The Curse von AlastairBlackwell ================================================================================ Kapitel 5: Zurück in Hogwarts ----------------------------- „Nimm es mir nicht übel, aber sollte ich deiner Mutter mal in einem unbeobachteten Moment begegnen, kriegt die was zu Hören, dass ihr solche Sprüche ganz schnell vergehen!“, knurrte Shawna, doch Anthony lachte bloß bitter auf. „Wenn es nach mir ginge, hätte sie das schon am Bahnsteig verdient, vor den Augen aller Leute! Dich hat sie übrigens auch nicht ausgelassen, Shawna. Das Schlimmste hab ich ja bis jetzt noch für mich behalten! Sie hat erst erzählt, wie wunderbar dein Vater gewesen sei, ein waschechter Slytherin, wie es sich gehört, der sich dann aber in „diese Ravenclaw“, wie sie es nannte, verlieben musste. Schön und gut, wie gesagt, solche Aussagen sind noch harmlos für ihre Verhältnisse, Menschen aus anderen Häusern sind für sie fast so schlimm wie Muggelstämmige, aber dann hat sie ganz beiläufig erwähnt, was deinen Brüdern letzten Sommer passiert ist und mit einem süffisanten Lächeln hinzugefügt, dass sie es diesen „Missgeburten“ von Herzen gönnen würde und es doch eine regelrechte Schande sei, dass es dich nicht gleich mit erwischt hätte...“ Die Blicke der drei Mädchen waren in diesem Moment geradezu auf Anthony geheftet, als wollten sie ihn durchbohren. Während Miranda und Felicity ein erschüttertes Aufkeuchen ausgestoßen hatten, war Shawna selbst jedoch stumm geblieben. Ihr Gesicht war weiß geworden, doch man konnte ihr beim besten Willen nicht ansehen, ob Entsetzen oder Zorn die Ursache dafür war. Sie bekam gar nicht mehr mit, wie Anthony erklärte, dass er seiner Mutter für diese Aussage eine gepfefferte Ohrfeige verpasst hatte, senkte bloß den Kopf wieder und heftete die nunmehr flackernden Augen auf den Boden, während ihre Finger sich krampfhaft in das Sitzpolster unter ihr gruben. Wie widerlich konnte eine einzelne Person denn nur sein? Shawna hatte von Anfang an gewusst, dass Adrienna Farrington keine sympathische Frau war, doch hätte sie nie ruhigen Gewissens daran denken können, dass sie sie einmal so abgrundtief verachten würde. Am liebsten hätte sie sie jetzt und hier vor sich gehabt, hätte ihr in die eisigen Augen gesehen und all das herausgelassen, was ihren Kopf in diesem Moment durchströmte. Nein, spätestens jetzt konnte sie Anthony nicht mehr schuldig dafür machen, wie er sich die ganze letzten Jahre benommen hatte, sie konnte ihm höchstens noch vorwerfen, dass er sich immer von dieser Frau hatte beherrschen lassen, statt sich zur Wehr zu setzen, doch wahrscheinlich hatte er auch dafür seine Gründe gehabt. Solange es jetzt jedoch vorbei war, hatte es sich die Schwarzhaarige zum Vorsatz genommen, ihm eine zweite Chance zu geben, nicht zuletzt Felicitys wegen. Was Shawna jedoch nicht verhindern konnte, war, dass nun abermals all die Erinnerungen in ihr hochstiegen, die sie doch eigentlich für eine Weile hatte zurückdrängen wollen. Sie sah die Gesichter ihrer Brüder vor sich, alle nebeneinander, so süß, wie gleich sie ausgesehen hatten. Sie hätten Drillinge sein können, wären sie alle im gleichen Alter gewesen, doch dazu würde es niemals mehr kommen. Shawna hasste sich selbst dafür, dass sie in diesem Moment darüber nachdachte, ob sie einen „Lieblingsbruder“ gehabt hatte, und dafür, dass sie tatsächlich zu einem Ergebnis kam. Adrian war ein so wunderbarer Junge gewesen, er hätte heute hier mit ihr im Zug sitzen müssen, sein drittes