Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Prolog: Mythos -------------- Kurze Begriffs - und Personenerklärungen findet ihr am Ende des Kapitels. --------------------------- Prolog - Mythos 4.Genki* (1573) – Provinz Echigo** Nishiyama Residenz Scharf blies der erste kalte Wind des Winters. Man roch schon den kommenden Schnee, der in den tiefhängenden grauen Wolken wohnte und nur ungeduldig darauf wartete, seine kurze Reise auf eines der alten Strohdächer, Bäume oder Steine zu beginnen. Ein langer und kalter Winter stand den Menschen von Echigo bevor. Doch sie waren an das erwartete, weiße Bild der umliegenden Landschaft schon seit Kindestagen gewohnt. Auch der Anblick der zurückkehrenden Krieger aus einer Schlacht, von einem langen Feldzug in die Ferne war nichts Außergewöhnliches und doch reihten sich die Menschen zu Dutzenden neugierig am Wegesrand, um ihre mutigen Krieger willkommen zu heißen. Dankbarkeit, Sorge, aber auch Trauer um die Gefallenen stand in den Gesichtern der Bauern. Junge Burschen blickten gespannt zu den tapferen Samurais, die keineswegs erschöpft wirkten. Viel eher sahen sie stolz aus. Stolz darauf, dass sie siegreich zurückkehrten und glücklich bald wieder ihre Kinder und Frauen in die Arme schließen durften. Das Heer umfasste nur ein paar berittene Samurais, hochrangige Krieger in prächtigen Rüstungen. Fußsoldaten, die den größeren Teil ausmachten, trugen Banner mit dem Wappen des Clans, für den sie dienten. Es war eine blaue Lotusblüte, umrahmt von einen zweilinigen Kreis. Die Menschen verbeugten sich, als ihr Herr auf seinem wunderschönen pechschwarzen Pferd, das den Namen „Schwarzer Lotus“ trug, an ihnen vorbei schritt. Er trug, wie es unter dem Schwertadel üblich war, mehrere und verschiedenen Kimonos aus feinem, dunkelblauen Brokat und eine weite Hose. Sie dienten als Polster für die schwere Rüstung. Die kräftigen Beinschienen waren aus Leder gefertigt und mit eisernen Bändern verstärkt. Seine Rüstung bestand aus kleinen, lackierten Stahlstreifen, die durch dicke blaue Seidenkordeln miteinander verbunden waren. Die Armschienen mit den Panzerhandschuhen bestanden aus einem Kettengeflecht und auf Tuch genähten Eisenstreifen. Die metallbeschlagenen Ärmel waren vergoldet, der Rumpfharnisch und das die Hüften schützende Panzerhemd aus Eisenlamellen gefertigt. Sein Helm mit dem breiten Nackenschutz, der weit über den Rücken und die Schultern herabfiel und kunstvoll auffällig mit seinem Wappen verziert war, trug er heute nicht. Dafür wallte langes schwarzes Haar, im Nacken zu einen Zopf gebunden, über seine rechte Schulter. Mit sich führte er ein langes Katana mit kostbaren Gravuren und schönen Einlegearbeiten und noch ein weiteres Kurzschwert, das Wakizashi. Er strahlte mehr als jeder andere seines Heeres Würde, Mut und Aufrichtigkeit aus. Denn er war ein Feldherr der von den Menschen seines Lehens geliebt wurde. Über die Lippen der Bauern kamen stets nur Worte wie 'Ehre', 'Höflichkeit', 'Güte', 'Wahrhaftigkeit' und 'Loyalität'. All jene Tugenden der Samurais, die der Leitfaden ihres selbstlosen Handelns waren. Und er war das Paradebeispiel eines sagenhaften Kriegers seiner durch Kämpfe und Schlachten geprägten Zeit, in der der Tod jederzeit alles beenden konnte. Dies war auch jedem einzelnen der heimkehrenden Krieger bewusst, denn vom ersten Tage an, als sie ihrem Herren die ewige Treue geschworen hatten, war ihr Leben nur noch eines unter vielen mutigen Männern, die ihren Schwur eines Tages wahr machen würden. Doch für heute waren die blutigen Kämpfe verstummt. Der Winter brach ein. Wann die nächste Schlacht kommen würde, wusste noch keiner. Vielleicht in einem Monat, oder in drei? Oder womöglich auch erst in einem Jahr. Es konnte auch schon in wenigen Tagen soweit sein. Dann hieß es wieder Abschied nehmen von der Familie. Die Menschen am Wegesrand jubelten. Junge, verlegene Mädchen hoben kurz ihren gesenkten Kopf und versuchten, den Mann auf dem schwarzen Pferd anzublicken, denn sein sagenhafter Ruf als Edelmann eilte ihm sogar bis in das weite Feindesland voraus. Es war nicht unüblich, dass andere 'Daimyos'*** versuchten, seine Treue zu gewinnen, ihn auf seine Seite zu ziehen. Sie boten ihm größere Lehen und Burgen. Sein strategisches Geschick war heiß begehrt unter den führenden Männern des Landes, doch egal womit sie ihn lockten, er lehnte stets dankend ab. Er brauchte diese sinnlosen Geschenke nicht. Sein kleines Reich und seine ergebenden Diener waren ihm genug. Sein Fürst, und damit auch höherstehender Herr war Uesugi Kenshin****, wie er bereits seit mehreren Jahren genannt wurde. Er hatte ihm die bedingungslose Treue geschworen, schon als er ein junger Knabe gewesen war. Nie würde er diesen Schwur brechen. Sein Leben und auch sein Tod gehörten nur ihm. Es gab nichts anderes, nichts Wichtigeres als seinem Herrn treu zu dienen und, wenn es sein musste, auch sein Leben für diesen zu opfern. So war es Brauch in seiner Familie, deren männliche Vorfahren immer dem führenden Kriegsherren seines Reiches gedient hatten. Doch es war nicht nur aufgrund dieser Pflicht, sondern vor allem auch, weil er davon überzeugt war, im Dienste Kenshins stets das Richtige und Gute zu tun. Fehlerfrei und perfekt sollte sein Leben sein, bis er eines Tages eines ehrenhaften Todes starb. „Herr!“, rief ein Vasall, der den zurückkehrenden Samurais eilig entgegenkam. Er war ein Kenin, was soviel wie 'Hausmänner' bedeutete. Er war ein Verwalter und Vasall, der in der Residenz seines Herren zurückblieb und diese vor möglichen Angriffen verteidigte, wenn jener mit seinem Heer in den Kampf zog. „Was ist?“, fragte der engste Begleiter, der ein braunes Pferd aus Kiso ritt. Auch er trug eine kostbare Rüstung, wenn auch nicht so aufwendig verziert wie die seines Anführers. Atemlos ließ sich der Vasall auf die Knie fallen, um seinem Herrn Respekt zu erweisen und weil es die Etikette so vorschrieb. „Ich habe etwas dringendes zu berichten.“ Das Oberhaupt des Heeres zügelte sein Pferd und blickte auf den Mann hinunter. Der starke Wind ließ das lange Haar über den dunklen Augen, die im Gegensatz zu seinem eigenen ruhigen Wesen gefährlich glänzten tanzen. „Sprich“, befahl er, wenn auch in einen etwas sanften Ton. Er pflegte, nie barsch mit seinen Vasallen zu reden, obgleich es ihm sein Vater und Lehrmeister anders beigebracht hatte. Aufgeregt nickte der Mann, dessen Kopf tief gesenkt war. „Wir haben gestern am Ufer des Seki Flusses einen verdächtigen Mann gefangen genommen.“ „Ein Nobunaga-Spion*****?“, fragte der Mann auf dem Kiso-Pferd besorgt. Der auf den Boden kauernde Vasall schüttelte mit dem Kopf. „Er will nicht sprechen. Er hat bisher kein einziges Wort gesprochen“, entgegnete er aufgeregt. Nachdenklich blickte der edle Mann in blauer Rüstung zu seiner Residenz, die sich nur wenige Meter von ihnen entfernt lag. Ihm war bereits klar, dass es sich bei dem Gefangenen auf keinen Fall um einen Spion Nobunagas handelte. Diese waren nie unachtsam und würden sich keines Falles einfach so gefangen nehmen lassen. Viele von ihnen waren geschickte Ninja. Man sah sie nicht, man hörte sie nicht. Sie waren gefährliche Spione, die man nie zu Gesicht bekam. Höchstwahrscheinlich war es nur ein verarmter Ronin******, der durch die Wälder streifte, nach einer neuen Aufgabe suchte und sich dann während einer unglücklichen Sekunde überraschen ließ. „Gut, bringt ihn zu mir“, murmelte der Anführer wenig interessiert. Denn sollte es sich tatsächlich nur um einen Ronin handeln, wie er stark annahm, war diese grundlose Aufregung weit übertrieben. Natürlich war stete Vorsicht und Achtsamkeit extrem wichtig. Denn so beliebt und begehrt er auch war, so wurde er von einigen Fürsten auch gehasst. Nicht selten hatten seine Feinde wichtige Schlachten aufgrund seines strategischen Geschickes verloren. Sein Kopf in einen zylinderförmigen Behälter war von vielen genauso stark gewollt wie der Tot seines Herrn Kenshin. Zwar befanden sie sich nicht direkt im Krieg mit Nobunaga, doch dieser hatte bereits das Ashikaga Shogunat zu Fall gebracht. Er hatte seine Augen auf die alleinige Macht in ganz Japan geworfen. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit bis seine Truppen auch in Echigo einmarschieren würden. „Jawohl.“ Der Mann erhob sich, verbeugte sich noch einmal und wollte zurück eilen, doch er zögerte kurz. „... aber ...“, murmelte er, mehr zu sich selbst. Dann blickte er zu seinen Herrn hinauf und informierte ihn über die Sache, die ihm unverständlich war. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber … dieser Gefangene ist sehr ungewöhnlich.“ Fragend sah der Herr seinen Diener an. Dieser schien tatsächlich äußerst verwirrt zu sein. Unsicher gruben sich seine Finger in seine Kleidung und er wagte es kaum, seinen Blick von dem edlen Samurai abzuwenden. „Was meinst du mit ungewöhnlich?“, bohrte der Heeresführer, nun schon etwas interessierter als vorher. „Sein Haar ... besteht aus... purem Gold.“ Die Verlegenheit des Dieners konnte man zwischen jedem gestotterten Wort heraushören. Er konnte es sich nicht erklären, hielt es selbst für unmöglich und doch hatte er es mit eigenen Augen gesehen. Es war seine Pflicht seinem Herrn davon zu berichten, so unwichtig diese Information für diesen auch sein mochte. „Gold?“, murmelte der Begleiter, der immer noch der festen Überzeugung war, dass sie es hier mit einem Spion ihres Feindes zu tun hatten. „Ich habe schon einmal von Menschen gehört, deren Haar golden ist. Sie kommen vom Meer, aus anderen Ländern. Sie haben braunes und helles Haar, wie Gold. Sehr ungewöhnlich aber auch trügerisch.“ Das Gerücht, dass Oda Nobunaga sich mit solchen Ausländern verbündet hatte und es schon genauso oft bestätigt wie auch abgestritten wurde, kannte sein Herr. Es war nicht nötig, ihn davon in Kenntnis zu setzen. Jeder wusste, dass man diesen Menschen nicht trauen konnte. „Bringt ihn zu mir“, befahl der Herr ohne den Bedenken, die er sehr wohl in den Worten seines Vertrauten herausgehört hatte, Beachtung zu schenken. Der Vasall verbeugte sich schnell und hastete zurück zur Residenz seines Herrn. „Goldenes Haar ...“, murmelte der Samurai mit den pechschwarzen langen Haaren, die im tosenden Wind tanzten. Sein Interesse an diesem mysteriösen Mann, den man am Vortag am Ufer der Flusses gefangen genommen hatte, war geweckt. Das Bild, das er von ihm hatte, passte nicht zu seiner Vorstellung eines Spions, genauso wenig wie zu einem Ausländer oder einem Ronin, geschweige denn zu einem ehrenhaften Samurai. Was war das für ein Mann? Er würde es herausfinden müssen, als Dienst an seinem Herrn und seinem Land, nicht weil er es selbst wissen wollte. Sein Wille stand immer an letzter Stelle. So war es sein Leben lang gewesen und so würde es auch in Zukunft sein. Denn er war ein treuergebener Diener eines großen Fürsten, der schon seinerzeit Geschichte geschrieben hatte. * Frühling 2001 Tokyo Es war ein, für diese Jahreszeit, viel zu heißer Tag in Tokio. Tropische Luft, glühende Straßen, unzählige Klimaanlagen von Autos, Büros, Wohnungen, Kaufhäusern und Restaurants bliesen schon Tag für Tag und Nacht für Nacht warme Luft auf die engen Straßen, die dort kaum irgendwo anders hin entweichen konnte. Der Himmel strahlte und Zikaden zirpten mit ohrenbetäubendem Lärm außerhalb der Betonwüste Tokios auf grünen Wiesen. Doch den modernen Japanern des 21. Jahrhunderts schien diese stechende Hitze kaum etwas auszumachen. Sie flüchteten nur den ganzen Tag von einer klimatisierten Zone zur nächsten. So war es zu ertragen, die Hitze, die sich in Beton, Asphalt und Zement gespeichert hatte. Manchmal jedoch war trotzdem ein stöhnendes „Heiß!“ zu hören. Wie auch an diesem Tag des Frühlingsmonats Mai, in einem dieser klimatisierten Gebäude mitten im Großstadtdschungel Tokios. „Ah, es ist so schrecklich heiß draußen“, murmelte ein kleiner, dicklicher Mann, der soeben das 20-stöckige Gebäude betreten hatte. Mit einen kleinen Fächer wedelte er sich immer noch Luft ins Gesicht, obwohl ihn die Temperaturen im Foyer eher frösteln lassen sollten. „Guten Morgen, Tayama-san!“ Ein sehr schlanker und großgewachsener junger Mann im elegant schwarzen Anzug kam ihm entgegen. Hinter ihm zwei weitere Männer, die mehrere große Schachteln trugen. „Ist er das?“, fragte Tayama-san sofort, als er die rechteckigen Behälter sah. Ihm wurde mit einen stolzen Ja geantwortet. Der dickliche Mann nickte zufrieden, während er mit einer schnellen Handbewegung darum bat, mit ihm zu kommen. Der Jüngere verbeugte sich höflich, bevor er seine Bewunderung für den im Job höher stehenden kundtat. „Dass Nishiyama-san tatsächlich die Erlaubnis erteilt hat, war praktisch ein Wunder. Sie sind der Erste, der ihn zu Gesicht bekommt und sogar damit arbeiten darf.“ Der Mann im schwarzen Anzug, blickte seinen Chef bewundernd an. Mal wieder hatte er seine Aufgabe auf interessante Art und Weise erledigt, was ihm natürlich große Anerkennung unter den jüngeren Mitarbeitern seiner Werbeagentur verschaffte. Tayama-san nickte nur, sein glückliches Grinsen hinter seinem Fächer versteckend. Schon seit Wochen hatte er sich auf diesen Tag gefreut. Seine hervorragende Arbeit war für die Firma das Sprungbrett nach ganz oben geworden. Er selbst war einfach nur unheimlich Stolz auf die geschaffte Arbeit, die heute ihren großartigen Höhepunkt erfahren würde. Vor einer Tür, nur wenige Meter vom Foyer entfernt blieben sie dann stehen. „Den Besitzer zu überzeugen, war nicht schwer“, meinte der Chef stolz. „Man musste ihn nur auf diesen jungen Mann stoßen.“ Er öffnete die Tür, trat mit seinen Mitarbeitern ein. Sie verbeugten sich höflich vor diesem besagten jungen Mann, der vor einem Spiegel sitzend frisiert wurde. „Warum gerade Hyde-san?“, wollte der junge Mitarbeiter wissen, nachdem er sich wie sein Chef allen Anwesenden vorgestellt hatte. „Weil er perfekt zur Beschreibung des Mannes passt, um den sich unzählige Sagen und Mythen ranken. Mythen, die man auch diesem Kimono zuordnen kann.“ Er deutete auf das hellblaue Gewand, das von seinen Mitarbeitern sorgfältig und mit größter Vorsicht aus den Schachteln geholt wurde. Zugegeben, es gab sicherlich abertausende Männer, die für diese Werbung in Frage gekommen wären. Doch die mythische Beschreibung des Mannes, dem dieses Gewand einmal gehört hatte, traf auf niemanden besser zu als auf den außergewöhnlichen Sänger der berühmten Rockband L'Arc~en~Ciel. Es passte einfach alles. Größe, Statur, Charakter, und sogar die für die damalige Zeit ungewöhnliche Haarfarbe. Dieser Kimono wirkte nur mit Hyde als sein Träger, davon war er überzeugt; und seit einigen Tagen auch der jetzige Besitzer, der plötzlich geradezu besessen von dieser Idee war. Seit er ein Foto des Sängers gesehen hatte. „Es sind seine Haare“, murmelte Tayama, während er eher abwesend zusah wie der Star frisiert wurde. „Man sagt wohl, sie waren aus Gold.“ Skeptisch runzelte der junge Mann neben ihm die Stirn. „Von so einer Geschichte habe ich noch nie gehört.“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Die Geschichte ist kaum bekannt. Nur unter wenigen verbreitet.“ Er selbst hatte erst vor kurzen durch Zufall davon gehört. Von einem alten Mann, der viele Geschichten kannte. Die meisten waren frei erfunden, doch unter ihnen existierte auch die eine oder andere Sage, die der Wahrheit entsprechen sollte. Wie zum Beispiel die Geschichte vom Samurai der Lotusblüte und dem Fremden mit dem goldenen Haar. Eine tragische Erzählung über zwei ungleiche Männer, deren Schicksale sich unerwartet ineinander verworren hatten. Die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die ein unergründliches Hindernis nicht überwinden konnte. Die zahlreichen Lücken, die sich in der Erzählung befanden, ließen viele bis ins Unermessliche spekulieren. Vielleicht lag in einer dieser Vermutungen die traurige Wahrheit, die sich im Laufe der Jahrhunderte mit anderen erfundenen Geschichten verwischt hatte. Niemand wusste genau, was passiert war und warum es so hatte enden müssen. In den Sagen war zuletzt nur überliefert, dass die Liebe zweier Menschen, denen es verboten war, gemeinsames Glück zu finden, die tragischste unter den Arten der Liebe war. ------------------- So das war der Anfang einer langen folgenden Story. Jedenfalls hab ich das so im Gefühl. ^^;;; Weitere Erklärungen könnt ihr im Weblog lesen, sobald ich diese fertig geschrieben habe. Ein kleiner Einblick in geschichtliche Hintergründe werdet ihr dort finden können, wenn ihr mögt. Ich hoffe es war nicht zu schwer mit den ganzen Begriffen, die mir sehr geläufig, aber jemanden der sich nicht so sehr mit japanischer Geschichte beschäftigt eher unbekannt sind. Ich habe versucht so weit alles zu erklären. Hoffe das ich nichts vergessen hab. Wenn ja, dann erkläre ich es nach dem nächsten Kapitel. Danke fürs lesen. ^_^ *#*#* Erläuterungen: * Genki japanische Epoche von 1570-1573 nach Eiroku (1558-1570) und vor Tenshō (1573-1592) ** Echigo historische Provinz heutiges Gebiet der Präfektur Niigata *** Daimyô Landesfürsten eines Gebietes und Lehnsherren der Samurai Über ihnen stand nur der Tennô und der Shôgun ***2 Shogun (Unterdrücker der Barbaren und großer General) war ein japanischer Militärtitel für Anführer aus dem Kriegeradel, der Samurai ***3 Tenno ist ein japanischer Herrscher- und Adelstitel, (Kaiser) Die Shogune übernahmen vom 12.-16. Jahrhundert praktisch die gesamte Regierungsgewalt, sie schafften das Amt des Tennō aber nicht ab, sondern behielten es bei, als Legitimation ihrer eigenen Rolle **** Uesugi Kenshin war ein Daimyo der japanischen Sengoku-Zeitt (1467-1568) ***** Oda Nobunaga war einer der stärksten Feldherren (大名 Daimyo) der Sengoku-Zeit. Er war der erste der sog. "Drei Reichseiniger", die dem zerstrittenen Land schließlich Frieden schenkten ****** Ronin verarmte Samurai oder solche, die ihre Stellung verloren hatten (z.B. Tot des Herren) und nun einen neuen Lehnsherrn suchten Kapitel 1: Unschuld ------------------- 1.Kapitel: Unschuld [Unberührter Schnee füllt mein leeres keusches Herz. Ahne unvertrauten Schmerz.] ---------------------------------------- „Wie alt ist dieser Kimono?“, murmelte Hyde fragend über die Schulter, während ihm das hellblaue Gewand umgelegt wurde. „... etwa 420 Jahre“, antwortete Tayama nach kurzer Überlegung. „Er stammt circa aus dem Jahre 1573.“ Hyde nickte, hob den linken Ärmel auf Augenhöhe und betrachtete den feinen Wollstoff und dessen graziles Muster. Die hellblaue Farbe verlief sich zum Saum in helles Braun. Rote Ahornblätter streuten sich von dort bis in den linken Ärmel. Auch der dunkelbraune schmale Obi, der ihm soeben angelegt und gebunden wurde, war mit einen detaillierten, eleganten Linienmuster versehen. „Man spürt regelrecht, wie alt und kostbar er ist“, flüsterte der Sänger erstaunt über die einzigartige Wirkung des Gewandes, die ihm nicht entgangen war. Tayama runzelte die Stirn, als er einen seltsamen Blick im Gesicht des Sängers bemerkt hatte. Er deutete ihn als Neugierde, ein Interesse, das vor knapp zehn Minuten nicht im Geringsten zu erahnen gewesen war. Als hätte er nur durch das Anlegen des Kimonos einen Hauch dieser durchaus traurigen Geschichte gespürt. Der füllige Mann nickte zustimmend, bevor er sich auf einen der Stühle vor dem Fenster niederließ und erstaunt feststellen musste, wie perfekt der charismatische Sänger das Bild der Erzählung ergänzte. Als hätte er ihn persönlich vor sich stehen, den Geliebten des in Vergessenheit geratenen Samurais, in Fleisch und Blut, gekleidet in den Kimono seiner Zeit. „Schon allein seine Geschichte ist unbezahlbar“, begann er, hoffend das er die Neugierde des Blonden weiter anregen konnte. „Geschichte?“ Interessiert drehte sich der Jüngere herum. Genauso wie Tayama es wollte. Es kam ihm regelrecht gelegen, dass der Sänger fragte, denn er tat es tatsächlich gern, stolz seine entdeckte Geschichte jedem weiterzuerzählen, der ihn danach fragte oder nur ein Fünkchen Interesse zeigte. Und was gab es schon Besseres, als eine Geschichte, die noch nie oder kaum erzählt wurde und doch so fesselnd wie ein gutes Buch war? Tayama grinste frech, was Hyde kaum bemerkte, denn dieser war nun bereits damit beschäftigt, sich prüfend im Spiegel zu betrachten. „Während meines letzten Urlaubes in Niigata habe ich einen alten Mann getroffen, der mir von der außergewöhnlichen Geschichte dieses Kimonos erzählt hat.“ Langsam erhob er sich wieder, trat auf Hyde zu und betrachtete ihn von den noch nackten Füßen bis zu seinen blonden Haaren, die bereits für den Werbespot zurechtgestylt waren. „Ein alter Mythos besagt, dass der Kimono einem Mann mit goldenen Haaren gehört hätte.“ Hyde ignorierte den zweideutigen Blick, der so anklagend wirkte, als hätte er irgendetwas mit dieser Geschichte zu tun. So etwas anzunehmen war ja schon die Absurdität in Person, es jedoch genauso auch rüberzubringen war schon fast unhöflich. „Goldene Haare? Sie meinen blondes Haar?“, fragte er ungerührt. „Sehr genau.“ „Aber das ist doch unmöglich.“ Hyde mochte es ganz und gar nicht, wenn man ihn für dumm verkaufen wollte. Was wollte dieser Mann ihm da für eine unmögliche Geschichte auftischen? Ein blonder Mann im 16. Jahrhundert? Und dieser sollte einen so kostbaren Kimono besessen haben? Das stank doch von vorne bis hinten nach erfundenem Schund; dabei hatte er den Älteren bisher immer für sehr intelligent gehalten. Tayama bemerkte die Zweifel, die in Hyde aufkamen. Genau so war es ihm selbst auch ergangen, als er davon gehört hatte, hätte es nicht diese eindeutigen Beweise gegeben, die jede Skepsis widerlegen konnten. „Das habe ich auch gesagt. Aber der Mann hatte mir sogar alte Schriften gezeigt. Briefe in denen es genau so beschrieben ist.“ Misstrauisch sah Hyde dem dicklichen Mann in die Augen. Dessen standhafter Blick verriet ihm, dass er es tatsächlich ernst meinte. Was der Sänger kaum glauben konnte. Seine Behauptung war einfach zu widersinnig. „Briefe? Von wem?“, wollte er wissen. Schließlich war es völlig egal ob Wahrheit oder erfunden. Er hatte nichts damit zu tun, außer dass er diesen Kimono für einen kurzen Werbespot tragen musste. In ein paar Wochen würde er diese Geschichte sowieso wieder vergessen haben, denn alte Sagen hatten ihn eigentlich nie wirklich interessiert. Sie waren so übertrieben und von unrealem Charakter. Romantisch und maßlos kitschig waren sie, aber das war es auch schon. Tayama blickte an die weiße Decke des großen Raumes. Dann fuhr er sich mit einem Finger über die rechte Augenbraue und tat so als müsste er kurz überlegen. „Briefe von einem einflussreichen Samurai. Er hieß Nishiyama, ein Vorfahre des alten Mannes. Sein Clan-Banner war eine blaue Lotusblüte. Er schrieb Briefe an einen Mann mit goldenem Haar. Dessen Name ist nicht bekannt, doch man sagt, dass die beiden hinter dem Rücken Kenshins, der Fürst Nishiyamas, der den Fremden als Spion ansah, eine heimliche Liebesbeziehung hatten. “ Nachdenklich hatte Hyde dem Erzählten zugehört. Er fand die Existenz eines blonden Mannes während des japanischen Mittelalters zwar immer noch absurd, jedoch konnte es gut möglich sein, dass die Geschichte drumherum der Wahrheit entsprach. Liebeleien zwischen Samurais war nichts Ungewöhnliches, sondern genossen zu jener Zeit hohes Ansehen und waren weit verbreitet. Dieser Mann mit den goldenen Haar, wie er von Tayama beschrieben wurde, konnte auch ein ganz normaler Krieger aus dem verfeindeten Lager gewesen sein. Eine normale unglückliche Liebe, wie es sie zuhauf gab, weiter nichts. „Was wurde aus den beiden?“, hakte Hyde nach, als Tayama keine Anstalten machte fortzufahren. „Das weiß niemand. Plötzlich verschwand der Fremde. Leute sagen, er hätte sich aus Verzweiflung im Seki Fluss ertränkt, andere meinen, er wäre einfach wieder zurück ins Ausland geflohen, dorthin, wo er wohl auch herkam.“ „Und der Samurai?“ fragte Hyde grübelnd. „Er ….“ Tayama wurde von seinem jüngeren Kollegen unterbrochen, der zur Tür hereinkam und seinen Chef und den Sänger über den baldigen Beginn des Drehs informieren wollte. Hyde nickte, obwohl seine Gedanken tief in dieser Geschichte vertieft waren. Seine Augen starrten auf den hellblauen Stoff, den er an seine, Körper trug. „Könnte ich kurz allein sein?“, murmelte er überraschend, nachdem er sich an die Stirn fasste. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn auf einmal. Eine seltsame Verbundenheit, eine tiefe Empfindung, die er nicht beschreiben konnte. „Also gut“, meinte Tayama obwohl ihm Hydes sonderbares Verhalten Sorgen machte. Wie Tayama zusammen mit seinem Kollegen brummend den Raum verließ und die schwere Tür hinter sich schloss, nahm Hyde nicht mehr wahr, so tief war er bereits im Sumpf seiner Gedanken versunken. Was war wirklich mit dem Fremden passiert? Hatte er sich umgebracht, wie die meisten glaubten? War seine Verzweiflung tatsächlich so groß gewesen, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah? All diese Fragen schwirrten wie Fliegenschwaden in seinen Kopf herum. Und der Samurai, was war mit ihm geschehen? Tayama hatte nicht erwähnt, was aus ihm geworden war. Hyde wollte zur Tür laufen und ihn bitten zurückzukommen, doch etwas stoppte ihn. Er sah an sich hinunter, die kurzen Ärmel des Kimonos flatterten, als würde Sturm herrschen. Doch seltsam fand er es nicht, denn er selbst fühlte sich auch eigenartig. Versank er in einen Traum? Vorsichtig strich er mit seinen Fingern über den Stoff. Die traurige Geschichte, die dieser Kimono in sich trug, beschäftigte ihn doch mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Es war, als könnte man regelrecht spüren, welche Schmerzen der damalige Träger hatte erleiden müssen. Eine verbotene Liebe, verfolgt und geächtet. Eine von tausend tragischen Begebenheiten, die sich zu jener Zeit abgespielt hatten. Paare, die durch Zwangsverheiratungen getrennt wurden, Verbundeinheiten, die durch Intrigen nicht einmal zu Stande kommen konnten. Alles nur, um Macht und Einfluss zu gewinnen. Menschen waren Marionetten der Fürsten, denen die Gefühle anderer egal waren. Sie ließen es über sich ergehen, da sie ihren Herren treu ergeben waren. Und diese Treue hatte im mittelalterlichen Japan größeren Stellenwert als wahre und bedingungslose Liebe. Wie anscheinend auch im Falle dieses Kimonoträgers. Auch ohne die gesamte Geschichte zu kennen, konnte man erahnen, was wohl vorgefallen war. Hyde, dem es unerklärlich war, weshalb ihm diese Erzählung doch so nah ging, seufzte, bevor der Name des unbekannten Samurais über seine Lippen kam: „Kagegaku Nishiyama.“ Kaum hatte er ihn ausgesprochen, runzelte er fragend die Stirn. Woher kannte er den vollen Namen? Er war ihm einfach in den Sinn gekommen, ohne, dass er sich erklären konnte, wieso. Noch nie hatte er von diesen seltsamen Mythos gehört. In keinem Geschichtsbuch war der Name niedergeschrieben. Als wäre er für unwichtig erklärt worden. Als würde er nur für seine Nachfahren existieren, denen nicht viel daran lag, diese Geschichte publik zu machen, sondern sie viel eher wie ein romantisches Märchen weiterzuerzählen. Wie von magischer Hand gelenkt ertastete er die gestickten Ahornblätter. Er dachte an den Fremden mit den scheinbar blonden Haaren, an sein Verschwinden, an die Liebe, die er für den Samurai empfunden haben musste. Undefinierbare Bilder schossen ihm in den Kopf, bis ihm eine Jahreszahl vor Augen erschien. Er flüsterte sie leise. „1573.“ Hydes Hände fühlten Wärme, als würde das Rot in den gestickten Blättern brennen. Skeptisch betrachtete er das Muster, dessen Farben nun stärker zu leuchten schienen. Trauer überfiel ihm. Unerklärliche Gefühle, die mit einem Mal in sein Herz strömten. Sie schnürten ihm die Luft ab, die Hitze in seinen Fingern verbreitete sich langsam in seinen ganzen Körper. Das Gewand fühlte sich schwerer an, als hätte man Tausende kleine Steinchen zwischen die Stofflagen genäht, während der schmale Obi sich so fest um seine Hüften schnürte, dass er zu Boden sank. Und plötzlich fühlte er sich seltsam schwindelig und unendlich müde. Er versuchte den Obi zu lösen, doch es schien, als wäre dieser mit dem Kimono vernäht worden. Er wollte um Hilfe rufen, doch über seine Lippen kam nur noch ein lautloses Seufzen. Seine Augen sahen auch nichts mehr als dunklen Rauch. Was passierte hier? Die erstickenden Gefühle, die ihm Tränen in die Augen trieben, schmerzten ins Unermessliche. Als würde sein Herz aus Trauer um eine verlorene Liebe zerspringen wollen. Er atmete stoßweise, sank immer mehr zu Boden, bis er das Bewusstsein verlor. Das Letzte was Hyde sah, waren tiefdunkle Augen, die ihn liebevoll ansahen. Sie waren ihm fremd und doch irgendwie auch sehr bekannt. Und schlagartig fühlte er sich geborgen und sicher, kein Schmerz mehr, sondern nur noch ein warmes Gefühl, das so wundervoll war, dass er am liebsten gar nicht mehr aufwachen wollte. Er fühlte sich leicht, in der Luft schwebend, umarmt von weißem Rauch, bis er außer Leere nichts mehr spürte. * Eiskalter Wind fegte durch sein Haar, unter seinen Fingern spürte er hartes Gestein. Seine Füße waren nass und froren, während es in seinem Kopf hämmerte, als würde man alle zwei Sekunden mit einem Hammer dagegenschlagen. Den stechenden Schmerz in seinen Armen und Beinen spürte er, obwohl er sich nicht bewegte. Gefühlte Qualen, als wäre er unzählige Kilometer gelaufen, Tag und Nacht, ohne zu rasten und ohne Rücksicht auf seinen Körper zu nehmen. Die müden Augen ließen sich nur schwer öffnen und doch zwang er sie dazu. Zaghaft blinzelte er. Er erblickte Steine, hörte rauschendes Wasser. Grelles Sonnenlicht, das sich im Wasser reflektierte, schien ihm in die brennenden Augen. Es herrschte eine seltsame Stille, die nur durch das ständige Pfeifen des Windes gestört wurde. Eine Ruhe wie man sie nie in Tokio erleben könnte. Und er fragte sich zum ersten Mal, was überhaupt passiert war. Er lag mit dem Bauch auf dem Boden, sein Gesicht ruhte auf einem größeren Stein, als hätte man seinen Körper mit Vorsicht genau dort platziert. Seine Hände, die er langsam zu seinem Kopf führte, um festzustellen ob er verletzt war, waren von Schmutz ganz schwarz. Dass es kein Traum war, war ihm in Anbetracht der erheblichen Schmerzen und der feuchten Kälte sofort bewusst. Doch wie war er hierher geraten? Mit Mühe versuchte er, sich nach oben zu ziehen. Obwohl er kaum die Kraft dazu hatte, schaffte er es in eine sitzende Position. Seine nackten Füße lagen im kalten Wasser eines Flusses, auch der Kimono war vom feuchten Boden völlig durchnässt. Die frostige Kälte legte sich über seinen ganzen Körper, während er sich über den plötzlichen Wintereinbruch nur wenig wunderte. Er legte die Arme um seine Brust, winkelte seine zitternden Beine an, wollte sich aufwärmen, doch der klamme Kimono klebte an ihm wie eine zweite kalte Haut. Als er sich umsah und sich abermals fragte, wo er war und wie er hierher gekommen war, überfiel ihn plötzlich ein starker Schmerz in der Brust. Das Hämmern in seinen Kopf wurde stärker, das Atmen schwerer und sein Körper fühlte sich wieder so unglaublich schwer an. Er krümmte sich, packte sich mit den Händen an die Brust, als drohe er auseinanderzureißen. Dann kamen wieder diese Bilder, die ihm fremd waren. Er sah Menschen, die er nicht kannte, Orte, die er noch nie zuvor gesehen hatte, wie hinter einem Schleier, verschwommen und grau. Er hörte laute Schritte. Ein Klirren, als würde Metall aufeinander geraten. Jemand kam auf ihn zu. Es waren wohl mehr als zwei. Sie hörten sich aufgeregt an. Sie schrien ihn an, stellten ihm fragen, doch sein Kopf dröhnte. Er verstand nur Wortfetzen. Er fasste sich an die Stirn, schloss die Augen, die ohnehin nichts sahen, und stöhnte leiderfüllt. Einer der Männer packte ihn plötzlich an der Schulter, zog ihn auf die schwachen Beine, doch er brach unter den starken Schmerzen einfach wieder zusammen. Dann wurde er von zwei anderen erneut nach oben gezogen. Sie stützten ihn und zogen ihn mit sich. Wohin, konnte er nicht sagen. Alles was er ab und zu mit seinem verschleierten Blick sehen konnte, waren Bäume, alte sandige Wege und Männer, die in alten Rüstungen steckten. Nichts, was ihm bekannt vor kam, als wäre er in eine andere, surreale Welt getaucht. Als würde er einfach nur wahnwitzig träumen. Seine Füße, die wegen der Kälte anscheinend schon erfroren waren, spürten nicht mehr, wie sie über den Boden geschleift wurden und blutige Schrammen mitnahmen. Die lauten Stimmen der Männer, die immer wieder versuchten, ihm Fragen aufzuzwängen, und das Klirren der mit Metallspangen besetzte Beinschienen und Rüstungen, war eine neuartige Folter für den Sänger. Selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, auf diese Fragen zu antworten, hätte er es nicht getan. Warum, das wusste er selbst nicht. Es war, als wäre er schon ein Teil dieses seltsamen Spiels geworden. Als wüsste er, wie er zu reagieren hatte. Mit jedem neuen Schub, der größere Schmerzen brachte, wurde ihm unerklärlicherweise alles klarer. Ein befremdliches Wissen, das ihm regelrecht eingehämmert wurde. Und zwischen diesen Erkenntnissen erschien immer wieder ein Name: Nishiyama. Er wurde auch ständig von den Männern verwendet, die anscheinend großen Respekt vor diesem Mann hatten. Er erinnerte sich an das kurze Gespräch, das er vor gefühlten zwanzig Minuten mit Tayama gehabt hatte. In einem dieser hohen Gebäude mitten in Tokio. Nishiyama war ein Samurai des 16. Jahrhunderts. Wie konnte es möglich sein, dass er auf den Weg zu dessen Residenz war, wie er schon des öfteren aus den Gesprächen der Männer herausgehört hatte? Eines war ihm auf jeden Fall klar: Er war in die Vergangenheit gereist. So merkwürdig es auch klingen mochte, doch die mehr als 400 Jahre waren unbestrittener Fakt. Er wusste es. Aber warum wusste er es? Niemand hatte es ihm gesagt. Doch warum und wie war, ihm trotzdem schleierhaft geblieben. Etwa eine halbe Stunde waren sie gelaufen, dann erreichten sie Gebäude. „Wer ist das?“, fragte ein Krieger, der durch ein großes Torhaus kam, vor dem sie kurz stehen geblieben waren. Er trug eine Schwertlanze 'Naginata' und bewachte die Straße, die zur Residenz seines Herrn führte. „Keine Ahnung. Bisher konnte wir ihm kein Wort entlocken.“ „Wir haben ihn am Fluss gefunden. Es könnte sich um einen Spion handeln“, räumte ein anderer ein, der hinter ihnen stand. „Bringt ihn rein. Die Truppe wird wohl morgen hier eintreffen.“ Die Männer nickten und befolgten den Befehl ihres Kameraden. Er wurde in einen Hof gezogen. Mehr Männer kamen auf sie zu und stellten noch mehr Fragen, die jedoch weniger an den Fremden gerichtet waren, sondern eher an die, die diesen gefunden hatten. Hyde versuchte sich derweil umzusehen. Er sah eine Veranda, von der aus man in Räume hinter Schiebetüren aus Shoji-Papier * gelangen konnte. Er jedoch wurde in einen hinteren Teil des Hofes gebracht. Wahrscheinlich für die vielen Vasallen und Bediensteten. Und in seinem Fall auch für Verdächtige und Gefangene. Der Raum, in den er dann regelrecht geschoben wurde und der sich ebenfalls von einer Schiebetür zum Korridor abtrennte, wurde von zwei Männern bewacht. Hinter den mit Papier bespannten Türen sah er die Schatten der Krieger mit ihren Katanas, wie er es bereits in zahlreichen alten Filmen gesehen hatte. Nur war dies kein Film, sondern spürbare Realität, die bei vielen anderen nur Angst und Panik hervorgerufen hätte. Doch Hyde war bemerkenswert ruhig geblieben. Von dem Moment an, als er wusste, dass dies nicht das Tokio des 21. Jahrhunderts, sondern eine historische Provinz des nördlichen Zentraljapan war. Auch die Schmerzen, die er am ganzen Körper gespürt hatte, waren von jenem Moment an wie ausgelöscht. Einzig und allein die zerkratzen Füße, die nach wie vor unter der gebliebenen Kälte froren, ließen ihn etwas leiden. Obwohl er nicht wusste, wie er sich in diese prekäre Situation gebracht hatte und wie es nun weitergehen würde, verspürte er nicht, wie ihn Verzweiflung überkam, was ihn selbst wunderte. Nein, es war viel eher so, als wüsste er, dass seine merkwürdige Reise so etwas wie Schicksal war, obwohl er noch nie an so etwas geglaubt hatte. Alles, was er von nun an tun musste, war herauszufinden, wie er zurück kehren konnte. Würde ihm das gelingen, war er auch in der Lage, den Grund für all das hier zu erfahren. Langsam trat er in die Mitte des in Dämmerlicht getauchten Raumes. Es gab keine Fenster, keine Möbel. Es war ein völlig leerer Raum. Doch zu seiner Verwunderung spürte er weiche Tatami-Matten, die sich in Anbetracht der erlittenen Fußschmerzen wie flaumige Decken anfühlten, unter seinen Füßen. Er kniete sich nieder, fuhr mit seinen Händen über die Matte aus Reisstroh. Endlich herrschte angenehme Stille. Keine lauten Stimmen mehr, keine lästigen Fragen. Die Ruhe machte ihn müde, doch seine Gedanken ließen ihn nicht rasten. Sie würden ihm wieder Fragen stellen. Immer und immer wieder, bis er eine Antwort gab. Doch was sollte er sagen? Er war ein Sänger aus Tokio, einer Stadt die im 16. Jahrhundert noch nicht einmal diesen Namen trug. ** Er war in die Vergangenheit gereist. Irgendwie und warum gerade hierher, konnte er auch nicht sagen. Niemand würde den Sinn seiner Worte verstehen können. Sie würden ihn für einen Dämon halten und aus Angst töten. Er besaß ja nichts außer dem klammen Kimono, den er an seinem Körper trug. Was sollte er sich also für eine Geschichte ausdenken? Würde man ihm überhaupt glauben? Er wusste nicht einmal, wie er sich verhalten sollte ohne auffällig zu wirken. Ganz davon abgesehen, dass allein schon seine Haarfarbe Misstrauen verursacht hatte. Jedem, dem sie auf dem Weg hierher begegnet waren, konnte man die Verwunderung förmlich in den gestotterten Worten heraushören. Einige waren trotzdem mutig genug gewesen, das seltsame Haar zu berühren, nur um daraufhin erschrocken zurückzuweichen, da es sich doch nicht wie Gold anfühlte, wie andere spöttisch behauptet hatten. Hyde seufzte. Hätte er doch nur nicht diese Haarfarbe gewählt, dann wäre einiges viel einfacher zu lösen. Er fuhr sich durch die zerzausten Haare, blickte seine schmutzigen Hände an, bevor er seine Augen vor Müdigkeit schloss. Er lauschte dem pfeifenden Wind, der ihm unsägliche Ruhe schenkte, und ließ erst einmal ein paar gedankenlose Minuten verstreichen. * Am frühen Abend des nächsten Tages herrschte reges Treiben. Wie ein Lauffeuer hatte sich die freudige Neuigkeit des zurückkehrenden Klanführers und seiner tapferen Truppe verbreitet, was den Frauen ein erleichtertes Lächeln ins Gesicht zauberte und die Vasallen zufrieden wie auch stolz machte. Ihr Herr war wieder einmal siegreich gewesen. Sein Geschick hatte sie erneut vor Belagerungen und Plünderung bewahrt. Sobald er angekommen war, würde er zum großen Fürsten Kenshin geladen werden, damit er für seine Bemühungen eine rechtmäßige Belohnung erhielt. Seien es Geschenke oder auch neues Land, die Großzügigkeit des Daiymos kannte keine Grenzen. Alles war in Aufruhr. Die Menschen hatten sich an die Straße, gedrängt um ihre Männer zu begrüßen. Die Rufe der freudigen Menschen konnte Hyde sogar bis in seinen dunklen Raum hören. Mit angewinkelten Beinen saß er, seinen Kopf an die Wand gegenüber der Schiebetür anlehnend, im leeren Raum und beobachtete die vorbeihuschenden Schatten hinter der Shoji-Tür. Was diese Aufregung zu bedeuten hatte, war ihm sehr wohl bewusst. Die Person, die hier das Sagen hatte, würde in wenigen Stunden eintreffen. Die Auffindung eines mögliches Spions würde die Runde machen und dann würde die Audienz, die alles zu entscheiden hatte, folgen. Es wurde allmählich Zeit, dass ihm etwas einfiel. Die ganze Nacht hatte er sich darüber den Kopf zerbrochen, was er tun sollte. Die Wahrheit oder ein Schauspiel? Welcher Weg wäre in seiner Lage der sicherere? Und welcher würde ihn gleichzeitig zur Lösung seines Problems führen? Und dann war da noch die Geschichte von Tayama über den blonden Mann und dessen Kimono. Eine Story, die er für völlig unmöglich gehalten hatte, doch jetzt, nachdem er Stunde für Stunde die Zeit zum Nachzudenken gehabt hatte, erschien ihm alles in einen komplett anderen Licht. Dieser Fremde mit den blonden Haar war zweifelsohne er selbst. Es war möglich, da er vom 21. Jahrhundert in die Vergangenheit gereist war. Doch was war mit dem Gerücht, dass er mit dem Klanführer eine Liebesbeziehung hatte? Frei erfunden von hoffnungslosen Romantikern, die im Erscheinen seines außergewöhnlichen Äußeren ein Zeichen sahen und sich darin berufen fühlten, etwas Malerisches hinzu zu dichten? Angesichts der Tatsache, dass er noch nie tiefere Gefühle für einen Mann hatte empfinden können, lag es doch klar auf der Hand, dass in diesem Mythos kein Wahrheitsgehalt zu finden war. Eine Lüge, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Säße er nicht gerade in einem von Kriegern bewachten Raum einer Samurairesidenz des 16. Jahrhunderts, würde er darüber einfach nur haltlos lachen und weiter zur Arbeit schreiten. Doch sich weiter über diesen Blödsinn Gedanken zu machen war reine Zeitverschwendung. Er musste von hier verschwinden, zurück in seine Zeit. Je eher, desto besser. Zugegeben, seine momentane Lage war nicht wirklich die schlechteste. Untergebene Kenshins waren als nicht sehr grausam bekannt. Sie waren Krieger, die ehrenhaft handelten, selbst ihren Feinden gegenüber. Solange ihm also eine gute Ausrede einfiel und er das Vertrauen dieses Nishiyamas gewann, konnte ihm nur wenig passieren, es sei denn, all jene Geschichten und niedergeschrieben Fakten in unzähligen Geschichtsbüchern waren genauso erstunken und erlogen wie seine heiße Liaison mit einen Samurai. War dem tatsächlich so, dann war dies die letzte Nacht, die er erlebt hatte. Nervös fuhr Hyde sich mit den Fingern durch sein Haar. Seit er hier war, wurde er bis zur jetzigen Stunde mit zuvorkommendem Respekt behandelt. Man hatte ihm neue Kleidung gegeben, einen schmucklosen und weniger kostbaren, hellbraunen Kimono. Auch um seine Fußverletzungen hatte man sich gekümmert, genauso wie man ihm zu essen und trinken gegeben hatte und die Möglichkeit sich zu waschen. Stünden die beiden mit tödlich scharfen Katanas bewaffneten Wachen nicht vor seiner Tür, hätte man glauben können, er wäre ein willkommener Gast statt ein merkwürdiger Gefangener. Doch auch das musste nichts heißen. Solange er nicht mit Nishiyama gesprochen hatte, war über sein Schicksal nicht entschieden. „Unser Herr will Euch sprechen.“ Hyde schreckte aus seinen Gedanken heraus. Einer der Männer, die ihm am Vortag hergetragen hatten, stand an der offenen Schiebetür. Starr blickte dieser auf den blonden Fremden, der in seinen Augen gerade mit der Angst kämpfte. Doch eigentlich war es keine Furcht die Hyde verspürte, sondern eher Unbehagen und Ratlosigkeit. Die Stunden waren verflogen, als wären es nur Minuten gewesen, ohne dass sich ihm ein Fluchtweg aufgetan hatte. Und nun war keine Zeit mehr. Selbst für ein Stoßgebet an die Götter war es zu spät. Seufzend erhob sich der Sänger und ließ sich von seinen Bewachern einen langen Korridor entlangführen. Sie kamen an einem Garten vorbei, umzäunt von einer Veranda, wie er sie am Vortag bereits gesehen hatte. Ein großer Baum schmückte das Herz des kleinen, natürlichen Idylls mitten in einem von kriegerischen Männern bewohnten Haus. Obwohl Winter herrschte und Pflanzen sowie Bäume in ihrem Schlaf versunken waren, konnte Hyde sich bestens vorstellen, wie wunderbar friedlich und verträumt es hier im Frühling und Sommer sein musste. Er hörte förmlich die zwitschernden Vögel und den warmen Wind, der durch die Blätter strich. Gerade als er seinen Blick von dieser Schönheit abwenden wollte, legte sich eine winzige Schneeflocke auf seine Schulter, als würde sie beweisen wollen, wie makellos auch ihr weißes Kleid war. Hyde schaute in den Himmel, als immer mehr von diesen herrlichen Eiskristallen in den Garten niederrieselten. Er hatte schon einige Male den ersten Schnee des Jahres miterlebt, doch dieses Mal spürte er etwas Magisches, immer wenn sich kalte Flocken auf seine ebenso kalte Haut legten. Wie ein Hoffnungsschimmer oder Wegweiser. „Weiter“, kam es vom Mann hinter ihm. Dass er auf Grund dieser weißen Pracht stehen geblieben war, hatte er nicht bemerkt. Natürlich tat er sofort, was ihm befohlen wurde. Er trat in den großen Raum gegenüber des Gartens und kniete nieder. Man sagte ihm, dass er seinen Kopf verneigen sollte, bis man ihm etwas anderes verordnete. Auch das tat er. Er neigte sich mit dem Oberkörper nach unten, die Hände flach auf dem Boden, wie er es im Fernsehen schon so oft gesehen hatte. Kurz danach hörte er Schritte und das Rascheln von feinem Stoff. „Ich bin Nishiyama Kagegaku.“ Die klare Männerstimme ertönte keine zehn Sekunden später und Hyde spürte sofort, wie ihm plötzlich das Herz fest gegen die Brust schlug. War es doch Angst oder Ehrfurcht einem echten Samurai gegenüberzustehen Schließlich war dies kein Ereignis, das man jeden Tag hatte. „Wer seid Ihr?“, fragte der Krieger schließlich und dem Blonden wurde im Hinblick auf eine nicht vorhandene Antwort ganz schlecht. Seinen wahren Namen wollte er nicht nennen. Denn der Gedanke, dass sein Künstler oder Familienname im Zusammenhang eines seltsamen Fremden während der Sengokuzeit mündlich weitergetragen wurde, gefiel ihm ganz und gar nicht. Es blieb also nur ein ausgedachter Name. „Hidetori“, murmelte er, ohne dass er lange darüber nachdenken musste. „Und weiter?“ Nervös musterte Hyde das Geflecht aus Reisstroh, auf dem er kniete. Obwohl er den Samurai nicht ansah, konnte er spüren, wie dieser ungeduldig auf eine Antwort wartete. Ihm schwirrten Namen vor Augen, von Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen und Leuten aus dem Fernsehen, doch über seine Lippen huschte unerklärlicherweise nur der dümmste Gedanke: „Toshiba“. Unglaublich, nun besaß er den Namen eines internationalen Technologiekonzerns und niemand runzelte darüber die Stirn. Sie nahmen ihn einfach so hin, wie er vom Fremden angegeben wurde. Aber warum sollten sie sich auch darüber wundern? Keiner der hier anwesenden, außer er selbst, würde jemals erfahren woher sein Name wirklich stammte. „Warum wart Ihr am Fluß? Niemand aus dem Dorf kennt Euch. Wo kommt Ihr her?“ Damit war genau der Punkt getroffen, der für Hyde selbst ungeklärt war. Warum? Ja warum war er dort? Einfach nur mit den Schultern zucken war wohl unangebracht, also versuchte er es mit einer Lüge. „Ich bin ein einfacher Bauer aus dem Nachbargebiet, der sein Hab und Gut verloren hat und nach einem neuen Zuhause sucht.“ Eine dumme Antwort, wie er sich Sekunden danach selbst eingestehen musste. „Wenn Ihr vorhabt, mich weiterhin anzulügen, dann wird dies meine letzte Frage an Euch gewesen sein.“ Diese eindeutige Warnung seitens Nishiyama war kaum misszuverstehen. Hyde zuckte, als ihm klar wurde, dass seine sofort aufgedeckte Lüge Misstrauen beim Klansführer verursacht hatte. Das denkbar Schlechteste, was ihm passieren konnte. „Ein armer Bauer wäre niemals im Besitz eines so wertvollen Kimonos.“ Das stimmte und er hätte sich selbst gern für diese unüberlegte Lüge geohrfeigt. Er hatte diesen Kimono fast vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn, so sagte man und es traf wirklich zu. „Nun sagt mir, wer Ihr seid“, kam es nachdrücklich, doch Hyde blieb still. Er hörte wie um ihn herum getuschelt wurde. Worte wie 'Spion', 'Feind' und 'enthaupten' fielen, doch auf keinen dieser mehr oder weniger ernsten Vorschläge seiner Ratgeber wurde eingegangen. Dann war da wieder das näherkommende Geräusch von raschelnder Stoff. „Hebt Euer Gesicht“, befahl Nishiyama und Hyde befolgte, wenn auch zögerlich. Sein Blick fiel auf den dunkelblauen Stoff eines edlen Hakamas***, der sich um nackte Füße spielte. Er kniete direkt vor ihm, den rechten Arm auf sein angewinkeltes Bein gelegt. Hyde erkannte die außergewöhnliche Präsenz dieses Mannes noch bevor er ihm ins Gesicht gesehen hatte. Er spürte ein seltsames Kribbeln, seit ihr Abstand nur noch wenige Zentimeter betrug. Und immer wenn er seine tiefe und doch klare stimme hörte, war es, als wurde ihm mit Fäusten gegen die Brust geschlagen. Sein Herz schlug wie verrückt, ihm wurde heiß und ein Zittern legte sich in seine Finger. Während einer kurzen Sekunde des Mutes, blickte er empor und sah direkt in das Gesicht des Samurais. Seine Verwunderung über das unerwartete Erscheinungsbild dieses kriegerischen Mannes konnte er kaum verbergen. Er runzelte die Stirn und ließ seinen Blick wandern. Lange schwarze Haare, die im Nacken zu einen Zopf gebunden waren, lagen über breite Schultern. Er trug einen weißen Kimono, darüber der blaue, an der Taille festgebundene Hakama. Das Gesicht war nicht das eines barbarischen Kriegers, im Gegenteil, es war so feinzügig, dass man ihn auch mit einer Frau hätte verwechseln können. Seine weiße Haut erzielte mit den pechschwarzen Haaren einen fast schon berauschenden Kontrast. Die vollen Lippen waren sinnlich und in Zusammenhang mit seiner Stimme als erotische Waffe einsetzbar, die vor allem bei Frauen große Wirkung erzielen musste. Einzelne lange Strähnen verdeckten nur geringfügig die wunderschönen, dunklen Augen, die Hyde regelrecht fesselten. Im starren Blick des Kriegers schwang Verwunderung und überraschter Zorn, vielleicht aber auch Verwirrung. Gefühle, die der Sänger nicht zu hundert Prozent deuten konnte, denn seine eigenen Empfindungen machten ihm gerade einen Strich durch die Rechnung. Er spürte eine Anziehung, die zwischen ihnen herrschte, eine Vertrautheit, die er sich nicht erklären konnte. Und es war, als konnte es auch der Samurai spüren. Seine Lippen zuckten, als wollte er etwas sagen, doch er stand auf und verließ den Raum; zur Verwunderung seiner Berater, ohne einen Befehl über den Fremden zu erteilen. Es war eine wortwörtliche Flucht, die den Blonden erstaunt hätte, wäre da nicht dieser kurze Augenblick der Verbundenheit gewesen, die anscheinend nicht nur für ihn, sondern auch den Langhaarigen etwas völlig Neues war. * Seine Füße trugen ihn schnell über das glatte Holz des Verandabodens. Mehrere Vasallen waren ihn gefolgt, wie sie es immer taten. Egal wo er war, sie waren seine Schatten, die ihn vor hinterhältigen Angriffen beschützen sollen. Lautlos schlichen sie ihm hinterher und knieten sich nieder als er Halt machte. „Lasst mich allein“, kam es ruppig über seine Lippen. Ohne zu widersprechen verbeugten sie sich und ließen das Oberhaupt allein, jedoch nicht außer Sicht- und Hörweite. Sie mussten in der Lage sein, schnell zu handeln, wenn ihr Herr Opfer eines Übergriffes werden sollte. Nishiyama fasste sich wütend über sein merkwürdiges Verhalten an die Stirn. Selten hatten ihn seine Gefühle, die er sonst hervorragend unterdrücken konnte, zu einer so unüberlegten Impulshandlung getrieben. Ihm schwebten bereits diverse Fragen seiner treuen Berater vor Augen. Und er wusste selbst noch nicht einmal, was in ihn gefahren war. Er hatte seine Glaubwürdigkeit in dem Moment verloren, als er so schamlos geflüchtet war. Und nun befand er sich in einer beinahe aussichtslosen Situation. Er wusste nicht, was er mit dem sonderbaren Mann mit der noch eigenartigeren Haarfarbe anstellen sollte. Als sich ihre Blicke getroffen hatten, war es ganz so gewesen, als wäre ein Blitz durch seinen Körper gefahren. Diese dunkelbraunen Augen, die ihn voller Furcht durchbohrt hatten, hatten eine Wärme ausgestrahlt, die er bisher in noch keinen anderen Augenpaar hatte entdecken können. Als wären sie nur da, um ihn anzusehen und mit seinen Gefühlen, die er in diesem Moment verspürt hatte, in die Irre zu führen Sie hatten ihn für einen kurzen Moment lang eingenommen und ihn glauben lassen, die Welt hätte aufgehört zu existieren. So war es auch. Für einen Augenblick hatte Leere geherrscht, alles um ihn herum war zu Nebel geworden. Seine Gedanken waren eine gefühlte Ewigkeit abgeschweift. Und seine Augen waren zu Gefangenen dieses Fremden geworden. Was hatte dieser Verrückte mit ihm angestellt? Dumme Menschen hätten es als Magie, das Werk des Bösen, verschrien. Zugegeben, er dachte dasselbe, doch sein Inneres spürte nichts Negatives. Es war eher etwas Reines, Unschuldiges, ein süßer Schmerz, den er noch nie erfahren hatte. Deshalb war er geflüchtet. Die Nähe dieses Hidetori Toshibas hatte ihn wahnsinnig gemacht. Und er durfte nicht zulassen, dass ihn so etwas ablenkte. Es konnte nur Schaden und Unglück bringen, sich auf unerklärliche Gefühle einzulassen. Sie zu ergründen, zu hinterfragen und dann zu akzeptieren, würde einem Verrat an sich selbst gleichkommen. Dieser Mann war ein Fremder, dessen Herkunft nicht bekannt war. Als seine Vasallen den Verdächtigen gefunden hatten, war er plötzlich von Schmerzen überfallen worden. Bis er in den Raum im Westflügel gebracht worden war, war er nicht ansprechbar gewesen. Er hatte versucht zu lügen und war im Besitz eines wertvollen Kimonos, der auf eine wichtige Person schließen konnte. Vielleicht war er ein Verwandter des Feindesclans. Es war die Aufgabe eines ergebenen Samurais, auf all jene Fragen, die sich auftaten, eine ehrliche Antwort zu erhalten. Versagte er, nur weil ihm bei Toshibas Gegenwart das Herz flatterte, dann war er nicht der Diener, der er sein sollte. Dann war er schwach und hilflos. Kein Samurai, sondern ein gewöhnlicher willensschwacher Mensch, der nicht das Recht hatte, seinem Fürsten einen Dienst zu erweisen. „Makushita, Maegashira“, rief Nishiyama, wohl wissend, dass sie ihn hörten. Sie eilten sofort heran, knieten nieder, senkten das Haupt und warteten auf den Befehl. „Bringt Hidetori Toshiba zurück in seinen Raum und bewacht ihn.“ ------------------- Hihi... ja ich hab mich an einem Haiku versucht. Die ersten drei Zeilen am Anfang... Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, (bestehen meist aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten) Sowas wird es vor jedem Kapitel geben. Soll auch immer zum jeweiligen Kapitel passen. Ach ich bin ja echt froh, das ich nur 2 Wochen für das Kapitel gebraucht hab. ^^ Das nächste gibt es aber aber leider erst frühestens ende Oktober. Da ich in einer Woche zur großen Sis fahre und von dort dann nach Paris. VAMPS!!!! ^^V Und die Woche die ich noch Zeit hab, wollte ich dafür nutzen mal die FF zu ordnen und noch einige Dinge zu recherchieren, die ich noch wissen muss. Z.B noch ein paar Taigadramafolgen gucken und so. ^^ Ach ja und das neue Cover ist auch fertig. Gefällt mir sogar mehr als das erste.^^ Ansonsten bedanke ich mich für die Kommentare. Freut mich das ihr Interesse habt und weiter lesen möchtet. ^_^ Mir liegt sehr viel an dieser FF. Ich leg da wieder mein ganzes Herz rein. Es ist schön, das sich die Mühe (und es ist echt anstrengend, wenn man dauernd unterbrechen muss, weil man was nachgoogeln muss) lohnt. *#*#* Erläuterungen: * Shoji-Papier zähes, weißes, lichtdurchlässiges Papier, aus Holzfasern ** Tokio Edo war der frühere Name der japanischen Hauptstadt Tokio und Sitz des Tokugawa Shogunats von 1603 bis 1868. 1868 wurde Edo in Tokio umbenannt *** Hakama ist eine Art Hosenrock mit weitgeschnittenen Beinen, der den Körper etwa von der Taille an abwärts bedeckt. Er ist Teil der traditionellen japanischen Bekleidung. Kapitel 2: Berührung -------------------- 2. Kapitel: Berührung [Wie Funken in meiner Brust, brennt die Berührung deiner vertrauten Hände] ---------------------------------------- Der Winter war hereingebrochen. Eine dicke Schicht aus Eiskristallen, die sich beinahe unbemerkt während der Nacht auf Strohdächer und Wege gelegt hatte, verwandelte Echigo in ein weißes, glitzerndes Meer. Auch am darauffolgenden Tag hatte es nicht aufgehört zu schneien. Der heiße Atem eines Mannes, der im Garten der Nishiyamaresidenz in den Himmel blickte, formte weiße Wolken in der Luft. An der Kopfoberseite war sein Haar nicht abrasiert, wie es gehobene Samurai zu jener Zeit trugen, sondern im Nacken zu einen Zopf gebunden. Ein paar dünne Strähnen fielen ihm über die Stirn und verdeckten die lange Narbe über der linken Augenbraue nur geringfügig. Er blinzelte, als ihm eine Schneeflocke ins Auge rieselte. Er war Fukushima Yusuke, der engste Freund und treue Berater des Klanoberhauptes Nishiyama. Dieser wohnte einer von Kenshin einberufenen Versammlung bei. Normalerweise wäre es seine Aufgabe gewesen, seinen Herren dorthin zu begleiten, doch war es Kagegakus ausdrücklicher Wunsch gewesen, dass er während seiner Abwesenheit hier blieb und persönlich ein wachsames Auge auf den Fremden warf. Nachdenklich ließ er seinen Blick in den Korridor schweifen. Vor der Shoji-Tür unweit des Gartens standen zwei Wachen, die den auffälligen Gefangenen im Auge hatten. Auch Fukushima war Zeuge der seltsamen Situation am gestrigen Abend gewesen, als sein Freund, Kagegaku dem Fremden in die Augen gesehen hatte und daraufhin beinahe ängstlich davongerannt war. Seit Kindestagen waren sie Kameraden gewesen. Gemeinsam waren sie aufgewachsen und hatten unzählige Schlachten überlebt. Sogar die Narbe über seinem Auge war der Beweis, wie nahe sie sich ihr ganzes Leben lang schon standen. Doch was am letzten Abend passiert war, konnte sich selbst Fukushima nicht erklären. Eine Begegnung, wie sie sonderbarer nicht sein konnte. Selbst wenn er der Einzige unter den noch Anwesenden war, der diese eigenartigen Schwingungen zwischen Kagegaku und Hidetori gespürt hatte, würde er seine Hand für das Gesehene ins Feuer legen. Der Mann mit der befremdlichen Haarfarbe hatte den großen Kriegsherren mit einem einzigen Blick zum Rückzug gezwungen. Hätte er es nicht selbst gesehen, würde er dem Erzähler für diesen Frevel die Zunge ausreißen. Warum Kagegaku so kurios gehandelt hatte, wagte der junge Freund das Familienoberhaupt nicht zu fragen, denn er vermutete fast, dass dieser selbst nicht wusste, was geschehen war. Denn abgesehen vom kopflosen Benehmen am Abend, konnte Fukushima auch ein ungewöhnliches Verhaltensmuster in den darauffolgenden Stunden feststellen. Nervös war Kagegaku mitten in der Nacht stundenlang im Garten herumgelaufen. Die dicken Schneeflocken hatten sein pechschwarzes Haar bedeckt, selbst die extrem niedrigen Temperaturen und seinen bereits durchnässten Kimono hatte er ignoriert. Erst als Fukushima ihn das fünfte Mal gebeten hatte, bitte auf seine Gesundheit zu achten, war er hineingekommen. Zitternd hatte er dann auf dem Boden gesessen, hatte vor sich hingestarrt und ab und an unverständliches Zeug gemurmelt, während er sich an die Brust gefasst und grübelnd das Gesicht verzogen hatte. Auf besorgte Fragen seitens seines Freundes war nicht reagiert worden. Es war wohl passiert, etwas womit Fukushima niemals gerechnet hatte. Er dachte, dass eher die Hölle zufrieren würde, als dass sein Herr und Freund sich eines Tages verlieben würde. Doch für ihn waren die unzähligen Anzeichen eindeutig. Selbst die Appetitlosigkeit am heutigen Morgen hatte sicher etwas damit zu tun gehabt. Doch ihn darauf ansprechen konnte er nicht. Kagegaku würde es auf jeden Fall abstreiten. Vor allem, weil er höchstwahrscheinlich selbst nicht verstand, was mit ihm geschehen war. Er kannte dieses unbeschreibliche Gefühl nicht. Woher sollte er wissen, dass Verliebtsein jenes ziehen in seiner Brust war, jene Rastlosigkeit, die ihn nicht schlafen ließ? Der Mann hinter den geschlossenen Schiebetüren war mysteriös, nicht nur wegen seiner goldenen Haarpracht, sondern auch aufgrund seines grotesken Wesens. Obwohl Fukushima kaum ein Wort mit diesem Menschen gewechselt hatte, war ihm, als wäre ihm ein andersartiges Wesen begegnet. Selbst seine Bewegungen schienen merkwürdig, seine Art zu reden war überlegt, wenn er überhaupt ein Wort sprach. Alles an ihm war sonderbar. Zuletzt auch die Anziehung, die er auf Kagegaku ausübte. Und das nach einer Begegnung, die keine zehn Minuten gedauert hatte. Der Blick, mit dem Hidetori Kagegaku hinterhergesehen hatte, als dieser aus dem Raum geflüchtet war, würde er wohl nie vergessen. Es war dieselbe Ratlosigkeit, die er auch in den Augen seines Freundes entdeckt hatte. Wer war dieser Mann, gefunden am Fluss, bis auf die Haut durchnässt, in einen unschätzbar wertvollen Kimono gekleidet? Etwas Geheimnisvolles umgab ihn. Er war ohne Zweifel rätselhaft und mysteriös. Vielleicht war es das, was Kagegaku faszinierend an ihm fand. Oder spielte die Fantasie Fukushima einen Streich? Es wäre ihm auf jeden Fall nicht zu verübeln. Schließlich hatte sich der Stratege noch nie so seltsam verhalten. Kagegaku, verliebt in einen Mann, der sich nicht scheute, sofort eine offensichtliche Lüge zu sprechen? Skeptisch riskierte Fukushima erneut einen Blick zur verschlossenen Shoji-Tür. Sein Verstand sagte, dass es unmöglich wäre. Obwohl er die Fakten kannte und seinen Freund noch nie in diesem eindeutigen Zustand erlebt hatte, fragte er sich, ob es überhaupt möglich war, dass sich Kagegaku während dieses kurzen Augenblickes verliebt haben könnte. Gab es denn wirklich dieses verschrieene Wunder, von dem ständig erzählt wurde? Konnte man von nur einem Blick krank vor Liebe werden? Wenn es das gab, dann war sein Freund definitiv davon befallen, so unglaublich es auch für ihn klingen mochte. „Fukushima!“ Die Stimme seines Herren riss ihn aus den sorgenvollen Gedanken, in die er sich schon seit dem gestrigen Abend verstrickt hatte. Die Rückkehr der wenigen Männer, die nach Kasugayama* aufgebrochen waren, hatte er genauso wenig mitbekommen wie Kagegakus Näherkommen. „Kagegaku“, murmelte Fukushima überrascht. „Ihr seid schon zurück?“ Fukushima Yusuke, der trotz ihrer Freundschaft von niederem Rang war, verbeugte sich tief, um das Oberhaupt gebührend zu begrüßen. Kagegaku nickte nur flüchtig, bevor er seinen Freund und wichtigsten Berater mit einem Nicken zu verstehen gab, ihm zu folgen. Kaum dass sie die Veranda verlassen hatten, um im gegenüberliegenden Raum über das Treffen mit Kenshin zu reden, rückte Kagegaku schon mit den wesentlichsten Fakten der Versammlung heraus. „Kosaka Danjo wurde in Kawanakajima** gesehen. Die Takeda wirken durcheinander. Kagekatsu*** schlägt deshalb vor, Truppen nach Miyako# zu schicken, statt in Etchu**** zu helfen.“ Ohne seinen nachdenklichen Blick vom Gesicht seines Herren zu wenden, setzte sich Fukushima im Schneidersitz mit gebührendem Abstand zum Oberhaupt, der selbst auf einem Sitzkissen ihm schräg gegenüber Platz nahm, auf den Boden. „Nach Miyako?“ Überraschende Dinge hatten sich während ihrer Abwesenheit zugetragen. Fukushima wusste sofort, dass die Trennung Kosaka Danjos*****, der die rechte Hand Shingens war, von seinem Lord einiges zu bedeuten hatte. Nicht zuletzt auch, dass im Feindesklan Unruhe herrschen könnte, die man zu seinem Vorteil nutzen sollte. „Die einmalige Gelegenheit, Shingen davon abzuhalten, die Hauptstadt einzunehmen“, antwortete Nishiyama, der in den funkelnden Augen seines Freundes sehen konnte, dass er Kagekatsus Meinung, in die Hauptstadt zu marschieren, teilte. Obwohl auch er derselben Ansicht war, musste er der Begeisterung seines Beraters einen enttäuschenden Dämpfer verpassen. „Lord Kenshin jedoch teilt Kagetoras****** Meinung. In einem Monat brechen wie geplant Truppen nach Etchu auf. Wir sind für die Verteidigung Kasugayamas zuständig.“ Die Frustration über die mäßig erfreuliche Nachricht ihrer kommenden Aufgabe war deutlich in den Augen des Beraters sichtbar. Doch Kagegaku wusste genau, dass sein Freund, genauso wie auch er selbst, nie gegen einen Befehl ihres Lords vorgehen würden. Auch wenn dessen Anordnungen jenseits ihrer eigenen Meinung war. Es war ihre Aufgabe, nicht zu zweifeln und so zu handeln, wie es ihnen befohlen wurde. „Und was wird mit Toshiba Hidetori?“ brachte Fukushima aus heiteren Himmel hervor, obwohl die Frage nicht wirklich unerwartet kam. Es war anzunehmen, dass der Fremde Thema der nächsten Versammlung werden würde, denn sein Auftauchen war in der gesamten Provinz bereits die meistdiskutierte Thematik unter dem Schwertadel. Kenshin selbst zeigte großes Interesse an der Geschichte, die hinter diesem Mann stecken mochte, doch Angelegenheiten wie in Etchu und der Feind Shingen ließen ihm nicht viel Raum, um sich selbst um eine mysteriöse Person zu kümmern. Wahrscheinlich war dies auch der Grund ihrer eher unpassenden Aufgabe gewesen. Es war schließlich das erste Mal, dass Kenshin seinen besten Strategen zurückließ, damit dieser die Burg beschützte. Kagegaku schloss kurz die Augen. Fukushima glaube, ein leises Seufzen zu hören, als wäre ihm die Frage lästig, doch anscheinend war es nur Einbildung gewesen, denn die Antwort kam so schnell, als wäre sie schon vor Minuten zurecht gelegt worden. „Ich soll herausfinden, wer er ist, und dann entscheiden, was mit ihm geschieht.“ Fukushima nickte, während er sich grübelnd über das Kinn strich. „Dass er ein normaler Bauer ist, ist schon auszuschließen.“ Kagegaku blickte zu Boden. Sein Freund beobachtete diese an ihm seltsame Regung, doch das, was darauf folgte, wunderte ihn noch mehr. „Ja, leider!“ Es war das Seufzen im Unterton, das Fukushima stutzig machte. „Leider? Was meint Ihr damit? Sympathisiert Ihr mit ihm, obwohl Ihr nicht einmal wisst, ob er Feind oder Freund ist?“ Da war es wieder. Diese Unsicherheit und Ratlosigkeit, die Kagegaku auch am Vortag ausgestrahlt hatte. Seit dem Moment, als sein Blick auf den von Toshiba traf. „Natürlich nicht“, stritt das Familienoberhaupt hektisch ab. Fukushima bemerkte sehr wohl, dass sein Gesprächspartner versuchte, seinem Blick auszuweichen. Als hätte er ihm bei einem regelwidrigen Gedanken erwischt, den er beharrlich zu vertuschen versuchte. Doch locker lassen wollte der Berater des Strategen auf keinen Fall. Sollte sich früher oder später tatsächlich herausstellen, dass der Herr des Hauses sich in diesen Mann verliebt hatte, war es seine Pflicht, dem Liebeskranken noch einmal deutlich vor Augen führen, mit wem er es zu tun haben könnte. Nämlich mit einem Feind, der darauf aus sein könnte, das Vertrauen des Strategen zu gewinnen, um dann während eines günstigen Augenblickes das Schwert in dessen Herz zu bohren. Kagegaku musste zumindest noch einmal deutlich gewarnt werden. „Seine Lüge war bewusst gesprochen, also hat er etwas zu verbergen“, davon war Fukushima überzeugt. Und nicht nur er, sondern jeder der gestrigen Anwesenden, der den kurzen Wortwechsel bezeugen konnte, war derselben Meinung. „Ich bin mir darüber im Klaren“, klagte Kagegaku verärgert. Natürlich hatte er dies nicht das erste Mal gehört. Ständig dachten seine Berater, ihn an seine Pflicht, etwas gegen Toshiba Hidetori zu unternehmen, erinnern zu müssen. Obwohl er selbst wegen dieser Sache kaum an etwas Anderes denken konnte. Selbst als Kenshin ihn mit der Aufgabe der Verteidigung ihrer wichtigsten Burg beauftragt hatte, war er erleichtert gewesen. Ungeachtet davon, dass er der Ansicht war, besser nach Miyako zu reiten, da dieser Schachzug strategisch wertvoller war. „Was also werdet Ihr tun, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass er ein Spion ist? Werdet Ihr den Befehl zur Hinrichtung geben können? Mir scheint eher nicht.