er war es! Der Professor! D-Die Prüfung! Wie sollte es sonst sein?! Ich sag es dir, er ist wahnsinnig!“ Shawna brauchte eine Weile, um zu begreifen, was die andere damit sagen wollte. „Nein... Du meinst doch nicht etwa, dass...“ Diesmal war sie es, die unterbrochen wurde, als plötzlich hinter ihr erneut eine Gestalt eilig aus dem Gebüsch kam, eingehüllt in einen langen, schwarzen Umhang. In der linken Hand trug diese ebenfalls einen Zauberstab, an dessen Spitze ein Licht brannte, und kaum hatte sie die beiden erblickt, riss sie sich die Kapuze vom Kopf. „Ist hier etwas passiert?!“, ertönte die Stimme Alastair Blackwells, und es war das erste Mal, dass man ihm wirklich ansah, dass er ebenso beunruhigt war wie die beiden selbst. Kapitel 10: In der Nacht ------------------------ Miranda wurde mit einem Schlag kreidebleich. „Wie... wie kann...?!“, stammelte sie, sich nun bloß noch fester an Shawna klammernd. Diese verstand natürlich sofort, was in der Jüngeren vor sich ging. Sie war fest überzeugt gewesen, dass Professor Blackwell sie angegriffen hatte, und Shawna selbst glaubte mittlerweile ebenfalls, dass dies das Ziel der Aufgabe gewesen wäre, doch anhand dieser Reaktion war die Möglichkeit gänzlich undenkbar. Noch dazu war er aus einer völlig anderen Richtung gekommen. Ohne zu apparieren hätte er das niemals schaffen können, und mittlerweile wusste wohl jeder in diesem Jahrgang, dass das Apparieren auf dem Schulgelände nicht möglich war. „Es... ist alles in Ordnung“, begann die Schwarzhaarige einen Augenblick später, „Wir wurden angegriffen, aber es ist nichts passiert. Ich hab ihn entwaffnet.“ Man konnte nicht leugnen, dass auf dem Gesicht des Professors ein leichtes Grinsen erschien, während er nun neben den Mädchen in die Hocke ging. Dieses verschwand jedoch so schnell wieder, wie es gekommen war. „Erzählen Sie mir bitte genau, was passiert ist!“, befahl er in einem weniger strengen Ton als sonst, und Shawna hielt sich daran. Sie erklärte ihm in allen Einzelheiten, was in den letzten Minuten geschehen war, und wie sie es nicht anders erwartet hätte, wusste der Mann sofort, was er zu tun hatte. „Sie zwei rühren sich nicht von der Stelle. Miss Mallory, Sie haben gesagt, der Angreifer ist Hals über Kopf weggelaufen, das heißt, er wird seinen Zauberstab hier irgendwo verloren haben. Den suche ich jetzt, vielleicht wird das für Aufschluss sorgen. Es könnte immerhin sein, dass dieser Fremde jemand von dieser Schule war, und wenn das so ist, werde ich es herausfinden!“ Dieser Gedanke durchschoss Shawna wie ein elektrischer Schlag. Bisher hatte sie überhaupt nicht an diese Möglichkeit gedacht, nicht mehr seit sie Blackwell als Täter abgehakt hatte, doch jetzt, wo es ausgesprochen war, setzte es sich in ihrem Kopf fest. Es war möglich. Auch wenn sie sich noch nicht im Klaren war, wer es hätte sein können, war es doch möglich, dass es jemand aus der Schule gewesen war. Es dauerte nicht besonders lange, bis Blackwell schließlich tatsächlich einen Zauberstab aus dem Gebüsch zog und mit diesem zurückkehrte. „Wir brechen die Aufgabe ab. Bleiben Sie hier und rühren Sie sich nicht, ich werde jetzt die anderen Gruppen einsammeln und zum Schloss schicken, danach bin ich sofort wieder bei Ihnen. Verstanden? Keine Bewegung!“ Kaum hatte er ausgesprochen, zog er die schwarze Kapuze wieder über und lief los, tiefer in den Wald hinein oder näher zum Ausgang, keines der beiden Mädchen wusste es, doch nach einer Weile verschluckte die Dunkelheit schließlich auch das kleine Licht an seinem Zauberstab. „Ist der Mann völlig übergeschnappt...? Wie kann er uns hier allein lassen?!“, hauchte Miranda noch immer ziemlich ängstlich, „Was wenn der Kerl zurückkommt?“ „Beruhig dich, selbst wenn er zurückkommt, hat er keinen Zauberstab bei sich. Er kann uns nichts tun. Hey, und der Professor ist doch gleich zurück, er beeilt sich bestimmt!“, versuchte die Ältere, sie zu beruhigen. Ihre Angst war beinahe verflogen, wie sie einen Augenblick später bemerkte. Zwar hatte er noch immer eine unheimliche Ausstrahlung und noch immer spürte sie eine merkwürdige Kälte, wenn er in der Nähe war, doch irgendwie hatte sie sich eben unheimlich sicher gefühlt, als er gekommen war um nach ihnen zu sehen. Und tatsächlich sollten die beiden nicht lange warten. Keine von ihnen fragte nach, wie es dem Professor gelungen war, dieses ganze Waldstück in zehn Minuten zu durchkämmen und sämtliche Schüler einzusammeln, doch schon nach dieser kurzen Zeit erschien er wieder bei ihnen und bedeutete ihnen, aufzustehen und ihm zu folgen, den eigenen Zauberstab noch immer erhoben. Der Regen hatte inzwischen etwas nachgelassen, doch die Kleidung der Schwarzhaarigen war völlig durchnässt. Sie fror, doch sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Miranda ging es immerhin noch um einiges schlechter als ihr, vielleicht nicht körperlich, doch man sah ihr an, dass ihr der Schreck noch immer in den Gliedern saß. „Ihr müsst jetzt wirklich gut überlegen. Hat eine von euch irgendwelche Feinde? Gibt es irgendjemanden, der einen Grund hätte, euch anzugreifen?“, durchdrang die Stimme des Professors schließlich die Stille. Das war eine gute Frage. Eigentlich hatten sie keine Feinde, jedenfalls nicht, soweit es Shawna im Moment einfiel. Sicherlich gab es eine Menge Leute, mit denen sie sich nicht gerade gut verstanden, doch wäre sie nicht so weit gegangen, diese als Feinde zu bezeichnen. „Nein, Professor, bitte verzeihen Sie... Im Augenblick fällt mir wirklich niemand ein“, entgegnete das Mädchen nachdenklich, „aber ich werde weiter nachdenken, vielleicht gibt es ja doch jemanden.“ „Shawna! Miranda!“, war Anthonys Stimme bereits von Weitem zu hören, als die beiden Mädchen und der Professor den Wald wieder verließen, und auch Felicity kam auf die zwei zugestürzt, ihre Schwester sofort eng an sich drückend. „Miranda, oh Gott, geht es dir gut? Ich hab dich schreien gehört, wir... wir waren in der Nähe, aber der Professor meinte, wir sollten uns nicht vom Fleck bewegen! Was ist denn nur passiert?!“ „Hey! Farrington, Barker, habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen in Ihr Haus verschwinden? Los jetzt, Sie alle, ab ins Schloss mit Ihnen!“ Diesmal gehorchten die drei dem Lehrer und liefen so gut es ging zurück zum Schloss, um ihren Gemeinschaftsraum aufzusuchen, doch Shawna blieb noch zurück, denn jetzt gerade war ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen. Einen Moment lang starrte sie mit leichtem Entsetzen auf dem Gesicht Anthony hinterher, ehe sich Blackwell schließlich noch einmal an sie wandte. „Miss Mallory, für Sie gilt dasselbe! Muss ich Ihnen erst Hauspunkte abziehen?“, herrschte er sie an, doch trotzdem blieb sie auf der Stelle stehen. „Nein... Ich hatte nur gerade einen Gedanken...“ Mit ernstem Blick schaute sie zu ihm auf, ehe nur ein Name über ihre Lippen kam. „Victor Farrington!“ Blackwell zog eine Augenbraue hinauf. „Victor Farrington aus dem fünften Jahrgang? Was ist mit ihm?“ Shawna kratzte sich leicht am Kopf. Sie wusste nicht, ob sie diesen Verdacht wirklich äußern sollte, immerhin war er doch sehr hart. Aber was sollte schon passieren, dachte sie sich schließlich, Blackwell würde schon verstehen, dass sie sich nicht sicher war. Sie schaute ihm also wieder in die Augen und fuhr fort. „Victor Farrington könnte sowas wie ein Feind von uns sein. Ich bin mir jetzt natürlich nicht sicher, aber er käme vielleicht infrage. Ich weiß, dass er vor ein paar Tagen noch einen heftigen Streit mit Anthony hatte. Adrienna Farrington, also, die Mutter der beiden, hat eine ziemliche Abneigung gegen Miranda, Felicity und mich, angeblich weil wir Blutsverräter sind oder so. Und Anthony meinte, dass Victor schon immer genauso gedacht hat wie seine Mutter. Er wäre jetzt spontan der einzige, der mir einfallen würde, der etwas gegen uns hat.“ „Ich verstehe“, entgegnete Blackwell, „Ich werde den Jungen ein wenig im Auge behalten. Und jetzt machen Sie, dass Sie in Ihren Schlafsaal kommen, es ist schon spät.“ Darauf hatte Shawna nichts mehr zu sagen. Sie nickte bloß leicht und wandte sich dann von dem Lehrer ab, ehe sie den Weg zum Schloss hinaufstieg. Hinter einer Säule vor dem Eingang warteten Anthony und die Zwillinge bereits auf sie, und es erleichterte die Schwarzhaarige sehr, dass es Miranda anscheinend schon ein wenig besser ging. „Wollte Blackwell noch was von dir?“, hauchte Felicity ihr zu, während die vier sich nun gemeinsam auf den Weg zum Slytherin-Gemeinschaftsraum machten. „Nein“, entgegnete Shawna kopfschüttelnd, „ich von ihm. Er hat Miranda und mich vorhin gefragt, ob wir irgendwelche Feinde hätten, und mir ist da noch jemand eingefallen. Ich hab ihm zwar gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, aber irgendwie konnte ich das nicht für mich behalten, wo er schon nachgefragt hat.“ „Also mir wäre da ja sofort jemand eingefallen!“, murrte Anthony in sich hinein, während er sich aus seinem Mantel schälte, „Mein feiner Herr Bruder! Dem würde ich’s echt zutrauen, abends im Wald herumzuschleichen und dreckige Blutsverräter“ - Er sprach diese Worte in einem spöttischen Ton - „anzugreifen! Mann, wäre Mommy vielleicht stolz auf ihr kleines Schätzchen...!“ „Genau an den habe ich gedacht. Ich kenne ihn zwar nicht wirklich, aber bei all dem, was Anthony über ihn erzählt hat, würde ich es ihm irgendwie zutrauen. Meint ihr, ich kann Blackwell nochmal darauf ansprechen?“, fragte die Schwarzhaarige, den Blick ihren Freunden zuwendend, woraufhin die Zwillinge sofort nickten. „Ich finde, das solltest du sogar!“ Es waren die ersten Worte, die Miranda seit vorhin sprach, und noch immer klang ihre Stimme ein wenig brüchig. Jedoch schien sie sich wieder gefangen zu haben, denn ihr Blick war nicht minder entschlossen als der ihrer Schwester. „Wenn du irgendwas weißt oder etwas vermutest, dann musst du zu ihm gehen. Der Kerl ist mir zwar immer noch unheimlich und ich will ihm am liebsten nicht bei Nacht begegnen, aber anscheinend weiß er, was er tut. Oder zumindest glaubt er es zu wissen, also vielleicht kann er etwas tun.“ „Professor Greifenstein hat ihn bestimmt nicht ohne Grund eingestellt.“, pflichtete Felicity ihrer Schwester bei, während die vier gerade den Gemeinschaftsraum betraten. Im Stillen stimmte Shawna den beiden zu, doch irgendwie überkam sie nun eine unglaubliche Müdigkeit, weswegen sie beschloss, schon einmal in den Schlafsaal vorzugehen. Ihr Gutenachtgruß fiel recht flüchtig aus, doch das kannten die blonden Zwillinge bereits von ihr. Manchmal hatte sie solche Momente, in denen sie am liebsten so wenig wie möglich redete. Meist waren es dieselben Momente, in denen sie wieder in irgendwelche Gedanken verstrickt war, und so war es auch diesmal. Nachdem sie in ihren Pyjama geschlüpft war und ein Handtuch um ihr feuchtes Haar gewickelt hatte, krabbelte sie auf ihr Bett, zog die Vorhänge zu und legte sich schließlich hin, die Decke bis zum Kinn hochziehend. Bis sie eingeschlafen war, dauerte es nicht lange. „Lumos...“ Nichts passierte. „Lumos!“ Das Licht an der Spitze des Zauberstabs entzündete sich nicht, so oft das Mädchen es auch versuchte, bis sie es irgendwann aufgab und sich den Weg über den rutschigen Waldboden im Dunklen zu bahnen versuchte. Sie war völlig konzentriert, hatte die Ohren gespitzt, um auch bloß jedes Geräusch aus der Umgebung mitzubekommen. Die Schwarzhaarige war allein, irgendwo im Verbotenen Wald. Die markierte Grenze hatte sie noch nicht erreicht und sie wusste auch nicht, wie weit sie von dieser entfernt war. Sie wusste nicht einmal, aus welcher Richtung sie gekommen war, geschweige denn wie lange sie schon durch das feuchte Laub stapfte. Unter einem erschrockenen Aufkeuchen stolperte sie schließlich über eine herausstehende Baumwurzel und fiel der Länge nach auf den Boden. So ekelhaft dieser Untergrund auch war, er war wenigstens weich, so dass sie sich dabei nicht sehr wehgetan hatte. Blind rappelte sie sich wieder auf und klopfte den gröbsten Dreck von ihrer Kleidung, als sie hinter sich plötzlich ein auffällig lautes Rascheln hörte. Noch bevor sie sich gänzlich umdrehen konnte, hörte sie bereits eine Stimme, die ihr aus irgendeinem Grund bekannt vorkam. „Stupor!“ Der Schockzauber traf sie mitten in die Brust, ihr gesamter Körper verkrampfte sich schmerzhaft und erneut schlug sie auf dem Waldboden auf. Noch immer waren ihre Augen nutzlos, doch es reichte, dass sie die Schritte dieser Person eindeutig näher kommen hörte, bis diese wahrscheinlich genau vor ihr stehen blieb. „Lumos.“, befahl der Angreifer seinem Zauberstab knapp, und anders als bei dem Mädchen zuvor zeigte der Spruch die gewünschte Wirkung. „Anthony!“, presste das Mädchen durch die viel zu fest zusammengepressten Zähne heraus, „Was soll das?!