Hogwarts-Jahr anzutreten, doch er hatte gerade zwölf Jahre alt werden dürfen, als es passiert war. Und Euan hatte ihr versprochen, nach ihrem Abschluss mit ihr nach Indien zu fahren, wo sie immer schon hingewollt hatte, doch auch seinem Leben war viel zu früh ein Ende gesetzt worden, mit nur einundzwanzig Jahren. Vier Jahre älter nur, als Shawna selbst es jetzt war. Was, wenn auch sie dieses Alter nie erreichen würde? Was, wenn auch ihr ein solches Unglück widerfahren würde, bevor ihr Leben überhaupt richtig begonnen hatte? Doch all diese Fragen wurden von einem Gedanken verdrängt, von welchem dem Mädchen beinahe übel wurde, so schlecht, so gemein fühlte sie sich dabei: Dawson. Immer wieder war es sein Gesicht, welches sie am längsten, am deutlichsten sah. Zu Dawson hatte sie die innigste Bindung von allen gehabt, nicht nur von all ihren Brüdern, sondern von allen Menschen auf der Welt. Er war alles für sie gewesen, Vater, großer Bruder und bester Freund zugleich, er hatte sie immer vor allem beschützt, wovor man sie hatte beschützen müssen, als sie noch ein kleines, naives Kind gewesen war. Shawna musste hart gegen die aufkommenden Tränen ankämpfen, vor ihren Freunden wollte sie nicht weinen. Wie auch vor ein paar Tagen erst schossen ihr wieder Bilder durch den Kopf, die sie mit den dreien geteilt hatte. Sie hatten damals einen Ausflug in den Wald gemacht, das musste jetzt ungefähr acht Jahre her sein, vielleicht auch neun, auf jeden Fall waren sie ein ganzes Stück von zuhause weg gewesen, und als sie zurückkehren wollten, war Shawna bereits so müde gewesen, dass ihre Beine sie kaum noch hatten tragen wollen. Sie hatte zu weinen angefangen, woraufhin Adrian, der vierjährige Adrian, von den Schultern seines ältesten Bruders gehüpft war, sie grinsend angesehen und stolz verkündet hatte: „Ich kann auch schon alleine laufen!“ Wer die Mallory-Brüder gekannt hatte, der wusste, dass keiner von ihnen je etwas gesagt hatte, was er nicht auch so gemeint hätte, und so hatte Dawson nicht lange nachgefragt und das Mädchen auf seinen Rücken klettern lassen, um es sicher nach Hause zu bringen. Ja, selbst ihr kleinster Bruder hatte schon so liebe Dinge für sie getan, und somit verurteilte sie sich nun bloß noch mehr dafür, dass sie Dawson stets die meiste Beachtung zugemessen hatte, so als hätte sie die anderen beiden nicht genug geliebt. Hatte sie das denn? Hatte sie es ihnen je gezeigt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, es kam ihr kein einziges Bild in den Sinn, welches gezeigt hätte, dass sie Euan oder Adrian auch nur einmal deutlich gemacht hätte, wie sehr sie auch an ihnen gehangen hatte. Selbst in ihren letzten Augenblicken hatte sie die Brüder im Stich gelassen, war einfach nicht da gewesen, als sie in Gefahr gewesen waren. Es war einfach ungerecht, sagte sie sich manchmal, dass diese drei wunderbaren Menschen hatten sterben müssen, während sie, Shawna, mit dem Leben davongekommen war, wo doch gerade sie das Gefühl hatte, es am wenigsten von allen verdient zu haben... „Shawna...?“ Nervös warf die Schwarzhaarige den Kopf zur einen Seite und einen Moment später zur anderen zurück. „Hey, Shawna, wach auf!“ Nur langsam drangen die Stimmen der Zwillinge bis in ihr Bewusstsein vor. „Wir sind gleich da, du musst aufwachen!