“ Es wunderte Kagegaku nur wenig, dass Fukushima ihn so direkt auf seine momentane Unschlüssigkeit ansprach. Dass er es nicht bemerkt hatte, war also ausgeschlossen. Und doch spürte er nicht den Drang, seinen Freund um Antworten auf seine Fragen zu bitten, die dieser mit Sicherheit sofort parat haben würde. „Solange wir nicht mehr über ihn wissen, brauchen wir nicht weiter darüber zu diskutieren.“ Kagegaku stand auf und trat zur Veranda, den durchbohrenden Blick seines Freundes auf seinem Rücken spürend. „Es wäre aber besser, wenn Ihr langsam darüber nachdenken würdet.“ Darauf antwortete der Stratege nicht. Er schloss nur die Augen und nickte innerlich, denn er wusste, dass es seine Pflicht war, so zu handeln. Seine innerliche Zerrissenheit musste er ignorieren, denn würde letztendlich doch das eintreten, was er nicht zu hoffen wagte, dann blieb ihm einfach keine andere Wahl. Die seltsamen Gefühle, die er spürte, wenn er an den gestrigen Moment ihres Blickkontakts dachte, waren nun kaum noch zu übergehen. Im Gegenteil. Je öfter er an Toshiba dachte, desto schlimmer und hartnäckiger wurde es. Aber wie konnte er jene unerfahrenen Empfindungen mit seiner unermüdlichen Ehre und Loyalität zu seinen Herren verbinden, wenn er doch selbst damit beauftragt war, über das Schicksal dieses Fremden zu entscheiden? Wortlos blickte Kagegaku in den grau verhangenen Himmel, dessen dicke Wolken weiße, glitzernde Flocken in den Garten rieseln ließen. Und plötzlich wunderte er sich über die ihm klare Tatsache, dass dieser eigenartige Mann mit den goldenen Haaren dazu fähig war, ihn diesem Konflikt auszusetzen. Warum kreisten all seine Gedanken um einen Menschen, den er überhaupt nicht kannte? Was war der Grund dafür, dass er zögerte, seiner Pflicht als Samurai und Diener seines Herren nachzugehen? Warum war er plötzlich so schwach geworden, obwohl er am Vortag noch so entschlossen gewesen war? Kagegaku drehte sich herum, blickte auf seinen Freund hinab, der immer noch im Schneidersitz im hinteren Teil des Raumes saß und ihn fragend ansah. Fukushima würde darauf sicher eine Antwort finden können. So wie es immer der Fall war. Wobei es nun aber das erste Mal war, dass Kagegaku einen Rat für seine Gefühle brauchte. Doch auch auf diesem Gebiet war sein Freund bei Weitem erfahrener als er selbst. Er musste ihn nur fragen und dann damit klarkommen, sich völlig lächerlich gemacht zu haben. Doch genau das war es, was er nie tun würde. Über diesen dunklen Schatten seines Wesens konnte er beim besten Willen nicht springen. Lieber blieb er ahnungslos und ließ alles so geschehen, wie es vorgesehen war. „Bring Toshiba her“, ordnete Kagegaku nach langer Überlegung an. Fukushima, der inständig hoffte, sein Herr wäre nun zur Vernunft gekommen, verbeugte sich tief und antwortete mit einem deutlichen „Jawohl!“ * Wieder wurde Hyde zum Raum gegenüber des Gartens geführt. Wieder sollte er niederknien und darauf warten, vom Oberhaupt angesprochen zu werden. Als seine Füße auf die Tatamimatten traten, sah er den Samurai bereits im Augenwinkel. Er saß wie am Vortag im Schneidersitz auf einem niedrigen Sitzkissen. Er spürte, wie er eindringlich von diesem angesehen wurde. Hydes Blick jedoch blieb an den Boden geheftet. Er wagte es nicht, den Schwarzhaarigen anzusehen, zumal er auch nicht wusste, ob es ihm gestattet war. Er kniete sich nieder, circa 6 Meter von seinem Gesprächspartner entfernt. Seinen Kopf beugte er genauso tief wie das letzte Mal und wartete, während ihm das Herz wieder bis zum Hals schlug. Die Flucht des Kriegers war Hyde ziemlich gut im Gedächtnis geblieben. Für den Langhaarigen, der stets darauf achtete, sein Gesicht zu wahren, und die Ehre seiner selbst nicht zu verletzen, musste es eine Schande gewesen sein, vor den Augen seiner Leute unbedacht gehandelt zu haben. War er ein echter Samurai, dann würde er sich zumindest ein wenig schämen und natürlich tief bereuen. Würde Hyde, der in den Augen des Klans die Ursache dafür war, nun seine Strafe erhalten? Würden sie ihn hinrichten, seinen Kopf abschlagen oder sogar verlangen, dass er sich selbst tötete? Hyde war nervös. Seine Hände zitterten. Die Qual nicht zu wissen, was ihn nun erwarten würde, hatte ihn die ganze Nacht nicht schlafen lassen. Und all das nur wegen dieser unüberlegten Lüge, die so offensichtlich war. „Entschuldigt mein würdeloses Verhalten von gestern.“ Die klare Stimme des Samurai, die plötzlich wie Donner in seinen Ohren hallte, ließ Hyde kurz aufschrecken. Seine Kehle war wie zugeschnürt, während sein Herz so stark schlug, dass seine Brust zu schmerzen anfing. Zugegeben, mit einer Entschuldigung hatte er tatsächlich am allerwenigsten gerechnet, und doch ließ sie sofort wieder seine begrabene Hoffnung auf ein sehr viel längeres Leben aufblühen. Es war ein gutes Zeichen, da war sich der Blonde ziemlich sicher, deswegen nickte er, um zu zeigen, dass die unerwartete Entschuldigung angenommen wurde. „Ich bin der älteste Sohn der Nishiyama Familie. Seit elf Jahren führe ich diesen Klan an und diene mit ihm den Uesugis. Dieses Anwesen und das Land bis hinter dem Fluss gehört seit fünf Generationen meiner Familie. Das alles zu beschützen ist nun meine Aufgabe, so wie es mein Vater und deren Vater getan haben.“ Fukushima, der als einziger Berater diesem Treffen beiwohnte, war von der beharrlichen Stimme, mit der sein Freund sprach, beeindruckt. Tatsächlich hatte er mit einem weiteren Desaster gerechnet, das er dieses Mal jedoch mit allen Mitteln verhindern würde. Doch anscheinend gab es überhaupt keinen Grund zur Sorge. Kagegakus Augen blickten standhaft auf den Fremden, der tief verbeugt jedes Wort zur Kenntnis nahm. „Was gestern passiert ist, war gegen meinen Charakter und meine Pflicht und dafür muss ich mich entschuldigen. Ich gebe zu, dass mich Eure außergewöhnliche Erscheinung verwirrt hat. Meine Männer hatten mich auf Euer wunderliches Haar vorbereitet, trotzdem muss es mich konfus gemacht haben. Um es uns allen einfacher zu machen, solltet Ihr genauso ehrlich sprechen, wie ich es gerade getan habe.“ So war das also. So hatte sich der Schwarzhaarige den Moment ihrer Verbundenheit erklärt. Hydes Lippen umspielte ein zynisches Lächeln, als ihm klar wurde, dass so ein kompliziertes Gefühl, wie er es empfand, so simpel als einfache Verwirrung, in die ihn seine Augen gestürzt hatten, ausgelegt werden konnte. Normalerweise hätte er widersprochen, doch aufgrund der Tatsache, dass er sich in einer Zeit befand, in der die Menschen noch anders dachten, musste er sich zurückhalten. Stattdessen stimmte er mit einem einfachen Ja zu. „Dann sind wir uns ja einig“, meinte Kagegaku und schien fast erleichtert, dass der zweite Anlauf bisher so gut verlief. „Ich frage Euch also noch einmal. Wer seid Ihr und wo kommt Ihr her?“ Hyde zögerte kurz, bevor er mit dem selben Namen wie am Vortag antwortete. „Toshiba Hidetori. Es tut mir Leid, Euch enttäuschen zu müssen, doch ich habe bisher nicht gelogen. Ich bin Toshiba Hidetori, ein normaler Mann aus dem Nachbardorf.“ Fukushima, der neben seinem Herren saß und alles aufmerksam verfolgt hatte, stand auf und trat energisch auf den in seiner tiefen Verbeugung kauernden Fremden zu. „Passt auf, was Ihr sagt. Mein Herr hat offen und ehrlich mit Euch gesprochen, und Ihr wagst es trotzdem noch zu lü-“ „Wie könnt Ihr mir dann Euren kostbaren Kimono erklären“, unterbrach Kagegaku seinen Berater. Fukushima hielt mit seinen Worten sofort inne und kehrte auf seinen Platz zurück. Ein kurzer Blickwechsel mit dem Oberhaupt bestätigte die Erzürnung, die aufgrund des eigenhändigen Handelns seines Freundes in Kagegaku aufflammte. Er mochte es nicht, wenn Fukushima unüberlegt Dinge tat, die er zuvor ausdrücklich untersagt hatte. „Er gehört mir nicht“, antwortete Hyde auf die Frage des Klansführers. Skeptisch über die überraschende Ehrlichkeit runzelte Kagegaku die Stirn, bevor er mit der nächsten Frage das Verhör vertiefte. „Von wem habt Ihr ihn gestohlen?“ Hyde antwortet bewusst mit kurzen Sätzen, die nur jene Frage beantwortete, die gestellt wurde. Er wollte damit Zeit gewinnen. Zeit die er unbedingt benötigte, um sich nicht erneut in erkennbaren Lügen zu verstricken. „Nicht gestohlen, sondern gefunden.“ „Wo?“ „Im Wald.“ Nachdenklich fuhr Kagegaku mit seiner rechten Hand über die Baumwolle seines Kimonos. Was sollte er tun? All das, was Toshiba ihm erzählt hatte, konnte Wahrheit, aber auch Lüge sein. Weder das eine noch das andere konnte mit Beweisen widerlegt werden. Wie sollte er nun gerecht über diesen Mann entscheiden und selbst in Frieden weiterleben? War Toshiba ein Samurai, dann hatte er sich bereits entehrt, indem er sich von seinem Schwert losgesagt hatte. Denn das Schwert war die Seele eines echten Samurai. Da er keines getragen hatte, als er von Kagegakus Männern am Fluss gefunden worden war, war bereits auszuschließen, dass es sich um einen Ronin oder Samurai handelte. Ein Ninja verkleidete sich bekanntlicherweise oft als Wandermönch oder reisender Händler. Es war aber auch nicht auszuschließen, dass ein Spion zu einer außergewöhnlichen Verkleidung wie dieser griff. Doch war es nicht etwas zu auffällig, um als Spitzel mitten unter den Feinden zu agieren? War es nicht vorauszusehen, dass man ihn gefangen nahm und verhörte? Oder hatten seine Feinde gerade Toshiba gewählt, weil er mit seiner außergewöhnlichen Erscheinung schon oft genau das erreichen konnte, was gewollt war? War alles genau so geplant? Kagegakus Zweifel über eine richtige Entscheidung wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er blickte auf den ihm gegenüber knienden Toshiba, dessen Stirn den Boden berührte. Er bewegte sich nicht, nur die zitternden Hände zeugten von seiner Nervosität, die Kagegaku nicht verborgen blieb. Er hatte Angst, das war nicht zu verkennen. Und diese Tatsache konnte nicht einfach ignoriert werden, selbst wenn alles gegen den Fremden sprach. Irgendetwas stimmte nicht, das wurde Kagegaku in jenen Moment deutlich bewusst. Den Fremden loswerden, ihn hinrichten, so einfach war die Sache nicht. Nein, es war sehr viel komplizierter als er dachte. Sein Herz sagte ihm, dass er versuchen musste, diesem Mann zu vertrauen. Auch wenn es nur ein Tag oder eine Stunde war. Selbst eine Minute wäre in Ordnung, denn war er wirklich ein einfacher Mann aus dem Nachbardorf, dann hatte er ein Recht auf Vertrauen. Dann war er nichts Anderes als ein Mann seiner Provinz, die er, Kagegaku, beschützte. Jeder Bauer, jeder Bettler und jeder Mönch, der hier lebte, hatte das Anrecht auf den Schutz der Samurai. Für sie schlug er Jahr um Jahr Schlachten. Für sie tötete er andere Menschen. Für sie riskierte er jeden Tag sein Leben. Warum sollte er das Leben eines Mannes beenden, der einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war? „Lord Kenshin hat mir aufgetragen, darüber zu entscheiden, was mit Euch geschieht. Da ich aber nicht zu hundert Prozent vom Wahrheitsgehalt Eurer Worte überzeugt bin, ich aber auch keine Beweise gegen Euch habe, möchte ich Euch hier auf meinem Anwesen behalten. Meine Männer werden ein Auge auf Euch haben.“ „Herr“, widersprach Fukushima entsetzt. Doch Kagegaku ignorierte diesen Einwand. Für ihn war einzig und allein dieser Weg der richtige. Alles andere wäre gegen seine Prinzipien als Ehrenmann gewesen. Sogar sein Herz fühlte sich besser, was er jedoch gekonnt missachtete. „Damit Ihr Euch nicht langweilt und auf keine dummen Gedanken kommt, möchte ich, dass Ihr für mich arbeitet. Was könnt Ihr, Toshiba-san? Seid Ihr Handwerker, Kaufmann, Bettler, Gaukler oder doch Bauer?“ Verblüfft runzelte Hyde die Stirn. Vor einer Stunde war seine Lage so noch aussichtslos gewesen, nicht weit von einem Todesurteil entfernt, und nun hatte man ihm tatsächlich angeboten, diesen Samurai zu dienen. Und das gegen jeden Rat seiner Berater, die der festen Meinung waren, ihn so schnell wie möglich loswerden zu müssen. Mit Sicherheit hatten beide Krieger das erleichterte Seufzen, das Hyde nicht hatte unterdrücken können, vernommen. Doch das war völlig egal. Er konnte sein Glück, das er kaum fassen konnte, einfach nicht mehr verbergen. Als er sich gedankenverloren in seinem Hochgefühl nach oben beugte und schließlich versehentlich in die schwarzen Augen Kagegakus blickte, entwich ihm ein dankbares Lächeln. Es war instinktiv passiert, ungewollt. Zu spät bemerkte Hyde, dass er damit anscheinend gegen die Etikette verstoßen hatte. Doch für Reue war es bereits zu spät. Ihre Augen hatten sich getroffen. Kagegaku blickte zuerst ernst, dann einen Moment lang fast als wäre er in Panik und nun war er wie in Trance an diesen Moment gefesselt. Hyde war aufgewühlt. Er wollte den Kopf wieder senken und so tun, als wäre nichts gewesen, doch der aufregende Blick des Samurai ließ ihn zögern. Er zog den Blonden in einen dunklen Strudel, dem er hilflos ausgeliefert war. Doch er rief nicht nach Hilfe, denn aus irgendeinem Grund konnte er diesem Reiz einfach nicht widerstehen. Dann überkam Hyde plötzlich eine starke Aufregung und zum ersten Mal hatte er das seltsame Gefühl, diesen Nishiyama Kagegaku schon einmal gesehen zu haben. Warum war es ihm nicht schon aufgefallen, als sie sich das erste Mal begegnet waren? Er erinnerte sich schemenhaft an diesen unnahbaren Blick, an diese Kühle und innere Ratlosigkeit, die seine Augen ausstrahlten. Aber woher und wieso? Warum fühlte er auf diese Weise, obwohl es unmöglich sein konnte, dass sie sich früher schon einmal getroffen hatten? Woher kam diese unerklärliche Verbundenheit? Warum tauchte die Welt in verschwommene Farben ein, wenn sich ihre Blicke trafen? Weshalb konnte er nicht loslassen? Erst als Fukushima die elektrisierte Atmosphäre mit einem Räuspern störte, fand Hyde die erlösende Gelegenheit des Rückzuges. Er senkte rasch seinen Blick, musterte das saubere Geflecht der Tatamimatte und versuchte seinen rasenden Puls zu ignorieren. „Warum macht Ihr ihn nicht gleich zu euren Geliebten. Dann habt Ihr ihn persönlich unter Kontrolle“, murmelte Fukushima absichtlich so laut, dass auch Hyde ihn bestens verstehen konnte. Der Zynismus hinter diesem Vorschlag war deutlich herauszuhören und doch ließ sie das Herz des Blonden vor Entrüstung im Dreieck springen. „Bitte?“, kam es entsetzt von Kagegaku, noch bevor Hyde sich abermals dazu hinreißen ließ aufzublicken. Dafür senkte er sein Haupt in Verlegenheit noch tiefer und hoffte inständig, dass seine hitzig roten Wangen unentdeckt blieben. Das Gerücht, dass er und Nishiyama ein Liebespaar gewesen waren, bahnte sich zurück in sein Gedächtnis. Er versuchte, es links liegen zu lassen, doch aus irgendeinem Grund fiel es ihm merklich schwer, so zu tun, als hätte er es nie gehört. Er schüttelte den Kopf, als er schließlich versuchte, sich jene Unmöglichkeit vorzustellen. Zugegeben, Kagegaku war mit seinem schwarzen Haar und den tiefdunklen Augen ein wunderschöner Mann, doch was unmöglich war, war unmöglich. Sie waren nicht nur von völlig verschiedem Charakter, sondern auch aus unterschiedlichen Zeitepochen. Wie sollte so etwas funktionieren? Es war einfach unvorstellbar, dass er sich in diesen Samurai verlieben könnte. „Mir scheint, dass Ihr einen Narren an ihm gefressen habt. Ihr seid so milde. Das ist untypisch für Euch.“ Aufmerksam lauschte Hyde der kleinen Meinungsverschiedenheit der beiden Männer. Etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig. Es schien weder Fukushima noch Kagegaku zu stören, sich vor einem Fremden zu streiten, was ein gutes aber auch ein schlechtes Zeichen für ihn sein konnte. Im Moment schien eigentlich nur klar zu sein, dass Kagegaku völlig anders agierte, als Fukushima von diesem gewohnt war. Und diese Tatsache, warum auch immer, hatte Hyde bisher das Leben gerettet. „Ich verurteile keinen möglicherweise unschuldigen Mann, der von anderen nur nach seinem Erscheinungsbild beurteilt wird. Er kann genauso gut auch ein normaler Bauer sein.“ Überrascht über die Art, wie Kagegaku versuchte, ihn zu verteidigen, obwohl es nicht seine Pflicht war, riskierte Hyde einen Blick nach oben. Fukushima saß dem Oberhaupt gegenüber. Ernst blickten sie sich in die Augen. Der Berater niederen Ranges tat seine Bedenken offen kund, was mit jenen zynischen Bemerkungen nur unter Freunden funktionieren konnte. Jeden anderen Vasallen hätte das Oberhaupt wahrscheinlich schon längst in die Schranken gewiesen. „Und davon scheint Ihr bereits mehr als überzeugt zu sein. Warum bleibt er nicht ein Gefangener? Ihn hier frei herumlaufen zu lassen, ist zu riskant.“ „Ihm kann nichts zur Last gelegt werden. Oder hast du mit eigenen Augen gesehen, wie er gegen das Gesetz verstoßen hat?“ Fukushima schüttelte den Kopf. Nicht um die Frage zu verneinen, sondern um deutlich zu machen, dass er einfach nicht fassen konnte, was hier passierte. Der wichtigste Stratege an Kenshins Seite wollte einen mutmaßlichen Spion frei unter seinem Dach leben lassen. Wie verrückt war diese Idee? War Kagegaku tatsächlich blind vor Liebe? „Ihr wisst so gut wie ich, dass dieser Mann ein Spiel mit Euch spielen könnte. Ob er etwas getan hat oder nicht, tut nichts zur Sache.“ Verärgert stand Kagegaku auf. „Widersprich nicht meiner Entscheidung!“, kam es barsch von ihm, während er zornig auf seinen Freund herabsah. „Aber ...“ „Schluss jetzt. Bring Toshiba Hidetori in sein neues Quartier. Ich entscheide später, was er tun kann.“ Mit diesen Worten verließ der Stratege den Raum. Der entrüstete Fukushima blieb zurück, genauso wie Hyde, der mit gesenktem Kopf auf seinem Platz kniete und natürlich alles mitbekommen hatte. Obwohl er wusste, dass der Klanführer nicht mehr anwesend war, wagte er nicht, sich aufzusetzen. Er spürte regelrecht den erbitterten Blick des Beraters, der in seinen Gedanken wohl schon dutzende Flüche gegen den Blonden ausgesprochen hatte. Doch auch wenn seine Bedenken groß waren, ohne das Wort des Oberhauptes waren Fukushima auf jeden Fall die Hände gebunden. Selbst wenn alle gegen ihn wären, solange Kagegaku auf seiner Seite war, konnte ihm nichts geschehen. Dieser Gedanke beruhigte Hyde erst einmal, auch wenn er immer noch nicht wusste, woher dieses Vertrauen überhaupt kam, das er von diesem Nishiyama Kagegaku erhielt. Es war ein Mysterium, genauso unerklärlich wie seine Existenz in dieser Zeitepoche. * Schweigend starrte Hyde in das Orange der flackernden Kerze, die ihm ein junger Mann soeben gebracht hatte. Sie erhellte den Raum, der, verglichen mit seiner Gefängniszelle, weitaus größer war, nur geringfügig, doch es war allemal besser, als die zehrende Dunkelheit, der er in den letzten beiden Nächten ausgesetzt war. Sein neues Quartier war genauso leer, aber sehr viel gemütlicher und freundlicher. Eine Schiebetür mit zartem Bambusmuster trennte die Räumlichkeiten, die Hyde zur Verfügung gestellt worden waren. Leichte Shoji-Türen aus filigranen Holzrahmen, mit lichtdurchlässigem Papier bespannt, erzeugten eine wundervolle Atmosphäre. Die Wandnische im hinteren Teil des Raumes war mit einer Kakemono*******, auf der eine Schneelandschaft in Echigo abgebildet war, dekoriert. Alles wirkte schlicht und ästhetisch klar. Ein Ort, der harmonische Ruhe ausstrahlte. Vor der geöffneten Tür standen nach wie vor die beiden Samurai, die ihn, wie Kagegaku es gewollt hatte, bewachen sollten. Sie erinnerten Hyde daran, dass er immer noch ein Gefangener war, dem misstraut wurde. Behandelt wurde er ansonsten wie ein Gast, dem es freistand, sich innerhalb des Anwesens zu bewegen, doch niemals ohne seine beiden Schatten, die an ihm klebten wie die Angst, sich zu verraten. Also zog Hyde es vor, sich zurückzuziehen und darüber nachzudenken, was er nun tun könnte und welche Schlussfolgerung er aus dem letzten Gespräch mit dem Klanoberhaupt schließen konnte. Er versuchte, sich an Einzelheiten der Erzählung von Tayama zu erinnern. Was war mit dem Samurai geschehen? Wie ist die Geschichte ausgegangen? Warum hatte Tayama es ihm nicht erzählt? Und wie viel Wahrheit lag tatsächlich hinter dieser überlieferten Liebeslegende? Hyde konnte nicht anders, als sich Sorgen zu machen. Auf zu viele Fragen hatte er einfach keine Antwort und wie er zurück in seine Zeit kommen sollte, war ihm auch völlig schleierhaft. Hinzu kam noch die Frage, ob seine Reise einen Grund haben könnte und ob dieser Grund vielleicht mit Nishiyama Kagegaku zusammenhing. Ihre intensiven Blickkontakte jedenfalls waren mehr Anlass zur Sorge, als sein Verbleib in dieser Zeitepoche. Denn dieses bestimmte Gerücht wollte ihm einfach nicht aus den Kopf gehen. Was war, wenn es doch stimmte? Was war, wenn er sich in Nishiyama verlieben würde? Würde er dann sein Leben lang hierbleiben müssen? Gab es Hyde, L'Arc~en~Ciels Frontmann, dann nicht mehr? Wurde er vermisst? Was spielte sich gerade im zukünftigen Tokio ab? Suchten Tetsu, Ken und Yukihiro nach ihm? War sein Leben im 21. Jahrhundert vorbei? Würde er überhaupt jemals wieder zurückkehren können? Jene Gedanken ließen ihn zittern. Aber vielleicht lag es auch nur an der kühlen Luft, die in den Raum strömte und vereinzelt auch Schneeflocken mitbrachte. Hyde zog sich seufzend den Kragen des Kimonos an den Hals und stand auf. Schon vor Stunden hatte er vorgehabt, die mit Papier bespannte Tür zuzuziehen, doch seine Gedanken hatten ihn mal wieder viel zu weit von der Realität weggetrieben. Ein Wunder, dass er erst jetzt die frostige Kälte bemerkt hatte, die ihm gerade um die nackten Füße wehte. Schnell wollte er die Tür zuziehen und sich zurück in das warme Innere seines Raumes begeben, doch gerade als er seine Hand am Holz des Rahmens hatte, trat eine Person herein. Verdutzt blickte Hyde dem Mann mit den langen, schwarzen Haaren hinterher, der sich ungebeten auf den Boden, mit dem Rücken zur offenen Tür, setzte. „Setzt Euch“, befahl der Mann herrisch und Hyde wusste sofort, dass es sich um Kagegaku persönlich handelte. Jene klare Stimme würde er wohl unter Tausenden wiedererkennen. Schweigend nickte der Blonde. Er packte mit seinen zitternden Händen die Schiebetür und wollte sie zuziehen, wie er es die ganze Zeit schon geplant hatte, doch der Schwarzhaarige meinte anscheinend das dies nicht nötig war. „Lasst sie offen“, ordnete Kagegaku an, woraufhin Hyde erschrocken zuckte. Würde dieses verdammte Herzklopfen denn je ausbleiben, wenn dieser Mann mit ihm sprach? „Nun setzt Euch endlich“, wiederholte der Samurai. Hyde, der skeptisch den sich zurückziehenden Wachen hinterhersah, nickte zögerlich. Dann trat er um den sitzenden Kagegaku herum und setzte sich einige Meter entfernt diesem direkt gegenüber. Erst jetzt bemerkte er den braunen Krug und die zwei glasierten Schalen, die der Krieger mitgebracht haben musste. Wenn er sich nicht irrte, war dieser Krug mit Sake gefüllt. Misstrauisch musterte Hyde, wie Kagegaku eine der beiden Schalen mit der weißen Flüssigkeit füllte und sie ihm dann reichte. In alten Samuraifilmen war dieser Sake oft mit Gift vermischt, um unliebsame Feinde möglichst unblutig und lärmfrei loszuwerden. Würde dies nun auch mit ihm geschehen? War das Entgegenkommen des Klanoberhauptes bisher nur geheuchelt? „Kommt näher“, forderte der Krieger und ließ Hyde abermals aus seinen Gedanken hochschrecken. Hyde tat, was Kagegaku ihm befohlen hatte. Er rutschte etwas näher, doch das gefiel dem Mann im dunkelblauen Kimono anscheinend immer noch nicht. Er blickte unzufrieden, was Hyde nicht bemerkte, denn er vermied, es dem Schwarzhaarigen bewusst in die Augen zu sehen. Seine Aufmerksamkeit galt mehr der grau glasierten Schale, die ihm schlanke Finger reichten. Er wusste, dass es ihm nicht erlaubt war, diese Geste abzulehnen, doch die Angst, dies könnte seinen Tod bedeuten, ließ seine Hände stärker zittern. „Er ist nicht vergiftet“, versicherte Kagegaku, dem das Zucken in Hydes Händen nun schon bekannt war. Um seine Behauptung zu unterstreichen, führte er die Schale an seine eigenen Lippen und trank die Flüssigkeit in einem Zug. Dann nahm er die andere Schale, füllte sie mit dem Sake und reichte sie noch einmal dem Gegenübersitzenden Blonden. Hyde jedoch rührte sich nicht. Obwohl er wusste, dass er den Sake annehmen musste, tat er es nicht. Seine Augen hingen an der Schale, doch mit den Händen konnte er sie nicht greifen. Seine Angst, hereingelegt zu werden, war einfach zu groß. „Meine Männer feiern unseren Sieg“, durchbrach Kagegaku die schwermütige Stille, die dank Hydes stiller Ablehnung eingetroffen war. „Viele unserer Kameraden sind gefallen, doch wir haben überlebt und dafür danken wir den Göttern.“ Vorsichtig stellte er die Schale auf den Boden und schob sie in Hydes Richtung. Er konnte verstehen, dass der Blonde ihm misstraute. Er selbst hätte wahrscheinlich genauso abweisend gehandelt, würde er in seiner Situation stecken. „Ihr fragt Euch sicherlich, weshalb ich, statt Euch zu belästigen, nicht mit meinen Männern gemeinsam feiere, richtig?“, begann Kagegaku, während ihm klar war, dass er von Hidetori darauf keine Antwort zu erwarten hatte. Es würde schwierig werden, ihm Worte zu entlocken, geschweige denn wichtige Details über seine Person. Doch jedes Vertrauen brauchte einen Anfang, auf dem aufgebaut werden konnte. Reden war natürlich einer der besten Wege, dieses zu erlangen. „Gestern wart Ihr mein Gefangener, heute mein Gast und morgen gehört Ihr schon zu meinen Vasallen. Deswegen.“ „Ein schneller Werdegang“, murmelte Hyde zynisch, um sofort entsetzt festzustellen, dass er nicht gedacht, sondern laut gesprochen hatte. „Bitte?“, fragte Kagegaku verblüfft. Nicht über das Gesagte, sondern dass er überhaupt gesprochen hatte. Hyde, der ratlos nach einem Ausweg suchte, schüttelte verlegen den Kopf. „Seid Ihr über irgendetwas unzufrieden? Wenn das so ist, dann sagt es mir.“ Darauf hätte Hyde am liebsten mit lautem Gelächter geantwortet. Genau genommen war er mit so fast allem unzufrieden. Allem voran natürlich diese schreckliche Zeitreise und dass er als Gefangener inmitten von kriegerischen Samurai leben sollte, obwohl er doch nur einen Werbespot drehen wollte. Was also sollte er auf diese ziemlich dumme Frage antworten? „Ich sehe, es fällt Euch schwer offen mit mir zu sprechen“, brachte Kagegaku die verfahrene Situation auf den Punkt. „Wäre ich so engstirnig wie die anderen, würde ich vermuten, dass Ihr ein tiefes Geheimnis verbergt, das Ihr auf keinen Fall versehentlich preisgeben wollt.“ Auch damit hatte er irgendwie Recht. Ja, er hatte ein Geheimnis, jedoch nicht von jener Art, die der Stratege vermutete. Er war kein Spion und auch kein Feind, aber ob er ein Freund war, wusste er auch nicht. „Ich ... ich bin kein ... Samurai“, stotterte Hyde schließlich, um den verheerenden Verdacht von sich zu lenken. „Ich glaube Euch“, entgegnete Kagegaku mit sicherer Stimme und nickte. „Aber eines wundert mich doch.“ Hyde schluckte hörbar, während er seine zitternden Hände ineinanderfaltete. Er konnte sich bereits vorstellen, was nun kommen würde. „Euer Haar. Ihr seid doch Japaner.“ Hyde nickte, doch was er darauf sagen konnte, fiel dem Blonden nicht ein. Normalerweise wären ihm hunderte passende Ausreden eingefallen, doch gerade dann wenn er es am nötigsten brauchte, funktionierte sein Hirn einfach nicht so wie gewohnt. „Ist es ein Geburtsfehler?“, fragte Kagegaku ernst nach und starrte neugierig auf das 'goldene' Haar. Verdutzt runzelte Hyde die Stirn, als diese ahnungslose Begründung kam. Und doch hätte er es nicht besser erklären können. Auch wenn es natürlich nicht die Wahrheit war, doch der Samurai und alle anderen Menschen dieser Zeit, würden wohl nie erfahren, wie sein blondes Haar tatsächlich zustande gekommen war. Sie konnten ruhig glauben, dass er bereits so geboren wurde. Erleichtert, dass dieses leidige Thema nun endlich zu den Akten gelegt werden konnte, nickte Hyde mit dem Kopf und überwand sich zusätzlich noch zu eine stillen Ja. Doch für Kagegaku selbst war damit noch lange nicht alles abgetan. Seine schlummernde Neugierde war geweckt, der Drang zu erfahren, wie sich wohl dieses seltsame Haar anfühlte. War es genauso dick und schwer wie seines? War es so weich wie es aussah? Spürte man die Wärme, die es ausstrahlte? Er wollte es wissen, also scheute er sich nicht danach zu fragen. „Darf ich es anfassen?“ Perplex über diese Bitte nickte Hyde wie ferngesteuert. Was hätte er auch sonst tun sollen? Obwohl Kagegaku höflichst gefragt hatte, waren dessen Finger schneller im blonden Haar, als Hyde mit seiner Zustimmung reagieren konnte. Er fühlte sich überrumpelt und auf eine Art auch übergangen. So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Der Samurai, der die dünnen Strähnen zwischen seinen Fingern betrachtete, als wären sie das Erstaunlichste, was er je gesehen hatte, stürzte sich mit einer unglaublichen Unschuld in seine Intimsphäre, dass Hyde nichts anderes übrig blieb, als erstarrt jene Berührungen über sich ergehen zu lassen. Das sanfte Ziehen, wenn Kagegaku andächtig über die Strähne bis zu ihrer Spitze entlang fuhr, bescherte dem Blonden eine Gänsehaut nach der anderen. Wirklich unangenehm war es ihm nicht. Es war eher Kagegaku selbst, der unbewusst immer näher rückte und Hyde damit noch unsicherer machte. Das Schlimmste jedoch war das Pochen in seiner Brust, das kontinuierlich stärker wurde, je näher Kagegaku kam. Schließlich war der Schwarzhaarige ihm so nah, dass er spüren konnte wie dessen warmer Atem auf sein Gesicht traf. Der Blickkontakt, den Hyde die ganze Zeit geschickt aus dem Weg hatte gehen wollen, war nun kaum noch zu vermeiden. Er schaute in die dunklen Augen, die nicht in seine sahen, sondern neugierig das blonde Haar betrachteten. Der Krieger, der bisher so unnahbar und kühl gewirkt hatte, sah nun so unschuldig wie ein Kind aus. Ein warmer Blick, der nicht mehr darauf schließen ließ, dass die Lebensaufgabe dieses Mannes das Töten von Menschen war. Stattdessen strahlte er Reinheit und Neugierde aus, die Hyde regelrecht erschütterte. Das, was er sah und was er von diesen Menschen wusste, widersprach sich auf allen Ebenen. Und Hyde wusste nicht so recht, wie er mit diesen Gegensätzen umgehen sollte. Kagegaku selbst war sich mit Sicherheit nicht darüber im Klaren, wie sehr er ihn im Moment verwirrte. Er ließ seine Finger unbekümmert tiefer in das helle Haar gleiten. Er wollte wissen wie es sich anfühlte. Ein naiver und kindischer Wunsch, dem er jedoch einfach nicht widerstehen konnte. Ständig hatte der Samurai sich vorgestellt dieses Gold zu ertasten, einfach nur zu berühren, das war alles. Seit ihrer ersten Begegnung war er einfach nicht mehr Herr über sich selbst. Als wäre er verhext worden. Und je mehr er sich dagegen sträubte, desto aussichtsloser wurde seine Gegenwehr. Der feste Entschluss, nicht auf diese neuartigen Gefühle einzugehen, war in dem Moment ins Nichts verpufft, als ihm klargeworden war, dass Toshiba Hidetori auf keinen Fall ein Feind sein konnte. Er fühlte es einfach. Er sah es, er spürte es zwischen seinen Fingern. Toshiba war anders, befremdlich und aufregend und in gewisser Hinsicht vielleicht auch gefährlich, doch das war es, was Kagegaku reizte. Er wollte herausfinden, was Toshiba für ein Mensch war. Warum er das fühlte, was er fühlte. Warum es ihr Schicksal war, sich zu begegnen. Fukushima würde ihn rügen, könnte er ihn jetzt sehen. Er würde ihn an seine Pflicht als Diener Kenshins erinnern, wie sie es alle taten und wie es bis vor kurzen auch seine oberste Priorität gewesen war. Doch war das nun alles anders? Er verstand es selbst nicht, hatte keine Antworten, doch eines wusste er genau: Er konnte diesen Gefühlen nicht entfliehen. Er hatte es versucht, doch das hatte ihn noch viel tiefer in Verwirrungen verstrickt. Kagegaku war sich noch nicht über den Konflikt, der sich langsam und unaufhaltsam anbahnte im Klaren. Sie lebten in einer schwierigen Zeit, in der Gefühle einfach nichts wert waren. Das wichtigste im Leben eines Klanführers war es, seinem Fürsten zu dienen. Wollte dieser, dass man sein Leben für ihn gab, dann stürzte man sich in den Tod. Nichts stand über dem Willen des mächtigsten Mannes. Hatte sich jene Treue zu seinem Herren auch geändert? Würde man ihn fragen, würde Kagegaku mit einen felsenfesten Nein antworten, doch in Momenten wie diesem, Momente, die er noch nie erlebt hatte, die so neu waren, so interessant, konnte er nicht von ganzem Herzen der Diener sein, als der er geboren und erzogen worden war. Bisher hatte er noch nie gespürt, wie sein Herz vor glücklicher Aufregung schneller schlug. Noch nie hatte er das Gefühl gehabt, dass er überhaupt lebte. Bis zum heutigen Tag war er nur ein Name, leblos und kontrolliert. Zum ersten Mal dachte er, frei das tun zu können, was er wollte. So zu denken wie ein Mensch. Und das tat er. Ein beflügelndes Gefühl, wie Kagegaku feststellen musste. Und davon wollte er einfach nicht genug bekommen. Und die Welt um ihn herum wurde unwichtig. Er war so sehr in seiner Erkundung vertieft, dass er nicht einmal bemerkte, wie Hyde ihn verwundert anstarrte. Was diesen keineswegs störte. Hyde war froh, dass ihm die Gelegenheit geboten wurde, ungestört diese Augen zu betrachten, ohne dass sie seinen Blick erwiderten. Sie verwirrten ihn einfach zu sehr, dabei waren sie vielleicht der Schlüssel zu all seinen Fragen. Die Antwort die er suchte. Würde ihm einfallen, wann und wo er dieses Augenpaar schon einmal gesehen hatte, dann könnte er vielleicht auch in seine Zeit zurückkehren. Dann bräuchte er keine Angst mehr um sein Leben haben, dann müsste er nicht befürchten, das sich die Legende vom ungleichen Liebespaar erfüllte. Dann wäre alles wieder so wunderbar wie vor seiner Zeitreise. Situationen wie diese, in denen er nicht wusste, wie er reagieren sollte, würde es dann auch nicht mehr geben, denn dann lagen zwischen ihm und Kagegaku mehr als 400 Jahre. Ein unüberwindlicher Zeitgraben, wie man annehmen sollte. Allerdings musste Hyde feststellen, wie ihm bei diesem Gedanken das Herz schwerer wurde. Eine unerklärliche Traurigkeit übermannte ihn, die sich fest in seine Seele fraß. Es war, als würde dieser Wunsch nach Abstand seinen ganzen Körper verwunden, als würde er sich selbst dafür bestrafen. Während er zu verstehen versuchte, warum er so fühlte, dachte er, plötzlich auch im Gesicht des Samurai Verwirrung entdeckt zu haben. Hyde spürte wie schlanke Finger zaghaft seine Kopfhaut berührten und wie die darauffolgende Gänsehaut prickelte. Kagegaku runzelte die Stirn, als wäre ihm soeben klar geworden, was er überhaupt tat. Er war wie ein Kind, das zum ersten Mal ein junges Kätzchen streichelte und überrascht vom weichen Fell einfach noch einmal darüberfuhr, um sich zu vergewissern, dass es nicht halluzinierte, und dann bemerkte, dass das, was es tat, eigentlich schrecklich albern war. Diese Unschuld, die hinter jenem Blick lag, wunderte Hyde. Und doch verzogen sich seine Lippen ganz automatisch zu einen Lächeln, was Kagegaku sonderlicherweise bemerkte. Er blickte auf den lächelnden Mund und schien selbst von diesem unglaublich fasziniert zu sein. Plötzlich fühlte sich Hyde, als wäre er in die Enge getrieben worden, als hätte man ihn in eine Falle gelockt. Unerklärliche Panik überfiel ihm, als die Situation aus seinen Händen zu gleiten schien. Er wusste nicht, wovor er Angst hatte, doch irgendetwas behagte ihm einfach nicht. Es war die Nähe, die ihm einfach zu intim war. Es war die Nähe, die ihm keinen Raum zum Atmen gab, die keine Flucht zuließ. Er wollte Kagegaku bitten, ihn los zulassen, ohne unhöflich zu klingen, was in seiner Nervosität aber schwer zu realisieren war, also fasste er seinen ganzen Mut zusammen und packte die Hand des Samurai, die sich mit seinem Haar verworren hatte. Der Schwarzhaarige blickte überrascht, sagte jedoch nichts, obwohl man ihm eine gewisse Verlegenheit ansah. Er blickte auf Hydes Hand, die seine festhielt, und wollte etwas sagen, doch der Blonde, dem auf einmal klar wurde, dass er sich mit seinem Handeln tiefer in Beschämung gestürzt hatte, riss sich schneller wieder los, als dass Kagegaku etwas dagegen einwenden konnte. „Entschuldigung“, murmelte Hyde unsicher. Doch wofür entschuldigte er sich überhaupt? Für die Scham, die er gerade fühlte, für die beklemmende Atmosphäre die er geschaffen hatte? Oder für seine Mutlosigkeit, nicht der Freundlichkeit des Samurai entgegen kommen zu können? Er wusste nicht einmal, warum er überhaupt freundlich behandelt wurde. Alles war noch zu fragwürdig und zu schwammig, um Vertrauen zu fassen. Er wagte es ja noch nicht einmal, normal zu reden, aus Angst, etwas Falsches zu äußern, sich fehlerhaft auszudrücken oder einfach nur zu viel zu sagen, was sich negativ auf den Verlauf der Geschichte auswirken könnte. Er brauchte natürlich das Vertrauen des Klanoberhauptes, um zu überleben, und doch hatte er bisher nichts in diese Richtung getan. Alles ging vom Samurai selbst aus, und das war es, was ihn noch zusätzlich verwirrte. Was sah dieser Mann in ihm? Warum vertraute er, ohne sich wirklich sicher zu sein, mit wem er es zu tun hatte? „Mir tut es Leid.“ Die klare Stimme, die wieder eine Entschuldigung äußerte, ließ Hyde aufschrecken. „Ich muss auf Euch wie ein Verrückter wirken.“ Kagegaku lächelte scheu, zog seine Hand aus den blonden Haaren und lächelte noch einmal. Dieses Mal über sich selbst. „Ihr habt eine außergewöhnliche Wirkung auf die Menschen.“ Hyde blickte fragend in Kagegakus Augen. „Oder bin nur ich es, der sich in Eurer Nähe seltsam verhält?“ Am liebsten hätte Hyde diese Frage mit einem sicheren Ja geantwortet, doch wie so oft seit er hier war, behielt er seine Worte für sich und schwieg. Anscheinend brauchte Kagegaku darauf auch keine Antwort, denn sicherlich wusste er selbst, dass es so war. Seine Augen jedenfalls strahlten jene Selbstkenntnis aus. „Vielleicht bin ich ja verrückt“, urteilte der Langhaarige nachdenklich. Hyde runzelte überrascht die Stirn, denn irgendwie wurde er das dumme Gefühl nicht los, dass er diese Äußerung ernst gemeint hatte. Es erstaunte ihn, dass dieser Samurai, der als furchtloser Krieger und intelligenter Stratege bekannt war, von sich selbst dachte, er hätte den Verstand verloren, obwohl zu dieser Annahme grob gesehen noch kein großer Anlass bestand. Sein Verhalten ihm gegenüber war zwar außergewöhnlich freundlich, doch nur deswegen verrückt zu sein, war doch absurd. Kagegaku seufzte ratlos, was Hyde verlegen machte. Am liebsten wollte er etwas gegen jene Selbstunterstellung sagen. Ihn überzeugen, das er nicht verrückt war, ihm erklären, dass es ihm eigentlich fast genauso erging. Am liebsten hätte er ihm gesagt, dass er sich in seiner Gegenwart ungewöhnlich unsicher fühlte, nicht der unbefangene Mensch sein konnte, der er eigentlich war. Doch das konnte er nicht, denn diese Angst existierte doch nur, weil er nicht wusste, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hatte. Wie reagierte man am geschicktesten, wenn man 400 Jahre in der Zeit zurück reist, von Kriegern gefangen genommen und mit dem Tod gedroht wird. Da war es doch ganz natürlich, dass man kaum ein Wort über die Lippen brachte und sich unsicher fühlte, wenn einem plötzlich Güte entgegengebracht wurde. Jedenfalls sah Hyde es so. Doch für die Menschen, die hier lebten, für Kagegaku und seine Leute war er ein normaler Mann aus einem benachbarten Dorf. Für sie musste es ungewöhnlich sein, wie er sich verhielt. Er musste reden, er musste versuchen so normal wie möglich zu agieren. Er musste etwas sagen. „Ich ...“ begann Hyde zaghaft. Seine Augen suchten das Licht der Kerze, die hinter Kagegaku stand und unruhig flackerte. Und plötzlich war ihm, als hätte er im Augenwinkel einen Schatten am Türrahmen gesehen. Es musste eine Einbildung gewesen sein, denn nach einem kurzen Blinzeln war nichts an der Tür zu sehen. Obwohl er sich auf einmal ziemlich unwohl fühlte, wollte er weitersprechen. Er spürte den Blick Kagegakus. Er wusste, dass dieser auf seine Worte wartete. Er musste nun endlich seiner Furcht entgegentreten. Er überwand sich und murmelte zwei Worte. „Ich denke ...“, dann verstummte er schlagartig. Wie in Trance blickte er einem schwarzmaskierten Mann in die dunklen Augen, die widerspiegelten, was sein Ziel war. Er stürzte lautlos in den Raum, in seiner rechten Hand einen Dolch, bereit zu töten. Er zielte auf Kagegaku, der ahnungslos mit dem Rücken zu dem Angreifer saß. Es waren nur Bruchteile von Sekunden, doch Hydes Gedanken rasten von einem Szenario zum nächsten. Es war zu spät. Der Schwarzhaarige würde nicht rechtzeitig reagieren können. Er würde sterben. Dann ging alles so schnell, dass Hyde selbst nicht wusste, was er überhaupt tat. Er packte Kagegaku an den Schultern und drehte ihn herum. Schützend warf er sich auf den Samurai und verhinderte somit das Schlimmste. Dann schloss er die Augen. Kagegaku, der schließlich sofort begriff, was hier passierte, zog sein Kurzschwert, das er immer bei sich trug, und tötete den Angreifer mit nur einer meisterhaften Handbewegung. So lautlos wie er sich ins Innere des Anwesens geschlichen hatte, sank der Mann, der zweifelsohne ein Ninja war, leblos zu Boden. Sein Blut durchtränkte rasend schnell den Tatamimattenboden, auf dem Kagegaku selbst noch Sekunden vorher gesessen hatte. Unzählige reuevolle Gedanken rasten blitzschnell durch den Kopf des Klanführers, während seine Hände über den kleineren Körper auf dem seinen tasteten. Er selbst war nicht verletzt, doch was war mit Hidetori? Der Fremde hatte ihn auf den Angreifer aufmerksam gemacht. Um ihn zu beschützen? Warum? Was war geschehen? Alles ging so schnell. Hidetori hatte ihn plötzlich zu Boden gedrückt, er hatte den Angreifer gesehen und sofort gehandelt. Instinktiv hatte er den Blonden festgehalten und beschützend an seine Brust gedrückt, während der Ninja starb. Doch warum bewegte sich Hidetori nicht? War er zu spät? Er spürte warmes Blut. Es durchdrang Kagegakus Kimono und traf auf seine Haut. Es war nicht das Blut des Killers, und auch nicht sein eigenes. Es war das Blut des Mannes, der in seinen Armen lag und sich nicht rührte. Starr aus Angst vor der Realität blickte er auf den Blonden hinunter. Der rechte Ärmel des hellbraunen Kimonos war dunkelrot gefärbt. Über Toshibas Hand, die sich an Kagegakus Kimono klammerte, floss das Blut auf dessen Brust. Wie flüssiges Feuer tropfte es hinab und schien dort seine Haut zu verbrennen. Mit zitternden Händen packte der Samurai die Schultern des Blonden und drehte ihn vorsichtig herum. Helle Strähnen klebten an seiner verschwitzen Stirn. Er atmete noch, wenn auch sehr unruhig. Doch wenigstens lebte er noch. Neben ihm lag der kurze Dolch des Ninjas. Seine Klinge war dunkelrot. Kagegaku fasste sich verzweifelt an die Stirn. Der Ninja hatte es geschafft, seine Waffe zum Einsatz zu bringen. So etwas war noch nie passiert. Er war doch immer schnell genug, Angreifer zu töten, noch bevor sie überhaupt in seiner Nähe waren. Warum war er so unachtsam gewesen? Panisch suchte Kagegaku nach der Verletzung. Er fand sie sofort, als er den blutdurchtränkten Kimono auseinander zog. Seine Pupillen weiteten sich, als ihm plötzlich das Ausmaße seiner Unachtsamkeit dargelegt wurde. Endlich schrie er nach Hilfe. Seine Stimme war brüchig und viel zu leise und doch wurde sie von seinen Leuten gehört. Gleich mehrere seiner Männer stürmten in den Raum. Kagegaku blickte sie nur entgeistert an, während er seine Hände fest auf Hidetoris Wunde drückten, aus der unaufhörlich Blut drang. Seine Finger zitterten immer noch. Er hatte Angst, panische Angst, dass dieser Mann sterben könnte. Noch nie zuvor hatte er eine solche Qual erlebt. Doch warum? Warum war es ihm nicht egal, was mit ihm geschah? Weil Hidetori ihn beschützt hatte? Weil er sich todesmutig vor die Klinge des Angreifers gestürzt und somit sein Leben gerettet hatte? Wenn er in das blasse, verschwitzte Gesicht sah, wusste er nur eins. Toshiba Hidetori durfte nicht sterben. Er durfte auf keinen Fall sterben. Egal wie, er würde es verhindern, auch wenn er mit seinen eigenen Leben dafür bezahlen müsste. ------------------------------------ Tut mir wirklich Leid, dass es so lange gedauert hat. Wollte das Kapitel ja schon Anfang des Monats fertig haben, aber nach dem Parisurlaub und dem Vampskonzert, hat es etwas gedauert wieder in den Alttag zu finden. Ist bei mir immer so, egal wie lange ich weg war. Und dann gab es auch noch ein paar private Problemchen, weswegen ich mich nicht richtig konzentrieren konnte. Sprich, alles was ich in dieser Zeit geschrieben habe, war für den Müll... musste vieles nochmal überarbeiten oder umformulieren, was ziemlich viel Arbeit und Zeit gekostet hat. Dafür aber ist das Kapitel etwas länger als die anderen davor. Und ich hoffe das nächste Kapitel wieder etwas früher hochladen zu können. Werd mir Mühe geben, aber erst einmal muss ich ein Fanart beenden, dann bekommt die FF wieder die höchste Hobbypriorität. ^_^ Ach ja, was ich das letzte Mal schon erwähnen wollte. ^^ Wir besitzen kein einziges Gerät von Toshiba lol Ach, äh und sorry für das böse Ende. ó.ò Aber danke für eure Kommentare. Ich freu mich echt über jeden einzelnen, egal ob kurz oder lang. Danke, danke, danke... ^^ *#*#* Erläuterungen: * Kasugayama Primärfestung des japanischen Kriegsherren Uesugi Kenshin ** Kawanakajima Landstrich zwischen den beiden Flüssen Chikuma und Saigawa in der Präfektur Nagano Von 1553 bis 1564 kam es zu ständigen Kämpfen zwischen Uesugi Kenshin und Takeda Shingen. Berühmt ist insbesondere die unentschiedene Schlacht vom September 1561, in der eine 20.000 Mann starke Takeda-Armee 18.000 Mann des Uesugi-Klans gegenüber standen. *** Kagekatsu Sohn von Nagao Masakage (der Kopf des Ueda Nagao Klans) und Uesugi Kenshins älteren Schwester. Nach dem Tod seines Vaters wurde er von Kenshin adoptiert. **** Etchu historischen Provinz Japans im Zentral-Honshu am Japanischen Meer ***** Kosaka Danjo einer von Takeda Shingens 24 Generälen und sein treuester Begleiter. ****** Kagetora siebender Sohn von Hojo Ujiyasu, der seinen Sohn als Geisel zu den Uesugis schickte. Kenshin, der keine eigenen Kinder bekam, adoptierte ihn, gab ihm seinen früheren Namen und verheiratete ihn mit seiner Nichte. ******* Kakemono japanisches, hochformatiges Rollbild. #Miyako früherer Name für Kyoto bedeutet „kaiserliche Residenz" Kapitel 3: Erinnerung --------------------- 3. Kapitel: Erinnerung [Vergangene Zeit zerfrisst meine Erinnerung, wie Liebe mein Herz.] ---------------------------------------- Der blutige Dolch fiel aus der Hand des sterbenden Ninja und kam dumpf tönend auf dem Tatamiboden auf. Die flackernde Kerze spiegelte sich im glänzenden Stahl wider, der bis zur Hälfte mit Blut befleckt war. Während kalter Wind in den Raum strömte, drückte er seine bebenden Hände auf die Wunde und starrte in das bleiche Gesicht des durch seine Schuld verwundeten Mannes. Seine Worte, mit denen er um Hilfe schrie, waren dünn, verschluckt von ängstlicher Panik, die ihn ergriffen hatte. Ein Gefühl, dass er so noch nie erlebt hatte. Ein tiefer Schmerz, als hätte ihn selbst jener blutrote Dolch aufgeschlitzt. Die Schritte Kagegakus Männer ertönten in den Ohren des Samurai wie hohle Schläge gegen eine Wand. Besorgte Fragen prallten ungehört an ihm ab, während alles, was er sah, so trügerisch wie in einem Alptraum erschien. Erst als Fukushima ihm, ohne eine einzige Frage zu stellen, Hidetori aus den Armen zog, fand er zurück in die Realität. Benebelt starrte er in die Augen seines Freundes, der ihm einen beruhigenden Blick schenkte. Dann hob Fukushima den Blonden in seine Arme und brachte ihn behutsam fort. Dutzende Male hatte sich jener Moment erbarmungslos vor seinen Augen abgespielt, seit er neben dem Futon saß und für das Leben des Mannes mit den goldenen Haaren betete. Seine Schuldgefühle wuchsen von Sekunde zu Sekunde, in denen Hidetori seine Augen nicht öffnete. Obwohl der Verletzte die bestmögliche Behandlung der fähigsten Männer erhalten und diese dem Oberhaupt versichert hatten, dass es schlimmer aussah, als es eigentlich war, hatte Kagegaku es nicht fertig gebracht, den Blonden aus den Augen zu lassen. Zu groß war seine Angst vor einer Verschlechterung seines Zustandes oder dass Hidetori aufwachte und er nicht da war, um sich sofort zu entschuldigen. Er verdankte ihm sein Leben. Hätte er ihn nicht ohne zu zögern zu Boden gedrückt und damit sein eigenes Leben gefährdet, dann hätte es ziemlich schlecht ausgesehen. Dann wäre er mit höchster Wahrscheinlichkeit durch die scharfe Klinge des Dolchs gestorben. Diese Unvorsichtigkeit zeigte sich nun in Form einer tiefen Wunde, die später als Narbe auf Hidetoris Schulter zu sehen sein würde. Auch wenn eine Entschuldigung seinen Fehler nicht ungeschehen machen konnte, war es vorerst das Einzige, was er tun konnte. Doch wohler würde es Kagegaku selbst danach immer noch nicht werden. Seine ungewohnte Abwesenheit hatte nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Männer schockiert. So etwas war bisher noch nie vorgekommen. Egal in welcher Situation er steckte, seine Sinne waren immer scharf und kampfbereit. Warum war es am gestrigen Abend nicht so gewesen? „Herr!“ Fukushima trat in den Raum, kniete sich nieder und sah unaufgefordert in die müden Augen seines Freundes. Alle Bemühungen, das Oberhaupt von der Nachtwache abzuhalten, waren fehlgeschlagen. Starrköpfig hatte Kagegaku auf jeden Vorschlag immer nur den Kopf geschüttelt und gemeint: „Nein, ich bleibe, bis er erwacht.“ Seufzend hatte Fukushima diesen felsenfesten Entschluss schließlich hingenommen und ihn mit den Verletzen allein gelassen, wie es Kagegaku ausdrücklich gewünscht hatte. Nachdenklich wanderte der Blick des Beraters auf das Gesicht des Verletzten. Es hatte ihn überrascht, mit welchem unüberlegten Mut dieser so zierlich wirkende Mann gehandelt hatte. Die Unerschrockenheit, die bisher alles andere als ersichtlich war, beeindruckte den Freund des Oberhauptes. Ohne genau zu wissen, was geschehen war, hatte er dem Blonden trotz Zweifel an seiner Herkunft und seinem Ziel geholfen. Obwohl Fukushima derjenige war, der bisher immer nur skeptisch auf das Thema Toshiba reagiert hatte, war er es auch gewesen, der Kagegaku die helfende Hand gereicht hatte, als dieser sie am meisten gebraucht hatte. Nicht weil es seine Pflicht als Diener war, sondern weil er in dem Moment, als er die blutige Wunde des Fremden gesehen hatte, auch wusste, dass dieser Mann, der so viel Misstrauen erntete, seinem Herrn das wichtige Leben gerettet hatte. Er war Toshiba Hidetori dankbar. Welcher Grund diese Aufopferung hatte, war Fukushima erst einmal völlig egal gewesen. Mehr hatte ihn Kagegakus hilfloser Blick beunruhigt, den er so abwesend und unsicher noch nie erlebt hatte. Es war Panik, die sich in den dunklen Augen widergespiegelt hatte, und das hatte Fukushima geschockt. Denn noch nie war Kagegaku ängstlich gewesen. Während schlimmster Schlachten ritt er an vorderster Front. Unter Kugelhagel riskierte er ständig sein Leben, um Andere zu retten. In tiefster Dunkelheit kämpfte er mit den fürchterlichsten Feinden, doch wirkliche Angst verspürte er nur, wenn ein Fremder namens Hidetori Toshiba bewusstlos in seinen Armen lag. Ein eigenartiger Vergleich und doch traf es genau so zu. Mittlerweile war Fukushima sich absolut sicher, dass sein Herr in den Fremden verliebt war. „Danke, Yusuke“, murmelte Kagegaku, ohne seine Augen von dem Blonden abzuwenden. Fukushima blickte erstaunt auf. Es kam selten vor, dass das Oberhaupt ihn mit seinem Vornamen ansprach. „Wofür?“, fragte er, obwohl er genau wusste, warum dieser schüchterne Dank kam. „Für deine Hilfe gestern. Ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte. Du aber schon und das obwohl du Toshiba immer noch verdächtigst.“ Fukushima schüttelte stumm den Kopf. Obwohl sie seit unendlich langer Zeit befreundet waren, hatte sich das Familienoberhaupt noch nie auf diese Art bei ihm bedankt. Es machte den Berater verlegen, da er nicht der Meinung war, dass er es verdient hatte. Trotzdem widersprach er nicht, denn ein Geschenk oder ein Lob seines Herrn abzulehnen galt als unhöflich. „Trotz deiner Zweifel hast du ihm geholfen“, lobte Kagegaku weiter, während er seinen Freund anblickte. Fukushima schüttelte erneut vehement den Kopf. „Es war meine Pflicht“, begründete er und senkte sein Haupt tiefer. Kagegakus Lippen umspielte ein zynisches Lächeln, dann nickte er. „Ja, als mein Vasall“, murmelte er leicht enttäuscht über diese unumstrittene Tatsache. „Nein, als Euer Freund“, entgegnete Fukushima, ohne zu zögern, bevor er in das Gesicht Kagegakus emporsah. Er lächelte, denn es war ihm schon immer sehr wichtig gewesen, dass Fukushima in ihm nicht ständig den Herrn und Krieger sah, sondern auch einen treuen Freund, dem man bedingungslos alles anvertrauen konnte. Für ihn war dies von Kindestagen an immer nur Fukushima Yusuke gewesen. Niemand sonst war in der Lage, sein inneres Wesen zu sehen, wie es Fukushima seit je her getan hatte. Niemand anderem konnte er ohne Worte zu verstehen geben, was er wünschte. Sie waren Seelenverwandte, die das Glück hatten, während dieser ungestümen Zeit des Krieges auf der selben Seite zu stehen. „Du hast recht“, stimmte Kagegaku nickend zu. Fukushima verneigte sich, bevor er schließlich zum wahren Grund seines Besuches kam. „Weshalb ich eigentlich hier bin ...“, begann er um langsam das Thema zu wechseln. Kagegaku blickte ihn fragend an und entdeckte sofort eine gewisse Ablehnung in seinen Augen, die nur sichtbar wurde, wenn es um eine bestimmte Person innerhalb der Nishiyama-Familie ging. „Euer Bruder ist hier. Er wünscht, euch zu sprechen“, murmelte Fukushima, noch bevor das Oberhaupt genervt seufzen konnte. „Kagemura?“ „Du musst mich nicht ankündigen, Fukushima. Ich bin Teil der Familie. Ich lebe auch in diesem Haus.“ Die vertraute Stimme seines jüngeren Bruders hallte laut durch den Korridor. Mit großen, nicht zu überhörenden Schritten trat der mittelgroße Mann unaufgefordert in den Raum. Sofort blickte er streng in die kleine Runde und schüttelte missbilligend dem Kopf. „Was ist dein heutiges Anliegen, Bruder?“, fragte Kagegaku, dem der mehr oder weniger seltene Besuch seines jüngeren Bruders jetzt schon lästig war. Die meiste Zeit lebte Kagemura nicht auf dem Nishiyama-Anwesen, sondern auf der Burg Kasugayama. Er war einer von Kenshins Generälen, Leibwächter und Begleiter. Seine Aufgabe war es, Tag und Nacht über den Daimyo zu wachen und mit ihm in die Schlachten zu ziehen. Einen Fuß in sein Geburtshaus setzte er nur, wenn er einen Streit mit Kagegaku anzetteln wollte, den er abgrundtief hasste, oder um einen kurzen Blick auf seinen heranwachsenden Sohn zu werfen, der diesen Sommer fünf geworden war. Er war kaltherzig, obwohl seine sanften Augen das direkte Gegenteil ausstrahlten. Selbst seine warme Stimme ließ ein anderes Wesen vermuten, doch Streitereien um die Nachfolge hatten ihn zu dem gemacht, was er heute war: machtgierig und gefühlskalt. Das direkte Gegenteil seines älteren Bruders, dem seit Kindestagen die Pflicht, die er als Nachfolger erfüllen musste, seelisch aufgebürdet worden war. Kagegakus Mutter war die angetraute adlige Lady aus dem Süden Echigos, während Kagemura, der nur wenige Tage nach seinem Halbbruder zur Welt gekommen war, von einer bürgerlichen Geliebten stammte. Erzogen wurden sie beide von Lady Oosho, Kagegakus Mutter, die vor zwei Jahren an einer Krankheit gestorben war. Trotzdem gab es zwischen den beiden Männern seit jeher keine brüderliche Liebe. Kagemura hatte stets jegliche Annäherungen und Freundlichkeiten seitens Kagegaku abgelehnt und sogar tief verachtet. „Ist er das? Dieser Spion mit den Strohhaaren?“, kam es abwertend von Kagemura, der von oben herab auf den besinnungslosen Verletzten sah. Kagegaku bemerkte sofort die Abscheu in den Augen seines Bruders, die heute auf ihn noch penetranter wirkten als sonst. „Sein Name lautet Toshiba Hidetori. Bisher ist nicht bewiesen, dass er ein Spion ist“, warf das Klanoberhaupt provozierend in den Raum, während er Fukushimas einlenkendes Kopfschütteln im Augenwinkel ausblendete. Barsch schlug der jüngere Bruder die Futondecke zurück und prüfte mit halbherzigen Blick die verbundene Schulter des Blonden. „Nicht dass mir das Leben dieses Mannes wichtig wäre, aber wie konnte das bitte passieren?“ „Ein Ninja griff ihn letzte Nacht an“, antwortete Fukushima, der eine zynische Bemerkung seines Herrn erahnte, sofort. „Das ist mir bereits bekannt. Aber warum ihn?“ „Wir vermuten, dass euer Bruder das eigentliche Ziel war. Toshiba warf sich vor den Dolch, um unseren Herrn zu beschützen“, sprach der engste Vertraute wieder, obwohl ihm klar war, dass Kagemura diese Frage an Kagegaku gerichtet hatte. Das Oberhaupt behielt seine Bemerkung lieber für sich und zog mit einen genervten Kopfschütteln die Decke, die der Jüngere achtlos aufgeschlagen hatte, zurück. Überrascht starrte Kagemura seinen Bruder an. „Ich traue meinen Augen ja kaum. Seit wann bist du denn so fürsorglich?“, stichelte er und begann spöttisch zu grinsen. Fukushimas Kopfschütteln, das Kagegaku davon abhalten sollte, darauf einzugehen, wurde heftiger. Und es tat dieses Mal seinen Dienst. Das Oberhaupt schwieg, obwohl ihm danach zu Mute gewesen wäre, seinen Bruder am schwarzen Kragen seines Kimonos über die Schwelle des Hauses zu befördern. Doch, auch wenn er als Klanführer der Herr des Hauses war und es ihm freistand, unliebsame Gäste vor die Tür zu setzen, waren ihm bei seinem Bruder die Hände gebunden. Kagemura war zwar genau wie Kagegaku ein General Kenshins, doch der Jüngere pflegte ein sehr viel engeres Verhältnis zu diesem, das zur Zeit wie ein unzertrennbares Band zwischen dem Daimyo und den Nishiyamas fungierte. Ging er gegen seinen Bruder vor, stellte er sich gleichzeitig auch gegen den mächtigsten Lord Echigos und seine eigene Familie. Auf Kasugayama wusste man von der gegenseitigen Ablehnung der Nishiyama-Brüder. Viele Augen waren auf sie gerichtet, da in den meisten Köpfen der legitime Erbe immer noch nicht ermittelt war. Auch nur der kleinste Ausrutscher konnte gegen Kagegaku verwendet werden, wenn es sein Bruder darauf anlegte. „Ich hörte, du möchtest ihn hier arbeiten lassen. Bist du eigentlich noch ganz bei Sinnen?“ „Mehr als du glauben magst“, antwortete der Ältere knapp, ohne den Anderen eines Blickes zu würdigen. „Ich denke nicht, dass das eine weise Entscheidung ist.“ Kagegaku erhob sich langsam aus seinem Schneidersitz und erwiderte zum ersten Mal den kalten Blick Kagemuras. „Wie du weißt, treffe ich die Entscheidungen für die Nishiyama-Familie. Deinen Rat habe ich noch nie benötigt.“ Vom Jüngeren kam nur ein verächtliches Schnauben, bevor er laut zu lachen begann. „Ich wusste schon immer, dass du uns irgendwann einmal ins Verderben stürzen würdest. Letztendlich hat Vater tatsächlich den falschen Erben gewählt.“ „Unser Vater hat so gewählt, weil er es als richtig empfand“, entgegnete Kagegaku zornig. Es gab wenige Menschen, die ihn so rasend machen konnten, wie es sein eigener Bruder viel zu oft vermochte. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, artete es in einem schroffen Wortwechsel aus, den selbst Fukushima mit seiner beruhigenden Art nicht immer aufhalten konnte. Kagegaku sah jedes Mal rot, wenn er die sanften Augen mit ihrer inneren Kühle erblickte. Es reizte ihn, wenn der Jüngere auf dem leidige Thema des Nachfolgers herumritt, wie es bei fast jedem Gespräch der Fall war. Kagegaku war es immer egal gewesen, wer den Klan anführen würde, doch die Entscheidung ihres Vaters war bezeugt und unumstritten. Selbst Kenshin hätte daran nichts ändern können, auch wenn böse Zungen behaupteten, die Zeugen des letzten Willens ihres Vaters, wären bestochen worden. Kagemura runzelte die Stirn, während sich seine Lippen zu einen spöttischen Grinsen verzogen. „So wie du es auch richtig findest, einen möglichen Feind unter unserem Dach leben zu lassen. Was willst du denn mit ihm anstellen?“, stellte er die Frage, die selbst Fukushima gern beantwortet haben wüsste. „Das weiß ich noch nicht. Wie du siehst, ist er gerade nicht in der Lage, mir zu dienen“, antwortete Kagegaku, darauf hinweisend, dass sie über einen Verletzten sprachen, der bewusstlos war. Kagemuras boshaftes Grinsen wurde breiter, als er auf den Blonden zu seinen Füßen blickte. „Ahhh, ich verstehe. Er gefällt dir. Erstaunlich, dabei sagen die Gerüchte, dass du noch nie eine Frau oder einen einen Mann angerührt hast.“ Langsam kniete sich der Jüngere nieder und berührte das helle Haar des Bewusstlosen, während er seinem älteren Bruder provokant in die Augen sah. Kagegaku wusste, dass er versuchen wollte, ihn damit reizen, trotzdem konnte er das gefährliche Zucken in seinen Fingern nicht unterdrücken, als er diese Berührung sah. „Gerüchte sind Gerüchte, weil sie meist erfundene Geschichten sind“, erwiderte das Oberhaupt mit leicht rauer Stimme. Kagemura, der diese Bemerkung ignorierte, war sichtlich über die neu entdeckte Schwäche seines Bruders erfreut. Er scheute sich nicht, absichtlich tiefer im Gefühlsgraben Kagegakus herumzuwühlen, um schließlich genau den Punkt ausfindig machen zu können, der früher oder später angreifbar war. „Dein Geschmack ist zwar mehr als ungewöhnlich, doch für deine erste Erfahrung wird er wohl gut genug sein. Pass auf, er wird dir bestimmt eine Menge beibringen können.“ Langsam strichen seine Finger über die blasse Wange des Blonden, während Kagegaku allmählich drohte die über die Jahre antrainierte Beherrschung zu verlieren. „Herr“, kam es in letzter Sekunde murmelnd aus dem Hintergrund. Fukushima hatte das brodelnde Feuer im Inneren seines Herrn bemerkt. Würde es jetzt ausbrechen, käme es auf jeden Fall zu einer Schlägerei, die es zugegebenermaßen seit den frühen Jugendtagen der beiden nicht mehr gegeben hatte. Kagegaku, dem bewusst war, dass ihm ein Fehltritt dieser Art erheblich schaden konnte, rief sich selbst zur Vernunft und atmete einmal tief durch, während er gequält die Augen schließen musste. „Wenn du mir nichts Wichtigeres zu sagen hast, dann geh bitte. Du siehst doch, dass ich gerade keine Zeit habe, deinen sinnlosen, kindischen Worten zuzuhören“, forderte Kagegaku mit fester Stimme, die er sich mit Mühe erkämpft hatte. Zu seiner Erleichterung tat sein Bruder auch tatsächlich, worum er gebeten hatte. Er stand auf und trat mit herablassendem Blick in seinen Augen in den Korridor. Er stoppte noch einmal, um sich herumzudrehen und Kagegaku anzusehen. „Bald wirst du erfahren, was dein Hochmut anrichten wird. Ich freue mich schon darauf, dich nach deinem Untergang winseln zu hören.“ Mit einen höhnischen Lächeln verneigte er sich und ging. „Ob er etwas gegen Euch plant?“, murmelte Fukushima, der Kagemura genauso argwöhnisch hinterherblickte, wie es das Klanoberhaupt tat. „Das tut er schon sein halbes Leben lang“, antwortete Kagegaku, dem die letzten Worte seines Bruders nicht aus den Kopf gehen wollten. Seit er denken konnte, spürte er den Hass, der im Herzen Kagemuras loderte. Seit dieser Frau und Kind zurückgelassen hatte, um seine Macht im Zentrum der Regierung zu stärken, war es nur noch schlimmer geworden. Es war schon lange zu spät gewesen, diesen Groll zu mildern oder sogar in ein positives Gefühl umzuwandeln. Kagegaku hatte sich damit abgefunden, einen Feind innerhalb der Familie zu haben. Solange es nur Hass war, würde er damit leben können, doch heute hatte er zum ersten Mal unbeschreiblich tiefe Feindseligkeit gespürt, die ihn regelrecht erzittern ließ. Wozu würde dieser Gräuel führen? Würde Kagemura wirklich so weit gehen und ihm ernsten Schaden zufügen wollen, wie Kagegaku es in diesem Moment im Gefühl hatte? „Das mag richtig sein, doch heute ...“, Fukushima zögerte auszusprechen, was er dachte und was auch ihm soeben aufgefallen war. „... Ihr habt jetzt eine Schwäche.“ „Schwäche?“, fragte Kagegaku, während er sich wieder neben dem Futon niederließ. Fukushima schluckte, bevor er ernst in die Augen seines Freundes sah. „Er!“ Sein Blick deutete auf den Blonden, während Kagegaku darauf nur mit nachdenklichem Schweigen reagieren konnte. „Ich weiß nicht, ob Ihr es bemerkt habt, doch fast jeder hier auf diesem Anwesen spricht schon darüber.“ Die müden Augen des Oberhauptes weiteten sich erstaunt. „Worüber?“, fragte er, der tatsächlich keine Ahnung hatte, was um ihn herum getuschelt wurde. „Wie Ihr Euch aufopfernd um Toshiba Hidetori kümmert, wie Ihr ihn anseht ... Selbst Euer Bruder hat es sofort bemerkt.“ Fukushima hatte lange gezögert, dieses Thema anzusprechen, doch Kagemuras Auftauchen und dessen verdächtige Blicke auf den Blonden hatten ihn regelrecht dazu gezwungen. Kagegaku musste sich darüber im Klaren werden, was er mit einer stärker aufflammenden Rivalität zwischen ihm und seinem Bruder anrichten konnte. Ihm musste begreiflich gemacht werden, was passieren würde, stellte er sich auf Toshibas Seite und gegen Kagemura. Fukushima war sich sicher, dass es der jüngere Herr genau darauf anlegen würde, jetzt da er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie viel Wert der Fremde für Kagegaku hatte. „Er wird die Gefühle, die Ihr für diesen Mann hegt, gegen Euch verwenden. Früher oder später, da bin ich mir sicher. Vielleicht wird er sogar Hidetori selbst benutzen, um Euch zu schaden.“ „Gefühle?!“, murmelte Kagegaku überrascht, als hätte er noch nie etwas von diesem Wort gehört. Er war verwirrt. Hatten denn wirklich schon alle bemerkt, was mit ihm los war, noch bevor er selbst überhaupt den leisesten Schimmer hatte? Inwiefern waren seine 'Gefühle' nach außen hin sichtbar geworden? Was waren das für Gefühle und warum waren sie überhaupt da? „Ihr solltet auf jeden Fall vorsichtig sein“, riet Fukushima mit ernster Stimme, doch Kagegaku schien bereits tief in seinen grübelnden Gedanken versunken zu sein. Abwesend starrte er vor sich hin und reagierte auch nicht, als sich sein Freund mit einem stillen „Entschuldigt mich.