“ Der Junge mit den olivgrünen Augen schmunzelte die am Boden Liegende von oben herab hämisch an, ehe er direkt neben ihr Gesicht hinspuckte und sich seine Miene mit einem Schlag verhärtete, so eiskalt wurde wie die seiner Mutter am Bahnsteig. „Du miese, kleine Blutsverräterin. Du wagst es, meinen Bruder bei deinem Professor anzuschwärzen? Dir werde ich zeigen, was man davon hat, sich mit der Familie Farrington anzulegen! Crucio!“ Wenn das Mädchen zuvor noch keine wirklichen Schmerzen gehabt hatte, hatte sie sie spätestens jetzt. Der Schockzauber hatte ihre Muskeln bereits dazu gezwungen, sich mit einem Schlag zusammenzuziehen, doch lieber hätte sie dieses Gefühl noch stundenlang ertragen als auch nur eine Sekunde länger dem hier ausgesetzt zu sein. Ihr Körper fühlte sich an, als würden glühend heiße Nadeln überall in ihn hineingestoßen werden, als zöge man ihr bei lebendigem Leibe die Haut ab und streute danach noch Salz über das wunde Fleisch darunter. Ihre Schmerzensschreie zerfetzten die Luft, ebenso wie sie sich zerfetzt fühlte, und Anthony schien nicht willens, so bald mit seiner Folter aufzuhören. Die Tränen rannen über ihr Gesicht, fühlten sich unangenehm eiskalt an. Sie würde sterben, jeden Moment würde sie sterben, das wusste sie. Immer näher kam sie diesem Moment. Anthony würde sie zu Tode foltern, und gerade als sie glaubte, es wäre im nächsten Augenblick vorbei, durchschoss ein dunkelvioletter Blitz die Schwärze, nicht wirklich leuchtend, doch dennoch die Umgebung für einen Moment erhellend. Anthony gab eine Art Würgelaut von sich und sackte in sich zusammen. Stille. Die Schwarzhaarige blieb am Boden liegen. Die Folter war vorbei, doch nach wie vor schmerzte ihr Körper grauenvoll. Sie spürte, wie ihr Bewusstsein sich langsam trübte, versuchte aber dennoch, auch nur irgendeine Einzelheit von ihrer Umgebung mitbekommen zu können, und tatsächlich war da etwas. Sie erkannte fast nichts von dem Gesicht, welches nun im schwachen Licht eines Zauberstabs direkt vor dem ihren erschien, hörte auch die dazugehörige Stimme nicht, während sich die Lippen bewegten. Das einzige, was ihre Sinne deutlich ausmachen konnten, war das Paar schmaler, blassgrüner Augen mit dem leichten Bernsteinstich darin, dessen durchdringender Blick ihre eigenen, sich langsam schließenden Augen fixierte. Kapitel 11: Verwandlung ----------------------- Als Shawna viel zu früh am nächsten Morgen erwachte, schmerzte ihr gesamter Körper. Ihre Glieder waren schwer und ihre Muskeln brannten, doch ihr war klar, dass es sich dabei nicht um einen normalen Muskelkater handelte, wie sie ihn nach der gestrigen Prüfung ohnehin erwartet hatte. Der Kopf des Mädchens fühlte sich völlig dicht an, wie bei einer heftigen Erkältung, und in den ersten Minuten hatte sie Schwierigkeiten damit, ihre Augen zu öffnen. Halbblind tastete sie in der Dunkelheit neben sich herum, um den kleinen, magischen Wecker zu finden, den sie stets irgendwo neben ihr Kopfkissen legte, um ihn auch sicher zu hören. Leicht stupste sie die Uhr an, woraufhin von dieser silberne Ziffern in die Luft stiegen und ihr fast boshaft verkündeten, dass es gerade erst halb vier am Morgen war. Seufzend ließ sie den Wecker wieder neben sich fallen und drehte sich unter einem leisen Ächzen auf die Seite, so dass sie ihm den Rücken kehrte. Bei vollem Bewusstsein war Shawna noch nicht, fühlte sich benebelt und hatte die Hoffnung, noch einmal einschlafen zu können, denn immerhin musste sie frühestens um sechs Uhr aufstehen, wenn sie vor dem Unterricht noch zum Frühstück gehen wollte. Es war Donnerstag, wenn sie sich nicht täuschte. Verdammt... Je mehr Gedanken ihr spontan in den Kopf schossen, desto wacher wurde sie, und das ausgerechnet heute, wo sie den ganzen Tag Unterricht hatte, und anstrengenden noch dazu. Inzwischen glaubte sie nicht mehr daran, noch einmal einzuschlafen, weswegen sie sich nun mehr oder minder freiwillig auf all das einließ, was ihr durch den Kopf ging. Nachdem sie gedanklich noch einmal durchgegangen war, welche Fächer heute auf sie zukamen, schweiften ihre Gedanken zu dem Traum, den sie letzte Nacht gehabt hatte. An viel erinnerte sie sich mittlerweile schon nicht mehr, die meisten konkreten Bilder waren bereits aus ihrem Gedächtnis verschwunden, doch eines hatte sich eingebrannt, nämlich das letzte. Die Augen, in die sie gesehen hatte, bevor sie aufgewacht war. Es war, als sähen diese sie noch immer an, und die Schwarzhaarige musste gar nicht darüber nachdenken, um genau zu wissen, in wessen Gesicht sie gehörten. Meine Güte, Shawna!, schalt sie sich selbst stumm, Hör auf damit! Obwohl sie nichts dafür konnte und dies auch wusste, war sie wütend auf sich, dass sie immer wieder an diesen Mann denken musste. Zum Glück würde sie ihn heute nicht sehen - zumindest nicht im Unterricht - vielleicht konnte sie sich dann ein wenig von ihm ablenken. Wie war das noch? Sie hatte heute vier Fächer, jeweils in einer Doppelstunde. Vormittags Verwandlung und Kräuterkunde und nach dem Essen dann Pflege magischer Geschöpfe und Zauberkunst. Schade, dachte sie sich, dass es nicht Arithmantik war. Zwar wurden beide Fächer vom selben Lehrer unterrichtet und waren sich daher in ihrer Art ein wenig ähnlich, doch war Arithmantik immer perfekt, wenn sie sich von irgendetwas ablenken musste - abgesehen von Zaubertränke, doch das verstand sich für Shawna von selbst. Bis es soweit war, musste sich aber doch irgendetwas finden lassen, womit sie die Zeit herumbringen konnte, überlegte sie noch eine Weile, ehe sie schließlich doch nach ihren Zaubertrankbüchern griff. Zum Frühstück war Shawna heute Morgen nicht gegangen, und sie war auch nicht hungrig, als sie zusammen mit dem Rest der Klasse um Punkt neun Uhr im Klassenzimmer für Verwandlung ankam. Die Minuten verstrichen, doch von Professor Weston war keine Spur zu sehen. Dass seine Klasse stets offen stand - genau wie sein Büro - war nichts Neues, doch normalerweise war er entweder schon da oder kam vielleicht fünf Minuten zu spät. Inzwischen war die Stunde jedoch bereits seit zwanzig Minuten im Gange und er war noch nicht erschienen. Gerade wollte Shawna anfangen, sich leichte Sorgen zu machen, als der dunkelbraune Schopf des Lehrers schließlich doch an der Tür erschien. Anstatt jedoch hereinzukommen, blieb er bloß im Türrahmen stehen und ruckte mit dem Kopf in Richtung des Korridors. „Alles wieder einpacken, wir sind heute auf den Ländereien!“ Ohne groß darüber nachzudenken gehorchte die Klasse einfach. Keiner hatte Lust, sich mit Weston anzulegen, und das aus einem ganz anderen Grund als bei Blackwell. Der Verwandlungslehrer war einfach sympathisch und noch dazu freundlich zu jedem, und selbst den Slytherins verdarb das die Lust, ihn irgendwie zu provozieren. Knappe fünf Minuten später hatten sich sämtliche Schüler der Klasse gemeinsam mit dem Professor auf den Ländereien versammelt, jedoch nicht im Geringsten so nah am Verbotenen Wald wie am letzten Abend. Diese Tatsache beruhigte sie alle sehr. „Ich muss mich entschuldigen!“, sprach Professor Weston die Klasse an, „Ich hätte Ihnen eigentlich schon letzte Stunde sagen müssen, dass wir heute hier sind, das muss mir wohl entfallen sein!“ Er musste recht laut sprechen, da es heute ziemlich windig war und die Gräser und das Gebüsch rauschten. „Wie Sie ja hoffentlich noch alle wissen, befassen wir uns dieses Jahr mit der Verwandlung komplexerer Säugetiere, und zu diesem Zweck werde ich es mir nicht nehmen lassen, einen von Ihnen zu missbrauchen! Na, irgendwelche Freiwilligen?“ Unter den Schülern wurden zwar einige Blicke ausgetauscht, doch keine einzige Hand hob sich letztlich, so dass Professor Weston schließlich die Arme in die Hüften stemmte und den Kopf schief legte. „Was ist denn mit Ihnen los? Stehen Sie unter einem Schweigefluch? Dann werde ich wohl selbst jemanden aussuchen müssen!“ Die weltoffenen Augen des Lehrers schweiften durch die Runde und musterten jeden der dort Stehenden einmal. Anscheinend konnte er sich nicht so recht entscheiden, doch auch dafür fand er eine Lösung. Der Professor glänzte neben seiner Vergangenheit noch mit einer Menschenkenntnis, die es ihm ermöglichte, seinem Gegenüber bloß in die Augen zu sehen und dadurch dessen Gefühle zu erahnen, und so hätte sich Shawna eigentlich nicht wundern dürfen, als sein Blick schließlich an ihr hängen blieb. „Shawna! Kommen Sie her zu mir, Sie werden mir jetzt helfen, der Klasse die heutige Verwandlung zu demonstrieren!“, sprach er mit ruhiger, aber dennoch lauter Stimme, und obwohl sie momentan wirklich keine Lust hatte, von der gesamten Klasse angestarrt zu werden, ging sie schließlich schweigend zu ihm nach vorn. Anders als gestern Abend bei Blackwell machte sie sich keine Sorgen, so direkt von dem Lehrer angesprochen zu werden, obwohl die Situation jetzt doch um einiges riskanter für sie war als die gestrige. Es war schon immer so gewesen, dass sie sich bei Weston wohl gefühlt hatte. Zwar hatte er sie niemals so fasziniert wie Alastair Blackwell, doch das hatte den Vorteil, dass sie ganz unbefangen mit ihm umgehen konnte. „Sind Sie bereit, Shawna? Die Verwandlung wird Ihnen nicht wehtun, aber da Sie sich meines Wissens nach noch nie in etwas anderes verwandelt haben, sollte ich Sie am besten vorwarnen, dass es sich sehr merkwürdig anfühlen wird.“ Er wandte sich an die Klasse. „Hat von Ihnen jemand Erfahrung damit? Oder kann mir jemand sagen, wie es sich anfühlt, wenn man sich verwandelt? ... Nein? Na macht nichts, ich wüsste auch nicht, dass das in einem Ihrer Bücher stünde. Gut! Dann wieder zu Ihnen, Shawna. Wie gesagt, es wird Ihnen nicht wehtun. Wenn der Körper sich verwandelt, verändert sich seine gesamte Struktur, und das spürt man selbstverständlich. Ihnen wird erst einmal warm werden, sehr warm. Am besten ziehen Sie so viel aus wie möglich, den Mantel und den Pullunder zum Beispiel. Zu der Wärme wird nach einigen Sekunden ein Kribbeln kommen. Das könnte sich beim ersten Mal zwar etwas unangenehm anfühlen, aber ich verspreche Ihnen noch einmal, dass es nicht schmerzhaft wird. Sind Sie bereit?“ Während Weston seine Erklärung beendet hatte, hatte Shawna seine Anweisung befolgt und sich so weit es möglich war ausgezogen. Unter ihre Bluse hatte sie sich heute Morgen noch ein T-Shirt gezogen, da sie ziemlich gefroren hatte, und in diesem stand sie nun da. Es war eiskalt, hoffentlich stimmte es, was der Professor gesagt hatte, dachte sie sich, ehe sie ihn schließlich anschaute und nickte. „Ja, Sir, Sie können anfangen.“ „Gut! Dann entspannen Sie sich, wenn es bei dem Wind hier geht!“, entgegnete Weston und zog seinen Zauberstab heraus. Shawna schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Sie versuchte, alles um sich herum auszublenden und ihren Körper so gut es ging zu entspannen, so dass sie schließlich recht gelöst war, als Weston begann, den Zauber zu sprechen. Sachte setzte er die Spitze seines Zauberstabes gegen Shawnas Stirn und sprach dreimal mit deutlicher Stimme die Formel aus. Fast unmittelbar nachdem der Professor sein Werkzeug wieder von ihr genommen hatte, setzte die von ihm beschriebene Wirkung auch schon ein. Sie spürte, wie eine immer stärker werdende Hitze in ihr aufstieg, von unten nach oben, bis sie schließlich den letzten Winkel ihres Körpers durchströmt hatte. Es war anfangs noch eine wirklich angenehme Wärme, doch nach einer Weile begann das Mädchen zu schwitzen, und das fand sie schon nicht mehr so schön. Sie konnte spüren, wie einzelne Schweißperlen über ihr Gesicht bis in ihren Nacken rannen, als schließlich das geschah, was Weston ihr als nächstes angekündigt hatte. Anfangend in ihrer Körpermitte breitete sich ein Kribbeln in ihr aus, bis in ihre Finger- und Zehenspitzen, immer stärker wurde es, als wäre ihr gesamter Körper eingeschlafen, und bald schon noch stärker. Aus dem Kribbeln wurde ein leichtes, unangenehmes Stechen, als würde man immer wieder eine Nadel gegen ihre Haut drücken, ohne sie dabei jedoch zu verletzen. Inzwischen hatte sie das Gefühl, in der Luft zu schweben, und der letzte klare Gedanke, den sie fassen konnte, war der, dass sie eben kaum noch klar denken konnte. Zwar blieb ihr noch ein menschliches Bewusstsein, doch rückte dieses mehr und mehr in den Hintergrund, bis es bloß noch eine Nebensache war und einer gewissen Leichtigkeit und Unbekümmertheit wich. Nach einigen wenigen Sekunden hörte das Kribbeln schließlich auf, ebenso wie die Wärme in ihr, doch kalt war ihr auch nicht. Shawna spürte wieder festen Boden unter den Füßen, und noch bevor sie irgendetwas anderes wahrnahm, hörte sie bereits ein erstauntes Flüstern durch die Reihen ihrer Mitschüler gehen. „Shawna, hören Sie mich? Sie können Ihre Augen jetzt wieder öffnen!