“ War sie etwa eingeschlafen? Ruckartig schlug Shawna die Augen auf - und kniff sie gleich wieder zu, so hell stach das Licht, welches in den Abteilen mittlerweile brannte, hinein. Na toll, so hatte sie sich ihre letzte Zugfahrt nach Hogwarts nun wirklich nicht vorgestellt, durchzogen von Träumen, welche ihr ein drückendes Gefühl im Magen verschafften, und sogar ihre Selbstvorwürfe hatten es wohl inzwischen geschafft, sich so tief in ihr Bewusstsein einzubrennen, dass sie sie sich sogar erträumte. Schweigend und mit wackligen Knien stand sie schließlich von der Sitzbank auf, um sich den schwarzen Umhang überzuwerfen, welchen die Hogwarts-Schüler als Uniform trugen. Die anderen drei hatten dies natürlich schon längst erledigt, und so kam sie sich unheimlich dumm dabei vor, hier so vor ihnen zu stehen und sich anschauen zu lassen, denn auch Miranda, Felicity und Anthony hüllten sich in Schweigen. Wie die vier es in den nächsten Minuten zum Slytherin-Tisch in der Großen Halle schafften, hatte Shawna in dem Moment wieder vergessen, als es geschehen war, genauso auch die Auswahlzeremonie der neuen Erstklässler, doch sie konnte sich erinnern, zumindest diesen Weg ohnehin nie besonders gemocht zu haben, daher war es ihr nicht schade darum. Als sie sich nach dem Applaus für ihre neuen Hausgenossen wieder gesetzt hatte, wanderte der erste Blick der Schwarzhaarigen hinauf zum Lehrertisch, an welchem sich ein freier Platz befand, dort, wo letztes Jahr noch Professor Laurencine gesessen hatte. Der neue Lehrer war also noch nicht da. Na das haben wir gern, hörte Shawna die Zwillinge in Gedanken schimpfen, uns erst so viele Bücher aufdrücken und dann selbst zu spät kommen! Die Vorstellung brachte sie leicht zum Schmunzeln, doch sie hatte nicht viel Zeit, sich Gedanken zu machen, was mit dem Neuen wohl los sein könnte, denn in diesem Augenblick erhob sich der Direktor der Schule, mit seiner Gabel dreimal gegen sein Glas klopfend. Professor Aurelius Greifenstein war ein beeindruckender Mann, auch wenn er nicht besonders groß oder stark wirkte. Abgesehen von Arthur Laurencine möglicherweise hatte man an dieser Schule noch nie einen älteren Menschen gesehen, er musste mit Sicherheit an die hundertzwanzig Jahre alt sein, und das sah man ihm auch an, trotzdem wirkte er jedoch kein bisschen gebrechlich, sondern machte stets den Eindruck, als könnte er noch immer Bäume ausreißen. Er hatte vollkommen weißes Haar, zumindest dort, wo er noch Haare hatte, denn auf dem Kopf trug er wie immer einen spitzen Zaubererhut - heute einen dunkelblauen, passend zum Umhang - so dass man nicht erkennen konnte, ob er darunter nicht vielleicht eine Glatze hatte. Was er jedoch mit Sicherheit hatte war ein Bart, so dass wahrscheinlich selbst der letzte Muggel geglaubt hätte, es mit einem Zauberer aus einem Märchen zu tun zu haben, wenn er vor ihm gestanden hätte. Sein Gesicht war streng und freundlich zugleich. Greifenstein war ein Mensch, den man nur ansehen musste, um zu wissen, wann man mit seinen Worten zu weit ging, auch wenn er scheinbar keine Miene verzog, seine Augen, die dieselbe mitternachtsblaue Farbe hatten wie sein Umhang, verrieten es stets. Als er sich schließlich sicher war, dass ihm jeder zuhörte, erhob er die Stimme, welche kurz darauf klar und deutlich in der Halle zu hören war, obwohl er überhaupt nicht besonders laut sprach. „Ein neues Jahr ist also angebrochen, für einige von Ihnen das erste, für andere das letzte, und ich freue mich, Sie alle wieder hier zu sehen, wohlbehalten, so wie es aussieht. Bevor wir jedoch zu dem Festessen kommen, das Sie wahrscheinlich alle bereits sehnsüchtig erwarten, habe ich noch einige Dinge anzukündigen: Zu allererst