“ zurückzog. Kagegakus abwesende Augen schauten auf den Blonden hinab, der den Anschein machte, als wäre er vom friedlichsten Schlaf seines Leben umhüllt worden. Kagegaku füllte sich plötzlich von diesem Frieden ergriffen, den er auch am gestrigen Abend gespürt hatte, kurz bevor Hidetori ihn beschützt hatte. Es war sein Fehler gewesen. Er hätte sich niemals schutzlos dieser trügerischen Stille hingeben dürfen. Doch diese innere Ruhe, die er so noch nie in seinem Leben erlebt hatte, war wie ein nie endender Rausch, der ihn regelrecht süchtig gemacht hatte. Genauso war es auch jetzt. Kagegaku konnte nicht von dem Blonden lassen. Seine Augen starrten unentwegt in das schlafende Gesicht, während seine Gedanken beim gestrigen Abend waren, als sich ihre Hände berührt und Hidetori fast scheu um Entschuldigung gebeten hatte. Wenn er an jenen Moment dachte, spürte er Angst, dass Fukushima mit seiner Vermutung recht haben könnte und Kagemura Hidetori benutzen würde, um ihm, seinem eigenen Bruder, zu schaden. Tatsächlich konnte auch er sich vorstellen, dass der Jüngere dazu in der Lage wäre. Kagemura wäre jedes Mittel recht, um an das zu kommen, was sein habgieriges Herz wünschte. Wahrscheinlich würde er sogar über die Leichen seiner gesamten Familie gehen. Diese Tatsache erschwerte Kagegakus Herz, da er wusste, dass er seinen Bruder nie ändern können würde. Er war ein Gefangener der Dunkelheit. Für immer an sie gefesselt. Doch dass er Hidetori in seine finstere Welt zog, würde er auf keinen Fall zulassen. Egal, was er dafür tun musste. Dieses Mal würde er den Blonden retten, das schwor er sich. Er war es Hidetori schuldig. Müde schaute Kagegaku auf die blassen Lippen, die sich bisher so selten zum Reden geformt hatten. Warum nur scheute sich Hidetori so davor, seine Fragen zu beantworten oder mit ihm zu sprechen? Dies beschäftigte Kagegaku, als er plötzlich das Zittern im Mundwinkel des Blonden bemerkte. Er sah das Zucken seiner Lider, auf das ein leises Stöhnen folgte. Hidetori kam wieder zu sich. Langsam drehte er seinen Kopf zur linken Seite, dann zur rechten, ohne die Augen zu öffnen. Kagegaku flüsterte seinen Namen, doch Hidetori schien ihn nicht zu hören. Er stöhnte ein weiteres Mal, während er sein Gesicht vor Leid verzog. Ein stechender Schmerz fuhr durch die linke Schulter des Blonden, die mit einer dicken Bandage verbunden war. Er fühlte sich schrecklich schwach und müde, während seine verwirrten Gedanken um eine einzige quälende Frage kreisten. Was war passiert? Mühevoll ließen sich seine schweren Augen öffnen, die dann ziellos an die Holzdecke starrten. Die dunkelbraunen Latten, die das schwere Strohdach trugen, schienen auf ihn hinabzustürzen. Stöhnend schloss er die benebelten Augen und fasste sich mit der rechten Hand an die schmerzende Schulter. „Wie fühlt Ihr Euch?“ Die besorgte Stimme war leise und unklar. Als wäre sie hunderte Kilometer weit entfernt und doch spürte Hyde deutlich die Wärme hinter den beklommenen Worten, die ihm auf einmal Sicherheit gaben. Wieder versuchte er, die Augen zu öffnen und den Besitzer dieser Stimme mit einem Blick zu belohnen. Sofort traf er auf die wunderschönen, dunklen Augen, die ihn schon so oft verwirrt hatten. Sie sahen auf ihn hinab, erfüllt mit Sorgen und auch Erleichterung. Die feinen Augenbrauen waren krampfhaft zusammengezogen, sodass sich eine tiefe Falte zwischen ihnen bildete. Das pechschwarze Haar war zerzaust und hing offen über die breiten Schultern. Es war das Klanoberhaupt, das wachend neben Hydes Futon saß, sich etwas nach unten beugte und die unbeantwortete Frage wiederholte. Eine der langen, schwarzen Strähnen berührte Hydes Hand, die sich am Kragen seines weißen Kimonos festklammerte. Dort war der Schmerz am heftigsten. Doch statt sich über sein Leid zu beklagen, wunderte er sich eher über Kagegakus Anwesenheit. „Wie fühlt Ihr Euch?“ Wieder konnte der Blonde nicht darauf antworten, denn die Bandbreite seiner momentanen Gefühle war einfach zu groß. Sie reichte von Schmerz über Verwirrung bis zu seltsamer Erleichterung. Die Erinnerungen daran, was passiert war, kam nur langsam zurück. Sie vermischten sich mit seinen Gedanken an den Schmerz in seiner Schulter, der ihn schließlich wieder stöhnen ließ. Er wollte sich nach oben ziehen, um weniger hilflos zu wirken, doch starke Hände drückten ihn wieder auf den Futon zurück. „Ihr solltet Euch nicht bewegen.“ Eindringliche Worte, die Hyde auf eine eigenartige Weise beruhigten. Doch nicht nur sie, sondern auch die Tatsache, das Kagegaku lebte und seine lebensmüde Aktion nicht umsonst gewesen war. Plötzlich erinnerte er sich an den schwarzmaskierten Mann, den spitzen Dolch in dessen Händen und an Kagegaku, der nichts davon bemerkt hatte. Er erinnerte sich daran, wie sein eigener Körper vor Panik erzittert und wie er ferngesteuert den Samurai an den Schultern gepackt und mit sich zu Boden gedrückt hatte. Dabei hatte sich der Dolch durch seine Haut gebohrt. Die starken Hände, die ihn festgehalten hatten, waren das Letzte woran er sich erinnerte. Danach war nichts mehr. Er war ohnmächtig geworden, noch bevor er überhaupt Schmerzen hatte empfinden können. „Ihr habt wirklich großes Glück gehabt.“ Kagegakus Worte rissen den Blonden aus seinen quälenden Erinnerungen, die er am liebsten vergessen wollte, genauso wie das schreckliche Stechen und Pochen in seiner Schulter. „Er hätte Euch mit diesem Dolch umbringen können.“ Überrascht musterte Hyde den Krieger, dessen tiefe Besorgnis nicht zu überhören war. Ihn beschäftigte die Frage, ob der Samurai, so wie er vermutete, die ganze Nacht über neben ihm gesessen und gewacht hatte. Es war seltsam, doch er musste zugeben, dass ihm dieser Gedanke angenehm war. „Ich möchte mich bei Euch bedanken und entschuldigen.“ Tief verneigte der Schwarzhaarige sein Haupt, bevor er bedacht weitersprach. „Dieser heimtückische Angriff galt mir. Ihr hättet nicht Euer Leben auf Spiel setzen dürfen. Ich war es, der einen Fehler begangen hat. Ich habe die Wachen von ihren Posten abziehen lassen.“ Aus seinen Worten sprach aufrichtige Reue, die seinen innersten Dank in den Hintergrund treten ließ. „Ich hätte Euch beschützen müssen“, flüsterte Kagegaku, als würde er mit sich selbst sprechen. Hyde blickte ihn an und schüttelte stumm den Kopf. Er konnte nur erahnen, wie es dem Samurai gehen musste. Sein zerrüttetes Auftreten und seine von Müdigkeit zeugenden Augen sprachen tausend Bände. Sie strahlten auch Worte aus, die Kagegaku nicht aussprechen konnte. So sehr er auch nach ihnen suchte, er konnte nicht klar ausdrücken, wie unendlich dankbar er über Hidetoris Leben war. Wahrscheinlich, weil ihm einfach unerklärlich war, warum er sich so sentimental fühlte. Für eine Person, die er nicht einmal zwei Tage lang kannte. Doch, obwohl er verwirrt über seine eigenen Gefühle war, lag ihm eine andere Frage schwerer auf dem Herzen. Warum hatte Hidetori sein Leben für ihn eingesetzt? Warum, nachdem er doch aus Angst den Sake abgelehnt und bisher kaum ein Wort an ihn gerichtet hatte? Warum hatte er das Leben eines Mannes beschützt, der ihn für einen Spion gehalten und auf seinen Anwesen festgehalten hatte? Er wollte es wissen, weil er so hoffte, dann auch sich selbst verstehen zu können. „Warum habt Ihr das getan?“, fragte Kagegaku schließlich, nachdem er noch kurz gezögert hatte. Verwundert runzelte Hyde die Stirn. Die Augen des Kriegers starrten ihn mit einer aufdringlichen Intensität an, die Hyde plötzlich unsicher machte. Er drehte seinen Kopf zur anderen Seite, blickte auf das Kakemono, das in der Bildnische hing und stellte fest, dass er auf diese Frage keine Antwort geben konnte. Es war keine Impulshandlung, wie es am einfachsten zu begründen gewesen wäre. Es war auch nicht der ungeahnte Mut, der ihn überkommen hatte. Ein unerklärliches Gefühl hatte ihn durchströmt, als er den Samurai in Gefahr gesehen hatte. Was er getan hatte, war weder durchdacht noch rational gewesen. Eher wie eine Vorbestimmung, die er erfüllen musste, um langsam zur Erkenntnis seiner innersten Gefühle zu kommen. Der kurze Moment, als er den Dolch gesehen hatte, wie er im flackernden Kerzenlicht aufleuchtete, hatte sich sofort in sein Herz gebrannt. Die unschuldige Art, die Kagegaku nur kurz zuvor gezeigt hatte, flammte noch heftiger in seiner Brust. In diesen wenigen Sekunden hatte er geglaubt, unbekannte Erinnerungen zu sehen. Bilder voller Vertrautheit, Herzklopfen und ungebrochener Treue. Je näher der Ninja gekommen war, desto unklarer waren diese Erinnerungen geworden, die er nie erlebt hatte. Je näher der Dolch gekommen war, desto leiser Kagegakus Stimme, die seinen Puls immer wieder zum rasen brachte. Sein Herz hatte zu zerbrechen gedroht, als ihm der möglicherweise bevorstehende Verlust klargeworden war. Und dann hatte er es einfach getan. Ohne an sich selbst zu denken. Den Wunsch, nach Hause zurück zu kehren, hatte er weggeworfen, ebenso wie alle Zweifel, dass das, was er tat, das Richtige war. So hatte er gefühlt, deswegen hatte er es getan. Und nun waren all jene starken Gefühle, die er auch während seiner ungewollten Zeitreise verspürt hatte, wieder da. Hydes Hände griffen krampfhaft die dicke Futondecke, mit der er bis zu den Schultern zugedeckt war, während das Wandbild vor seinen Augen zu verschwimmen drohte. Unbegreifliche Traurigkeit kroch in sein Herz, als er seinen Kopf zur Seite drehte und Kagegaku wieder in die Augen sah. Sie waren so vertraut und auf eine seltsame Art wohltuend. Sie sahen durch ihn hindurch und spiegelten gleichzeitig Hydes unausgesprochene Gefühle wider. Warum nur fühlte er sich mit dem Schwarzhaarigen so sehr verbunden? Warum spürte er intime Nähe, wenn Kagegaku ihn ansah oder mit ihm sprach? Warum existierte dieser Schmerz, der so unbändig war, als hätte man ihm den liebsten Menschen aus den Armen gerissen? Tränen kullerten plötzlich über seine Schläfen und durchnässten das weiße Lacken. Er konnte sich nicht erklären, warum sein Körper so reagierte. Warum er weinte, warum er so zitterte. Warum er Angst hatte, den Samurai mit den langen schwarzen Haar zu verlieren. Alles war so grotesk. Seine Gedanken waren skurril. Doch das deutliche Bild, wie sich schlanke Finger seinen entzogen und im Nebel eines Traumes verschwanden, war so real, als wäre es gerade geschehen. Er wollte nach ihnen greifen, doch es war längst zu spät. Es war nie passiert und trotzdem fühlte er sich von dieser realen Trauer überwältigt. Seine eigenen Tränen verwirrten ihn. Und Kagegaku schien es ähnlich zu gehen. Hilflos starrte der Samurai in die feuchten Augen. Es war eine eigenartige Situation, in die er steckte. Noch nie hatte jemand vor seinen Augen geweint. Er war ratlos, wagte jedoch nicht, nach dem Grund dieses Gefühlsausbruches zu fragen. Einfach nur, weil er nicht wusste, wie er sich verhalten und was er tun sollte. „Ich ... ich ... werde Euch e-etwas Wasser bringen lassen“, stammelte der Langhaarige unbeholfen. Er wollte aufstehen und einfach aus dem Raum stürzen. Aus irgendeinem Grund konnte er es nicht ertragen, Hidetoris Tränen zu sehen. Würde er noch länger hier sitzen, könnte er den Drang, den Blonden in seine Arme zu drücken, nicht mehr unterbinden können. Dann stimmte also wirklich, was Fukushima und all die anderen bereits wussten? Hatte er Gefühle für Hidetori? War das, was er gerade spürte, die Waffe, die Kagemura eines Tages gegen ihn verwenden würde? „Warte!“, murmelte Hyde jedoch und griff in seiner Verzweiflung nach Kagegakus Hand. Der Samurai zuckte in sich zusammen, als sich warme Finger um seine schlangen und ihn nach unten zogen. „Bitte, bleib hier“, flüsterte Hyde, der selbst nicht wusste, wie ihm geschah. Die Verwirrung in Kagegakus Augen, war seine eigene. Sein impulsives Handeln war überraschend und doch wusste der Blonde sich nicht anders zu helfen. Er konnte es im Moment nicht verkraften, den Schwarzhaarigen gehen zu lassen, zu sehen, wie er ihm den Rücken zuwandte und aus dem Raum ging. Er wollte ihn festhalten und ansehen. Er wollte sicher gehen, dass das, was er gespürt hatte, niemals wahr werden würde. Er wollte bei ihm bleiben und ihn beschützen. Nicht nur jetzt, sondern für immer. Weil er gegen jeden Widerstand seines Kopfes trotzdem das Gefühl hatte, dass er zu ihm gehörte. Zu Nishiyama Kagegaku. -------------------------------------------- *#*#* Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es diesmal keine Begriffserklärung. Ist ja auch in dem Kapitel nicht viel passiert . >_> Aber ich bin froh, dass es eine anständige Länge hat und nicht wieder 9000 Wörter rausgekommen sind. Wenn es so weiter geht, bin ich zufrieden. Was es aber gibt, sind zwei neue Charas bei der Charakterbeschreibung. Und zwar von Fukushima Yusuke und von Nishiyama Kagemura. Und im Weblog stehen noch ein paar Worte und Links zu den Schauspielern, die ich für die Beiden gewählt habe. Zwei Schönheiten, wie ich mal behaupten will. XD Ja ja die FF strotzt vor hübscher Männer, aber es gibt nur ein Pairing. XD Eigentlich möchte ich ja noch gern ein Kapitel schreiben, bevor das Jahr zu Ende geht, aber der Stress ist momentan einfach zu groß. Hab es die Woche ja noch nicht mal geschafft eine Linie für mein Weihnachts-FA zu ziehen, was ich eigentlich Morgen fertig haben wollte. -_- Aber drei Wochen gar nichts schreiben wird auch nichts. Das kann ich nicht mit meiner Liebe zu dieser FF vereinbaren. Aber fertig werde ich dieses Jahr bestimmt nicht mehr. Deswegen wünsche ich euch schon einmal frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Wir sehen uns dann 2011 wieder. BYE *winki* Ina-Tenshi Kapitel 4: Zukunft ------------------ 4. Kapitel: Zukunft [Hinter dem Nebel verborgener Sehnsüchte, suchte ich nach dir.] ---------------------------------------- Vorsichtig stellte Fukushima das runde Tablett, auf dem eine graue Schale mit warmen Reis und gegrilltem Fisch stand, auf den Boden, bevor er langsam die Shojitür aufzog. Es war nicht seine Aufgabe dem Verletzten das Essen zu bringen, doch die Tatsache, Kagegaku noch immer neben dem Futon sitzend zu wissen, ohne dass dieser den ganzen Tag über einen Bissen zu sich genommen hatte, trieb den treuen Freund zu dieser ihm unüblichen Aufgabenübernahme, welche heute allerdings als Vorwand diente. Es war bereits dunkel, der Schnee fiel dichter und der Wind war unruhig. Von Tag zu Tag wurde es kälter. Die Wärme, die im Raum des Fremden herrschte, legte sich sofort wie eine Umarmung um den treuen Begleiter des Familienoberhauptes, als er stumm hineintrat. Es war seltsam still und die fast heruntergebrannte Kerze am anderen Ende des Raumes schenkte nur wenig Licht, weswegen es Fukushima vorerst schwerfiel, seinen Herrn in dieser Dunkelheit ausfindig zu machen. Sein geflüstertes „Kagegaku“ blieb auch unbeantwortet, was Fukushima sofort unruhig machte. Er blickte um die niedrige Trennwand, die am Kopfende des Futons aufgestellt war. Seine geweiteten Augen erblickten sogleich den Strategen direkt neben dem Blonden auf dem Boden liegend. Auf Hidetoris Brust ruhte der Kopf des Schwarzhaarigen, dessen Augen geschlossen waren. Plötzlich wurde Fukushima die herrschende Stille unheimlich. Er stürzte in Panik näher an die beiden heran. Das ihm unklare Bild seines Herrn, wie er ohne sich zu rühren neben Hidetori lag, ängstigte Fukushima. Augenblicklich dachte er an einen weiteren Angriff, dem beide zum Opfer gefallen waren. Während er inständig hoffte, dass dem nicht so war, beugte er sich hinunter, um seinen Herrn an den Schultern nach oben zu ziehen, als er plötzlich eine ungewöhnliche Entdeckung machte. Er glaubte an eine Halluzination, als er sah, wie Kagegakus rechte Hand sanft von Hidetoris umschlungen war. Als wäre sie das geliebte Eigentum des Fremden, der sie wie einen Schatz an seine Brust drückte. Kagegakus Gesichtszüge waren entspannt und strahlten einen Frieden aus, den Fukushima noch nie an seinem Freund gesehen hatte. Ein Hauch der gleichmäßigen Atmung seines Herrn streifte seine Hand, die er instinktiv zurückzog, als er merkte, dass er Zeuge dieses idyllischen Moments zwischen dem Kriegsherren und dem Fremden Mann war. Zumindest war es wohl das bisher Innigste, was sein Herr mit seinen 33 Jahren erlebt hatte. Selbst als Kind hatte er nicht einmal in den Armen seiner eigenen Mutter liegen dürfen. Von kaum jemandem war er liebevoll behandelt worden und trotzdem war aus ihm ein gütiger und gerechter Mann geworden. Er war so völlig anders als sein jüngerer Bruder und Vater, dass man im Stillen sogar schon einmal die Blutsverwandtschaft angezweifelt hatte. In Anbetracht seines bisherigen Lebens, das Jahr um Jahr ohne Liebe verlaufen war, wunderte es kaum, dass selbst das schwächste Herzklopfen Kagegakus innere Mauer einreißen konnte. Vom ersten Moment an war da eine beiderseitige Anziehung gewesen, die so offensichtlich war, dass Fukushima am liebsten sofort einen dicken Wall um die beiden errichtet hätte. Feindliche Augen waren überall. Nicht zuletzt die des eigenen Bruders, dem eine solche Schwäche nur gelegen kommen konnte. Obwohl Fukushima sich immer gewünscht hatte, dass sein Freund die wahre Liebe erfuhr, konnte er das schlechte Gefühl, das er dabei hatte, kaum ignorieren. Wäre es doch die normale adlige Frau, die ihm zur Hochzeit angeboten wurde, oder eine Geliebte aus dem Dorf, nichts würde ihm dann im Wege stehen. Doch ein Fremder, dessen Herkunft und Motiv unklar waren und der zusätzlich mit seinem seltsamen Äußeren Verwirrung stiftete, konnte nichts als Unglück bringen. Diese Liebe war seit dem Moment, in dem sie begonnen hatte, zum Scheitern verurteilt. Spätestens nach dem heutigen Besuch Kagemuras sollte es auch dem Oberhaupt klar sein. Das dachte Fukushima, doch das Bild, das ihm gerade geboten wurde, sprach eine andere Sprache. „Kagegaku“, flüsterte Fukushima und rüttelte zaghaft an der Schulter seines Herrn. Es dauerte eine Weile, bis er schließlich erwachte und verwirrt mit den Augen blinzelte. Als er den weichen Stoff einer Decke unter seinem Gesicht spürte und verschwommen seine Hand in Hidetoris liegend erblickte, schnellte er abrupt nach oben. „Ich ... ich bin eingeschlafen“, stotterte das Oberhaupt, während es instinktiv dem fragenden Blick seines Freundes auswich. Dessen Nicken sah Kagegaku im Augenwinkel, sowie das auch deutliche Schmunzeln in seinen Lippen. „Es ist schon dunkel“, deutete Fukushima an. Kagegaku bemerkte den klagenden Unterton in der Stimme seines Beraters, der eindeutig verärgert schien. Was ihm nicht zu verübeln war, schließlich hatte dieser vor wenigen Stunden noch davor gewarnt, was passieren könnte, würde er dem Gefühl in sich nachgeben. Dabei war er doch nur hier geblieben, weil Hidetori ihn unter Tränen darum gebeten hatte. Wie konnte er diesen Wunsch ablehnen und die warme Hand kaltherzig abschütteln als wäre sie ihm nichts wert? Der Blonde hatte sich regelrecht an ihn geklammert. In seinen Augen hatte sich eine solche Todesangst widergespiegelt, dass selbst dem Samurai ganz seltsam geworden war. Er hatte nicht gehen und all das ignorieren können. Mehr als ein schüchternes „Danke“ hatte Hidetori jedoch nicht mehr über die Lippen gebracht, nachdem er Kagegakus Hand an sich gezogen und die Augen geschlossen hatte. Er war eingeschlafen, ohne zu erklären was los war. Worüber der Schwarzhaarige mehr als nur froh war. Die seltsame Situation hatte ihm so oder so die Sprache geraubt. Ihm wäre im Leben nicht eingefallen, was er auf die möglichen Sorgen des Fremden hätte erwidern können. „Ihr solltet jetzt gehen“, murmelte Fukushima leise, wenn auch mit entschiedenem Nachdruck. Das sture Kopfschütteln, dass Kagegaku darauf erwiderte, hatte der Freund erwartet. Er verkniff sich das Seufzen, welches seine Unzufriedenheit ausgedrückt hätte, bevor er auf den schlafenden Mann im Futon blickte. „Ich kann jetzt nicht gehen“, kam es nachdenklich von Kagegaku, der genau wie sein Freund in das blasse Gesicht des Blonden sah. Seine rechte Hand lag noch immer auf Hidetoris Brust, umarmt von dessen warmen Fingern. Er traute sich nicht, sie wegzuziehen, aus Angst, den Schlafenden zu wecken und erneut in Panik zu versetzen. „Herr, ich verstehe, dass Ihr Euch schuldig fühlt, aber ...“ „Das ist es nicht“, unterbrach das Oberhaupt abrupt seinen Freund. Ernst blickte er in die dunklen Augen des loyalen Samurais an seiner Seite, dessen Fürsorge Kagegaku schon immer etwas zu übertrieben war. „Er war wach und wurde plötzlich panisch“, wollte das Familienoberhaupt erklären, doch Fukushima schüttelte nur milde lächelnd den Kopf. „Ihr könnt nicht tagelang hier sitzen und seine Hand halten, während euer Bruder fröhlich Intrigen gegen Euch spinnt.“ Natürlich war Kagegaku klar, dass Fukushima damit Recht hatte. Hatte Kagemura wirklich vor, seinem älteren Bruder zu schaden, dann war Hidetori der beste Ansatz für eine Intrige. Kagegaku konnte nicht abstreiten, dass es ihn ängstigte den Fremden in Gefahr zu wissen. Nur abzuwarten und nichts zu tun war in Anbetracht dieser Bedrohung der wohl größte Fehler, den er begehen konnte. Aber was sollte er gegen einen General, der Kenshin nahestand, unternehmen? Und dann auch noch für einen Mann, der offiziell noch immer Spion genannt wurde. Ein vermeintlicher Spion, der sein Leben gerettet hatte und unbekannte Gefühle in ihm hervorrief. Kagegaku seufzte ungewollt, nachdem er seinen Blick hilflos gesenkt hatte. „Glaubt mir! Ich verstehe Euch, aber es gibt viel zu viele Menschen, die es nicht tun“, meinte Fukushima, als er die Ratlosigkeit in den Augen seines Herrn bemerkte. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er das Gefühl von Mitleid für diesen sonst so stark wirkenden Mann, der tagtäglich Befehle über tausende von Kriegern gab und dabei nie unsicher erschien. Der Konflikt zwischen seiner Ehre als loyaler Krieger Kenshins und seiner gerade erst entflammten Liebe zu diesem seltsamen Fremden, der sein Feind sein konnte, würde mit Sicherheit noch viele Probleme und Gefahren mit sich bringen. Dabei gab es für diese Angelegenheit nur eine vernünftige Lösung. Toshiba Hidetori musste von hier verschwinden, damit sein und Kagegakus Leben nicht in Gefahr gerieten. „Ich werde bei ihm bleiben“, flüsterte Fukushima, bevor er seine Hand brüderlich auf die Schulter des Klanoberhauptes legte. Kagegaku blickte fragend auf und war über das aufrichtige Lächeln, welches auf den Lippen seines Freundes lag, überrascht. „Ich habe ihm etwas zu essen gebracht. Es steht vor der Tür. Ich kümmere mich um ihn, wenn Ihr jetzt endlich geht und Euch ausruht.“ Kagegaku seufzte erneut. Er wusste, dass sein Freund nicht eher ruhen würde, bis er schließlich erreicht hatte, was er wollte. So war es schon immer gewesen, wenn die Nächte des ratlosen Grübelns zu lang geworden waren oder er einen vernünftigeren Weg als den des Klanoberhauptes einschlagen wollte. Letztendlich machte er seine Aufgabe als Berater ziemlich gut, wofür Kagegaku stets dankbar war. Fukushima war der Bruder, den er in Kagemura vergebens gesucht hatte. Er war seine einzige wahre Familie. Ihm vertraute er mehr als jedem anderen Menschen. „Also gut.“ Kagegaku nickte, was Fukushima erleichtert zur Kenntnis nahm. Er riskierte noch einen langen Blick in das Gesicht des Schlafenden, bevor er vorsichtig seine Hand unter Hidetoris hervorzog und aufstand. „Ich werde zur Sicherheit noch ein paar Wachen aufstellen lassen“, meinte das Oberhaupt, während er langsam zur Tür schritt. Fukushima nickte, bevor er sich verbeugte und darauf wartete, dass Kagegaku den Raum verlassen hatte. Dann wurde es augenblicklich still um ihn. Nur der unruhige Wind rauschte in seinen Ohren, während er jedoch versuchte, seine Aufmerksamkeit der gleichmäßigen Atmung des Schlafenden zu widmen. Er war kein schlechter Mensch, jedenfalls glaubte er das über sich selbst. Warum aber wünschte er sich, dieser Hidetori wäre nie aufgetaucht? Warum dachte er über eine Lösung nach, den Fremden loszuwerden, obwohl er wusste, dass Kagegaku dem niemals zustimmen würde? Warum würde er es sogar hinter dem Rücken seines Herrn tun? War der Versuch, ein Unglück abzuwenden, wirklich niederträchtig? Verloren starrte er in das Gesicht des Mannes, der ihm Kopfschmerzen bereitete. Die geschlossenen Lider zuckten unter der in Falten gelegten Stirn. Er schien Schmerzen zu haben. Fukushima fühlte mit ihm, da er selbst schon einmal durch diese Hölle gegangen war. Ein Wunder, dass er damals nicht das Augenlicht verloren hatte. Auch er hatte sich todesmutig vor seinen Herrn geworfen und sich dabei eine schwere Verletzung zugezogen. Es war seine Pflicht gewesen, denn er diente Kagegaku. Doch dieser seltsame Mann war ein Fremder. Warum hatte er das getan? Das Zucken in Hydes Augen wurde stärker, bis er sie schließlich langsam öffnete. Es war dunkel und schwer, etwas zu erkennen, und trotzdem spürte der Blonde sofort, dass ihm etwas fehlte. Er tastete mit seinen Händen über die Futondecke und schreckte plötzlich panisch auf, als er das Gesicht Fukushimas erblickte. „Wo ist … Kagegaku?“, brummte er unter den Schmerzen, die dank dieser ruckartigen Bewegung noch schlimmer geworden waren. Skeptisch runzelte Fukushima die Stirn. „Ich bin mir sicher, dass ich einiges verpasst habe, trotzdem glaube ich nicht, dass mein Herr Euch bereits den Vornamen angeboten hat.“ Hyde schüttelte den Kopf, während er kraftlos versuchte, sich aufzusetzen. Flammen der Wut in seinen Augen. Obwohl die Schulter unheimlich schmerzte und ihm deswegen bereits Tränen kamen, schaffte er es, sich ohne Hilfe nach oben zu ziehen. Die angebotene Hand Fukushimas ignorierte er absichtlich. „Wo ist er?“, brüllte Hyde, bevor er sich vor Leid stöhnend nach vorn krümmte. Von dieser unbändigen Willensstärke beeindruckt, packte Fukushima stützend die Schultern den Blonden. „Beruhigt euch“, murmelte der Samurai, doch Hyde schien in seinem Zorn und seiner Panik nicht mehr vernünftig denken zu können. Er riss sich los und schlug ungeschickt die Decke zurück. Gerade als er unbeholfen aus dem Futon stürzen wollte, packte Fukushima ihn gewaltsam am linken Arm und drückte ihn zurück in das schmale Kissen. Die kühle Hand, die sich auf Hydes Mund presste, ließ den Schrei, den dieser vor Schmerzen nicht zurückhalten konnte, verstummen. „Ich habe ihn weggeschickt.“ Langsam entfernte Fukushima seine Hand von den Lippen des Blonden, denen sofort ein Wimmern entkam. Die Schmerzen, die er erlitt, mussten qualvoll sein, doch Mitleid konnte der Samurai im Augenblick kaum für ihn aufbringen. „Lasst ... mich ... los“, jammerte Hyde, der völlig außer Atem war. Weitere Tränen schossen ihm ungewollt in die Augen. Fukushima schüttelte den Kopf. „Erst wenn Ihr Euch beruhigt habt.“ Verschwommen nahm Hyde wahr, wie der Blick des Samurai sanfter wurde, was ihn sofort seltsam entspannte. Er biss sich auf die Lippen, während er versuchte, das schreckliche Pochen in seiner Schulter zu ertragen. „Ich muss zu ihm“, kam es nun leise von dem Blonden, der den Blick in die Augen des Kriegers vermied. „Bitte?“ Fukushima lockerte seinen festen Griff, woraufhin Hyde sofort erleichtert seufzte. „Wie kann ich ihn beschützen?“ Pure Hilflosigkeit war aus seinem Flüstern herauszuhören, was den Samurai verwirrte. Er spürte zwar, dass seine Worte ernst gemeint waren, konnte jedoch nicht verstehen, was der Fremde damit meinte. „Was redet Ihr da?“ „Ich muss irgendetwas tun“, murmelte Hyde, die Frage des Kriegers ignorierend. Es war ihm egal, ob dieser Fukushima ihn verstand oder nicht. Er konnte ja selbst nicht einmal ergründen, was ihm zu diesem Sinneswandel trieb. Sicher war auf jeden Fall, dass seine Existenz in dieser Epoche notwendig war. Auf welche Weise erschien ihm jedoch noch völlig schleierhaft. Er würde es herausfinden. Früher oder später. „Das Beste, was Ihr tun könntet, wäre so schnell wie möglich von hier zu verschwinden“, meinte Fukushima ernst. „Sobald es Euch besser geht, kann ich veranlassen Euch unbemerkt vom Anwesen zu schaffen.“ Hyde schüttelte vehement mit den Kopf. „Dafür ist es schon zu spät. Ich kann hier nicht mehr weg.“ Er wusste, dass es so war, obwohl er bisher keinen einzigen Versuch unternommen hatte, irgendwie in das Tokio des 21. Jahrhunderts zurückzugelangen. Selbst wenn ihm eine Idee gekommen wäre, ein tief verborgenes Gefühl hätte ihn daran gehindert. Genauso wie es ihn im Moment auch davon abbrachte, über eine sinnlose Flucht nachzudenken. „Hört zu, ich hege keine Abneigung gegen Euch. Im Gegenteil. Ich schulde Euch unendlichen Dank, da Ihr meinem Herrn das Leben gerettet habt. Aus diesem Grund rate ich Euch, zu verschwinden, bevor etwas passiert, was wir alle bereuen werden.“ „Das geht nicht!“, wiederholte Hyde ruppig, während ihm klar wurde, dass dieser Mann ihn nicht ernst nahm. Verärgert blickte der Blonde in die dunklen Augen des Kriegers, die kritisch auf ihn herabsahen. Doch es war nicht die erwartete Feindseligkeit, die Hyde in ihnen entdeckte, sondern eine Besorgnis, die ihn ungeahnt überraschte. „Ihr solltet nicht darauf hoffen, dass Kagemura von Eurem goldenen Haar genauso geblendet sein wird wie mein Herr.“ Hyde weitete die Augen, als der unbekannte Name fiel. Noch nie hatte er ihn gehört und doch spürte er, wie ihn ein negatives Gefühl innerlich lähmte. „Kagemura?“, flüsterte der Sänger verkrampft. Er schloss die Augen und versuchte die Ursache dieser Ablehnung zu ergründen. „Nishiyama Kagemura, der jüngere Bruder meines Herrn“, erklärte Fukushima. In seiner Stimme bestätigte sich der gehegte Groll, den Hyde vermutet hatte. Ungläubig starrte der Blonde den schwarzhaarigen Krieger an. „Bruder?“ Schockiert realisierte Hyde, was Fukushima ihm zu erklären versuchte. „Ich weiß nicht in welchen Zeitalter Ihr hängengeblieben seit, doch heutzutage herrscht Krieg. Nicht nur zwischen Daiymos und Klänen, sondern auch innerhalb der meisten Familien.“ Der Sänger biss sich entgeistert auf die Unterlippe, nachdem er in Gedanken versunken noch einmal den Namen des unbekannten Bruders flüsterte. Was hatte dieses seltsame Gefühl, welches ihm Angst bereitete, zu bedeuten? Warum verspürte auch er Abscheu, wenn er diesen Namen hörte? Und was hatte er überhaupt mit einer Feindschaft zwischen Kagegaku und seinem Bruder zu tun? Verwirrt fuhr sich Hyde mit den Fingern über die Stirn, bevor er den eindringlichen Blick des Samurai bemerkte. „Wenn Euch Euer Leben lieb ist, dann sagt mir wo Ihr wirklich herkommt. Vertrauenswürdige Männer werden Euch dort hingeleiten.“ Hyde lächelte zynisch über dieses ihm lächerliche erscheinende Angebot. Wie könnte ein gewöhnlicher Samurai dazu im Stande sein ihn, mit Hilfe seiner Männer, 423 Jahre in die Zukunft zu geleiten, wenn er selbst noch nicht einmal wusste, wie er überhaupt hierher gekommen war? Er hätte gern haltlos darüber gelacht, würde ihn der beständige Schmerz in seiner Schulter nicht daran hindern. „Ich glaube nicht ... dass sie mich dort hinbringen können“, antwortete Hyde ernst, während er zugeben musste, dass er sogar erleichtert darüber war. „Ich versichere Euch, sie werden Euch sicheres Geleit gewähren.“ Mit einem unbeirrbaren Ausdruck im Gesicht, fasste Fukushima sich an die Brust und nickte. „Ich schwöre es Euch.“ Hyde seufzte, während ihm deutlich wurde, dass er auf diesem Wege nicht weiterkam. Fukushima würde so lange auf ihn einreden, bis der Blonde dieser irrsinnigen Flucht zustimmte. Und wenn nicht, dann hatte er sicherlich auch andere Einfälle, wie er den Fremden möglichst einfach loswerden konnte. „Tokio!“, antwortete der Blonde deswegen. Ob ihn die Wahrheit weiterbringen konnte, wusste er nicht, doch einen Versuch war es allemal wert. Nachdenklich fuhr sich der Berater über das Kinn. „Tokio? In welcher Provinz liegt dieses Dorf?“ Natürlich hatte Hyde mit einer Frage dieser Art gerechnet, trotzdem konnte er die plötzliche Erheiterung, die ihn überkam, nicht verbergen. Er lachte, woraufhin Fukushima ihn seltsam anstarrte. „Tokio ist kein Dorf, sondern die Hauptstadt Japans.“ Wahrscheinlich war es ungeheuerlich dumm von ihm, diesen Weg einzuschlagen, doch sich Fukushima anzuvertrauen, war mit Sicherheit hilfreich. Er war ein Vertrauter und Freund des Oberhauptes. Hyde brauchte die Sicherheit, die ihm dieser Mann geben konnte. Und erlangen konnte er sie anscheinend nur mit der Wahrheit, auch wenn diese mit überraschendem Inhalt bestückt war. „Seid Ihr von Sinnen? Unsere Hauptstadt ist Miyako. Ihr habt wohl keine Scheu vor offensichtlichen Lügen“, brummte Fukushima, der sich empört zur Seite drehte und aufstehen wollte. „Ich komme aus der Zukunft“, murmelte Hyde plötzlich. Der Samurai hielt sofort inne und runzelte die Stirn. „Mehr als 400 Jahre liegen zwischen meiner und dieser Welt.“ Fukushima drehte sich herum und blickte mit fragenden Augen auf den Sänger herab. Über seine Lippen kam nur ein fassungsloses „Was?“, bevor er brüskiert den Kopf schüttelte. „Ich weiß, dass es wirklich viel verlangt ist, aber Ihr müsst mir glauben.“ Verzweifelt blickte Hyde den Samurai an. Es war die letzte Möglichkeit, die ihm noch blieb. Schaffte er es nicht, Fukushima von der Wahrheit zu überzeugen, war seine ungewollte Reise in das mittelalterliche Japan völlig umsonst gewesen. „Wie könnte ich?“, fragte Fukushima, bevor er zweifelnd die linke Augenbraue hochzog. „Ich bin kein Ausländer oder Spion. Meine Haare sind nicht aus Gold, sondern einfach nur gebleicht. Ich bin Sänger einer Rockband und lebe in Tokio, einer unglaublich riesigen Beton-Metropole, wie Ihr es noch nie gesehen habt“, sprudelte es über Hydes Lippen, obwohl er noch nicht einmal wusste, was genau er erzählen sollte. Für einen Krieger des 16. Jahrhunderts schienen es so oder so nur Informationen zu sein, mit denen er womöglich noch nicht einmal etwas anfangen konnte. „Und warum seid Ihr dann hier?“, fragte Fukushima. Eine gehörige Portion Skepsis lag in seinen Worten, was Hyde nicht verborgen blieb und er natürlich erwartet hatte. Doch selbst mit der Antwort darauf glaubte der Blonde nicht, überzeugen zu können. „Das weiß ich nicht“, murmelte Hyde entmutigt, als er erneut daran erinnert wurde, dass er bisher kaum etwas über diese Zeitreise in Erfahrung hatte bringen können. „Ihr wisst es nicht?“, hakte der Krieger misstrauisch nach, woraufhin der Sänger seufzte. „Ich war beim Ankleiden, habe mich mit jemandem unterhalten und plötzlich war ich hier“, war alles, was er darauf entgegnen konnte. „Ich weiß nicht wie ich zurückkehren kann“, fügte Hyde nachdenklich hinzu. Obwohl er bereits mit einer Rückkehr in die Zukunft, die für ihn nun ausgeschlossen war, abgeschlossen hatte, frustrierte ihn der Gedanke, nicht den wahren Grund dafür zu kennen. Konnte es denn wirklich möglich sein, dass ihn hier eine Aufgabe erwartete? Und wenn ja, war er dann tatsächlich auf dem richtigen Weg, indem er sich selbst einfach so aufgab? Bedrückt schloss der Blonde die Augen und schüttelte verwirrt den Kopf. „Und dann sehe ich immer wieder diese Bilder. Sie sind wie Erinnerungen, die ich nie erlebt habe. Ich weiß nicht, was sie bedeuten, aber ich bin mir sicher, dass sie mir etwas sagen wollen. Als wollten sie ...“ „Was wollen sie Euch sagen?“, fiel Fukushima ihm aufgeregt ins Wort. Während Hyde seine Augen öffnete und den Samurai verblüfft ansah, schien dieser plötzlich ein seltsames Interesse für seine Geschichte zu entwickeln. Hinter seinem intensiven Blick steckte eine enorme Sorge, die Hyde in jenen Moment auf unerklärliche Weise mit ihm teilte. „Dass ich Kagegaku beschützen muss“, murmelte der Blonde zögernd. „Das habt Ihr bereits“, entgegnete Fukushima. Nervosität schien in dem Krieger aufzukommen. Seine Augenlider zuckten, während ein kurzes Zittern durch seine Hände fuhr. Das alles blieb Hyde nicht verborgen. Auch nicht die Angst, die in seinem Gesicht offen zu lesen war. „Nein, ich fühle, dass etwas Schreckliches passieren wird, wenn ich jetzt gehe“, drängte der Sänger, da er nun mit eigenen Augen gesehen hatte, wie treu ergeben dieser Fukushima seinem Herrn war. Die Sorgen jenen Kriegers waren auch seine, obwohl er sich nicht erklären konnte, warum er das Gefühl hatte, Kagegaku schon länger als die wenigen Tage, die er hier war, zu kennen. Fukushima strich sich mit den Fingern grübelnd über seine Wange und blickte ins Leere, bevor er nach langer, beklemmender Stille wieder das Wort an den Blonden richtete. „Seltsam. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie glaube ich Eure merkwürdige Geschichte.“ Die Überraschung, die Toshiba ins Gesicht geschrieben war, erstaunte den Samurai weniger. Viel eher wunderte er sich über seine eigene Person, die dem Fremden kaum noch Misstrauen entgegenbrachte. Lag es an der Art, mit der er sprach oder wie er ihn mit seinen sorgenvollen Blicken anstarrte? Lag sein Gespür richtig und ging es diesem seltsamen Mann wirklich nur um das Wohl seines Herrn? „Ihr dürft es niemandem sagen“, warnte Hyde eindringlich, den Samurai aus den Gedanken reißend. „Auch ihm nicht.“ Leicht entrüstet weitete Fukushima seine Augen. „Ich habe noch nie ein Geheimnis vor meinem Herrn gehabt“, brummte er und schüttelte kurz den Kopf. Natürlich leuchtete es Hyde ein, dass er etwas fast Unmögliches von einem ergebenen Samurai verlangte, trotzdem durfte dieses Wissen unter keinen Umständen weitergetragen werden. Es war bereits riskant genug, dass Fukushima es wusste. Erfuhr es eine weitere Person, würde es mehr und mehr aus seinen Händen gleiten, was er auf keinen Fall zulassen durfte. „Je mehr es wissen, desto tiefer wird in die Geschichte eingegriffen“, erklärte Hyde. Der engste Freund des Klanoberhauptes strahlte Intelligenz und Vernunft aus. Sicherlich fiel diesem eine bildliche Vorstellung der möglichen Geschehnisse nicht schwer, wenn dieses Wissen versehentlich in falsche Hände geriet. Vor allem befand sich nach eigenen Angaben des Beraters ein Feind inmitten der Familie. Erfuhr dieser Kagemura von seinem Geheimnis, war es nur eine Frage der Zeit, bis jenes für schreckliche Machenschaften verwendet wurde. „Niemand sonst darf es erfahren“, beharrte der Sänger, während er dem Samurai ernst in die Augen sah. „Vertraut Ihr meinem Herrn etwa nicht?“, warf Fukushima fragend ein, als ihm dieser Gedanke in den Sinn kam. Sofort schüttelte Hyde den Kopf. „Darum geht es nicht“, gab er nervös zurück. Wie der Krieger skeptisch die Augenbraue nach oben zog und schmunzelte, blieb dem Blonden natürlich nicht verborgen. „Er … er darf es einfach nicht wissen.“ Seine sinnlosen Worte, die nur noch ein Stottern waren, machten Hyde selbst verlegen, doch die Frage, die Fukushima ihm als nächstes stellte, kam so unerwartet, wie die Aufregung, die ihn überkam. „Liebt Ihr Kagegaku?“ Sprachlos konnte der Blonde den dunklen Augen, die ihn so allwissend anstarrten, nicht standhalten. Genauso brachte er auch keine Antwort über die Lippen. Ganz davon abgesehen, dass es selbst dem Freund Kagegakus nichts anging, war er sich selbst nicht einmal sicher, was er für den Klanführer fühlte. Stimmte die Erzählung vom Liebespaar Kagegaku und dem blonden Fremden, dann war es wohl ohne Zweifel Liebe. Doch durfte er sich auf eine so wage Geschichte, die über 400 Jahre alt war, verlassen? „Zwischen uns existiert irgendeine Verbindung. Ich sehe ihn in meinen Erinnerungen und er ist ... ausgesprochen freundlich zu mir. Ich habe ihm das Leben gerettet, weil es mir mein Instinkt befohlen hat.“ Das fasste alles zusammen, was er im Moment zu hundert Prozent wusste und Fukushima auch ruhig erfahren durfte. Irritiert schwieg der Samurai, was Hyde nicht unbedingt erleichterte. Obwohl er bisher nur die Wahrheit gesprochen hatte, musste es für den Krieger eine Geschichte sein, die immer seltsamere Formen annahm. Er konnte nicht abstreiten, dass er wohl genauso skeptisch wäre, würde man ihm mit solch unmöglichen Dingen kommen. Es war egoistisch von ihm, Fukushima um Hilfe zu bitten, trotzdem wusste er keinen anderen Ausweg. „Sagt mir bitte, was ich tun kann“, bat Hyde verzweifelt. Die Augen des Samurai musterten ihn, als suchten sie hinter seinen Worten verschwiegene Absichten. Doch sie blieben erfolglos. Egal wie sehr Fukushima versuchte, Lügen und Niedertracht in ihnen zu finden, war alles, was immer wieder zurückblieb, nur schlichte Ehrlichkeit, die er deutlich spürte. Er seufzte, nachdem ihm klar geworden war, dass er keine andere Wahl hatte, als dem Blonden zu vertrauen. „Also gut. Ich weiß zwar nicht, ob es zu naiv von mir ist, aber ich werde Euch helfen“, murmelte er, ohne Hyde in die Augen zu sehen. „Geht es um das Leben meines Herrn, dann stehe ich Euch natürlich zur Seite“, erklärte er seine Beweggründe, obwohl er wusste, dass diese dem Fremden bekannt sein müssten. Hyde nickte. Die Erleichterung über Fukushimas Verständnis war ihm ins Gesicht geschrieben, was dem Samurai natürlich sofort auffiel. Er ignorierte es, stattdessen kam er mit einem Rat, den Hyde befolgen sollte, wollte dieser tatsächlich etwas für den Herrn des Nishiyama-Klans tun. „Da ihr kein Samurai seid, solltet Ihr ihn um die Aufgabe des persönlichen Dieners bitten.“ „Diener?“ Überrascht runzelte Hyde die Stirn. „Nur so könnt Ihr ihn stets im Auge behalten.“ Und es war auch die einzige Aufgabe, die ein kampfunerfahrener Mann in der Nähe des Oberhauptes übernehmen konnte. Nachdenklich rieb Fukushima sich über das Kinn. „Er wird Eure Bitte nicht abschlagen“, murmelte er und nickte. Da war er sich ziemlich sicher. Kagegaku war in diesen Mann verliebt, auch wenn er selbst es noch nicht wusste. Eine Bitte, die von Hidetori kam, würde er nie abschlagen können. Wahrscheinlich hatte er selbst schon darüber nachgedacht und sich dafür entschieden. Klar war dem Berater des Oberhaupts auf jeden Fall, dass sein Herr Hidetori nicht einfach so gehen lassen würde, auch wenn dessen Verbleib eine Gefahr darstellte. Eher würde er den Blonden von zehn seiner Krieger beschützen lassen, als ihn jemals einfach so fortzuschicken. Doch die Zweifel, die Fukushima hatte, gingen ihm nicht aus dem Kopf. Wahrscheinlich war es aber auch wirklich die dümmste Idee, auf die er je gekommen war. Hidetori ständig in Kagegakus Nähe, der doch bereits unumstritten blind vor Liebe war und gar nicht mehr wahrnahm, wie sich ihm Feinde näherten. Natürlich war es Fakt, dass Hidetori ihm das Leben gerettet hatte, doch wäre er ohne ihn überhaupt in Gefahr geraten? Diese Frage ließ ihn nicht los. Auch nicht die Sorge, die er verspürte, wenn er Kagegaku und Hidetori zusammen sah. „Das ist alles so dumm und unvorsichtig von mir“, klagte Fukushima, während er zweifelnd den Kopf schüttelte. Hyde schwieg, obwohl ihm Worte auf der Zunge lagen. Sie waren aber zu einfältig, um sie auszusprechen, also beließ er es nur bei einen Kopfschütteln, das ausdrücken sollte, dass der Samurai falsch lag. Es war nicht dumm, vielleicht etwas unvorsichtig, doch ob es nun richtig oder falsch war, würde sich wohl erst zeigen, wenn es so oder so zu spät war. Hyde aber spürte, dass es keinen anderen Weg gab. Für ihn gab es nur noch diese Zukunft. „Ihr müsst Euch vor Kagemura in Acht nehmen“, warnte Fukushima, nachdem er sich erhob und streng auf den Blonden herabsah. Hyde nickte, obwohl ihm ein unbestimmtes Gefühl immer wieder Angst bereitete, wann immer er diesen Namen hörte. Während der Samurai schließlich schweigend zur Tür trat, murmelte Hyde ein verkrampftes „Danke.“ Es war ihm unangenehm, da er wusste, dass Fukushima nicht wirklich überzeugt war. Trotzdem musste er sich bei ihm bedanken, denn dass dieser etwas für einen Fremden tat, obwohl er Zweifel hegte, war nicht selbstverständlich. Eigentlich hatte er unbeschreibliches Glück gehabt. Als er Fukushima zum ersten Mal getroffen, hatte er diesen völlig falsch eingeschätzt. Und jetzt war es genau dieser Berater, der ihm noch die größte Hilfe sein würde. Er hatte sein Vertrauen halbwegs gewonnen, ohne lügen zu müssen. Hyde wurde plötzlich nachdenklich, während er betrübt auf die dunkelbraune Holzdecke starrte und nicht mitbekam, wie der Berater stumm nickte und den Raum verließ. Kagegaku aber würde er weiter anlügen müssen. Es war besser so, denn er hatte sich für das Leben in dieser Zeit entschieden. Seine Vergangenheit würde sich schon bald von selbst in Luft auflösen. Wer er war, wo er lebte und all die Menschen, die er liebte, alles würde er vergessen. Als wäre es nie geschehen. ---------------------------------------------- Es tut mir wirklich Leid, dass es so lange gedauert hat. Die Weihnachtsferien wollte ich mit faulem Nichtstun genießen, was ich auch getan habe. (Gut, gezockt habe ich trotzdem ^^;) Habe also erst Anfang Januar daran weitergearbeitet. UND das nächste Kapitel habe ich auch bereits fertig. Es sollte eigentlich hier angehängt werden, aber Betaleserin und ich waren uns dann doch einig, dass es geteilt besser kommen würde. Was natürlich den Vorteil hat, dass das nächste Kapitel mit SICHERHEIT nicht so lange auf sich warten lässt. Trotzdem werde ich es erst hochladen, wenn der Großteil des übernächsten Kapi so gut wie fertig ist, damit nicht wieder so eine ellenlange Spanne dazwischen liegt. Vielleicht haben einige ja mitbekommen, dass ich zu Weihnachten ein Preview-Fanart zum Kapitel hochgeladen habe. Ihr könnt es bei den Fanarts von Ina-Tenshi finden, oder auf dem Stecki von Tenshis, die Steckbriefbilder durchklicken. Erklärungen gibt’s im nächsten Kapitel wieder. XD Das wars dann erst einmal. Bis… sehr bald! Ina Kapitel 5: Kuss --------------- 5. Kapitel: Kuss [Nur ein süßer Kuss und doch soviel Bedeutung. Kannst du mich lieben?] ---------------------------------------- * Hydes Augen blickten in den runden Bronzespiegel in seiner Hand, während er sich nachdenklich durch sein blondes Haar fuhr. Fast ein Monat war vergangen, seit er auf unerklärliche Weise in das mittelalterliche Japan gereist war und inmitten von kriegerischen Samurai lebte. Nun diente er als gewöhnlicher Vasall unter dem Strategen Nishiyama Kagegaku, wie Hyde es auf Fukushimas Anraten gewünscht hatte. Offiziell war er der persönliche Diener des Klanoberhauptes. Er war der Mann, der seine weite Reise aus dem nördlichsten Winkel Japans angetreten hatte, um den legendären Strategen eine helfende Hand zu sein. Diese Lüge hatte Fukushima in der ganzen Provinz verbreitet. Auch Kagegaku wurde es so erzählt. Nicht jeder schenkte dieser Geschichte Glauben, trotzdem konnte ihn nun niemand mehr der Spionage bezichtigen. Seit einem Monat bewohnte Hyde nun den Raum direkt neben den Räumlichkeiten des Familienoberhauptes. Er brachte ihm Frühstück und Mittagessen, half beim Putzen und in den Ställen. Während Fukushima und Kagegaku im Schnee den Schwertkampf trainierten, sah er meist aus dem Verborgenen heraus zu. Abends zündete er in Kagegakus Räumen die Kerzen an, servierte das Abendessen und leistete ihm zum Abschluss des Tages Gesellschaft beim Saketrinken. So sah der gewöhnliche Tagesablauf aus, den Hyde ohne Reue gegen sein Leben als Star eingetauscht hatte. Obwohl er oft an die Menschen in seiner Zeit denken musste, wurde ihm auch von Tag zu Tag klarer, dass er nicht erwarten konnte, jemals zurückkehren zu können. Er hatte sich damit klar abgefunden, ein Mensch dieser Zeit zu werden. Seine Denkweise und Aufgaben hatten sich bereits so drastisch verändert, dass er das Gefühl hatte, schon sein ganzes Leben lang dazuzugehören. Dass Kagegaku an diesen Empfindungen nicht ganz unschuldig war, spürte Hyde jeden Abend, wenn er an seiner Sakeschale nippte und den spannenden Worten des Strategen zuhörte. Obwohl die Geschichten, die er erzählte blutig und grausam waren, liebte es Hyde, dieser klaren Stimme zu lauschen. An das starke Herzklopfen, das er dabei wahrnahm, hatte er sich längst gewöhnt, genauso auch wie an die kurze Atemnot, die eintrat, wenn Kagegaku ihn scheinbar unbewusst mit einem tiefen Blick ansah und lächelte. Das waren jene Augenblicke, die Hyde bis in die Nacht hinein beschäftigten und nicht schlafen ließen. Sie kamen oft vor. Fast schon zu oft, um sie noch Zufall nennen zu können. Wie auch den letzten Abend, als Hyde den Sake verkippt hatte, nachdem ihm wieder jener Blick nervös gemacht hatte. Hinter den verschlossenen Türen der Bediensteten wurde bereits vom heimlichen Geliebten gesprochen, der sich als Diener tarnte, um dem begehrten Strategen ohne viel Aufsehen so nahe wie möglich zu sein. Neidische Frauen bedachten ihn deswegen täglich mit bösen Blicken, welche Hyde jedoch kaum interessierten. Ob sie nun der Meinung waren, Kagegaku hätte den Mann mit den goldenen Haaren in seine Dienste genommen, weil er sich schuldig fühlte oder weil er den vermeintlichen Verführungskünsten des Fremden wehrlos erlegen war, war für ihn ohne Belang. Selbst wenn es wirklich so war und der Samurai sich für die mittlerweile verheilte Verletzung verantwortlich machte, störte es Hyde nicht. Für ihn zählte allein, dass er in Kagegakus Nähe war. Warum dieser seiner Bitte ohne zu zögern zugestimmt hatte, war auch völlig egal. Müde starrte Hyde nach der letzten schlaflosen Nacht und dem anstrengenden Tag in den kleinen Spiegel in seiner Hand. Sein Haar sah noch genauso aus, wie an dem Tag, als er hierher gekommen war. Was Hyde seltsam fand, denn normalerweise hätte ihm bereits ein dunkler Ansatz auffallen müssen. Doch dort glänzte es, genauso wie in den Spitzen, in einem sauberen Blond. Diese Tatsache ersparte ihm natürlich Fragen, die er nicht hätte beantworten können. Schließlich erklärte sich ein geheilter Geburtsfehler nicht so leicht. Er war froh, dass es so war, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie so etwas möglich sein konnte. Stirnrunzelnd legte Hyde den Spiegel beiseite und ergriff das Tablett, auf dem der Sakekrug und zwei Schalen standen. Es war der letzte Tag des Jahres. Der Schnee fiel heute wieder in dicken Flocken in den weiß bedeckten Garten, auf dessen Veranda Kagegaku wie jeden Abend schon auf ihn wartete. Sicherlich hatte sich dieser bereits eine neue Geschichte, aus seinen abenteuerlichen Leben, zurechtgelegt. Doch es waren nicht die spannenden Erzählungen, die Hyde allabendlich in die Räumlichkeiten des Strategen zogen, es war eher Kagegakus geheimnisvolles Wesen, dessen Ritterlichkeit selbst wie aus einem Märchen stammte. Hyde zögerte kurz, als er nach seinen vertieften Gedankengängen schließlich den Raum verließ und sofort Kagegaku erblickte. Er saß an der Shojitür seines Zimmers, den Kopf an das dunkle Holz gelehnt. Das lange offene Haar bedeckte die breiten herabhängenden Schultern, über die ein brauner Haori* gelegt war. Langsam trat er an den Samurai heran. „Guten Abend“, murmelte Hyde, doch es kam keine Antwort. Verwundert kniete er sich nieder und stellte das Tablett vorsichtig neben sich, während er einen verstohlenen Blick in das Gesicht des Strategen riskierte. Er schlief. In seinen Händen, die auf seinem Schoß lagen, hielt er ein dünnes, aufgeklapptes Buch, in dem er wohl gelesen hatte, bevor er sich der Müdigkeit hatte geschlagen geben müssen. Behutsam wollte der Blonde das Buch aus Kagegakus Händen ziehen und es beiseite legen. Dabei berührte er unabsichtlich die kalten Finger des Oberhauptes. Hyde zuckte erschrocken zurück, als ihn daraufhin ein ungewöhnliches Gefühl übermannte. Irritiert blickte er wieder auf die geschlossenen Augen des Schlafenden. Obwohl es Hyde nicht neu war, den Krieger von seiner friedlichen Seite zu sehen, war der sanfte Ausdruck, der auf dem Gesicht Kagegakus lag, ungewohnt. Es schockierte ihn regelrecht, dass seine Reaktion auf diesen Anblick ein heftiges Pochen in der Brust war, begleitet von einem seltsamen Schmerz. Es war derselbe Schmerz, unter dem er am Fluss, vor einen Monat, zusammengebrochen war. Doch dieses Mal war eine befremdliche Aufregung stärker als diese Qual. Erschrocken fasste Hyde sich an die Stirn, als ihm auf einmal wieder Bilder unbekannter Erinnerungen in den Sinn kamen. Es herrschte Stille und sein Herz klopfte so laut und heftig er glaubte es wäre eine Turmuhr, die in seiner Brust steckte, während alles um ihn herum verschwamm. Kagegaku verschwand hinter einem Nebel aus Erinnerungen, die immer deutlicher wurden. Und dann sah er es so klar als passierte es direkt vor ihm, mit echten Gefühlen, die durch seinen Körper rasten. Zuerst war es nur die bekannte Begebenheit, wie Kagegaku schlafend auf der Veranda saß. Es war idyllisch leise, während im Garten dichter Schnee fiel. Er sah sich selbst, wie er sich dem Samurai näherte und ihm das Buch aus den Händen nahm. Der lange Blick auf die geschlossenen Augen des Schwarzhaarigen war schließlich das Letzte, was Hyde bekannt war. Es folgte ein tiefes Seufzen, das wie aus der Ferne erklang, bevor er seine Lippen sanft auf die des Kriegers drückte. „Was?“ murmelte Hyde leise, als er urplötzlich aus dieser seltsamen Trance erwachte. Verwirrt sah er sich um, als wüsste er nicht, wo er war und was überhaupt passierte. Er hatte das Buch in seinen Händen und kniete neben dem schlafenden Samurai. Es war alles genauso wie er es soeben gesehen hatte. Doch ein harmloses Déjà-vu war anders. Er spürte noch wie es sich anfühlte, Kagegakus Lippen zu küssen, als hätte er es wirklich getan. Er drückte einen Finger auf seine Unterlippe und starrte auf Kagegakus Mund, bevor er noch einmal versuchte, sich daran zu erinnern. In seiner Brust wurde es warm, genauso wie er es bereits gespürt hatte. Er wusste, dass diese Bilder, die er manchmal sah, Hinweise auf sein Schicksal waren, dem er einfach nicht entkommen konnte, denn der starke Drang, Kagegakus Lippen zu küssen, war gegenwärtig, was er einfach nicht leugnen konnte. Er wollte ihn küssen. Aber warum? Warum zweifelte er nicht? Hatte er sich in den letzten Wochen tatsächlich so verändert, dass es ihm völlig gleich war, was er tat oder fühlte? Erlag er nun den Gerüchten, die seit seinem Auftauchen um ihn und Kagegaku kursierten? Würden sie wirklich ein Liebespaar werden, wie es 400 Jahre später noch vereinzelt erzählt werden würde? Er wusste doch gar nicht, wie Kagegaku auf seine Annäherung reagieren würde. Ob er aufwachen und ihn von sich stoßen würde? Ob er Fragen stellen würde? All das empfand Hyde als unwichtig und trotzdem schwirrte es in seinem Kopf herum. Es war völlig egal, ob Kagegaku ihn abweisen würde. Es war auch egal, wenn all jene Gerüchte, die er vor wenigen Wochen noch für unmöglich gehalten hatte, der Tatsache entsprechen würden. Die Anziehung, die der schwarzhaarige Samurai auf ihn ausübte, war zu groß, als dass er sich dagegen wehren konnte. So war es schon seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Er hatte es die ganze Zeit gespürt und es doch nicht wahrhaben wollen. Bis jetzt ... Während Hyde sich langsam darüber im Klaren wurde, warum sein Wunsch, in die Zukunft zurückzukehren, derart in den Hintergrund getreten war, schloss er die Augen und näherte sich Kagegakus Lippen, die er schließlich quälend langsam mit seinen streichelte. Es fühlte sich an wie ein kleiner Stromstoß, den er egoistisch genoss, im Glauben, der andere würde es nicht spüren. Er seufzte und tat es noch einmal. Vorsichtig berührte er wieder die vollen Lippen, die sich so weich an seine eigenen schmiegen würden, könnte er ihn leidenschaftlich küssen. Doch ihm blieb nur diese kaum vernehmbare, zarte Berührung, die weit unter dem lag, was Hyde wirklich wollte. Als er spürte, wie ein sanftes Kribbeln durch seinen Körper fuhr und schließlich in seinem Bauch verharrte, fragte er sich, ob dies die allzu bekannten Schmetterlinge waren, die er zugegebenermaßen noch nie so intensiv wahrgenommen hatte. Sie baten selbstsüchtig um mehr, doch Hyde musste bekennen, dass ihm einfach der Mut dazu fehlte. Das war alles, was er sich von Kagegaku nehmen konnte, ohne diesen zu fragen. Auf mehr brauchte er nicht zu hoffen, obwohl der Gedanke, einfach die Grenze zu überschreiten und zu sehen was passierte, zu verlockend war. Er scheute sich davor, obwohl er gern gewusst hätte, wie Kagegaku darauf reagieren würde. Zögernd entfernte er sich etwas und öffnete betrübt über seine eigene Feigheit die Augen. Dunkle, von dichten Wimpern umrahmte Augen sahen ihn überrascht an. Hyde wich erschrocken zurück. Das Buch fiel aus seinen Händen, als Kagegaku schnell nach seinen Fingern griff und ihn von seiner Flucht abhielt. Schweigend sahen sie sich in die Augen, während Hyde spürte, wie ihm unangenehme Röte ins Gesicht stieg. Er suchte nach Worten, denn aus irgendeinen Grund spürte Hyde, dass Kagegakus Blick ihn mit Fragen löcherte. Doch über seine Lippen kam kein einziger Ton. Er war wie gefesselt an diese Augen und die Finger, die seine Hand festhielten. So verharrten sie endlose, stille Sekunden, bis der Samurai sich mit den Fingern über seine Lippen fuhr. Begleitet von starkem Herzklopfen beobachtete der Blonde diese Handlung. Sein Blick fuhr zu den Lippen, die ihm bereits zu einem verführerischen Kribbeln verholfen hatten, während sich eine bekannte Sehnsucht in seiner Brust breitmachte. Er konnte nicht deuten, was der Samurai dachte oder fühlte, und doch handelte sein Körper als würde er es genau wissen. Ohne ein Wort der Entschuldigung zu verlieren oder selbst zu realisieren, was er tat, berührte er wieder Kagegakus Lippen. Dieses Mal jedoch nicht so zaghaft und vorsichtig wie die Male zuvor. Er tat es fordernd, was den Schwarzhaarigen womöglich überrumpelte, doch Hyde wusste, würde er es jetzt nicht tun, dann würde er nie wieder den Mut dazu aufbringen können. Zu seiner Überraschung musste der Blonde allerdings feststellen, dass Kagegaku seinen Kuss sofort erwiderte. Obwohl die Reaktion des Strategen scheu und zögernd war, war es gerade diese Schüchternheit, die Hyde erstaunte und gleichzeitig beinahe wahnsinnig machte. Die Lippen des Samurai waren so weich, dass er sich ein zufriedenes Seufzen nicht verkneifen konnte. Auch seine nach mehr hungernde Zunge konnte er nicht zurückhalten, als sie unverschämt über Kagegakus Lippen fuhr. Er nahm eine kindliche Zurückhaltung wahr, die er jedoch gekonnt mit einem Lächeln überging. Es war seltsam, doch in jenen Moment war er das erste Mal er selbst. Die vergangenen Wochen hatten ihn zwar sicherer gemacht, doch so forsch und mutig wie jetzt war er viel zu lange nicht gewesen. Trotzdem versuchte er nur vorsichtig die zitternden Lippen des Schwarzhaarigen zu teilen und die schüchterne Berührung ihrer Zungen still zu genießen. Immer wieder zuckte Kagegaku zurück, was den Blonden zuerst verwunderte, denn er spürte, dass es ihm alles andere als unangenehm war, wenn er Kagegaku nachkam und den Kuss etwas intensivierte. Es war eher so, als wüsste der Stratege nichts mit seinem aufgeflammten Begehren anzufangen. Konnte es möglich sein, dass ein Mann, der mit Attraktivität, Beliebtheit und Ansehen gesegnet war, noch nie in den Genuss eines solchen Kusses gekommen war? Verwirrt über diesen absurden Gedanken, drückte Hyde sich näher an den Samurai heran. Er griff mit der rechten Hand nach dem Holz, an das sich Kagegaku gelehnt hatte, um besseren Halt zu erlangen, während er mit der linken unter sein Kinn fuhr und ihm das Gesicht entgegendrückte. Ihr Atem ging heftiger, als Hyde mit seiner Zunge noch fordernder wurde. Ein Spiel, das der vermeintlich Unerfahrene schnell erlernt hatte. Auch er wurde nun drängender, obwohl es sich doch noch etwas zaghaft anfühlte. Mit seinen kühlen Händen berührte er die glühenden Wangen des Blonden. Hyde seufzte wollig, denn diese Berührung war so unglaublich wohltuend, dass ihm ein Kribbeln durch den ganzen Körper zog. In seiner Brust jedoch zog es, als würde ihm jemand das Herz herausreißen wollen. Während er dem Drängen seines Körpers nachging, versuchte das Herz mit unglaublich großen Gefühlen klarzukommen. Gefühle die ihm vertraut waren, obwohl sie doch eigentlich neu waren. Es verwirrte Hyde. Er kannte seinen Geruch, er wusste wie sich Kagegakus Lippen anfühlten, noch bevor er sie überhaupt berührt hatte. Selbst seine zurückhaltende Art war ihm nicht neu, obwohl er sich doch darüber gewundert hatte. Es war, als würde er das bereits Geschehene noch einmal erleben, ohne zu wissen, dass es schon lange Vergangenheit war. Waren dies wirklich eine Nebenwirkungen seiner Zeitreise, wie er es sich selbst immer wieder erklärte? All das, was er erlebte, lag lange zurück. Dieser Kuss geschah vor 400 Jahren. Hyde jedoch war es, als wäre er vergangen und gleichzeitig Gegenwart. Kagegakus Hände, die von den Wangen abließen und über seinen Rücken fuhren, waren echt, genauso wie sie auch nur als Bild in seinen Erinnerungen erschienen. Obwohl Hyde sich in diesem Kuss auf eine eigenartige Art verloren fühlte, schmerzte ihn der Gedanke ihn zu beenden. Er wollte ihn nicht loslassen, da er das Gefühl hatte, ihn dann nie wieder auf diese Art spüren zu können. Diese Angst nistete sich in sein Herz, während er als Gefangener eines plötzlichen Feuers dem tiefen Kuss mehr Leidenschaft gab. Hyde spürte wie das Herz in der Brust des Kriegers wild raste, fast im Einklang mit seinem eigenen Pochens. Immer wenn Hyde sich kurz von den Lippen trennte, traf stoßweise heißer Atem auf seinen Mund, was den Blonden berauschte. Die Welt um sich herum vergessend, fuhr er mit seinen Fingern Kagegakus Hals hinunter. Sie stoppten nicht, als sie am Kragen des Kimonos angelangten, sondern glitten einfach unverschämt darunter. Das überraschte Stöhnen des Samurai fing er einfach mit seinen Lippen auf, während er langsam über die muskulöse Brust fuhr. An seine Ohren drang nichts außer dem stillen Rauschen, das plötzlich von einer bekannten Stimme, die aufgeregt den Namen des Kriegers rief, ausgelöst wurde. Hyde jedoch ignorierte sie, weil er glaubte, sie wäre nur Teil einer Einbildung. Auch Kagegaku reagierte nicht, was für ihn die Sinnestäuschung bestätigte. Doch als die Stimme lauter wurde und scheinbar näher rückte, erwachte Hyde urplötzlich aus diesem erregenden Wahn, in den er sich selbst rücksichtslos gestürzt hatte. Er trennte ihre sich küssenden Lippen und drückte sich völlig außer Atem von dem Samurai weg. Sofort erblickten seine Augen Fukushima, der nur wenige Meter von ihnen entfernt auf der Veranda stand und sie anstarrte. Hyde blickte verschämt zu Boden, um zu verhindern, das der Berater seine geröteten Wangen sah. „Herr!“, murmelte dieser und der Blonde bemerkte sofort die kurze Unsicherheit in Fukushimas Stimme. Auch wie Kagegaku versuchte seinen Atem und Herzschlag zu kontrollieren, vernahm der Blonde nur zu deutlich. Die zitternden Hände, die den Kimono zurechtzogen, blieben nur Fukushima verborgen, der verwirrt auf den Rücken seines Herrn blickte und auf eine Reaktion wartete. „Herr, euer Bruder ist hier!“ Diese Warnung kam leider zu spät. Kagegaku seufzte genervt, während er sich, die näher kommenden Schritte hörend, verbissen an die Brust fasste. Hyde, der sich etwas verloren fühlte, wollte sich ungesehen zurückziehen, doch die lauten Worte des Bruders hallten in seinen Ohren wie dumpfe Schläge gegen eine Wand. „Sieh mal an. Da seh ich das Bürschchen doch endlich mal bei Bewusstsein und es will gleich abhauen.“ Zögernd hielt er in seinem Fluchtversuch inne, drehte sich herum und ließ sich nervös zu einem kurzen Blick in das Gesicht des jüngeren Bruders hinreißen. Fukushima hatte ihn oft vor Kagemura gewarnt. Er sei ein herzloser Mensch, der es auf das Erbe der Familie abgesehen hatte. Kagegaku war ihm deswegen ein Dorn im Auge. Wer Freund mit dem Strategen war, der war auch gleichzeitig Feind des Bruders, so hatte der Berater es ihm erklärt. Hyde jedoch war überrascht, als er die Augen Kagemuras erblickte. Sie waren warm und doch stimmte etwas in ihrer Ausstrahlung nicht. Es war auch Verbitterung und Groll in ihnen zu lesen, was dem Blonden ein ungutes Gefühl bescherte. „Deine Haarfarbe ist zwar wirklich abstoßend, doch dein Gesicht hat für einen Mann ungewöhnlich schöne Züge“, meinte Kagemura, der langsam an Hyde herantrat und sich zu ihm hinunterbeugte. Den Hohn in der warmen Stimme des Samurai ekelte den Sänger. Machtlos musste er auch zulassen, wie ihm über die noch glühende Wange gestrichen wurde, denn das schaurig unwohle Gefühl, das durch seine Brust fuhr, lähmte ihn regelrecht. Benommen nahm er das bissige Lachen des Bruders war, das wie tausend Nadeln in seinem Kopf stach. Gleichzeitig schwirrten unzählige Bilder vor seinen Augen, die ihn in den Wahnsinn zu treiben drohten. Zärtliche Hände, sanfte Lippen, aber auch Tränen, Hass und Feindschaft. Er musste die Augen schließen, um ihnen zu entkommen und um zu realisieren, dass Kagegaku die kalte Hand aus seinem Gesicht geschlagen und Kagemura hart weggestoßen hatte. Dieser taumelte zurück, direkt in die Arme Fukushimas, der ihn vor einen peinlichen Sturz bewahrte. „Fass ihn nie wieder mit deinen dreckigen Händen an, sonst bring ich dich um!“, brüllte das Oberhaupt in einen beängstigenden Ton. Selbst Kagemura schien erschrocken über diese Wut, die er nie in seinem Bruder vermutet hätte. Seine zornigen Augen funkelten, während er sich stolz aufrichtete und lachte. „Tust du das, dann wirst du als Verräter hingerichtet.“ Fukushima, der seinem niederen Stand ausgeliefert war und nichts tun konnte, schüttelte über diese unbedachte Aktion nur den Kopf. Genau das hatte er die ganze Zeit befürchtet. Täglich hatte er seinen Herrn davor gewarnt, doch es schien alles umsonst gewesen zu sein. „Was willst du hier?“, kam es voller Zorn von Kagegaku. Hyde der sich für den Wutausbruch des Strategen verantwortlich fühlte, wagte es nicht, sein Haupt zu heben und irgendjemandem ins Gesicht zu sehen. Er wusste, dass das, was gerade geschehen war, noch Folgen haben würde. Geschah etwas Schreckliches, dann war es ganz allein seine Schuld. Nicht umsonst hatte Fukushima ihm immer wieder dazu geraten, sich möglichst schnell zu entfernen, wenn Kagemura auftauchte. Doch er war neugierig stehengeblieben, obwohl er wusste, dass es ungeheuerlich dumm von ihm war. „Ich bin in Kenshins Auftrag hier. Ich soll dir mitteilen, dass Shingen tot ist und die Truppen noch heute Nacht nach Etchu aufbrechen werden“, antwortete Kagemura mit demselben Zorn in der Stimme wie sein Bruder. Überrascht blickten sich Fukushima und der Klanführer an. Shingen war der ewige Widersacher der Uesugis gewesen. Achtungsvoll hatte Kenshin ihm den Namen „Tiger von Kai“ gegeben, sowie dieser ihn „Drache Echigos“ genannt hatte. Ein beiderseitiges Gefühl des tiefempfundenen Respekts verband die beiden Erzrivalen, die sich während ihrer Feindschaft sogar wertvolle Geschenke gemacht hatten. Sein Tod war keine unwichtige Angelegenheit, was Kagegaku, Fukushima und selbst Hyde sofort klar war. Doch dem Blonden war im Gegensatz zum Oberhaupt und dessen Daiymo auch bekannt, dass Shingens Tod lange vor seinen Feinden geheimgehalten worden war, was dessen letzter Wille gewesen war. „Shingen ist tot?