“ Die Stimme Angell Westons drang zwar zu ihr durch, doch es war, als würde er eine fremde Sprache sprechen, welche sie bloß bruchstückweise verstand, als hätte sie gerade erst angefangen, sie zu erlernen. Dennoch öffnete sie ihre Augen schließlich wieder und schaute in die Runde - aus einer völlig anderen Perspektive. Normalerweise musste sie sich ziemlich anstrengen, um einigermaßen zwischen den anderen hindurchschauen zu können, doch das hatte sich jetzt geändert. Sie sah ohne jede Mühe über deren Köpfe hinweg, und selbst auf den Lehrer - sie glaubte zumindest, dass der dunkelhaarige Mann dort ihr Lehrer war - konnte sie hinabblicken. Es störte sie gar nicht, dass all diese Leute um sie herum sie anstarrten. Sie bemerkte es zwar, doch irgendwie war es nicht wichtig, irgendwie war gar nichts wichtig. Die Siebtklässlerin spürte den unwiderstehlichen Drang in sich, einfach loszulaufen, bis sie erschöpft war. Ruhigen Schrittes entfernte sich der erwachsene Mann nun ein kleines Stück von ihr, vielleicht zwei Meter, und hob noch einmal seinen Zauberstab in die Luft. Mit diesem zeichnete er die Umrisse von etwas Großem in die Luft und sprach ein leises Zauberwort, welches Shawna nun endgültig nicht mehr verstand, woraufhin genau an der Stelle, wo er eben noch gezeichnet hatte, ein mindestens zwei Meter hoher Spiegel in der Luft erschien. Instinktiv schaute Shawna hinein - und erschrak. Lediglich der kleine Rest ihres menschlichen Verstandes sagte ihr, dass sie keine Angst zu haben brauchte, als sie sich das Bild näher anschaute, welches ihr im Spiegel erschien. Aus diesem schaute ihr kein Mädchen entgegen, so wie sie es irgendwo in ihrem Hinterkopf womöglich noch erwartet hatte, sondern eine schlanke, pechschwarze Stute mit einer ebenso schwarzen Mähne und dunklen Augen. Vorsichtig, etwas wacklig, trat sie ein Stück näher an ihr Ebenbild heran und schaute es einen Moment an, ehe noch einmal die fremde Stimme des Professors erklang. „Lauf!“ Und das tat sie. Wenn es auch am Anfang recht schwierig war, mit den vier hohen, kräftigen Beinen umzugehen, bekam sie nach einer Weile doch den Dreh heraus und lief, und schneller als sie in Gedanken hätte folgen können, hatte sie sich unglaublich weit von der übrigen Klasse entfernt. Sie wusste nicht, wie weit oder wie lange sie laufen sollte, und es war ihr auch egal. In diesem Moment zählten ihre Gedanken einfach nicht. Es war, als jagte sie so schnell durch das knöchelhohe Gras, dass sie sie einfach abgehängt hatte. Ihre Beine waren schneller als ihr Kopf, und das tat ihr unheimlich gut, auch wenn es ihr in diesem Moment kaum noch bewusst war. Zwar warf sie hin und wieder mal einen Blick zurück zu den anderen, doch schien sie dort noch niemand besonders zu vermissen, denn so wie es aussah hatte sich Professor Weston mittlerweile von ihr abgewandt. Wie der Wind fegte das verwandelte Mädchen über die Ländereien von Hogwarts, von den Büschen an der Schlossmauer bis zum Rand des Verbotenen Waldes und zurück, lernte dabei immer besser, mit diesem Körper umzugehen und versuchte sich nach einer Weile auch einmal an schwierigeren Kunststücken, wie zum Beispiel dem Überspringen einer etwa meterhohen Hecke, in welche sie - diese harmlose Erinnerung kam ihr ganz spontan - in ihrem zweiten Schuljahr einmal gefallen war. Sie war sicherlich schon eine Stunde so unterwegs, als sie irgendwann noch einmal zu der Klasse zurückschaute, diesmal bemerkend, dass der Erwachsene unter ihnen recht hektisch mit den Armen in der Luft herumwedelte. Was das bedeuten sollte, wusste sie zwar nicht, doch in ihrer Unbeschwertheit beschloss die Stute einfach, in ihrem Galopp eine Pause einzulegen und für einen Moment zu dem Mann zurückzukehren. Irgendetwas zog sie zu ihm hin, und nur zu ihm, die anderen umstehenden Menschen waren ihr gleichgültig. „Da sind Sie ja! Und ich dachte schon, Sie würden mir ganz davonlaufen!“ Ein weiteres Mal tippte der Dunkelhaarige sie mit seinem Zauberstab an und wiederholte dreimal eine Formel, und dann plötzlich war es, als würde sie mit einem Ruck aus einem unheimlich realistischen Traum erwachen. Die Rückverwandlung ging sehr schnell. Zwar spürte sie auch diesmal wieder die Hitze und die leichten Nadelstiche, doch kam es ihr längst nicht so ausgedehnt vor wie vorhin. Als die Wärme diesmal wieder abflaute, bekam das Mädchen augenblicklich eine Gänsehaut. „Kommen Sie her, Shawna, hier sind Ihre Sachen!“, sprach Professor Weston sie an, während er ihr den wärmenden Mantel, welchen er die ganze Zeit gehalten hatte, um die Schultern legte. „Sie haben hervorragend mitgearbeitet. So hervorragend, dass ich Slytherin dafür fünfundzwanzig Punkte zuschreibe. Solch einen guten Effekt erzielt man bei weitem nicht immer! Will man einen Menschen verwandeln, kommt es zu einem großen Teil auch auf dessen Konzentration an. So! Das war die wichtigste Aussage dieser Stunde! Prägen Sie sich diese gut ein, keine Hausarbeiten für heute, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“ Und mit diesen Worten machte sich der Professor auf den Weg zurück zum Schloss. Kapitel 12: Vertrauen --------------------- Kräuterkunde, das Mittagessen und Pflege magischer Geschöpfe gingen unheimlich zäh vorüber, und es entging Shawna nicht, dass Professor Westons Verwandlung einen großen Teil des Gesprächsstoffes bildete. So oft hatte sie ihren Namen noch nie gehört, und irgendwie hatte sie das Gefühl, damit nicht umgehen zu können. Zwar war sie seit heute Morgen schon um einiges entspannter, doch so langsam kehrten all die Gedanken zurück, die sie zu überfluten gedroht hatten. Die Doppelstunde Pflege magischer Geschöpfe näherte sich nun dem Ende, und die Klasse war sich darüber einig, dass Madam Crawford es nicht halb so gut auf die Reihe bekam wie Professor Adamantius. Tatsächlich hatte dieser öfter eingreifen müssen als sie eigentlich mit den Tieren - zwei ausgewachsenen Graphorns - umgegangen war. Ein Graphorn konnte man als eine Art übergroße, blau-rötliche Bergziege beschreiben, deren Haut in etwa so undurchlässig war wie die eines Drachen und welche noch dazu zwei lange, scharfe Hörner auf dem Kopf trug. Außerdem waren diese Tierwesen unglaublich stark und aggressiv, weswegen der Professor seine junge Kollegin nach der Stunde erst einmal beiseite nahm und ihr in einem tadelnden Tonfall erklärte, dass es töricht von ihr gewesen sei, gleich in ihrer zweiten Stunde mit solchen Geschöpfen zu hantieren. Shawna hörte sich jedoch nicht seinen gesamten Vortrag an, sondern machte sich lieber auf den Weg ins Schloss, denn in fünfzehn Minuten würde endlich ihre Zauberkunst-Stunde beginnen, und auf diese wartete sie schon den ganzen Tag. Wenn es je eine Viertelstunde gegeben hatte, die ihr länger vorgekommen war als diese, erinnerte sie sich in diesem Moment jedenfalls nicht daran, denn mit jeder Minute, die das Läuten der Glocke näher rückte, schien die Zeit langsamer zu vergehen. Als sie schließlich - beinahe fünf Minuten zu früh - das Klassenzimmer betrat, gefolgt von ihren Freunden, war dieses noch leer. Ungewöhnlich, dachte sie bei sich, denn eigentlich kam der Professor immer ein wenig früher, um noch irgendetwas vorzubereiten, doch hin und wieder passierte es eben, dass auch er sich verspätete. Shawna hatte schon längst aufgehört, sich deswegen Sorgen zu machen, nein, sich überhaupt tiefgründigere Gedanken über ihn zu machen, denn wenn einer ihrer Lehrer die Chance hatte, an Rätselhaftigkeit mit Blackwell mithalten zu können, dann ihr Arithmantik- und Zauberkunstprofessor. Es war fast, als hätte er ihre leisen Schritte gehört, denn schon im nächsten Augenblick betrat genau dieser Mann den Raum. Es war schon fast eine angenehme Abwechslung zu sehen, dass er im Gegensatz zu all den anderen Verrückten in der Reihe ihrer Professoren überhaupt keine außergewöhnlichen Eigenarten zeigte, wenn es darum ging, seine Schüler zu begrüßen. Er warf den vieren ein kurzes Lächeln zu, ehe er sich hinter seinen Tisch stellte, welcher mehr einem Rednerpult ähnelte als einem normalen Schreibtisch - was absolut nicht zu ihm passte. Professor Severianos Schwartz war groß und schlank, und wenn man ihn ansah, glaubte man fast gar nicht, welch eine Kraft zuweilen in ihm steckte. Er hatte glattes, schwarzes Haar, welches wie immer zu einem Pferdeschwanz gebunden bis zu seiner Hüfte fiel, trug einen kleinen Spitzbart und die verträumten, azurblauen Augen rundeten das Bild eines echten Ravenclaws ab. Und dieses Bild war zutreffend, denn er war der Hauslehrer des „blauen Hauses“. Bei dem Zauberkunstprofessor handelte es sich um keinen Mann, der große Reden schwang. Er war überhaupt nicht der Typ, der mehr sprach als notwendig, und noch dazu war seine Stimme so leise, dass es vollkommene Ruhe erforderte, sie überhaupt bis in die letzten Winkel des Klassenzimmers hören zu können, doch wenn er sprach, wusste er ganz genau, wovon, und das machte es leicht, seinem Unterricht zu folgen. Tatsächlich war Zauberkunst das einzige Fach, welches vom vollständigen siebten Jahrgang belegt werden durfte, denn nicht ein Schüler hatte in der ZAG-Prüfung etwas Schlechteres erreicht als ein E, die Note, die Schwartz verlangt hatte, um in den Kurs gelassen zu werden. Dennoch hatten erstaunlich viele das Fach im sechsten Jahr abgewählt, so dass nun, als die Glocke läutete, gerade noch sechzehn andere Jungen und Mädchen eintraten und sich an ihre Plätze setzten, allesamt in den vordersten Reihen des hörsaalartigen Raumes. Schwartz hatte sich nie daran gestört, dass etwa vier Fünftel des Jahrganges sein Fach abgegeben hatten, anders als manch anderer Professor, der sich im vergangenen Jahr regelmäßig darüber beklagt hatte. „Guten Abend und willkommen zur heutigen Zauberkunststunde“, begrüßte er die Klasse, den Blick durch die Reihen schweifen lassend, „Wir werden die ersten sechzig Minuten heute mit praktischen Übungen verbringen und danach haben Sie noch eine halbe Stunde Zeit, um mir Fragen zum Stoff zu stellen. Dieses Jahr wird Sie auf die UTZ-Prüfungen vorbereiten, und ich denke, man kann damit nicht früh genug beginnen.“ Aus dem Augenwinkel bemerkte Shawna, wie die Zwillinge verwunderte Blicke austauschten, und sie konnte ihrem Eindruck nur beipflichten. Es war ungewöhnlich, dass der Professor so viel sprach, wo er doch für gewöhnlich jedes Wort vermied, welches sich vermeiden ließ. Da jedoch niemand irgendwelche Einwände zu haben schien, begann der Mann nun damit, das Klassenzimmer umzudekorieren - wenn man es so ausdrücken wollte. Drei leichte Klopfer mit der Spitze des Zauberstabes auf die hölzerne Platte seines Pultes und der gesamte Raum begann sich abzusenken, bis Tische und Bänke nicht mehr wie in einem Hörsaal angeordnet waren, sondern wie in jeden anderen Klassenraum. Die Schüler kannten dies schon und hatten auch heute noch Spaß daran, und auch als Schwartz seinen Zauberstab schwenkte, um die Möbel an den Wänden aufzutürmen, sprang niemand panisch auf, ganz im Gegenteil, einige blieben sogar absichtlich auf ihren Stühlen sitzen, um sich mit diesen ganz obenauf stapeln zu lassen. Die Übungen, die der Professor seine kleine Klasse heute durchführen ließ, waren vielfältig und der Wissensstand der Jugendlichen befand sich nicht gerade auf einem für alle zutreffenden Niveau, doch was besonders auffiel, war, dass den meisten auch hier die Kenntnisse der Sprüche aus den ersten Schuljahren fehlte. „Wenn Blackwell das hier sehen würde...“, schoss es Shawna durch den Kopf, und sofort hätte sie sich wieder ohrfeigen können. Den ganzen Tag hatte sie nicht an ihn denken müssen, doch jetzt, wegen solch einer Nichtigkeit, war es, als starrten seine kühlen, grünen Augen wieder direkt in die ihren hinein und raubten ihr jegliche Chance darauf, sich auch nur halbwegs auf den Unterricht zu konzentrieren, was dem Professor mit Sicherheit nicht entging. „Geht schonmal vor, ich brauche ein wenig länger“, murmelte die Siebzehnjährige ihren Freunden zu, als die Doppelstunde Zauberkunst schließlich vorüber war. Sie war enttäuscht. Enttäuscht von sich selbst. Eigentlich hatte sie sich erhofft, während des Unterrichts wieder abschalten zu können, doch dem war nicht so. Je mehr sie versucht hatte, sich auf das zu konzentrieren, was gerade wirklich wichtig war (nämlich ein Kissen mittels Zauberkraft auf Miranda zu feuern), desto tiefer war der imaginäre Blick Alastair Blackwells in ihre Gedanken eingedrungen. Aus diesem Grund wollte sie noch bleiben, um Professor Schwartz davon zu erzählen, und dieser schien es zu merken, denn als er den Raum verließ und in sein Büro trat, schloss er die Tür nicht wie üblich hinter sich, sondern ließ sie offen, als wollte er dem Mädchen versichern, dass es ihm ruhig folgen dürfe. „Professor Schwartz...“ „Setz dich, Shawna.“ Schweigend nahm die Schülerin auf einem weichen Sofa Platz, welches sich in diesem Büro befand, während er selbst noch stehen blieb. Sie war lange nicht mehr hier gewesen, ziemlich genau ein Jahr, denn das letzte Mal hatte sie den Professor aufgesucht, als dieses Unglück mit ihren Brüdern geschehen war, welche allesamt ebenfalls seine Schüler gewesen waren - sogar Schüler seines Hauses. Ebenfalls stumm nahm sie die Tasse an, welche der Erwachsene ihr einen Augenblick später reichte und welche, das wusste sie genau, mit frischem Holunderblütentee gefüllt war. Shawna hatte bereits von ihrem ersten Schuljahr an ein großes Vertrauen zu Schwartz aufgebaut und war mit ihren Sorgen und Ängsten stets zu ihm gekommen. „Professor, ich weiß nicht, was ich tun soll. Es gibt da jemanden, der mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will, so sehr ich auch versuche, nicht an ihn zu denken.