möchte ich Sie alle darauf hinweisen, Erstklässler sowie Schüler der höheren Jahrgänge, dass der Wald auf unserem Schulgelände nicht zum Spaß den Namen „Verbotener Wald“ trägt, sondern dass er von keinem von Ihnen ohne eine ausdrückliche Erlaubnis betreten werden darf. Dasselbe gilt für die verbotene Abteilung unserer Bibliothek. Jedes Jahr gibt es Schüler, die glauben, sich unbemerkt hinein- und wieder herausschleichen zu können, und diesen Versuchen werden wir ab heute einen Riegel vorschieben. Lassen Sie sich gesagt sein, dass die Tür zur verbotenen Abteilung von diesem Tag an mit einem starken Bann belegt ist, welchen einzig unser neuer Bibliothekar aufheben kann. Ich rate Ihnen dringlichst davon ab, es selbst zu versuchen, denn eines kann ich Ihnen verraten: Die Folgen einer solchen Torheit möchte niemand von Ihnen am eigenen Leib spüren. Ausschließlich mit der schriftlichen Erlaubnis eines Lehrers ist es Ihnen gestattet, sich ein Buch aus dieser Abteilung auszuleihen, und ich hoffe, dass diese Warnung genug für Sie alle war. Und auch an diesem Tisch gibt es einige Neuerungen, wie einige von Ihnen sicherlich schon bemerkt haben werden. Nachdem Professor Gladsheim vor wenigen Wochen leider durch einen Unfall ums Leben kam, hat sich Professor Adamantius bereiterklärt, von nun an das Fach Alte Runen zu unterrichten.“ „Wer hat schon Alte Runen?“, gluckste ein jüngeres Slytherin-Mädchen seiner Tischnachbarin zu, wurde jedoch durch ein kräftiges Räuspern Greifensteins sofort zum Schweigen gebracht, woraufhin dieser seine Ankündigungen fortsetzte. „Dieser Wechsel hat zur Folge, dass Professor Adamantius leider nicht mehr in der Lage ist, zusätzlich noch den Unterricht in Pflege magischer Geschöpfe abzuhalten, weswegen Madam Crawford das Fach von nun an übernehmen wird.“ Diese Nachricht schien die Schüler schon um einiges mehr mitzunehmen, und auch Shawna wusste etwas mit all den Namen anzufangen. Sie selbst hatte Alte Runen zwar nicht belegt, doch hatte sie bereits in ihrem ersten Jahr Erfahrungen mit Professor Gladsheim gemacht, als dieser eine Tüte Süßigkeiten von ihr beschlagnahmt hatte, die ihr Bruder Euan ihr zuvor aus dem nahe gelegenen Dorf Hogsmeade mitgebracht hatte. Pflege magischer Geschöpfe hingegen gehörte zu ihren Wahlfächern, und auch sie fand es schade, dass Adamantius wechseln würde, denn er war immer sympathisch gewesen, und ein guter Lehrer noch dazu. Samantha Crawford hatte bisher als seine Assistentin gearbeitet, doch niemand konnte sagen, ob sie als richtige Lehrerin ebenfalls taugte. „Das letzte neue Gesicht an diesem Tisch ist, wie Sie sicher ebenfalls sehen, bisher noch nicht erschienen“, setzte Professor Greifenstein seine Rede fort, „Wie Ihnen ja bereits letztes Jahr angekündigt wurde, hat sich Professor Laurencine in seinen wohlverdienten Ruhestand zurückgezogen, und daher war es nötig, einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste einzustellen.“ In genau dem Moment, als Aurelius Greifenstein für einen Moment eine Atempause einlegte und Miranda ein forsches „Na jetzt bin ich aber mal gespannt“ geflüstert hatte, schwangen urplötzlich die Türen zur Großen Halle auf und es war, als würde ein eisiger Windzug durch den ganzen Raum fahren, so schnell wurde es wieder totenstill. Sämtliche Blicke waren auf den Eingang geheftet, in welchem man noch nichts weiter erkennen konnte als eine dunkle Gestalt, fest eingehüllt in einen schwarzen Reiseumhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)