“, murmelte Kagegaku fassungslos. Kagemura nickte, während er dieselbe Betroffenheit in den Augen seines Bruders feststellen musste, die ihm schon bei Kenshin aufgefallen war, als dieser davon erfahren hatte. Verstehen konnte er es nicht, genauso wenig wie den unsinnigen Befehl, das Land der Takedas, nun da sie geschwächt waren, nicht anzugreifen. „Du sollst mit deinen Männern sofort nach Kasugayama aufbrechen“, brummte Kagemura, der wütend über Kagegakus Ähnlichkeit mit seinem Herrn war. Wortlos stieß er Fukushima, der ihm im Weg stand, beiseite und stampfte von der Veranda. Kagegaku blickte immer noch entgeistert über diese unerwartete Nachricht in die Augen seines Freundes. „Wir müssen aufbrechen“, meinte Fukushima, woraufhin der Klanführer entschlossen nickte. Hyde, der mit gesenktem Haupt zu Boden blickte, musste feststellen, wie sich ihm bei diesen Worten die Brust fest zuschnürte. Er hatte gewusst, dass sie irgendwann zur Verteidigung ihrer Hauptburg nach Kasugayama aufbrechen mussten, doch dass es so plötzlich kam, schockierte ihn mehr als er sich eingestehen wollte. Schon als der Blonde vor wenigen Wochen darum gebeten hatte, die Truppen zur Burg zu begleiten, hatte Kagegaku, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, abgelehnt. Wahrscheinlich hatte Fukushima dazu geraten, da es sicherer für einen Kampunerfahrenen war, auf der Nishiyama-Residenz zu bleiben. Widerwillig war er dazu gezwungen gewesen, diese Entscheidung zu akzeptieren, denn in den Augen Kagegakus und aller anderen Vasallen war er nur ein gewöhnlicher Bediensteter, der den Befehlen und Wünschen seines Herrn Folge leisten musste. So hatte er es ja auch gewollt, um in der Nähe des Kriegers zu bleiben. Jede Konsequenz hatte er dafür in Kauf genommen. Sogar sein Zuhause, seine Welt, hatte er aufgegeben, um diesen Mann vor etwas zu beschützen, was ihm in unklaren und seltsamen Träumen erschien. Doch nun hatte sich alles gedreht. Das tiefe Gefühl, das er seit dem Kuss einfach nicht ignorieren konnte, machte die bevorstehende Trennung zur Qual. Ein Abschied, der ohne ein einziges Wort wie ein farbloser Film an ihn vorbeirauschte. Kagegaku, der wegen Shingens Tod in tiefen Gedanken versunken war, nickte noch einmal und murmelte: „Ja, lass uns sofort aufbrechen“, bevor er schweigend an dem Blonden vorbeitrat. Als der raschelnde Stoff des Kimonos die Füße des Blonden streifte, blickte dieser zaghaft empor. In der Hoffnung doch noch einen Blick des Klanführers zu erhaschen, zog er sich schnell auf die Beine. Doch Kagegaku schien ihn zu ignorieren. Abwesend folgte er wortlos Fukushima die Veranda herunter. Hyde blickte ihnen hinterher, während er sich zum ersten Mal in seinen Leben einsam und unsichtbar fühlte. War das, was vor wenigen Minuten zwischen ihnen geschehen war, Wirklichkeit oder nur Traum gewesen? Er zweifelte, obwohl er es auf seinen Lippen immer noch spüren konnten. Vielleicht gehörte es auch nur zu jenen Erinnerungen, die ihn beinahe täglich heimsuchten. Obwohl er noch nicht einmal wusste, warum er diesem Kuss derartig hinterherhing, schmerzte ihn der Gedanke, dass Kagegaku wahrscheinlich keine Bedeutung darin sah. Hatte er ihn nur aus purer Neugierde erwidert? War es nichts weiter als reines Interesse für das Unbekannte? Hätte er ihn doch nur sofort zurückgewiesen, dann wären diese Gefühle nicht gewachsen. Gefühle, die nun nur noch Schmerzen verursachten. Hyde fasste sich an die Brust, als ihm klar wurde, wie dumm er sich doch verhielt. Was um Himmels Willen hatte er denn erwartet? Dass sich in Kagegakus Welt nun alles um ihn drehte? Er wusste nicht, was der Samurai für ihn fühlte, und doch hatte er ihn einfach so geküsst. Es war kein Wort gefallen. Weder davor, noch danach. Was aber wäre passiert, wären sie nicht gestört worden? Als Hyde die schonungslose Realität über seine bisher verborgenen Wünsche erkannte, ließ er sich kraftlos auf die Knie fallen. Während Kagegaku treu seiner Pflicht als Heerführer nachging, jagte Hyde einer sich in Luft auflösenden Sehnsucht hinterher, die er vor wenigen Stunden nicht einmal für möglich gehalten hätte. Kagegaku ging und ließ große Schmerzen im Blondem zurück. Verzweifelt senkte Hyde den Blick. Das Holz des Verandabodens war kalt, doch er spürte es nicht. Er sah auch nichts mehr, nicht einmal wie Kagegaku am Ende des Flures stehengeblieben und sich umgedreht hatte. Ratlos blickten dessen Augen lange auf die Gestalt des Blonden, die hilflos auf den Boden kauerte. Seine Füße wollten ihn zurücktragen, doch Fukushima tadelte ihn mit einem Blick, der ihm keine andere Wahl ließ, als es dabei zu belassen. Schließlich war es seine oberste Pflicht, den Befehlen des Daiymos zu befolgen. Erst dann blieb, wenn überhaupt, etwas Platz für die eigenen Gefühle. ---------------------------------------------- Es ist irgendwie ziemlich toll, wenn man sich einen kleinen Vorsprung geschrieben hat. XD Man gerät nicht unter Druck. Ich hoffe, dass ich das eine Weile so beibehalten kann. So und an dieser Stelle mal ein dickes Dankeschön an alle Leser und vor allem an die Kommischreiber. Ich hab mich bisher bei wenigen persönlich bedankt. Ich glaub das werde ich noch an mir ändern. ^^; Es geht sehr bald weiter. Versprochen! *#*#* Erläuterungen: * Haori eine, bis zu den Oberschenkeln reichende Jacke, die bei kühlerem Wetter über dem Kimono getragen wird. Und noch eine kleine Anmerkung. Es geht um Shingens Tod. Ich hab es hier nämlich historisch unkorrekt wiedergegeben. Schlägt man bei Wiki oder sonst wo nach, dann liest man, dass Shingen im April 1573 starb. In EIEN sind wir aber gerade Ende 1573. Leider konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, ob er wirklich im April starb, oder ob es in diesem Monat bekannt wurde, denn wie gesagt, wurde es eine Weile geheimgehalten. Na ja, ich hab es mir so passend verdreht. Aber ich wollte es hier einfach mal erwähnen. ^_- Kapitel 6: Liebe ---------------- Ich selbst tu mich gerade schwer irgendetwas auf die Reihe zu kriegen. All meine Gedanken sind in Japan. Ich hatte in den letzten beiden Tagen nicht den Kopf zum schreiben, aber dieses Kapitel war ja schon fertig und vielleicht hilft es einigen ja, sich etwas abzulenken. ^^; *'*'* 6. Kapitel: Liebe [Ich streifte den süßen Mund mit meinen Lippen. Und quälend war der Abschied.] ---------------------------------------- „Take the pain away“, flüsterte Hyde und schrieb es mit dem Pinsel auf das dünne weiße Papier. Ein großer Klecks der schwarzen Tusche zierte das Ende des englischen Satzes, den er noch einmal kritisch vorlas, bevor nachdenklich den Pinsel auf dem Tintenstein ablegte. Unzufrieden schüttelte er den Kopf, riss das Stück Papier von der Rolle und zerknüllte es. Seine leeren Augen starrten auf den niedrigen Tisch, der mitten im Raum stand und an dem er seit einer Stunde grübelnd sinnlose Worte in klecksiger Schrift schrieb. Auf dem Boden neben ihm lagen die anderen Papierrollen, die er herbringen und auf Kagegakus Arbeitstisch legen sollte. Noch nie war er hier gewesen, obwohl es das Zimmer direkt neben dem Empfangsraum war, in dem er Kagegaku zum ersten Mal gesehen hatte. Auf einem anderen Tisch, der rechts von ihm an der Wand stand, lagen Bücher und zahlreiche Schriftrollen. Kagegaku schrieb Gedichte. Es war für einen gebildeten Samurai nicht unüblich, wenn sich dieser in Poesie übte, und doch überraschte es Hyde, auf welche Art und Weise sich der Krieger in seinen Gedichten ausdrückte. Er war fasziniert von den Texten, die so viel Tiefe hatten, dass es ihn gleichzeitig frustrierte, selbst nicht die richtigen Worte zu finden. Warum hatte er sich überhaupt hierher gesetzt? Einen Songtext zu schreiben hatte doch überhaupt keinen Sinn. Selbst wenn er etwas Gutes auf Papier brachte, er würde es doch nie benutzen können. Und hier waren seine Texte genauso lächerlich wie der Gedanke, Kagegaku hätte sich in ihn verliebt. Es war absurd, denn wäre es so, dann hätte er sich die letzten fünf Monate nicht so einsam gefühlt. Natürlich hatte er jeden Tag, so blauäugig wie er war, auf eine Nachricht von Kagegaku gewartet. Ein Brief, ein paar Worte und sei es nur die erwartete Ablehnung gewesen. Alles wäre ihm recht gewesen, doch diese Gleichgültigkeit ertrug er nur schwer. Der Gedanke, einfach zu verschwinden, um diesen Schmerzen zu entfliehen, wurde von Tag zu Tag stärker. Obwohl er nicht wusste, wohin er gehen konnte, dachte er jede Stunde daran. Nicht nur, weil er sich nutzlos fühlte, sondern auch, weil er nicht wusste, wie er Kagegaku in Zukunft gegenübertreten sollte. Zu viel Zeit war vergangen, ohne dass je ein Wort über das, was geschehen war, gesprochen worden war. Letztendlich war es einfach nur lächerlich, überhaupt jemals eine Silbe darüber zu verlieren, denn Kagegaku schien es so oder so bereits vergessen zu haben. Vielleicht würde er damit umgehen können, denn seine eigentliche Aufgabe war schließlich nicht, den Samurai zu lieben, sondern ihn vor Gefahren zu beschützen. Wie aber konnte er das tun, wenn er nicht an seiner Seite sein konnte? Ratlos nahm Hyde den in Tusche getauchten Pinsel in die Hand und setzte die Spitze vorsichtig auf das Papier. „Liebeskummer?“, schrieb er langsam auf das weiße Papier und lächelte betrübt, als er es leise flüsterte. Hatte er wirklich Liebeskummer? Waren die langen, einsamen Nächte und die qualvollen, dunklen Tage der Beweis dafür? Oder war es eher die Leere, die er spürte und die ihn so verzweifeln ließ? Wann hatte er das letzte Mal Liebeskummer gehabt? Er konnte sich nicht erinnern, doch er wusste, dass er schon einmal so gefühlt hatte. War es vor fünfzehn Jahren in der Schule gewesen? Oder doch vor 400 Jahren, genau hier an diesem Tisch? Liebte er Kagegaku, wie Fukushima es anscheinend auch schon vermutete? Liebte er Kagegaku, wie es sich die Menschen im 21. Jahrhundert noch erzählten? War der Kuss alles, was zwischen ihnen passieren würde? Die Gerüchte, dass sie ein Liebespaar wären, kursierten schließlich schon seit den ersten Tagen. Was, wenn die Sage des heimlichen Paares nur auf diesem Gerede beruhte und tatsächlich nur eine einseitige Liebe dahintersteckte? Eine Liebe, die dem Fremden mit dem goldenen Haar nur Kummer brachte. 'Leute sagen, er hätte sich aus Verzweiflung im Seki-Fluss ertränkt.' Das waren Tayamas Worte, an die Hyde sich soeben erinnerte. War dies wirklich sein vorherbestimmtes Ende? Sein qualvolles Schicksal? Als ihm bewusst wurde, wie nah sein Leid bereits diesem dummen Entschluss war, stiegen ihm heiße Tränen in die Augen. Er hatte doch nichts. Keine Freunde, keine Familie, kein Ziel, nichts, woran er sich festhalten konnte, nicht einmal ein wahres Zuhause. Denn er gehörte hier nicht her. Unbewusst hatte er sich an Kagegaku geklammert, in der Hoffnung, all das in ihm wiederzufinden. Und am Ende hatte er sogar den Willen, zurückzukehren, verloren. Die vagen Ziele, die er sich hier gesetzt hatte, waren nur Hirngespinste, erfunden, um von dem, was er wirklich fühlte, abzulenken. Seine Existenz in dieser Zeit hatte schlussendlich doch keine Bedeutung. Dass er hier saß und versuchte, seinen Schmerz nieder zuschreiben, hatte auch keinen Sinn, denn niemand würde es lesen. Niemand würde es bemerken. Er war völlig allein und mit Einsamkeit konnte er noch nie wirklich umgehen. Doch er war ja selbst Schuld daran. Mit seiner unüberlegten Annäherung hatte er in null Komma nichts alles kaputt gemacht. Dass es ihm egal war, wie Kagegaku darauf reagierte, war nur eingeredet, damit er sich selbst nicht im Wege stand. Denn hätte er es zu hundert Prozent gewusst, wäre er niemals so weit gegangen. Und nun musste er mit den Konsequenzen leben. Eine andere Wahl blieb ihm wohl kaum. Das war ihm bereits wenige Minuten nach Kagegakus Abreise klar geworden. Er wollte gehen und doch hatte er es in den letzten fünf Monaten nicht einmal vor die Schwelle dieses Hauses geschafft. War er zu feige, diesen Schritt zu gehen? Was hielt ihn hier noch? „Warum bin ich hier?“, murmelte Hyde und ließ ratlos den Kopf in seine Handflächen sinken. Ein tiefes Seufzen entfuhr seinen Lippen, bevor er sich die Tränen wegwischte und mit verschwommenem Blick versuchte, Ordnung auf dem wüsten Tisch zu schaffen. „Ich kann es ja selbst kaum glauben, aber es stimmt wirklich“, piepte eine helle Frauenstimme direkt vor der dünnen, mit Papier bespannten Schiebetür des Arbeitszimmers. Eine andere Frau, deren Schatten Hyde sah, schüttelte ungläubig den Kopf. Es waren Sanjo und Yukie, deren Klatschgeschichten jeden Tag die Runde durch das Anwesen machten. Hyde rollte mit den Augen, während er leise die Papierrollen auf den Tisch legte. Es war besser, wenn ihn hier niemand sah, denn eigentlich gab es für das Personal nur Zutritt, wenn etwas gebracht oder geholt werden sollte. „Mein Mann sagte sogar, dass Herr Nishiyama sie mitbringt, wenn sie zurückkehren“, meinte Sanjo. Normalerweise schenkte Hyde dem Geschichten dieser beiden Frauen kaum Beachtung, doch als Kagegakus Name fiel, hielt er automatisch inne. „Herr Nishiyama und eine Geliebte? Das kann ich nicht glauben.“ Das helle Piepsen der fassungslosen Frauenstimme hallte in Hydes Ohren wieder. Der Pinsel, den er soeben in die Hand genommen hatte, rutschte ihm zwischen den Fingern hindurch und fiel lautlos auf seinen Schoß. Schwarze Farbe drang in das Gewebe des hellbraunen Kimonos, doch der Blonde starrte nur reglos auf die Schatten an der Tür, während er glaubte, sein Herz hätte aufgehört zu schlagen. „Ich verstehe nicht, was daran so unglaublich ist. Andere haben mehr als eine Geliebte.“ „Ja, aber er hatte doch noch nie eine“, entgegnete die andere Frau mit der etwas tieferen Stimme, bevor Yukie mit dem Kopf schüttelte. „Und Toshiba?“ Eine kurze Stille kehrte ein, bevor die etwas ältere Sanjo abfällig mit der Hand fuchtelte. „Toshiba hat sich doch nur aufgedrängt. Unser Herr war nett zu ihm, weil er glaubte, schuld an seiner Verletzung gewesen zu sein.“ Yukie schnaufte verächtlich, bevor sie sich an die Stirn fasste. „Das Gefühl hatte ich nicht, als ich sie damals zusammen auf der Veranda gesehen habe.“ Verachtung und Spott lag in ihren Worten, die der Blonde bereits gewohnt war. Das tuschelnde Gerede über ihren Kuss hatte er in den letzten Monaten oft genug hören dürfen. Yukie hasste ihn, denn er stand dem Familienoberhaupt so nahe, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte. Sie war in ihn verliebt und war daher auf jeden krankhaft eifersüchtig, dem Kagegaku ein Lächeln schenkte. Doch was ihn in die dunkle Tiefe zog war nicht der Hass und auch nicht die Eifersucht, die der Blonde jeden Tag aufs Neue in den Augen der Menschen sah, sondern die Erkenntnis, dass es endgültig keinen Sinn mehr hatte, auf Kagegaku zu warten. „Ich sagte doch, Toshiba hat sich aufgedrängt. So ein Kuss sagt überhaupt nichts“, murmelte Sanjo und Hyde nickte im Stillen. Sie hatte Recht. Ein Kuss sagte nichts. Das begriff er nun. Vielleicht bedeutete diese Berührung hier nichts. Vielleicht hatte ein Kuss überhaupt keine Relevanz. Es zählte nur, wie viele Söhne man mit wie vielen Frauen zeugen konnte, damit die Nachfolge zu hundert Prozent gesichert war. Er musste endlich begreifen, dass dies nicht das 21. Jahrhundert war, sondern eine Welt, in der Krieg herrschte und in der Macht das größte Gut war. Wie er sich dabei fühlte hatte keine Wichtigkeit. Zumal er nicht erwartet hätte, dass ihn eine solche Nachricht derart erschüttern könnte. Völlig unerwartet wurde ihm das letzte Stückchen Boden unter den Füßen weggezogen, während er keinen blassen Schimmer hatte, worauf er eigentlich die ganze Zeit gewartet hatte. „Ich frage mich, wie die Frau aussieht, die es geschafft hat, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ „Er sollte erst einmal heiraten, bevor er sich eine Geliebte nimmt“, äußerte Sanjo kritisch, bevor ihr Gespräch von aufgeregten Rufen unterbrochen wurde. „Sie sind zurück! Unser Herr ist wieder da!“, rief ein junger Bursche laut, um die Bediensteten von der unmittelbaren Rückkehr des Familienoberhauptes zu informieren. „Was? Sie sind zurück?“, fragte Yukie aufgeregt. Der Junge nickte. „Ja, sie sind bereits vor dem Tor.“ „Warum wussten wir nichts davon?“, piepte Yukie aufgeregt, während sie den Ärmel des Kimonos ihrer Freundin griff und diese eilig mit sich schleifte. Hyde, der ebenso überrascht über die plötzliche Rückkehr Kagegakus war, blickte schweigend auf die Papiertür, während die abrupte Stille ihn merklich nervös machte. Fünf Monate hatte er auf diesen Tag gehofft und sich durch die Stunden gequält. Und nun hatte es nicht einmal mehr Sinn, Kagegaku überhaupt unter die Augen zu treten. Niemals wieder würde er es ertragen können, in dieses Gesicht zu sehen oder seine Stimme zu hören, ohne sich für seine dummen Gefühle in das nächste Loch verkriechen zu wollen. Ihm blieb nichts weiter als die Flucht, die er bisher unbewusst hinausgezögert hatte. Nicht aus Angst davor, nirgendwo hin zu können, sondern weil ihm sein Gefühl Hoffnung gemacht hatte. Auf die Möglichkeit, dass seine unerwartete Liebe irgendwie erwidert wurde. Doch so war es nicht. Das wurde ihm heute deutlicher als er es wollte vorgeführt. Mit zittrigen Händen nahm Hyde den Pinsel von seinem Schoss, legte ihn auf den Tisch und stand auf. Sein abwesender Blick schweifte lange durch den kleinen Raum, bevor er an die Schiebetür trat und unentschlossen seine Finger über das Papier streichen ließ. Er zögerte, obwohl sein Entschluss feststand. Regungslos verharrte Hyde mehrere Minuten, während er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Sein Verstand wollte so schnell wie möglich weg von hier, doch sein Herz wartete nur darauf, aufgehalten zu werden. Wieder war er zu feige, um entschieden zu handeln, während er das Gefühl nicht loswurde, eine höhere Macht würde ihm riesige Felsen in den Weg legen, die er niemals überwinden könnte. Er war machtlos seinem verborgenen Willen ausgeliefert. Seufzend ließ er seine Stirn an die schmalen Holzstreben sinken, als er schließlich nähergekommene Stimmen vernahm. Unter ihnen auch die des Klanoberhauptes. „Sie soll ihr Quartier im Westflügel bekommen. Der Raum mit der Aussicht auf den kleinen Garten wird ihr bestimmt gefallen“, ordnete Kagegaku an. „Das Zimmer Eurer verstorbenen Mutter?“, fragte Fukushima nach, während dieser dem Familienoberhaut in den Empfangsraum nebenan folgte. Aufmerksam lauschte Hyde den bekannten Stimmen, die er beinahe ein halbes Jahr lang nicht mehr gehört hatte, während er sich mit dem Rücken an jene dünne Wand drückte, die ihn von Kagegaku trennte. Er seufzte still, als er begriff, wie sehr er es vermisst hatte, den Worten des Oberhauptes zuzuhören. „Ja“, antwortete der Stratege knapp auf die Frage seines Beraters, begleitet von dem klirrenden Metall seiner Rüstung, die ihm abgenommen wurde. „Es soll ihr an nichts fehlen.“ Hyde biss sich schmerzlich auf die Unterlippen, als diese Worte fielen. Es stimmte also wirklich. Kagegaku hatte eine Geliebte, wie es bereits überall herum erzählt wurde. Und wie es sich anhörte, befand sie sich bereits auf dem Anwesen. Was völlig natürlich war, denn von nun an würde sie hier leben, Tage und Nächte mit dem Klanführer verbringen, sehnsüchtig auf seine Rückkehr nach einer Schlacht warten und irgendwann seinen Nachfolger zu Welt bringen. Genauso sah das Leben eines normalen Samurai und seiner Frau aus. So musste es sein, so war es richtig. Doch für Hyde war es die schmerzlichste Erkenntnis seines Lebens. Unaufhaltsam kullerten ihm neue Tränen über die Wangen. Sein Schluchzen unterdrückte er, indem er sich die Hand auf den Mund drückte. „Sehr wohl“, erwiderte Fukushima. Dann herrschte eine kurze Stille, die nur vom Klappern des Metalls und dem Rascheln schweren Stoffes unterbrochen wurde. „Wo ist Hidetori?“, murmelte der Stratege nach einigen Minuten und zerrte Hyde damit aus seinen Gedanken, in die er sich kurz verloren hatte. Fukushima zögerte, bevor er darauf antwortete. „Ich weiß es nicht.“ „Wann wurde er das letzte Mal gesehen?“, fragte Kagegaku hastig, kaum das sein Berater ausgesprochen hatte. „Vor einigen Stunden.“ Aufgeregt begann das Oberhaupt, im Raum auf und ab zu gehen. „Vielleicht ist er gegangen“, schlussfolgerte er besorgt. „Warum sollte er das tun?“, entgegnete Fukushima, der seinen Herrn zu beruhigen versuchte. Der Stratege schüttelte sofort den Kopf. „Auf meinen Brief hat er auch nicht geantwortet.“ Darauf antwortete der Berater nur mit einem resignierenden Schweigen, während Kagegaku wie erstarrt stehen blieb. Verwirrt versuchte Hyde, das Gesagte zu verstehen. Er wusste nichts von einem Brief. Dass er darauf gewartet hatte, wollte er nicht leugnen, doch unter den Briefen, die jede zweite Woche ankamen, war nie etwas für ihn dabei gewesen. Irgendwann hatte er einfach nur aufgegeben, daran zu glauben, und sich damit abgefunden, dass Kagegaku nicht die Notwendigkeit darin sah, auch nur ein Wort über das, was passiert war, zu verlieren. Schlichtweg, weil es ihm anscheinend nichts bedeutete. Das hatte Hyde die ganze Zeit geglaubt. Davon war er wochenlang überzeugt gewesen. Und nun stellte sich einfach heraus, dass es vielleicht doch nicht so war? Hyde war verwirrt. Unentschlossen, was er nun glauben sollte, schüttelte er den Kopf, bevor er zögernd die Tür öffnete und wie ferngesteuert das Zimmer verließ. Er hörte wie Kagegaku wieder ruhelos durch den Raum lief. Die Nervosität des Samurai übertrug sich auf den Blonden, dessen Herz in Dreiecken sprang, als er sich wehmütig dazu entschlossen hatte, ein letztes Mal unter die Augen des Strategen zu treten. Seine langsamen Schritte brachten ihn in den Nebenraum. Ohne aufzusehen oder vor seinem Herrn niederzuknien, stand er regungslos da und haderte mit den Worten. „Hidetori“, bemerkte Fukushima, der den Blonden zuerst entdeckt hatte, erleichtert. Kagegaku drehte sich sofort herum und musterte aufmerksam den verkrampften Mann an der Tür. „Wo warst du?“, wollte der Stratege wissen, doch Hyde zeigte keine Reaktion, was Kagegaku augenblicklich stutzig machte. Zögernd trat er an den Blonden heran, während seine Augen den schwarzen Fleck auf seinem Kimono fixierten. „Was ist passiert?“, stellte er die nächste Frage, die Hyde wieder nicht beantwortete. Den tadelnden Blick Fukushimas bemerkte der Blonde. Als treuer Vasall war es natürlich seine Pflicht, niederzuknien und auf Fragen seines Herrn zu antworten, doch er hatte einfach nicht mehr die Kraft, so zu tun, als wäre er Teil dieser albernen Welt. Das Einzige, was er wollte, waren jene Antworten, auf die er so lange hatte warten müssen. Alles andere war ihm völlig gleichgültig. Auch wenn er wusste, dass es nun so oder so keinen Sinn mehr hatte. „Ich habe nie einen Brief erhalten“, murmelte Hyde mit brüchiger Stimme, während er stur den Boden vor seinen Füßen musterte, um nicht in die dunklen Augen des Samurai sehen zu müssen. Kagegaku blickte ihn irritiert an, bevor er skeptisch den Kopf schüttelte und fragte: „Was soll das heißen?“ Hydes ratloses Schweigen war die Antwort darauf, was dem Strategen sofort Sorgen bereitete. Aufgeregt fuhr er sich mit seinen Fingern über das Kinn und runzelte ernst die Stirn. „Konishiki hat mir versichert, dass du ihn persönlich in Empfang genommen hast“, meinte der Schwarzhaarige zweifelnd, der natürlich größtes Vertrauen in die Loyalität seiner Männer legte. Die Vorstellung, dass jemand gegen einen seiner Befehle gehandelt hatte, war ihm einfach zu absurd. Das wusste Hyde und doch gab es theoretisch kaum eine andere Erklärung dafür. „Ich habe Konishiki fünf Monate lang nicht gesehen“, antwortete der Blonde, dem soeben klargemacht wurde, dass er Teil eines falschen Spieles geworden war. Verwirrt registrierte er Kagegakus plötzliche Nervosität, als diesem praktisch vor Augen geführt wurde, dass sich offensichtlich ein Verräter unter seinem Dach befand. Für einen Heerführer, der seinen Kriegern blind vertraute, war dies ein würdeloser und hinterhältiger Angriff auf seine Ehre. „Fukushima, finde sofort heraus, wo dieser Brief ist.“ Hyde zuckte zusammen, als das Oberhaupt mit lauter, aufgeregter Stimme diesen Befehl gab, während ihm die Wut in den Augen des Strategen verborgen blieb. „Natürlich“, gehorchte Fukushima. Er verbeugte sich, stand auf und verließ ohne zu zögern den Raum, während Hyde verkrampft versuchte, Kagegakus Blick, der ohne Zweifel auf ihm ruhte, zu ignorieren. Obwohl er nicht wusste, ob der Zorn des Strategen auch auf ihn gerichtet war, ergriff der Blonde unsicher die Gelegenheit, eine entscheidende Frage zu stellen. „Was … stand in diesem … Brief?“, stotterte er, all seinen Mut zusammennehmend. Noch immer hatte er nicht die erforderliche Kühnheit, den Samurai anzusehen, denn die Angst, die Antwort bereits in seinen Augen sehen zu können, versetzte ihn regelrecht in Panik. Das Oberhaupt zögerte einen Moment, bevor er überlegt und doch befangen eine Antwort darauf gab. „Das ist unwichtig“, entgegnete er leise. Hyde riss sofort schockiert die Augen auf und starrte fassungslos auf seine nackten Füße, die trotz des warmen Juniwindes zu frieren schienen. „Unwichtig?“ Betroffen schüttelte der Blonde den Kopf. Das konnte unmöglich die Wahrheit sein. Warum existierte dieser Brief, wenn er unwichtig war? Warum zögerte er mit seiner Flucht, wenn es dieses Fünkchen Hoffnung, welches er in sich spürte, nicht wirklich geben würde? Warum konnte er sich nicht damit abfinden, seine Zeit hier verschwendet zu haben? „Hidetori ...“, murmelte Kagegaku besorgt, als der Blonde einige zaghafte Schritte rückwärts machte. Widerwillig blieb Hyde stehen, als er seinen Namen, den er sich selbst vor einem halben Jahr gegeben hatte, hörte. Genauso unüberlegt wie sein Entschluss, alles aufzugeben, um an der Seite des kriegerischen Samurai sein zu können. „Wenn es so unwichtig ist, warum seid Ihr dann so aufgeregt und lasst Fukushima danach suchen?“, stellte Hyde mutig diese vielleicht anmaßende Frage. Er hatte nichts mehr zu verlieren, warum also sollte er nicht sagen, was er dachte? Dass Kagegaku darauf keine Antwort geben würde, hatte er bereits geahnt. Und doch schmerzte es ihn immer wieder, zu erkennen, dass es dem Strategen völlig gleichgültig war, wie er sich fühlte. „Lebt wohl“, flüsterte Hyde verzweifelt, während ihm immer elender zumute wurde. Er ertrug es nicht länger, also musste er gehen. Natürlich würde der Stratege nicht verstehen, warum er sich dazu entschlossen hatte, doch von diesem zu verlangen, seine Gefühle zu erwidern, stand genauso außer Frage. Wahrscheinlich wusste der Samurai nicht einmal, was Liebe bedeutete. Er hatte also einfach keine andere Wahl. „Wo willst du hin?“, fragte Kagegaku, der Hyde wie erstarrt hinterher blickte, merklich verwirrt. „Ich … verlasse dieses Anwesen.“ Warum er diese Antwort gab, war dem Blonden völlig schleierhaft. Dass Kagegaku ihn womöglich aufhalten könnte, hätte ihm doch klar sein müssen. Doch so dumm wie er war, hatte er wieder gegen seine zerrissenen Gefühlen verloren und sich selbst Steine in den Weg gelegt. Panisch stürzte der Stratege an den Blonden heran und packte diesem fest am rechten Oberarm. „Du wirst nicht gehen!“, wandte er ernst ein. Erschrocken ließ Hyde sich dazu hinreißen, in Kagegakus Augen zu sehen. Eine beängstigende Strenge lag in dessen Blick, der Hyde erzittern ließ. Es machte ihn regelrecht sprachlos, wie besitzergreifend Kagegaku ihn packte und an seine Brust zog. Wütend starrte der Samurai mit funkelnden Augen in das Gesicht des Blonden, der vor Verwirrung nicht mehr wusste, was er denken sollte. Warum tat Kagegaku das? Mit welchem Recht glaubte er, über ihn verfügen zu können, wie er es wollte. Auch wenn er der Herr und Hyde nur ein Bediensteter war, hatte der Blonde immer noch Anspruch auf Entscheidungsfreiheit, denn schließlich war er kein Gefangener mehr. Warum wollte Kagegaku ihn aufhalten, wenn er es nicht einmal für nötig hielt, ihm die Wahrheit über diesen Brief zu sagen. Warum konnte er ihm nicht klipp und klar die Ablehnung in sein Gesicht schleudern? Die Einfältigkeit des Strategen missfiel Hyde. Zornig erwiderte er den scharfen Blick des Schwarzhaarigen, während er sich ruckartig von ihm losriss. Das Geräusch von zerreißendem Stoff ließ Hyde jedoch noch einmal zurückblicken, um dann irritiert festzustellen, dass Kagegaku ihn an seinem eingerissenen Kimonoärmel festhielt. Schockiert blickte er in die starren Augen des Oberhauptes. „Lasst mich los!“, forderte der Blonde, während ihm natürlich bewusst war, dass Kagegaku sicherlich noch nie Befehle von einen Mann niederen Standes erhalten hatte. Da ihm klar war, dass der Stratege sich seinem Wunsch nie beugen würde, packte Hyde seinen Ärmel und zog diesen fest aus Kagegakus verkrampften Fingern. Obwohl ihn jener Moment so sehr quälte, stand sein Entschluss fest. Er würde dieses Haus verlassen, weil er es nie ertragen könnte, eine Geliebte in Kagegakus Armen zu wissen. Diesen Grund konnte er dem Strategen natürlich nicht liefern, also schwieg er, während er sich umdrehte und davonlief. Er war ein elender Feigling, der sich seinen Ängsten nicht stellen wollte. Und er hatte hier nichts verloren. Nein, nichts außer seinem Herzen, das er wohl nie zurückbekommen würde. Aber das war egal, da er sowieso keine Verwendung mehr dafür sah. Er wusste noch nicht einmal, wie er nach seiner Flucht leben sollte. Wozu also ein Herz, welches ihn die ganze Zeit nur in die Irre geführt hatte? Während Hyde wortlos vor Kagegakus Augen flüchtete, presste dieser seine vor Wut verzerrten Lippen zusammen. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, als er Hidetori unbeherrscht an sich gezogen hatte und aus benebelten Zorn am liebsten gar nicht mehr aus seinem festen Griff lassen wollte. War es, weil ihm noch nie jemand so dreist in die Augen gesehen hatte? Weil noch nie jemand so unverschämt mit ihm geredet hatte? Oder eher weil er sich einfach nicht damit abfinden wollte, dass sein nach Monaten erstes Wiedersehen mit dem Blonden derartig schief gelaufen war, obwohl er sich so sehr nach ihm gesehnt hatte? Vielleicht war es eine Mischung aus allem, doch eines war dem Strategen klar. Niemals würde er Hidetori gehen lassen, selbst wenn er diesen in Ketten legen musste. „Makushita, Maegashira, verriegelt das Tor und behaltet ihn im Auge. Er darf auf keinen Fall das Anwesen verlassen!“, ordnete Kagegaku mit kräftiger Stimme an. -------------------------------------- Ohne jetzt zu viel zu verraten, aber ich möchte diese Frage gern stellen . ^^ Vielleicht weiß ja jemand, aus welchem Song der erste Satz des Kapitels ist?! Ich denke, dass zu erraten ist nicht schwer, denn so viele Song mit englischen Sätzen gibt es ja nicht. ^^; Ratet und denkt euch euren Teil. XD Und wie ihr gemerkt habt, bleiben die Kapitel (hoffentlich) nun in dieser (für mich) kurzen Länge, denn ich glaube, ich habe mir erfolgreich angewöhnt die Kapitel nicht in die Länge zu ziehen. Das heißt aber nicht, das ich weniger schreibe, sondern einfach nur, dass die Kapitel anders aufgeteilt sind. Jetzt befinden sich weniger Szenen in einem Kapitel. Also wird es am Ende bestimmt doch sehr viel mehr Kapitel, als die am Anfang geschätzten 10. ^_^ UND es wird keine lange Wartezeit von über einem Monat mehr geben. Ich schätze, dass es so zwischen 2-3 Wochen pendeln wird. Ich find das gut. ^_- Kapitel 7: Ehre --------------- 7. Kapitel: Ehre [Zu spät die Blicke in die Seele der Hoffnung alles vergebens] ---------------------------------------- „Fällt das Ankleiden nicht eigentlich in Hidetoris Aufgabenbereich?“, merkte Fukushima stutzig an, als er am Morgen eines sonnigen Junitages in Kagegakus Räumlichkeiten trat und seinem Herrn ungläubig ins betrübte Gesicht sah, während diesem der dunkelgrüne Obi zum grauen Kimono gebunden wurde. Die Unzufriedenheit über Hidetoris Abwesenheit war dem Klanoberhaupt klar anzusehen, weshalb Fukushima sich dazu verpflichtet fühlte, direkt nachzufragen. „Er zieht es seit unserer Rückkehr vor, mir so gut es geht aus dem Weg zu gehen“, antwortete Kagegaku, nachdem er dem Jungen für dessen Hilfe dankend zunickte. Fukushima, der überrascht feststellen musste, dass sich während seiner Suche nach Informationen über den verschwundenen Brief wohl einiges zugetragen haben musste, kniete sich auf den Tatamiboden und runzelte die Stirn. „Heißt das, er erledigt seine Arbeit nicht mehr?“ Skeptisch legte er den Kopf schief, während ihm nicht einleuchten wollte, was für einen Grund Hidetori dafür vorlegen könnte. Die Starrköpfigkeit des Blonden, als dieser unbeirrt darum gebeten hatte, an Kagegakus Seite bleiben zu dürfen, sah Fukushima noch so klar vor Augen, als wäre es erst gestern gewesen. Was war vorgefallen, dass Hidetori es nun lieber vorzog, den Strategen zu meiden, anstatt ihn zu beschützen, wie es damals noch sein Wunsch gewesen war? Kagegaku schüttelte kurz den Kopf, bevor er begleitet von einem leidigen Lächeln antwortete: „Nein, es heißt nur, dass er Arbeiten, bei denen er mich berühren oder ansehen muss, anderen überlässt.“ Prüfend versuchte Fukushima einen Blick in das Gesicht seines Herrn zu werfen, als dieser seltsam auffällig zu Boden sah und damit offensichtlich vermeiden wollte, seine tristen Gefühle offen darzulegen. Doch der Freund des Strategen hatte gelernt, Gemütsverfassungen seines Herrn anhand von Kleinigkeiten zu deuten. Er sah sofort, dass Kagegaku verletzt war. Ein Gefühl, welches dem Oberhaupt völlig neu zu sein schien. „Und Ihr duldet das?“, fragte Fukushima vorsichtig, den es wunderte, dass der Stratege dies mit sich machen ließ. Wieder schüttelte Kagegaku den Kopf, während er mit gesenktem Blick auf die Veranda trat. „Noch nie in meinem Leben bin ich so nervös gewesen, dass ich sogar vergaß, einen Boten hierher zu schicken, der unsere Rückkehr verkündete.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, das über sein kopfloses Handeln an diesem Tag spottete. Er kam sich selbst wie ein Wahnsinniger vor, als ihm bewusst wurde, wie impulsiv er Kenshins Einladung abgelehnt hatte. Während der Daimyo zur Siegesfeier eingeladen hatte, waren Kagegakus Gedanken bereits hunderte Kilometer gereist. Ungeduldig hatte er den Befehl gegeben, unverzüglich zur Nishiyama-Residenz aufzubrechen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass er anmaßend gewesen war. Doch diese Ruhelosigkeit, die ihn plötzlich überkommen hatte, hatte alles so unwichtig erscheinen lassen. „Ich war unhöflich und habe eine Bitte meines Herrn abgelehnt, nur weil ich es nicht abwarten konnte, ihn wiederzusehen.“ Kagegakus Augen hafteten voller Selbstzweifel auf den weißen Blüten der Azalee, die direkt unter dem großen Kirschbaum wuchs, während er sich fragte, ob seine Entscheidungen, die er in letzter Zeit getroffen hatte, richtig gewesen waren. Er seufzte leise, als Fukushima neben ihn trat und dieser seinen Herrn ernst ansah. „Wenn Ihr jemals an irgendetwas zweifeln solltet, dann könnt Ihr darauf vertrauen, dass ich Euch immer helfen werde, die richtige Antwort zu finden“, bot der Berater an, der sofort gesehen hatte, was in Kagegaku vor sich ging. Es bedurfte keiner Worte, denn Fukushima wusste, dass sein Herr sich seit geraumer Zeit nicht mehr sicher in seinen Entschlüssen war. Es hatte begonnen, als das Herz des Oberhauptes zu lieben gelernt hatte, aber auch gleichzeitig langsam vergaß, dass er Diener eines Daimyos war, für den er Schlachten führte, die er als Stratege selbst empfahl und analysierte. Für Kagegaku schien es jedoch immer deutlicher zu werden, dass er ein Mann war, der nur für eine Sache leidenschaftlich leben konnte. Bisher war es immer nur die Treue zu Kenshin gewesen, die seine Tage lebenswert gemacht hatten. So wie es von ihm immer erwartet wurde. Doch Fukushima war sich fast sicher, dass sich diese Hingabe nun drastisch gewandelt hatte. „Ich behandle ihn wie einen Gefangenen. Kein Wunder das er es nicht mehr bei mir aushält“, murmelte der Stratege verbissen und Fukushima schüttelte sofort mit dem Kopf, als Kagegaku sich wieder umdrehte und in den Raum ging. „Es ist zu seinem eigenen Wohl“, erklärte der Berater, der gut verstehen konnte, weshalb sein Herr so besorgt war. Gab er Hidetori die Erlaubnis, zu gehen, lieferte er seinem kaltherzigen Bruder gleichzeitig die einmalige Gelegenheit, ihn am wundesten Punkt zu treffen. Das konnte und wollte er natürlich nicht zulassen. Obwohl Kagegaku wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab, zweifelte er an dieser Entscheidung, weil er sich sträubte, gegen Hidetoris Willen zu handeln. „Das versteht er nicht“, murmelte der Stratege leiser, während er sich im Schneidersitz auf den Boden setzte und wieder in den Garten sah. „Kagemura würde keine Sekunde zögern und Hidetori suchen lassen. Was dann geschehen würde, möchte ich mir gar nicht erst vorstellen.“ Sein besorgter Blick traf auf Fukushima, der ihm ernst zunickte. Beide wussten, wie begierig Kagemura auf diese Gelegenheit wartete. Ein falscher Schritt, eine gedankenlose Handlung und sie würden ihm geradewegs in eine hinterhältige Falle laufen. Die letzten Worte des Bruders, als sie sich zum Aufbruch zur Nishiyama-Residenz fertig gemacht hatten, hallten noch immer in Kagegakus Ohren. ~Behalte dein Vögelchen gut im Auge. Man weiß nie, was für Gesindel sich vor den eigenen Toren herumtreibt.~ Mit dieser Drohung, wie der Stratege es deutete, war Kagemura grinsend gegangen, wohl wissend, dass er seinen Bruder genau dort getroffen hatte, wo er neuerdings am empfindlichsten war. „Der Gedanke, Hidetori in Gefahr zu wissen, würde mich wahnsinnig machen. Diese Angst würde mich jede Sekunde quälen, sobald er das Tor hinter sich gelassen hätte“, gestand Kagegaku überraschend ehrlich, während er jedoch genau wusste, dass es dank der Wächter, die Hidetori überallhin folgten, niemals dazu kommen würde. Dafür musste er jedoch hilflos mit ansehen, wie sich der Blonde immer weiter von ihm entfernte. Kaum ein Wort, geschweige denn einen Blick, hatten sie in den letzten fünf Tagen miteinander gewechselt. Als wäre Hidetori tatsächlich nur ein unauffälliger Bediensteter, der sich aus Ehrfurcht vor seinem Herrn nicht traute, seine Stimme zu erheben. Dabei hatte sich Kagegaku so sehr danach gesehnt, wieder mit ihm reden zu können, ihn anzusehen und sich zu fragen, warum er sich so seltsam wohl in Hidetoris Gegenwart fühlte. Warum er immer so versunken in seinen neuen Gefühlen war, dass er es meist zu spät bemerkte, wie er den Blonden mit seinen starrenden Blicken nervös machte. Er wollte in Erfahrung bringen, warum er so aufgeregt gewesen war, als Hidetori ihn geküsst hatte, und warum er bis heute jeden Tag an diese Berührung denken musste. Warum hatte er das Gefühl gehabt, vor Glück sterben zu müssen? All das wollte er Hidetori fragen, doch nun waren es andere Dinge, die der Stratege unbedingt wissen musste. Was quälte den Blonden und warum wollte er unbedingt das Anwesen verlassen? Was war passiert, dass sich alles so sehr verändert hatte? Und was bedeutete dieser aufregende Kuss jetzt noch, da Hidetori sich immer weiter von ihm distanzierte? War nun alles vorbei? Obwohl er all das wissen wollte, war Kagegaku bisher nicht in der Lage gewesen, den Blonden diese Fragen zu stellen. Die Kluft, die sich der Samurai nicht erklären konnte, war einfach zu groß geworden. Immer wieder waren ihm die Worte entfallen, als er gespürt hatte, wie eisig es zwischen ihnen geworden war. Diese Erkenntnis schockte ihn jeden Tag aufs Neue und doch wollte er Hidetori nicht gehen lassen. Selbst wenn er ihn jahrelang festhalten musste. Solange er bei ihm war und Kagegaku wusste, dass er in Sicherheit war, würde er es auch ertragen können, vom Blonden gehasst zu werden. Waren diese Gefühle und die Bereitschaft, tiefe Abneigung ertragen zu wollen, wirklich Liebe? Oder war es einfach nur seine verborgene Natur, alles haben zu wollen, was ihm zögerlich geboten wurde? Nie hatte er etwas wirklich stark begehrt. Weder sinnlosen Reichtum noch grenzenlose Macht. Alles, was er je wollte, war Hidetori. Denn dieser hatte ihm gezeigt, dass es noch andere, schönere Dinge gab, als nur unsinnig zu töten. Nie hätte er geglaubt, dass er sich jemals etwas so sehr wünschen würde. Und nun war es sein sturer Kopf, der sich mit der gegensätzlichen Lage nicht abfinden wollte. Die Sucht nach dem, was Hidetori ihm gegeben hatte, war erwacht. Niemals würde er zulassen, dass der Blonde ihn verließ. Er gehörte nicht zu einem anderen Herrn. Er hatte keine Familie und auch kein Heim, keinen Ort, an dem er leben konnte. Es gab keinen anderen Weg, den Hidetori einschlagen könnte. Und selbst wenn es ihn gab, er würde eine Möglichkeit finden, diesen unpassierbar zu machen. Er würde ohne zu zögern zu diesen unfairen Mitteln greifen, nur damit der Blonde für immer bei ihm bliebe. Vielleicht würde er bald genauso selbstsüchtig und kaltherzig werden wie sein Bruder. Vielleicht war er schon der rücksichtslose, ichbezogene und gierige Mensch, der er nie sein wollte. Durch seine Adern floss immerhin das Blut seines Vaters, der genauso eigensüchtig gehandelt hätte. Sie waren sich letztendlich doch ähnlicher, als Kagegaku zugeben wollte. Er schämte sich dafür und doch wollte er keinen einzigen Schritt zurück wagen. Nicht jetzt und auch nicht in Zukunft. „Hast du noch etwas über den verschwundenen Brief erfahren?“, fragte Kagegaku, während seine Augen immer noch abwesend in den Garten blickten. Bedauernd schüttelte Fukushima den Kopf. „Nein. Konishiki entschuldigt sich immer wieder dafür, dass er Euch angelogen hat. Wo der Brief ist oder wer ihn gestohlen hat, weiß er nicht.“ „Verstehe“, murmelte der Stratege unzufrieden. Fukushima wusste, wie verärgert der Stratege über die misslungene Zustellung des Briefes war, obwohl dieser es bisher nicht zugegeben hatte. Konishiki war noch jung und diente dem Klan erst seit einigen Monaten. Kagegaku hatte all sein Vertrauen in die Fähigkeiten dieses Jungen gesetzt, welches nicht im gewünschten Maße umgesetzt wurde. Doch das war es nicht, was dem Oberhaupt missfiel. Es war die Lüge über sein Versagen, die ihn schrecklich enttäuscht hatte. Misserfolge und Fehlschläge waren nicht immer zu vermeiden. Es waren menschliche Fehler, die Kagegaku nie hatte bestrafen lassen. Doch Lügen waren einfach nicht akzeptabel. „Werdet Ihr ihn bestrafen?“, wollte Fukushima wissen. Das Oberhaupt blickte seinem Berater in die Augen und schüttelte kurz den Kopf. Obwohl ihm der Brief wichtig war und sein Verschwinden große Sorge bereitete, sah Kagegaku keinen Sinn darin, deshalb das Leben eines jungen Mannes zu zerstören oder gar auszulöschen. Eine Lektion und Zeit, um sein Handeln zu reflektieren, sollten hierbei völlig genügen. „Er sollte darüber nachdenken, warum er mir dienen möchte. Was ich nicht dulde, sind Lügen innerhalb meines Klans.“ Fukushima nickte, während Kagegaku plötzlich ungläubig zur Veranda sah. „Hidetori?“ Erstaunt musterte das Oberhaupt den Blonden, der mit gesenktem Blick an der offenen Schiebetür stand. Wie sehr hatte der Stratege diesen Anblick vermisst, das Gold seiner Haare, sein schönes Gesicht, sein stets unsicheres Auftreten. Das leichte Lächeln, welches sich auf seine Lippen stahl, als er Hidetori sah, konnte er sich nicht verkneifen. Hyde trat, ohne Kagegaku anzusehen, in den Raum, kniete nieder und schob mit beiden Händen einen Brief über den Boden. „Ein Bote aus Kasugayama hat ihn gebracht“, murmelte Hyde leise, seine Augen stur zu Boden gerichtet. Dann wich er langsam zurück, wollte sich erheben und gehen, doch über Kagegakus Lippen stürzte sich ein lautes „Warte!“, welches Hyde erschrocken zusammenzucken ließ und selbst dem Strategen im Nachhinein zu barsch erschien. „Warte, bitte!“, wiederholte der Schwarzhaarige deshalb in einem dezenteren Ton. Kagegaku bemerkte, wie Hyde zögerte. Seine Beine zitterten, als sie stehengeblieben waren, und der Stratege glaubte irrtümlich, sie würden vor Angst beben. Es machte ihn wütend, Hidetori so zu erleben und nicht zu wissen, warum er sich vor ihm fürchtete. Er hatte doch nie irgendetwas getan, was ihm geschadet hatte. „Hidetori, bitte bleib hier“, bat Kagegaku noch einmal, während ihm plötzlich bewusst wurde, dass er noch nie jemanden angefleht hatte. Für Hidetori schien er zu vielen Dingen bereit zu sein, die ihm früher grundsätzlich unangenehm gewesen waren. Hatte er sich denn wirklich so sehr verändert? Hyde ließ sich schließlich widerwillig auf die Knie sinken, während die dunklen Augen, die Kagegaku so sehr liebte, ihren warmen Blick an der Tatamimatte verschwendeten. Doch der Stratege wusste, dass er momentan nicht sehr viel mehr von dem Blonden erwarten konnte. Solange er im Unklaren darüber war, was Hidetori zu dieser Distanz zwang, musste er sich bescheiden mit dem zufrieden geben, was er gütigerweise bekam. „Fukushima, würdest du uns einen Moment allein lassen?“, bat das Oberhaupt, während er Hidetori nicht aus den Augen ließ. Der Berater nickte und antwortete mit einem klaren „Natürlich“, bevor er sofort den Raum verließ. Nervös und als wäre ihm das Alleinsein mit dem Strategen schrecklich unangenehm, starrte Hyde schweigend auf den Boden, während der Schwarzhaarige seltsamerweise genau ahnte, was in Hidetoris Kopf vor sich gehen musste. „Ich ...“, begann Kagegaku mit leiser Stimme. Seine Worte hatte er sich schon vor Tagen zurechtgelegt, sie hunderte Male überdacht und dann wieder verworfen. Seine Hände, die auf seinem Schoß ruhten, verkrampften sich, er wurde unsicherer, doch davon würde Hidetori nichts bemerken, denn dieser fiel dem Oberhaupt dreist ins Wort, noch bevor Kagegaku nach einer kurzen Pause seinen Satz beenden konnte. „Ich wünsche, das Anwesen verlassen zu dürfen“, kam es klar und entschlossen über Hydes Lippen. Der Stratege starrte betreten auf das blonde Haupt, welches tief gesenkt war. Er wusste nicht, weshalb er so bestürzt war, diese Worte zu hören, schließlich hatte er doch geahnt, worum Hidetoris Gedanken kreisen mussten. Nichts hatte sich also verändert, seit er das letzte Mal versucht hatte, zu fliehen. Der Wunsch, ihn zu verlassen, war wohl tief im Herzen des Blonden verankert. Kagegaku realisierte es nur langsam, doch anscheinend schien sich Hidetori in seiner Nähe zu quälen. So sehr, dass er glaubte, keinen anderen Weg zu sehen, als zu gehen. „Ich denke, Fukushima hat dich oft genug darüber belehrt, wie gefährlich es für dich dort draußen sein kann“, antwortete der Schwarzhaarige energisch, dem diese Idee nach wie vor einfach zu dumm war. „Ich bin allein durch das halbe Land gereist ...“, log Hyde mit verkrampfter Stimme. Obwohl ihm ein wenig unwohl dabei war, bediente er sich dieser aus Fukushimas Fantasie entsprungenen Geschichte. So oft war er sie in Gedanken durchgegangen, dass er nach wenigen Tagen bereits das Gefühl gehabt hatte, sie tatsächlich so erlebt zu haben. Auf alles hatte er sich zusammen mit dem Berater eine Antwort zurechtgelegt. Seine gesamte Vergangenheit, vom Kindesalter bis zum Tag am Fluss, war wie für ein Drehbuch durchgesprochen worden. Erfunden, erlogen und falsch, doch für sein zukünftiges Dasein im 16. Jahrhundert eine dringende Maßnahme, die ihm ein Leben als normaler Bediensteter ermöglicht hatte. Doch vor allem sollte sie ihm jetzt dazu behilflich sein, Kagegaku klarzumachen, dass er bereits sein ganzes Leben lang mit seiner ungewöhnlichen Haarfarbe die Blicke auf sich gezogen hatte und doch nie zu Schaden gekommen war. Dieser Punkt ließ Hyde natürlich unsicher werden. Denn dies galt nur für seine Existenz im 21. Jahrhundert. Ob sein Leben während einer stürmischen Kriegszeit tatsächlich so friedlich verlaufen wäre, war natürlich ungewiss. Kagegaku schüttelte gereizt den Kopf. „Und du hast keine Erinnerungen daran, weshalb du bewusstlos am Fluss lagst. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurdest du überfallen.“ „Ich war nicht verle...“, wollte Hyde mit sicherer Stimme verdeutlichen, doch ihm wurde schnell klar, dass sich der Samurai von seinen Lügen kaum beeindrucken ließ. Dieser unterbrach den Blonden, als wäre es ihm völlig egal, was er zu sagen hätte. „Du hattest nichts bei dir. Nicht einmal Strohsandalen. Hätten meine Männer dich dort nicht gefunden, wärst du gestorben.“ Obwohl Kagegaku versuchte, sein aufkochendes Gemüt zu zähmen, sprangen die letzten Worte fast unkontrolliert aus seinem Mund. Er wollte sich nicht vorstellen müssen, was aus Hidetori geworden wäre, hätte er seinen Männern nicht Wochen zuvor befohlen, täglich sicherzustellen, dass sich keine Feinde oder randalierende Ronins am Flussufer herumtrieben . Warum er dies angeordnet hatte, obwohl sich im Winter kaum ein Bauer in dieser Gegend aufhielt, den es zu beschützen galt, konnte sich der Stratege selbst nicht beantworten. Mittlerweile aber glaubte er fest daran, dass es unbedingt so hatte kommen müssen. Er nannte es Schicksal, obwohl er zuvor nie Vertrauen darauf gehabt hatte. Dass es zu ihrer Bestimmung gehörte, ihre gemeinsame Zeit ohne nennenswerten Grund zu beenden, wie es Hidetoris ausdrücklicher Wunsch war, schien nach Kagegakus Meinung vollkommen irrsinnig zu sein. Vor allem würde dies viel größere Gefahren mit sich bringen. Die Worte des Blonden waren in seinen Ohren ohne Sinn und Verstand. „Es ging mir gut“, warf Hyde stoisch ein, nachdem ihn die kurze Stille nervös gemacht hatte. Wohl wissend, dass es nichts brachte, fügte er leise hinzu: „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“ „Vielleicht hast du nur Glück gehabt“, meinte das Oberhaupt daraufhin zornig. Natürlich wusste Hidetori, dass Kagegaku Recht hatte. Er wusste rein gar nichts über diese kriegerische Welt, in der hinter jedem Baum eine Gefahr lauern konnte. Es war riskant, mit seinem auffälligen Aussehen allein durch die Wälder zu streifen, vor allem, da er keinerlei Kampferfahrung oder eine Waffe bei sich hatte. Und er wusste auch, dass er mehr als nur Glück gehabt hatte, ausgerechnet in die Hände von Kagegakus Männer gefallen zu sein. Wahrscheinlich hätte er nicht einmal die Sonne des nächsten Tages gesehen, wäre es ein wenig anders gekommen. Er war dankbar und doch ertrug er es einfach nicht mehr, unter dem Dach des Strategen zu leben, ihn jeden Tag zu sehen, zu wissen, dass seine Geliebte ihn berühren durfte und er nun nichts anderes mehr war als ein Bediensteter, dem lediglich eine etwas engere Bindung zu dem beliebten Samurai gestattet war. Es würde ihn früher oder später innerlich zerfressen. Besonders, wenn Kagegaku ihn weiterhin ahnungslos mit Blicken überschüttete, die ihm hin und wieder fast schon verbotene Szenarien in den Kopf schießen ließen. Bilder, die er sich nie hätte vorstellen können und doch manchmal so unglaublich real waren. Es hatten sich bereits so viele geträumte Erinnerungen mit tatsächlich erlebten vermischt, dass Hyde schon gar nicht mehr wusste, was in Hidetoris und was in seinem eigenes Leben geschehen war. Aber vielleicht gab es den Menschen Hyde auch gar nicht mehr. Vielleicht war er gestorben, verschwunden oder sogar völlig vergessen. Vielleicht gab es nur noch Hidetori Toshiba, einen Menschen mit erfundener Vergangenheit und aussichtsloser Zukunft. Hyde schüttelte über seine wirren Gedanken den Kopf, bevor er entschlossen und in einer tieferen Verbeugung noch einmal um sein Anliegen bat. „Ich bitte Euch inständig, mich gehen zu lassen.“ Seine Worte waren leise und doch war die Hartnäckigkeit hinter diesem Wunsch deutlich herauszuhören. Dem Schwarzhaarigen war bewusst, dass es dem Blonden ernst war, obwohl ihm der Grund dafür eher unschlüssig erschien. „Warum?“, fragte das Oberhaupt. Denn tatsächlich hatte er Hidetori bisher nie nach einer Erklärung gefragt. Aber warum nicht? Warum hatte es ihn die ganze Zeit nie interessiert, was der Blonde fühlte? Oder hatte er nur Angst davor, deutlich abgelehnt zu werden? Die Angst, dass es an ihm liegen könnte, dass er schuld war. Er fürchtete sich davor, den Grund zu erfahren, und doch hatte er soeben danach gefragt. Eine Antwort aber würde er nicht bekommen, selbst wenn er sie wirklich gewollt hätte. Hidetori schwieg, wie Kagegaku es erhofft hatte, und unerwartete Erleichterung machte sich beim Strategen breit. „Tut mir Leid, aber ich kann das einfach nicht zulassen“, antwortete der Samurai erneut ablehnend, während er nicht weiter auf seine unüberlegte Frage eingehen wollte. „Wenn dir etwas passiert ...“ „... ist es mein Problem“, unterbrach Hidetori das Oberhaupt. Fassungslos starrte Kagegaku auf den Blonden, dessen Stirn in seiner tiefen Verbeugung den Boden berührte. Alles hätte er im Moment dafür gegeben, diesem merkwürdigen Mann vor seinen Füßen in das Gesicht blicken zu können. Er wollte in seine Augen sehen und dort erkennen, dass alles, was er sagte, weit von dem entfernt war, was er wirklich wollte. Er wollte in Hidetoris Augen sehen und ihm sagen, dass er die Schuld nicht ertragen könnte, würde ihm etwas passieren, dass er aus Wahnsinn über diesen Verlust nicht mehr würde leben können. Er wollte ihm seine egoistischen Gründe nennen, doch stattdessen überkam ihn wieder diese dumme Wut, die ihn zu verzehren drohte, stattdessen ergab er sich seinem verletzten Stolz und schleuderte Hidetori unfaire Worte an den Kopf, die nichts mit seinem wahren Gefühlen zu tun hatten. „Seit du deinen Fuß auf mein Gut gesetzt hast und darum batest, in meine Dienste treten zu dürfen, gehörst du zu den Menschen, die ich als Diener unseres Daimyos beschütze. Wenn dir etwas passiert, verletzt das meine Ehre als Oberhaupt dieses Klans.“ „Und Ehre zu behalten, ist natürlich das Wichtigste“, murmelte Hyde verbittert. Kagegaku nickte, obwohl er dem nicht zustimmen konnte. Ehre war ihm früher einmal wichtig gewesen. Das Wichtigste in seinem Leben. Doch das hatte sich grundlegend verändert. Er hatte es fast gar nicht bemerkt, doch spätestens, als er unbewusst seinem eigenen Bruder erklärte hatte, was höchste Priorität in seinen Leben hatte, hatte er realisiert, dass es nicht mehr sein Stolz oder seine Ehre als Krieger war, auch nicht der Status als vertrauter Stratege Kenshins, sondern etwas völlig anderes. Etwas, was jedem Menschen das Allerwichtigste sein sollte. Ehre war nur die Ausrede, die es ihm erlaubte, unsinnige Aktionen zu rechtfertigen. Ehre war nur die Schutzmauer, welche ihn vor Angriffen auf seine Gefühle beschützten sollte. „Solange ich keine Männer zu deinem Begleitschutz entbehren kann, bleibst du hier. Und an eine Flucht brauchst du auch nicht zu denken. Kondo und Nagakura werden dich weiterhin auf Schritt und Tritt begleiten, wenn du meine Entscheidung auch in Zukunft nicht akzeptieren willst.“ Kagegakus Finger zuckten, als er noch einmal über seine harten Worte nachdachte. Es fiel ihm immer schwerer, seinen Zorn zu unterdrücken, ging es um dieses Thema, denn es machte ihn nach wie vor rasend, dass Hidetori seinen Befehlen einfach nicht Folge leisten wollte. Er würde wieder versuchen, zu fliehen, so wie er es jeden Tag, seit der Stratege mit seinen Männern aus Kasugayama zurückgekehrt war, getan hatte. Irgendwann spät in der Nacht, wenn scheinbar alles schlief. Und er würde wieder scheitern, denn Kagegakus Männer ruhten nicht, wenn ihnen der Befehl dazu gegeben wurde. Der Stratege wusste selbst, dass er ungerecht war, denn jeden anderen hätte er sofort ziehen lassen. Ohne Frage, denn ihm zu dienen, war für keinen Zwang. Jedem stand es frei, zu gehen, ohne eine Begründung dafür abliefern zu müssen. Obwohl bisher niemand je diesen Wunsch geäußert hatte, seit er als Nachfolger seines Vaters das Oberhaupt geworden war. Für Kagegaku war es eine neue Erfahrung, ein Erlebnis, das sich an viele andere neuartige Dinge und Gefühle reihte. Und immer, wenn etwas Ungewohntes passierte, war es Hidetori, der eine gewichtige Rolle darin spielte. Vom ersten Augenblick an hatte dieser Mann mit dem hellen Haar sein Leben verändert. Nicht nur verändert, sondern komplett umgekrempelt. Er war nicht mehr der furchtlose Kämpfer von früher. Er hatte Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er pure Angst davor, zu sterben oder den geliebten Menschen zu verlieren. Das war es, was ihm wichtiger war als seine Ehre. Das Leben. Doch Furcht vor dem Tod zu empfinden, schickte sich für einen Samurai nicht. Lange hatte er sich dagegen gewehrt, doch letztendlich beinahe kampflos verloren. Hidetori, den Menschen, der ihn all das realisieren ließ, jetzt einfach so freizugeben, widerstrebte ihm auf allen Ebenen seines noch vorhandenen Stolzes. Obwohl sich der Blonde immer weiter von ihm entfernte, konnte er sich ein Leben ohne ihn einfach nicht mehr vorstellen. Selbst in Momenten wie diesen, in denen Hidetori ihn keines Blickes würdigte, war er einfach nur froh, dieselbe warme Luft zu atmen wie dieser seltsame und ihm kostbare Mensch. Daran dachte er immer wieder, wenn er ihn sah. Dieses Gefühl trübte auch nicht, als der Blonde sich plötzlich unaufgefordert erhob und ihm scheinbar trotzig den Rücken zukehrte. Kagegaku wunderte sich schon lange nicht mehr über Hidetoris manchmal anmaßendes Verhalten ihm gegenüber. Wahrscheinlich war er auch der einzige Mensch auf der Welt, dem er es kommentarlos erlaubte, sich gegen die Etikette zu stellen. Doch heute war es etwas anders. Heute würde er Hidetoris Dreistigkeit nicht einfach hinnehmen. Es gab Dinge, die er noch zu sagen hatte; Dinge, die der Blonde hören sollte. „Warte!“, befahl der Stratege deshalb mit emotionsloser Stimme, als Hidetori wortlos gehen wollte. Sofort blieb der Blonde stehen, während Kagegaku nachdenklich auf seinen Rücken starrte. Die großen Zweifel, die ihm in den letzten Tagen eher davon abgeraten hatten, waren zwar nicht geringer geworden, trotzdem wusste er nach langer Überlegung keinen nennenswerten Grund der wesentlich dagegen sprechen konnte. Er benötigte von niemanden eine Erlaubnis, vor allem nicht von Hidetori. Er hatte das Recht, sich dafür zu entscheiden. Hidetori und alle anderen mussten sich seiner Entscheidung beugen, ob sie wollten oder nicht. Das Einzige, was ihm dabei schon immer ein ernstes Hindernis war, war sein eigenes Gewissen, seine Zweifel, seine Angst. Er konnte nicht so unverfroren und kaltherzig wie die anderen Lehnsherren sein. Er konnte nicht erbarmungslos über die Gefühle anderer Menschen urteilen und herrschen. Selten hatte er sich dabei wohlgefühlt, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Eine Kuriosität, die er sich als Familienoberhaupt, das große Ländereien besaß und so nicht um unangenehme Befehle an dessen Bauern und Vasallen umhinkam, selbst eingestand. Es war nicht seine Natur, so zu handeln, doch seine in den tiefsten Winkeln seines Herzen verborgenen Wünsche hatten letztendlich die Oberhand gewonnen. „Ich möchte, dass du mir heute Abend zwei Futons vorbereitest.“ Die Worte sprudelten beinahe überstürzt über Kagegakus Lippen. Er war aufgeregt und Hyde bemerkte es sofort, obwohl er über diese überraschende Bitte, nur schockiert in die Luft starren konnte. „Zwei?“, murmelte der Blonde. Seine Frage wurde von der darauffolgenden Stille erstickt. Einer paradoxen Stille, die ihm schrecklich unangenehm war und einmal mehr gnadenlos zeigte, dass er hier einfach nichts mehr verloren hatte. Dass der Stratege keine weiteren Erklärungen dafür ablieferte, war für Hyde die kalte Bestätigung, dass es sich um einen Futon für seine Geliebte handeln musste. Er wusste nicht einmal, warum ihn Kagegakus Worte so sehr schockten, warum sie ihn dermaßen aus der Bahn warfen. Eigentlich hatte er die ganze Zeit damit gerechnet. Und trotzdem noch insgeheim und inständig gehofft, dass sich das Gerücht um Kagegaku und die geheimnisvolle Geliebte, die zudem auch noch eine junge Prinzessin aus der Etchu-Provinz sein sollte, als nicht wahr entpuppen würde. Seine Hoffnung war mit jedem Tag, der vergangen war, ohne dass diese eindeutige Bitte gefallen war, ein wenig gewachsen. Und nun war sie mit einem Mal wie eine Seifenblase direkt vor seinen Augen zerplatzt. Sein Mund zitterte so heftig, dass er sich kaum getraute, zu sprechen, trotzdem brachte er schließlich ein gezwungenes und doch klares „Natürlich“ über die Lippen. Er kämpfte mit den Tränen. Tränen der Wut, über sein eigenes dummes Verhalten. Tränen über seine albernen Optimismus, seinen Glauben, seine Erwartungen, seine Zuversicht. All das, was er sich aus Schutz vor einer nichtwiedergutzumachenden Idee eingeredet hatte. Spätestens jetzt musste ihm endgültig klar werden, dass es einfach keine Gefühle gab, die Kagegaku für ihn übrig hatte. Es war wohl nur simple Freundschaft und vielleicht auch noch ein wenig mehr Interesse an seiner Person, die für einen Samurai des 16. Jahrhunderts so völlig anders wirkte. Mehr war da einfach nicht. Mehr konnte da nicht sein. Er durfte sich nun nicht mehr länger sinnlose Hoffnungen einreden. Kagegaku hatte ihm klipp und klar eine Rolle in diesem Spiel zugeordnet. Ihm blieb keine andere Wahl, als sie anzunehmen und ohne Klage zu spielen. Es widerte ihn an, doch eine bessere Alternative dazu kannte er nicht. Er wusste nicht einmal, wie er sich nun vernünftig zurückziehen sollte. Das Zittern in seinen Lippen ging in seine Arme und Beine, bis in seine Fingerspitzen. Er hatte Angst, dass der Stratege seinen Zustand bemerkte, also verbeugte er sich flüchtig und stürzte an den Türrahmen. „Hidetori, ich ...“ Kagegakus Worte, die Hyde nicht mehr erwartet hatte, verstummten plötzlich, während sich ein seltsames Ziehen in der Brust des Blonden, der sofort stehen geblieben war, breitmachte. Ihn drängte es, zu wissen, was der Schwarzhaarige noch zu sagen hatte. Warum Hyde sich dafür noch interessierte, war ihm schleierhaft. Doch er hatte einfach dieses bestimmte Gefühl, dass es sehr wichtig war und er es auf jeden Fall hören sollte. Widerwillig hatte er sich nun dazu entschlossen, Kagegakus Worte anzuhören, sich diese letzte Hoffnung zu schenken und noch einmal zu vertrauen, doch egal wie lange er gewartet hätte, sie wären nie gekommen. Der Grund dafür schwebte über dem glatten Holzboden der Veranda gegenüber des Gartens. Er hatte sie sofort gesehen, genauso wie Kagegaku, der sich indessen aus seinem Schneidersitz erhoben hatte und näher getreten war. Nun stand der Stratege direkt hinter ihm. Hyde konnte hören, wie er atmete, wie er die Arme vor der Brust verschränkte und schließlich seine Lippen teilte. „Hidetori, würdest du ...“, sprach er und Hyde spürte das Kribbeln einer Gänsehaut auf seinem Nacken. Panisch nickte er, während ihm seine Füße schon fluchtartig auf die Veranda trugen. Er wollte nicht hören, wie ihn der Stratege ihn darum bat, zu gehen, damit er mit ihr allein sein konnte. Er wollte nicht wissen, wie sich Kagegakus Stimme anhörte, wenn seine Gedanken nur um die Geliebte kreisten. Während Hyde kopflos davonrannte, bemerkte er nicht, wie er sich geradewegs und nahezu tölpelhaft in die nächste Problematik stürzte. Er stolperte die Veranda entlang des schönen Gartens hinunter und wäre seinem zweiten Fluchtgrund beinahe in die zierlichen Arme gefallen. Erschrocken wich sie zur Seite und fasste sich entrüstet an die Brust. Hyde, der überhaupt nicht mehr wusste, was hier eigentlich passierte, starrte entgeistert auf die grazilen langen Finger, die ihm sofort ins Auge gestochen waren. Sie berührten den dunkelroten Kimono und verdeckten winzige Details des weißen Blütenmusters, welches sich über den oberen Teil und den linken Ärmel zerstreute. Es war das erste Mal, dass er ihr begegnete, und trotzdem wusste er sofort, dass er es mit Prinzessin Ume, der Geliebten Kagegakus, zu tun hatte. Mit gesenktem Kopf wollte er, ohne ihr getreu der Etikette mit einer Verbeugung den Weg freizumachen, vorbeigehen. Er wollte sie nicht ansehen, wollte nicht wissen, wie sie war oder wie sie aussah. Er wollte auch nicht wissen, wie ihre Stimme klang oder wie grazil sie sich bewegte. Er fühlte sich besser dabei, nie den Ursprung seines Leides kennenzulernen. Blieb er im Unklaren, könnte er seinen Hass auf eine unbekannte Person vielleicht irgendwann vergessen und seinem Frieden somit einen Schritt näher kommen. Doch es wurde schnell klar, dass ihm dieser bescheidene Wunsch nicht erfüllt werden konnte. Als er merkte, wie sie ihm näher kam, ihn lange verwundert musterte und dann auch noch mit einem unsicheren „Du ...