“ Nachdem der Mann sich ebenfalls gesetzt hatte, erschien auf seinem Gesicht ein beruhigendes Lächeln, während er leicht nickte und einen Schluck aus seiner Tasse nahm. „Alastair Blackwell, nicht wahr?“ Shawna fragte nicht nach, woher er das wusste. Schwartz war ein Mensch, dem sie nie viel hatte erklären müssen, damit er sie verstand, denn es kam nicht selten vor, dass die beiden sogar recht ähnliche Gedanken hatten. Im Gegensatz zu dem Gefühl, welches sie hatte, wenn Blackwell in ihre Augen schaute, als wollte er ihre Gedanken lesen, machte es ihr bei Ravenclaws Hauslehrer keine Angst. Sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte, und daher nickte sie nun ihrerseits und schaute den anderen an. Zwar wollte sie ihm in diesem Moment antworten, doch dazu kam sie nicht, denn Schwartz selbst ergriff wieder das Wort. „Mir geht es da genauso, Shawna. Ich habe kein besonders angenehmes Gefühl, wenn ich in Professor Blackwells Nähe bin. Ich halte ihn nicht für gefährlich, aber zugegeben, ich bin ungern allein mit ihm in einem Raum. Es ist, als würde sein Blick einem die Augen durchbohren, nicht wahr, und direkt in den Verstand hineinschauen?“ Shawna wusste nicht, ob dem Professor klar war, wie sehr er sie mit seinen Worten soeben beruhigt hatte. Er hielt ihn nicht für gefährlich, das war ihr das Wichtigste. Zwar bildete sich die Siebzehnjährige meist ihr eigenes Urteil über ihre Mitmenschen, doch in Blackwells Fall wusste sie einfach nicht, woran sie war, und es gab ihr ein sicheres Gefühl, zu wissen, dass sie nicht die einzige war, die den Neuen für ungewöhnlich hielt. Zugleich versetzte sie die Tatsache, dass ein so begabter und erfahrener Mann wie Professor Schwartz seinen neuen Kollegen anscheinend ein wenig fürchtete, selbst auch wieder in Angst. Nicht gefährlich und harmlos waren immerhin zwei verschiedene Dinge, wie es ihr unangenehm durch den Kopf schoss. Im Bezug auf diesen Mann würde sie definitiv eine gewisse Vorsicht bewahren, das war ihr bereits zuvor klar gewesen. Niemand, nicht einmal Schwartz, würde dieses Misstrauen so schnell ausräumen können. „Professor, was mich aber am meisten an ihm beunruhigt, ist... Naja... Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll. Wenn er in meiner Nähe ist, habe ich zwar ein ziemlich mulmiges Gefühl, und ich würde es auch wirklich nicht als angenehm bezeichnen, aber irgendwas hat er an sich, das mich fast schon magisch anzieht...“ „Ich verstehe genau, was du meinst“, entgegnete der Blauäugige, ehe er einen kleinen Schluck seines Tees nahm, „Er ist ein wandelndes Mysterium, und obgleich ich mich meist sehr um Neutralität bemühe, kann ich den Gedanken nicht verdrängen, dass er etwas zu verbergen hat. Noch dazu bin ich mir sicher, dass er ein hoch begabter schwarzer Magier ist, aber bevor ich ihn mit einem solchen Verdacht konfrontieren kann, brauche ich wirklich Beweise.“ Die Schülerin nickte verstehend. Sie versuchte, einen nicht allzu beunruhigten Eindruck zu machen, doch musste sie sich eingestehen, dass das Gespräch mit Professor Schwartz ihr nicht gerade geholfen hatte, sich im Bezug auf Blackwell sicherer zu fühlen. Dennoch wollte sie sich davon so wenig wie möglich anmerken lassen, obwohl ihr klar war, dass ihr Gegenüber wahrscheinlich ohnehin schon alles wusste, was in ihrem Kopf vorging. „Ich danke Ihnen, Professor, es tut gut, sich ab und zu einmal alles von der Seele reden zu können!“, sprach sie ihn an, sich zu einem Lächeln zwingend, leerte ihre Tasse und stand dann auf. Zu ihrem Glück schien Schwartz es dabei belassen zu wollen, denn er erhob sich ebenfalls und nickte bloß. „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und ich schätze, wir sehen uns das nächste Mal am Dienstag.“ Stumm nickend verließ die Schwarzhaarige daraufhin das Büro. Vor einigen Minuten hatte sie noch einen ziemlichen Appetit gehabt, doch der war ihr mittlerweile vergangen, weswegen sie sich direkt auf den Weg zum Schlafsaal machte. Morgen früh konnte sie ausschlafen, schoss es ihr durch den Kopf, und darauf würde eine Doppelstunde Zaubertränke folgen. Was dem Mädchen jedoch sauer aufstieß war die Tatsache, dass nach dem Mittagessen wieder Verteidigung gegen die dunklen Künste auf dem Stundenplan stand. Dagegen unternehmen konnte sie nun jedoch auch nichts, sie musste es wohl einfach auf sich zukommen lassen. Seufzend ließ sich die Siebzehnjährige einige Minuten später auf ihr Bett fallen und zog dessen Vorhänge zu, und während sie die Augen schloss und versuchte einzuschlafen, hoffte sie inständig, dass die stechenden Augen des unheimlichen Professors sie nicht wieder in ihren Träumen verfolgen würden. ____________________ Hiermit möchte ich mich in aller Form bei meinen Lesern entschuldigen. Ich hatte wirklich nicht vor, euch so lange auf das nächste Kapitel warten zu lassen, und dann ist es auch noch eines, auf das ich nicht besonders stolz bin... xD Naja, ich hoffe, es gefällt euch trotzdem, und in Zukunft werde ich mich ein bisschen mehr beeilen ^^ Kapitel 13: Ein ungewöhnliches Verhör ------------------------------------- Die nächsten Wochen zogen ziemlich ereignislos dahin. Zwar schossen Shawna nach wie vor ihre üblichen Gedanken durch den Kopf, besonders wenn wieder eine Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste anstand, doch konnte man nicht sagen, dass diese ihr mehr Sorgen machten als sonst. In wenigen Tagen würden die Weihnachtsferien beginnen und man hatte noch immer nicht herausgefunden, wer für den Angriff während der Waldprüfung verantwortlich war. Zwar hatte Professor Blackwell den Zauberstab des Angreifers noch immer in Verwahrung, doch da bisher keiner der Schüler oder Lehrer von Hogwarts den Eindruck gemacht hatte, den seinen verloren zu haben, konnte noch nicht ausgemacht werden, wer dahinter gesteckt hatte. In diesem Moment saßen die Siebtklässler der vier Häuser wie jeden Montag nach dem Mittagessen schweigend im Klassenraum und brüteten über dem neuesten Test, den sich ihr Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste ausgedacht hatte. Blackwell hatte es zu einer Gewohnheit gemacht, die Einzelstunde am Montag jedes Mal mit einem Test zu verbringen, da das Wissen seiner Schüler seiner Meinung nach so dringend ein Auffrischen nötig hatte, dass eine Dreiviertelstunde dafür nicht ausreichend war. Und so sehr sich die Jugendlichen auch über seine Art und seine Methoden beschwerten, konnten immer weniger von ihnen leugnen, dass sie nach und nach Erfolg zeigten. Zwar hatte es nichts mehr gegeben, was der Prüfung im Wald geähnelt hatte, doch die Siebtklässler machten sich hin und wieder einen Spaß daraus, im Geheimen kleine Duelle auszufechten, um zu prüfen, wie viel vom Stoff inzwischen hängen geblieben war. Selbstverständlich - da waren sich Shawna und ihre Freunde sicher - wusste der Professor ganz genau über diese Übungsduelle Bescheid, doch offenbar hatte er nichts dagegen einzuwenden, denn wenn Blackwell auch sonst ein Buch mit sieben Siegeln war, konnte er es doch nicht lassen, sein Missfallen über alles was ihn störte offen kundzutun. Womöglich gefiel es ihm ja sogar, dass man nun scheinbar versuchte, sich etwas mehr anzustrengen. Sicher, ein Großteil der Schülerschaft mochte diese etwas ungewöhnliche Lernmethode eher deswegen mitmachen, um nicht in jeder Stunde erneut von dem strengen Lehrer bloßgestellt zu werden, doch höchstwahrscheinlich war es diesem vollkommen egal, aus welchem Grund seine Schüler lernten. Hauptsache, sie taten es. Gerade wollte Shawna ihre Antwort zu Frage acht (Woran erkennen Sie einen Werwolf in Menschengestalt, wenn er vor Ihnen steht?) aufs Pergament schreiben, als sie plötzlich ein äußerst befremdliches Gefühl durchschoss. Zwar war es binnen Sekunden wieder verflogen, doch hätte sie trotzdem nicht behaupten können, dass es sich nicht vollkommen unheimlich angefühlt hatte. Mit einem Mal war ihr ein Schauer über den Rücken gelaufen, weder heiß noch kalt, beinahe wie ein schwacher Blitz, ein Kribbeln im Rückgrat, und urplötzlich war ihre bisherige Konzentration wie weggeblasen gewesen. So unkontrolliert wie noch nie war alles Mögliche durch ihren Kopf gejagt, Gedanken, Bilder, Erinnerungen, auch solche, die sie schon tief in den hintersten Schubladen ihres Gedächtnisses vergraben hatte. Wie von selbst wandte das Mädchen den Blick nach vorne, wo der Professor inzwischen nicht mehr wie üblich an der Kante seines Pultes lehnte, sondern an diesem saß. Natürlich kannte sie ihn auch im Sitzen, immerhin saß jeder Mensch irgendwann einmal, doch die Art wie er dort saß, überraschte die Siebzehnjährige sehr. Der sonst so souveräne und stets unbezwingbar scheinende Blackwell wirkte plötzlich müde, als hätte er soeben irgendetwas furchtbar Anstrengendes getan. Und noch bevor Shawna anfangen konnte, bewusst darüber nachzudenken, was ihm so zusetzte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er kann es. Diese Erkenntnis ließ sie nicht mehr los. Er kann es, und er hat es gerade bei mir getan. Mit einem Schlag wurde ihr wieder eiskalt. Nervös schaute sie kurz zu Miranda herüber, welche neben ihr noch immer über den Testfragen brütete und ihre Freundin scheinbar gar nicht mehr wahrnahm, ehe ihr Blick langsam wieder auf ihr eigenes Blatt wanderte. Schon lange war sich die Schwarzhaarige über keine Sache mehr so sicher gewesen wie in diesem Moment, und je öfter sie diese Worte im Stillen aussprach, desto unbehaglicher wurde ihr dabei. Alastair Blackwell hatte soeben ihre Gedanken gelesen. „Geht schonmal vor“, flüsterte Shawna Miranda zu, als die Stunde schließlich vorbei war und die Klasse begann, aus dem Raum zu strömen und Professor Blackwell wie üblich die Testbögen mit einem Wink seines Zauberstabes einsammelte. Er sah inzwischen wieder besser aus, offenbar hatte seine Erschöpfung nicht allzu lange angedauert. Wie schon vor ein paar Wochen im Wald hatte sie ein mulmiges Gefühl dabei, allein zum Professor zu gehen, doch sie musste einfach wissen, was nun die Wahrheit war. „Professor Blackwell...?“, sprach sie ihn vorsichtig an, noch ehe er sich abwenden und gehen konnte, „Ich... ich hätte da eine Frage...“ Sie fragte sich, ob er sie wohl mit in sein Büro nehmen würde, so wie Professor Schwartz es schon ganz selbstverständlich tat, und für einen Moment war sie unglaublich neugierig, wie es dort drinnen wohl aussehen würde, doch offenbar hatte der Mann nicht vor, die Tür für sie zu öffnen, sondern nahm schweigend wieder seinen gewohnten Platz ein, gegen das schwere Lehrerpult gelehnt. „Was gibt es, hatten Sie Schwierigkeiten bei den Testfragen?“ Er blätterte die Bögen kurz durch. „Bisher haben Sie den Stoff doch recht gut beherrscht.“ Das zu hören war ein kleines Hochgefühl für das Mädchen, denn ein Lob von diesem Professor war schon eine Seltenheit. Dennoch wechselte sie nun das Thema, denn es ging ihr nicht um eine Frage die den Unterricht betraf. Ob er sie ihr wohl trotzdem beantworten würde? „Eh... nein, es geht nicht um den Test. Es... es geht eigentlich nicht einmal um den Unterricht.“ Die Miene Blackwells wurde skeptisch. „Ich hatte vorhin so ein seltsames Gefühl“, sprach Shawna weiter, „als ich noch am Schreiben war. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber plötzlich schossen mir die merkwürdigsten Dinge durch den Kopf. Da waren Erinnerungen, an die ich schon lange nicht mehr gedacht habe, und die auch eigentlich nichts mit dem Thema zu tun hatten. Dann habe ich kurz nach vorne gesehen und...“ Es fiel ihr schwer, die nächsten Worte zu formulieren, doch sie wollte sie einfach irgendwie heraus bekommen. „... naja, dann saßen Sie dort am Pult und sahen irgendwie... müde aus. Kann es sein...“ Shawna atmete tief durch. „Kann es sein, dass Sie meine Gedanken gelesen haben?“ Für einen Moment rechnete das Mädchen mit einem Donnerwetter, als sie nun einen Blick in die hellgrünen Augen des anderen riskierte, doch was als nächstes kam, überraschte sie vollkommen. „Sie haben ein feines Gespür, Miss Mallory“, entgegnete er ohne zu zögern, und während er sprach, spielte nunmehr ein beinahe heiteres Grinsen um seine Lippen, „Ja, es stimmt, das habe ich getan. Aber machen Sie sich nur keine Sorgen, ich tue das nicht zu meinem privaten Vergnügen.“ Es überraschte die Siebzehnjährige ziemlich, wie offen der Professor sprach. Er schien gar kein Geheimnis aus seiner Fähigkeit machen zu wollen, oder lag es vielleicht einfach daran, dass Shawna es ohnehin geahnt hatte? „Warum denn dann...?“, hakte sie vorsichtig nach, „... Sir?