“ ansprach, kam er einfach nicht umhin, ihr direkt ins Gesicht zu sehen. Es war nicht gewollt, sondern eher ein ungeschicktes Versehen, als sein Blick auf ihre Gestalt traf. Seine Augen brannten, als er sah, wie makellos ihre Schönheit war. Es schockierte ihn und doch war er nicht in der Lage wegzusehen. Er war an diesen endlosen Moment gefesselt, als hätte sie ihm mit ihrem Blick schwere Ketten um die Füße gelegt. Hatte er denn jemals eine so schöne Frau gesehen? Ein Zauber wie aus einem alten Märchen, dem sie entsprungen war. Eine junge Frau, die kaum über 20 sein konnte. Sie hatte die Anmut einer Göttin, während ihre Augen wirkten, als wären sie gemalt. Ihr Haar, welches – für diese Zeit untypisch – hochgesteckt war, glänzte wie ein Meer aus schwarzen Diamanten. Ihre Lippen waren voll und rund und hatten eine frische rosige Farbe, die sich kaum von dem Weiß ihrer zarten Haut unterschied. Sie war der Inbegriff eines Traumes, dem Männer in seiner Welt ihr Leben lang vergebens hinterherjagten, und für Hyde die schönste Verkörperung seiner definitiven Chancenlosigkeit bei dem Klanführer. Diese Erkenntnis schmeckte bitter und ließ in ihm wie aus heiterem Himmel das widerliche Gefühl von rasender Eifersucht auflodern. Dagegen konnte er sich nicht wehren, denn er wusste einfach keinen guten Grund, weshalb er anders fühlen sollte. Er war verloren, allein und völlig hilflos. Alles, was er geglaubt hatte, hier gefunden zu haben, hatte sie ihm weggenommen. In kürzester Zeit hatte Kagegaku vergessen, wie nah er dem Blonden bereits gekommen war. Falls ihr Kuss je eine Bedeutung gehabt hatte, war selbst diese nun nichts mehr wert. Seit dem Auftauchen der Prinzessin war er nur noch eine leidige Erinnerung, an die er sich viel zu lange festgeklammert hatte. Hyde wagte nicht, darüber nachzudenken, was bereits während der letzten fünf Monate auf Kasugayama vorgefallen sein könnte. Ihr gegenüberzustehen und in ihr wunderschönes Gesicht zu blicken, ertrug er kaum. Doch daran zu denken, dass er noch am selben Abend ihren Futon neben Kagegakus herrichten sollte, trieb ihn buchstäblich in den Wahnsinn. Obwohl er geglaubt hatte, sich bereits damit abgefunden zu haben, zerriss es ihn. Und der Schmerz wurde nur noch stärker. Er musste es hinnehmen, mit ihr unter demselben Dach zu leben. Er musste es ertragen, neben ihr zu stehen und sich von ihr ansehen zu lassen. Es fiel ihm schwer, das Beben, welches durch seinen Körper ging, zu verbergen. Mit zitternden Lippen erwiderte er trotzdem noch lange ihren verwirrten Blick, bevor er den Kopf senkte und davonlief. Er hörte noch, wie Kagegaku ihren Namen sagte und wie sie ihn daraufhin höflich begrüßte. Der Blonde drückte sich die Hände auf die Ohren, während er kopfschüttelnd die dunklen Flure hinunterrannte und schließlich auf dem Hof des Anwesens stehen blieb. Seine beiden Begleiter, die ständig an ihm klebten wie Fliegen, stellten sich an das verschlossene Tor und blickten ihn angespannt an. Doch Hyde dachte im Moment nicht an eine Flucht, sondern an die schöne Prinzessin an Kagegakus Seite. Natürlich hatte sie keine Ahnung, was sie ihm antat. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nicht, was er für den Klanführer fühlte. Sie wusste nicht, was an jenem Abend vor Kagegakus Aufbruch nach Kasugayama vorgefallen war. Und dass sie sich dafür interessierte, war auch höchst unwahrscheinlich. Sie war eine Prinzessin, er nur ein Bediensteter. Obwohl sie momentan nur die Geliebte Kagegakus war, stand ihr die Möglichkeit, später auch seine Frau zu werden, offen. Sie hatte den erforderlichen Status und eine außergewöhnliche Schönheit. Die passende Frau an Kagegakus Seite. Das perfekte Paar. Wahrscheinlich das idealste auf dieser Welt. Er hatte zwischen ihnen nichts verloren. Mehr denn je fühlte er sich einfach nur schrecklich fehl am Platze. Was also blieb ihm noch? Welchen Sinn hatte sein Leben? Er wollte schreien und einfach davonrennen, doch selbst das wurde ihm ja verboten. Was wollte Kagegaku noch von ihm? Er verstand es einfach nicht. Was hier passierte, war doch frei von jeder erdenklichen Logik. Oder war er es selbst, der die Dinge grundsätzlich falsch sah? Warum war er nicht schon viel eher zur Besinnung gekommen? Warum war er nicht schon viel eher geflohen? Nun war es zu spät. Wahrscheinlich war es von Anfang an viel zu spät gewesen. -------------------------------------- Ich war kurz vor dem Ende des Kapitels, als das Erdbeben in Japan passierte. Seit diesem Tag war meine Konzentration massiv gestört. Deswegen konnte ich einige Tage nicht schreiben und ein paar Wochen danach, glaubte ich an einer Schreibblokade zu leiden ^^; Kann aber auch simple Faulheit gewesen sein. ^_- Dabei war es nur noch so wenig. *seufz* Naja ich habe sehr viel getrödelt und deswegen kommt es eine Woche verspätet. ABER ich habe schon sehr viel am nächsten Kapitel geschrieben. Ich hoffe, dass ich mir langsam wieder einen Vorsprung rausschreiben kann. ^_^ Ich habe die Charakterbeschreibung zu Prinzessin Ume hinzugefügt. Mit Bild natürlich. XD Kapitel 8: Zweifel ------------------ 8. Kapitel: Zweifel [Wie ein tröstliches Feuer deine Zärtlichkeit Ich kann sie nicht verkraften.] ---------------------------------------- „Du hast doch gehört, was Kagemura mir in Kasugayama gedroht hat.“ Unruhig nahm das Klanoberhaupt den Brief, den Hidetori ihm am Vormittag überreicht hatte, aus Fukushimas Händen, überrflog noch einmal die wenigen Worte Kenshins und schüttelte den Kopf. „Diese Anordnung ist eine offensichtliche Falle, in die ich tappen soll“, brachte Kagegaku seine Befürchtung auf den Punkt, während er in seiner Aggressivität das Papier zwischen seinen Fingern zerknitterte. „Eine Falle, die mir mein eigener Bruder stellt.“ „Aber ablehnen könnt Ihr auch nicht, weil sie offiziell von Kenshin persönlich kommt“, meinte Fukushima, dem sofort einleuchtete, weshalb sein Herr so argwöhnisch reagierte. „Ich weiß, verdammt“, antwortete Kagegaku, verbittert über seine eigene Machtlosigkeit. Seine Schritte verlangsamten sich, als er plötzlich erkannte, dass ihm die Hände gebunden waren. Egal wie er es drehte und wendete. „Was soll ich tun, Fukushima?“ Ratlos blickte der Stratege in die Augen seines Beraters, der neben seinem Herren zum stehen gekommen war. Das Licht der Kerze, die Fukushima trug, flackerte und warf seltsame Schatten auf die papierbespannten Türen entlang der Veranda. Stundenlang hatte das Oberhaupt bereits über eine Lösung gegrübelt. Hunderte Male war er über die Sätze gegangen und versucht gewesen, die Anordnung zu ignorieren. Für ihn schien klar, dass Kagemura Kenshin in diesem Anliegen beeinflusst hatte. Er spannte ein unsichtbares Netz aus Intrigen, das selbst den Daimyo einwickelte. Verkrampft drückte Kagegaku seine Lippen aufeinander, während er heftig den Kopf schüttelte. „Ich kann Hidetori nicht nach Kasugayama schicken. Ich habe ihm verboten, das Anwesen aufgrund der Gefahr, die von Kagemura ausgeht, zu verlassen, und jetzt soll ich Hidetori einfach so direkt vor seine Füße werfen?“ „Ich schwöre Euch, dass ich ihn beschützen werde. Ich werde ihn keine Sekunde aus den Augen lassen“, behaarte Fukushima auf sein Angebot, welches er seinem Herrn während der letzten Stunden des Öfteren vorgeschlagen hatte. „Er weiß, dass ich Prinzessin Ume in drei Tagen nach Etchu begleite. Er ahnt sicher auch, dass ich dich stattdessen als Begleitschutz für Hidetori mitschicken werde.“ „Das ist wahrscheinlich“, stimmte Fukushima zögerlich zu. Fest schlug Kagegaku mit der flachen Hand an den Pfosten der Veranda und runzelte verzweifelt die Stirn. Er hatte der Prinzessin vor Kenshins und Kagemuras Augen versprochen, sie zum Grab ihrer verstorbenen Mutter in Etchu zu begleiten. Sein Wort konnte er nicht brechen, selbst wenn ihm ein guter Grund dafür einfallen würde. Seinen Bediensteten zur Hauptburg zu begleiten zählte definitiv nicht dazu, obwohl es ihm weitaus wichtiger war als die lange Reise in die Nachbarprovinz. Ihm wurde flau im Magen, als er daran dachte, den Blonden direkt in die Arme seines Bruders zu treiben und offensichtlich nichts oder nur wenig dagegen tun zu können. „Ich kann das nicht. Nicht wenn ich ihn nicht selbst begleiten kann“, protestierte Kagegaku kopfschüttelnd, nachdem er abermals darüber nachgedacht hatte. „Ihr dürft auf keinen Fall ablehnen. Ihr könnt dafür keinen Grund vorlegen. Hidetori ist als Spion gebrandmarkt. Er gerät erneut unter Verdacht, wenn Ihr ihn vor Kenshin versteckt haltet. Nicht zu vergessen, dass Ihr Euch selbst damit am meisten schaden würdet“, erklärte der Berater. Doch selbst die Gelassenheit in seiner Stimme konnte den Strategen nicht bedeutend beruhigen. Angespannt fuhr dieser sich über die Stirn und seufzte. „Es schadet mir mehr, wenn ich Hidetori verliere“, gestand Kagegaku daraufhin ehrlich seine Angst, während er verzweifelt den dunklen Boden zu seinen Füßen anstarrte. Fukushima trat näher an seinen Herrn heran, beugte sich etwas tiefer, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Das werdet Ihr nicht“, betonte er mit fester Stimme. Es waren keine leeren Worte, die er benutzte um Kagegaku zu beruhigen. Er war davon überzeugt, den Blonden vor Kagemura beschützen zu können, egal was dessen Plan war. Grübelnd drehte sich das Oberhaupt zur Seite und Schritt gemeinsam mit seinem Berater weiter den Flur entlang. „Selbst du kannst mir das nicht garantieren“, entgegnete der Stratege, als er schließlich vor den Türen zu seinen Räumlichkeiten stehenblieb. Fukushima hob die Kerze empor, um seinem Herrn direkt in die Augen blicken zu können. Er sollte sehen, wie groß sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten war, dass es nichts zu zweifeln gab und keine Angst vor dem Versagen nötig war. „Ich kann es Euch versprechen“, versicherte Fukushima voller Selbstvertrauen, was das Oberhaupt beeindruckte. Der Berater schaffte es immer wieder, ihn mit seinen Worten zu überzeugen. Egal in welcher ausweglosen Situation er sich befand, Fukushima Yusuke wusste immer einen Rat oder Wege, ihm Mut zuzusprechen. In Kagegakus Augen gab es nur wenig Menschen, die so waren wie sein vertrauter Freund. Wenige waren so treu ergeben und scheuten sich trotzdem nicht, ehrlich ihre Gedanken auszusprechen. Wo stände er nur ohne seinem Berater? „Fukushima“, murmelte Kagegaku dankbar und deutete eine leichte Verbeugung an. Obwohl er immer noch Bedenken hatte, Hidetori zur Hauptburg zu schicken, wollte er seinem Freund vertrauen. Er wusste, dass er überaus intelligent, geschickt und stark war. Wenn es jemand vermochte den Blonden vor Gefahren zu beschützen, dann nur er. Nichts würde geschehen, solange Fukushima in seiner Nähe war. Das wusste Kagegaku und es erleichterte ihm ein wenig die Entscheidung. „Dann … wünsche ich Euch eine gute Nacht“, flüsterte der Freund, während er verstohlen zur Tür von Kagegakus Räumlichkeiten blickte. Licht flackerte im Inneren und man hörte, wie jemand auf Knien über den Boden rutschte. Beide wussten, dass es Hidetori war, der die Futons für die kommende Nacht herrichtete. „Keine Sorge“, meinte Fukushima, als er bemerkte wie der Stratege nervös den Schatten hinter der Shojitür verfolgte. „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ihr auf Ablehnung stoßen werdet“, waren seine letzten weissagenden Worte, bevor er sich mit einem Grinsen im Gesicht verabschiedend verbeugte und mit der Kerze in seiner Hand ging. Kagegaku blickte dem Berater unsicher hinterher und hoffte natürlich, dass sein Freund mit dieser Annahme Recht behalten würde. Er selbst war leider nicht so optimistisch. Er war sich ja noch nicht einmal sicher, ob es überhaupt richtig war, was er hier tat. Vielleicht sollte er einfach wieder gehen und noch einmal darüber nachdenken. Schließlich hatten sich heute andere Probleme aufgetan, um die er sich kümmern musste. Kagegaku schüttelte seufzend den Kopf. Machte er jetzt einen Rückzieher, verlor er seine Autorität. Er durfte nicht davor weglaufen. Und Angst brauchte er auch vor nichts zu haben. Was aber ließ ihn so stark zögern? Tief atmete der Stratege durch, bevor er schließlich die Finger zögerlich an die Tür legte und sie langsam aufschob. Sofort trafen seine Augen auf den Blonden, der vor einem Futon kniete und die Decke glattstrich. Obwohl dieser bemerkt hatte, dass jemand den Raum betreten hatte, sah er nicht empor, sondern widmete sich, den Samurai ignorierend, ausschließlich seiner Aufgabe. „Hidetori“, murmelte der Stratege unsicher, während er in den Raum trat. Der Blonde aber reagierte nicht. Er rutschte auf den Knien um den Futon herum und suchte übertrieben genau nach kleinen Falten, die das empfindliche Auge einer Prinzessin stören könnten. Dann stand er schnell auf und verbeugte sich flüchtig. „Ich bin fertig“, informierte er hastig das Oberhaupt, das sich nicht von der Stelle bewegt hatte. Kagegaku nickte automatisch, während Hyde schnell zur Tür eilen wollte. „Eine wundervolle Nacht“, wünschte der Blonde noch im sarkastischen Tonfall, bevor die Shojitür direkt vor seiner Nase zugezogen wurde. Überrascht blickte Hyde den Schwarzhaarigen an, der vor ihm stand und den Weg nach draußen versperrte. „Ich wollte ungestört mit dir reden.“ erklärte das Oberhaupt. Hyde wollte den Kopf schütteln, als Kagegaku ihn plötzlich packte und mit sich in den Raum zerrte. Vor dem Futon blieb er stehen, drückte den perplexen Blonden an den Schultern nach unten, nachdem er streng „Setz dich!“ befohlen hatte. Er selbst nahm direkt vor Hidetori platz. „Aber ...“, murmelte Hyde nervös, kaum dass er auf dem Boden saß. „Prinzessin Ume … wird gleich hier … sein.“ Die stotternden Worte des Blonden verdutzten Kagegaku. Verwirrt starrte er den Mann mit den hellen Haaren an, bevor er unsicher nachfragte: „Prinzessin Ume?“ Hyde blickte fragend empor, dieses Mal direkt in die dunklen Augen des Strategen. Doch auch in ihnen fand er nur pure Ratlosigkeit, dessen Grund ihm verborgen blieb. Doch statt weiter auf die gegenseitige Verwirrung einzugehen, fasste sich Kagegaku an die Brust und zog schnell etwas unter seinem Kimono hervor. Er zögerte, ehe er dem Blonden ein knittriges Blatt Papier direkt unter die Nase hielt und sich danach erkundigte. „Was ist das?“ Schockiert starrte Hyde auf das Blatt, auf dem in klecksiger Schrift englische Worte zu lesen waren. Es war seine Schrift, seine Worte, sein Gedanke, den er am Tag von Kagegakus Wiederkehr niedergeschrieben hatte. „Du hast das geschrieben, richtig?“, stocherte der Samurai weiter, als Hyde immer noch keine Antwort gab. Der Schock stand diesem ins Gesicht geschrieben. Seine geweiteten Augen konnten nicht vom Papier lassen. Wohl, weil er Angst davor hatte, das Oberhaupt direkt anzusehen. Aber was sollte er sagen? Er hatte ja völlig verdrängt, dass es dieses Blatt Papier überhaupt gab. Zu tief hatte es ihn verletzt, als er durch Zufall von Kagegakus Geliebter erfahren hatte. Alles hatte er ausgeblendet, alles vergessen und dann war er einfach gedankenlos geflohen, ohne seine Spuren zu verwischen. Wie tölpelhaft und dumm er doch war. Ratlos wie er dies erklären sollte, schüttelte er den Kopf. Als Kagegaku jedoch ein weiteres Stück Papier hervorholte, beschlich den Blonden plötzlich leichte Panik. Er spürte regelrecht, wie ihm starke Hitze in die Wangen stieg, als er das japanische Wort las, welches er in Verzweiflung mit dem Pinsel geschrieben hatte. „Liebeskummer?“, las Kagegaku dann auch noch stutzig vor und blickte in Hydes Augen. Antworten musste er darauf nicht, denn das Oberhaupt überhäufte ihn schnell mit weiteren Fragen, die nicht weniger brisant waren. „Was ist das für eine Sprache?“, wollte der Schwarzhaarige wissen, während er auf den Zettel mit dem englischen Satz deutete. „Von wem hast du sie gelernt?“ Hyde konnte nur den Kopf schütteln. Dass ihm einmal solche Fragen gestellt würden, hatte er nicht erwartet. Keine Ausrede wollte ihm in den Sinn kommen. Ihm blieb nur die Flucht, indem er einfach gar nichts dazu sagte. „Ich habe es noch niemandem gezeigt, nicht einmal Fukushima. Ich wollte erst allein mit dir reden und von dir hören, was das zu bedeuten hat, bevor es irgendjemand anderes erfährt.“ Wieder war es nur Schweigen, was von Hidetori kam. Wieder waren sie genau an dem Punkt angelangt, an dem sie vor Monaten schon einmal gestanden hatten. Scheu und Angst, glaubte Kagegaku in den Augen des Blonden zu lesen, wie an dem Abend, als sie von diesem Ninja angegriffen worden waren. Der Stratege fühlte sich, als wären sie in der Zeit zurückgereist, als hätte es die vertrauten Abende, die sie redend miteinander verbracht hatten, nie gegeben. Sie waren wieder wie Fremde, die sich misstrauten. „Was verheimlichst du?“, fragte Kagegaku, nachdem er ein wenig seiner Geduld verlor. Er ließ die Blätter fallen, packte Hyde an den Schultern und blickte ihn ernst an. „Du verheimlichst etwas. Das spüre ich doch. Was ist es?“, drängte er, doch Hyde schüttelte nur stur den Kopf. „Wenn du es mir nicht sagen willst, dann ...“ „Was … würdet Ihr tun, wenn … wenn ich zugäbe, ein Spion Nobunagas ... zu sein?“, murmelte Hyde plötzlich, während sein Herz aus Angst vor der Antwort raste. Wie er auf diese Idee gekommen war, wusste er nicht und doch schien sie die einzige Möglichkeit zu sein, sich endlich von Kagegaku loszureißen. Was brachte dieses ewige Ausweichen denn noch? Es war anstrengend, dem Samurai Tag für Tag aus dem Weg zu gehen. Es war mühselig doppelt, darüber nachzudenken, was er sagte oder besser verschwieg. Er konnte nicht die Wahrheit sprechen, aber ohne eine Antwort würde der Samurai ihn wohl nie aus diesem Zimmer lassen. Es gab keinen Sinn mehr, Freund mit dem Oberhaupt zu sein, also konnte er sich auch genauso gut zum Feind machen. Vielleicht war es sogar der bessere Weg. Dass Kagegaku den Zettel mit den englischen Worten gefunden hatte, schien sich nun also als einmalige Gelegenheit zu entpuppen. Doch statt einer Antwort blieb es lange merkwürdig still. Der Stratege ließ ihn los und schaute den Blonden verwirrt an. Lange Sekunden vergingen ohne, dass eine Reaktion kam. Hyde hielt dem Blick Kagegakus mehr oder weniger stand, während sich ein ungläubiges Lächeln auf die Lippen des Samurai stahl. „Was redest du da, Hidetori?“ Beklommen registrierte das Oberhaupt den strengen Blick des Blonden und wie das ängstliche Zittern von dessen Lippen plötzlich verschwand. „Würde ich dann hingerichtet werden?“ „Was soll das, Hidetori?“, fing Kagegaku plötzlich zornig zu brüllen an, als er merkte, wie sein Herz nach dieser Frage einen heftigen und schmerzhaften Sprung machte. Es tat ihm weh, solche Worte aus dem Mund des Blonden zu hören. Hidetori und der Tod, dass sollte niemals zusammengehören müssen. Das durfte es nie. Hyde zuckte nur kurz erschrocken zusammen, während er selbst nicht fassen konnte, mit welchen Worten er sich seiner Verzweiflung hingab. Es war, als hätte er überhaupt keine Kontrolle mehr über sich. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation wurde immer deutlicher und er selbst trieb sich immer tiefer in sie hinein. Es gab kein Halten mehr, kein Zurück. Nur diese einzige verlassene Straße ohne Abzweigung. „Es ist mir egal. Ihr könnt mich ruhig töten. Ich habe dieses beschissene Leben hier schon lange satt.“ Mit jedem Wort, welches er über seine Lippen brachte, machte er Kagegaku wütender. Das wusste Hyde und doch war es ja einfach nur die Wahrheit, die er sprach. So fühlte er, wenn er die scharfen Blicke oder die ständig widerlichen Worte der neidischen Frauen kommentarlos über sich ergehen lassen musste. Er war es einfach Leid, so zu leben. Er war es Leid, von Kagegaku wie ein Spielzeug behandelt zu werden, welches keine Rechte auf seine eigenen Freiheiten hatte. Er hatte kein Ziel vor Augen, keinen Grund zu leben. Alles war dunkel und sinnlos. „Ich hasse das alles ...“ „Verdammt nochmal, wie redest du denn?“, fiel ihm Kagegaku laut ins Wort, während er wieder die Schultern des Blonden packte und ihn festhielt. Er wollte das alles nicht hören. Nicht von Hidetori, nicht von dem Menschen, den er glücklich sehen wollte. Niemals mehr wollte er hören, wie der Blonde darum bat, zu sterben. Es tat ihm weh, es schmerzte, als würde man ihm einen stumpfen Dolch mitten in die Brust bohren. Kagegaku fuhr mit seinen Händen Hidetoris Arme hinunter, als wolle er sichergehen, dass der Blonde noch da war. Dieser rührte sich nicht. Er saß nur da und blickte abwesend am Strategen vorbei. Seine Augen waren finster und völlig leer. „Die anderen Bediensteten meiden mich und tuscheln hinter meinem Rücken. Niemand redet mit mir“, murmelte Hyde emotionslos. „Wisst Ihr, wie es ist, wenn man tagelang mit niemanden ein Wort gewechselt hat? Es ist, als würde man nicht existieren, als wäre man bereits tot. Ob ich lebe oder sterbe ist also völlig egal.“ „Das reicht jetzt! Hör sofort auf damit!“ In Kagegakus Händen kribbelte es. Am liebsten hätte er den Blonden dafür geohrfeigt. Es war ihm völlig unverständlich, dass Hidetori so über sein eigenes wichtiges Leben dachte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er fühlte sich hilflos, also drückte er den Blonden im Affekt in seine Arme, anstatt ihn zu schlagen. Dieser erwiderte weder die Umarmung noch verwarf er seine erfundene Geschichte. „Ihr wolltet doch wissen, was ich verheimliche. Das ist die Antwort darauf. Ich gehöre zu Nobunagas Spionen. Entweder Ihr lasst mich gehen oder Ihr tötet mich“, sprach Hyde leise über die Schulter des Strategen, der darüber nur vehement den Kopf schütteln konnte. „Was du da sagst, ist albern, Hidetori.“ Er glaubte es nicht. Nein, es konnte unmöglich wahr sein. Hidetori gehörte nicht zu seinen Feinden. Es war erfunden. Er log. Es war eine dumme Lüge. Der Blonde verbarg ein Geheimnis, jedoch keines dieser Art, dass spürte der Stratege einfach. „Selbst, wenn du zu Nobunaga gehören solltest ...“ Und selbst, wenn er doch die Wahrheit sprach, war es ohne jede Bedeutung. Hidetori war Hidetori, egal woher er kam oder wer er wirklich war. „... würde ich dich niemals töten. Eher würde ich in die Hölle gehen. Eher würde ich mich selbst töten.“ Der warme Atem, der zusammen mit den geflüsterten Worten Hydes Ohr streifte, bescherte dem Blonden eine mächtige Gänsehaut. Er konnte es kaum fassen, was der Schwarzhaarige für eine Wirkung auf ihn hatte. Und das trotz seines Wunsches, durch seine Hand sterben zu wollen. Während dieser anregenden Gefühle, die durch seinen Körper strömten, empfand er aber auch Scham. Er schämte sich für seine selbstsüchtigen Worte, die Kagegaku auf irgendeine Art mehr, als er je hätte erhoffen können, beschäftigten. Er spürte endlich die Wärme, die vom Körper des Strategen kam und ihn in eine Umarmung einschloss. Und plötzlich wusste er nicht mehr, ob das, was er gesagt hatte, wirklich richtig oder falsch war. Natürlich war es nicht sein innigster Wunsch zu sterben. Er war verzweifelt und hilflos, aber nicht wirklich müde seines Lebens. Wenn es einen realen Weg gab, in seine Zeit zurückzukehren, dann würde er wohl eher diesen gehen, als sich freiwillig in den Tod zu stürzen. Doch hier hielt ihn einfach nichts mehr. Hier war nichts außer Kagegaku, der ihn wie in einen goldenen Käfig gefangen hielt und dafür einfach keinen Grund nennen wollte. Dummerweise war es aber auch Kagegaku, den er liebte, an den er irgendwie gebunden war. Der Mensch, der das Leben hier zu einem gewissen Grad erträglicher gemacht hatte, war es aber auch gewesen, der letztendlich seiner Existenz hier den Sinn geraubt hatte. Es war eine verflixte Situation, ein Kreis, in dem er sich drehte. Ihm wurde schwindlig, als ihn der Stratege aus seinen Armen zog und ihm in die Augen sah. Er verlor sich in ihnen, denn sie waren so dunkel und so warm. Er konnte nichts anderes tun, als sie hilflos anzusehen und stumm um Verzeihung bitten. Warum und wofür er sich entschuldigten wollte, wusste er nicht. Doch Kagegaku fragte auch nicht, dafür aber verloren seine Augen die Strenge, die den Blonden unsicher gemacht hatte, und als hätte ihn Hidetoris ratloser Blick verhext, stammelte der Stratege noch ein leises „Niemals ...“, bevor er sich dabei ertappte, wie er den Blonden immer näher an sich heran zog. Hidetori stemmte sich nur verhalten gegen die starken Arme, die ihn an die Brust des Samurai zogen. Er war viel eher mit dem Versuch beschäftigt, in Kagegakus Augen lesen zu können, was dieser nun dachte. Die schwarze Tiefe umrahmt von dichten Wimpern hatte noch immer ihren Reiz nicht verloren, wie Hyde feststellen musste. Sie waren nach wie vor in der Lage, ihn verrückt, willenlos und ohnmächtig zu machen. Die wenigen Zentimeter, die seine Lippen von Kagegakus noch trennten, nahm er gar nicht mehr wahr. Nur den leichten drückenden Schmerz, dort, wo der Samurai ihn an den Schultern gepackt hatte, spürte er. Aber auch der war schnell vergessen, denn neue Empfindungen sprudelten durch seinen Körper, als Kagegaku die Augen schloss und ihn völlig unerwartet küsste. Sanft und doch sehr leidenschaftlich drückten sich die Lippen des Strategen auf seine, während Hyde keine Gelegenheit mehr blieb, einen klaren und vernünftigen Gedanken zu fassen. Trotz aller Zweifel erwiderte er sofort den Kuss. Er schlang seine Arme um Kagegakus Hals und drängte sich an die breite Brust des Samurai. In seinem Kopf herrschte ein buntes Feuerwerk, als sich endlich ihre heißen Zungen trafen, während der Stratege den Blonden langsam auf den Futon hinter ihm drückte. Obwohl alles so schnell geschah und Hyde mit seinen Empfindungen nicht mehr hinterherkam, ließ er es protestlos geschehen. Auch als Kagegakus Finger sanft über seine Wangen strichen, über seine Schläfen bis in sein Haar hinein glitten, dorthin, wo es leicht ziepte, wehrte er sich nicht. Stattdessen wollte er viel mehr als diese Zärtlichkeiten. In ihn begann es, zu brennen. So sehr und so schnell, dass er aufstöhnte, als die Zunge des Strategen drängender wurde. Er wusste gar nicht, wie er ihr gerecht werden konnte, so stürmisch schien sie seinen Mund zu erkunden. Der Samurai war überraschend besser geworden, seit ihrem ersten Kuss vor fünf Monaten. Keine Zurückhaltung, keine Schüchternheit, nur noch ungezügelte Leidenschaft, die Hyde unerwartet herausforderte. Doch für Skepsis schien der Hellhaarige momentan kein Interesse zu haben. Er genoss den süßen Geschmack des Kusses, ohne sich Gedanken um irgendwelche Hintergründe machen zu wollen. Denn das war es, was er die ganze Zeit gewollt hatte. Dem Strategen nah sein, ihn spüren und diesen Gefühlen nachgeben und alles so hinnehmen, wie es geschah. Vielleicht würde er nicht mehr sehr oft diese Gelegenheit haben. Vielleicht war dies das letzte Mal, dass er von diesen süßen Lippen kosten durfte. Hyde wollte nicht darüber nachdenken, obwohl es ihm immer wieder kurz in den Sinn kam. Alles, was er gerade wollte, war, sich eine Weile dieser Leidenschaft hinzugeben und nicht an die nächsten Minuten zu denken. Es würde so oder so viel zu früh zu Ende sein, dachte der Blonde, während er in den Kuss seufzte. Plötzlich zog Kagegaku sich nach oben, trennte ihre Lippen voneinander und sah wortlos auf den Blonden herab. Er atmete heftig und seine Brust hob und senkte sich. Da der Kimono sehr locker saß, eröffnete sich Hyde ein guter Blick auf den muskulösen Oberkörper des Samurai. Noch bevor er auf die Idee kommen konnte, ihn dort zu berühren, sank Kagegaku wieder auf ihn hinab und nahm Hydes Lippen nach dieser kurzen Pause wieder in seinen Besitz. Er tauchte stöhnend in seinen Mund, während Hyde benommen wahrnahm, wie Kagegaku am Obi des anderen zog und ihn mit seinen geschickten Händen lockerte. Warme Finger schoben sich sofort unter den brauen Kimono des Blonden, streichelten langsam über seinen Bauch und verharrten schließlich auf seiner Hüfte, bevor Kagegaku zwischen Hydes Oberschenkel fuhr und sie mit seiner Hand auseinanderdrücken wollte. Willig tat er, was Kagegaku wollte. Er spreizte seine Beine und seufzte wohlig, als sich der Stratege zwischen ihnen fest an seinen Unterleib drückte, während sie sich leidenschaftlicher, fast sehnsüchtig küssten. Die Hitze, die sich in seinem Körper sammelte, vernebelten Hyde den Verstand. Er war wie von Sinnen, als Kagegaku schließlich von seinen Lippen ließ und dafür seinen Hals hinunter zur Brust küsste. Er wusste nicht, wie und wann der Stratege es geschafft hatte, ihn endgültig seines Obis zu entledigen. Er lag als unordentlicher Haufen Stoff neben ihm, während auch der Kimono nur noch an seinen Armen hing. Praktisch trug er nur noch das lange Streifentuch, welches als eine Art Unterhose fungierte. Doch selbst das störte den Blonden nicht. Im Gegenteil. Er war eher überrascht, wie schnell der Stratege handelte und das, ohne auch nur eine Sekunde, zu zögern. War dies derselbe Mann, der noch vor fünf Monaten errötet war, als seine Brust berührt worden war? Im Gegensatz zu damals wusste er nun, wie und wo er das bekam, was er wollte. Die feuchten Lippen auf seiner Brust küssten ihn so begabt, dass man annehmen konnte, der Samurai hätte monatelang nichts anderes getan. Seine Hände streichelten sanfter und sein Körper war feuriger. Er war anders und doch nicht weniger wundervoll. Hyde stöhnte, als Kagegaku sich fester an ihn drückte und er selbst durch den dicken Stoff des teuren Kimonos zitternd sein Begehren spürte konnte. Spätestens in jenem Moment wäre ihm sein rasendes Herz gern aus der Brust gesprungen, denn die gespannte Aufregung raubte ihm mehr und mehr den Atem, während er mit seinen kurzen Fingernägeln leicht über Kagegakus Nacken kratzte und alles genoss, was der Samurai mit ihm tat. Jeden sinnlichen Kuss, den er auf seinem Körper spürte, jede Berührung seiner Finger, die überall zu sein schienen und jede kleinste Bewegung, die Kagegaku auf seinen Unterleib ausübte. Es war verrückt, was hier passierte. Es war verrückt, was er mit sich machen ließ, obwohl er genau wusste, das sie das Ziel nicht erreichen würden. Denn je weiter sie kamen, desto deutlicher wurde dem Blonden auch vor Augen geführt, dass das alles nichts zu bedeuten haben musste. Selbst eine Nacht wie diese, musste nichts mit Liebe zu tun haben. Kagegaku war ein wohlhabender Samurai des Mittelalters. Das jene Adelsmänner Ehefrau und mehrere Geliebte haben konnten, war selbst Hyde klar. Es war nicht ungewöhnlich, also dachte sich der Stratege wahrscheinlich auch nichts dabei, wenn er sich neben Prinzessin Ume auch noch an seinem blonden Vasallen bediente. Doch das konnte Hyde nicht. Er wollte Kagegakus Geliebter sein, so wie es die Gerüchte über ihn sagten. Er wollte vom Strategen geliebt werden. Jeden Tag und jede Nacht. Doch es war ein unbestrittener Fakt, dass Prinzessin Ume bereits diesen Part an Kagegakus Seite eingenommen hatte. Er konnte es sich nicht vorstellen, den Samurai mit ihr zu teilen. Er wollte nicht nur Kagegakus nächtliches Vergnügen sein, wenn diesem mal nicht nach seiner Prinzessin, sondern nach Abwechslung war. Er wollte nicht auf derselben Stufe stehen, wie sie. Was wäre das für ein schändliches Leben? Er wollte der Einzige sein, der Einzige im Herzen des Strategen. Der Einzige in seinen Gedanken. Doch so war es nicht. So würde es nie sein, denn die Menschen hier dachten nicht auf dieselbe Weise wie er. Für Kagegaku war es normal. Er konnte sie alle auf dieselbe Art lieben. Hyde aber würde sich damit nie zufrieden geben können, denn nach wie vor gehörte er einfach nicht in diese Zeit. Sie waren zu verschieden. Ihre Ansichten und Werte waren nicht dieselben. Zwischen ihnen klafften 400 Jahre, die sich immer wieder bemerkbar machen würden. Selbst seine Gefühle, würden dieses Zeitloch nie überwinden können. Es wäre alles so viel einfacher, wäre doch die Prinzessin nie aufgetaucht. Er würde sich wohler in Kagegakus Armen fühlen. Er könnte sich fallen lassen und es bis zum Ende genießen. Doch was er im Moment am meisten spürte, war einfach nur das ekelhafte Gefühl, billig zu sein. Und das zerrte an seiner Würde, seinen Stolz. Voller Wehmut schloss der Blonde seine Augen, als der Samurai seine Wange küsste und leise in sein Ohr seufzte, bevor er mit der Hand über seinen Bauch tiefer wanderte. Hyde hätte es am liebsten zugelassen, doch was hätte es ihm letztendlich gebracht? Nur Kummer und Schmerz, der hundertmal schlimmer sein würde, als die Qual, der er soeben ausgesetzt war. Er musste es beenden, bevor es endgültig zu spät war, auch wenn es genau das Gegenteil war, was er sich wünschte. „Hört auf ...“, stotterte Hyde nicht sehr überzeugend, während er nach Kagegakus Hand griff und sie langsam wegzog. Seine Lippen begannen, zu zittern, als er sofort die Ratlosigkeit in den dunklen Augen des Strategen erblickte. Er starrte ihn verwirrt an. Eine Ewigkeit, wie es der Blonde glaubte, bevor der Samurai ihn wieder sanft auf die Lippen küsste. Seine Hände gruben sich durch das Stoffgewirr, auf dem Hidetori lag. Er streichelte über seinen Rücken, bevor er ihn innig umarmte und fester an sich drückte. Und Hyde ließ es wieder geschehen. Willenlos erwiderte er den zarten Kuss, während sich seine Finger in Kagegakus Kimono gruben. Nur noch ein paar Sekunden, dachte er und stöhnte genüsslich in den Mund des Strategen, dessen Kuss nicht enden wollte. Schon längst hatte er sich in dieser Lust verloren. Früher, als er es selbst bemerkt hatte. Immer wieder drückte Kagegaku seine Lippen auf die des Blonden, als wolle er unbedingt vermeiden, dass Hidetori wieder zu Wort kam. Und es funktionierte. Solange der Stratege ihn in seinen Armen liegen hatte und seine warmen Lippen spürte, war alles perfekt. Er wollte ihn nicht loslassen. Er wollte ihn nicht nach Kasugayama, in die Nähe seines Bruders, schicken. Er wollte und konnte auch nicht glauben, was Hidetori ihm gesagt hatte. Er war kein Spion. Er war anders, aber er war kein Feind. Es konnte nicht sein, dass sein Gespür derartig daneben gelegen hatte. Und wenn, dann war es ihm auch egal. Denn dann war er so oder so verloren. All das, was den kriegerischen Männern um ihn herum wichtig war, bedeutete dem Strategen nichts. Wenn er könnte, dann würde er einfach nur nach Hidetoris Hand greifen und mit ihm weglaufen. Wie ein Kind. Einfach vor allem fliehen und vergessen, wer er war und wie seine Pflichten aussahen. Er hatte Angst vor dem, was vor ihm lag. Seine Ahnung war nicht positiv. Sie war dunkel und kalt. Er wusste, dass er dieser Hölle nicht entkommen konnte, deswegen war ihm diese brennende Stille, die sein Herz gerade erfüllte das wohltuendste, was er je von einem Menschen erhalten hatte. Er war vernarrt in Hidetoris Lippen, gierig nach seinem Körper und unendlich süchtig nach diesem bestimmten Gefühl, welches man ihm nur mit dem simplen Wort 'Liebe' beschrieb. Doch eigentlich war es viel mehr als nur das Gefühl von Zuneigung für einen Menschen. Es war die ungezügelte Besessenheit nach dem brennenden Fieber, welches die Sinne taumeln ließ und ihn im ewigen Rausch der Leidenschaft versenkte. Es war die pure Abhängigkeit, eine unheilbare Sehnsucht und die heißblütigste Stimme in seinem Herzen. All das erlebte er gerade. Erst jetzt verstand Kagegaku, welch großes Ausmaß dieses Gefühl wirklich einnahm. Nie hätte er es sich so vorgestellt. Nicht so intensiv und auch nicht so warm. In Hidetoris Armen schien sich die Welt zu verändern. Wichtiges wurde unbedeutend, Belangloses wurde bedeutungsvoll. Endlich sah er es mit klaren Augen. Alles hatte er auf eine Karte gesetzt, um herauszufinden, ob es nur ein Gelüst war, was ihn so an den Blonden gezogen hatte, oder ob doch sehr viel mehr dahinter steckte, wie er es die ganze Zeit über geahnt hatte. Es hatte sich bestätigt. Er liebte Hidetori mehr als alles andere auf dieser Welt. Er liebte sein Wesen, sein geheimes Temperament, alles, was ihn so anders als die anderen machte. In seiner Nähe fühlte er sich wie ein neugeborener Mensch. Ein Mensch, der nicht mehr in die Normen passte und der dem, was er zurückließ, nicht hinterher trauerte. Für Hidetori würde er alles aufgeben. Sein ganzes Leben, alles, wofür er bisher gekämpft hatte. Für den Blonden, würde er die Zeit zum Stehen bringen lassen, damit dieser Moment nie enden würde. Er wollte ihm näher sein, als ein Mensch einem anderen je sein konnte. Die Liebe zu Hidetori würde seine allerletzte Sünde sein. Seine Zunge schmeckten den süßen Mund und es war genau so wie an jenem Winterabend, als alles sein Anfang genommen hatte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, die Aufregung übertraf alles, was er bisher gefühlt hatte. In seinem Bauch kribbelte es, als würden abertausende Ameisen hin und her laufen. Es war so wundervoll. Nie hätte er gedacht, dass es so berauschend sein konnte, die Haut eines anderen Menschen zu spüren. Oder dass ihn das Seufzen eines Mannes so erregen könnte. Sein Körper übernahm die Kontrolle, während er auch nie damit gerechnet hätte, plötzlich auf Widerstand seitens des Blonden zu treffen. Als er sich von Hidetoris feuchten Lippen trennte, um seine heißen Wangen zu küssen, erreichten ihn völlig unvermittelt Worte, die so lächerlich waren, dass er glaubte, sie zu träumen. „Lasst mich los“, presste der Blonde atemlos hervor, schob seine Hände zwischen ihre Körper und versuchte, Kagegaku von sich zu drücken. Dieser erwiderte nur ein gehauchtes Nein, während er wie ferngesteuert nach den Händen fasste, die sich gegen ihn stemmten, und sie energisch zur Seite schob. Unbeeindruckt von Hydes unerklärlichem Widerstand, ließ er seine Lippen weiterwandern. Er küsste sein Ohr, bevor er zart am Läppchen knabberte. Dabei entging ihm das eindeutige Flattern in Hydes Wimpern, welches von empfundenem Genuss zeugte. Hyde zweifelte. Wie konnte er Kagegaku abweisen, wenn er noch nicht einmal wusste, wie er sich selbst unter Kontrolle bringen sollte? Wollte er sich denn wirklich einfach so zum billigen Liebhaber eines Lehnsherrn des 16. Jahrhunderts machen lassen? Wollte er so tief sinken, nur damit er ab und zu jene Zärtlichkeiten erhielt, nach denen er sich sehnte? Konnte er sich denn einem Mann hingeben, der ihn wahrscheinlich nicht liebte? Er stand knapp davor, all diese Fragen zu bejahen, würde ihm nicht schleunigst etwas einfallen. Er hasste sich für seine Schwäche. Er hasste es, willensschwach zu sein und anderen die Schuld dafür zu geben. Selbst wenn der Futon doch von Anfang an für ihn bestimmt gewesen war, was hatte das schon zu bedeuten? Nichts, außer, dass Kagegaku mit ihm schlafen wollte. Vielleicht wollte er nur ausprobieren, wie weit er kam, sehen, wie anders es mit einem Mann war. Es gab so viele Erklärungen für das Verhalten des Oberhauptes, dass Hyde innerlich nur noch den Kopf schütteln konnte. Noch einmal stemmte er mit aller Kraft seine Hände gegen Kagegakus Brust. Als dieser dann endlich von ihm abließ und perplex in seine Augen sah, glaubte Hyde, diesem klaren Blick nicht standhalten zu können. Seine dunklen Augen strahlten so vor Leidenschaft, dass dem Blonden ganz anders wurde. Trotzdem schluckte er gezwungen seine eigenen verlangenden Gedanken hinunter und begann zu stammeln. „Für Euch bin ich doch auch nur das aufregende Vergnügen, wenn Euch die Prinzessin mal zu langweilig geworden ist oder nicht zur Verfügung steht“, warf er dem Schwarzhaarigen gnadenlos an den Kopf. Die Sprachlosigkeit war Kagegaku regelrecht auf die Stirn gehämmert worden. Verwirrt und sichtlich geschockt setzte er sich auf und starrte auf Hyde hinab, der sich den Kimono über die Brust zog und es nicht wagte, den Blick, den er auf sich spürte, zu erwidern. „Hide...“, stotterte der Samurai. Er konnte kaum glauben, was er gerade gehört hatte. Nicht im Entferntesten wäre er je auf die Idee gekommen, den Blonden nur für sein Vergnügen zu benutzen. Schon allein der Gedanke widerte ihn an. Er liebte ihn doch. Gerade eben hatte er es begriffen. Er hatte es doch gespürt. Es gab keine Zweifel. Er wollte es ihm sagen, doch bevor er dazu kam, stand Hidetori auf und stolperte zur Tür. „Vergesst nicht was ich wirklich bin“, warnte Hyde, zog hastig die papierbespannte Tür auf und ging hinaus. Auch Kagegaku erhob sich schnell, folgte dem Blonden aber nur langsam nach draußen, denn er wusste, dass seine Vasallen Hidetori aufgehalten hatten. Ein weiteres Mal würde ihm der Blonde nicht davonlaufen, hatte er gedacht, als er seinen Männern heute Morgen diese Wachsamkeit befohlen hatte. „Du bist kein Spion, Hidetori. Hör doch endlich auf mir, so einen Unsinn zu erzählen“, protestierte der Stratege atemlos, als er hinter dem von seinen Männern umzingelten Blonden stehen geblieben war. Mehr brachte er einfach nicht über seine Lippen, obwohl es so vieles gab, was er sagen wollte. Schweigend fuhr er Hidetoris Arm hinunter, bis er dessen Hand in seiner hatte. Er liebte es, seine Haut zu spüren, auch wenn es nur ganz kurz war. Was er soeben gemeinsam mit dem Blonden erlebt hatte, kam ihm jetzt, nur wenige Minuten später, so unwirklich vor. Sie waren sich so nah, dass er auch jetzt noch seinen Duft roch. Sie waren eine Seele und nun so weit entfernt, wie es nicht einmal zuvor der Fall gewesen war. Wirklich abfinden wollte sich der Stratege damit nicht. Er fuhr mit seiner Hand wieder Hidetoris Arm hinauf und wollte ihn an sich ziehen, in der Hoffnung der Blonde würde wieder darauf eingehen. Das er dies wollte, stand für Kagegaku außer Frage. Sie wären doch niemals so weit gekommen, würde Hidetori Abneigung empfinden. Da dies unmöglich sein konnte und er auch nicht an seine Lügen glaubte, gab es doch praktisch nichts, was zwischen ihnen stand. Dass es aber nicht so einfach war, lernte der Stratege schnell. Der Blonde schüttelte schweigend Kagegakus Hand ab und stemmte sich gegen die Männer, die ihm den Weg versperrten. Doch statt den Weg freizumachen, packten sie ihn an den Armen und hielten ihn fest. Hyde sah die fragenden Blicke in den Gesichtern der Männer, die stumm auf einen Befehl von ihrem Oberhaupt warteten. Sie wollten wissen, was sie mit ihrem widerspenstigen Gefangenen tun sollten. Zurück in Kagegakus Schlafzimmer oder gleich in ein dunkles Verließ, aus dem er nie wieder weglaufen konnte? Erst nach endlos langen Minuten hatte das Oberhaupt schließlich Erbarmen mit ihm. „Lasst ihn“, murmelte er kraftlos und die Krieger gehorchten sofort. Sie ließen ihn los und gaben den Weg frei. Hyde zögerte einen Moment, sah den Strategen aber nicht an. Er schwankte, er zweifelte wieder, trotzdem konnte er nicht über seinen Schatten springen. „Hidetori, ich ...“, hörte er Kagegaku hinter sich flüstern. Als er jedoch seine Stimme hörte, wollte er nur noch dringender weg von ihm. Und dann rannte er einfach, ohne den Samurai aussprechen zu lassen. Ihm folgten seine beiden Aufpasser, die kein Wort verloren. „... ich liebe dich doch, verdammt“, flüsterte Kagegaku zu Ende und senkte seinen Blick, als Hidetori aus seinen Augen verschwunden war. ---------------------------------------- Ja, ich weiß. Hyde ist ein richtiger Idiot, ein Schwachkopf u.s.w. Warum er so begriffsstutzig ist, ist mir auch schleierhaft ^_- Aber schauen wir einfach mal, was er als nächstes verzapft. Wir haben jetzt übrigens schon die Hälfte erreicht. Wenn also nichts dazwischen kommt, werd ich die FF noch vor dem Jahreswechsel beendet haben. Das hört sich toll an, wenn man noch nicht mal Sommer hat. ^^;; So, ich weiß nicht, was ich noch sagen könnte, außer: Habt Geduld mit Hyde... Er ist nun mal einfach nicht so schnell im denken. Oder ist er zu schnell? Ach keine Ahnung... ^^ Danke fürs lesen und bis bald. Kapitel 9: Verschwörung ----------------------- 9. Kapitel: Verschwörung [Die Angst dich zu verlieren endlos tief und schwarz Du verschwindest im Nebel] ---------------------------------------- Seine Augen blickten trübe auf die, bis zum Rand mit weißem Sake gefüllte, grau glasierte Schale, bevor er sie an seine Lippen setzte und in einem Zug leertrank. Sofort griff er nach dem ebenfalls grauen Krug und schenkte sich nach, während er über das Brennen in seinem Hals keine Miene verzog. Er lauschte dem leisen Plätschern, als er die leere Schale in seiner Hand mit Alkohol füllte, bevor er erneut zum Trinken ansetzte. Es war still und dunkel in seinem Raum, in den er sich vor vielen Stunden allein zurückgezogen hatte. Die Kerze war fast heruntergebrannt und schenkte nur noch wenig von ihrem flackernden Licht. Als seine Lippen wieder das Porzellan berührten und seine Zunge einen Tropfen des kalten Sake schmeckte, fing es wie aus heiterem Himmel an. Alles um ihn herum drehte sich, als säße er, groß wie eine Ameise, auf einem dieser roten Papier-Windräder. Er hielt kurz inne und setzte die Schale wieder auf dem Boden ab. Vor seinen Augen verschwamm die weiße Flüssigkeit mit dem Grau des Porzellans. Es drehte sich, als würde die Schale im Kreis tanzen und den Sake in einen unbändigen Strudel verwandeln. Benommen stöhnte Kagegaku, während er sich an die Stirn fasste und leidig die Augen schloss. Zusätzlich zehrten die quälende Stille, die ihn umgab, die Einsamkeit, die er verspürte, und die Angst, die er trotz des Alkohol einfach nicht vergessen konnte, an ihm. Wieder musste er an Hidetori denken, der am gestrigen Morgen zusammen mit Fukushima und Yukitaka nach Kasugayama aufgebrochen war. Entgegen all seiner Zweifel und seines schlechten Gefühls hatte der Stratege schließlich nachgegeben und war dem Befehl seines Daimyos gefolgt. Der Blonde hatte es kommentarlos, fast gleichgültig hingenommen, als wäre es die Angelegenheit eines Anderen und als interessiere ihn die Gefahren, die hinter dieser ungewissen Reise stecken konnten, nicht im Geringsten. Er war gegangen, ohne das Kagegaku die Möglichkeit hatte wahrnehmen können, ihm seine Gefühle zu gestehen. Gelegenheiten waren ihm zu Genüge geboten worden, doch sein Mut hatte ihn immer wieder verlassen, sobald er in die braunen Augen des Blonden, die ohne Emotionen vor sich hin starrten, gesehen hatte. Seine Worte waren vergessen, ertränkt in unerwarteter Hilflosigkeit. Er erkannte sich kaum wieder. Auch wie er hier allein vor dem Sake saß und sich grundlos betrank, während er es bereute, Hidetori fortgeschickt zu haben. All das war nicht er selbst. So entschlossen wie er vor zwei Tagen noch naiv daran gedacht hatte, mit dem Blonden ein neues Leben abseits dieser sinnlosen Welt anzufangen, war er nun nicht mehr. Aber warum nicht? Zweifelte er, weil er es nicht mehr schaffte, die Gedanken dieses Mannes lesen zu können, oder weil er immer wieder abgeblockt wurde, sobald er den Versuch unternahm Hidetori näher zu kommen? Er spürte diese gegenseitige Anziehungskraft und doch kam er nicht über die Mauer, die der Blonde um sich herum errichtet hatte. Und nun hatte er wahrscheinlich den größten Fehler begangen, den er in seiner Situation hatte machen können. Er hatte Hidetori aus seinen Augen gelassen und ihn an den gefährlichsten Ort geschickt, den es für den Blonden in ganz Japan geben konnte. Damit kam Kagegaku nicht zurecht. Es machte ihn verrückt, immer wieder daran denken zu müssen, dabei waren seit Hidetoris Aufbruch nicht einmal zwei Tage vergangen. Vergebens hatte der Stratege versucht, mit Hilfe des Sake dieser Sorge zu entfliehen. Doch egal wie viel er trank, wie sehr sich alles drehte und vor seinen Augen verschwamm, es ließ ihn einfach nicht los. Langsam nahm er wieder die Schale in seine Hand und führte sie zu seinen Lippen. Er nippte nur kurz an der Flüssigkeit, bevor seine leicht zitternde Hand den Rest verschüttete. Erschöpft stellte er fest, dass er gegen diese unbändige Müdigkeit, die ihn überfallen hatte, nicht ankam. Er wusste nicht, warum er sich dagegen wehren wollte, war doch genau dies sein Ziel gewesen. Vergessen und verdrängen und nicht mehr darüber nachdenken. Kraftlos ließ er sich schließlich nach hinten auf den Tatamiboden fallen. Der Blick nach oben war mühselig, trotzdem beobachtete er noch lange die Dachbalken, die jeden Moment auf ihn hinabzustürzen schienen. Warum hatte er Hidetori gehen lassen? Warum konnte er ihm nicht die Stirn bieten, wenn es darauf ankam? Niemals hätte er dem Blonden die Wahl lassen dürfen. Hätte er sich in jener Nacht vor zwei Tagen dazu entschlossen, über Hidetoris Willen zu entscheiden und ihn einfach wieder in sein Schlafzimmer zu bringen, vielleicht wäre er dann wirklich dazu im Stande gewesen, sein eigenes Leben grundlegend zu verändern. Er hätte das getan, was noch nie ein Mann in seiner Familie getan hatte. Er wäre gegangen, hätte alles zurückgelassen und würde nun zusammen mit Hidetori das bescheidene Leben eines Bauern führen, anstatt betrunken über seine Fehlentscheidungen nachzudenken. Er hatte schlichtweg den Absprung verpasst, den Wendepunkt seines Lebens. Nahtlos reihten sich seine dummen Fehler aneinander und schienen immer noch kein Ende nehmen zu wollen. Er grübelte Tag und Nacht, während ihm einfach nicht einleuchten wollte, was genau er bei dem Blonden falsch gemacht hatte. Und nun war er zu müde, um darüber nachzudenken. Seine Augenlider wurden schwerer, sein Blick immer unklarer. Langsam wurde es immer dunkler und noch viel stiller. Obwohl es schließlich schwarz vor seinen Augen wurde, glaubte er, es würden sich helle Konturen um ihn herum drehen. Es war schrecklich unangenehm. Er wollte sich festhalten, weil er das Gefühl hatte, am Rande einer Klippe zu stehen, nur einen Schritt von der noch schwärzeren Tiefe entfernt. Er hörte Stimmen, Menschen die durcheinanderschrien. Immer lauter und unerträglicher. Bis es zu einem dumpfen Dröhnen wurde. Kagegaku drückte sich die Hände auf die Ohren und schüttelte den Kopf. Schließlich erblickte er mitten in der Dunkelheit die Umrisse eines Menschen. Er kam näher, während die Stimmen allmählich verstummten. Erleichtert wollte Kagegaku nach der Person greifen, sie darum bitten, ihm zu helfen, doch er griff ins Leere. Es war nur Luft, Nebel oder eine Einbildung. Sie verschwand vor seinen Augen, nur um kurz darauf irgendwo anders wieder aufzutauchen. Verwirrt starrte der Stratege in das Gesicht dieser seltsamen Erscheinung. Es war verschwommen, doch je länger er es betrachtete, desto klarer bildeten sich bekannte Gesichtszüge. Große braune Augen, die kleine und unverwechselbare Nase und Lippen, die er bereits auf seinen gespürt hatte. Das Gesicht war umrahmt von hellem Haar, welches wie Gold schimmerte. „Hidetori!“, murmelte Kagegaku, als er ihn endlich erkannte. Er wollte zu ihm gehen, doch der Blonde schüttelte nur die ganze Zeit streng den Kopf. In seinem Gesicht las der Samurai Leid und Qual, während ihn ein starkes Angstgefühl überkam. Etwas stimmte nicht. Hidetori schüttelte weiter den Kopf, immer schneller, bis er plötzlich in der Dunkelheit verschwand. Kagegaku fing zu rennen an, ohne zu wissen wohin. Alles war immer noch schwarz, es gab keinen Weg, kein Ende, kein Ziel. Er verzweifelte und ließ sich schließlich einfach hilflos auf die Knie fallen. In jenem Moment riss er die Augen auf und schnellte erschrocken nach oben. „Nishiyama-sama?“ Eine zarte Stimme nannte sofort seinen Namen. Verwirrt sah sich der Stratege um. Er war in seinem Schlafzimmer, lag auf seinem Futon. Sein Kopf schmerzte, doch es war hell und warm. Er hatte geträumt. Es war ein Alptraum gewesen, ein simpler Alptraum, doch sein Herz raste, als wäre es real gewesen. „Nishiyama-sama ...“ Wieder diese feine Stimme, die das schmerzliche Pochen in seinem Kopf kurz linderte. Eine zarte Hand legte sich auf seine, bevor Kagegaku zur Seite blickte. Es war die schöne Prinzessin Ume, die neben seinem Futon saß und ihn besorgt ansah. „Ihr habt zu viel getrunken“, erklärte sie dem Oberhaupt, das sie fragend und müde anstarrte. „Ihr habt wild um Euch geschlagen und geschrien.“ In ihren Augen spiegelte sich ehrliche Beunruhigung wieder. „Ich habe mir Sorgen um Euch gemacht“, beteuerte sie und senkte ihren Blick. Kagegaku fuhr sich über die Stirn, als die Schmerzen plötzlich wieder zurückgekehrt waren. „Es ist alles in Ordnung“, brummte er, um die Prinzessin zu beruhigen. Er schlug die Futondecke zurück und wollte aufstehen, als die zarte Frau ihn plötzlich an der Schulter zurückzog. Überrascht blickte der Stratege in das blasse Gesicht, welches verschämt seinen Augen auswich. „Wollt Ihr nicht wissen, was Ihr im Schlaf gerufen habt?“, flüsterte sie fragend. Als Kagegaku perplex darauf antworten wollte, wurden sie plötzlich von aufgeregten Rufen gestört. „Herr! Herr!“, schrie jemand, den der Stratege sofort als Yukitaka erkannte. Die Shojitür wurde aufgerissen und der Mann, der einen Schritt in den Raum trat, verbeugte sich unruhig. „Yukitaka, was tust du hier? Solltest du nicht mit Fukushima und Hidetori auf Kasugayama sein?“ „Es ist etwas passiert“, unterrichtete er seinen Herrn aufgeregt, ohne direkt auf die Frage einzugehen. Kagegaku schreckte sofort auf und stürzte an den Mann heran, als ihm mit einem Mal klar wurde, dass es sich höchstwahrscheinlich um Hidetori handelte. „Was, was ist passiert? Wo ist Hidetori?“, schrie der Stratege, völlig außer sich vor Sorge, seinen Krieger an. „Fukushima schickt mich, um Euch davon zu berichten, dass Hidetori festgenommen wurde“, teilte der Mann, der von seiner langen Tagesreise völlig erschöpft zu sein schien, seinem Herrn ohne Umschweife mit. Kagegaku starrte den Boten sichtlich geschockt in die Augen, bevor er mit einem Zittern in der Stimme um Erklärung bat. „W-warum? Was ist denn geschehen? Das kann doch nicht sein.“ Panik erfasste ihn und er konnte es nicht verbergen. Er packte den ermatteten Krieger am Kragen seines Kimonos und forderte eine sofortige Antwort. Unsicher fing Yukitaka dann auch zu stottern an, denn noch nie hatte er seinen Herrn derartig unbeherrscht erlebt. „Während … während der Audienz … starb der Vorkoster Kenshins, … der die Süßigkeiten* probierte, die Ihr Hidetori als Geschenk … mitgegeben habt.“ „Vergiftet?“ Der Krieger nickte nur verkrampft, bevor ihn der Stratege losließ. Nachdenklich starrte Kagegaku in das müde Gesicht seines treuen Kriegers, während ihm sofort dämmerte, dass es sich wahrscheinlich um eine hinterhältige Intrige seines Halbbruders handeln musste. Kagemura hatte Hidetori nach Kasugayama gelockt, um ihn schnurstracks in seine Falle laufen zu lassen. Das ungute Gefühl des Strategen hatte sich also bestätigt. Fahrig fuhr sich das Oberhaupt durch die offenen Haare. Die Nervosität war ihm anzusehen, während er sich nicht einmal die Mühe machte, seine momentanen Gefühle zu verbergen. „Hidetori würde so etwas niemals tun“, murmelte er leise zu sich selbst, während er felsenfest davon überzeugt war. Der sich tief verbeugende Bote schüttelte den Kopf, bevor er unaufgefordert schilderte, was genau sich auf der Hauptburg abgespielt hatte. „Euer Bruder klagte Euch folglich des Verrats an und Hidetori ...“ „Er hat doch nicht etwa ...“, fiel ihm der Stratege, das schlimmste ahnend, ins Wort. Yukitaka nickte. „Hidetori hat sofort zugegeben, es selbst gewesen zu sein, und beteuerte, dass Ihr nichts damit zu tun habt.“ „Dann ist er also doch ein Verräter!?“, schlussfolgerte die Prinzessin, die langsam an die beiden Männer herangetreten war. Skeptisch runzelte Kagegaku die Stirn, als sie sich zu ihm auf den Boden setzte und, als wäre sie die ranghöchste Dame des Hauses, skeptisch auf den Boten herabblickte. „Was genau hat Hidetori gesagt?“, fragte Kagegaku, die stolze Prinzessin an seiner Seite ignorierend. „Er sagte, dass er im Auftrag Nobunagas handelte. Seine Aufgabe war es, Euer Vertrauen zu gewinnen und Kenshin zu ermorden.“ Nachdenklich schüttelte das Oberhaupt den Kopf. Dasselbe hatte Hidetori ihm auch an jenen Abend weiszumachen versucht. Doch geglaubt hatte er es dem Blonden keine Sekunde lang. Auch jetzt noch war er erstaunlicherweise davon überzeugt, dass Hidetori log. Und je länger er darüber nachdachte, desto absurder schien ihm der lächerliche Gedanke, der Blonde könnte ein intriganter Spion sein, der es darauf angelegt hatte, ihm absichtlich schöne Augen zu machen, damit er dumm darauf reinfiel und dem Feind den Weg in Kenshins Burg erleichterte. Er wusste, dass Hidetori nur log, dass er sich selbst eines Verbrechens bezichtigte, welches er nicht begangen haben konnte. Kagegaku war sich sicher, dass es nur so sein konnte. Die möglichen Konsequenzen dieser Lüge wurden dem Strategen aber nur langsam bewusst. „Und ...“, fing Kagegaku unsicher zu stammeln an. Wie Schuppen fiel es ihm schließlich von den Augen, als er daran dachte, dass es das höchste Verbrechen darstellte, einen Daimyo hinterlistig ermorden zu wollen. Als Diener eines solchen Herrn war dem Strategen bekannt, wie derartige Vergehen in der Regel bestraft wurden. Allein der Gedanke an diese gnadenlose Bestrafung versetzte den Strategen in eine unbeschreibliche Unruhe. „Er wird morgen früh enthauptet“, beantwortete Yukitaka schonungslos die Frage, die dem Strategen auf der Zunge lag, welche er aber nicht auszusprechen wagte. Als Kagegaku seine Vermutung in Worte gefasst hörte, war es wie ein brutaler Schlag ins Gesicht. Sein Herz raste, während er glaubte, nicht mehr atmen zu können. Die Luft um ihn herum schien gefroren zu sein. Ihm war kalt, doch seine Wangen glühten vor Aufregung. Seine Augen blickten wie erstarrt durch seinen Vasallen hindurch, während er sich einen Moment lang schrecklich hilflos fühlte. Fassungslos griff er sich mit den verkrampften Fingern in sein schwarzes Haar, bevor er den Kopf schüttelte, die Lippen aufeinanderpresste und die andere zitternde Hand zu einer Faust formte. Er kämpfte mit sich und seiner Angst. Die Angst davor, zu versagen, und dass nun alles sein Ende nahm. Als treuer Diener war es seine Pflicht, den Entscheidungen und Befehlen seines Daimyos nicht zu widersprechen oder sie zu hinterfragen. Bisher war ihm dies auch nie schwergefallen, doch nun war es sein Herz, welches direkt angegriffen wurde. Er konnte es nicht akzeptieren. Er konnte Hidetori nicht sterben lassen. Doch was genau er tun sollte, wusste er auch nicht. Er konnte nicht vor Kenshin treten und ihn um Gnade bitten. Da Hidetori vorgegeben hatte, ihn bewusst getäuscht zu haben, würden man ihn nur als Naivling belächeln und nach Hause schicken. Oder aber man stempelte auch ihn als Verräter ab und steckte ihn in dieselbe Todeszelle. Hidetoris Unschuld würde er in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb, nicht beweisen können. Was also blieb ihm noch für eine Wahl? Wenn er jetzt nichts unternahm, würde es zu spät sein. Ihm blieb kaum noch Zeit, um über Pläne nachzudenken. Er war ein Stratege, der immer wusste, was in welchen Schlachten am besten zu tun war, doch nun musste er sich einfach blind hineinstürzen und hoffen, dass er keine Fehler machte. War er dem gewachsen, ohne Fukushima um Rat bitten zu können? Eines war ihm auf jeden Fall klar. Er konnte nicht hierbleiben und das Schicksal tatenlos gewähren lassen. Er war keine Marionette des Krieges mehr. Er hatte von Hidetori gelernt, anders zu sein, anders zu denken. Und nun war der Moment gekommen, sein wahres Ich unter Beweis zu stellen. „Yukitaka, sattele mein Pferd!“, befahl Kagegaku schließlich entschlossen, während er aufstand und sich seines Haoris** entledigte. „Jawohl!“ Yukitaka verbeugte sich noch knapp, bevor er ging, um den Befehl seines Herrn auszuführen. Irritiert musterte die Prinzessin den Strategen, der hektisch in den Nebenraum ging und Bedienstete um schwarze Kleidung bat. „Wo wollt Ihr denn hin?“, kam es besorgt von der Prinzessin, als er wieder zurückkam und sich selbst den Obi aufband. „Nach Kasugayama“, antwortete das Oberhaupt knapp, ohne sie anzusehen. „Wollt Ihr etwa zu Kenshin gehen und ihn darum bitten, Hidetori freizulassen?“ Als Kagegaku keine Antwort darauf gab, schüttelte sie entrüstet den Kopf. „Wenn Ihr das tut, macht Ihr Euch mitschuldig.“ „Er lügt“, entgegnete Kagegaku, obwohl er es nicht als notwendig empfand, die Prinzessin von Hidetoris Unschuld zu überzeugen. „Er ist ein Verräter. Dass Ihr ihn vertraut, war sein Ziel. Er hat Euch alles nur vorgespielt.“ Nervös stand sie auf und trat an den Strategen heran. Ihre warmen Augen blickten ihn eindringlich an und trafen ihn mit ehrlicher Besorgnis. „Vielleicht hat er auch nur alles auf sich genommen, um mich zu schützen“, widersprach Kagegaku ernst. Er wollte ihr keine Bösartigkeit unterstellen, doch genauso wenig konnte er von ihr erwarten, dass sie die Lage richtig einschätzen konnte. Sie kannte den Blonden kaum und sie wusste auch nichts von der Feindschaft der Nishiyama-Brüder. Dass es sich hier um eine Intrige völlig anderer Art handelte, würde ihr nicht einleuchten, selbst wenn er versuchen würde, es ihr zu erklären – wofür sowieso keine Zeit war. „Warum wollt Ihr für diesen Mann Euer Leben aufs Spiel setzen?“ Die Stimme der Prinzessin war brüchig, nur noch ein Flüstern, während Kagegaku bemerkte, wie sie ihre Tränen zurückzuhalten versuchte. Erst seit ein paar Tagen wusste er von den Gefühlen der Prinzessin. Obwohl er ihr bisher nur wenig Zeit geschenkt hatte, schien sie sich in ihn verliebt zu haben. Er hatte es in ihren Augen gelesen, als sie ihm kurz nach Hidetoris Abreise von dem ihm unbekannten Gerücht erzählt hatte, welches auf dem Anwesen die Runde machte. Mit einem verschämten Lächeln sagte sie, dass jeder hier glaube, sie wäre seine Geliebte. Kagegaku wusste sofort, dass es ihr geheimer Wunsch war, dieses Gerücht wäre die Wahrheit. Doch das war es nicht, denn er konnte ihre Gefühle nicht teilen. Seit er davon wusste, waren seine Gedanken an Hidetori nur noch stärker geworden. Denn genau denselben Blick hatte er auch oft bei dem Blonden bemerkt, doch verstanden hatte er ihn lange nicht. Erst jetzt, nachdem er selbst wusste, was es bedeutete, jemanden zu lieben, hätte er jenen Ausdruck in den vertrauten braunen Augen richtig verstehen können. Doch nun war der Blonde nicht hier. Er konnte in seinem Blick nicht lesen, welche Gefühle sich hinter seiner Eigenwilligkeit verbargen. Aber er wollte es wissen. Er wollte um alles in der Welt diese Antwort und dafür würde er alles tun, was nötig war. „Warum?