“ Das letzte Wort hatte sie recht hektisch nachgeschoben, denn irgendwie hatte sie für sich selbst gerade äußerst unhöflich geklungen, doch Blackwell lachte nur leise. „Das tue ich mit jedem einmal. Wie Sie ja sicher wissen, ist mir noch immer nicht bekannt, wer hinter dem Angriff auf Sie und Miss Barker steckt, und durch einen kleinen Blick in die Köpfe meiner Mitmenschen versuche ich, Näheres herauszufinden. Und falls Sie sich nun fragen, warum ich Ihnen das so bereitwillig erzähle: Das liegt daran, dass ich Ihnen trauen kann. Sie werden es nicht verraten...!“ Der Blick in den Augen des Mannes, als er den letzten Satz aussprach, war geradezu hypnotisch. Wieder war es, als bohrte er sich durch die ihren hindurch mitten in ihren Verstand, um diese Aussage wie einen Befehl dort zu verankern. Shawna nickte leicht. Sie würde es nicht verraten, wieso auch? Immerhin lag es doch in ihrem eigenen Interesse, dass der Angreifer gefasst wurde, und warum sollte sie dann irgendjemandem von Blackwells Methode erzählen, ihm auf die Spur zu kommen? „Wie... wie funktioniert das?“, lenkte sie rasch ab. „Wie ich es schaffe, in den Geist meiner Mitmenschen einzudringen? Nun, dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Ich bin sicher, Sie haben schon einmal von Legilimentik gehört, einer Form der Magie, die einen gewisse Dinge aus dem Gedächtnis seines Gegenübers sehen lässt. Nun, was ich tue ist etwas anders. Der Blick, den ich in Ihren Kopf werfen kann, ist zwar kürzer als der, den ich mit normaler Legilimentik hätte, und er ist anstrengender, aber dafür ist er zuverlässig. Es gibt nichts, was man mir in diesem Zustand verheimlichen könnte. Natürlich sehe ich längst nicht alles, aber das wäre ja nur eine Frage mehrerer Versuche...“ Shawna wusste nicht, ob diese Tatsache sie beruhigen oder noch mehr verunsichern sollte. Eine Form des Gedankenlesens, der man nicht, nicht einmal als meisterhafter Okklumentor, entkommen konnte? Das machte ihr Angst. Zwar ahnte sie, dass der Professor wohl noch am ehesten zu den Menschen gehörte, bei denen eine solche Fähigkeit mehr oder minder gut aufgehoben war, doch trotzdem machte es sie nervös. „Wie Sie es lernen, werde ich Ihnen selbstverständlich nicht erklären“, fügte Blackwell nach einer kurzen Pause noch hinzu, woraufhin Shawna wieder nickte. „Das ist schon klar. Ich will es auch glaube ich gar nicht können... Ich kann mir vorstellen, dass so eine Fähigkeit ziemlich an den Nerven zerrt. Natürlich ist es praktisch, die Gedanken seines Gegners zu kennen, aber das ist sicher nichts für Zartbesaitete...“, murmelte das Mädchen mehr in sich hinein. „Sehr gut erkannt.“ Der Ältere schmunzelte inzwischen wieder, und es sah beinahe aus, als fühlte er sich herausgefordert. „Wäre das hier eine Unterrichtsstunde, hätte Ihr Haus sicher schon den einen oder anderen Punkt gutgemacht.“ Obwohl sie noch immer etwas eingeschüchtert von seinem Können war, fühlte sich Shawna durch die Worte ihres Professors nun schon etwas sicherer. Scheinbar hatte er etwas für sie übrig, doch danach wollte sie lieber nicht fragen. Stattdessen kam ihr urplötzlich wieder der erste Tag dieses Schuljahres in den Sinn. „Beim Abendessen am ersten Tag hier, da haben Sie doch auf einmal zu mir herübergesehen... Zugegeben, ich hatte Sie davor eine Weile beobachtet, aber haben Sie...“ „... es gemerkt?“, unterbrach der Mann sie, „Ja, das habe ich. Sie kennen das doch selbst gut genug, so wie ich Sie einschätze. Sie sind ziemlich feinfühlig. Menschen wie Sie und ich haben ein gutes Gespür für ihre Umgebung, aber ich möchte behaupten, dass dies bei Ihnen andere Ursachen hat als bei mir. Habe ich Ihnen alles beantwortet, was Sie wissen wollten?“ Scheinbar hielt Blackwell es nun für angebracht, das Gespräch zu beenden, und obwohl Shawna eigentlich noch eine ganze Menge Fragen gehabt hätte, wagte sie es nicht, noch etwas dazu zu sagen. „Ähm... ja, vielen Dank. Ich hätte nicht damit gerechnet, überhaupt irgendeine Antwort zu bekommen... Ich werde dann wohl langsam gehen.“ Dem hatte der Professor offenbar nichts mehr hinzuzufügen. Schweigend nahm er die Testbögen wieder an sich und wandte sich der Treppe zu, die zu seiner Bürotür führte. Shawna selbst wollte gerade die Tür zum Korridor öffnen, wandte sich dann jedoch noch einmal um und wagte eine zögerliche Frage. „Professor... Angenommen, niemand von dieser Schule hätte Miranda und mich im Wald angegriffen... Wie hätte jemand von außen hierher kommen sollen? Gibt es irgendwelche geheimen Wege von außerhalb direkt in den Wald?“ Blackwell hob eine Augenbraue. „Derjenige hätte unmöglich unbemerkt dorthin kommen können. Es stimmt, man kann von außen den Wald betreten, aber der Teil, in dem die Prüfung stattfand, gehört bereits zum Schulgelände. Wer auch immer von außen dorthin hätte kommen wollen, hätte dies nicht ohne Hilfe geschafft, und zwar Hilfe von hier drinnen.“ Shawna schluckte. Sie nickte noch einmal verstehend und wandte sich dann wirklich ab, doch gerade als sie die Türklinke herunterdrückte, sprach der Professor noch einmal. „Ihre Auffassungsgabe ist bemerkenswert, Miss Mallory. Ich wollte es vorhin nicht sagen, aber die Art wie Sie denken erinnert mich an Ihren Vater.“ Diese Worte schossen der Siebzehnjährigen durch Mark und Bein. Sie wirbelte herum. „Sie kannten meinen Vater?“ Was nun auf dem Gesicht Alastair Blackwells zu sehen war, war kein herausforderndes Schmunzeln mehr, sondern tatsächlich so etwas wie ein leichtes Lächeln. „Wir waren alte Freunde.“ Und mit diesen Worten verließ er nun endgültig den Raum, seine Bürotür hinter sich schließend. _______________ Okay... jetzt gibt's also mal wieder ein neues Kappi. Ich entschuldige mich, dass es so lange gedauert hat, aber diesmal verpreche ich euch lieber nicht, mich zu beeilen xD Es WIRD weitergehen, aber ich selbst habe noch keine Ahnung, wann. Danke für eure Treue x3 Kapitel 14: Visionen -------------------- Obwohl Shawna nach dieser Stunde wieder einmal mehr als genug Stoff zum Nachdenken bekommen hatte, zogen die nun kommenden zwei Freistunden mehr als schleppend vorbei. Zu Beginn hatte sie noch nach ihren Freunden gesucht, doch diese waren offenbar auf den Ländereien spazieren gegangen, und diese abzusuchen war der Siebzehnjährigen, zugegeben, zu anstrengend, weswegen sie sich damit begnügte, sie wohl erst beim Abendessen wieder zu sehen, denn sie war die einzige aus der kleinen Gruppe, die Wahrsagen belegt hatte, und das lag an diesem Nachmittag noch vor ihr. Wahrsagen, fluchte sie innerlich, während sie schließlich die Treppen zum Turmzimmer hinaufstieg, wieso muss es ausgerechnet noch Wahrsagen sein? Als würde ich nicht schon genug merkwürdige Bilder sehen... Schweigend ließ das Mädchen sich in einen der bequemen Ohrensessel sinken, von denen jeweils nur noch einer an jedem der kleinen Tischchen stand. Im siebten Jahrgang, so lautete die Meinung der Professorin, sollte sich jeder der jungen Erwachsenen seinen ganz persönlichen Visionen hingeben - und immerhin war der Kurs dafür klein genug. Wer den Zauberkunst-Kurs schon für klein hielt, hätte diesen gar nicht für möglich gehalten. Gerade einmal neun Schüler und Schülerinnen aus dem kompletten Jahrgang hatten beschlossen, dieses Fach bis zum Ende durchzuziehen, und Shawna war die einzige Slytherin unter ihnen. Die anderen ließen nicht mehr lange auf sich warten. Im Gegensatz zu Verteidigung gegen die dunklen Künste oder Zaubertränke machte sich Shawna hier nicht allzu große Mühe, überpünktlich zu sein. Zwar war sie trotzdem als erste hier gewesen, doch war ihr Vorsprung nicht annähernd so groß wie in den beiden anderen Fächern. Die ersten nach ihr waren die beiden Gryffindor-Mädchen, Audrey und Rebecca, welche auch Zaubertränke mit ihr belegt hatten, dicht gefolgt von zwei Ravenclaw-Schülerinnen. Der Name der einen war Florence Alverston, sie hatte sich diesen Namen aus irgendeinem Grund immer besonders gut merken können, die andere war Samira Callaway, das dunkelhaarige Mädchen, das vor der Waldprüfung eine von Blackwells Fragen beantwortet hatte und dafür von den beiden Gryffindor-Jungen verspottet worden war. Die letzte kleine Gruppe bestand aus vier Hufflepuffs: drei Mädchen, deren Namen Shawna nicht kannte, den einzigen Jungen des ganzen Kurses umringend, nämlich Daniel Brown. In seinem Haus (und merkwürdigerweise auch darüber hinaus) erfreute sich der Sucher der Quidditch-Mannschaft einer recht großen Beliebtheit, besonders bei den Mädchen. Umso verwunderlicher war es, dass Shawna ihn noch nie mit einer Freundin gesehen hatte, zumal er zusätzlich auch noch recht gut aussah. Er war normal groß für sein Alter, hatte schwarzes Haar, das nicht einmal lang genug war um seine Ohren zu verdecken, und trotzdem immer ein wenig unordentlich aussah. Nicht so, als wäre es ungewaschen, eher so als hätte er morgens vergessen, sich zu kämmen, bevor er in den Unterricht ging. Seine Augen hatten eine Farbe, die Shawna sonst noch bei niemandem gesehen hatte, eine Art Meeresgrün mit einigen deutlichen, blauen Sprenkeln - eine äußerst hübsche Farbe, wie Shawna fand, auch wenn seine Augen sie nicht in einen Bann ziehen konnten. Wie es der Zufall wollte, landete Daniel heute genau am Tisch neben Shawnas, machte jedoch keine Anstalten, sich in ihre (oder in irgendeine andere) Richtung zu bewegen. Manchmal vermutete die Siebtklässlerin, dass er der einzige hier im Kurs war, der sich wirklich ernsthaft für die Wahrsagerei interessierte, denn wegen der Mädchen war er ja offensichtlich nicht hier. Gerade als Shawna mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn vielleicht irgendwann einmal anzusprechen, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal und Professor Delavalle trat ein. Wenn man es nicht besser wusste, hätte man sie glatt für eine Veela halten können, denn allein ihr Haar war unglaublich. Es hatte einen silbrig-weißen Ton, war vollkommen glatt und fiel bis zu ihren Kniekehlen hinab. Einen Pony trug sie nicht, sondern hatte es bloß auf beiden Seiten hinter die Ohren geklemmt. Das Gesicht der Lehrerin war schmal und hatte sehr feine Züge, volle, geschwungene Lippen und mandelförmige Augen, deren Farbe am ehesten als ein nebliges, helles Türkisgrün zu beschreiben war. Man konnte nicht anders, als sie wunderschön zu nennen, und so grenzte es an ein Wunder, dass nicht noch mehr Jungen im Kurs geblieben waren. So geheimnisvoll sie jedoch aussah, die Professorin war kein Mensch, der Zeit vergeudete, und so begann sie wie üblich die Stunde ohne weitere Umschweife. Für den heutigen Abend hatte sie beschlossen, die Schüler aus Kristallkugeln lesen zu lassen, welche diese sich nun aus den Regalen hinter Professor Delavalles Tisch holen mussten. Das hatte Shawna gerade noch gefehlt. In eine Kugel starren zu müssen, in welcher erst einmal nichts als undefinierbarer Nebel herumwaberte, aus welchem sie selbst sich dann ihre Bilder formen musste, würde ihr sicher nicht besonders dabei helfen, den Kopf frei zu bekommen. Nach der Stunde war genau das eingetreten, was die Siebzehnjährige bereits geahnt hatte. Es fühlte sich an, als würde ihr jeden Moment der Kopf platzen, denn diese Stunde war mehr als nur ergiebig für sie gewesen. Professor Delavalle war keine große Dramatikerin, doch die Tatsache, dass Shawna die gesamten fünfundvierzig Minuten über fast nur Todessymbole in ihrer Kristallkugel gesehen hatte, konnte selbst sie nicht ganz ungerührt lassen. Auf dem Weg zum Abendessen wäre Shawna beinahe die Treppe heruntergefallen, so sehr schien sie neben sich zu stehen, doch gerade als sie gestolpert war, packte sie von hinten jemand am Handgelenk und hinderte sie so am Fallen. Der plötzliche Ruck riss sie noch dazu ganz unvermittelt aus ihren Tagträumen, doch eigentlich kam ihr das bloß gelegen. Die Schwarzhaarige wandte sich gerade um, als ihr Retter - wenn man ihn so nennen wollte - sie auch schon ansprach. „Genau dich habe ich gesucht!“, ertönte Daniel Browns Stimme, begleitet von seinem gewohnten Lächeln. „Mich? Okay...“, entgegnete sie etwas unsicher, während er ihre Hand nun langsam losließ, „Was ist denn?“ „Naja, es ist vielleicht ein bisschen komisch, aber ich dachte, ich versuch es zumindest einfach mal.“ Dieser Anfang trug nicht gerade dazu bei, Shawnas Verwirrung zu mildern. Daniel kratzte sich leicht am Hinterkopf, offenbar überlegte er, wie er sich ausdrücken sollte. Die Siebzehnjährige schmunzelte leicht, denn sie kannte das zur Genüge. Sie selbst hatte auch oftmals Probleme damit, die richtigen Worte zu finden. „Also, ich wollte dich eigentlich fragen, ob du... zufällig schon jemanden für den Abschlussball hast...“ Shawnas Augen weiteten sich ein Stück. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber sicher nicht damit. „Ich meine... ist okay wenn du Nein sagst, aber ich wollte bloß mal fragen. Diese ganzen Mädchen aus meinem Haus gehen mir auf die Nerven. Sie sind zwar ganz nett, aber ich mag es nicht besonders, wie die immer an mir drankleben... und da dachte ich, ich frage einfach jemanden aus einem anderen Haus.“ Jetzt musste das Mädchen lachen. Wenn Daniel ihr vorher noch nicht sympathisch gewesen war, dann war er es spätestens jetzt. Sie selbst hasste es auch wie die Pest, wie sich die meisten Mädchen aufführten, nur weil sie es mit einem Spieler aus ihrer hauseigenen Quidditch-Mannschaft zu tun hatten. Darüber, eventuell Daniel zu fragen, hatte sie selbst noch gar nicht nachgedacht, doch irgendwie erschien ihr die Idee gar nicht so schlecht. Einen Augenblick später kam ihr in den Sinn, dass ihr Schweigen womöglich etwas zu lang gewesen war. „Ähm... Klar, warum nicht? Ich hab selbst sowieso keine Ahnung gehabt, mit wem ich dahin hätte gehen sollen... Wenn ich ehrlich bin, hab ich sogar überlegt, vielleicht gar nicht hinzugehen“, erwiderte sie schmunzelnd. Jetzt musste auch der Hufflepuff leise lachen. „Geht mir genauso, eigentlich hatte ich nicht mal Lust auf die ganze Veranstaltung!“ „Ich auch nicht...“, murmelte Shawna in sich hinein, „Vor allem weil meine besten Freundinnen so einen irrsinnigen Wirbel darum machen. Naja, also von mir aus können wir gehen, dann bin ich wenigstens noch besser dran als die Arme, die später mit Edward gehen muss.“ Auf dem Weg zum Abendessen unterhielten die beiden sich noch eine Weile, doch kaum waren sie in der Großen Halle angekommen, drängte sich schon wieder eine Schar von Mädchen um den Hufflepuff-Sucher herum. Mit einem genervten Augenrollen ging Shawna schließlich an ihren Platz, und zum ersten Mal seit Tagen schlug sie beim Essen wieder richtig zu. Shawnas gute Laune hielt sich auch noch über den Rest des Abends. Sie hatte sich sogar einen Spaß daraus gemacht, Miranda und Felicity zu verraten, dass sie nun endlich einen Abschlussballpartner gefunden hatte. Natürlich waren die beiden wahnsinnig neugierig gewesen, um wen es sich dabei handelte, doch die Schwarzhaarige hatte eisern geschwiegen, was die Zwillinge geradezu wahnsinnig gemacht hatte. Mit einem breiten Grinsen legte sie sich schließlich schlafen, und obwohl sie noch mindestens eine Stunde lang wach lag, überfluteten die unzähligen Gedanken nicht wieder ihren Kopf. Es war stockfinster und totenstill, als die Schwarzhaarige sich langsam aus dem Bett erhob und sich geradewegs auf den Weg hinaus aus dem Slytherin-Kerker begab. In den Schulkorridoren brannten nicht einmal mehr Fackeln, nur hin und wieder hörte sie einen Geist oder eines der Porträts flüstern. Shawna wusste nicht, warum sie überhaupt hier war, sie war unglaublich müde. Es war, als bewegten sich ihre Beine ganz ohne ihr Zutun, und selbst die Richtung, in die sie ging, schien ihr Körper von ganz allein zu kennen. Der Marmor der Treppen fühlte sich kalt unter ihren Füßen an, sie bemerkte erst jetzt, dass sie barfuß war, doch umkehren tat sie nicht. Die Schule war ihr immer so unheimlich vorgekommen, besonders wenn es dunkel war, denn allein schon die vielen Geräusche, mochten sie auch noch so leise sein, konnten einem eiskalte Schauer den Rücken hinabjagen. Mal schlug irgendwo eine Tür zu oder es wehte ein pfeifender Windhauch durch eine Ritze, begleitet von dem dauernden Stöhnen der Geister, die sich im Schloss herumtrieben. Heute jedoch hatte Shawna überhaupt keine Angst, nicht einmal obwohl sie wusste, dass sie eigentlich gar nicht hier sein durfte. So leise wie möglich schob sie das riesige Eingangstor des Schlosses ein Stück auf, nur so weit, dass sie gerade durch den Spalt passte, und schloss sie wieder hinter sich. Dass die rostigen Angeln der alten Tür dabei ein tiefes, metallisches Knarren von sich gaben, überhörte sie beinahe. Ein nicht besonders heftiger, aber dennoch eisiger Windhauch erfasste die Schülerin, kaum war sie im Freien angekommen. Das Gras auf den Ländereien fühlte sich schon um einiges angenehmer an als der steinerne Boden im Schloss. Zwar war es kalt und feucht, aber zumindest war es angenehm weich, und ihre Schritte waren nun kaum noch zu hören. Sachte und noch immer wie in Trance setzte die Schwarzhaarige einen Fuß vor den anderen, bewegte sich extra langsam, denn es war eine dicht bewölkte Nacht, in welcher man die Hand vor Augen kaum erkennen konnte. Alles was die Siebtklässlerin noch erkannte, waren die Atemwölkchen vor ihrem Mund, denn nach wie vor war es sehr kalt hier. Auch einige Minuten später spielte der Wind noch mit ihrem Haar und dem Nachthemd, welches sie trug, ließ beides immer wieder aufwehen, so dass Shawna nun doch heftig zu frieren begann. Trotzdem kehrte sie nicht um. Noch immer nahm sie ihre ganze Umgebung kaum wahr, es war als wäre sie von einem Schleier umgeben, welcher ihr Bewusstsein in einer anderen Welt gefangen hielt. So vernebelt ihr Verstand jedoch im Moment war, sie wusste genau, wohin sie gehen musste, als würde eine innere Stimme sie leiten. Es kam ihr vor, als wäre sie schon stundenlang herumgeirrt, als sich der Boden plötzlich noch einmal veränderte. Mit einem Mal wurde es unheimlich schwer, vorwärts zu kommen, denn nicht nur dass Shawna nun hauptsächlich Erde und die Überreste zerbrochener Äste unter den Füßen hatte, nein, der Untergrund war noch dazu nass und glitschig, so dass sie sich vorsichtig von Baum zu Baum tastete, um nicht den Halt zu verlieren und zu fallen. Hier im Wald war es nun wirklich vollkommen still. Nicht einmal der Wind war in den Bäumen zu hören, und wenn die Schwarzhaarige nicht gerade einen Schritt auf dem unebenen Boden machte, konnte sie beinahe ihren eigenen Herzschlag hören. Dieser war völlig ruhig, Shawna hatte keinerlei Angst, denn aus irgendeinem Grund wusste sie instinktiv, was sie tat. Immer tiefer führte ihr Weg in den Verbotenen Wald hinein, und inzwischen zitterte sie nicht einmal mehr. Es war, als wäre die Kälte mit einem Mal verschwunden. Warm war ihr jedoch nicht, eher fühlte sie gar nichts mehr, womöglich hatte ihr Körper sich einfach an die Kälte gewöhnt. Du bist bald am Ziel, flüsterte eine innere Stimme ihr zu, geh nur noch ein kleines Stück weiter... Shawnas eigener Aufschlag auf dem Boden riss sie urplötzlich in ihr Bewusstsein zurück. Schneller als sie hätte reagieren können, war sie einen kleinen Abhang hinuntergerollt, nachdem sie über irgendetwas Großes, Weiches gestolpert war. Hektisch wandte sie den Kopf hin und her. „Was ist hier denn los...?“, murmelte sie vor sich hin, als sie bemerkte, wo sie sich befand. Nun bekam das Mädchen es doch mit der Angst zu tun, vor allem als es bemerkte, dass es nicht einmal einen Zauberstab bei sich hatte. Ich muss zurück zum Schloss!, das war der einzige Gedanke, den sie nun noch im Sinn hatte. So sehr sie sich auch fürchtete, irgendwie musste sie hier weg, und sie hoffte, zumindest noch die richtige Richtung zu finden. Blind tastete sie am Boden herum, die Stelle suchend, an der sie eben heruntergerollt war, und kletterte schließlich mühsam wieder hinauf. Besonders steil war es nicht, doch der glatte Untergrund tat sein Übriges, so dass die Schwarzhaarige mehrmals abrutschte, ehe sie schließlich wieder oben ankam. Hier irgendwo musste sie eben gestolpert sein... Plötzlich stieß sie mit den Fingern gegen etwas Ungewöhnliches. Das musste es sein, worüber sie eben gefallen war, doch es fühlte sich nicht an wie eine Baumwurzel oder etwas Derartiges. Als sich im nächsten Moment einige Wolken vor dem Himmel wegschoben und ein einziger Strahl hellen Mondlichts durch die fast kahlen Baumkronen fiel, erkannte die Schülerin schlagartig, mit was sie es hier zu tun hatte, und dieser Anblick trieb ihr das bloße Entsetzen ins Gesicht... _______________ Okay... Ich bin stolz auf mich, weil es mit dem neuen Kapitel für meine Verhältnisse echt schnell ging xD Naja, auf den Inhalt bin ich nicht so stolz, ich musste meine Planungen ganz spontan über den Haufen werfen, weil ich den Teil mit Daniel etwas zu sehr gestreckt habe xD Aber naja, das ist halb so wild ^^ Ich bemühe mich, das nächste Kapitel genauso schnell zu liefern xD LG, Steffi ^^ Kapitel 15: Grauen ------------------ Den durchdringenden Schrei, der im nächsten Augenblick durch den Wald hallte, hörte niemand. Shawnas Herz schlug wie wild, nachdem sie eben noch das Gefühl gehabt hatte, es würde ganz aussetzen. Obwohl sie eigentlich alles andere wollte, musste sie wie gebannt immer wieder auf die Stelle starren, an der sie soeben diesen Fund gemacht hatte. Direkt vor ihr, auf demselben Waldboden, auf dem auch sie kniete, lag Victor Farrington. Tot. Seine Haut war noch bleicher als ohnehin schon, jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Augen und sein Mund waren zu einem stummen Entsetzensschrei verzerrt. Auf den ersten Blick hatte Shawna keine verdrehten Gelenke oder etwas Ähnliches an ihm entdeckt, doch es war auch nicht so, als hätte sie darauf geachtet. Offenbar war es sein lebloser Körper gewesen, über den sie vorhin gefallen war, und es war der Stoff seiner Schuluniform gewesen, gegen den ihre Finger gestoßen waren. Die Siebtklässlerin brach in Tränen aus, ihr Weinen war geradezu hysterisch, doch sie konnte nicht anders. Das hier war mit Abstand das Grauenvollste, was sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es war ihr völlig unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, doch instinktiv schien ihr bewusst zu sein, dass sie hier nicht einfach bleiben konnte. Sie wusste nicht, ob sie nur ein paar Sekunden hier gesessen hatte, oder ob es Stunden gewesen waren, doch einen Augenblick später sprang sie auf, so gut es auf diesem Boden möglich war, und rannte einfach los. Inzwischen war es wieder dunkel geworden, die Wolken hatten den Mond wieder verdeckt, so dass das Mädchen auf dem Weg durch den Wald nicht nur mehrmals ausrutschte und hinfiel, sondern zu allem Übel auch noch so nah an einem Baum vorbeilief, dass sie an der Rinde entlangschrammte und sich nicht nur das Nachthemd, sondern noch dazu den halben linken Arm aufriss. Der zusätzliche Schmerz hinderte sie jedoch nicht daran, so schnell ihre Beine sie trugen ins Schloss zurück zu stürmen, denn schon Sekunden nach dem Zusammenprall mit dem Baum hatte sie für einen Augenblick aufgeatmet, als sie wieder das Gras der Ländereien unter den Füßen gespürt hatte. Dass die Korridore unbeleuchtet gewesen waren, war scheinbar nur ein Teil dieses merkwürdigen Traumes gewesen, den sie gehabt hatte, denn als sie nun ziellos durch das Schloss rannte, brannten zumindest einige Fackeln an den Wänden. In einem kleinen, runden Gewölbe, an welchem sich zwei Gänge kreuzten, blieb sie schließlich stehen, sich zu allen Seiten umsehend. Wo sollte sie hin? Sie konnte unmöglich Anthony wecken. Irgendwann, das war ihr klar, musste er erfahren, was sie gesehen hatte, doch dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Es gab nur einen einzigen Menschen, der ihr jetzt noch einfiel... Shawna hatte zwar alles andere als ein angenehmes Gefühl in der Magengegend, als sie schließlich hektisch gegen die Bürotür des Professors hämmerte, doch irgendetwas sagte ihr, dass er womöglich am besten damit umgehen würde. Alastair Blackwell sah alles andere als amüsiert aus, als er einen Augenblick später öffnete. Offenbar hatte er tatsächlich gerade geschlafen, denn sein Haar sah nicht ganz so ordentlich aus wie sonst und er war mit nichts bekleidet außer einer dunkelvioletten Pyjamahose, so dass Shawna lieber den Blick abwandte, ehe ihr noch irgendwelche Gedanken kamen, die nicht hierher passten. „Wenn das hier jetzt kein wirklicher Notfall ist, dann...“, begann der verärgerte Mann, doch noch bevor er seine Drohung vollenden konnte, hatte Shawna ihn bereits unterbrochen. „Es ist ein Notfall!“, stammelte sie noch immer vollkommen aufgelöst, „Ich... ich muss geschlafwandelt sein... Der Wald... Der Verbotene Wald, und da...“ Sie schnappte nach Luft. „Victor... Victor Farrington... tot!“ Mit einem Schlag verengten sich die Augen des Lehrers zu schmalen Schlitzen. „Was?!“, zischte er, Shawna energisch bei den Schultern packend, „Victor Farrington aus dem fünften Jahrgang?“ Auf ein bloßes Nicken der Siebtklässlerin hin schien Blackwell augenblicklich zu wissen, was zu tun war. „Zuerst einmal bringen Sie mich dorthin, Miss Mallory. Bevor wir irgendeinen Alarm auslösen, muss ich mir das mit eigenen Augen ansehen. Nicht, dass Sie nur irgendeinen merkwürdigen Traum hatten.“ Dem Mädchen war vollkommen klar, dass dieser Fund alles andere als ein Traum gewesen war, doch sie wollte dem Professor lieber nicht widersprechen. Dieser verschwand noch einmal für einen Augenblick in seinem Zimmer, um eine Minute später in Stiefeln und Mantel wieder zurückzukommen, Shawna ebenfalls eine Jacke zuwerfend. Schweigend zog sie diese über und lief dem Mann hinterher, und erst am Waldrand erhob der Ältere wieder die Stimme. „Von hier aus müssen Sie vorgehen. Finden Sie den Weg?“ „Ja, Sir...