“, fragte die Prinzessin erneut, als sie bemerkte, wie Kagegaku mit seinen Gedanken in weite Ferne gerückt war. Schweigend blickte er die Prinzessin an, während er sich beim Ankleiden von einem Bediensteten helfen ließ. Über seinem weißen Unterkimono*** zog er einen Kimono aus schwarzer Baumwolle und über diesen einen ebenfalls schwarzen Hakama****. „Weil ich keine Sekunde ohne ihn leben kann“, antwortete er nach kurzem Zögern. Er sah keinen Sinn darin, der Prinzessin etwas vorzumachen. Er wollte nicht mit ihren Gefühlen spielen, also war die Wahrheit die einzig faire Art, ihr gegenüberzutreten. Dass er sie damit verletzte, war ihm bewusst, doch darüber nachdenken wollte er im Moment nicht. Noch immer wusste er nicht, wie er Hidetori vor dem sicheren Tod bewahren konnte. Er war dazu bereit, den Blonden gewaltsam aus der Gefangenschaft zu befreien und sich damit bewusst gegen seinen Herrn Kenshin zu stellen. Er kannte sich auf der Hauptburg aus. Er kannte die dunklen Schleichwege, die Winkel, in denen man unentdeckt blieb. Er wusste, wo man die Gefangenen festhielt und wie viele Männer dort normalerweise Posten bezogen. Zusammen mit Fukushima und Yukitaka sollte es ein leichtes sein, die Wachen zu überwältigen und Hidetori zu befreien. Doch was war danach? Wo sollte er den Blonden hinbringen? Wie würde Kenshin auf diese Flucht reagieren? Würde man Kagegaku sofort verdächtigen? Riskierte er damit wirklich alles? Es war klarer Verrat, den er begehen würde. Würde er damit leben können? Dies waren die Fragen, über die er sich gerade den Kopf zerbrach. Doch bis es soweit war, eine endgültige Entscheidung zu fällen, lag noch ein langer Ritt vor ihm. Er hoffte, dass er es noch vor Anbruch der Dunkelheit bis zur Burg schaffte und ihm spätestens dort ein Plan in den Sinn gekommen war. „Macht Euch keine Sorgen. Ich werde unversehrt zurückkommen“, versuchte Kagegaku die besorgte Prinzessin zu beruhigen, die ihn die ganze Zeit, schockiert wegen seiner Antwort, nur noch schweigend anstarrte. Er merkte, wie sie hilflos versuchte, Worte zu finden, doch ihr Herz war verletzt und momentan wusste sie wahrscheinlich auch nicht, wie sie das Oberhaupt verabschieden sollte. Dass er ihre Reise nach Etchu, an das Grab ihrer verstorbenen Mutter, gegen die Rettung eines Bediensteten eintauschte, hätte sie wahrscheinlich nie erwartet. Sie musste sich so oder so wie vor den Kopf gestoßen fühlen. Doch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Unbeirrt griff Kagegaku sein Katana, welches auf dem Schwertständer hinter dem Futon lag und sah die Prinzessin noch einmal an. Diese hatte sich wieder auf den Boden gesetzt und starrte nun auf ihre Hände hinab, die sie aufeinander auf ihrem Schoß gelegt hatte, um das leichte Beben in ihren Fingern zu verbergen. „Passt auf Euch auf“, murmelte sie schließlich steif, als sie seinen Blick spürte. Dann hörte sie nur noch, wie seine Schritte langsam verstummten. ---------------------------------------- Ich glaube ich habe da eine falsche Angabe gemacht. Nachdem ich nochmal alles durchgegangen bin, ist mir aufgefallen, dass ich 2-3 Kapitel völlig unterschlagen habe. Und das würde bedeuten, dass die Hälfte noch gar nicht erreicht wurde, sondern erst mit dem nächsten, also das 10. … Tut mir Leid, euch falsche Hoffnungen auf ein baldiges Ende gemacht zu haben. Es dauert doch noch eine Weile länger, bis die Qualen ein Ende haben werden. ^^;; Das kommt eben dabei raus, wenn man ewig keinen Bock auf die ausführliche Kapitalaufstellung hat. Ich hoffe, dass ich da jetzt keinen Fehler mehr gemacht habe. Gehen wir also davon aus, dass diese FF 20 (+-1) Kapitel + Prolog und Epilog hat... Das würde dann sogar unser Mammutprojekt „Ein Trip ins Chaos“ toppen, von der Kapitelanzahl. Oh manno.. so groß sollte die Sache erst gar nicht werden. Aber ich wusste gleich, nachdem ich die ersten beiden Kapitel geschrieben habe, das es wahrscheinlich doppelt so lang werden würde, als geplant. ^^ Aber mir macht das nichts. Ich liebe meine FF. Und je länger ich Zeit mit ihr verbringen kann, desto besser. Nur... wollt IHR euch so lange mit diesem Drama abquälen?? O.o *#*#* Erläuterungen: Ein paar Erklärungen hatten wir in vorigen Kapiteln schon einmal. Ich führe sie aber trotzdem nochmal auf, weil die Begriffe ja auch vergessen sein können. *japanische Süßigkeiten werden aus rein natürlichen pflanzlichen Rohstoffen hergestellt. Zu diesen gehören Senbei (Reiscracker) und Daifuku (Bällchen aus Mochi (gestampfter Reis) und Anko (Bohnenpaste)). ** Haori eine bis auf Hüft- oder Schenkelhöhe gehende Kimono-Bedeckung in der Art eines Jacketts. ***Unterkimono der Nagajuban (Unterkimono) wurde wie Unterwäsche unter dem Kimono getragen **** Hakama eine Art plissierter Hosenrock mit weitgeschnittenen Beinen, der den Körper etwa von der Taille an abwärts bedeckt. Er ist Teil der traditionellen japanischen Oberbekleidung. Der Typ umanori-bakama (馬乗袴, dt. „Reithakama“) bzw. machidaka-bakama (襠高袴, dt. „Hochzwickelhakama“) wurde ursprünglich für berittene Samurai entwickelt und stellt heutzutage die verbreitetere Variante dar. Kapitel 10: Rettung ------------------- 10. Kapitel: Rettung [Mein lautloser Schrei dringt in dein glühendes Herz Bitte rette mich!] ---------------------------------------- Die letzten Sonnenstrahlen des Tages suchten sich ihren Weg durch das hölzerne Gitter seiner Gefängniszelle. Nur noch schwach wärmten sie seine Hände, bevor die hereinbrechende Nacht sie in kühle Dunkelheit tauchte. Immer stiller wurde es in den Gängen und auf dem Hof von Kasugayama. Nur noch die langsamen Schritte der Wachen, die vor seiner Zelle auf und ab gingen, wechselten sich gleichmäßig mit dem pfeifenden Schnarchen eines schlafenden Häftlings nebenan ab. Wie im Zeitraffer waren die letzten Tage vor ihm davongerast. Seiner verloren geglaubten Zeit rannte er vergebens hinterher, seit er bereitwillig in die ihm gestellte Falle gelaufen war. Doch selbst wenn er die rasende Uhr zurückdrehen könnte, an seinen Taten würde er nichts ändern wollen. Er bereute es nicht, denn er war überzeugt, dass einzig Richtige getan zu haben. Er hatte Kagegaku gerettet. Genau so, wie es seine Aufgabe gewesen war. Deswegen war er hierher gekommen, deswegen war er dem Strategen begegnet. Er war seinen Erinnerungen gefolgt, die ihm diesen Weg vorgelegt hatten. Und dafür musste er nicht einmal sein Herz verleugnen. Es waren seine Gefühle für den Samurai, die ihn dazu gebracht hatten, den höchsten Daimyo in Echigo anzulügen, um das Leben des ihm wichtigsten Menschen zu schützen. Die Konsequenzen waren ihm bekannt und doch hatte er keine Sekunde lang gezögert. Eine andere Wahl war ihm auch nicht gegeben worden. Von Anfang an hatte es für ihn keine Alternativen gegeben. Seit dem ersten Tag in dieser Welt, seit er begriffen hatte, dass er mehr für den Samurai empfand als nur freundschaftliche Zuneigung. Dafür war er ohne zu zögern bereit gewesen, seine Vergangenheit ein für alle Mal zu vergessen und sein Leben neu zu beginnen. Nie mehr wollte er an sein früheres Leben denken, nie mehr versuchen, einen Weg zurück in seine Zeit finden. Der Gedanke, noch vor einem halben Jahr durch die belebten Straßen Tokios gelaufen zu sein, war so unwirklich wie ein Traum. Er konnte es sich nicht vorstellen, jemals dorthin zurückzukehren, jemals wieder einen Auftritt mit seiner Band zu haben oder vor einem Fotografen zu posen. Diese Welt existierte nicht mehr, sie war völlig verschwunden. Die Erinnerungen waren verblasst und hatten Platz für mehr unbekannte Bilder und Szenarien gemacht, die eines Tages real werden würden. Alles, was davor war, schien wie eine Illusion. Es waren schemenhafte Erinnerungen, über die er heute nur noch den Kopf schütteln konnte. Zog er die letzten sechs Monate als Vergleich heran, schienen seine Sorgen und Probleme, die er damals gehabt hatte, einfach nur belanglos. Nie hatte er sich ernsthafte Gedanken über seinen Tod gemacht. Es war eine absurde Sache, die nur anderen passierte. Er war ein Star, der Sänger einer unglaublich erfolgreichen Band. Nie hätte er gedacht, dass er in dieser mittelalterlichen Zelle sitzen und schlaflos auf den letzten Morgen seines Lebens warten würde. Hatte er es überhaupt begriffen? Er würde das letzte Mal die Sonne sehen, das letzte Mal den Wind spüren. Wann hatte er überhaupt einmal einen Gedanken an solche Dinge verschwendet? Nie hätte er sich vorstellen können, dass für ihn all das bald nicht mehr existieren würde, dass sein Leben so früh zu Ende gehen würde. Vor allem nicht auf diese Weise. Mit zitternden Händen fasste sich Hyde an den Hals. Nur noch wenige Stunden und man würde ihn enthaupten. Dabei müsste er eigentlich in irgendeinem Studio sitzen und ihre neue Single einsingen. Eine Single, die er noch nicht einmal geschrieben hatte. Denn bevor er dies hatte tun können, war er unfreiwillig aus seinem intakten Leben gerissen worden. Es gab keine Konzerte oder Meetings mit dem Staff mehr, keine Gespräche mit dem Manager oder Interviews mit einer Zeitschrift. Stattdessen diese dunkle Zelle, in der er gelandet war, nur weil er jemanden beschützen wollte. Er hatte das Schema sofort durchschaut. Gleich nachdem ein junger Bursche während der Audienz in den Raum gekommen war und mitgeteilt hatte, dass der Vorkoster an einer Vergiftung gestorben war. Es waren die Omogashi* gewesen, die Kagegaku ihm als Geschenk für Kenshin mitgegeben hatte. Doch dass der Stratege der Drahtzieher dieses Mordversuches sein sollte, schien für den Blonden ausgeschlossen. Keine einzige Sekunde hatte Hyde gebraucht, den wahren Täter zu ermitteln. Er hatte ihm direkt gegenüber gesessen, gegrinst und dann erschüttert getan. Ohne zu zögern warf Kagemura seinem eigenen, nicht anwesenden Bruder Hochverrat vor und Kenshin war dabei ihm zu glauben. Dem Blonden war in dieser Situation nur diese eine Möglichkeit geblieben. Er gab vor, in Wahrheit ein Spion zu sein, der es auf das Leben des feindlichen Daimyos abgesehen hatte. Es fiel ihm kaum schwer, denn nur einen Tag zuvor hatte er Kagegaku genau die selbe Geschichte erzählt. Er nahm selbstlos die Schuld auf sich und entlastete den Strategen. Dafür wurde er zum Tode verurteilt. Obwohl seine Stunden gezählt waren, verspürte er aber kaum Angst. Er war so ruhig wie noch nie in seinem Leben. Aber vielleicht war es auch nur eine Art Lähmung, die ihn vor einer nutzlosen Panik bewahrte. Denn tun konnte er nun nichts mehr. Eine Flucht würde ihm nicht gelingen. Selbst wenn er es aus dieser Zelle schaffte. Der Weg aus der Burg und somit in die Freiheit war von unzähligen mit Katana bewaffneten Kriegern bewacht. Sie hätten ihn geschnappt, noch bevor er überhaupt versuchen konnte, über die hohe Mauer zu klettern. Doch egal, wie aussichtslos seine Situation schien, das einzige, woran er die letzten Stunden immer wieder denken musste, war das Oberhaupt der Nishiyamas, für den er letztendlich sterben würde. Er starb für die wenigen Wochen, die er mit dem Samurai verbringen durfte, für die kurzen zärtlichen Momente mit diesem. Er hatte für ihn gekämpft. Nicht mit dem Katana, sondern mit seinen Lügen, in die er sich immer weiter verstrickt hatte. Genau jene Lügen, die ihm Kagegaku nicht geglaubt hatte. Dass er so todesmutig war und sich tatsächlich für einen anderen Menschen opfern konnte, war Hyde bis vor wenigen Tagen nicht bewusst gewesen. Aber vielleicht hatte er bisher auch noch nie so sehr geliebt. Viellicht hatte er nie verstanden, was es hieß, wirklich zu lieben, und was es bedeutete, für den Anderen sterben zu wollen. Jetzt wusste er es. Obwohl er einfach nicht dazu bereit war, die Liebe und Zuneigung des Strategen mit jemand anderem zu teilen, hätte er wohl – unabhängig davon – alles für den Samurai getan. Doch nun war es vorbei. Das kühle Auf-Wiedersehen, welches er dem Strategen vor die Füße geworfen hatte, war auch gleichzeitig sein endgültiges Lebewohl gewesen. Er bereute diese gespielte Gefühlskälte aus tiefsten Herzen, während er an nichts anderes als an ihren stumpfen Abschied denken konnte. Er konnte es nicht rückgängig machen, egal wie sehr er es sich insgeheim wünschte. Alles, was er während seiner verbleibenden Zeit noch tun konnte, war zu hoffen, dass sein Opfer nicht umsonst war und dass Kagegaku ihn eines Tages verstehen würde. Mehr wollte und brauchte er nicht. Nachdenklich setzte sich Hyde auf den sandigen Boden. Seine Beine winkelte er an, während er sich mit den Händen durch das Haar fuhr. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die kalte Zellenwand und seufzte leise, bevor ihn dumpfe Schritte aufmerksam werden ließen. „Wirklich jammerschade ...“, ertönte dann Kagemuras Stimme wie aus heiterem Himmel. Erschrocken drehte sich Hyde zur Seite und blickte sofort in das finstere Gesicht hinter den Holzstäben seiner Zelle. Dem Blonden wurde unwohl, als der Mann, der neben Kenshin den größten Einfluss auf Kasugayama genoss, zu grinsen begann. „Mein Lord war sehr daran interessiert, dich kennenzulernen, wo doch ganz Echigo von dir spricht. Und da kommst du einfach auf die dumme Idee, dich für meinen Bruder zu opfern.“ Kagemura schüttelte den Kopf, während das schadenfrohe Lächeln um seine Lippen eingefroren zu sein schien. „Das war unklug von dir“, urteilte der Schwarzhaarige, nachdem Hyde zögerlich seine Augen vom machtgierigen Bruder Kagegakus abwandte. Allein der Gedanke, gerade im Kagemuras Fokus zu stehen, ließ den Blonden nichts Gutes ahnen. Das übertrieben leidige Seufzen, welches über die Lippen des ranghohen Samurai kam, unterstrich diese Angst. „Was wollt Ihr von mir?“, murmelte Hyde, obwohl er es gar nicht wissen wollte. Er wollte ihm nicht zuhören oder in Erfahrung bringen, was genau sich im Gehirn dieses Mannes abspielte. Er wünschte nur, in Ruhe gelassen zu werden. Es interessierte ihn nicht, das genaue Ausmaß seiner Dummheit festzustellen, oder was er nach Meinung Kagemuras hätte anders machen müssen. „Dir muss ja ziemlich viel an Kagegaku liegen. Und das obwohl er jetzt die schöne Prinzessin liebt und dich völlig vergessen hat?!“ Für das auffällige Zucken in seinen Lippen hätte sich Hyde im Nachhinein selbst ohrfeigen können. Er merkte förmlich, wie Kagemura sich über diese Reaktion freute und sie als Anlass für weitere Sticheleien verwendete. Wie er seine Worte einzusetzen hatte, damit es besonders weh tat, wusste der Samurai sehr gut. „Oh ja, die beiden haben sich bereits hier auf der Burg sehr gut verstanden. Eine gewisse Anziehung ist selbst mir in den wenigen Tagen nicht entgangen. Ich dachte, sie wären eine gute Partie und Kenshin war zum Glück auch der Meinung. Vielleicht wird er sie auf meine Empfehlung hin auch bald verheiraten lassen.“ Kagemuras Worte trafen ihn. Natürlich verletzte es ihn. Er war eifersüchtig auf die Prinzessin, obwohl es überhaupt keinen Sinn mehr hatte, so zu fühlen. Durch seinen Körper strömten negative Empfindungen und er konnte es nicht aufhalten. Die Stimme des Bruders brachte sein Blut zum Kochen. Es machte ihn rasend, von Kagemura die Wahrheit zu hören. Er fühlte sich hilflos einer Realität ausgeliefert, die er nicht hören wollte. Sie war ihm regelrecht ins Gesicht geschleudert worden. Doch was bezweckte der Vertraute Kenshins damit? Wollte er sich ein letztes Mal über seine jämmerliche Erscheinung lustig machen und zusätzlich in seinen offenen Wunden herumbohren, damit es für ihn noch amüsanter wurde? Hyde spürte den höhnischen Blick, dem er letztendlich nichts entgegenbringen konnte, bevor Kagemura spöttisch auflachte und sprach: „Aber das wird dich wohl kaum noch interessieren, oder? Schließlich glaubst du ja, morgen hingerichtet zu werden.“ Überrascht blickte Hyde den Samurai an, dessen Gesicht nun völlig in dunkle Schatten getaucht war. Das breite Grinsen um die Lippen jedoch hätte der Blonde noch in tiefster Finsternis zur Kenntnis nehmen können. „Dummerweise glaube ich aber, dass es ziemlich schade wäre, dich jetzt schon sterben zu lassen“, deutete der Krieger an. „Was meint Ihr damit?“, fragte der Blonde, während er verwirrt verfolgte, wie Kagemura langsam vor seiner Zelle auf und ab ging und ihn dabei herrisch ansah. Als er dann einen zweideutigen Blick vernahm, durchflutete Hyde plötzlich das dumme Gefühl, in eine noch tiefere Falle gelaufen zu sein, als er vorerst angenommen hatte. „Du wirst mir sicherlich noch behilflich sein können“, meinte der Samurai, der vor der verschlossenen Zellentür stehen blieb und seine Hand demonstrativ über die Verriegelung führte. Skeptisch runzelte Hyde die Stirn, als ihm mit einem Mal der Gedanke kam, dass Kagemura alles genau so geplant haben könnte. Der Krieger wollte ihn an diesem Punkt haben. Er wollte ihn verloren, verlassen und ohne Ziel sehen, damit er einfacher zu brechen war. Er wollte ihn für sein abtrünniges Spiel benutzen. Selbst Prinzessin Ume war ihm allein für dieses Ziel wahrscheinlich nur ein Instrument gewesen. Sie alle waren Spielfiguren in seinem Krieg gegen den eigenen Bruder. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. „Wie findest du meinen Vorschlag? Du tust was ich sage und dafür rette ich dich vor dem sicheren Tod. Ich erkläre Kenshin, dass deine Leute dich befreit haben. Niemand wird dich suchen. Du wärst wieder frei und müsstet dir keine Gedanken machen.“ Kagemura drehte sich herum und lehnte seinen Rücken an das Holzgitter, bevor er die Bedingung für seine Hilfe erklärte. „Aber dafür arbeitest du ab sofort mit mir zusammen.“ Fassungslos, dass der Samurai tatsächlich etwas so Unmögliches verlangte, schüttelte Hyde heftig den Kopf, was der Schwarzhaarige aber nicht mitbekam. Dieser schien jedoch eine ablehnende Reaktion erwartet zu haben. Er seufzte und legte den Kopf schief. Den Gesichtsausdruck konnte Hyde nicht sehen, da er immer noch mit dem Rücken am Gitter gelehnt war. „Niemals!“ wisperte Hyde, dem es buchstäblich die Stimme geraubt hatte. „Sieh es doch mal so. Kagegaku wird dich bereits vergessen haben. Er hat jetzt die Prinzessin und anzunehmen, er hätte jemals irgendetwas für dich empfunden, ist doch völlig absurd. Wenn du überhaupt etwas für ihn warst, dann nur ein interessantes Versuchsobjekt.“ Schweigend starrte der Blonde vor sich hin, während er insgeheim zugeben musste, dass Kagemura auch damit Recht haben könnte. Es stimmte vielleicht, dass der Stratege nie etwas für ihn empfunden hatte, oder dass ihm die Prinzessin nun viel wichtiger war. Vielleicht war es auch die Wahrheit, dass er nur benutzt wurde. Er wusste, dass dies alles möglich war. Er hatte es selbst schon zu oft befürchtet. Deswegen war er davon gelaufen. Nur, weil er Angst davor hatte, die Wahrheit zu hören oder sie eines Tages am eigenen Leib zu spüren. Was Kagemura ihm klarzumachen versuchte, war für ihn keine Neuigkeit. Er hatte sich bereits damit abgefunden. Und trotzdem wünschte er nicht, sich aus Eifersucht zu rächen. Weder an der Prinzessin, noch an Kagegaku selbst. Es war sinnlos, ihn damit treffen zu wollen. Es schmerzte zwar, doch zum Handlanger von Kagemura würde es ihn nie machen können. Eher starb er, als sich selbst derart zu belügen. Er schwieg, um dem Samurai seine felsenfeste Entscheidung klarzumachen. Dass dieser es aber verstand, bezweifelte er. Kagemuras Kopfschütteln bestätigte dieses Gefühl sofort. „Also gut“, meinte dieser seufzend, als Hyde ihn weiterhin schweigend ignorierte. Der Schwarzhaarige stoppte einen Moment, bevor er das Schloss entriegelte und langsam in die Zelle trat. Von den Wachen, die Tag und Nacht durch die Gänge patrouillierten, war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Gehörten auch sie zu Kagemuras Leuten? Bedrohlich stellte sich der Samurai vor den Blonden, der ihn perplex ansah, packte ihn sogleich am Kragen seines Kimonos und zog ihn auf die Beine. Die Augen Kagemuras waren kalt, und doch glaubte Hyde, das Feuer von Wut in ihnen zu sehen. Die Gleichgültigkeit, mit der Hyde auf seinen Vorschlag und Überredungen reagiert hatte, verärgerte ihn. Trotzdem versteckte dieser seinen Zorn geschickt hinter einer grinsenden Fassade, die an der einen oder anderen Stelle zu bröckeln begann. „Ich habe dich höflich gebeten. Aber da du anscheinend nicht kooperieren willst, muss ich wohl oder übel Gewalt anwenden“, drohte der Samurai, der Hyde fast schon fanatisch anstarrte, was der Blonde jedoch auch ignorierte. Der leere Blick ging an Kagemura vorbei, während es Hyde entging, wie die versteckte Wut des Kriegers zu kochen begann und er schließlich zu seinem Katana griff. Der Blonde hörte nur ein Klacken, dann fühlte er einen starken Schmerz im Bauch. Was danach passierte, bekam Hyde nur noch schemenhaft mit. Seine Beine versagten, sein Blick war verschwommen. Während er zu Boden sank, sah er nur noch, wie Kagemura sein Katana zurückzog, mit dessen Knauf er ihn in den Bauch gestoßen hatte. Kurz darauf wurde er ohnmächtig. Dann war alles dunkel. Selbst, als er nur wenige Minuten später wieder zur Besinnung kam, herrschte absolute Finsternis. Mehrere Male versuchte Hyde, zu blinzeln, bis er realisierte, dass er aufgrund eines schweren Sacks, der über sein Kopf gestülpt war, nichts sehen konnte. Auch bewegen konnte er sich nicht. Um die Knie spürte er dicke Fesseln, genauso wie um seine nackten Füße. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden. Panisch wollte er versuchen, sich von den Fesseln zu befreien. Er fing an, zu zappeln und sich umherzudrehen, bis er plötzlich gepackt und unsanft auf den Rücken eines Pferdes geworfen wurde. „Pass auf, dass ihn keiner sieht“, hörte Hyde Kagemuras Stimme leise flüstern, dann stieg der wohl angesprochene Reiter hinter ihm auf und hielt den Blonden, der mit dem Bauch über den Pferderücken gebeugt war, mit einer Hand fest, während das Tier sofort losgaloppierte. Verwirrt versuchte Hyde, zu verstehen, was hier vor sich ging. Er wurde aus seiner Gefangenschaft befreit, nur um von Kagemura entführt und anscheinend an einen anderen Ort gebracht zu werden? Genau das schien seine momentane Situation zu sein. Aber was versprach sich der Samurai davon? Was hatte er vor? Was hatte diese Aktion für einen Nutzen, wenn er sich niemals dazu bereiterklären würde, für den kaltherzigen Bruder arbeiten zu wollen? Vor allem nicht, wenn dieser Pläne gegen Kagegaku schmiedete. Niemals würde er dem Strategen schaden wollen, egal mit welchen Mitteln Kagemura versuchen würde, ihn zu ködern. Und wo sollte er hingebracht werden? Das Pferd lief in schnellem Galopp. Immer wieder hatte Hyde das Gefühl herunterzurutschen. Sein ganzer Körper war bereits nach wenigen Minuten von Schmerzen übersät, während er durch den engmaschigen Sack nur wenig Luft bekam. Dort, wo das Seil um die Hände gebunden war, brannte es, denn durch das ständige Auf-und-ab auf dem Pferderücken rieb sich der Strick an seiner Haut. Am liebsten hätte er aufgegeben, denn momentan fühlte er sich der Hölle nah. Lieber wäre er tot, als noch länger diese Schmerzen und seelische Qual ertragen zu müssen. Er war nicht stark genug für diese kriegerische Welt, in der sich jeder rücksichtslos das nahm, was er wollte, in der ein normales Leben kaum Wert besaß und es wie eine Spielfigur auf einen Brett herumgeschoben wurde. Kagegaku hatte vollkommen recht gehabt. Allein hatte er hier keine Chance. Der Stratege wusste dies, obwohl er nicht einmal seine wahre Identität kannte. Davor wollte der Schwarzhaarige ihn beschützen, deswegen hatte er ihn nie angehört, als er ständig darum gebeten hatte, das Anwesen verlassen zu dürfen. Doch letztendlich war es doch so gekommen, und das obwohl er Fukushima bei sich gehabt hatte. Und nun war er allein und hilfloser denn je, einer schwer einschätzbaren Gefahr ausgesetzt. Einfach so. Und es hatte nur wenige Minuten gedauert, sich in diese Situation zu begeben. Er konnte nicht auf die Hilfe des Strategen oder Fukushimas zurückgreifen. Beide wussten nicht, wo er war und wo er hingebracht wurde. Sie wussten nicht einmal, dass Kagemura hinter alldem steckte. Wie sollten sie ihn finden können? Und warum sollten sie ihn überhaupt suchen wollen? Dass er Kagegaku so viel bedeutete, glaubte der Blonde nicht. Denn wie Kagemura gesagt hatte, gab es im Leben des Strategen nun die schöne Prinzessin. Warum sollte sich das Oberhaupt einer bedeutenden Familie darum scheren, was mit einem Bediensteten passierte? Es war aussichtslos. Genauso gut könnte er sich auch von diesem Pferd stürzen und sein Leben ein für alle Mal dem Schicksal überlassen. Es war so oder so bereits endgültig vorbei für ihn. Er war müde und geschwächt. Er hatte keine Kraft mehr, über sinnlose Auswege nachzudenken. Er wusste nicht einmal, wie lange sie schon geritten waren. Es kam ihm bereits wie ein langer Tag vor. Viele Stunden, ohne zu rasten. In seinen Ohren hörte er nur noch den pfeifenden Wind und die Hufen des Pferdes, die im schnellen Takt auf dem Boden aufkamen. Die Abstände waren so gleichmäßig, dass Hyde schließlich sofort bemerkte, wie sich ihnen plötzlich ein weiteres Pferd näherte. Zuerst glaubte der Blonde an eine Einbildung, doch als es immer lauter wurde und er auch bemerkte, dass der Reiter ständig unruhig zurückblickte, schien es doch die Realität zu sein. Es lief sehr viel schneller als ihres. Es schnaufte hektisch, als würde es zu Tode geschunden, während es unglaublich schnell aufholte. Dann hörte er wie Katanas aus der Schwertscheide gezogen wurden und wie Metall klirrte. Es wurde gekämpft, während die Pferde weiter galoppierten. Hyde spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er sah nichts und wusste nicht, was passierte. Er hatte Angst, während er krampfhaft versuchte, sich auf dem Pferd zu halten. Doch da der Reiter ihn nicht mehr sicher im Griff hatte, verlor Hyde nur wenige Sekunden später das Gleichgewicht und rutschte vom Rücken des Pferdes. Hart stieß er auf dem Boden auf und rollte einen kurzen Abhang hinunter. Seine Beine schmerzten und doch fing er sofort an, zu strampeln und sich zu winden, während er in der Ferne den Kampf hörte. Der Lebenswille des Blonden war plötzlich erwacht. Obwohl er kaum die Kraft dazu hatte, rieb er seine Hände wie von Sinnen aneinander, um die Fesseln zu lockern. Ihn erfasste eine Todesangst, die ihm Tränen in die Augen schießen ließ. Er sah nichts, er wusste nicht, ob er sich noch in Gefahr befand. Seine Hände zitterten, den Schmerz blendete er völlig aus. Und als der Kampf schlagartig verstummte, lähmte ihn plötzlich die Panik, nicht zu wissen, was passiert war. Einer der beiden musste überlebt haben. Sein Entführer oder der unbekannte Angreifer. Er hörte nichts. Keine Schritte, keine Pferdehufen. Es war totenstill. Nur seine schwere, vor Aufregung hektische Atmung würde ihn verraten können. Er musste sich beruhigen, doch die Angst kroch in jede Faser seines Körpers. Er konnte sich nicht mehr kontrollieren. Die Ungewissheit darüber, wer derjenige war, der sie angegriffen hatte, war wie ein wahr gewordener und grauenhafter Alptraum. Wovor er sich am meisten fürchtete, war nicht sehen zu können, was mit ihm passierte. Es konnte ein verfeindeter Samurai sein, der alles tötete, was ihm über den Weg lief, oder ein Ninja, der seinen Auftrag ausführte. In beiden Fällen würde man ihn wohl nicht verschonen. Er musste sich befreien, bevor er gefunden wurde. Doch dafür blieb wohl kaum mehr Zeit. Er hörte schnelle Schritte. Jemand kam auf ihn zu. Zu schnell hatte er ihn erreicht und an den Schultern gepackt. Vor Schreck hielt der Blonde den Atem an, während sein Herz heftiger denn je gegen seine Brust klopfte. Doch als Hyde hörte, wie die Person sofort sein Katana zog, rebellierte er noch einmal mit aller Kraft, die er aufbringen konnte. Dabei rutschte er über das feuchte Gras weiter den Abhang hinunter. Der Unbekannte wollte ihn packen und hochziehen, doch der Blonde konnte vor Panik nicht aufhören, sich gegen ihn zu wehren. Er spürte, wie er an eine breite Brust gedrückt wurde und wie der Mann zusammen mit ihm den steilen Hügel hinunterrollte. Alles ging so schnell, dass Hyde überhaupt nicht mehr verstand, was mit ihm passierte. Der Mann drückte den Kopf des Blonden in seine Arme. Schützend versuchte er, ihn fester an sich zu drücken und alles, was sie streifte, auf sich zu nehmen, bis sie schließlich liegen blieben. Ob er verletzt war, konnte Hyde nicht mit Sicherheit sagen. Von Kopf bis Fuß quälten ihn Schmerzen, die nicht unbedingt von diesem Unfall stammen mussten. Sich jedoch darüber Gedanken zu machen, war ohnehin sinnlos, solange er sich nicht befreit hatte. Denn er hatte noch nicht wirklich aufgegeben. Obwohl ihn starke Hände an den Schultern packten, wollte er versuchen, sich loszureißen. Er drehte sich hin und her, winkelte die zusammengebundenen Beine an und versuchte, den Unbekannten von sich zu stoßen. Doch dann passierte etwas, womit der Blonde nie im Leben gerechnet hätte. „Hi...detori ...“, drang plötzlich ein keuchendes Flehen in seine Ohren. Als er die bekannte Stimme vernahm, stoppte er und seine Lippen begannen zu zittern, obwohl er glaubte zu halluzinieren. Es konnte doch unmöglich sein, dass es Kagegakus Hände waren, die ihn festhielten. Dass er gekommen war, um ihn zu retten. Als ihm schließlich der schwere Sack vom Kopf gezogen wurde, bestätigten seine Augen sofort, was seine Ohren nicht hatten glauben wollen. Er blickte geradewegs in das schmutzige Gesicht des Strategen, welches tiefe Sorge ausstrahlte. Stundenlang und ohne Rast musste er durch die Wälder geritten sein. Sein langes dunkles Haar war zerzaust, der schwarze Kimono an einigen Stellen zerrissen. Seine Wangen und Stirn waren mit Schmutz bedeckt. Seine Augen schienen etwas geschwollen zu sein, während seine Lippen spröde und rissig waren. Es war ein ungewöhnlicher Anblick und trotzdem fühlte sich Hyde plötzlich wie in einem seiner schönsten Träume. Er war glücklich, dass ihm noch einmal die Möglichkeit gegeben wurde, in diese Augen sehen zu können. „Hidetori ...“, flüsterte Kagegaku ein weiteres Mal völlig außer Atem, während er mit seinem Kurzschwert die dicken Fesseln durchschnitt. „Bist du verletzt?“, fragte er dann, als der Blonde keinen Ton über die Lippen brachte. Unruhig tastete er über Hydes Arme und Beine, suchte nach Verletzungen. Doch außer den blutigen Stellen an den Händen und einigen Schrammen, konnte er auf den ersten Blick nichts feststellen. Erleichtert drückte Kagegaku den Blonden in seine Arme und schüttelte den Kopf. „Warum ... warum hast du das getan?“ Noch immer wusste Hyde nicht, was er sagen sollte. Seine Gefühle liefen Amok, sie verwirrten ihn und ließen ihn verstummen. Er war froh und perplex zugleich. Er konnte einfach nicht fassen, was gerade passiert war. Er konnte nicht glauben, dass der Schwarzhaarige hier war und sein eigenes Leben für ihn aufs Spiel gesetzt hatte. „Warum hast du gelogen?“, fragte Kagegaku nochmals, nachdem ihm der Blonde wieder keine Antwort gegeben hatte. Doch statt klar auszusprechen, dass er aufgrund seiner Gefühle einfach nicht anders handeln konnte, drückte sich Hyde aus den Armen des Samurai und blickte ihn fragend an. „Warum habt Ihr mich gerettet?“, murmelte er geradeheraus. Kagegakus Blick sprach tausend Bände. Jedoch in einer Sprache, die der Blonde nicht beherrschte. Er wollte es hören und nicht spekulieren. Warum hatte der Samurai ihn gerettet? Warum war er den ganzen Tag, ohne auf sein Wohl zu achten, durchgeritten? „Warum?“, flüsterte Hyde mit dünner Stimme. Gespannt blickte er in die dunklen Augen, die ihm nicht auswichen. Es war ein seltsamer Moment. Obwohl er nicht wusste, was Kagegaku darauf antworten würde, pochte sein Herz wie verrückt. Er hatte Angst davor, sich erneut zu irren, dass seine aufkommende Hoffnung im Keim erstickt wurde, noch bevor er sich überhaupt ausmalen konnte, was genau es bedeuten sollte. Und in dem Moment, als der Stratege schließlich seine Lippen teilte, um endlich mit Worten eine Antwort zu erwidern, beschlich dem Blonden unfassbare Panik. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die indirekte Ablehnung, die er erwartete, nicht akzeptieren. Doch was ihn letztlich erreichte, war keine Abweisung, sondern genau jene Worte die er sich wochenlang so ersehnt hatte. Und dieses Mal war es kein Traum, keine Illusion oder unerklärliche Erinnerungen. Es war real, denn er spürte Kagegakus warmen Atmen, als dieser sprach. „Weil ich dich liebe.“ Die dunklen Augen funkelten und waren derart ernst, wie Hyde es noch nie beim Strategen wahrgenommen hatte. Und während die Gedanken des Blonden im Kreis zu wirbeln schienen, hatte sich seine Welt von einer Sekunde auf die nächste vollkommen verändert. Sie drehte sich plötzlich in eine andere Richtung, völlig unerwartet und unfassbar schnell. Hyde glaubte, verrückt zu werden, als Kagegaku seine Schulter berührte, ihn stumm darum bat, ihn anzusehen und noch einmal schwor: „Ich liebe dich!“ ---------------------------------------- So, jetzt haben wir definitiv die Hälfte erreicht. Sorry, für die falschen Infos. ^^;; Natürlich war es klar, das Hyde nicht hingerichtet wird. Obwohl ja eigentlich alles passieren könnte, oder? In dieser FF fließt auch ein wenig Fantasie mit, sonst wäre Hyde ja nie in die Vergangenheit gekommen. Selbst wenn Hyde sterben würde, könnte diese FF noch 10 Kapitel haben. ;) Nur damit ihr euch in Zukunft nicht zu sicher seid. *devilgrins* Danke fürs lesen und bis bald. ^^ *#*#* Erläuterungen: *Omogashi traditionelle japanische Süßigkeiten, welche aus rein natürlichen pflanzlichen Rohstoffen hergestellt sind Kapitel 11: Abschied -------------------- 11. Kapitel: Abschied [Ein kurzes Wiedersehen, schon wieder Abschied Eine Vorherbestimmung?] ---------------------------------------- „Weil ich dich liebe.“ Kagegakus warme Stimme und die gewaltige Bedeutung seiner Worte traf direkt in das Herz des Blonden, während es ihm selbst die Sprache verschlug. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte es sich gewünscht, doch im Grunde kaum Chancen dafür gesehen. Der Schwarzhaarige schien für ihm immer unerreichbar, ein Traum, der zerplatzte, sobald er sich sicher fühlte. Wie konnte es nur möglich sein, dass es überhaupt nicht so war, wie er die ganze Zeit geglaubt hatte. War er blind gewesen? Zu stur, um die Augen zu öffnen und die Wahrheit zu sehen? Oder war auch dieser Moment nur ein Traum, den er sich in seiner Verzweiflung zusammengesponnen hatte? Doch es fühlte sich so verdammt echt an. Ganz anders als seine trügerischen Einbildungen. Kagegaku hatte es gesagt und die Bedeutung jener Worte waren nicht misszuverstehen. Von seinem unverhofftem Glück überwältigt, wollte der Blonde etwas erwidern. Er blickte Kagegaku in die Augen, während dieser seine Schultern berührte. Und genau in dem Moment, als Hyde glaubte, nichts würde mehr passieren können, fiel er plötzlich in eine bedrückende und pechschwarze Dunkelheit. In Sekundenschnelle war alles um ihn herum mit Finsternis überzogen. Es war so dunkel, dass er nicht einmal seine eigene Hand vor Augen sehen konnte. In weiter Ferne hörte er noch undeutlich die Stimme des Strategen. „Ich liebe dich!“, schwor dieser, bevor es schließlich beängstigend still wurde. Obwohl er ein merkwürdiges Gefühl hatte, wusste der Blonde sofort, dass er sich wieder in einer seiner seltsamen Erinnerungen oder Visionen befand. An jene ungewöhnlichen Aussetzer, die von Mal zu Mal schlimmer und intensiver wurden, hatte er sich gewöhnt, trotzdem passierte es immer völlig unerwartet. Alles, was er während dieser wenigen Sekunden spürte, fühlte sich täuschend echt an. Sowie auch die panische Angst, die soeben rasend schnell durch seinen Körper fuhr. Wie ein Blitz, der die Finsternis verjagte und ihn kurz wieder sehen ließ. Doch das, was er erblickte, konnte er nicht begreifen. Es waren verschwommene Farben, Flächen, Linien. Sie ergaben ein Bild, doch keinen Sinn. Es war, als konnte sein Gehirn das Gesehene einfach nicht verarbeiten. Als wäre es grundsätzlich nicht im Stande dazu. Es machte ihn wahnsinnig. Er konnte sehen, dass etwas passierte, obwohl es eigentlich nur eine Empfindung zu sein schien. Ein nebliger Traum mit schwarzen Bildern. Nur ein Gefühl, in dem unzählige Zeitpunkte seines Lebens gebündelt waren. Obwohl alles verworren war, kristallisierte sich ein bestimmter Augenblick sehr deutlich hervor. Ein Moment, in dem tiefste Gefühle in Hitze zu explodieren schienen. Ein Feuer, welches ihm fremd und doch irgendwie vertraut war. Er spürte Kagegaku ganz nah bei sich. Seine Hände, seine Lippen. Sie berührten sich, ganz zart und überall. Sein Körper glühte wie im Fieber, als passierte es tatsächlich. Es war wundervoll und doch war da auch Trauer. Als wäre es ihr endgültiger Abschied, in Tränen und Zärtlichkeit. Die Unendlichkeit ihrer Gefühle, die keine Zukunft hatten. Warum er so negativ fühlte, während er diesen aufregenden Moment mit Kagegaku teilte, war ihm schleierhaft. Er wusste nur, dass ihn eine bekannte Furcht das Leben zur Hölle machte. Angst vor der Einsamkeit und dem Tod. Sie war soeben realer und stärker als je zuvor. Sie schnürte ihm die Luft ab, sie schlug schmerzhaft gegen seine Brust, während er den Schwarzhaarigen plötzlich leblos in seinen Armen liegen hatte. Seine steifgefrorenen Hände berührten das kalte Gesicht, welches von nassen Haaren bedeckt war. Er erzitterte vor Panik, während ihm immer kälter wurde. Gerade als er glaubte, dass alles nicht mehr ertragen zu können, erwachte er aus dieser höllischen Illusion. Er schwitzte und sein Herz raste. Geschockt blickte er dem Samurai ins Gesicht, der ihn ernst und doch sanft ansah, bevor ein „Aber ...“ automatisch die Lippen des Blonden verließ. Verwundert legte Hyde sofort die Finger auf seinen Lippen. Er hatte gesprochen, obwohl er es nicht gewollt hatte. Hatte er die Kontrolle über seinen eigenen Körper verloren? Was passierte mit ihm? Er glaubte immer noch, in seinem Traum zu stecken. Oder war der Traum Wirklichkeit geworden? Irgendetwas schien anders zu sein, als die vielen Male zuvor. Er spürte keine Grenze zwischen Illusion und Wahrheit mehr. Er hatte immer noch Angst, als würde man ihm ein scharfes Messer an die Kehle halten. Als wäre sein Leben akut bedroht. Und die Dunkelheit um ihn herum war ebenfalls nicht verschwunden. Hyde schüttelte heftig den Kopf. Er wollte diesen Schatten auf seinem Herzen loswerden. Doch egal, wie sehr er sich dagegen wehrte, es wollte nicht verschwinden. Es erdrückte ihn, es schmerzte. Verzweifelt versuchte er, die Qual zu unterdrücken, während der Stratege fragend in seine Augen sah. „Was ist los mit dir? Bist du doch verletzt?“, wollte dieser beunruhigt wissen, als sich der Blonde stöhnend an die Brust fasste. „Ich ... weiß es nicht“, antwortete Hyde erschöpft. Tatsächlich wusste er nicht, was mit ihm los war. So intensiv war es bisher nie gewesen. Die Angst wurde zur schmerzenden Folter und er war am Ende seiner Kräfte. Seine Lider waren schwer und die Augen brannten. Einfach alles tat ihm weh. Er wusste nicht einmal, ob er in der Lage war aufzustehen. Düster blickte er auf seine zitternde Hand, die Kagegaku plötzlich in seine nahm. Als dieser dann das schwarze Stoffband, welches sein langes schwarzes Haar im Nacken zusammenhielt, abzog und es sorgsam um die blutigen Schrammen seines linken Handgelenks wickelte, spürte Hyde, wie die Qualen langsam nachließen. Kagegakus Hände versorgten seine Verletzungen, doch in Wahrheit heilten sie auch sein inneres Leid. Und sie waren so unglaublich warm. Perplex verfolgte der Blonde jeden einzelnen Handgriff. Es war wie ein Wunder, welches ihn sprachlos machte. Aber vielleicht waren es einfach nur die sanften Berührungen ihrer Hände, die ihn ruhiger werden ließen. Vielleicht war es allein der Gedanke, dass Kagegaku lebte, dass er hier war, sich um ihn kümmerte und ihn beschützen wollte. „Es tut mir Leid. Ich hätte dich niemals gehen lassen dürfen. Das alles ist allein meine Schuld“, beteuerte der Samurai voller Reue, während er die verbundene Hand des Blonden nicht losließ. Hyde schwieg und schüttelte den Kopf, weil er dem Strategen nicht zustimmen konnte. Es war nicht sein Fehler. Nichts von alledem, was passiert war, war die Schuld des Schwarzhaarigen. Wenn es einen Schuldigen gab, dann ihn selbst, denn er sträubte sich engstirnig gegen diese Welt und ihre Sitten. Er war der Dumme, der Fehler gemacht hatte, nicht der Stratege. Er brachte Kagegaku ständig in Gefahr. Er war der Schwachpunkt, den der feindliche Bruder benutzte, um dem Oberhaupt der Nishiyama zu schaden. Auch wenn dessen Plan vorerst vereitelt war, garantierte das noch lange nicht ihre Sicherheit. Er spürte es. Es würde früher oder später wieder geschehen. Irgendetwas würde passieren. Etwas Schlimmeres, als er sich ausmalen konnte. Die Furcht, die er in seinem Traum vernommen hatte, war eine Warnung, die Gelegenheit, es abzuwenden. Wenn er sie nicht wahrnahm, dann würde er das bevorstehende Unglück nicht mehr aufhalten können. Und die Gefahr war tatsächlich real. Er hatte es am eigenen Leib spüren müssen. Es war keine normale Einbildung mehr gewesen, die er schnell wieder vergessen konnte. Die Angst war allgegenwärtig. Sie war immer noch da. Er sah sie, wenn er den Strategen anblickte, er fühlte es, wenn dieser ihn berührte. Als wolle eine höhere Macht auf keinen Fall, dass er es jemals vergaß. Aber was sollte er tun? Er konnte nicht vor Kagegaku fliehen. Er konnte nicht weglaufen. Der Stratege hatte bewiesen, dass er ihn überall suchen würde. Egal wie weit er lief, Kagegaku würde ihn einholen. Egal wo er sich versteckte, er würde ihn finden. Nicht einmal mehr abweisen könnte er den Schwarzhaarigen. Blieb er bei ihm, würden es so passieren wie in seinem Traum. Er würde es nicht ändern können, weil er nicht wusste, wie dagegen ankämpfen sollte. Noch nie hatte er etwas an seinem Schicksal ändern können. Alles war bisher genauso passiert, wie er es geträumt hatte. Wahrscheinlich waren es auch nie Träume gewesen. Vielleicht waren es seine inneren Wünsche, die er selbst wahr machte. Vielleicht waren es wirklich Erinnerungen, die er vergessen hatte. Erinnerungen, die sich während seiner Zeitreise hierher verirrt hatten und nun zu seinen Wünschen wurden. Aber er wollte sie nicht. Er wollte nicht, dass es wahr wurde und er daran litt. Er wollte mit Kagegaku zusammen sein, sein Leben mit ihm verbringen und nie wieder an etwas anderes denken. Doch das ging nicht. Selbst wenn er all seine Erinnerungen ignorierte, konnte er davor nicht weglaufen. Denn sie waren Teil seines Schicksals. Sie zwangen ihn dazu, Dinge zu tun, die er nicht wollte. Er musste es akzeptieren. Doch immer wenn er dem Schwarzhaarige in das Gesicht blickte, verließ ihn der Mut und er wünschte sich einfach nur, den Strategen in seine Arme zu schließen. Doch stattdessen konnte er ihn nur ratlos ansehen. Die gesenkten Wimpern des Samurai warfen zarte Schatten auf die helle Haut unter seinen Augen. Sie blickten reumütig, was Hyde hilfloser machte. Und als dieser ihn plötzlich wieder ansah und mit seinen Fingern seine Wangen berührten, spürte der Blonde wie ihm heiße Tränen in die Augen stiegen. Er wusste keinen Ausweg, er fühlte sich verlorener denn je. Er musste sich schwer eingestehen, dass es nicht nur die Prinzessin war, die sie auseinandergezerrt hatte. In Wahrheit waren sie wahrscheinlich nicht einmal füreinander bestimmt. Wie sollte dies auch möglich sein? Wie sollten zwei Seelen, die in verschiedene Zeiten gehörten, miteinander verbunden sein? Warum konnte er nicht an dieses Wunder glauben? Es funktionierte einfach nicht. Dies war kein Märchen, in dem die Liebe über alles siegte. So simpel war die Realität nicht. Sie standen inmitten eines Schlachtfeldes. Von allen Seiten drohten tödliche Gefahren. Und immer wenn sie sich erleichtert in die Augen sahen, erlitten sie Verletzungen. Wenn sie nicht aufpassten, würde einer von ihnen sterben. Genau das war die schreckliche Wahrheit, nichts anderes. Vielleicht würden sie nie zusammen sein können. Nicht hier, nicht in dieser Zeit. Doch im Herzen wünschte er sich nichts sehnlicher. Er wollte Kagegaku nicht aufgeben, nicht nachdem er endlich erfahren hatte, dass sie die selben Gefühle teilten. „Bitte sag mir doch, warum du so abweisend zu mir bist“, flüsterte der Schwarzhaarige, als dieser Hydes Abwesenheit bemerkte. Der Blonde blickte ihn sofort wieder an und war bestürzt von dem bedrückenden Elend, welches er in Kagegakus Augen lesen konnte. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Er wusste nicht, was ihn davon abhielt Kagegakus Gefühle anzunehmen und zu erwidern. Theoretisch gab es keinen Grund zu schweigen, doch praktisch sah alles völlig anders aus. „Warum?“, murmelte der Stratege verzweifelt. Hyde schüttelte stumm den Kopf, während er seine Tränen nun nicht mehr zurückhalten konnte. Sie kullerten haltlos über seine Wangen und tropften auf den Kragen seines Kimonos. Er kam sich schrecklich undankbar vor. Der Stratege war gekommen, um ihn zu retten, und alles, was er als Dank entgegen bringen konnte, war Abweisung. Er hatte sich seine Fehler eingestanden und doch konnte er immer noch nicht er selbst sein und Kagegaku die Wahrheit sagen. Er konnte nicht aufhören, sich neue Steine in den Weg zu legen. Es ging nicht anders, denn seine Angst vor dem was noch kommen mochte war zu groß. Er wusste, dass seine Zukunft eine einsame war und dass er für Kagegaku eine Gefahr darstellte. Deswegen konnte er ihm seine Gefühle nicht beichten. Wahrscheinlich würde er es nie tun können. Kagegakus warme Hände, die seine von Tränen feuchte Haut streichelte waren wie ein Segen, doch zurückgeben konnte er einfach nichts. Die unsichtbare Mauer aus Angst schreckte ihn ab. „Ich liebe dich. Ich verlange nicht von dir, dass du meine Gefühle erwiderst. Ich möchte einfach nur, dass du bei mir bist“, murmelte der Stratege, bevor er nassgeschwitzte Strähnen aus dem Gesicht des Blonden strich. Hyde schluckte schwer, als er feststellte, wie bescheiden der Wunsch des Schwarzhaarigen im Gegensatz zu seinem war. Selbstsüchtig verlangte er nach Liebe, die nur ihm gehörte, während Kagegakus nicht einmal erwartete geliebt zu werden. Wie lange hatte er gelitten, weil er geglaubt hatte, Kagegaku würde Gefühle für die Prinzessin hegen, statt für ihn. Wie oft hatte er den Schwarzhaarigen zurückgewiesen, weil er sich nicht mit dem polygamen Liebesleben eines Samurai abfinden konnte? Wie viel Zeit hatte er mit seinen dummen Gedanken verschwendet? Wie viele Glücksmomente hatte er verloren oder kaltherzig weggeworfen? Er fühlte sich gierig, klein und ärmlich unter den dunklen Augen des Samurai, weswegen er sich diesem Blick abwandte. Doch der Stratege ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Er wollte endlich all seine Gefühle aussprechen, alles sagen, was er bisher versäumt hatte, auch wenn der Zeitpunkt dafür alles andere als günstig war. Während es zu dämmern begann und das Gesicht des Schwarzhaarigen in helleres Blau tauchte flüsterte dieser leise „Für immer ...“ Hyde jedoch griff nach der Hand des Strategen und drückte sie von sich. „Das kann ich nicht“, antwortete er mit brüchiger Stimme. Kagegaku war genau anzusehen, dass er verletzt war, trotzdem nickte er nur darauf und zwang sich ein gespieltes Lächeln ab. Hyde kam sich unglaubwürdig vor, wie er unter Tränen die aufrichtigen Gefühle des Strategen abzublocken versuchte. Obwohl er bis vor wenigen Minuten noch so sehr auf diese Worte gehofft hatte und sogar geglaubt hatte, sein Leben hätte sich verändert, war alles genauso geblieben wie vorher. Er hatte sich schrecklich geirrt. Er war nicht hierher gekommen, um Kagegaku zu beschützen, sondern um ihn ins Verderben zu stürzen. Das hatte er endlich begriffen. Er hatte es gesehen und gespürt. Es gab überhaupt keine Zweifel mehr. An seinen Händen klebte der Tod. Er konnte es regelrecht riechen. Kagegaku wandte seinen Blick von Hyde ab und starrte stattdessen auf das taufeuchte Gras. Es herrschte eine minutenlange Stille, die dem Blonden unangenehm war. Er wollte aufstehen, doch als der Stratege plötzlich wieder zu sprechen begann, hielt er inne. „Dann ... gestatte mir wenigstens ... dich in Sicherheit zu bringen.“ Die letzten Worte waren nur noch ein leises Flüstern, welches Hyde mitten in sein gebeuteltes Herz traf. Es fiel ihm schwer dieses Gefühl zu verbergen. Er konnte dem Schwarzhaarigen nicht mehr in die Augen sehen. Er konnte es nicht ertragen, wie sich seine ekelhafte Gestalt in Kagegakus Pupillen spiegelte. Die Schuld, die auf seinen Schultern lastete, und die Angst vor sich selbst waren einfach zu schwer. Er drehte sich zur Seite und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die immer wieder über seine Wangen flossen, während er einfach nur nickte. Die ersten Vögel begannen zu zwitschern und verkündeten einen neuen Tag. Ansonsten war es totenstill. Es war bedrückend, schlimmer als die Qual, die ihn daran hinderte, irgendetwas zu sagen. Es tat ihm weh, Kagegaku leiden zu sehen. Er liebte ihn. Er wäre für ihn gestorben, weil er wusste, dass es dem Strategen ohne ihn besser ergehen würde. Er glaubte nicht daran, dass er in der Lage war, sich jemals den strengen Regeln dieser Zeit beugen zu können, genauso wie er es für unmöglich hielt, dass er in sein Tokio zurückreisen könnte. Der einzige Weg, der ihm geblieben war, schien nur noch das Ende seines Lebens zu sein. Doch da Kagegaku dasselbe für ihn empfand, würde dieser niemals zulassen wollen, dass der Blonde sein Leid freiwillig beendete. Er war nun ein Gefangener von seinen und Kagegakus Gefühlen. Ohne Ausweg. Hätte der Stratege ihn doch nie gerettet, hätte er sich doch nie in ihn verliebt. Es war seine eigene Schuld. Der Kuss an jenem Winterabend, hätte niemals passieren dürfen. Er hätte gern gewusst, wie er sich beim Strategen entschuldigen könnte, doch sein Kopf war leer. Dass der Schwarzhaarige keinen Ton mehr sagte, verwirrte ihn, doch er wollte auch keinen Blick mehr in dessen Gesicht riskieren. Er schämte sich zu sehr. Er schämte sich, überhaupt hier zu sein. Es ging einfach nicht weiter. Sie befanden sich in einer Sackgasse und keiner der Beiden wusste, wie es zurück ging. „Ich ...“ Verunsichert zupfte Hyde am schwarzen Stoffband, welches um sein linkes Handgelenk gewickelt war, während er das näherkommende Geräusch von Hufen hörte. Er zuckte zusammen, als Kagegaku ihn plötzlich beschützend in seine Arme nahm und „Still!“ flüsterte. Damit sie unentdeckt blieben, drückte ihn der Samurai flach zu Boden, während die freie Hand kampfbereit zu seinem Katana fuhr. Obwohl Hyde sich in Kagegakus Nähe sicher fühlte, klammerte er sich wie ein ängstliches Kind an die Brust des Strategen und versuchte angestrengt, seine stoßende Atmung zu kontrollieren. Seine Finger gruben sich verkrampft in den schwarzen Kimono des Kriegers, während ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Doch obwohl ihre Situation nicht die beste war, wünschte sich der Blonde nichts sehnlicher, als dass die Zeit in genau jenem Moment stehenbliebe. Er hatte Angst und trotzdem fühlte er sich geborgen. Bliebe alles genau so wie es gerade war, konnte ihnen nichts mehr geschehen. Und das wünschte er sich mehr als alles andere auf dieser Welt. Während er selbstsüchtig dachte, dass er ewig so in Kagegakus Armen liegen könnte, drückte ihn der Samurai fester an sich. Er konnte das rasende Herz hören, welches von der eigenen Aufregung zeugte. Und Hyde realisierte mit einem Mal, dass selbst Kagegaku, ein mutiger Krieger, der bereits unbeschreibliche Grausamkeit gesehen hatte, Furcht zu haben schien. Doch konnte sie sich wirklich mit seiner Panik, dessen Ursprung er nicht einmal kannte, messen? Entmutigt schloss Hyde seine Augen, bevor der Stratege ihn auf einmal losließ. „Fukushima“, kam es erleichtert über die Lippen des Schwarzhaarigen, als dieser seinen Freund erkannt hatte. Der Berater war in Begleitung Yukitakas, den Kagegaku nach Kasugayama geschickt hatte, bevor er die Verfolgung des Reiters und seinem Gefangenen aufgenommen hatte. Sofort stieg Fukushima von seinem Pferd und eilte den Hügel zu seinem Herrn hinab. Aufgeregt fiel er auf die Knie, den Kopf senkte er so tief, dass seine Stirn den Boden berührte. „Ich habe versagt“, gab er reumütig zu, „eine Entschuldigung kann meine ungeheuerlichen Taten nicht ungeschehen machen.“ „Erkläre mir, was passiert ist“, bat Kagegaku, nachdem er aufgestanden war. Natürlich fühlte er Enttäuschung, wenn er den treuen Freund ansah, doch er wusste auch, dass es einen Grund für dessen Versagen geben musste. Fukushima war sein bester Mann. Was ihm nicht gelang, schaffte schlichtweg niemand. „Ich war unachtsam. Hidetori wurde aus seiner Zelle befreit, während ich versuchte, der Wahrheit hinter dem Mordversuch, auf den Grund zu gehen. Ich hätte es ahnen müssen“, beteuerte Kagegakus Berater. „Sucht man auf Kasugayama nach Hidetori?“, wollte der Stratege wissen. Fukushima schüttelte den Kopf. „Kurz nachdem Hidetori verschwunden war, berichtete Kagemura davon, dass die Wachen von schwarzmaskierten Kämpfern überfallen und der Gefangene befreit wurde. Es sollen Nobunagas Männer gewesen sein.“ Skeptisch blickte das Oberhaupt auf den Blonden nieder. Obwohl Hidetori ihm bereits vor seiner Abreise die ausgesprochen irrsinnige Geschichte von Nobunaga erzählt hatte, glaubte er immer noch nicht daran, dass sie wahr war. Dass der Blonde Verbindungen zum Feind besaß, war für ihn nach wie vor ausgeschlossen. „Weißt du, wer es war?“, fragte er Hyde, obwohl er sich natürlich gut denken konnte, wer hinter alldem steckte. Dem Blick des Strategen ausweichend, erklärte der Blonde mit leiser Stimme, was ihm widerfahren war. „Euer Bruder schlug mich ... bewusstlos. Kurz darauf bin ich auf dem Pferd aufgewacht. Alles was ich noch mitbekam ... war wie Kagemura sagte, dass mich niemand sehen soll.“ „Er wollte Euch ködern“, stellte Fukushima murmelnd fest, als er aufsah und seinen Herrn anblickte. „Er will mich in die Knie zwingen und dafür benutzt er den Menschen, der mir das Kostbarste ist.“ Im Augenwinkel registrierte Hyde Fukushimas zustimmendes Nicken, während ihm bei Kagegakus geständigen Worten immer unwohler zumute wurde. Er fühlte sich nicht würdig, vom Schwarzhaarigen als kostbar bezeichnet zu werden. Schließlich war er es doch, der dem Strategen Unheil brachte und letztendlich wohl auch in der Lage war, ihn zu töten. Brachte Kagegaku ihn tatsächlich in Sicherheit, war dies der Vertrauensbruch mit seinem Daimyo. Der Stratege war verloren, käme dies Kenshin irgendwann zu Ohren. Er riskierte alles, nur um das sowieso schon unwichtige Leben eines Mannes zu retten, der noch nicht einmal in diese Welt gehörte. Wie würde der Blonde mit dieser Schuld leben können? Wie würde er Kagegaku dann noch in die Augen sehen können? „Hidetori, hör mir gut zu“, bat der Stratege ernst, während er den Blonden an den Schultern packte und sein Gesicht so tief senkte, bis er Hyde in die Augen sehen konnte. „Ich werde jetzt nach Kasugayama reiten, um dort eine falsche Fährte zu legen. Fukushima und Yukitaka werden dich in Sicherheit bringen.“ „Kagemura hat bereits selbst eine falsche Spur gelegt“, wollte Fukushima hinweisen, doch der Stratege schüttelte den Kopf. „Mein Bruder wird sich eine neue Geschichte einfallen lassen, wenn er erfährt, dass ihm Hidetori entwischt ist. Ich muss ihm zuvorkommen.“ Der Berater stimmte Kagegakus Plan mit einem Nicken zu, während der Stratege dem Blonden vorsichtig auf die Beine half. Er zog ihn zu sich nach oben und nahm ihn in seine Arme. Hyde reagierte mit einem ablehnenden Murren, welches der Samurai bewusst ignorierte. Er trug Hidetori den Hügel hinauf und setzte ihn auf Fukushimas Pferd, bevor er sich noch einmal an seinen Freund wandte. „Fukushima, bring ihn nach Tokura. Ihr wartet dort auf mich.“ Der Angesprochene nickte. Er war sich seiner Pflicht bewusst. Und auch, dass er dieses Mal nicht versagen durfte. Eher würde er sich den Bauch aufschlitzen, als Hidetori noch einmal einer Gefahr auszusetzen. Sein Ziel klar vor Augen stieg Fukushima vor Hyde auf das Pferd und nahm die Zügel in seine Hände. Währenddessen starrte der Blonde verunsichert auf den Strategen hinab, und traf sofort auf seinen besorgten Blick. In seiner Hand hielt der Stratege ein graues Tuch, welches er Hyde mit einem „Hier“ entgegenstreckte. „Binde es um deinen Kopf und zeige niemandem dein Haar“, meinte Kagegaku, der befürchtete, dass Hidetori mit seiner außergewöhnliche Haarfarbe über die Provinzgrenzen bekannt war. Auch, dass er als Feind geflohen war, sollte sich bereits weitergetragen haben. Der Blonde nickte zurückhaltend und antwortete mit einem gemurmelten „Ja“, bevor er sein blondes Haar unter dem Leinentuch verbarg. „Und das hier solltest du auch an dich nehmen“, kam es zögerlich von Kagegaku, während er Hyde seinen Dolch in die Hand legte. Nervös blickte der Blonde in die Augen des Samurais. Er schüttelte den Kopf und schob die Waffe verunsichert zurück in die Hände des Strategen. „Nur für alle Fälle“, meinte Kagegaku nachdrücklich, dessen ehrlich Sorge in seiner Stimme herauszuhören war. Mit einem beklommenen Gefühl nahm Hyde schließlich die Waffe zaghaft an sich. Er tat es, um dem Strategen die Unruhe, die er deutlich spüren konnte und die ihn selbst fast verrückt machte, zu nehmen. Ob er sie jedoch einsetzen könnte und würde – und sei es auch nur zur Verteidigung – wusste er nicht. Er schob den Dolch zwischen Kimono und Obi, während seine Augen wie gefesselt an Kagegakus hingen. Er fühlte sich schuldig und schwach, weil er dem Strategen nicht einmal zum Abschied etwas sagen konnte. Obwohl ihm tausend Worte durch den Kopf schwirrten, konnte er einfach nichts sagen. Keine Silbe kam über seine Lippen, nur der starre Blick, den der Samurai besorgt erwiderte. „Du darfst niemandem sagen wer du bist. Wirklich niemandem“, legte Kagegaku dem Blonden nahe. Als er dies sagte, glaubte Hyde, sich plötzlich während ihres endgültigen Lebewohls wiederzufinden. Er spürte eine unerklärliche Distanz. Eine weite Ferne, die vor ihnen lag. Sie erinnerte ihn an die Einsamkeit, die er während all seiner seltsamen Illusionen gefühlt hatte. Es war erdrückend. Als würde der Stratege vor seinen Augen verschwinden, zu Nebel werden, einer Erinnerung, die er sich im Herzen bewahren musste. Würden sie sich wiedersehen können? Trennten sich nun endgültig ihre Wege? Aber wie konnte das sein? Was hatte dann sein seltsamer Traum zu bedeuten? Er war doch so real gewesen. Er hatte doch Kagegakus Lippen gespürt und wie dessen Hände durch sein Haar gefahren waren. Würde diese Erinnerung nun doch nicht wahr werden? Er war hin- und hergerissen von seinen Gefühlen, die er hinausschreien wollte, und seiner Vernunft, die ihn genau davon abhielt, während er aus einem sonderbaren Impuls heraus den Namen des Strategen flüsterte. Es war so leise, dass er es selbst kaum verstanden hatte, doch der Schwarzhaarige schien das Unmögliche vernommen zu haben. Er weitete perplex die Augen, die sofort hoffnungsvoll schimmerten. Hyde bedauerte seine unbedachte Handlung, denn noch nie hatte er Kagegaku mit seinem Namen angesprochen. Für den Samurai hatte es eine Bedeutung. Dieselbe wie für den Blonden und doch war sie beiden nur ein Hindernis. Denn das Gefühl, dass es für sie keine Zukunft gab, wurde stärker und stärker. Konnte der Stratege es auch spüren, hatte er seine Gedanken gehört, es von seinen Augen abgelesen? Merkwürdig wandte Kagegaku seinen Blick vom Blonden. „Wenn ich zurück bin, überlege ich, wie es weitergeht“, meinte er mit einer eigenartig düsteren Stimme, die Hyde buchstäblich das Herz zerriss. Er wusste nicht warum, aber er hatte sich, so kindisch wie er war, andere Worte gewünscht. Worte, an die er sich selbst während der schlimmsten Stunden immer erinnern konnte. Worte, die über Jahre hinweg Mut schenken und ihm die Einsamkeit nehmen würden. Er brauchte sie, denn es waren wohl die letzten Worte, die er von Kagegaku bekommen würde. Das letzte Mal, dass er seine Stimme hörte. Er musste stark sein, doch der Gedanke an ihren wiederholten eisigen Abschied, war bitter. Das letzte Mal hatte er es bereits bereut und nun machte er genau denselben Fehler. Und dieses Mal wusste er sogar, dass sie sich wahrscheinlich nie wiedersehen würden. Trotzdem kam ihm nicht in den Sinn, was er sagen konnte. Jedes Wort, welches seine Lippen verlassen würde, hätte seine Absicht verraten. Kagegaku hätte es sicher sofort bemerkt. Also schwieg er lieber, denn damit befand er sich auf der sicheren Seite. „Halt dich fest“, kam es ernst von Fukushima und Hyde tat sofort, was ihm gesagt wurde. Er schlang seine Arme um den Bauch des Beraters und ehe er sich versah, wurde ihre Trennung Realität. Fukushima trieb das Pferd voran, es galoppierte los. Nur kurz blickte Hyde zurück, bevor er seine Augen schloss und sein Gesicht an den Rücken des Beraters drückte. Ihm entwich ein verzweifeltes Schluchzen. Noch nie war der Schmerz so stark gewesen, noch nie hatte er sich so elend gefühlt. Alles, was bisher passiert war, schien nichts im Vergleich zu dieser unendlichen Leere, die ihn aufzufressen drohte. Die Hölle, die er gesehen hatte, war nun kein Traum mehr. ---------------------------------------- Das war ein kleines depressives Kapitel für euch, an Gakus Geburtstag. Tolles Timing. >_> Leute, ich kann echt nichts dafür, dass Hyde so drauf ist. Ich kann mich nur wieder für ihn entschuldigen. Aber der Arme hats doch wirklich nicht leicht. ó.ò Also ich würde wirklich nur noch heulend in der Ecke sitzen *lach* Naja egal … Wir lesen uns bald wieder. Bye Kapitel 12: Flucht ------------------ 12. Kapitel: Flucht [Leblose Kälte, in einsamer Ewigkeit Bittere Tränen] ---------------------------------------- Mit angespannter Miene verließ Kagegaku die Eingangsveranda und trat in den Hof, in dem sein Pferd "Schwarzer Lotus" mit Wasser und Futter versorgt wurde. Auf Kasugayama herrschte große Aufregung. Alle sprachen nur noch über den versuchten Mord an Kenshin und über die Flucht des Spions. Unverständliche und teils auch hasserfüllte Blicke trafen den Strategen, seit er auf der Hauptburg eingetroffen war. Für viele hatte das Nishiyamaoberhaupt tiefste Schwäche gezeigt, indem er auf den blonden Fremden reingefallen war und diesem blind vertraut hatte. Einige hochrangige Männer gingen sogar soweit, den Strategen selbst des Verrats anzuklagen. Sie glaubten der Geschichte nicht, die ihnen Hidetori aufgetischt hatte. Sie waren davon überzeugt, dass im Erben der Nishiyama der eigentliche Verräter steckte. Kagegaku zweifelte nicht im geringsten daran, dass sein eigener Bruder der Herd dieses Misstrauens war. Er hatte sie aufgehetzt, einen nach dem anderen, damit er beim Daimyo an Gunst verlieren würde. Was Kagemura bisher jedoch kaum gelungen war. Kenshin vertraute seinem Strategen nach wie vor, was vor allem an seinem schnellen Auftauchen und seiner sofortigen Entschuldigung lag. Nichtsdestotrotz wurden dem Oberhaupt unzählige Fragen gestellt, auf die er mit ebenso unzähligen Lügen antworten musste. Das schlechte Gewissen plagte den Strategen bis aufs Blut und doch wusste er, dass er das Richtige getan hatte. Es war notwendig gewesen, um den Blonden zu schützen und ihm ein neues Leben zu schenken. Ein Leben, welches nun nicht mehr den Namen Hidetori Toshiba trug. Erleichtert über den durchaus positiven Ausgang seiner Audienz mit dem Lord von Echigo, streichelte Kagegaku sein Pferd, während er darüber nachdachte, wie es nun weiter gehen sollte. Er musste den Blonden verstecken. Irgendwo, wo ihn niemand suchen würde. Irgendwo, wo Hidetori in Frieden leben konnte, ohne Angst haben zu müssen, gefunden zu werden. Irgendwo, wo selbst ein Samurai das Leben genießen konnte und nie wieder an Krieg denken musste. Einen solchen Ort suchte er, damit er mit dem Blonden ein völlig neues Leben beginnen konnte. Fernab seiner Verpflichtung als Erbe der Nishiyamafamilie, abseits seines gewohnten Daseins inmitten von Blutvergießen und Tod. Mehr denn je war er dazu bereit, alles für Hidetori aufzugeben, sein ganzes Leben komplett zu verändern, sein Schwert abzulegen und als Bauer auf dem Feld zu arbeiten. Selbst wenn der Blonde kein Fünkchen Liebe für ihn empfand, würde er es tun. Denn Hidetoris Sicherheit war dem Strategen das Allerwichtigste. Um ihn mit den eigenen Händen beschützen zu können, musste er diesen Schritt gehen und alles, was bisher Inhalt seines Lebens gewesen war, hinter sich lassen. Mittlerweile fiel ihm diese Entscheidung auch kaum noch schwer. Das Erbe seines Vaters anzutreten war eine Pflicht gewesen und nie sein innerster Wunsch. Es bedeutete ihm überhaupt nichts. Heute gar noch weniger als gestern . Sein wirkliches Schicksal sah völlig anders aus. Es war geheimnisvoll, stur und hatte Haar aus Gold. Wenn er daran dachte, wie wundervoll es sich auf seiner Haut anfühlte, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Dieses Gefühl wollte er nie wieder gegen die Trauer, die er fühlte wenn sich Flüsse rot färbten, oder blühende Felder mit Leichen bedeckten, tauschen. Selbst sein verhasster Bruder würde daran nichts ändern können. Keine Intrige der Welt könnte ihm den blonden Vasall rauben. Denn schon seit ihrem ersten Kuss, als tanzende Schneeflocken sie umgeben hatten, gehörte Hidetori nur noch ihm ganz allein. Und er gab ihn nicht mehr her. Selbst wenn die ganze Welt unter seinem Egoismus untergehen würde, war er entschlossen, rücksichtslos seinen Willen durchzusetzen. Zuversichtlich klopfte Kagegaku seinem Pferd leicht gegen den Hals, als er plötzlich in die warmen Augen seines Bruders blickte. Er stand neben dem pechschwarzen Tier und hielt dessen Zügel in seinen Händen. Das breite Grinsen, welches sein Gesicht zierte, strotze vor Provokation. „Na, was hast du Kenshin erzählt?“, bohrte Kagemura sofort nach, als sich ihre Blicke trafen. Skeptisch vernahm Kagegaku den spöttischen Unterton, welcher ihm signalisierte, dass das Interesse an einer Antwort nicht bestand. Stattdessen schien der Bruder seinen Auftritt regelrecht zu genießen. Er lachte plötzlich laut los und klopfte dem Pferd des Strategen auf das Hinterteil, bevor er selbst die Antwort auf seine Frage lieferte. „Dass es dir Leid tut, einem Spion Unterschlupf gegeben zu haben? Dass du sofort losgeritten bist, als du davon erfahren hast und auch erschüttert darüber bist, dass er geflohen ist, ohne die gerechte Strafe erhalten zu haben?“ Übertrieben mitleidig starrte der jüngere Bruder in die Augen des Strategen, der vor Wut kochte. „Und damit Kenshin die Sache ruhen lässt, hast du sicher auch erwähnt, dass du dem Flüchtigen auf dem Weg hierher begegnet bist, oder?“ Misstrauisch runzelte Kagegaku die Stirn. Wollte Kagemura ihn nur reizen, oder wusste er bereits, dass die Entführung misslungen war? Was jedoch kaum möglich sein konnte. Er war so schnell geritten, wie es nur irgendwie ging, und auf dem Weg hierher war ihm keine Menschenseele begegnet. Wie sollte sein Bruder jetzt schon davon erfahren haben? Das ekelhafte Grinsen auf Kagemuras Lippen ließ trotz des Misstrauens, welches Kagegaku im Moment fühlte, darauf schließen, dass sich der Jüngere immer noch auf der Siegerseite glaubte. Der Zorn strömte dem Strategen durch den ganzen Körper, wenn er in das Gesicht seines Bruders sah und darüber nachdachte, in welch eine Lage er Hidetori gebracht hatte. Er wäre froh gewesen, hätten sich ihre Wege heute nicht gekreuzt, denn die Gefahr, dass er beim bloßen Anblick dieser Person ausrasten könnte, war unberechenbar. Und Fukushima, der ihn sonst immer ruhig in die Schranken wies, war heute nicht an seiner Seite. Es kribbelte ihn derart in den Fingern, dass sie schon zu zucken begannen. Doch davon ahnte Kagemura nichts. Er grinste arrogant und fuhr dem Pferd durch die lange schwarze Mähne. „Was hast du ihm erzählt? Dass du den Spion umgebracht hast? Oder ist dir die kleine Kröte etwa auch entwischt?“ Er reizte ihn absichtlich, das wusste Kagegaku, und trotzdem konnte er sich nicht zurückhalten. In seiner Brust staute sich all sein Hass zusammen. Es drückte so sehr, dass er trotz des Versuches, ruhig zu bleiben, die Beherrschung verlor. Er packte den Bruder am Kragen des Kimonos und drückte ihn unsanft gegen die hölzerne Mauer hinter ihm. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte, du sollst deine dreckigen Hände von Hidetori lassen“, knurrte er zornig hinter zusammengepressten Zähnen. Kagemura lächelte unbeeindruckt. „Das hast du und ich habe mich daran gehalten. Ich habe ihn nie angerührt. Und ehrlich gesagt, spüre ich kein Verlangen danach, etwas anzufassen, was bereits von dir verschmutzt wurde.“ Jedes einzelne Wort war dem Strategen eine Beleidigung. Allein seine Stimme zu hören, ekelte ihn so sehr an, dass er auch das letzte bisschen Kontrolle über sich selbst verlor. Ruckartig riss Kagegaku seinen Bruder herum und stieß ihn zu Boden. Doch selbst das beeindruckte Kagemura nicht. Er lachte lauthals, während er sich selbst wieder nach oben zog. „Für solche Spielchen sind wir doch schon etwas zu alt, oder?“, meinte der Bruder und klopfte sich den Staub vom teuren Seidenkimono. Ein unachtsamer Moment, den der Stratege in seinem Zorn ausnutzte. Er schlug Kagemura mit der bloßen Faust so fest ins Gesicht, dass dieser taumelnd zurück an die Holzwand stolperte. Fassungslos fuhr sich der Bruder über die sofort blutende Unterlippe, während er weiterhin krampfhaft versuchte, spöttisch zu grinsen. Was Kagegaku weiter provozierte. Sein Blut kochte. Er vergaß all seine Vernunft und ertappte sich dabei, wie er darüber nachdachte, seinen eigenen Bruder umzubringen. Er kannte keine Skrupel mehr, sondern nur noch den Hass auf diese blutsverwandte Person, die voller Abscheu versuchte, sein Leben zu ruinieren. Kagemuras Grinsen hatte ihn schon immer zu unbedachten Handlungen getrieben. Er wusste, dass der jüngere Bruder es nur einsetzte, um ihn zu reizen, damit er unwiderrufliche Fehler beging. Fehler, die ihn das Leben kosten oder andere mit in den Untergang stürzen könnten. Und obwohl er all dies wusste, konnte Kagegaku seine brodelnden Gefühle nicht unterdrücken. Er trug sie offen zur Schau, woran sich Kagemura sichtlich erfreute. „Der Kleine scheint als Liebhaber ja wirklich was zu taugen. So heißblütig erlebt man dich nur, wenn es um deinen strohhaarigen Günstling geht“, kam es provokant vom Jüngeren, als dieser das Zittern in den Händen seines älteren Bruders entdeckte. „Ich werde nicht zulassen, dass du jemals wieder in seine Nähe kommst“, entgegnete der Stratege zornig. Kagemura blickte zu ihm auf und tat überrascht. „Ah, verstehe. Du hast ihn also gefunden. Ich dachte mir schon, dass du den Kleinen nicht einfach kampflos hergibst.“ „So ist es. Und sei dir gewiss, dass ich dir auch den Kopf abgeschlagen hätte, wäre Hidetori etwas passiert.“ Das gefährliche Funkeln in den dunklen Augen des Strategen unterstrich diese indirekte Drohung. Und obwohl Kagemura wusste, dass sein Bruder es ernst meinte, konterte er darauf nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken. Kagegaku, der den Jüngeren dann aufgebracht am rechten Oberarm packte, mahnte mit seinem Blick, bevor er mit fester Stimme die Zwecklosigkeit einer weiteren Intrige erklärte. „Hidetori ist fort. Dank deiner Geschichte wird er in Echigo nicht gesucht. Du hast nichts mehr gegen mich in der Hand. Du kannst Kenshin nicht mehr gegen mich aufzuhetzen.“ Von sich überzeugt schüttelte Kagemura grinsend den Kopf. „Um dich bluten zu sehen, brauche ich Kenshins Hilfe nicht. Ich habe deinen geliebten Hidetori immer im Auge. Ich finde ihn überall, egal wo du ihn versteckst“, sagte er und sah ernst aus, fast schon fanatisch. Seine Augenbrauen zuckten, während er sich aus Kagegakus festem Griff riss. Dann herrschte eine seltsam kurze Stille, bevor der verfeindete Bruder erneut das Wort erhob. „Falls du überhaupt dazu kommst ihn zu verstecken“, deutete er an und ergötzte sich an dem Anblick des geschockten Strategen, der sofort realisierte, was Kagemura damit meinte. Das siegessichere Grinsen auf den Lippen des jüngeren Bruders ließ Kagegaku erschaudern. Er schwitze und zitterte zugleich, als ihm mit einem Mal klar wurde, dass er in eine Falle gelaufen war. „Der Reiter war nicht allein“, stellte der Stratege mit bebender Stimme fest. Und Kagemura nickte. „Du weißt doch, dass ich immer auf Nummer sicher gehe.