“, murmelte sie in sich hinein, und während er seinen Zauberstab herausholte und Licht machte, führte sie ihn mit einer Sicherheit zu der Stelle zurück, die sie sich selbst kaum zugetraut hätte. Blackwell brauchte nicht lange, um zu merken, dass Shawna nicht übertrieben hatte. Bereits wenige Minuten später waren sowohl der Direktor als auch Professor Deveraux, der Hauslehrer Slytherins, im Wald aufgetaucht, und selbst Anthony war auf Blackwells Anweisung hin von Shawna darauf vorbereitet worden, dass ihn alles andere als ein schöner Anblick erwarten würde. Es war zwar kein Geheimnis mehr, dass sich die Brüder längst nicht mehr so gut verstanden hatten wie zuvor, doch man merkte Anthony den Schock mehr als deutlich an. Zwar war er nicht so hysterisch wie es Shawna gewesen war, doch an seinem Blick erkannte sie es dennoch. Unter einem gedämpften Aufkeuchen presste er sich beide Hände vor den Mund und sank auf die Knie, die Augen weit geöffnet. Die Siebzehnjährige wusste zwar nicht, ob es richtig war, doch bloß einen Moment später umarmte sie ihren Mitschüler stumm, woraufhin dieser sein Gesicht an ihrer Schulter vergrub. Unweigerlich musste Shawna an Felicity denken. Eigentlich tat sie nichts Unrechtes, doch trotzdem hätte sie wahrscheinlich einiges erklären müssen, wäre ihre Freundin in diesem Moment hier aufgetaucht. Glücklicherweise löste Professor Blackwell nur Sekunden darauf die schmerzliche Stille auf, indem er abermals zu sprechen begann. „Das hier...“, meinte er, noch neben dem toten Körper kniend an die Umstehenden gewandt, „... ist eindeutig nicht das Werk eines Menschen.“ Mit seinem Zauberstab, dessen Spitze noch immer leuchtete, deutete er nun auf eine Stelle direkt am Hals des Jungen. „Wir haben es hier mit einem Vampirbiss zu tun...!“ Shawna und Anthony, welche sich mittlerweile wieder voneinander gelöst hatten, schluckten schwer. „Die Herren Professoren wissen, was das bedeutet. Es ist höchste Vorsicht geboten, aber auf keinen Fall sollten wir diesen Fall an die große Glocke hängen!“, sprach Blackwell weiter, und das in einem so kühlen, abgeklärten Tonfall, dass es Shawna eiskalt den Rücken herunterlief. Selbst Professor Greifenstein sah erschüttert aus, also wie konnte dieser Mann nur so ruhig bleiben? Gut, womöglich hatte er in seiner bisherigen Karriere bereits öfter mit dem Tod zu tun gehabt, doch das Mädchen konnte nicht glauben, dass irgendwann ein Punkt kam, an dem man sich an solche Anblicke gewöhnte. „Ich bitte Sie um äußerste Verschwiegenheit. Selbstverständlich muss die Schule erfahren, dass der junge Farrington umgekommen ist, doch über die Todesursache sollten wir vorerst kein Wort verlieren. Eines ist sicher: Dieser Vampir treibt sich irgendwo an dieser Schule herum, und wenn wir allen erzählen, was hier passiert ist, wird er gewarnt sein und nicht so bald wieder nach Opfern suchen. Ich werde mich natürlich persönlich darum kümmern, dass dieses Ungeheuer schnellstmöglich gefangen und - wenn nötig - beseitigt wird.“ Seine nächsten Worte wandte er direkt an die beiden Siebtklässler. „Wir werden uns darum kümmern, dass der Leib Ihres Bruders angemessen beigesetzt wird. In einer halben Stunde möchte ich Sie zwei bitte noch einmal in meinem Büro sehen. Sie brauchen sich dafür aber nicht extra umzuziehen.“ Auf dem Weg zurück ins Schloss hüllten sich alle fünf in tiefes Schweigen, welches beinahe noch unangenehmer war als jenes während der Umarmung. Am liebsten hätte Shawna irgendetwas zu Anthony gesagt, denn gerade sie konnte sich wirklich gut vorstellen, wie sich ein Mensch fühlte, der gerade seinen Bruder verloren hatte, doch ihr fiel beim besten Willen nicht ein, wie sie ihn hätte trösten oder zumindest ablenken sollen. Wenn er zumindest ein wenig so war wie sie selbst, würden auch ihn diese Bilder noch lange verfolgen, und es gab keinen Weg, jemals wirklich darüber hinweg zu kommen, auch wenn man vielleicht irgendwann nicht mehr jede Sekunde seines Lebens daran dachte. Die folgende halbe Stunde nutzte das Mädchen dazu, sich ein frisches Nachthemd und einen Morgenmantel überzuziehen, sowie so leise wie möglich zu versuchen, ihre Hausschuhe in ihrem noch immer erst halb ausgepackten Koffer zu finden, um Miranda und Felicity nicht zu wecken. Gemeinsam mit Anthony, welcher sich zumindest äußerlich scheinbar wieder etwas gefangen hatte, machte sie sich schließlich auf den erneuten Weg zum Büro des Professors. „Es tut mir Leid...“ Diese Worte brachen wie aus dem Nichts plötzlich, leise, aus dem Mund des Mädchens heraus. Sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, doch in diesem Moment schienen es ihr die einzig richtigen zu sein, und tatsächlich zeigte sich auf Anthonys Gesicht der Ansatz eines Lächelns. „Danke, Shawna... Ich weiß ja... also, ich meine, gerade du wirst wohl ahnen können, wie es mir gerade geht...“, entgegnete er in einem Tonfall, welcher auf die Schwarzhaarige ziemlich ruhig wirkte. Innerlich war sie mehr als erleichtert, dass die Stille nun endlich vorbei war, und es dauerte nun auch bloß noch wenige Minuten, bis sich Blackwells Bürotür öffnete und er die beiden Schüler stumm hereinwinkte. Beim Hineingehen musste Shawna zugeben, dass sie schon lange neugierig darauf gewesen war, wie er diesen Raum wohl eingerichtet hatte. In den letzten Jahren war sie mehrere Male in diesem Büro gewesen, als es noch Professor Laurencine gehört hatte, und bei ihm war es stets vollgestopft mit Bücherregalen gewesen. Alastair Blackwell hatte so manches an dieser Einrichtung geändert. Dieser Raum war nie besonders groß gewesen, eher in die Höhe gestreckt als dass der Boden eine große Fläche einnahm, doch während er in Laurencines Besitz immer so gewirkt hatte, als könnte man nicht einmal ausgestreckt darin liegen, hatte Blackwell offenbar das Beste daraus gemacht. Tatsächlich hatte er dem Zimmer kurzerhand eine zweite Etage verschafft, welche man über eine schmale Treppe direkt an der Wand erreichen konnte und auf welcher sich, so wie es von hier unten aussah, sein privater Bereich befand. Zwar gab es hier noch immer eine Menge Regale mit Büchern, doch waren es längst nicht mehr so viele wie noch letztes Jahr. Zusätzlich gab es hier einen großen Schreibtisch, von welchem aus man direkten Blick auf ein großes, verhängtes Etwas hatte, welches von der Form her etwa ein solcher Spiegel sein konnte wie der, den Professor Weston benutzt hatte, als er die Schülerin in eine Stute verwandelt hatte. Die Frage, weshalb dieser Spiegel mit einem Tuch verborgen war, interessierte sie jedoch nur so lange, bis sie den Kessel erblickte. Dieser stand ein wenig versteckt hinter dem Schreibtisch, doch Shawna konnte erkennen, dass gerade etwas darin köchelte. In dem Regal, welches Blackwell in seinem Rücken hatte, wenn er am Tisch saß, befanden sich diverse Dinge, die er in seinem Beruf wahrscheinlich gut gebrauchen konnte. Neben einigen Fläschchen mit verschiedenfarbigen Substanzen befanden sich dort auch zahlreiche Instrumente, von deren Namen Shawna vielleicht eine Handvoll kannte. Ehe sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, hatte der Professor bereits eine Flasche des Trankes aus dem Kessel abgefüllt und führte die beiden Schüler nun mit einem Wink die Treppe herauf. „Zum Glück hat das Ding ein Geländer...“, murmelte Anthony in sich hinein, und Shawna konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Oben war es schon um einiges bequemer, was die beiden Siebtklässler offenbar gleichermaßen überraschte. Abgesehen von einer durchaus einladenden Sofaecke besaß der Mann einen offenen Kamin, in welchem ein Feuer prasselte und ein großes Bett mit Vorhängen, in welchem mit Leichtigkeit zwei, vielleicht sogar drei Leute Platz gefunden hätten. Unzählige an den Wänden aufgehängte Zeitungsausschnitte und Fahndungsplakate zeigten jedoch wieder deutlich, in wessen Räumlichkeiten man sich hier befand. „Setzen Sie sich.“, befahl der Professor knapp, während er zwei Tassen mit dampfendem Tee auf dem kleinen Tisch zwischen den Sofas erscheinen ließ. Nach wie vor schweigend nahmen die beiden Platz, und auch der Erwachsene setzte sich einen Augenblick später und ergriff das Wort.. „Ich fange am besten mit Ihnen an, Mr Farrington. Ich habe mitbekommen, dass Sie und Ihr Bruder nicht mehr sehr viel miteinander zu tun hatten, aber haben Sie irgendeine Ahnung, was er im Wald zu suchen gehabt haben könnte? Ich habe deutliche Spuren gefunden, dass er definitiv an derselben Stelle umgekommen ist, an der Ihre Mitschülerin ihn gefunden hat. Demnach muss er bereits vorher dort gewesen sein.“ Anthony schüttelte stumm den Kopf. „Nein“, murmelte er in sich hinein, „ich weiß es nicht... Er war zwar schon immer ziemlich... naja, wie soll ich sagen, selbstgefällig und hat sich für etwas Höheres gehalten, aber zumindest hat er Regeln befolgt... Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was ihn dahin getrieben hat...“ „Können Vampire ihre Opfer nicht hypnotisieren, Professor...?“, fragte Shawna vorsichtig. Sofort bohrten sich Blackwells Augen wieder in die ihren, und ein fast stolzes, aber dennoch finsteres Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Sie sind wirklich außergewöhnlich, Miss Mallory.“, begann er, doch ehe er irgendeine Erklärung ablieferte, warf er noch beiläufig ein: „Trinken Sie ruhig von dem Tee, die Tassen füllen sich von allein nach.“ Mit einem leichten Nicken griffen beide nach den Tassen. Da Shawna noch immer etwas fror, kam ihr dies sehr gelegen. Sie war ein wenig überrascht, als sie den ersten Schluck nahm, denn der Professor hatte nicht nur ihre Lieblingssorte erwischt - schwarze Johannisbeere - sondern hatte noch dazu genau die richtige Menge Zucker hineingegeben, so dass das Mädchen nicht erst zur Zange greifen musste. „Es ist wahr, dass ein Vampir einen Menschen in Hypnose versetzen kann, doch äußert sich diese nicht in Willenlosigkeit, sondern eher in einer schweren Trägheit. Das Opfer ist nicht mehr in der Lage, sich eigenständig zu bewegen und denkt auch gar nicht daran, da es sowohl körperlich als auch geistig stark gelähmt ist. In seltenen Fällen berichten die Betroffenen, die einen solchen Angriff überlebt haben, auch von besonders lebhaften Halluzinationen. ... Und damit wären wir auch schon bei Ihnen. Was Victor Farrington im Wald getan hat, steht vorerst noch in den Sternen, aber was hatten Sie dort zu suchen? Sie hatten bereits erwähnt, dass Sie Schlafwandlerin sind, aber ich möchte die Details des Traumes wissen, der Sie dorthin geführt hat.“ Als hätte sie es geahnt, erzählte sie ihrem Lehrer alles, woran sie sich jetzt noch erinnern konnte, jedoch bemerkend, dass es nicht mehr allzu viel war. Sicher war Professor Blackwell nun enttäuscht von ihr, doch ändern konnte sie daran auch nichts. Erst als sie vielleicht nach einer weiteren Viertelstunde geendet hatte, ließ der Mann die beiden endlich wieder gehen. Inzwischen waren sie beide sogar ein wenig müde geworden, doch vorsichtshalber hatte er beiden, freundlicherweise mit einer vorherigen Ankündigung, noch ein Schlafmittel in die Teetassen gegeben, damit sie bis zum Morgen nicht von Albträumen geplagt sein mussten. Im Schlafsaal war Shawna schließlich wieder allein, von ihren tief schlummernden Freundinnen einmal abgesehen, und kaum hatte sie sich in ihr Bett gelegt, zeigte der Trank seine Wirkung und die Siebtklässlerin schlief ein wie ein Stein. _______________ Freigeschaltet in 2 Minuten, Respekt *__* Musste ich an dieser Stelle mal anmerken xD Kapitel 16: Warnung ------------------- Nachdem am folgenden Morgen der Unterricht ausgefallen war, war der Tag den vier Siebtklässlern unendlich lang vorgekommen. Mittlerweile war es Nachmittag und im Schlafsaal der Mädchen war es totenstill, während sie sich für die Trauerfeier umzogen, die in einer halben Stunde beginnen würde. Miranda und Felicity hatten die Nachricht über Victor Farringtons Tod mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Natürlich vermissten sie ihn nicht wirklich, doch zumindest hatten sie deutliches Mitleid mit Shawna und besonders Anthony gezeigt. Die Schwarzhaarige war als erste fertig, und ohne auf die Zwillinge zu warten, verließ sie auch den Raum als erste, um sich wenig später im Gemeinschaftsraum zu Anthony zu setzen. Die übliche Bräune war noch immer nicht in das Gesicht des Achtzehnjährigen zurückgekehrt, während er stumm ins Feuer starrte, offensichtlich versuchend zu verbergen, dass er geweint hatte. Shawna biss sich auf die Lippe. Sie wusste zwar, dass es in jedem Fall schrecklich war, einen Bruder zu verlieren, doch hätte sie nicht gedacht, dass es Anthony so nah gehen würde, immerhin waren die beiden nie allzu gut miteinander ausgekommen. Einige Minuten später stießen schließlich auch Miranda und Felicity zu ihnen, endlich das Schweigen brechend. „Ich schätze, deine Mutter wird auch auftauchen, was...?“, fragte Miranda vorsichtig, woraufhin Anthony sich schließlich aufsetzte und seufzte. „Ich befürchte es. Sie ist so ziemlich die letzte, der ich im Moment begegnen möchte, ich wette, sie wird irgendeinen Weg finden, mir die Schuld an Victors Tod zu geben...