“ Angewidert von den sanften Augen des Bruders, hinter denen in Wahrheit nur noch Hass und Habgier steckten, wandte sich der Ältere ab und fuhr sich panisch durch das immer noch zerzauste Haar. Er hätte es besser wissen müssen. Diese klein angelegte Entführung war doch viel zu untypisch für seinen Bruder gewesen. Ein einzelner Mann, der eine wichtige Geisel fortschaffen sollte ...? Ein absurder Plan, der so nie funktioniert hätte. Und doch war es ihm nicht aufgefallen. Vor Glück, den Blonden wieder in seinen Armen liegen zu haben, war er vollkommen blind gewesen. Genau so, wie Kagemura es erwartet und geplant hatte. Er war naiv darauf reingefallen. Und nun wurde er mit diesem unerträglichen Grinsen dafür bestraft, worauf er mit einem Zittern, welches er nur mit Mühe verbergen konnte, reagierte. „Ehrlich gesagt, …“, begann Kagemura, während er provokant vor seinem älteren Halbbruder auf und ab ging, "Ja, ehrlich gesagt, habe ich mir noch keine genauen Gedanken darüber gemacht, was ich mit deinem Liebling anstellen werde.“ Mit gespielter Nachdenklichkeit fuhr sich der Vertraute des Daimyos über das Kinn, bevor er wahres Entsetzen in den Augen des Strategen wahrnehmen konnte. Was ihm reine Genugtuung war. „Vielleicht verkaufe ich ihn an jemanden, der an so etwas Exotischem interessiert ist. Sklavenhändler wären ihm sicherlich auch nicht abgeneigt. Oder ich sperre ihn einfach irgendwo ein und lass ihn elendig verhungern. Die Wahl liegt zwischen Qual, langsamem Tod, und ewiger Demütigung. Was wäre dir lieber?“ Als Kagegaku das wahre Ausmaß der fehlenden Menschlichkeit seines Bruders erkannte, spürte er einen harten Stich in seiner Brust. Warum entsetzte es ihn so sehr, nachdem er doch bereits über 20 Jahre lang mit dieser Kaltherzigkeit gelebt hatte? Warum konnte er sich nicht damit abfinden, dass ein Mensch, in dem das gleiche Blut floss, ein solches Scheusal sein konnte? Warum war er nicht in der Lage, seinen Hass freizulassen und diesen Menschen zu töten? Was hinderte ihn daran? Sein eigenes Gewissen, sein Mitleid? In Gedanken war er schon so oft der Mörder seines Bruders gewesen und nun war es vor allem Ekel, was er empfand. Mit schüttelndem Kopf trat er an Kagemura heran und blickte ihm zornig in die Augen, bevor sein unendlicher Groll wieder aus ihm herausbrach und er den Jüngeren anschrie. „Was willst du von mir? Das Erbe unseres Vaters? Mein Land, die Familie, meinen Posten? Bitte! Nimm es dir doch! Nimm dir alles! Für mich hat das alles sowieso keinen Wert!“ „Lass mich raten … Und dafür soll ich dich und dein Vögelchen in Ruhe lassen, oder?“, entgegnete Kagemura sofort fragend, während er skeptisch das Gesicht verzog. Kagegaku nickte und antwortete nur mit einem einfachen "Ja", obwohl die Wut so stark in ihm kochte, dass er den Bruder am liebsten bewusstlos geschlagen hätte. „Tut mir Leid, aber ich bin nicht mehr interessiert“, kam es von Kagemura im gleichgültigen Ton. „Alles was ich will, ist dein Untergang, sonst nichts. Und weil mir das zu einfach von der Hand gehen würde, lass ich dich vorher noch leiden. So sehr, dass du dich selbst umbringst, statt mir alles freiwillig zu geben.“ Fassungslos starrte Kagegaku dem Jüngeren in die sanften Augen, die zum ersten Mal die selbe Kälte ausstrahlten, die auch im Herzen des Bruders existierte. Es fröstelte ihn regelrecht bei diesem Anblick und er fragte sich abermals, was der Auslöser dieses Hasses war. Er wusste es einfach nicht. Nie hatte es ihm der Bruder direkt gesagt. Und ändern konnte er es so oder so nicht mehr. Doch es gab andere Dinge, die dem Strategen wichtiger waren, als die Liebe seines Bruders zu gewinnen. Hidetori war in Gefahr. Und solange es ihm möglich war, Kagemuras Pläne zu durchkreuzen und Hidetori zu beschützen, würde er Tag und Nacht durchreiten und nach dem Blonden suchen. Solange er Kraft in seinem Körper hatte, würde er nicht aufgeben. Egal wie beschwerlich der Weg war und wie lange es dauern würde. Kagemura kämpfte mit dem falschen Mann und das würde er früher oder später bemerken. Wortlos stieg der Stratege auf sein Pferd und griff nach den Zügeln. Der Blick des Bruders folgte ihm, während Kagegakus Pferd langsam lostrabte. Er hatte ihm nichts mehr zu sagen. Denn kein Wort der Welt vermochte es, das Herz des gefühllosen Mannes zu erwärmen. Was es bedeutete, jemanden zu lieben, würde Kagemura wohl nie verstehen können. Nie würde dieser sein Leben für einen anderen Menschen aufgeben oder verändern. Kagegaku aber war dazu bereit. Er spürte, dass es die richtige Entscheidung war. Sobald er wieder mit Hidetori vereint war, würde er sich von Kenshin und Kagemura lossagen und zusammen mit den Blonden verschwinden. Dann würde sie keine Macht der Welt mehr auseinander reißen können. Dann waren sie für immer eins. *** Langsam tauchte er seine Hände in das kalte, im Sonnenlicht funkelnde Bachwasser, von dem er bereits getrunken und sich das schmutzige Gesicht gewaschen hatte. Nachdenklich genoss er die schimmernden kleinen Wellen, die er mit seinen Fingern erzeugte, während Fukushima und Yukitaka ihre müden Pferde versorgten. Die wachsamen Blicke der beiden Krieger auf ihn bemerkte der Blonde gar nicht mehr. So versunken war er in dieser glitzernden Welt, die das direkte Gegenteil seiner aussichtslosen Realität war. Er dachte an früher, an sein schillerndes Leben als Rockstar, welches zwar nicht frei von Problemen, jedoch sehr viel einfacher gewesen war. Hier konnte er niemanden um Hilfe bitten, niemanden um Rat fragen. Selbst Fukushima, der sein Geheimnis kannte, konnte er sich nicht anvertrauen. Denn im Grunde wusste er selbst nicht einmal, was sein Problem war. Was er erklären konnte, war nur ein eigenartiges Gefühl, welches ihn schlimmes ahnen ließ; weiter nichts. Allein der Gedanke daran, so etwas vorzubringen, war ihm zu lächerlich. Er war auf sich allein gestellt und musste selbst herausfinden, was er tun musste. Doch das war einfacher gesagt als getan. Während der letzten Stunden hatte er viel Zeit gehabt, über das, was passiert war und noch geschehen würde, nachzudenken. Er hatte in Erwägung gezogen, auf Kagegakus Kraft und Intelligenz zu vertrauen und sein Schicksal einfach in seine Hände zu legen. Doch auch eine Flucht und das einsame und ungewisse Leben im Nirgendwo war eine Möglichkeit, die ihm blieb und die in Anbetracht seines schlechtem Gefühls wohl auch die klügere war. Noch immer aber wusste er nicht, welchen dieser Wege er einschlagen sollte. Statt ernsthaft darüber nachzudenken, vergrub er sich lieber in seiner verlorenen Vergangenheit, der er mehr denn je nachtrauerte. Die Gesichter seiner Freunde verblassten. Mit jedem Tag, der verging, verschwanden mehr und mehr Erinnerungen an geliebte Menschen. Er vergaß Namen, Orte und sogar Songs, die er geschrieben hatte. Selbst das Bild seiner Eltern war lückenhaft. Dafür war sein Kopf voller unbekannter Ereignisse, die plötzlich da waren und sich immer und immer wieder vor seinen Augen abspielten. Sie verdrängten seine wenigen kostbaren Erinnerungen, die ihm noch geblieben waren, in die hinterste Ecke seines Gedächtnisses. Doch das Schimmern des Wassers, welches er nun minutenlang angestarrt hatte, war wie ein Schild, das ihn davor bewahrte, alles zu vergessen. Als würde er durch einen Spiegel in die Zukunft blicken, und klar feststellen, dass sie noch existierte. Irgendwo in seinem Inneren. „Hidetori, wir müssen weiter“, wurde Hyde aus seinen Gedanken gerissen. Orientierungslos blickte er auf und nickte widerwillig, als er Fukushima, der neben seinem braunen Pferd stand und auf ihn wartete, sah. Müde stand der Blonde auf und ließ seine nackten Füße über den moosigen Boden schleifen. Er wusste nicht, wohin sie ritten, oder wie weit es noch war. Die Pausen, die sie machten, um ihren Durst zu stillen, waren zu kurz. Das ewige Sitzen auf dem Pferd war anstrengend und raubte ihm die Kraft. Er wollte einfach nur, dass das alles endlich ein Ende hatte, dass er die Augen schließen konnte und über nichts mehr nachdenken musste. Selbst an Kagegaku, der so verzweifelt um eine Antwort gebeten hatte, wollte er nicht mehr denken. Es betrübte ihn zu sehr, sich an den gebrochenen Blick des Strategen zu erinnern, dessen Grund seine Abweisung gewesen war. Es war ihm unerträglich, zu wissen, dass er den Schwarzhaarigen damit verletzt hatte. Bekümmert näherte sich Hyde den beiden Kriegern, die abseits des Baches auf ihn warteten. Er seufzte verloren, während er sich das Tuch um seinen Kopf zurechtzog und einzelne Strähnen darunterschob. „Bleib stehen!“, zischte Fukushima plötzlich und ließ Hyde erschrocken zusammenzucken. Der ernste Blick des Samurai und der Griff zu seinem Katana machte den Blonden sofort unruhig. Auch Yukitaka blickte sich wachsam um, bevor der Berater leise „Hier ist noch jemand“ flüsterte. Kaum, dass diese Worte über seine Lippen gekommen waren, raschelte es von allen Seiten. Und dann ging alles rasend schnell. Aus den Büschen sprangen bewaffnete Männer, die auf sie zu rannten. Yukitaka und Fukushima zogen ihre Schwerter und kämpften, während Hyde nur wie erstarrt zusah. Er zählte sieben Männer, von denen zwei direkt auf ihn zukamen. Die langen Schwerter blitzen im Sonnenlicht, genauso wie die dunklen Augen der schwarzmaskierten Besitzer. Erst, als es fast zu spät war, bewegten sich die angwurzelten Füße des Blonden. Er rannte panisch los. So schnell wie seine erschöpften Beine konnten. Seine nackten Füße trugen ihn über spitze Steine und splittriges Holz. Er spürte keinen Schmerz, denn die Angst vertrieb jede andere Empfindung. Doch egal, wie schnell er unter seiner Todesangst rannte, seine Verfolger waren ihm auf den Fersen. So nah, dass Hyde hören konnte, wie sie atmeten. Er wusste, dass er keine Chance gegen sie hatte, deswegen fuhr er mit seinen bebenden Fingern unter seinen Obi. Er ertastete den Griff des Dolchs, den er von Kagegaku bekommen hatte und sein Herz begann vor Panik zu rasen. Obwohl es nur wenige Sekunden waren, dachte Hyde, die Zeit, in der er die Stichwaffe zögernd in seine Hand nahm, wäre endlos. Der Dolch fühlte sich schwer und eiskalt an, genauso wie sein Inneres, als er entschied, ihn trotz seiner Bedenken und Angst einzusetzen. Er hatte während der letzten Tage oft über den Tod nachgedacht; er hatte geglaubt, ihm furchtlos gegenübertreten zu können. Er war sogar bereit gewesen, sein Leben selbst zu beenden. So war es jedoch nicht. Er wollte nicht sterben. Obwohl er nicht wusste, wie er leben sollte, wollte er nicht sterben. Er sah die Schatten der Krieger, direkt neben seinem, während er vor Erschöpfung langsamer wurde. Seine Finger schlossen sich fest um den hölzernen Griff des Dolchs, als er plötzlich an der Schulter gepackt und herumgerissen wurde. Der Blonde stolperte und fiel zu Boden. Was genau er dann tat, konnte er gar nicht mehr realisieren. Er folgte seinem Überlebensinstinkt, zog die Waffe aus der Scheide und fuchtelte mit geschlossenen Augen wild um sich. Er spürte, dass er auf etwas traf und hörte dann einen dumpfen Schrei. Als er seine Augen öffnete, erblickte er seine blutüberströmten Hände. Ein Mann lag leblos auf dem Boden, der andere hatte ihn von hinten gepackt. Gerade als der Maskierte ihm seine Waffe an den Hals legen wollte, stach ihm der Blonde in die Seite. Der laute Schrei dröhnte in Hydes Ohren, während er sich losriss und stolpernd weiter rannte. Sein Herz pochte, als würde es herausspringen wollen. In seinen Augen sammelten sich heiße Tränen und seine Füße brannten vor Schmerz. Was hatte er getan? Seine Gedanken kreisten um diese Frage. Er hatte getötet, er hatte einen Menschen umgebracht. Die starrenden Augen des Toten würde er nie vergessen können. Sie hatten sich mahnend in sein Herz gebrannt und stachen wie spitze Nadeln. Er stand unter Schock, deswegen konnte er nicht aufhören, zu rennen. Er lief und lief, obwohl er auf einmal Fukushimas und Yukitakas Rufe hörte. Er rannte, bis die Stimmen der Samurai leiser wurden und schließlich ganz verstummten. Die dichten Bäume verschwammen vor seinen Augen. Nun gab es kein Zurück mehr. Sie waren weg und er allein. Als er das realisierte, versagten seine schmerzenden Beine. Er sank geschockt auf die Knie und kippte zur Seite auf den moosigen Waldboden. Er wollte gleichzeitig schreien und weinen, doch er konnte nicht. Das Entsetzen über sein Handeln saß noch zu tief. Es flossen nur stille Tränen, die kein Ende fanden. Dass nun alles verloren war, hatte er noch gar nicht wirklich begriffen. Alles woran der denken konnte, war das Blut, welches an seinen Fingern klebte. Verzweifelt versuchte er es am Moos abzuwischen, doch es haftete an seinen Händen wie eine widerliche Tätowierung. Panisch stand er wieder auf und lief weiter. Er musste es loswerden. So schnell wie möglich. Doch der Ekel machte ihn so rasend, dass er nur noch wirr umherstolperte. Überall nur Bäume, kein Weg, keine Lichtung und kein Wasser. Wie lange er so herumgeirrt war, bevor er wieder zu Sinnen kam, wusste er nicht. Doch was er sofort realisierte war, dass er sich verirrt hatte. In einem Wald, mitten im Nirgendwo. Entsetzt blieb er stehen und sah sich um. Er lauschte dem Wind und wünschte sich, Fukushimas Stimme zu hören, die hoffentlich von irgendwoher leise zu vernehmen war. Doch da war nichts. Nur das Rascheln der Blätter im Wind und das fröhliche Singen der Vögel. Es war ein schriller Ton, der sich mit seiner panischen Angst vermischte. Zittrig fuhr er mit seiner Hand über den Obi und wollte nach Kagegakus Dolch fassen. Doch er griff ins Leere. Er war nicht mehr da. Er hatte ihn neben dem Toten liegen lassen, als er aus seinen bebenden Händen gerutscht war. Aus lauter Dummheit und Furcht, vor dem Anblick der Leiche, war er weggelaufen. Und nun war er schlichtweg schutzlos. Was sollte er tun? Es wurde langsam dunkel und er wusste nicht, wo er war. Vielleicht lebte der andere Krieger noch und suchte nach ihm. Vielleicht würde er diese Nacht nicht überleben, wenn er kein Versteck fand. Seine Angst, welche zitternd durch seinen ganzen Körper fuhr, hatte das Höchstmaß erreicht. Verzweifelt fasste er sich an die Brust und sackte auf die Knie. Seine Füße hatte er sich blutig gelaufen, überall an seinem Kimono klebte das Blut des Kriegers, den er aus Notwehr getötet hatte und seine Kraft war schon lange aufgebraucht. Er war müde. Er wollte schlafen, endlich seine brennenden Augen schließen und alles vergessen, so wie er seine Vergangenheit Stück für Stück vergaß. Keinen Schritt konnte er mehr gehen, keinen klaren Gedanken mehr fassen. Erschöpft rutschte er nur an dem großen Stein hinter sich hinab und winkelte die schmerzenden Beine an. Seine Augen blieben wachsam, obwohl sie ihm doch ab und zu für wenige Sekunden zufielen. Er hatte einfach zu viel Angst, die Lider zu schließen und zu schlafen. Doch er wusste, er würde nicht mehr lange gegen diese Müdigkeit ankämpfen können. Was würde dann passieren? Er fürchtete sich davor, zu erfahren, was mit ihm geschehen würde. Und vor dem Gedanken, tatsächlich allein in dieser Welt leben zu müssen. Ohne Fukushima, ohne Kagegaku, ohne die Hilfe von irgendjemandem. Und trotzdem musste er es. Es war doch gut so. Genau so war es richtig. Er war nicht mehr Kagemuras Geisel. Der Bruder hatte nichts mehr gegen Kagegaku in der Hand. Alles würde nun wieder so sein, wie es sein musste, denn den blonden Fremden gab es nicht mehr. Genauso, wie es Tayama in Tokio erzählt hatte. Für Geschichten würden sich die Menschen nun den tragisch-romantischen Selbstmord des Mannes mit dem goldenen Haar dazudichten. Und er war tatsächlich gestorben. In genau jenem Moment, als er sich am Morgen wortlos von Kagegaku verabschiedet hatte. Er hatte sein Schicksal erfüllt und musste nun alles daran setzen, dass dies auch so bliebe. Er musste einen Weg finden, seine düsteren Träume nicht wahr werden zu lassen. Also durfte ihn nie jemand finden. Weder der rachsüchtige Kagemura noch Kagegaku. Es war ein schwerwiegender Entschluss und doch wusste Hyde, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er würde den Strategen nie wieder sehen können. Das war unbestrittener Fakt. Der Schmerz über diese Erkenntnis war groß. Er seufzte schwer, während er über das schwarze Band, welches der Schwarzhaarige ihn um sein Handgelenk gebunden hatte, fuhr. Auch jener feine Stoff war mit Blut befleckt, was Hydes Pein noch schlimmer machte. Er drückte sein verbundenes Handgelenk an seine Lippen und schluchzte. Er war ein unsichtbarer Schatten, der kein Recht mehr auf Glück hatte. ---------------------------------------- Vielen Dank für die Kommetare zum letzten Kapitel. Waren ja ein bisschen mehr als sonst. XD Danke, danke! Leider ist dieses Kapitel nun auch nicht happier als das Vorhergehende, aber ich hatte ja gewarnt *lol* Eigentlich wird es ja immer schlimmer, oder? O.o Aber ihr wisst ja, dass es noch ein kleiner Weg bis zum Ende ist und ich kann euch versprechen, dass noch so einiges passieren wird. ^_- Was Gutes, was Schlechtes... was Trauriges, was Leidenschaftliches. Es ist noch alles drin. Also bleibt dabei. ^_^ Thank you kissu Ina Kapitel 13: Tod --------------- 13. Kapitel: Tod [Grausam ist unser Schicksal. Machtlos und einsam stirbst du in meinen Armen.] ---------------------------------------- Nervös sah Kagegaku sich um, nachdem er von seinem völlig erschöpften Pferd gestiegen und in die verlassene Hütte gestürmt war. Die Hoffnung, Fukushima und den Blonden hier an ihrem ausgemachten Treffpunkt vorzufinden, hatte der Samurai nicht aufgegeben. Obwohl er wusste, dass sie blind in diese Falle getappt waren und dass Yukitaka sowie sein treuer Freund Fukushima kaum eine Chance gegen die Krieger seines Bruders gehabt haben konnten. Trotzdem war die Realität, die sich dem Klanoberhaupt anhand der menschenleeren Hütte zeigte, schwer zu ertragen. Kagemuras hinterhältiger Plan war also tatsächlich aufgegangen. Der bloße Gedanke, dass Hidetori sich nun möglicherweise wieder in der Gewalt seines kaltherzigen Halbbruders befand, machte Kagegaku rasend. Er war impulsiv und rationale Gedanken konnte er so gut wie keine nicht mehr fassen. Völlig außer sich rannte er zurück nach draußen und wollte wieder auf sein Pferd steigen, als plötzlich ein Reiter durch das kleine Tor des Vorhofes kam. „Herr!“, kam es aufgeregt vom jungen Krieger, dessen Stimme Kagegaku sofort Yukitaka zuordnete. Verwirrt sah er den treuen Vasallen an, der von seinem Pferd gestiegen war. Er hielt sich den linken Arm und humpelte stark. Eine lange Schnittwunde zierte die rechte Wange des Jungen, und seine Kleidung war blutdurchtränkt. Yukitakas Anblick und die Tatsache, dass Fukushima sowie Hidetori nicht bei ihm waren, machte den Strategen panisch. Kopflos rannte er auf ihn zu und erschrak, als der Krieger plötzlich nur wenige Schritte vor ihm erschöpft zusammenbrach. „Yukitaka!“, schrie Kagegaku, kniete sich nieder und zog den jungen Samurai, der am ganzen Körper zitterte, in seine Arme. „Wir ... wir wurden angegriffen“, begann Yukitaka mit brüchiger Stimme. „Ich weiß, Yukitaka“, entgegnete der Stratege kopfschüttelnd, als er die blassen Lippen des Kriegers sah. Prüfend ließ er den Blick über den geschwächten Körper seines Vasallen gleiten. Er brauchte nicht lange, um die schwere Verletzung unter der Brust ausfindig zu machen. Der zerrissene Kimono klaffte weit über dem Obi und ließ die tiefe Schnittwunde sehen. Dass er überhaupt noch lebte, war ein Wunder. Obwohl Kagegaku vor Panik kaum noch richtig atmen konnte und sein Herz wie verrückt schlug, zwang er sich für den treuen Samurai, der es trotz starker Schmerzen hierher geschafft hatte, ein Lächeln auf die trockenen Lippen. „Wir ... k-konnten Hidetori ... nicht beschützen“, klagte Yukitaka bitterlich, während er Kagegaku mit zitternden Händen einen länglichen, in ein Tuch gewickelten Gegenstand an die Brust drückte. „Das ist alles, ... was wir ... gefunden haben.“ Fragend starrte der Stratege in die glasigen Augen seines Kriegers. Er zögerte, denn er ahnte bereits, was in diesem Stoff gewickelt war. Er tastete mit den Fingern darüber und nahm es in seine Hand. Das blutbefleckte Tuch rutschte herunter und gab den Dolch preis, den er Hidetori vor wenigen Stunden gegeben hatte. Die Klinge sowie der hölzerne Griff war blutverschmiert. „Was ist mit Hidetori?“, wollte Kagegaku aufgeregt wissen, nachdem ihm schreckliche Bilder in den Sinn gekommen waren. Yukitaka schüttelte leicht den Kopf. „Wir haben keine ... Leiche gefunden. Nur ... diesen Dolch und jede Menge ... Blut. Es muss jemand getötet worden sein“, brachte der junge Samurai über die bebenden Lippen. Sein Atem ging schwerer, während er sich vor Schmerzen aufbäumte. Hilflos drückte Kagegaku seine Hände auf die immer noch blutende Wunde, obwohl er genau wusste, dass es für diesen Jungen keine Hoffnung mehr gab. Er war unausweichlich dem Tode geweiht. „Fukushima ... sucht immer noch nach Hidetori ...“, sprach Yukitaka unter qualvollen Schmerzen weiter. Um die Wichtigkeit seiner Worte zu unterstreichen, griffen seine zitternden Finger nach Kagegakus Kimonokragen. „Ich soll Euch sagen, dass er nicht aufgeben wird ... und dass Ihr Euch auf ihn verlassen könnt. Er wird nicht ohne Hidetori ... zurückkehren.“ Seine Stimme wurde immer schwächer, seine stotternden Worte immer schwerer zu verstehen. Der Blick ging durch seinen Herrn hindurch. Und Kagegaku konnte nichts weiter tun als machtlos mitanzusehen, wie einer seiner besten und zuverlässigsten Männer in seinen Armen immer mehr an Kraft verlor und starb. „Bitte ... vergebt mir! Ich ... habe versagt“, wimmerte Yukitaka. Seine Worte waren nur noch ein leises, fragiles Flüstern, welches sich in das gepeinigte Herz des Strategen schlich. Dieser schüttelte verbissen den Kopf, während er den Jungen fester in seine Arme drückte. Der Hass auf den eigenen Bruder, der für dieses sinnlose Blutvergießen verantwortlich war, brannte stärker in seiner Brust als je zuvor. Hilflos war er diesem negativen Gefühl, welches ihm die Luft zum atmen nahm, ausgesetzt, ohne zu wissen wie er es wieder loswerden konnte. Es war jahrelang in seinem Inneren herangewachsen und stand nun kurz vor der Explosion. Alles was ihn davon abhielt, sofort wie ein Verrückter loszureiten und den Bruder auf kaltblütige Weise umzubringen, war der junge Yukitaka, den der Stratege während seines letzten Kampfes nicht allein lassen wollte. „Fukushima ... bittet Euch ... nichts Unüberlegtes zu tun ... und sofort nach ... Hause ... zurückzukehren“, kam es über die blassen Lippen des Kriegers, der sich zu jedem einzelnen Wort quälen musste. Kagegaku aber schüttelte den Kopf. „Nein, Yukitaka! Ich kann nicht tatenlos warten und verlangen, dass Fukushima diesen Krieg alleine führt.“ „Ihr dürft ... Euch nichts ins Unglück ... stürzen. ... Bitte!“, bat Yukitaka wieder. Die Sorge um den Herrn war diesem regelrecht ins Gesicht geschrieben. Selbst während seiner letzten Minuten galten seine Gedanken nur dem Nishiyamaoberhaupt, dem er seit seinen frühen Jugendtagen aufopferungsvoll gedient hatte. Es war seine Pflicht gewesen, Kenshins Strategen zu beschützen, diesem bis in die Hölle zu folgen und letztendlich auch das eigene, weniger kostbare Leben, für Kagegakus Zwecke zu opfern. So wie er es heute getan hatte. Seine letzte Aufgabe war es nun, den Herrn vor nahenden Gefahren zu warnen und ihn auf den richtigen Weg zu schicken, auch wenn er selbst nicht mehr in der Lage sein würde, mutig an dessen Seite zu kämpfen. „Bitte ... Ihr ... müsst ... zum Anwesen. Es ist ... zu gefährlich ... für...“ Seine bittenden Worte wurden von seinen letzten Atmenzügen begleitet, bevor er die tränenden Augen schloss und für immer diese Welt verließ. Die Hand, die sich an Kagegakus Kimono geklammert hatte, rutschte leblos hinunter und ruhte wie ein schwerer Stein auf dem Arm des Oberhauptes. Wie gelähmt starrte der Samurai in das bleiche Gesicht des toten Jungen, dessen Leben viel zu kurz gewesen war. Es wurde beängstigend still, während grenzenlose Reue den Strategen durchflutete. Ihm wurde klar, dass dieser Tod sein Verbrechen war. Genauso wie es auch seine Schuld war, dass Hidetori noch immer in Gefahr schwebte. Sein trüber Blick erfasste den blutigen Dolch im saftgrünen Gras. Das fleckige Dunkelrot stach in seinen Augen. Es schmerzte, wie die Ungewissheit über Hidetoris Befinden. Das verkrustete Blut an der scharfen Klinge dieser Waffe zeugte vom Tod eines Menschen. Ob es vom Angreifer oder von Hidetori selbst stammte, wusste er nicht. Doch der Gedanke, der Blonde würde nicht mehr leben, quälte ihn fürchterlich. Er ertrug die Schuld nicht, die ihn belastete. Er hatte Hidetori den Dolch selbst gegeben. War dem Blonden deswegen etwas geschehen, dann hatte er das Leben des ihm kostbarsten Menschen auf den Gewissen. Eine Sünde, die all seine bisherigen schrecklichen Taten in den Schatten stellen würde. Den finstersten Schatten seines Herzens. Machtlos, wie er sich fühlte, legte Kagegaku den toten Jungen auf das Gras und betete. Mit gesenktem Haupt führte er den Vasallen mit seinem Gebet in die andere Welt. Dann setzte er sich im Schneidersitz neben den toten Körper und dachte darüber nach, was er tun konnte. Sollte er blindlinks in den Wald reiten und nach Hidetori suchen, obwohl Fukushima ihm davon abgeraten hatte? Sollte er sein Leben damit in Gefahr bringen und Yukitakas letzten Wunsch ignorieren? Sollte er zurück nach Kasugayama reiten und das tun, was er schon längst hätte tun sollen? Kagemura eiskalt ermorden und sich dann auf Kenshins Befehl hin enthaupten lassen? Oder war es doch das Beste, wenn er zur Nishiyamaresidenz zurückkehrte und den treuen Klanführer spielte, der ahnungslos und naiv vom blonden Spion hintergangenen wurde? War Hidetori noch am Leben und in Kagemuras Gewalt, dann bestand die Möglichkeit, den Aufenthaltsort des Blonden zu erfahren. Dieser Weg war wohl die einzige Hoffnung, die ihm noch blieb. Ein Weg, den er schweren Herzens einschlagen musste. Viel eher verlangte es ihn jedoch nach Rache und eigener Initiative. Doch er musste sich eingestehen, dass Fukushima und Yukitaka vollkommen Recht hatten. Es war irrsinnig, auf eigene Faust nach Hidetori zu suchen oder sich die Hände mit dem dreckigen Blut des Bruders zu beschmutzen. Als Oberhaupt einer Generalsfamilie standen ihm weitaus bessere Mittel zur Verfügung, um Probleme wie diese geschickter zu lösen. Als Stratege war er zu bedachten und ruhigen Handlungen verpflichtet. Er konnte nicht wie ein Berserker durch die Wälder streifen oder ohne einen Plan einen Mord durchführen. Er musste Fukushima vertrauen, denn bisher hatte dieser tatsächlich nur selten darum gebeten. Kopfschüttelnd fuhr sich Kagegaku durch sein wüstes Haar, bevor er in das Gesicht des toten Yukitakas blickte. Alles hatte dieser Junge gegeben, seine ganze Kraft, sein ganzes Herz, sogar in Angesicht seines eigenen Todes. Folgte Kagegaku dem Groll in seiner Brust, wären all seine Bemühungen umsonst gewesen. All das Blut, welches geflossen war, wäre nur wertloses Wasser. Es fiel ihm schwer, doch er wollte Vertrauen in seine Freunde und ergebenen Krieger legen. Er wollte daran glauben, dass nur Fukushima seinen Hidetori finden könnte. Dass nur er ihn dort draußen beschützen und in Sicherheit bringen konnte. Yukitaka hatte es ihm gesagt. Ohne den Blonden würde er nicht zurückkehren. Es war ein Versprechen. Ein Versprechen, welches Fukushima niemals brechen würde. Es gab nichts mehr zu entscheiden, denn er wusste bereits, was zu tun war. Er hob Yukitaka in seine Arme und legte ihn über den Sattel des braunen Pferdes. Dann stieg er auf sein eigenes und machte sich auf dem Weg zur Nishiyamaresidenz. Mit traurigen und geschockten Blicken wurde er einige Stunden später im Dorf vor dem Anwesen empfangen. Yukitakas Mutter, die ihren Jungen sofort erkannt hatte, brach in bitteren Tränen aus. Doch stolz auf den tapferen Sohn, der seine Pflicht getan hatte, nahm sie Kagegakus Beileid nur Sekunden später gefasst entgegen. „Ich bin froh, dass er Euch dienen durfte“, murmelte sie schluchzend zum Abschied. Worte, die Kagegaku niemals vergessen wollte. Yukitakas Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein, das schwor sich der Samurai ein weiteres Mal, während er über die Veranda in seine Räume trat. Doch tatenlos blieb er keine Minute lang. Sofort schickte er weitere vertrauenswürdige Männer hinaus, die nach Hidetori und Fukushima suchen sollten. Allen anderen erzählte er, dass der Blonde auf Kasugayama zugegeben hatte, es als Spion und Attentäter auf Kenshins Leben abgesehen zu haben, sich dafür Kagegakus Vertrauen erschlichen hatte, und während eines Flutversuches getötet wurde. Fukushima, nach dem seine ausgesandten Männer suchten, sei seitdem spurlos verschwunden. Nach außen existierte der Fremde mit dem seltsamen Haar nicht mehr. Er war nur noch eine Legende, die für die Menschen im Dorf und auf dem Anwesen von Tag zu Tag verschwommener wurde. Kagegaku aber dachte jede Sekunde an Hidetori. Jeden Tag hoffte er, dass Fukushima den Blonden zurückbringen würde, und dass sie dann endlich ein völlig neues Leben beginnen konnten. Doch diese Hoffnung zerbröckelte je länger die einsamen Tage wurden. Es verging ein Monat, dann ein weiterer. Kagegaku zog in Schlachten, die für ihn keine Bedeutung hatten. Er empfahl dem Daimyo Strategien, die diesem zum Sieg verhalfen und sinnlose Todesopfer forderten. Die Tage vergingen, ohne ein Lebenszeichen von Fukushima oder Hidetori. Bis der Herbst zum Winter wechselte, dann der Frühling zum Sommer. Nichts geschah. Stundenlang saß Kagegaku jeden Abend auf der Veranda und starrte in die Leere, während er sich vorstellte, wie der Blonde neben ihm saß und seinen Kriegsgeschichten zuhörte. Wie damals, als Hidetori noch sein schweigsamer Bediensteter war und nichts zwischen ihnen stand, außer die Ahnungslosigkeit über die eigenen unerwarteten Gefühle. Obwohl er sich vor vielen Monaten dazu entschieden hatte, besonnen zu sein, auf Fukushima zu vertrauen und als Herr auf seinem Anwesen auf die erhoffte Rückkehr zu warten, hatte er sich trotzdem nahezu jeden Tag dabei ertappt, wie er aus krankhafter Sorge um den Blonden auf sein Pferd gestiegen war, um selbst nach dem Verschwundenen zu suchen. Immer wenn er an Kagemuras scheußlichen Worte gedacht hatte, war er wie ein Wahnsinniger durch den Garten gelaufen, um sich dort machtlos den schrecklichsten Gedanken hinzugeben. Es war eine regelrechte Tortur. Seine Angst war grenzenlos. Auch jetzt noch. Kein Tag seit ihrem Abschied war leicht gewesen. Letztendlich hatte er den schwierigen Weg gewählt. Einen Weg, der ihn schier verrückt werden ließ, da er nicht wusste, ob er wirklich richtig gehandelt hatte. Von Kagemura hatte Kagegaku nichts rausfinden können. Heuchelei, Lügen und wahnwitzige Drohungen waren alles, was bisher über dessen Lippen gekommen war. Keiner der Männer, die von ihrer Suche zurückgekehrt waren, konnten einen Hinweis oder eine nennenswerte Spur vorlegen. Hidetori und Fukushima waren verschwunden. Doch obwohl bereits so viel Zeit vergangen war, wollte Kagegaku nicht daran glauben, dass Hidetori und Fukushima bereits lange tot waren, dass sie an jenem Tag ermordet und irgendwo begraben worden waren. Solange er keine Beweise dafür hatte, konnte er sich damit nicht abfinden. Denn er spürte, dass sie am Leben waren. Er spürte, dass sie zu ihm zurückkehren würden. Doch auch dieses unerschütterliche Gefühl wich irgendwann dem Zweifel, als ein weiteres Jahr in das von Krieg erschütterte Land zog. Der Winter war grauer und eisiger. Der Schnee barg keine Romantik mehr in sich. Es war nur still. So still, dass Kagegaku glaubte, nichts würde diese Ruhe überleben können. Die Hoffnung schon längst aufgegeben, gab er auch nach monatelangem Zögern dem Drängen des Daimyos nach und willigte ein, Prinzessin Ume zum Jahreswechsel zu seiner Gemahlin zu machen. Obwohl kaum noch Lebenswille in seinen Adern floss, schleppte er sich halbherzig von einem Tag zum nächsten und erfüllte seine Pflichten und Aufgaben als General. Doch insgeheim sehnte er sich nur noch nach dem Tod. Die Einsamkeit war ihm die schwerste aller Lasten. Ein Schmerz, den er so noch nie empfunden hatte. Er fiel in eine tiefe Dunkelheit, in der nichts existierte. Und als er schließlich schmerzhaft auf dessen Grund gestoßen war, und geglaubt hatte, dass nun alles endlich sein Ende nehmen würde, war da diese Hand, die nach ihm fasste und wieder nach oben zog. Es war ein verrückter Traum, doch die Wärme dieser Hand war geblieben. Kagegaku öffnete die schweren Augen und lächelte in das vertraute Gesicht. War auch dies nur ein Traum? ---------------------------------------- Ein sehr kurzes Kapitel, oder? Eines der kürzesten, die ich geschrieben habe. Aber keine Sorge. Es lag nicht an einer Null-Bock-Phase, sondern ist schon ganz richtig so. ^^ Und wieder ein sehr weiter Zeitsprung. Auch der war nötig, um einen entscheidenden Schritt vorwärts zu kommen. Nun nähern wir uns mit großen Schritten dem Ende entgegen. Obwohl es nun nicht mehr solche extremen Zeitsprünge geben wird. ^^ Wir befinden und jetzt im Sommer 1576 (nur mal so am Rande erwähnt) Vielen Dank fürs lesen. Auch wenn es nur ganz wenig war. Vielleicht zu wenig für die nächsten drei Wochen, bis es weiter geht. =.= Trotzdem... Bis dann. Ina Kapitel 14: Wiedersehen ----------------------- 14. Kapitel: Wiedersehen [Finsterer Abgrund, in die Ewigkeit verdammt. Alles wegen dir] ---------------------------------------- „Fukushima“, murmelte Kagegaku ungläubig, als er erwachte und das bekannte Antlitz seines Freundes erblickte. Zweifelnd, ob das, was er vor seinen Augen sah, nicht doch nur eine Einbildung war, schüttelte er vehement den Kopf. Er träumte doch nur. Es war nur ein Traum, den er sich so oft vorgestellt und gewünscht hatte, dass er nun zu einer real wirkenden Illusion geworden war. Die Einsamkeit und die Sorge um die beiden ihm liebsten Menschen hatten ihn in diesen Wahnsinn getrieben. Er war verrückt geworden. Doch obwohl er davon überzeugt war, dass er sich Fukushimas Gesicht nur eingebildet hatte, war es immer noch da, als er wieder seine Augen öffnete. Der vermisste Freund blickte ihn direkt an. Ernst und doch so vertraut. Eine neue Narbe zog sich über die rechten Augenbraue. Sie schnitt sich mit der alten, viel tieferen Wunde, die er sich vor vielen Jahren zugezogen hatte, als er seinem Herrn einst das bedrohte Leben gerettet hatte. Sonst hatte sich an diesem Gesicht nichts verändert. Das lange Haar war im Nacken zu einem Zopf gebunden, das Gesicht gepflegt und sauber. Sein dunkelbrauner Kimono war aus einfachen Leinen. Ein kratziger Stoff, trotzdem sah er ordentlich und elegant aus. So wie immer. So wie er den Freund vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte. „Fukushima“, flüsterte Kagegaku wieder, bevor er aufgeregt aber doch vorsichtig über die Schultern seines Freundes tastete. Er konnte es noch immer nicht glauben, obwohl er spüren konnte, wie sich die Brust unter seinen Händen hob und senkte, obwohl er klar und deutlich die tiefe Stimme hören konnte. „Mein Herr“, sagte Fukushima nur. Dann verstummte er wieder, als müsse er die eigene Freude über ihr Wiedersehen unterdrücken. Er senkte sein Haupt, als würde er sich schämen, bevor er sich etwas nach hinten schob und tief verbeugte. Die Stirn berührte den kalten Fußboden der Veranda, auf der Kagegaku eingeschlafen war. „Es tut mir Leid“, wiederholte er immer wieder mit lauter Stimme. Kagegaku blickte ihn verwirrt an, bis er sich endlich dazu durchringen konnte, die eine wichtige Frage zu stellen, die ihn seit zwei Jahren belastete. „Wo ist Hidetori?“ Fukushima verstummte, setzte sich auf und blickte seinem Herrn in die Augen. Kagegakus Geduld aber war am Ende. Angespannt packte er den Freund und schrie ihn von Panik bestimmt an. „Lebt Hidetori? Wo ist er? Verdammt nochmal, rede endlich!“ „Er lebt“, kam es nach einem langen Moment der Stille ruhig von Fukushima. Der Stratege hielt inne, als er diese Worte hörte. „Wo ist er? Hast du ihn hergebracht?“ „Nein.“ Verschämt wich Fukushima dem perplexen Blick seines Herrn aus, als er diesen mit seiner Antwort sichtlich bestürzte. Er konnte verstehen, was sein Herr gerade fühlen musste. Schließlich hatte dieser zwei Jahre lang auf diesen Tag gewartet. Kagegaku hatte Hidetoris Leben in seine Hände gegeben. Einen größeren Vertrauensbeweis hätte er von seinem Herrn niemals erhalten können. Das Oberhaupt musste tief enttäuscht sein, denn er war ohne den Blonden zurückgekehrt, obwohl er es versprochen hatte. „Warum nicht? Du hast geschworen, dass du ihn zurückbringen würdest. Warum ist er nicht bei dir?“, wollte der Stratege verwirrt wissen. Fukushima aber beugte sich nur noch einmal tief zu Boden und entschuldigte sich. „Es tut mir aufrichtig Leid, Euer Vertrauen enttäuscht zu haben.“ Wortlos starrte das Oberhaupt auf das gesenkte Haupt seines Freundes. Monatelang war er verschwunden gewesen, um den Blonden, den Kagegaku so sehr liebte, zu suchen und zurückzubringen. Nun, da Fukushima endlich wieder hier war und er dessen vertraute Stimme hörte, war es aber nur noch Enttäuschung, die seine Freude trübte und mit einen dunklen Schatten überzog. Fukushima, dem es sichtlich unangenehm war, den Herrn enttäuscht zu haben, ließ den Kopf gesenkt, während er wieder zu sprechen begann. „Wochenlang bin ich durch den Wald gestreift, habe Berge überquert und Höhlen durchforstet. Bis ich irgendwann in eine kleine Siedlung mitten in den Bergen gekommen bin. Als ich Hidetori dort gefunden hatte, war er bereits festes Mitglied der Siedlung und hört nun auf den Namen Hideto. Er arbeitet auf einem Feld weiter unten im Tal und lebt mit einer alten Frau und deren zwei Enkelkindern zusammen in einer kleinen heruntergekommenen Hütte. Ich habe mich als Hidetoris Bruder ausgegeben und bis vor wenigen Tagen selbst dort gelebt.“ Aufmerksam hatte Kagegaku seinem Freund zugehört, während er sich erhoben und ungeduldig auf der Veranda hin- und hergelaufen war. „Warum ist er nicht mit dir zurückgekommen?“, wollte er dann wissen, als Fukushima die wichtigsten Fakten zusammengefasst hatte. Der Berater schüttelte zögerlich den Kopf. „Er wollte es nicht“, antwortete er vorsichtig. Er blickte zu seinem Herrn auf, der betroffen und verwirrt vor sich hinstarrte, bevor Fukushima weiter sprach. „Ich bin dort geblieben, um ihn zu beschützen, falls ihn auch Kagemuras Männer dort aufgespürt hätten. Und ich dachte, dass er seine Entscheidung irgendwann überdenken würde. Ich empfand es aber auch als klug den Schutz, den dieses versteckte Dorf bietet, zu nutzen und dort eine Weile unterzutauchen.“ Kraftlos lehnte sich Kagegaku an die geöffnete Shojitür seines Raumes, während er versuchte, all das, was Fukushima ihm erzählt hatte, zu verarbeiten. Allein die Tatsache, dass der Freund lebte, wohlauf war und nun vor ihm saß, überforderten seine Gefühle. Auf der einen Seite war er überglücklich, aber auch tief besorgt und ratlos. Hidetori war irgendwo dort draußen. Er lebte, er war glücklich. Und doch war es Kagegaku nicht genug. Nur zu wissen, dass es ihm gut ging, reichte ihm nicht. Auch nach zwei Jahren hatten sich seine Gefühle für den Blonden nicht verändert. Noch immer wollte er an seiner Seite sein und jeden Tag mit ihm verbringen. Ihn sehen und auch berühren. Ja, er war immer noch so egoistisch und wollte Hidetori für sich ganz allein, selbst wenn dieser nichts von ihm wissen wollte. Selbst wenn der Blonde ihn hasste. Der Gedanke, dass Hidetori irgendwo sein Leben ohne ihn lebte, war ihm einfach unerträglich. Es machte ihn wütend und stachelte seinen Drang, den Blonden besitzen zu wollen, noch mehr an. „Ich konnte nicht gehen, bevor ich nicht wirklich sicher war, dass ihm keine Gefahr mehr droht. Und ich weiß, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, indem ich Hidetori dort zurückgelassen habe. Aber er fühlt sich sicher, deshalb bin ich trotz meines Versprechens gegangen. Ich wollte Euch endlich davon berichten. Es tut mir Leid“, riss Fukushima seinen Herrn aus den Gedanken. Ungläubig runzelte der Stratege die Stirn. „Er fühlt sich sicher?“, wiederholte er entrüstet und schüttelte den Kopf, während er aber Fukushimas Beweggründe nachvollziehen konnte. Er hatte es versprochen und Fukushima brach nie seine Versprechen. Es musste ihn ungeheure Überwindung gekostet haben, den Blonden zurückzulassen, obwohl seine Aufgabe darin bestand, diesen zu beschützen und zurückzubringen. „Er möchte Euch nie wieder sehen. Das soll ich Euch sagen“, murmelte Fukushima zurückhaltend. Er wagte es nicht, in das Gesicht seines Herrn zu blicken. Er ahnte, wie verletzt er sein musste. Und doch sah er es als seine Pflicht an, dem Oberhaupt davon zu berichten. Egal wie schmerzhaft oder unglaublich es sein mochte. „Aber warum?“, hätte Kagegaku gern gefragt. Doch das brachte er nicht über die Lippen. Für ihn war Hidetoris Handeln von purer Dummheit bestimmt. Grenzenloser Wahnsinn, den er so nicht hinnehmen konnte. Vielleicht war Hidetori während der letzten zwei Jahre tatsächlich in Sicherheit gewesen. Vielleicht war es aber auch nur reines Glück gewesen. Kagemura hatte ihm schließlich mehr als nur deutlich gemacht, dass er nie aufhören würde, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Sicherlich waren seine Männer immer noch auf der Suche nach dem Blonden. Irgendwann würden sie ihn finden. Selbst das sicherste Loch konnte irgendwann zur tödlichen Falle werden. „Bring mich zu ihm!“, befahl Kagegaku, nachdem er eine Entscheidung gefällt hatte. So schnell würde er Hidetoris sturem Kopf nicht nachgeben. Er liebte den Blonden und machte sich höllische Sorgen, also hatte er auch ein Recht darauf ihn zu beschützen. Er wollte wissen, was Hidetori dachte. Warum er ihn nicht wiedersehen wollte. Warum hatte sich der Blonde vor ihm versteckt? Fühlte er sich bedrängt? War er davongelaufen, weil er nicht gewusst hatte, was er auf Kagegakus Liebesgeständnis hätte antworten sollen? Warum nur hatte der Stratege damals das Gefühl gehabt, dass der Blonde seine wahren Gefühle unterdrückt und verschwiegen hatte? Was steckte hinter all dem? Darüber zerbrach sich Kagegaku auch noch den Kopf, als er und Fukushima nur wenige Tage später aufgebrochen waren und schließlich vor dem kleinen Holztor hinter riesigen Bäumen standen. Die kleine Siedlung, bestehend aus nur neun bis zehn Hütten, lag perfekt geschützt mitten im dichten Wald. Drei Kinder spielten lachend hinter einem der kleinen Häuser, während eine Frau Wasser in ihre Hütte trug. Es herrschte eine idyllische Atmosphäre, als existierte hier der jahrzehntelange Krieg nicht. Der Anblick von glücklichen Menschen war Kagegaku fremd. Es war ihm wie ein Wunder, wie eine Welt, der man nur in Träumen begegnete. Aber es war real. Er roch die Erde, die klare Luft, das Holz und den Duft der Nadelbäume. Aber auch das Essen, welches in den Häusern zubereitet wurde. Kagegaku entwich ein Lächeln, als er durch das Tor schritt und fasziniert in die Gesichter der Menschen sah, die ihn ebenso verwundert anstarrten. Obwohl er, auf Fukushimas Anraten, eher bescheidene Kleidung trug, fiel den wenigen Frauen und Kindern die Eleganz und die aristokratische Aura auf, die Kagegaku selbst in seinen Lumpen ausstrahlte. Einige Frauen verbeugten sich sogar, so gefesselt waren sie von dem Mann mit dem langen schwarzen Haar, der sie so anregend anlächelte. Fukushima führte seinen Herrn in den abgeschiedensten Winkel des Dorfes. Dort stand eine kleine Hütte mit niedrigem Strohdach. Neben ihr lagerte das Feuerholz und der Eingang, der in den dunklen Kochbereich, der gleichzeitig auch Wohn- und Schlafraum war, führte, war mit einfachen Strohgeflecht verhangen. Es war die bescheidenste Behausung, die der Stratege je zu Gesicht bekommen hatte. Es schockierte ihn, während er aber auch ein Gefühl des Zusammenhalts und der Nähe verspürte. Hier lebten und arbeiteten die Menschen Hand in Hand. Hier war man gemeinsam, geschlossen und miteinander. Hier war man aus ehrlicher Sorge immer füreinander da. All das fühlte der Samurai, seit er das Dorf betreten hatte. Für ihn war es ein magischer Ort. Nicht nur, weil Hidetori hier lebte, sondern weil er hier die Liebe empfand, nach der er sich schon sein Leben lang gesehnt hatte. Schließlich blieb Kagegaku stehen, als er eine Person hinter der Hütte erblickte. Er glaubte sich zu irren, doch es war eindeutig Hidetori, der auf einem Baumstumpf saß und Strohsandalen flocht. Völlig vertieft in seiner Arbeit summte er eine Melodie, bevor er auch zu singen begann. Verwundert starrte der Stratege den Blonden an, der immer noch nicht bemerkt hatte, dass er beobachtet wurde. Es war ein seltsames Gefühl, Hidetori nach so langer Zeit wiederzusehen. Kagegaku war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Sein Herz klopfte als stünde er vor einer lebenswichtigen Entscheidung. Der Blonde hatte sich nicht verändert. Selbst den alten Kimono, auf den das Wappen der Nishiyama genäht worden war, trug er noch. Doch ein Stück hellbrauner Stoff verdeckte die blaue Lotusblüte, die von einem zweilinigen Kreis umrahmt war. Zerrissene oder löchrige Stellen waren sorgfältig zusammengeflickt worden und die Ärmel hinten zurückgebunden, damit sie ihm nicht bei der Arbeit störten. Er trug das Tuch um seinen Kopf, welches Kagegaku ihm zum Abschied gegeben hatte. Unter diesem drängten sich blonde Haarsträhnen hervor, die das von der Sonne gebräunte Gesicht umrahmten. Kagegaku verspürte plötzlich den Drang, ihm das Kopftuch herunterzureißen, damit er seine Finger im goldenen Haarschopf vergraben konnte. Doch er hielt sich zurück, denn er befürchtete, dass Hidetori alles andere als erfreut über sein Erscheinen sein würde. Er lauschte lieber noch etwas länger dem seltsamen Gesang, welcher sein Herz auf eine eigenartige Weise berührte. „Was tut er da?“, murmelte das Oberhaupt dann von seiner Aufregung berauscht. „Er flechtet Strohsandalen. Eigentlich sollte er mit den anderen Männern auf dem Feld ...“ „Nein, ich meine ... er singt, aber es hört sich seltsam an“, unterbrach Kagegaku seinen Freund, während er immer noch aufmerksam zuhörte. „Er singt in einer anderen Sprache“, antwortete Fukushima. „Warum?“, hakte Kagegaku interessiert nach. Doch darauf wusste auch der Berater keine Antwort. Mehrmals hatte er den Blonden danach gefragt. „Es ist eine andere Sprache“ war alles, was der Mann aus der Zukunft immer als Antwort gegeben hatte. Mehr hatte dieser nie preisgeben wollen. „Er singt jeden Tag“, murmelte Fukushima, statt Kagegakus Frage zu beantworten. „Das hat er nicht getan, als er noch auf dem Anwesen gelebt hat“, stellte der Stratege betroffen fest. Denn zum ersten Mal hatte er das Gefühl, Hidetori glücklich zu sehen. Glücklich, unbeschwert und frei. Diesen Eindruck hatte der Blonde nie gemacht, als er noch als Vasall für ihn gearbeitet und neben seinen Räumen gelebt hatte. Er schien immer eher befangen gewesen zu sein, als hätte ihn etwas zurückgehalten. Als hätte er etwas zu verbergen gehabt. „Ohne Fragen zu stellen haben ihn diese Menschen hier aufgenommen“, erzählte Fukushima, als er das nachdenkliche Gesicht seines Herrn sah. „Sie kennen die außergewöhnliche Farbe seines Haares und trotzdem trägt er das Tuch, als müsse er sie vor ihnen verstecken. Ich denke, das hat etwas mit Euch zu tun.“ „Mit mir?“, fragte Kagegaku verwundert. Fukushima nickte. „In seinem Kimonoärmel versteckt er die Dolchscheide, die er jeden Morgen reinigt. Jeden Abend erzählt er den Kindern Eure Geschichten und als er von Eurer bevorstehenden Hochzeit erfahren hatte, war er fünf Tage lang nicht ansprechbar. Auch wenn er singt, ist er oft abwesend, als wären seine Gedanken weit weg.“ Fukushima machte eine kurze Pause und suchte Kagegakus Blick. „Und immer, wenn er Euren Namen hört ... dann sammeln sich Tränen in seinen Augen.“ Fukushimas Worte waren von unerwartetem Inhalt. Niemals hätte der Stratege geglaubt, dass Hidetori doch noch an ihrer gemeinsamen Zeit hing. Dass er überhaupt noch an ihn dachte und Dinge aufbewahrte, die er dem Blonden gegeben hatte. Perplex fuhr sich Kagegaku durch das lange Haar, während Fukushima reuevoll seufzte. „Ich konnte nicht herausfinden, was mit ihm los ist, aber eines kann ich sicher sagen. Er fühlt etwas für Euch. Mehr, als er zugeben möchte. Diese Unbeschwertheit ist nur sein Schutzschild. Er ist einsam, genau wie Ihr.“ Kagegaku schüttelte den Kopf. „Ich war einsam“, berichtigte der Stratege, bevor er entschlossen auf den Blonden zuging. Ein paar Schritte weiter stoppte er allerdings wieder, als Hidetoris Gesang verstummte und dieser seine Arbeit niederlegte. Er sah sich um und blickte in Kagegakus Richtung. Die ganze Welt schien aufzuhören, zu existieren, als sich plötzlich ihre Blicke verfingen. Kagegaku konnte Überraschung in den dunklen Augen des Blonden lesen, die nach wenigen Sekunden aber bereits der Panik wich. Hidetori hatte nicht damit gerechnet, dementsprechend durcheinander fiel seine Reaktion aus. Planlos blickte er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, obwohl ihm klar war, dass es dafür schon zu spät war. Kagegaku stand schon direkt vor ihm, als er aufgestanden war und gehen wollte. Schweigend starrte Hyde zu Boden, während er sich nicht zu rühren traute. Er war schlichtweg überfordert mit dieser unerwarteten Situation, die er nach der langen Zeit so niemals für möglich gehalten hätte. So viele Monate waren vergangen. Eine Ewigkeit, die ihn aber nicht vergessen lassen hatte. In seinen Träumen war der Samurai immer präsent gewesen. Seine Augen, seine Stimme und seine Freundlichkeit. Und obwohl die Gefühle für den Strategen nicht abgeklungen waren, hatte er sich selbst im letzten Moment dagegen entschieden, als Fukushima auf sein Drängen hin gegangen war. Er hatte irrtümlich geglaubt, dass Kagegaku ihn vergessen hatte. Er hatte gedacht, nun, da er heiraten würde, hatte das Liebesgeständnis keine Bedeutung mehr. Alles war zur Vergangenheit geworden, die lange zurücklag. So, wie er seine eigene Familie und sein Zuhause schon lange vergessen hatte. Er hatte sich die ganze Zeit unsichtbar gefühlt, wie ein Geist, der nirgendwo dazugehörte. „Hidetori.“ Kagegakus Flüstern, welches sich so zweifelnd anhörte, bereitete dem Blonden eine Gänsehaut. Welch unheimliche Sorgen er sich doch um den Samurai gemacht hatte. Ständig hatte er die wenigen durchreisenden Pilger belauscht und gehofft, etwas über das Befinden des Oberhauptes zu erfahren. Und nun stand er einfach hier und nannte seinen erfundenen Namen, den er seit fast zwei Jahren nicht mehr gehört hatte. Es war ein seltsames Gefühl, mit dem er im Moment nicht zurecht kam. Mit gesenktem Blick wollte er an Kagegaku vorbeigehen, doch dieser stellte sich ihm provokativ in den Weg. „Hidetori, was soll das alles? Warum versteckst du dich hier vor mir?“, wollte der Samurai wissen, während er den Blonden an den Schultern festhielt. Hyde schüttelte den Kopf. „Ich heiße ... Hideto“, entgegnete er mit dünner Stimme, ohne Kagegaku dabei anzusehen. „Hideto?“ Der Blonde nickte, während ein bekanntes, wohliges Kribbeln durch seinen Bauch zog. So hörte es sich also an, wenn der Samurai seinen richtigen Namen aussprach. Dass er jemals in diesen Genuss kommen würde, hätte er nie für möglich gehalten. Natürlich war ihm klar, dass Kagegaku glaubte, er hätte sich diesen Namen ausgedacht, um unentdeckt zu bleiben. Trotzdem machte es ihn unglaublich glücklich. Er konnte endlich wieder ein Stück seines wahren Ichs zeigen. Ein wenig von sich selbst, das, was er wirklich war und wie er fühlte. „Sag mir, warum du nicht zurückgekommen bist.“ Kagegaku hörte sich zornig an und zog den Blonden blitzartig aus dem Glücksgefühl, in das er kurz getaucht war. Als er auf die Frage nur ausweichend den Kopf schüttelte, packte ihn der Samurai fester und zog ihn hinter die Hütte. Geschützt vor den neugierigen Blicken der Dorfbewohner drückte er Hyde an die hölzerne Wand und sah prüfend auf das gesenkte Haupt. „Würdest du mir endlich erklären, was das soll? Ich habe nach dir suchen lassen. Zwei Jahre lang. Ich habe Todesängste ausgestanden und du lebst hier unbeschwert dein glückliches Bauernleben?“ Selbst auf diese Vorwürfe reagierte der Blonde nur mit resigniertem Schweigen. Er hätte darauf nichts antworten können. Er wollte nicht darüber reden, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen war, wie oft er daran gedacht hatte, Fukushima darum zu bitten, ihn zur Nishiyamaresidenz zu bringen. Er wollte nicht an die schrecklichen Träume denken, die ihn immer wieder davon abgehalten hatten. Seit er mit Kagegaku abgeschlossen hatte, waren die schlimmen Bilder seltener geworden. Er war erleichtert gewesen, weil er geglaubt hatte, dass er jenes entsetzliche Schicksal abgewendet hatte. Dass es ihm gelungen war, die Geschichte zu ändern – einfach nur, weil er auf sein eigenes Glück verzichtet hatte. Doch nun schien diese Qual, die er so lange erlitten hatte, völlig umsonst gewesen zu sein. Denn je länger Kagegaku hier war, desto düsterer wurde das Gefühl, welches ihn an seine Alpträume erinnerte. Es war alles wieder da. Seine Angst und die Panik vor einem bevorstehenden Unheil. „Du wirst jetzt mit mir mitkommen“, brummte Kagegaku wütend über Hidetoris Schweigen. Er packte den Blonden am Ellenbogen und wollte ihn mit sich zerren, doch Hyde schüttelte den Kopf und nuschelte ein kaum verständliches „Nein!“, während er sich sofort wieder losriss. „Ich bleibe hier!“ Fassungslos starrte der Samurai in die braunen Augen des Blonden, in denen er sich nun zum zweiten Mal verirrt hatte. „Glaubst du tatsächlich, dass du hier sicher bist?“, fragte Kagegaku, nachdem er sich nur Sekunden später wieder gefangen hatte. „Ja, das tue ich“, antwortete Hyde klar und deutlich. Eine gewisse Unsicherheit war jedoch trotzdem herauszuhören. „Das ist absoluter Wahnsinn. Mein Bruder setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dich zu finden und du fühlst dich hier unter wehrlosen Bauern sicher?“ Hyde nickte nach anfänglichem Zögern. In Wahrheit hatte er sich um seine Sicherheit kaum noch Gedanken gemacht. Er fühlte sich sicher, weil dieser Ort kaum in Berührung mit dem herrschenden Krieg und den Machenschaften der Daimyos kam. Er hatte vergessen, in welch einer Welt er lebte. Er hatte vergessen, dass er verfolgt wurde. „Ich werde nicht mit Euch zurückgehen“, stellte Hyde trotz aufkommender Bedenken noch einmal klar. Ihm blieb keine andere Wahl. Um das Leben des Samurai zu schützen, musste dieser ihm fernbleiben. Und das am besten so weit wie möglich. „Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue, aber ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass mein Bruder seine widerlichen Pläne für dich in die Tat umsetzt“, meinte Kagegaku, der sich mit der Entscheidung des Blonden nicht abfinden wollte. Vor allem nicht, wenn er an Kagemuras ekelhafte Worte dachte. Mit ernstem Blick ging er um die Hütte herum und winkte Fukushima herbei, bevor er Hidetori noch einmal ansah. „Wenn du nicht mitkommen willst, dann werde ich hier bleiben“, fügte er entschlossen hinzu. Perplex erwiderte Hyde den strengen Blick des Schwarzhaarigen, während ihm wieder einmal die Worte versagt waren. Er konnte nicht fassen, dass das Oberhaupt einer hoch angesehenen Generalfamilie gerade dabei war, alles für ihn aufzugeben. Seine Zukunft, seine Vergangenheit; alles, was er sich ehrgeizig aufgebaut hatte. Das konnte er doch nicht zulassen. Das durfte nicht geschehen. Was passierte, würde Kagegaku die Prinzessin nicht heiraten? Welche Auswirkungen hätte das auf die Zukunft, die über 400 Jahre voraus lag? Hyde schüttelte vehement den Kopf, während Fukushima an sie herantrat. Fragend blickte dieser den Herrn an, bevor Kagegaku seine Entscheidung mitteilte. „Ich werde zur Nishiyamaresidenz zurückreiten, um dort noch einige Dinge zu klären. In sieben Tagen bin ich wieder hier. Du bleibst bei Hidetori und hast ein Auge auf ihn.“ Fukushima nickte, nachdem er einen Blick auf den Blonden, der alles andere als einverstanden war, riskiert hatte. „Ich werde hier ein neues Leben beginnen“, gab Kagegaku seinem Freund bekannt. Fukushima runzelte skeptisch die Stirn, als hätte er seinen Herrn falsch verstanden. „Ihr wollt die Nishiyamas verlassen?“, fragte der Freund noch einmal vorsichtig nach. Kagegaku nickte. „Ich weiß, dass das die dümmste Entscheidung ist, die ich je getroffen habe. Doch mein Herz sagt mir ganz klar, dass es keinen anderen Weg gibt.“ Betroffen weitete Hyde die Augen, als er jene Worte hörte. Das Schicksal nahm seinen unheilvollen Lauf und er konnte einfach nichts dagegen tun. Er konnte dem Schwarzhaarigen nicht verbieten, sein Dasein als Krieger aufzugeben, um sich hier ein neues, friedliches Leben aufzubauen. Niemals würde sich Kagegaku etwas von ihm sagen lassen. Selbst wenn er ihn abermals darum bitten würde. Kagegakus Entschluss stand fest und Hyde wusste, dass er daran nichts mehr ändern konnte. Der Blick des Strategen, als dieser sich umdrehte und ging, war ernst und entschlossen. Hilflos ließ Hyde sich wieder auf den Baumstumpf sinken. Den Strohsandalen ließ er unfertig auf den Boden fallen, während er dem Samurai wehmütig hinterhersah. Was sollte er nun tun? Auf Kagegakus Rückkehr warten und darauf hoffen, dass seine Visionen oder Träume nicht wahr werden würden? Konnte er dieses Risiko eingehen und im Falle eines Unglücks die Verantwortung übernehmen? Würde er es überhaupt ertragen können, wenn dem Schwarzhaarigen etwas zustieße? Hyde fasste sich an die Brust und begann, schwer zu atmen. Allein der Gedanke daran machte ihn krank. Definitiv würde er es nicht überstehen können, würden seine Träume zur Realität werden. Dafür liebte er den Samurai zu sehr. Aber was für eine Möglichkeit blieb ihm noch? Fukushima, der auf Kagegakus Befehl hin dageblieben war, folgte ihm auf Schritt und Tritt. Nicht einmal zum Schlafen ließ er den Blonden allein. Nach drei Tagen hatte Hyde nicht die geringste Chance einer Flucht gesehen. Doch viel Zeit blieb ihm nicht mehr, bevor das Oberhaupt der Nishiyama zurückkehren würde. Seine Lage war aussichtslos und doch dachte er den ganzen Tag darüber nach. Als Hyde am dritten Abend zusammen mit Fukushima grübelnd vor der Hütte saß und den selbstgemachten Tee trank, wagte der Blonde, das Thema anzusprechen. „Ich finde, es ist keine so gute Idee“, murmelte er und Fukushima blickte stutzig auf. „Was meinst du?“, fragte der Samurai, bevor er einen Schluck vom heißen Tee nahm. „Dass er alles wegwirft und hier leben möchte, nur weil ich so ein Sturkopf bin.“ „Aber warum denn überhaupt? Du teilst doch seine Gefühle.“ Hyde schüttelte sofort den Kopf. „Ich kann es nicht erklären“, seufzte der Blonde und starrte bedrückt in die braune Teeschale, die einen kleinen Sprung hatte. „Hat es etwas mit der Zukunft zu tun?“, hakte Fukushima nach. „Oder mit Kagemura?“ Obwohl Kagegakus Vertrauter mit beiden Annahmen direkt ins Schwarze getroffen hatte, schwieg Hyde. Er wusste nicht, inwiefern seine Bedenken damit zu tun hatten. Es war nach wie vor nur ein dummes Gefühl, welches aus schrecklichen Alpträumen resultierte. Alpträume, die ihn tagsüber sogar als Visionen heimgesucht hatten. Jedes Mal hatten sie sich realer angefühlt und immer wieder hatte er dann definitiv gewusst, dass er diese schrecklichen Dinge nicht geschehen lassen wollte. „Mach dir keine Sorgen. Kagegaku und ich werden dich beschützen“, wollte Fukushima den Blonden beruhigen, als dieser sich mit zittrigen Fingern über die Stirn gefahren war. „Aber nicht ich brauche Schutz, sondern Kagegaku“, klagte Hyde ratlos. Fukushima runzelte skeptisch die Stirn, als er nachfragen wollte, was er damit meinte. Doch bevor er nur einen Laut über die Lippen bringen konnte, übermannte ihn eine seltsame Müdigkeit. Die Augen fielen ihm zu und sein Körper wurde schwach. Er kippte zur Seite, auf den sandigen Boden neben dem lagernden Feuerholz. „Fukushima?“, murmelte Hyde argwöhnisch, als der Samurai sich nicht mehr rührte. „Was ist los?“ Zögerlich näherte sich der Blonde, um dann erleichtert festzustellen, dass Fukushima nur schlief und nicht tot war. Trotzdem sah sich Hyde skeptisch um, als er ein Rascheln im Gestrüpp vernahm. Und plötzlich überkam ihn die nackte Angst. „Fukushima!“ Panisch rüttelte Hyde den Samurai an den Schultern, doch dieser wollte einfach nicht aufwachen. War er etwa vergiftet worden? Der Tee? Nein, er hatte doch auch davon getrunken. Während Hyde sich Gedanken über eine mögliche Vergiftung machte, wurde er plötzlich von hinten gepackt und unsanft auf den Boden gedrückt. „Na, was haben wir denn hier Feines?“, hörte er es sogleich an seinem Ohr brummen, bevor ihm das Kopftuch heruntergerissen wurde. „Tatsächlich. Das entflohene Vögelchen mit den goldenen Federn.“ Hyde weitete geschockt die Augen, als er herumgedreht wurde und direkt in Kagemuras kalte Augen blickte. Dieser drückte ihm die Handfläche auf die Lippen und begann, schadenfroh zu kichern. ---------------------------------------- Na ja … es konnten sich ja einige denken, dass Hyde sich irgendwo verschanzt hat. ^^;;; Und zum Glück lebt Fukushima noch. In letzter Zeit ist mir Fukushima sehr ans Herz gewachsen. Ich könnte ihn doch jetzt nicht einfach so umbringen. ^_- Es stehen noch zwei Kapitel aus, bevor es für mich, meiner Mum und Sis nach Japan geht. Zum Glück arbeite ich schon am übernächsten Kapitel, so kann ich Kapitel hochladen, obwohl ich drei Wochen keine Zeit haben werde zu schreiben. XDD Also wird es keine lange Pause geben. ^^ Ich halte meinen Zeitplan bis zum Schluss durch. *nick* Aber bis dahin ist noch Zeit... Und nächstes Mal (in drei Wochen) wird es ein sehr schönes Kapitel geben. ^_- Freut euch... Kapitel 15: Herzklopfen ----------------------- 15. Kapitel: Herzklopfen [Deine glühenden Blicke, tränenverschwommen Fest drück ich dich an mein Herz.] ---------------------------------------- Im flackernden Licht der fast heruntergebrannten Kerze starrte Kagegaku auf das Papier, welches er soeben von der Papierrolle gelöst und zusammengefaltet hatte. Auf der vorderen Seite des ebenso gefalteten Umschlags schrieb er mit dem Pinsel den Namen der Prinzessin, bevor er einen nachdenklichen Blick durch den Raum schweifen lies. Morgen würde er die Hochzeit von Prinzessin Ume und Nobutora, einem klugen Mann, der in seinen Diensten stand, bekanntgeben. Obwohl er hunderte Male darüber nachgedacht und immer wieder zu diesem Entschluss gekommen war, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl, die Familie, sein Erbe und seinen Status aufzugeben und in andere Hände zu legen. Doch ihm blieb keine andere Wahl. Sobald er die Hochzeit bekanntgegeben hatte, würde er Nobutora adoptieren und ihn in alle Pflichten und Aufgaben eines Nishiyama-Erbens einweisen. Vielleicht würde er auch, genauso wie Kagegaku, eines Tages direkt in Kenshins Dienste treten und der Familie zu neuem Ruhm verhelfen können. Er traute es Nobutora zu. Er war hochintelligent, mutig und geschickt. Er war der zweitgeborener Sohn einer Samuraifamilie von niedrigerem Stand und nur drei Jahre jünger als Kagegaku selbst. Es gab niemanden, der besser in diese Rolle passte als er. Bisher wusste noch niemand von den Adoptions- und Hochzeitsplänen, die der Stratege während der letzten Tage bis ins kleinste Detail geplant hatte. Es war ein entscheidender Schritt. Erst, wenn er genau wusste, dass für die Familie gesorgt war, obwohl er nie wieder an ihrer Seite sein würde, konnte er so selbstsüchtig sein und sie im Stich lassen. Ab morgen würde er jedem einzelnen unverschämt ins Gesicht lügen müssen. Während alle glaubten, er hätte sich als buddhistischer Mönch von dieser Welt zurückgezogen, würde er in Wirklichkeit ein Bauernleben weit ab in den Bergen führen. Zusammen mit dem Menschen, den er liebte. Es war alles perfekt durchdacht. Wählte er den Weg des Buddhismus, war er niemandem Rechenschaft schuldig. Er konnte unter einem anderen Namen frei leben und alles tun, was er wollte oder noch nie getan hatte. Bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, während er den Brief auf den niedrigen Tisch legte, auf dem bereits das Schriftstück an den Daimyo lag. Bald war das alles vorbei. Dieses Leben, welches nicht mehr zu ihm passte. Das Morden, der Hass und die Einsamkeit. Das alles würde in wenigen Tagen hinter ihm liegen. Seine Freiheit benötigte nur wenige Lügen. So einfach war es. Langsam schob er die beiden Briefe an die Seite des Tisches, zog sich auf die Beine und blies die flackernde Kerze neben sich aus. Es war spät geworden. Wie die Tage zuvor, hatte er wieder bis in die Nacht hinein gearbeitet. Eine wunderbare Stille hatte sich mittlerweile über die Nishiyamaresidenz gelegt. Und Kagegaku liebte diese Ruhe. Oft würde er sie nicht mehr genießen können, aber dafür wartete ein viel besseres Leben auf ihn. Er seufzte, als er sich diesem Gedanken hinterherhängend herumdrehte und gehen wollte. Ein Geräusch aus dem Nebenraum aber machte ihn augenblicklich wieder aufmerksam. Skeptisch trat der Stratege an die geschlossene Verbindungstür. Seine Finger berührten das Kurzschwert, welches er immer bei sich trug. Aufmerksam beobachtete er den auf die papierbespannte Tür geworfenen Schatten, der sich in den Raum, der zu seinen Privatgemächern gehörte, hineinbewegte. Der Eindringling war nicht bewaffnet, das sah Kagegaku sofort. Zudem konnte er Unsicherheit oder gar Verängstigung bemerken. Immer wieder blickte der Unbekannte zur geöffneten Tür und schüttelte den Kopf. Wer auch immer es war, er war nicht allein. Der Stratege blieb vorsichtig. Er tastete sich langsam an der dünnen Papierwand entlang, bereit sich zu verteidigen, würde er angegriffen werden. Doch als der Unbekannte schließlich an die Verbindungstür trat und sie zögerlich aufschob, ging alles blitzschnell. Kagegaku, der im dunklen Raum auf den Eindringling wartete, reagierte im Reflex. Er packte den kleineren Mann und warf diesen auf den Boden, während er gleichzeitig sein Kurzschwert zog und dem Feind die scharfe Klinge an den Hals legte. Das Kerzenlicht seines Schlafraumes strahlte um das Gesicht seines unterlegenden Gefangenen, dem er wortlos mit dem Tod drohte. „Nicht!