“ Während die vier sich schließlich auf den Weg machten, tauschten Anthony und die Zwillinge noch einige Worte aus, denen Shawna jedoch nichts hinzuzufügen wusste, weswegen sie sich wie schon so oft in Schweigen hüllte. Offensichtlich gehörten sie zu den letzten, die sich auf den Weg gemacht hatten, denn als sie auf den Ländereien ankamen, waren dort schon viele Menschen anzutreffen. Nervös schaute sich Anthony um, während sie sich gemeinsam durch die Menge drängten, doch von seiner Mutter war weit und breit nichts zu sehen. „Ich glaube es nicht, es ist die Trauerfeier ihres Sohnes und sie kommt nicht...?“, zischte Felicity leise, doch kaum eine Sekunde später stieß Miranda ihr leicht in die Rippen, stumm etwas weiter nach vorn deutend. Beinahe hätte man sie nicht erkannt, da sie, anders als üblich, heute vollkommen schwarz gekleidet war, doch hinter einem kleinen Rednerpult, welches vor den Stuhlreihen aufgebaut war, stand tatsächlich Adrienna Farrington, zusammen mit den Professoren Greifenstein, Deveraux und Blackwell, welche ihr offenbar gerade ihr Beileid aussprachen. Als hätte sie die Blicke der vier gespürt, schaute die Frau plötzlich auf, wandte den Kopf direkt in ihre Richtung, und beinahe war es, als bohrten sich ihre eisblauen Augen wie Speere in die ihres Sohnes hinein. Anders als Shawna es wahrscheinlich getan hätte, hielt dieser ihrem Blick jedoch eisern stand, so dass sie es schließlich selbst war, die sich wieder den Professoren zuwandte. Sie schien nicht zu bemerken, dass sich Deveraux mittlerweile entfernt hatte, oder es war ihr einfach egal, denn wie es aus der Entfernung aussah, brach die sonst so gefühllos wirkende Frau im nächsten Moment in Tränen aus und begann, hektisch in ihrer Handtasche nach etwas zu kramen. Mitfühlend wie er war, bot Professor Greifenstein ihr sein Taschentuch an, doch auch das schien Mrs Farrington nicht wahrzunehmen, denn nicht einmal eine Sekunde später gab sie die Suche in ihrer Tasche auf und warf sich in einer beinahe schon zu theatralischen Geste an die Brust Professor Blackwells, welcher zwar zur Seite gesehen hatte, jedoch noch immer vor ihr stand, so dass dieser keine andere Wahl hatte, als sie gewähren zu lassen, obwohl man ihm mehr als deutlich ansah, dass er diese Form von menschlicher Nähe offenbar nicht besonders schätzte. Etwas verhalten legte er ihr eine Hand auf die Schulter, eine Szene, die von Seiten einiger Umstehender nicht unkommentiert blieb, und obwohl es ziemlich offensichtlich war, dass sie lediglich schauspielerte, verengten sich Shawnas Augen. Die Aussage Anthonys, wie unfassbar dreist seine Mutter sich doch wieder in den Mittelpunkt drängte, überhörte sie, und anders als sonst hatte sie nicht einmal ein schlechtes Gewissen, als sie sich bei dem Gedanken ertappte, der Frau einen Fluch auf den Hals hetzen zu wollen. Erst Mirandas Stimme riss sie wie üblich aus ihren Gedanken. „Was ist denn mit dir los? Du siehst ja aus als würdest du Anthonys Mutter gleich auffressen!“ Ein leichtes Grinsen konnte die Blonde sich bei diesem Satz nicht verkneifen, doch Shawna schüttelte bloß seufzend den Kopf. „Ich hab keine Ahnung... Setzen wir uns einfach, okay?“ Miranda nickte, und die beiden Mädchen hatten nicht einmal einen großen Kampf nötig, um zu Anthony und Felicity zu gelangen, welche sich bereits Plätze gesucht hatten. „Unglaublich, was für ein Theater sie da aufführt... Ihr Sohn ist gestorben und sie hat offensichtlich nichts anderes im Kopf als sich selbst in den Mittelpunkt zu drängen!“, zischte Anthony, noch immer vollkommen fassungslos, woraufhin die Mädchen ihm nickend zustimmten. Seufzend ließ sich Shawna auf den letzten freien Stuhl neben ihren Freunden fallen, während sie noch immer im Abstand weniger Sekunden nach vorn schaute, wo Mrs Farrington mittlerweile von Professor Blackwell abgelassen hatte, welcher nun, wie es schien, erleichtert das Weite suchte und wenig später seinen Platz in der Nähe des Rednerpultes einnahm. Aurelius Greifenstein war der erste, der schließlich an das Pult trat und sich räusperte, woraufhin der Großteil der Menge bereits in Schweigen verfiel. Den Zauberstab an seine Kehle gerichtet begann er nur einen Augenblick später zu sprechen. „Es ist gewiss kein freudiger Anlass, der uns heute hat zusammenkommen lassen, doch leider werden sich Tragödien im Leben wohl niemals vermeiden lassen. Wenn ein Mensch, besonders ein so junger, von uns geht, ist es wichtig, dass die Hinterbliebenen als das zusammenhalten, was sie sind: eine Familie.“ „Als wären die jemals eine richtige Familie gewesen...!“, zischte ein Junge an dieser Stelle seinem Sitznachbarn zu. Shawna wandte sich um und erkannte, woher diese Aussage gekommen war, nämlich von Stephen Crane, einem der anderen Siebtklässler aus Slytherin, mit denen sich auch Anthony den Schlafsaal teilte. Dieser schaute zwar ebenfalls für einen Moment nach hinten, wirkte jedoch nicht missbilligend und sagte auch nichts weiter dazu, sondern wandte sich wieder dem Schuldirektor zu, welcher nach wie vor seine Rede darüber hielt, wie traurig es doch wäre, jemanden zu verlieren, dem man nahe stand, und dass das Andenken Victor Farringtons gewiss in jedem hier weiterbestehen würde. Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches in sich hinein, ehe er schließlich von seinem Sitz aufstand und schweigend die Trauerfeier verließ. Keines der Mädchen traute sich so recht, ihm zu folgen, doch irgendwie schienen sie alle ein schlechtes Gewissen zu haben, weswegen sie den Blick gesenkt hielten und Greifensteins Worten eher mit einem halben Ohr weiter lauschten. Tatsächlich setzte in diesem Moment ein leichter Regen ein, als wollte die Natur diesen Augenblick noch unterstreichen. Es waren bloß einige wenige Tropfen, doch aus der Ferne zogen dunkle Wolken auf, die vermuten ließen, dass es heute Abend noch ein Unwetter geben würde. Greifensteins Rede dauerte noch etwa eine Viertelstunde, ehe er sie mit einer Ankündigung enden ließ. „Zum Abschluss hat mich Professor Blackwell gebeten, noch einige Worte an die Schüler richten zu dürfen, denen Sie mit Vorsicht lauschen sollten.“, sprach er, bevor er den Zauberstab sinken ließ und selbst an der Seite Platz nahm. „Sollte nicht jemand nach Anthony suchen?“, flüsterte Miranda Shawna und ihrer Schwester zu, doch Felicity schüttelte leicht den Kopf. „Ich bin mir sicher er will jetzt lieber allein sein, ich werde ihm später erzählen was Blackwell zu sagen hatte...“ Als wäre es ein Vorzeichen gewesen, zuckte ein Blitz quer über den Himmel, kaum hatte der Professor seinen Platz hinter dem Rednerpult eingenommen. Auch ohne dass er seine Stimme magisch verstärkte, war sie wie immer laut und deutlich genug, um auch bis in die letzten Reihen vernommen zu werden. „Nun, da sich hier anscheinend ein Gewitter zusammenbraut, wollen wir nicht länger als nötig hier draußen herumsitzen. Ich rate Ihnen also, mir aufmerksam zuzuhören, damit es am Ende keine Fragen gibt. Auch auf die Gefahr hin, den denkbar schlechtesten Zeitpunkt hierfür gewählt zu haben, sehe ich mich doch in der Pflicht, eine Warnung an Sie alle auszusprechen, die mit Mr Farringtons Tod in unmittelbarem Zusammenhang steht. Ich rufe Sie keinesfalls zur Panik auf, das wäre das letzte, was wir in dieser Situation gebrauchen können, doch ich möchte Sie noch einmal mit Nachdruck daran erinnern, dass es an dieser Schule einige Regeln gibt, die gewiss nicht dazu dienen, Ihnen die Freude am Hiersein zu nehmen, sondern die zu Ihrem Schutz aufgestellt wurden. Besonders hinweisen möchte ich darauf, dass es Ihnen strikt verboten ist, nachts Ihre Häuser zu verlassen, und dass auch der Verbotene Wald seinen Namen nicht zum Spaß trägt. Selbstverständlich haben Sie nach wie vor sämtliche Schulregeln zu befolgen, doch wer dabei ertappt wird, speziell eine dieser beiden zu brechen, wird mit harten Konsequenzen zu rechnen haben. Seien Sie aufmerksam, und nun sehen Sie, dass Sie ins Schloss kommen.“ Obwohl sich der Großteil der Schüler fragte, warum der Professor ausgerechnet auf diese Regeln solchen Wert legte, hatte er doch klargestellt, dass er keine Fragen dazu hören wollte, und so befolgten sie lieber seinen Befehl und begaben sich so schnell sie konnten nach drinnen, wo die Zwillinge sich sofort auf die Suche nach Anthony machten, begleitet von Stephen, mit welchem sie im Gedränge zufällig zusammengestoßen waren. Eigentlich hatte Shawna sie begleiten wollen, doch noch bevor sie ihnen folgen konnte, wurde sie plötzlich sachte am Arm gepackt und aufgehalten. Erschrocken wandte sie sich um, doch noch bevor sie irgendetwas hätte sagen können, sprach der Junge, der sie festgehalten hatte, sie selbst an. „Shawna... Tut mir Leid falls ich dich störe, aber es gehen Gerüchte um, du wüsstest mehr über Victors Tod als die anderen hier... stimmt das?“ Bei dem Jungen handelte es sich um einen weiteren von Shawnas Jahrgangs- und Hausgenossen. Sie war sich über seinen Nachnamen nicht sicher, doch sie wusste mit Sicherheit, dass er Vincent hieß. Er war für einen jungen Mann in diesem Alter nicht besonders groß, hatte eine sehr schlanke Statur, dichtes, blondes Haar und beinahe etwas weiblich wirkende, graue Augen. „Ich...“ Die Schwarzhaarige schaute sich kurz um, ehe sie schließlich leicht nickte. „Ja, um genau zu sein habe ich ihn gefunden...“ „Im Wald, nicht wahr?“, hakte Vincent nach, woraufhin sich Shawnas Augen weiteten. „Woher weißt du das?“ „Naja“, entgegnete der Junge, „Der... der Professor hat so ausdrücklich darauf hingewiesen, sich vom Wald fernzuhalten, und bisher hat er nie ohne Grund irgendeinen Hinweis gegeben, also dachte ich, dass das irgendetwas damit zu tun haben muss.“ Shawna konnte nicht anders als ein wenig zu schmunzeln. Endlich einmal fühlte sie sich verstanden. „Ich hätte nicht gedacht dass sonst noch jemand so genau darauf achtet was er sagt, das erleichtert mich wirklich.“ Diesmal war es Vincent, der überrascht die Augenbrauen hob. „Wie jetzt? Du auch?“ Er musste kurz auflachen. „Ich hatte mich schon für besessen gehalten, und ich glaube Stephen auch. Jedes Mal wenn ich Professor Blackwells Namen nur erwähnt habe, hatte ich das Gefühl ich gehe ihm schon auf die Nerven...“ Shawna hatte keine Ahnung gehabt, dass es außer ihr noch jemandem so ging, doch irgendwie beruhigte es sie, dass sie offensichtlich nicht die einzige war, auf die der Mann eine solche Faszination ausübte. Wahrscheinlich hätten die beiden noch stundenlang hier stehen und sich angeregt über Alastair Blackwell und seine Weisheiten austauschen können, doch schließlich beendete Shawna die Schwärmerei - schweren Herzens, das musste sie zugeben - und überredete Vincent, ihren Freunden lieber dabei zu helfen, Anthony zu suchen und ihn über die Warnung des Professors aufzuklären. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in Slytherin so viele nette Leute gibt“, platzte es nach einigen Minuten des Schweigens plötzlich aus dem Blonden heraus, „Gerade mit unserem Jahrgang kann man wirklich gut zurechtkommen.“ In dem Punkt konnte Shawna ihm nur zustimmen, diese Erkenntnis war ihr ebenfalls schon gekommen. Normalerweise sagte man den Slytherins ja nach, sie seien allesamt eingebildet und hinterlistig, und natürlich gab es auch viele solche Menschen in ihrem Haus, doch Vincent hatte es auf den Punkt gebracht. Gerade der siebte Jahrgang bestand zum großen Teil aus recht ruhigen und toleranten Persönlichkeiten, so dass man sich auch dann wirklich wohlfühlen konnte, wenn man so war wie das Mädchen. Es dauerte glücklicherweise nicht allzu lange, bis die beiden Anthony schließlich entdeckten, in einem großen Fensterrahmen sitzend, die Knie an den Körper gezogen und die Augen durch das bunte Glas nach draußen gerichtet. „Hey, Anthony“, sprach Shawna ihn zaghaft an, woraufhin er leicht aufschreckte und zu ihr herüberschaute, „Ich will dich gar nicht lange stören, aber nachdem du weg warst hat Professor Blackwell noch ein paar Worte gesagt.“ „Er meinte“, übernahm Vincent an dem Punkt, sich neben Anthony auf die Fensterbank setzend, „dass die Schüler in nächster Zeit besonders vorsichtig sein sollen, und er hat noch einmal an ein paar Regeln erinnert. Ich will nicht wissen, was für Strafen er sich ausdenken würde, aber er hat gesagt, es soll sich niemand nachts von ihm auf dem Korridor erwischen lassen, vom Verbotenen Wald ganz zu schweigen.“ Diese Worte brachten Anthony ein wenig zum Grinsen, obwohl er nach wie vor etwas niedergeschlagen wirkte. „Wisst ihr was? Alastair Blackwell ist so oder so der letzte, dem ich im Dunklen begegnen will!“ Mit diesen Worten erhob sich der Dunkelhaarige, und die drei machten sich auf den Weg in ihren Gemeinschaftsraum. _______________ Also hiermit dürfte ich offiziell meinen persönlichen Langsamkeitsrekord aufgestellt haben. Seid ehrlich, hätte noch irgendwer geglaubt dass es wirklich weitergeht? xD Dieses Kapitel hat mir wirklich den letzten Nerv geraubt, aber ich hoffe ich komme jetzt wieder etwas schneller voran. Wann es eine Fortsetzung gibt, kann ich wie immer nicht sagen, aber ich verspreche feierlich, dass es weitergehen wird! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)