“, wimmerte es nur verhalten und sofort ließ der Schwarzhaarige geschockt sein Schwert fallen, als er in das Gesicht sah. Verängstigte braune Augen starrten den Strategen an und Kagegaku konnte diesen Blick nur genauso erschrocken erwidern. „Hidetori?!“ Das war alles, was seine gebrochene Stimme vorerst flüsternd zustande brachte. Beinahe hätte er dem Blonden die Kehle aufgeschlitzt. Dieser Fakt lies Kagegaku fürchterlich erzittern. Seine bebenden Hände fuhren panisch zu Hidetoris Gesicht. Sie fuhren über die vor Aufregung geröteten Wangen hinauf zu seinen Schläfen. Dann wieder hinab zu seinem Hals, den er fast in Blut getränkt hätte. Er tastete über die warme Haut, als müsse er prüfen, dass dem Blonden nichts geschehen war. Ohnmächtig über seine eigene Rücksichtslosigkeit schüttelte er immer wieder den Kopf. Hidetori trug das Kopftuch nicht. Das helle Haar, welches im Kerzenlicht wie Gold schimmerte, umrahmte weich sein Gesicht. Er hätte Hidetori früher erkennen müssen. Es hätte so schnell gehen können. In einer Sekunde wäre alles zu Ende gewesen. Und er selbst wäre zu seinem Mörder geworden. „Es tut mir Leid. Es tut mir Leid“, murmelte Kagegaku ohne Unterlass, während der Blonde etwas tat, womit der Krieger in Angesicht dieser Situation niemals gerechnet hätte. Zaghaft fasste er nach Kagegakus linken Hand, führte sie an seine Lippen und schüttelte den Kopf. Perplex verstummte der Samurai, als er auf einmal den warmen Mund auf seiner Handfläche spürte und Hidetoris unsicheren Blick vernahm. Dieser küsste seine Hand und legte sie dann an seine Wange, begleitet von einem warmen Blick. Sofort war Kagegaku an diesen Moment gefesselt. Er konnte plötzlich nicht von den braunen Augen des Blonden lassen. Sie glänzten, als wären da Tränen. Doch er konnte sich auch täuschen. Vielleicht war es auch einfach nur das fahle Licht, welches zu schwach war, um Details wie diese preiszugeben. Wie Fukushima, der draußen am Türrahmen zur Veranda kniete, mit einem Lächeln die Shojitür zuschob, registrierte der Stratege auch vollkommen abwesend. Das Einzige, was dem Schwarzhaarigen gerade deutlich bewusst wurde, war, dass sie zum ersten Mal seit über zwei Jahren allein waren. Warum der Blonde überhaupt hier war, diese Frage stellte sich der Samurai im Moment gar nicht. Diese unverhoffte Zweisamkeit mit dem Blonden benebelte Kagegaku und ein erregendes Kribbeln fuhr durch seinen Bauch. Wie lange hatte er sich danach gesehnt? Wie oft davon geträumt? Hidetori war bei ihm, hier in seinem Zimmer. Er blickte ihn an, diesmal aber nicht abweisend, sondern eher als wolle der Blonde ihn verführen. Er reizte den Samurai und am liebsten wäre dieser auch sofort über den Blonden hergefallen, um dieses Gefühl, welches immer stärker wurde, zu befriedigen. Doch er hatte so viele Fragen, die ihn durcheinander brachten und auf die er gerne Antworten gehabt hätte. Die Situation verwirrte ihn. Immer noch blickte er den Blonden, der unter ihm auf dem Tatamimattenboden lag und ihn mit seinen großen dunklen Augen anstarrte, fragend an. „Es ist nichts passiert“, flüsterte Hyde leise, bevor er langsam durch das Haar des Samurai fuhr und das dunkelblaue Band löste, welches die schwarze Pracht zusammenhielt. Hidetoris Blick veränderte sich, während das Haar über Kagegakus breite Schultern fiel und die längsten Strähnen sogar den Hals des Blonden berührten. „Hat dich jemand gesehen?“, stotterte Kagegaku, sich Hidetoris verhangenen Augen nicht mehr entziehen könnend. Seine Frage war überflüssig und vollkommen fehl am Platze, doch diese Augen, sein Blick, den der Samurai einfach nicht deuten konnte, raubte ihm das Denkvermögen. Er wusste einfach nicht wie er reagieren sollte, geschweige denn, was er sagen sollte. Der Blonde schüttelte den Kopf, bevor er beide Hände um Kagegakus Nacken legte und ihn zu sich hinunterzog. „Bitte keine Fragen mehr“, hauchte er gegen die Wange des Kriegers. Dann dauerte es nur noch den Bruchteil einer Sekunde und Hydes Lippen berührten Kagegakus erwartungsvollen Mund. Begleitet von einem leisen Seufzer küsste er den Samurai, der sofort all seine brennenden Schuldgefühle vergaß und sich diesem Mund hingab. War das etwa ein Traum? War er über den Brief an Prinzessin Ume eingeschlafen? Alles geschah so plötzlich und schnell, dass es Kagegaku kaum glauben konnte. Obwohl sich Hidetoris Lippen und Berührungen verdammt echt anfühlten, hatte er das seltsame Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Die bloße Anwesenheit des Blonden und dessen Sinneswandel war mehr als nur merkwürdig. Doch warum plagte er sich überhaupt mit dieser Skepsis? Hidetori hatte augenscheinlich selbst die hohe Mauer eingerissen. Vielleicht hatte er endlich bemerkt, dass da etwas zwischen ihnen existierte. Er war hier und küsste ihn. Eine Berührung, die genauso wundervoll war, wie Kagegaku sie in Erinnerung hatte. Ihm wurde heiß und sein Herz klopfte wie verrückt. Die weichen Lippen des Blonden streichelten seinen Mund, während er wie ein Süchtiger Hidetoris Geruch einsog. Ein tiefes Seufzen entwich dem Schwarzhaarigen, als der Blonde seine Verführung vertiefte. Er öffnete leicht seinen Mund, stieß mit seiner feuchten Zungenspitze gegen Kagegakus Lippen, während er sich gegen seine Brust schob, den Schwarzhaarigen herumdrängte und ihn unter sich auf den Boden drückte. Als sich dann ihre Lippen voneinander trennten und sie sich lange ansahen, glaubte Kagegaku eine seltsame Trauer und Hilflosigkeit in den braunen Augen vernommen zu haben. Als würde Hidetori vor einer Klippe stehen, einen Schritt vor dem tiefen und todbringenden Fall entfernt. Genauso wie eben, als er gedacht hatte, der Blonde würde Tränen in den Augen haben. Hatte er sich etwa doch nicht getäuscht? Der Samurai wollte fragen was los war, doch bevor er auch nur einen Laut über die Lippen bekam, verteilte der Blonde leichte küsse auf seinem Mund, seinen Wangen, der Nase und Stirn. Als hätte er Kagegakus aufkeimende Sorge irgendwie bemerkt. Diese Zärtlichkeit, die er so nie erfahren hatte, machte den Krieger sprachlos. Selbst als schließlich heiße Tränen auf sein Gesicht tropften und er das Salz schmecken konnte, wusste Kagegaku nicht, was er sagen sollte. Er war hin- und her gerissen zwischen seiner Sorge um den Blonden und dieser unbändigen Hitze in seinem Inneren, die Hidetori allein mit seinem Mund entfacht hatte. Er konnte nicht mehr klar denken. Er war benebelt von diesem Gefühl, welches mit nichts zu vergleichen war. Die warmen Lippen des Blonden fuhren über sein Gesicht und ruhten irgendwann wieder über seinem Mund. Vorsichtig legte Kagegaku seine Hände an Hidetoris Wangen, um ihn genau über seinen Lippen festzuhalten. Er wollte ihn noch einmal küssen. Fester, länger, bis er nicht mehr atmen konnte. Verlangend schob er seine Zunge zwischen die weichen Lippen und suchte die Herausforderung, die ihm nur Hidetori liefern konnte. Und er bekam sie ohne lange darum bitten zu müssen. In wilder Hingabe machte der Blonde diesen Kuss zu einem leidenschaftlichen Erlebnis, das beiden die Sinne raubte. Kagegaku staunte über die Leidenschaft, die in dem sonst so ruhigen Mann steckte. Er konnte ihr kaum etwas entgegensetzen. Seine Hände gruben sich nur in das blonde Haar, weil er sonst nicht wusste wohin mit ihnen. Er fühlte sich wie ein unwissender Nichtsnutz; nicht dazu imstande seine Gefühle zu kontrollieren. Hidetori hatte die Zügel fest in seinen Händen und er wagte es nicht, ihm diese zu entreißen. Er hatte Angst, dann wieder in seine hilflosen Augen blicken zu müssen. Stattdessen ließ er sich widerstandslos von dem Blonden in eine Welt führen, in der er noch nie gewesen war. Eine Welt, die er aber unbedingt kennenlernen wollte. Was er aber nicht wollte, war Hidetori weinen zu sehen. Er wollte nicht hilflos mitansehen müssen, wie er unter seinen Qualen litt. Qualen, die ihm der Blonde wohl nie erklären würde. Ihr Kuss, den Hidetori intensiv angeführt hatte, ließ aber schließlich seine Tränen versiegen. Als hätte es diesen seltsamen Moment nie gegeben, streichelte der Blonde über Kagegakus Wangen, während er sich schließlich luftringend von dessen Mund löste. Hidetoris tränenfeuchten Augen sahen ihn nun nicht mehr traurig an, sondern eher als würden sie in unendlicher Lust ertrinken. Es herrschte eine elektrisierende Atmosphäre, während Kagegaku sich abermals über den Blonden wundern musste. Seine Aura war plötzlich eine völlig andere. Es war nichts mehr von dem verschüchterten und ruhigen Mann, der all seinen Fragen ausgewichen war, übrig. War das der wahre Hidetori? Der Hidetori, der sich so lange versteckt hatte? Der Hidetori, den er über alles liebte? Kein Wort fiel, denn zum reden war keiner der beiden mehr imstande. Hidetoris Brustkorb bebte unregelmäßig, genauso wie Kagegakus. Und als der Blonde sich schließlich auf den Schoß des Samurais setzte und sich aufreizend gegen sein Becken drückte, entwich dem Strategen ein lautes Stöhnen. Und der Blonde schien es zu genießen. Er lächelte kurz, bevor er sich aufrecht setzte und lange auf den Schwarzhaarigen hinabschaute. Als müsse er sich jenen Anblick genauestens einprägen. In Wirklichkeit aber kämpfte er mit diesen mächtigen Gefühlen, die jeden Zentimeter seines Körpers durchfluteten und sein Herz zum brennen brachten. Kagegaku war diese zarte Stille nach ihrem ersten Sturm eine willkommene Pause. Er nutze sie schamlos aus, um den Blonden zu berühren. Seine Hände fuhren über die Waden und Oberschenkel, die der aufklaffende Kimono preisgab. Er streichelte seine Haut, bevor er mit seinen kurzen Fingernägeln darüber kratzte. Als seine Hände unter den Stoff wanderten und höher glitten, zuckte der Blonde plötzlich erregt zusammen. Ein lustvolles Keuchen unterdrückte er auch, obwohl der Stratege nur über seine Hüfte gestreichelt hatte. Nur kurz wunderte sich Kagegaku über Hidetoris Nacktheit unter dem Kimono. Auch der Obi, der vorn statt hinten zugebunden war, war dem Schwarzhaarigen bereits aufgefallen. Der Blonde schien genau dies im Sinn gehabt zu haben, als er hierhergekommen war. Vorbereitet auf eine gemeinsame Nacht war er in sein Zimmer geschlichen. Mit diesen Erwartungen hatte er ihn geküsst und schließlich verführt. So hatte er es geplant. Er spielte ein erregendes Spiel mit dem Schwarzhaarigen und nur zu gern wollte dieser dabei mitmachen. Vor zwei Jahren hatte Kagegaku es selbst versucht. Doch damals hatte ihn der Blonde, kurz bevor es ernst geworden war, kalt abgewiesen. Auch auf sein Liebesgeständnis hatte er nicht reagiert. Er wunderte sich, denn heute war alles so vollkommen anders. Doch lange konnte er diesem Gedanken nicht hinterherhängen, denn Hidetoris Finger legten sich auf den unüblich gebundenen Obi, den er mit wenigen Handgriffen schnell geöffnet hatte. Ohne Kagegakus Blick auszuweichen, legte er den langen schmalen Stoff zur Seite, bevor er den Kimono langsam über seine Schulter streifte. Vollkommen nackt saß er mit gespreizten Beinen auf Kagegakus Schoß und ließ sich vom Samurai anstarren. Dieser konnte seinen aufgeregten Atem kaum noch unterdrücken. Den Blonden so zu sehen, ihm so nah zu sein und ihn spüren zu können, das war bisher nur ein waghalsiger Wunsch gewesen. Und plötzlich war es einfach so zur Wirklichkeit geworden. Er musste sich nur noch das, was er wollte, nehmen. Er musste nur noch das tun, was er fühlte. Hidetori würde ihn nicht mehr abweisen. Denn er wollte es, genauso wie er selbst. Es gab keinen einzigen Grund mehr zu zögern. Er ließ seinen Blick über den nackten Körper des Blonden gleiten, obwohl ihm wegen des schwachen Lichts wohl vieles verborgen blieb. Hidetoris verlangenden Blick aber konnte er regelrecht spüren. Eine noch stärkere Hitze durchströmte ihn, als sich der Blonde plötzlich zu ihm hinabbeugte, seine Hüfte kurz gegen seinen Schoß rieb und dabei zärtlich seine Lippen küsste. Kagegakus Herz raste, als er bemerkte wie sein Körper darauf reagierte. Es war ein wundervolles Gefühl, welches er kaum in Worte fassen konnte. Er konnte es nicht definieren, denn noch nie hatte er so etwas gespürt. Heiße Blitze schossen durch den Körper des Schwarzhaarigen und verweilten brennend zwischen seinen Beinen. Als der Blonde dies bemerkte, zog er den Strategen mit sich nach oben, ohne sich von dessen Lippen zu trennen. Er stieß mit der Zunge in den Mund des Schwarzhaarigen, während er mit geschickten Händen den Obi auf seinem Rücken öffnete, den er schnell abstreifte und wegwarf. Als er dann den Kragen des Kimonos berührte, bemerkte Kagegaku ein leichtes Zittern in den Fingern des Blonden, was er aber als Aufregung deutete. Ob er damit richtig lag, würde er so schnell nicht erfahren, denn wieder forderte Hidetori seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Blonde streifte ihm den Kimono über die Schultern und ließ seine feuchten Lippen sofort über Kagegakus Brust gleiten. Er küsste seine Brustwarze, bevor er sie vorsichtig zwischen seine Lippen nahm. Kagegaku stöhnte, als er dann auch seine Zunge einsetzte, bevor er kurz und fest an ihr saugte. Sein warmer Mund wanderte über seinen Oberkörper, über die Schulter, dem Hals und seinem Bauchnabel. Als Kagegaku das regelmäßige Atmen immer schwerer fiel, wanderte Hidetori wieder hinauf. Bevor der Blonde seine vollen Lippen kurz auf den Mund des Samurais drückte, umklammerte er mit den Beinen seine Lenden und ließ langsam wieder seine Hüften kreisen. Kagegakus Stöhnen nahm er zwischen seinen Lippen auf, während er sein eigenes Verlangen, welches sein Zittern im Unterleib verriet, kaum noch unterdrücken konnte. Er legte seine Arme um den Hals des Strategen und drückte seine glühende Wange an Kagegakus, während er sich schließlich fest an seine Brust schob, die Hände in das schwarze Haar vergrub und leise in sein Ohr keuchte. Als sie eine Weile still so verharrten und der Stratege nur sanft über Hidetoris Rücken streichelte, spürte der Samurai plötzlich wieder die Tränen, die der Blonde schweigend vergoss. Er vergrub sein Gesicht in Kagegakus Halsbeuge, während er immer wieder durch das schwarze Haar streichelte. Verunsichert ließ der Stratege sich dazu hinreißen, eine Frage zu stellen. Sie erschwerte ihm schon das Herz, seit er Hidetoris traurigen Blick gesehen hatte. Er ahnte jedoch, dass er darauf keine Antwort bekommen würde. Er zögerte kurz, bevor er leise zu flüstern begann. „Was wird danach sein?“ Hidetori zuckte kurz zusammen, als er jene Frage hörte. Ohne ein Wort zu sagen, drückte er sich noch fester an den Samurai. Als würde er sich verlieren, klammerte er sich an den Schwarzhaarigen und vermied die Antwort. Doch er musste nichts sagen, denn Kagegaku spürte es auf eine seltsame Art und Weise. Er fühlte, dass es kein Danach geben würde. Obwohl er nicht erklären konnte wieso. Er spürte nur eine unglaubliche Leere in seinem Herzen, eine Dunkelheit, die ihn innerlich verschlang. Es war ihre einzige Nacht, das erste und letzte Mal, dass sie sich so spüren konnten. Als Kagegaku dies realisierte, pochte sein Herz vor Schmerz. Plötzlich spürte auch er Trauer. Eine Traurigkeit, die ihn schier verrückt machte. Genauso musste auch Hidetori sich fühlen. Überwältigt von dieser Lust und gleichzeitig bekümmert von einer undefinierbaren finsteren Ahnung. Aber das wollte Kagegaku nicht. Er wollte den Blonden nicht schon wieder verlieren. Er wollte ewig mit ihm zusammen sein. Und doch wusste er irgendwie, dass ihm nur noch wenig Zeit mit Hidetori blieb. Er konnte und wollte dieses Schicksal nicht akzeptieren. Deshalb fuhr er mit den Fingern über Hidetoris Wangen und küsste ihn in seiner wilden Leidenschaft. Als gäbe es tatsächlich kein Morgen, schnappte er immer wieder gierig nach Hidetoris Lippen, während er seine Hände fest und besitzergreifend über den nackten Körper des Blonden gleiten ließ. Niemals würde er diesen Menschen aus seinen Händen lassen. Selbst wenn er ihn an sich ketten musste, er würde nicht zulassen, dass der Blonde ihn jemals wieder verließ. Das wollte er Hidetori auf jeden Fall spüren lassen. Vielleicht waren seine Berührungen grob, doch sie spiegelten seine wahre Lust und Wut wider. Er konnte sich nicht zügeln, wenn er daran dachte, dass dem Blonden ihr Abschied durch den Kopf ging. Er wollte es ihm aus den Gedanken treiben. Er wollte, dass er nie wieder daran dachte. Fest drückte der Schwarzhaarige seine Hand in Hidetoris nackten Schoß und als er diesem endlich ein Stöhnen entlocken konnte und er willig weiter seine Beine öffnete, befreite sich Kagegaku hastig von dem Streifentuch um seiner Hüfte und presste den Blonden in feuriger Ungeduld auf den Boden. Hidetori erzitterte in seiner Erregung, während sich der Samurai von seinen Gefühlen und seinem Verlangen leiten ließ. Begierig und widerstandslos nahm der Blonde dieses kräftige Feuer tief in sich auf und schrie, als diese harten Wellen schnell immer heftiger wurde. Er verlor sich, ließ sich fallen und Kagegaku drückte ihn fest an seine feuchte Brust, damit er sich nach seinem Sturz in die Tiefe nicht verirrte. Für einen Moment lang vergaß der Blonde seine Sorgen und Tränen. Er gab sich diesem Augenblick hin. Er genoss Ihre Verbundenheit, ihre gemeinsamen Atemzüge und auch diesen Geruch und diese Wärme. Er wollte sich ewig daran erinnern können. An das feuchte Haar des Strategen, an das kratzige Geflecht der Tatamimatten und das starke Herzklopfen, welches ihn die ganze Nacht über begleitet hatte. Niemals wollte er all das vergessen. Egal was mit ihm passieren würde. Denn nun war es vorbei. * „Ich liebe dich auch“, hörte Kagegaku es flüstern, als er die Augen öffnete. Mattes Sonnenlicht schien durch die Papierwände und ließ Kagegaku kurz blinzeln. Langsam wurde sein Blick klarer. Hidetoris Kimono und sein brauner Obi lagen zerknittert neben seinem Gesicht. Er lag auf dem Boden zwischen seinem Arbeits- und Schlafzimmer und spürte nun sehr deutlich das kratzige Geflecht der Tatamimatte. Er drehte seinen Kopf zur anderen Seite und erblickte Leere neben sich. Erschrocken setzte er sich auf, nachdem er panisch neben sich getastet hatte. Doch alles, was er zu fassen bekam, war sein eigener Kimono, mit dem er sorgfältig zugedeckt war. Der Blonde war nicht da. Prüfend sah sich der Stratege in beiden Räumen um, doch von Hidetori keine Spur. „Fukushima!“, brüllte er aufgeregt, während er sich seinen Kimono über die Schultern warf. Der Freund, der die ganze Nacht vor Kagegakus Räumlichkeiten gewacht hatte, trat sofort herein. „Hidetori ... wo ist er?“, überfiel ihn das Oberhaupt sofort und Fukushima starrte ihn daraufhin nur verwirrt an. „Er ist nicht herausgekommen“, murmelte der Berater nachdenklich, als sein Blick auf den hellbraunen Kimono in Kagegakus Händen fiel. Er gehörte ohne Zweifel Hidetori. Doch warum war der Kimono hier und Hidetori nicht? Fukushima fuhr sich grübelnd über die Stirn. Weil er befürchtet hatte, der Blonde würde sich irgendwann davonstehlen wollen, war er besonders wachsam gewesen. Er hatte sich direkt vor die Schiebetür gesetzt und die ganze Nacht kein einziges Mal ein Auge zugetan. Jedes Geräusch, jedes Wort hatte er aus diesem Raum hören können. Dass der Blonde unbemerkt geflohen war, schien vollkommen ausgeschlossen. „Aber wo ist er dann?“, fragte Kagegaku und fuhr sich ebenso nachdenklich durch das zerzauste Haar. „Was ist überhaupt vorgefallen? Warum ist er hierher gekommen?“, wollte das Oberhaupt wissen, doch Fukushima schüttelte nur den Kopf, denn darauf wusste er selbst keine Antwort. Zugeben konnte er nur, dass er sofort ein seltsamen Gefühl gehabt hatte, als der Blonde plötzlich darum gebeten hatte, ihn hierher zu bringen. Obwohl er keinen Grund für seinen plötzlichen Sinneswandel nennen konnte, hatte Fukushima schließlich nachgegeben und das getan, worum er gebeten wurde. „Wo ist er?“, murmelte Kagegaku noch einmal leise. Die dunkle Ahnung, die er letzte Nacht gespürt hatte, kehrte zurück. Obwohl er sich geschworen hatte, den Blonden nie mehr aus den Händen zu lassen, war er nun nicht mehr hier. Das konnte doch nicht sein. Verbittert über seine eigene Unachtsamkeit formte er seine Hände zu Fäusten. „Suche das ganze Anwesen ab! Er muss hier sein“, befahl Kagegaku seinem Berater, der sofort nickte, sich verbeugte und dann den Raum verließ. Als der Schwarzhaarige allein war, starrte er nachdenklich auf das Gewand in seinen Händen. Hidetori konnte doch unmöglich unbekleidet gegangen sein. Er hatte doch nichts außer diesem Kimono. Warum hatte er nicht besser auf den Blonden aufgepasst? Warum war er eingeschlafen? Er bereute seine dumme Leichtsinnigkeit. Hatte er etwa geglaubt, Hidetori hätte seine irrsinnige Flucht während dieser Nacht tatsächlich vergessen? Ja! Ja, er hatte es geglaubt. Er hatte es sich gewünscht, denn Hidetori hatte einen Moment lang glücklich ausgesehen. Der Blonde hatte ihn angelächelt, ohne Wehmut, ohne Trauer. Als wäre alles in Ordnung gewesen. Er hatte vor Lust geschrien, sich während dieser langen Nacht immer wieder an ihn gedrängt, seine Hände in die des Samurai gelegt und zufrieden ausgesehen. Hatte er sich etwa von Hidetori täuschen lassen? Verzweifelt drückte Kagegaku den braunen Stoff an sein Gesicht. Er schloss die Augen und schüttelte fassungslos den Kopf. Der Kimono roch nach dem Blonden. Er ertrug es kaum, denn es quälte ihn und doch sog er den Geruch ein, als wäre es sein rettender Strohhalm. Was sollte er tun, wenn er Hidetori wirklich nie wiedersehen würde? Seine Gedanken waren düsterer denn je, als er seine Augen wieder öffnete und den Blick abwesend durch sein Arbeitszimmer streifen ließ. An einer geöffneten Schachtel, am anderen Ende des Raumes blieb er plötzlich hängen. Mit aufgerissenen Augen stürzte der Samurai in das Zimmer und kniete sich vor die längliche Box. Neben ihr lag der kostbare Kimono, den Hidetori getragen hatte, als er von Kagegakus Männern unten am Fluss gefunden worden war. Als der Blonde vor zwei Jahren verschwunden war, hatte der Stratege ihn hier aufbewahrt. Verstaut unter anderen Boxen hatte er ihn aber völlig vergessen. Hidetori musste ihn letzte Nacht gefunden und herausgenommen haben. Aber warum hatte er ihn dann nicht mitgenommen? Verwirrt nahm Kagegaku das kostbare Gewand in die Hand. Er wollte den Kimono wieder zurück in die Schachtel legen. Doch als er ihn hochhielt, flatterte ein Stück Papier auf seinen Schoß. Nur wenige Worte zierten das Blatt. Worte, die den Strategen erblassen ließen. < Danke für deine Hilfe, für deine Freundlichkeit und deine Liebe. Lebwohl, Hideto > ---------------------------------------- Okay es ist wohl eher ein "den Umständen entsprechend" schönes Kapitel. Nicht das perfekte Glück, aber immerhin mal wieder ein bisschen Zärtlichkeit. XD Aber die Story ist ja noch nicht zu ende. Es kann noch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein. Wenn überhaupt.... >_> Okay??? Okay... bitte verzeiht mir... Eigentlich schreibe ich solche Kapitel etwas anders. Detaillierter, ausführlicher... sozusagen. Aber das wollte ich in dieser Story nicht. Es ist sehr entschärft... ^^;; Ich möchte nicht, dass man diese FF nur wegen dem Adult liest, sondern wegen der STORY. Ihr habt ja Fantasie, oder? ^_- Also denkt es euch detaillierter. ^v^ Was genau mit Hyde passiert ist und warum er überhaupt bei Kagegaku auf der Matte stand, (WARUM wissen wir ja *hust* aber WIESO?) erfahrt ihr im nächsten Kapitel ^_- Für diejenigen, die am Anfang vllt geglaubt haben, sie hätten ein Kapitel verpasst. Oder hätten vergessen, was Kagemura mit Hyde überhaupt angestellt hat. Ist schon alles richtig so. Ihr habt nichts vergessen. Wie gesagt... ihr erfahrt es im nächsten Kapitel. XDD Sorry, dass ich euch wieder mit einem Cliffhanger stehen lasse. Aber ich tu es irgendwie total gern. XDDD Und das müsst ihr noch öfter durchstehen. Ich werde nicht damit aufhören. ^_- Kapitel 16: 2001 ---------------- 16. Kapitel: 2001 [Keine Erinnerungen an deine Liebe. Vergessen unsere Zeit.] ---------------------------------------- Schweigend starrte Hyde an die dunkle Holzdecke, auf die die stark entflammte Kerze seltsame Schatten warf. Der Docht hatte schon eine dunkle Kappe und knisterte leise. Langsam begann es draußen zu dämmern. Doch ehe die ersten Sonnenstrahlen durch das Papier der Wände drangen, würde noch eine Weile vergehen. So lange hatte er noch Zeit. So lange konnte er noch Kagegakus gleichmäßigem Atem lauschen und seine Nähe genießen. Er hatte nicht geschlafen seit schließlich ihr inneres Feuer vor einigen Stunden erloschen war. Als ihn Kagegaku dann fest in seine Arme geschlossen hatte und eingeschlafen war, hatte er einfach nur still dagelegen und den Samurai lange angesehen, obwohl sein Blick immer wieder tränenverschwommen gewesen war. Keine einzige Sekunde dieser Nacht hatte er verpassen wollen, auch wenn er die letzten Minuten schließlich ganz allein genießen musste. Dass der Schwarzhaarige noch tief und fest schlief, war gut so. Er wäre nie in der Lage gewesen, sich von dem Oberhaupt zu trennen, würde ihm dieser in die Augen sehen und wieder nach dem Grund fragen. Letzte Nacht hatte er schon viel zu oft daran gedacht, einfach die Wahrheit zu sagen. Viel zu oft hatte er Kagegaku mit seinem Wankelmut fast in Gefahr gebracht. Er hatte sich geborgen und wohl gefühlt. So sehr, dass es nun stark in seiner Brust schmerzte. Kaum zu denken, dass es das erste und letzte Mal so sein würde. Es wäre für ihn wie das Paradies, könnte er diesen Moment einfach in Ewigkeit einfrieren und immer dann genießen, wenn ihm danach war. Doch das funktionierte nicht. Nicht einmal in seiner Fantasie. Sein Herz mit dieser bitteren Erkenntnis erschwert, drehte der Blonde sein Gesicht zur Seite, um den Samurai ein letztes Mal anzusehen und durch sein Haar zu streichen. „Ich liebe dich auch“, flüsterte er so leise, dass er es selbst kaum verstand. Er dachte an den Moment, als jene Worte über Kagegakus Lippen gekommen waren. Vor zwei Jahren, als der Krieger ihn vor einer ungewissen und düsteren Zukunft gerettet hatte. Hätte Kagegaku ihn damals nicht gefunden, wäre er wahrscheinlich heute nicht mehr am Leben. Er verdankte diesem Mann soviel, dass ein einfaches "Ich liebe dich", einfach nicht ausreichte. Was er wirklich fühlte, würde er in Worten nie ausdrücken können. Kein Kuss der Welt, egal wie leidenschaftlich, würde diesem Gefühl gerecht werden. Selbst das heißeste Feuer war noch zu kühl im Vergleich zu dem, was er für Kagegaku empfand. Er war einfach alles, wofür er lebte. Wieder sammelten sich heiße Tränen in seinen Augen. Sein Kopf pochte schon von diesen ständigen Weinattacken, die ihn immer überkamen, wenn er den Samurai ansah. Seine Tränen strömten über seine Wangen und tropften auf Kagegakus Schulter. Doch dieser bemerkte es nicht. Er schlief. Das Schluchzen, welches den Samurai womöglich aufgeweckt hätte, konnte Hyde nur schwer unterdrücken, während er sich vorsichtig aus den Armen des Schlafenden zog. Ohne Kagegakus warmen Körper, der ihn die ganze Nacht über gewärmt hatte, erzitterte er unter der kühlen Luft des Raumes. Er fasste nach dem dunkelblauen Kimono des Samurais und deckte den Schwarzhaarigen damit vorsichtig zu. Obwohl er selbst fror, ließ der Blonde sein eigenes Bekleidungsstück liegen und schlich langsam in das Arbeitszimmer. Dort setzte er sich an den niedrigen Tisch und griff nach Papier und Pinsel. Seine Gedanken schweiften ab. Sie hingen an dem Abend fest, als er mit Fukushima Tee vor der kleinen Bauernhütte getrunken hatte. Als Kagegakus treuer Freund und Berater in einen seltsamen Schlaf gefallen und er plötzlich von Kagemura überrascht worden war. Spione, die sich unter den Männern des Nishiyamaoberhauptes versteckt halten, hatten dem rachsüchtigen Bruder seine Zuflucht verraten. Mit Ekel dachte Hyde an Kagemuras drohenden Worte zurück, die ihn schließlich zu dieser Tat zwangen. „Erfährt Kenshin, dass mein lieber Herr Bruder einen Spion versteckt, dann würde das sehr sehr schlimme Konsequenzen nach sich ziehen. Für dich und vor allem für ihn. Das könntest du verhindern, wenn du tust, was ich dir sage.“ Natürlich hatte Hyde zuerst abwehrend den Kopf geschüttelt. Niemals wollte er mit dem Bruder des Oberhauptes zusammenarbeiten. Doch der Mann, der zu Kenshins vertrauten Generälen gehörte und damit hohen Einfluss auf den Daimyo ausübte, hatte schließlich die besseren Trümpfe in der Hand gehabt. „Möchtest du, dass ich dir erkläre wie man ihn foltern wird? Wie lange und wie grausam? Willst du hören, was er durchmachen muss, bevor ihm der Kopf abgeschlagen wird?“ Hydes Hände zitterten, als er den Pinsel in die schwarze Farbe tauchte und zu schreiben begann. Er hatte es nicht wissen wollen und doch waren aus Kagemuras Mund die scheußlichsten Details gesprudelt. Ihm waren die Tränen gekommen, als er sich vorgestellt hatte, was man mit Kagegaku tun würde, klagte man ihn wegen Hochverrats gegen den Daimyo an. Panisch hatte er dann zugestimmt, denn die bloße Vorstellung den Strategen in diese Situation zu bringen, hatte er einfach nicht ertragen können. Seine Alpträume wären wahr geworden, hätte er letzte Nacht nachgegeben und Kagegakus Fragen beantwortet. „Falls du glaubst, um Hilfe bitten zu können, oder dich einfach davonstehlen zu können, solltest du vielleicht wissen, dass meine Augen bis in die entlegensten Winkel der Nishiyamaresidenz sehen können.“ Seine Worte hallten noch in Hydes Ohren nach, als er den Pinsel für das nächste Wort ansetzte. Kagemuras Spione weilten unter Kagegakus Leuten. Egal, was er hier tat, der kaltherzige Bruder würde es früher oder später erfahren. Es gab keine Chance zur Flucht oder die Möglichkeit, Fukushima um Hilfe zu bitten. Er wagte es nicht einmal, eine versteckte Botschaft auf das Papier zu schreiben. Das Risiko, dass Kagemuras Männer es irgendwie sehen könnten, war zu hoch. Aber was wollte der zweitgeborene Sohn der Nishiyamas von ihm? Schließlich wäre es diesem doch ein Leichtes, den Blonden einfach umzubringen. Kagemuras Antwort hatte Hyde überrascht und mehr als nur deutlich gezeigt, was Kagegakus Bruder für ein Mensch war. „Ich möchte, dass er verzweifelt.Vor Schuld, Wut und Trauer. Nicht, weil ich dich getötet habe, sondern weil du es aus freien Stücken tun wirst. Er soll dein frisches Blut riechen, wenn du noch warm bist, wenn die Erinnerungen an euer Glück nur wenige Minuten alt sind und er noch fühlen kann, dass du gerade noch lächelnd neben ihm gelegen hast. Er soll an seinen Schuldgefühlen zerbrechen.“ Er sollte sterben. Aus freien Stücken. Selbstmord, nachdem sie ihre Leidenschaft miteinander geteilt hatten. Der Schritt, den man nicht mehr rückgängig machen konnte. Der Schritt, der zwei Herzen fest aneinander band. So fest, dass sie zerbrechen konnten. Und genau das hatte Hyde schließlich getan. Er war letzte Nacht in Kagegakus Herz gedrungen und würde es nun mit sich mitnehmen. Er hatte die Grenze überschritten und den Strategen fester an sich gebunden. Aber nicht, weil Kagemura es so wollte, sondern weil es sein eigener Wille gewesen war. Er war hierher gekommen, um sich und Kagegaku diesen Moment zu schenken. Diese eine Nacht, die zu einer wundervollen Erinnerung und nicht zu einem Grund, der ihn in Verzweiflung stürzen sollte, werden würde. Er glaubte an den Strategen. Er glaubte, dass er daran nicht zerbrechen, sondern eher an Stärke gewinnen würde. Dafür würde er nun sein Leben opfern. So wie Kagemura es wollte. Seine Brust zog sich zusammen, als er den Pinsel beiseite legte und noch einmal einen Blick auf sein Geschriebenes warf. Es waren nur wenige Worte und doch hatte es ihn viele Minuten gebraucht, sie niederzuschreiben. Es war eine von zittriger Hand geschriebene Nachricht, die kaum etwas Wichtiges aussagte. Nur ein leises Danke, welches er bisher nie wirklich über die Lippen gebracht hatte. Es hatte nie die Gelegenheit, nie den richtigen Zeitpunkt gegeben. Hyde nahm das Papier und stand auf. Sein Herz raste, als er sich im Raum prüfend umsah und sofort Kagegakus Kurzschwert, welches dieser am Abend einfach liegen gelassen hatte, erfasste. Die scharfe Klinge glänzte bedrohlich im Kerzenlicht. Hydes Pupillen verengten sich. Er ging hinüber und kniete sich vor die Waffe, bevor er sie ehrfürchtig in die Hand nahm. Sie war schwer und beinahe wäre sie dem Blonden aus den Fingern gerutscht. Unsicher riskierte er einen Blick auf den Schlafenden, bevor er die Augen schloss, tief durchatmete und sich die Klinge an den Hals legte. Seine Hände zitterten stark und ein seltsames Gefühl durchströmte seinen Körper, als er das kalte Metall spürte. War es Angst? Reue? Verzweifelt presste er die Lippen fest aufeinander und hielt den Atem an. Es war so still, dass er seinen eigenen Herzschlag hören konnte. Es pochte gegen seine Brust, als wollte sein Herz ihn von dieser Tat abhalten. Aber er durfte nicht. Er musste es tun. Es war besser so. Als Hyde jedoch das Kurzschwert über seine Haut ziehen wollte, hörte er plötzlich ein schrilles Piepsen. Verwirrt öffnete er wieder seine Augen und sah sich um. Der seltsame Ton war verschwunden, dafür aber schienen sich die Wände um ihn herum zu drehen. Auf einmal rasten die Sekunden und sein Puls pochte noch schneller. Es wurde kalt. So kalt, dass sein schneller Atmen Wölkchen bildete. Seine Pupillen zuckten und seine Arme wurden unendlich schwer. Er konnte das Kurzschwert kaum noch halten. Es war, als würden seine Hände mit dicken Seilen nach unten gezogen. Er wehrte sich dagegen, doch sein Körper war mit einem Mal so schwach, dass er dieser seltsamen Kraft nichts entgegensetzen konnte. Als er vor Kälte keine Luft mehr bekam, ließ er das Schwert schließlich fallen. Schweratmend fasste Hyde sich an die Brust. Sein rasendes Herz wollte sich aber nicht beruhigen und seine Augen sahen nur noch flackernde Bilder. Verwirrt sah er sich um. Alles sah so vollkommen anders aus. Die Wände waren rot, der Boden weiß. Die Kerze flackerte in einem hellen Grün, während Gegenstände keine Schatten warfen. Nur Kagegaku, der mit dem Rücken zu ihm lag und schlief, war unverändert. Was passierte mit ihm? Warum fühlte er sich so merkwürdig? Er schüttelte aufgewühlt den Kopf, bevor sein Blick auf eine Schachtel am anderen Ende des Raumes fiel. Sie lagerte unter zwei anderen kleineren Boxen. Warum sie gerade jetzt seine Aufmerksamkeit erlangt hatte, konnte er sich nicht erklären. Er spürte nur, dass er irgendwie von ihr angezogen wurde. Langsam rutschte der Blonde mit den Knien über den Boden. Die Geräusche, die er dabei machte, waren dumpf, als wäre er unter Wasser. Er zog die längliche Schachtel hervor und nahm ihren Deckel ab. Nachdenklich fasste Hyde in die Box und zog den Kimono heraus. Seine Hände streiften über den weichen Stoff, der mit roten Ahornblättern bestickt war. Es war der Kimono, den er getragen hatte, als Kagegakus Männer ihn vor über zwei Jahren am Fluss gefunden hatten. Er erinnerte sich daran. Doch woher er ihn hatte, das wusste er nicht mehr. Alles, was vor seiner Zeitreise geschehen war, hatte er vergessen. All seine Erinnerungen waren einfach so verschwunden. Er konnte nicht um seine Vergangenheit trauern, weil er nicht wusste, was er überhaupt verloren hatte. Und doch verschwamm sein Blick hinter Tränen, als Hyde daran dachte, mit seinem Tod auch dieses unbekannte Leben wegzuwerfen. Wer auch immer dort auf ihn wartete, würde vergebens seine Zeit damit verschwenden. Er konnte nicht zurück. Er wusste einfach nicht wie. Während er den Kimono auf seinen Schoß legte, versuchte er an seine Vergangenheit zu denken. Doch da war einfach nichts, woran er sich erinnern konnte, egal wie angestrengt er es versuchte. Es existierte nur unendliche Leere, als hätte es sein Leben in der Zukunft nie gegeben. Er war verzweifelter und verwirrter denn je. Er konnte sich weder umbringen, noch in seine Zeit zurückkehren. Was aber sollte er stattdessen tun? Was hatte das Schicksal für ihn geplant? Als Hyde sich diese Frage stellte, färbten sich die roten Wände auf einmal in tiefes Grau. Der weiche Stoff auf seinem Schoß glühte und in seinem Kopf begann es fürchterlich zu hämmern. Die Wärme des Gewandes verbreitete sich in seinem ganzen Körper und seine Augen erblickten dunkelgrauen Rauch. Unter einem plötzlichen Schmerz in allen Gliedern brach er kraftlos zusammen, während sein Atem nur noch stoßweise und gepresst kam. Und obwohl es die reinste Qual war, versuchte er sich immer noch zu erinnern. Diese Schmerzen und Gefühle waren ihm bekannt. Das alles war schon einmal passiert. Er war allein gewesen. In einem Raum mit weißen Wänden und großen Spiegeln. Er hatte den Kimono getragen und der Obi war fest um seine Hüfte geschnürt gewesen. Er hatte keine Luft bekommen und war zusammengebrochen. Und während er in die Dunkelheit gestürzt war, hatte er diese Augen gesehen. Es waren Kagegakus Augen. Sie hatten ihn gerettet. Es passierte das Gleiche. Er spürte regelrecht, wie er langsam die Besinnung verlor. Dieses Mal aber gab es nichts, was ihn leitete. Er sah nichts, er fühlte nichts. Als würde er in einen Abgrund ohne Boden fallen. Hyde wurde panisch und schüttelte den Kopf. Es musste doch etwas geben, woran er sich erinnern und festhalten konnte. Damit er nicht in diese dunkle Unendlichkeit fiel und einfach so verschwand. Ein Gesicht, ein Gefühl oder ein Moment. Jemand, der nach ihm rief, ihn vermisste oder einfach nur an ihn dachte. Er musste sich erinnern, bevor es zu spät war. Und plötzlich, als wären seine Gebete erhört worden, tauchten Bilder in seinem Kopf auf. Sie rasten vor seinen Augen vorbei, überlagerten sich, wurden undeutlich, dann wieder scharf. Er sah, wie er den Kimono getragen hatte und zusammengebrochen war. Wie ein rundlicher Mann sich ihm als Tayama vorgestellt hatte. Wie er auf dem Weg in das Studio bei einem CD-Geschäft angehalten und am Abend zuvor telefoniert hatte. Und dann, wie er verwirrt in seiner Badewanne aufgewacht war. Und auf einmal kam ihm eine Zahl in den Sinn. Während es schwarz um ihn herum wurde, flüsterte er sie mit letzter Kraft. „2001.“ Und dann verlor er das Bewusstsein. * Er schreckte auf, als plötzlich sein Handy, das auf der Kommode neben der Badewanne lag, vibrierte. Benommen starrte er an die Wand und blinzelte, bevor er sich die nassen Haare aus dem Gesicht strich. Er war eingenickt. Die Haut seiner Finger war schon schrumplig und das heiße Wasser leicht abgekühlt. Die Uhr auf dem Handy aber zeigte 20:03 Uhr. Es waren keine 5 Minuten vergangen, seit er das letzte Mal drauf gesehen hatte. Seufzend trocknete Hyde sich die Hände am Handtuch ab, welches ebenfalls auf der Kommode lag, bevor er nach dem Handy fasste. Als er jedoch den Anruf entgegennehmen wollte, schaltete sich das Display ab. Der Akku war leer. Fluchend lehnte er es zurück und sank noch einmal tief in das Wasser. Er fühlte sich merkwürdig. Er war müde und doch hatte er das Gefühl, monatelang geschlafen zu haben. Dabei waren es nur ein paar Minuten gewesen. In seinem Kopf hämmerte es und schwindelig war ihm auch. Er wollte an etwas denken, sich an etwas erinnern. Ein Traum? Aber er wusste, dass er nicht geträumt hatte. Er war doch nur ganz kurz eingenickt. Verwirrt schüttelte der Blonde den Kopf, bevor er sich aus dem lauwarmen Wasser zog. Er warf sich den Bademantel über die Schultern, trocknete sich das blonde Haar grob mit dem Handtuch ab und griff nach seinem Handy, bevor er in das Wohnzimmer seines Apartments ging. Er legte das Handy auf den Tisch und nahm das Festnetztelefon. Die Nummer seines Managers war eingespeichert, also ließ er wählen. „Du wolltest mich anrufen ...?“, murmelte Hyde sofort in den Hörer, ohne eine Begrüßung loszuwerden, während er sich an die schmerzende Stirn fasste. „Ich wollte dich nur an dein morgigen Werbespotdreh erinnern. 10 Uhr im Sender.“ „Ich weiß“, seufzte der Blonde müde. Er hatte doch noch nie einen Termin vergessen. Warum also glaubte sein Manager, ihn gerade heute daran erinnern zu müssen? „Ist alles in Ordnung? Du hörst dich schlecht an“, fragte der Mann am anderen Ende des Hörers. Hyde nickte, während er nach der Fernbedienung griff und den Fernseher anschaltete. „Ja, alles okay. Habe nur etwas Kopfschmerzen und bin müde“, antwortete er ehrlich. Er setzte sich auf die Couch und starrte desinteressiert auf den Bildschirm. Es lief Werbung, also nahm er wieder die Fernbedienung und wollte das Programm wechseln. „Achso, ... Also Tayama-san bringt einen alten Kimono vorbei. Er meinte, dass du ihn unbedingt für diesen Werbespot tragen solltest“, erklärte sein Manager, Hyde jedoch hörte seine Worte gar nicht mehr. Seine Aufmerksamkeit galt dem Fernseher, den er perplex anstarrte. Die Fernbedienung legte er nachdenklich zur Seite, bevor er an sich zweifelnd den Kopf schüttelte. „... irgendwas mit goldenem Haar ...“ „Sag, du kennst doch diese neue Werbung von E-ma, oder?“, unterbrach Hyde skeptisch seinen Manager. Einen Moment lang war es still, bevor der Manager im genervtem Ton eine Gegenfrage stellte. „Hast du mir überhaupt zugehört?“ „Seit wann wirbt denn Masahiro für E-ma? Gestern lief der Werbespot doch noch mit diesem Sänger.“ Die Aufregung, die sich in Hydes Stimme bemerkbar machte, war dem jungen Mann am anderen Ende der Telefonleitung nicht entgangen. „Wovon sprichst du überhaupt?“, brummte er. Der Blonde runzelte nachdenklich die Stirn, während der zweite Werbespot dieser Reihe über den Bildschirm flimmerte. „Wie hieß er doch gleich? Dieser Sänger, der gerade so beliebt ist? Gaku ... Gac... Gackt? Ja stimmt, es war dieser Gackt.“ „Ich weiß immer noch nicht wovon du redest“, klagte der Manager, der sich ignoriert fühlte. „Gestern lief haargenau derselbe Spot mit diesem Gackt“, versuchte Hyde zu erklären. Doch ernten konnte er dafür nur ein genervtes Seufzen, welches über den Hörer in sein Ohr drang. „Erstens, warum interessiert dich das so sehr, und zweitens, ich kenne keinen Sänger mit diesem Namen.“ Hyde runzelte wieder die Stirn. „Und ich dachte, du würdest jedes Sternchen persönlich kennen“, begann der Blonde unabsichtlich zu sticheln. „Was soll das heißen?“ „Du solltest doch wissen, wer im Musikbusiness gerade Rang und Namen hat.“ Als es am anderen Ende der Leitung eine Weile still war, machte sich langsam eine unerklärliche Nervosität im Inneren des Blonden breit. Er starrte auf den Bildschirm und wusste ganz genau, dass dieser Werbespot nur einen Tag zuvor mit einem anderen Gesicht in sein Wohnzimmer geflimmert war und sein Manager schien diese Berühmtheit nicht einmal zu kennen. „Glaube mir, das tue ich. Und ein Gackt gehört sicher nicht dazu. Ich habe noch nie etwas von diesem 'Sternchen' gehört“, meinte der junge Mann am Telefon gereizt. „Aber...“, murmelte Hyde und schüttelte vehement den Kopf, obwohl sein Gesprächspartner davon keine Notiz nehmen konnte. Er war sich sicher, dass er nicht falsch lag. Und das, obwohl er sich nur wenig dafür interessierte, was musiktechnisch um ihn herum passierte. Er hatte genug mit seiner eigenen Band zu tun und eine Solokarriere stand gerade erst in den Startlöchern. Um einen Gackt hatte er sich nie geschert. Dafür war nie die Zeit gewesen. Er wusste auch nicht, warum er sich mit seinem Manager über solch eine Belanglosigkeit stritt, doch aus irgendeinem Grund schien er die Sache einfach nicht ignorieren zu können. Er kannte diesen Gackt ja selbst kaum. Ein paar Mal hatte er ihn im Fernsehen gesehen, oder war ihm ein oder zwei Mal irgendwo Backstage über den Weg gelaufen. Außer einer kurzen höflichen Begrüßung hatten sie nie ein Wort miteinander gewechselt. Trotzdem, irgendein seltsames Gefühl überkam ihn, wenn er an diesen Sänger dachte. Dessen Gesicht konnte er sich gar nicht wirklich vorstellen. Es war unklar, verschwommen. Er hatte ihn ja auch nie richtig angesehen. Selbst den Werbespot hatte er nur flüchtig und eher desinteressiert erfasst, als er vor wenigen Tagen das erste Mal gesendet worden war. „Ich ... ich muss Schluss machen“, stotterte Hyde aufgewühlt, als ihm plötzlich ein merkwürdiger Gedanke gekommen war. Er ließ das Telefon auf die Couch fallen, eilte in sein Arbeitszimmer und setzte sich an den Computer. Grübelnd tippte er den kurzen Namen in die Suchmaschine ein. Warum er dies tat und es ihn so beschäftigte, war ihm ein Rätsel. Doch irgendetwas in ihm schrie nach einer Antwort. Die Antwort auf eine Frage, die er gar nicht kannte. Und als er die Entertaste drückte, bekam er sie. Keine Treffer. Verwirrt versuchte Hyde verschiedene Schreibweisen, doch keine erhielt auch nur ein treffendes Ergebnis. War er verrückt? Er wusste doch, dass es ihn gab. Er hatte doch seine Songs im Radio eines Freundes gehört. Er hatte doch die Menschen auf der Straße über ihn reden hören. Warum verdammt noch mal kannte diese Maschine seinen Namen nicht? Eine seltsame Panik ergriff den Blonden, als er es in Katakana-Schreibweise versuchte und wieder keine Treffer erhielt. Es gab keinen Sänger mit diesem Namen. Hier stimmte etwas nicht, das spürte Hyde ganz deutlich. Irgendetwas war falsch. Irgendetwas hatte sich verändert. Und er fühlte sich auf eine merkwürdige Art verantwortlich. Nervös fuhr er sich durch das nasse Haar und kniff, unter dem Kopfschmerz, der plötzlich stärker geworden war, die Augen zu, bevor er sich zurück in den Stuhl lehnte. Seit er in der Badewanne eingenickt war, fühlte er sich seltsam. Und nicht nur er selbst, sondern alles war irgendwie eigenartig. Als würde er neben sich stehen, nicht er selbst sein. Als wäre seine Welt nur das durchsichtige Innenleben einer Seifenblase, die kurz vor dem Zerplatzen stand. „Was passiert hier?“, murmelte der Blonde, als sich die Wände um ihn herum zu drehen begannen. ---------------------------------------- Also ein Traum war es auf jeden Fall NICHT! Hallo? Ich hasse so was in Filmen oder Büchern... Traum... das ist immer die einfachste Lösung ... unfair und gemein... >-< Neee gemein will ich nicht sein. Gemein war ich schon zu oft... Ich freu mich eigentlich schon richtig drauf, dass nächste Kapitel hochzuladen. Aber ich will meinen Plan ja einhalten, also müsst ihr auf das auch leider wieder 3 Wochen warten. Sobald ich aus Japan zurück bin, ist es da. Wenn es aber keine Probleme mit der Internetverbindung in Japan gibt, dann kann ich es auch pünktlich am 5. oder 6. November hochladen. ^^ Ansonsten wird es erst am 9. November online sein. Da ich aber schon so einen super Vorsprung ausgearbeitet habe, könnte es sein, dass ich ab dem nächsten Kapitel alle 2 statt alle 3 Wochen ein Kapitel hochladen kann. Vllt auch jede Woche... kommt drauf an, wie gut ich nach dem Japanurlaub drauf bin und Bock auf schreiben hab, oder ob ich nicht doch eher in ein tiefes Loch falle, aus dem ich mich erstmal rauswurschteln muss. ^^;; Bis dahin... haltet die Ohren steif!!! I'll be back. ^^V Ina Kapitel 17: Déjà-vu ------------------- 17. Kapitel: Déjà-vu [Erinnerungen an Dich schimmern zart in mir ... Führen mich zu Dir zurück] ---------------------------------------- Skeptisch blickte Hyde in den großen Wandspiegel, während ihm das blonde Haar strähnig zurechtgestylt wurde. Dickes Make-up verdeckte die dunklen Ringe unter seinen Augen, die von seiner schlaflosen Nacht zeugten. Seltsame Gedanken, von denen er nicht abgekommen war, hatten ihn stundenlang wachliegen lassen. Und immer wieder hatte er sich gefragt, warum es ihn so beschäftigte. Warum konnte er sich nicht damit abfinden, dass er es sich diese Dinge nur eingebildet hatte? Warum war er auf den Weg ins Studio in dieses Musikgeschäft gegangen und hatte nach CDs von diesem Gackt gefragt? Und warum war es wieder so ein Schock für ihn gewesen, als er auf seine Bitte hin seltsam angestarrt worden war? Diese Person existierte nicht. Es hatte nie einen Gackt gegeben. Wahrscheinlich war es nur ein Traum gewesen, eine Einbildung. Vielleicht hatte er vor zwei Tagen auf dieser Geburtstagsparty auch einfach nur zu viel Wein getrunken. Es gab so viele Erklärungen dafür. Auch für sein merkwürdiges Befinden seit dem gestrigen Abend. Und doch konnte er sich mit keiner zufrieden geben. Warum nicht? „Das ist doch total verrückt“, murmelte Hyde leise, als die Stylistin den Kamm zur Seite legte. „Bitte?“, fragte sie unsicher, da sie glaubte, es wäre auf ihr Werk bezogen. „Nichts. Schon gut.“ Er schüttelte den Kopf und fasste sich an die Stirn. Vielleicht sollte er sich endlich auf seine Arbeit konzentrieren. Es konnte doch nicht sein, dass ihn diese Sache so fertig machte. Es hatte doch nichts mit ihm zu tun. Alles war doch in bester Ordnung. Er war hier, um seinen ersten Werbespot als Solokünstler zu drehen. In wenigen Monaten würde er seine erste Solosingle veröffentlichen. Es war eine wichtige Zeit in seinem Leben. Er durfte sich von solchen Hirngespinsten nicht beirren lassen. „Guten morgen, Hyde-san.“ Eine tiefe Stimme zog den Blonden aus seinen Gedanken. Ein fülliger kleiner Mann, der sich Luft mit einem Fächer zuwedelte, trat in den Raum und verbeugte sich knapp, während drei andere Männer mehrere Schachteln hereintrugen und sie auf die Tische gegenüber der großen Spiegel abstellten. „Ich bin Tayama und bringe Ihnen den Kimono.“ Nickend stand Hyde auf und verbeugte sich ebenso höflich. Sein Manager hatte ihm von diesem Tayama und seinem Kimono erzählt. Er wäre wohl ein Exzentriker in Bezug auf diesen Kimono. Seine erst kürzlich entdeckte Manie, die er dem berühmten Sänger unbedingt vorstellen wollte. Glücklicherweise passte der Kimono genau in das Konzept ihres Werbespots. Argwöhnisch starrte Hyde den kleinen Mann an, während sofort die Schachteln geöffnet und Kimono sowie Obi vorsichtig herausgenommen wurden. Das breite Grinsen um Tayamas Lippen, als dieser mit seinem Kollegen tuschelte, ließ Hyde skeptisch schmunzeln, bevor er einen Blick auf das kostbare Gewand, welches ihm gereicht wurde, warf. Es war ein Kimono aus feinem blau-braunen Wollstoff. Ahornblätter zierten den Saum und linken Ärmel. Obwohl er schlicht gehalten war, strahlte er eine erhabene Eleganz aus. Wortlos streifte sich der Blonde den grauen Bademantel ab und ließ sich den Kimono anlegen. Ein seltsames Gefühl durchströmte ihn sofort, als er den weichen Wollstoff auf seiner Haut spürte. Es kam ihm bekannt vor. Der Geruch, der schwere Stoff. Es war wie ein Déjà-vu, nur sehr viel intensiver. „Wie alt ist dieser Kimono?“, wollte Hyde wissen. Sein plötzliches Interesse konnte er sich selbst nicht erklären. „ ... Etwa 420 Jahre“, antwortete Tayama nach ein paar Sekunden, in denen er wohl überlegt hatte. „Er stammt circa aus dem Jahre 1573.“ Hyde nickte nachdenklich, während er das grazile Muster, welches sich in den Ärmel streute, näher betrachtete. Die feinen gestickten Linien der feuerroten Ahornblätter wirkten so lebendig, dass er das Gefühl hatte, sie würden vor seinen Augen tanzen. Als würden sie ihm etwas sagen wollen. Etwas, was er vergessen hatte. Hyde runzelte die Stirn, als ihm dieser Gedanke gekommen war. Der Kimono hatte ihn so sehr in seinen Bann gezogen, dass er schon wieder anfing, an sich selbst zu zweifeln. Er schüttelte kurz den Kopf, um diesen Funken in seinem Kopf zu löschen. Er war hier, um zu arbeiten, und nicht, um sich von merkwürdigen Gefühlen überrumpeln zu lassen. „Man spürt regelrecht, wie alt und kostbar er ist“, flüsterte der Blonde, um wieder zurück zum Thema zu finden. Mittlerweile war er mit Tayama allein. Nur noch wenige Minuten, bis der Dreh beginnen würde. „Schon allein seine Geschichte ist unbezahlbar“, sagte Tayama, nachdem er sich auf einen der Stühle vor den Fenstern niedergelassen hatte und nickte. „Geschichte?“, hakte Hyde interessiert nach, obwohl sein plötzlicher Wissensdrang von undefinierbarem Ursprung war. „Während meines letzten Urlaubs in Niigata habe ich einen alten Mann getroffen, der mir von der außergewöhnlichen Geschichte dieses Kimonos erzählt hat.“ Tayama stand wieder auf und trat direkt hinter den Blonden, der sich prüfend im Spiegel betrachtete. Der Blick des Mannes fuhr von den nackten Füßen hinauf in das Gesicht, wo er auf Hydes dunklen Augen traf, die ihn über den Spiegel verwundert anstarrten. „Ein alter Mythos besagt, dass der Kimono einem Mann mit goldenem Haar gehört hätte.“ „Goldenes Haar? Sie meinen blondes Haar?“, fragte Hyde ausdruckslos. Den eigenartigen Blick des Mannes hinter ihm ignorierte er gekonnt. „Sehr genau“, grinste Tayama, während er den Blonden ein zweites Mal prüfend betrachtete. „Aber das ist doch unmöglich“, brummte Hyde, zweifelnd am Verstand des fülligen Mannes. Ein blonder Mann im 16. Jahrhundert? Eine dümmere Geschichte hatte er tatsächlich noch nie gehört. „Das habe ich auch gesagt. Aber der Mann hat mir sogar alte Schriften gezeigt. Briefe, in denen es genau so beschrieben ist.“ Skeptisch sah Hyde den Mann in die engstehenden Augen. Dieser erwiderte seinen Blick und Hyde erkannte sofort, dass Tayama nicht scherzen wollte, sondern es tatsächlich ernst meinte. Dieser Mann glaubte daran. Er glaubte diesem Märchen. „Briefe? Von wem?“ Der Blonde lächelte schwach, während er fassungslos den Kopf schüttelte. Sollte er doch seine merkwürdige Geschichte erzählen. Vielleicht würde sie ihn ja amüsieren oder zumindest etwas von seinen derzeitigen Problemen ablenken. Tayama fuhr sich über die Augenbraue und überlegte kurz, bevor er zu erzählen begann. „Briefe von einem einflussreichen Samurai. Er hieß Nishiyama, ein Vorfahre des alten Mannes. Sein Clan-Banner war eine blaue Lotusblüte. Er schrieb Briefe an einen Mann mit goldenem Haar. Dessen Name ist nicht bekannt, doch man sagt, dass die beiden hinter dem Rücken Kenshins, der Fürst Nishiyamas, der den Fremden als Spion ansah, eine heimliche Liebesbeziehung hatten.“ Die Geschichte strotzte nur vor erfundenem Kitsch und trotzdem brachte sie den Blonden zum nachdenken. Er fühlte sich irgendwie mit ihr verbunden. Als hätte er sie schon einmal gehört. Aber das konnte nicht sein. Sie war ihm unbekannt. Das wusste er ganz genau. „Was wurde aus den beiden?“, hakte Hyde grübelnd nach, bevor er stirnrunzelnd den Kopf schüttelte. Warum hatte er das Gefühl, ganz genau wissen zu müssen, was aus ihnen geworden war? Warum war es so seltsam, diese Frage zu stellen? Und warum wollte er es überhaupt wissen? Es war nur eine Geschichte. Eine dumme Geschichte. Nichts weiter. „Das weiß niemand. Plötzlich verschwand der Fremde. Leute sagen, er hätte sich aus Verzweiflung im Seki Fluss ertränkt, andere meinen, er wäre einfach wieder zurück ins Ausland geflohen, dorthin, wo er wohl auch herkam.“ „Und der Samurai?“, fragte Hyde zögerlich. Seine Stimme war angespannt und er selbst bemerkte, wie er plötzlich nervös wurde. Sein Herz begann, wie verrückt zu klopfen. Eine seltsame Hitze stieg ihm zu Kopf und die Fingerspitzen zuckten. Er spürte auf einmal Angst. Angst vor Tayamas Worten. Angst vor seiner Antwort. Aber er konnte sich nicht erklären warum. „Er ...“ Der kleinere Mann verstummte, als einer seiner Mitarbeiter zur Tür hereinkam und sie über den baldigen Beginn des Drehs informierte. Hyde nickte hastig, bevor er aus einem unerklärlich negativen Gefühl heraus zu keuchen begann. Seine Brust füllte sich mit einer seltsamen Leere, die ihn innerlich zu erdrücken schien. Er drehte sich um und stütze sich mit den Händen auf den Tisch ab. In seinem Kopf schwirrten die seltsamsten Gedanken. Das Gefühl, diese Geschichte eigentlich besser zu kennen, als sie ihm erzählt wurde, schien ihm immer unerträglicher zu werden. Und dann war da wieder dieses merkwürdige Schwindelgefühl, welches ihn schon am Vorabend so gequält hatte. „Könnte ich kurz allein sein?“, murmelte Hyde und fasste sich an die Stirn. Doch als er Tayama einen kurzen Moment später zur Tür schreiten hörte, überkam ihn plötzlich das Gefühl, diesen Augenblick schon einmal erlebt zu haben. Er sah es vor seinen Augen. Wie der rundliche Mann den Raum verlassen und unendlich viele Fragen zurückgelassen hatte. Fragen, die auf seinem Herzen gelastet hatten. Er spürte diese tiefe Reue, die ihn wahnsinnig gemacht hatte und mit einem Mal machten sich seine Beine selbstständig. Er rannte zur Tür und schlug sie hastig zu. Völlig außer Atem packte er den Mann an den Schultern und schüttelte den Kopf. Er musste es wissen. Und zwar sofort. „Sie müssen mir erzählen, was passiert ist“, flehte er. Es war ihm unerklärlich, mit welch starken Gefühlen er gerade zu kämpfen hatte. Angst, Trauer, Verbundenheit. Aber das stärkste, was er unter all diesen Empfindungen spürte, war eine unglaublich starke Liebe. Eine Liebe zu einem Menschen, den er vermisste, um den er sich sorgte und für den er einfach alles tun würde. Auf einmal fühlte er sich unvollständig, entrissen von seinem Glück, welches sich nie wirklich hatte entwickeln können. Gefühle, die er nicht zuordnen konnte und die eigentlich auch nicht ihm gehörten, sondern vielleicht eher zu diesem Fremden in dieser Geschichte passten. Es hatte auf jeden Fall etwas mit dieser Erzählung zu tun. Etwas steckte in ihr und er musste einfach sofort wissen, was es war. „Aber ich kenne nur wenige Fakten“, beteuerte Tayama stutzig. „Sagen Sie mir alles, was Sie wissen!“ Die Verzweiflung in Hydes Augen war dem Mann nicht entgangen. Er wunderte sich über den Star, der plötzlich ein ungewöhnliches Interesse an dieser Geschichte zeigte. Ein Interesse, welches sogar sein eigenes übertraf. Trotzdem nickte er, ging zurück zu seinem Stuhl, auf den er sich setzte, und winkte den Blonden zu sich heran. „Man erzählte sich, dass der blonde Geliebte des Samurais eines Morgens verschwunden war. Die meisten sagten, er hätte sich ertränkt“, wiederholte er noch einmal den Punkt, an dem er mit seiner Erzählung aufgehört hatte. „Im Fluss?“, fragte Hyde, als er an Tayama herangetreten war. „Ja, jedoch gibt es unzählige Geschichten über das Ende dieses Fremden. Zum Beispiel hatten sich einige Dorfbewohner auch erzählt, wie ein alter Wandermönch davon berichtet hatte, einen Mann auf einer Klippe gesehen zu haben. Einen Mann mit goldenem Haar, welches im Morgenrot der aufgehenden Sonne geglänzt hatte. Er wäre nackt gewesen und hätte sich in die stürmischen Wellen gestürzt. Eine Leiche wurde aber nie gefunden.“ Hyde schüttelte den Kopf. Eine schreckliche Wut kochte in seinem Inneren, als er Tayamas Worte hörte. „Das stimmt nicht. Er hat sich nicht umgebracht“, hätte der Blonde fast geschrien. Doch er hielt sich zurück, als er verwundert feststellte, dass er doch gar nicht wissen konnte, wie es wirklich gewesen war. In seinen Fingern aber zuckte es gewaltig. Er fühlte sich in diese Geschichte hineinversetzt. In eine Welt von vor über 400 Jahren, die so komplett anders war als seine. Eine Welt, in der er sich kaum auskannte, und doch war es für ihn, als würde er sie kennen. Als wäre er dabei gewesen, als hätte er mit eigenen Augen gesehen, wie sie gelebt hatten. Als wäre es seine eigene Geschichte, die ihm da erzählt wurde. „Dem Samurai wurde als Beweis ein Dolch übergeben. Er soll wohl dem Fremden gehört haben.“ Zornig ballte Hyde seine Hände zu Fäusten und schüttelte heftig den Kopf. „Es war eine Intrige. Diese Leute und ihre Geschichten ... Die wurden doch alle gekauft! Er hat sich nicht umgebracht. Das alles ist erstunken und erlogen. Er wurde erpresst. Von diesem Bruder. Der Fremde hat diesen Samurai über alles geliebt und wollte ihn retten. Deswegen wollte er sich umbringen ... aber dann ... dann ... “ „Woher wissen Sie das?“ Perplex starrte Tayama dem Blonden in die Augen. Dieser fuhr erschrocken zusammen, als ihm selbst klar wurde, was er da gesagt hatte. Es war einfach zusammen mit seiner Wut aus ihm herausgesprudelt. Verwirrt drückte er sich die Hand auf seine Lippen und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung“, murmelte Hyde nachdenklich. „Ich weiß es nicht.“ Fassungslos ließ sich der Blonde auf die Knie fallen, während er sich mit beiden Händen an den Kopf fasste. Es machte keinen Sinn. Woher wusste er all das und warum bedeutete es ihm so viel? Woher kamen diese Gedanken? Warum waren sie in seinem Kopf? „In einem Briefwechsel zwischen dem Daimyo und dem Bruder des Samurai ist nachzulesen, dass das damalige Oberhaupt wegen Hochverrats angeklagt und verfolgt worden war“, erzählte Tayama weiter, während er Hyde skeptisch beobachtete. „Er war untergetaucht. Erst Monate später hatten ihn die Männer des Bruders gefunden. Der engste Freund des Samurais war während eines Kampfes getötet worden. Er hatte sich geopfert, um seinem Herrn die rettende Flucht ermöglichen zu können. Und dann ...“ „Fukushima?“, unterbrach Hyde den Mann geschockt. Wieder blickte ihn der füllige Mann entgeistert an. Obwohl es ihm langsam unheimlich wurde, nickte er zögerlich. „Ja ... wenn er ... so hieß ...“, stotterte Tayama. Er kam nicht mehr dazu, den Sänger danach zu fragen, woher er wusste, wie der Berater der Nishiyama hieß. Nicht einmal er selbst hatte dies in Erfahrung bringen können. Bevor er aber nachhaken konnte, blickte Hyde aufgewühlt zu Boden, als würde dieser sich selbst darüber wundern. „U-und ... dann?“, fragte der Sänger stotternd, ohne aufzublicken. Tayama schüttelte den Kopf. „Genaueres wusste wohl niemand. Ein Jahr später hatte man das Oberhaupt in einem Waldstück nahe eines Tempels gefunden.“ Seine Worte hallten in Hydes Ohren nach, wie ein unendliches Echo. „... Tot?“, fragte er vorsichtig nach, während dieses zittrig gesprochene Wort kaum über seine Lippen kam. Es war ein Flüstern, welches von seiner Angst regelrecht verschluckt wurde. Als der kleine Mann mit ernstem Blick nickte, drückte Hyde geschockt die Lippen aufeinander. Er unterdrückte ein Schluchzen und drehte sein Gesicht weg, damit Tayama nicht sah, wie sich plötzlich Tränen in seinen Augen sammelten. Sie strömten über sein Gesicht und ruinierten das sorgfältig aufgetragene Make-up. Er konnte es nicht aufhalten. Er konnte sich nicht stoppen. Er weinte, weil er auf einmal großen Verlust spürte. Sein Herz wurde schwer, seine Brust schmerzte. Es war eine schreckliche Qual, die plötzlich in seinem Inneren explodiert war. Und es wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Es war reale Trauer. Ein Gefühl so pechschwarz, dass sich alles um ihn herum verdunkelte. „ ... Wahrscheinlich Selbstmord.“ Tayamas Worte waren wie ein harter Stich in sein bereits blutendes Herz. Leise schluchzend kauerte sich Hyde auf den Boden und schüttelte immer wieder den Kopf. War er vielleicht verrückt geworden? Er wollte schreien, noch lauter weinen und wegrennen, doch er riss sich zusammen. Er wollte sich vor dem fremden Mann nicht noch lächerlicher machen. Noch immer wusste er nicht, warum er so fühlte. Warum er um einen Menschen weinte, der vor vielen Jahrhunderten gestorben war. Warum er lieber selbst gestorben wäre, als jemals erfahren zu müssen, dass ER gestorben war. Er, wen meinte er überhaupt damit? Diesen Nishiyama, der selbst nicht über den vermeintlichen Tod seines Geliebten hinweggekommen war, sich von seiner Liebe zu diesem Fremden nicht trennen hatte können und dem das Leben vollkommen egal geworden war? Ihn, Nishiyama, den er so liebte, dass er sogar durch die Hölle gegangen wäre, um ihn zu retten? Nishiyama, in dessen Armen er gelegen hatte, die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen, nachdem sie all ihre Gefühle miteinander geteilt hatten? Nishiyama, den er verlassen hatte, weil er geglaubt hatte, er würde ohne ihn stärker sein können? War es wirklich Kagegaku Nishiyama, den er meinte? War er es, für den er diese Gefühle hegte? „Es ist meine Schuld, ganz allein meine Schuld“, murmelte Hyde mit zittriger Stimme und von seinem Schmerz zerrissen, als ihm der volle Namen des Samurai alles wieder eingefallen war. Plötzlich erinnerte er sich an alles. An das Klanoberhaupt mit dem pechschwarzen langen Haar. An Fukushima, der ihm ein guter Freund und Gehilfe geworden war. An die kurze Zeit, die er mit dem Oberhaupt verbracht hatte. Ihre langen Abende, das Herzklopfen, wenn sich ihre Blicke getroffen hatten. An ihren neugierigen Kuss an diesem Winterabend und ihre leidenschaftliche Nacht im frühen Herbst. Er spürte noch, wie Kagegaku ihn berührt hatte, wie er ihn leidenschaftlich geliebt hatte, seinen warmen Atem auf seiner Haut. Er hörte noch seine klare Stimme, das tiefe Seufzen seiner Lust. Er sah noch seine dunklen Augen, die ihn fragend angesehen hatten, als er sich stumm und unter Tränen von ihm verabschiedet hatte. Als wäre das alles erst gestern gewesen. Es war auf einmal alles so klar, dass er glaubte, ihn mit seinen Fingern berühren zu können. Und er streckte seine Hände aus und wollte durch das schwarze Haar streichen. Doch er fasste ins Leere. Kagegaku war nicht da, denn es trennten sie Jahrhunderte. Doch nicht nur das. Kagegaku war tot. Schon so lange, dabei hatte er erst am Vortag seine warmen Lippen gespürt. „Hyde-san? Was ist denn mit Ihnen?“ Tayama kniete sich besorgt auf den Boden und packte den blonden Sänger an den Schultern, als dieser plötzlich schwankend zur Seite kippte. Das Gesicht des rundlichen Mannes verschwamm vor Hydes Augen. Eine dunkle Einsamkeit umarmte ihn. Sie vermischte sich mit der Trauer, die seinen ganzen Körper ausfüllte. Kagegakus Tod zerstörte ihn innerlich. Er spürte es. Mit diesem finsteren Schmerz konnte er einfach nicht umgehen. Er hätte nicht sterben dürfen. Nicht an diesem Tag. Niemals hätte dies geschehen dürfen. Es war falsch. Es war einfach nicht richtig. Und er trug die alleinige Schuld daran. „Kagegaku“, flüsterte der Blonde mit erstickender Stimme. Er spürte noch, wie Tayama ihn an den Schultern schüttelte. Er wusste auch, dass sein ganzer Körper schmerzte. Sein Kopf, seine Beine und Arme. Innerlich brannte er. Äußerlich fröstelte es ihn. Doch das alles nahm er nicht wahr. Er ignorierte es, als wäre es nicht sein Körper, der litt. Als hätte sich seine Seele schon von seinem Körper gelöst. Starb er? War dies das Ende? Merkwürdigerweise war es ihm egal. Er konnte keinen Gedanken an sein eigenes Wohl verschwenden. Er dachte nur an Kagegaku und quälte sich mit dieser endlosen Reue. Er war so unglaublich dumm gewesen. Er war auf Kagemuras List reingefallen. Selbst wenn er sich auf grausamste Weise in Kagegakus Armen umgebracht hätte, wäre Kagemura zum Daimyo gegangen und hätte den eigenen Bruder an den Pranger genagelt. Selbst mit seinem Tod hätte er dies nicht verhindern können. Er hätte auf Kagegaku hören sollen. Er hätte es riskieren müssen und mit ihm fliehen sollen. Weit weg aus Echigo. An das andere Ende dieser kleinen im blutigen Bürgerkrieg versunkenen Insel, dort wo sie niemand kannte. Er hätte ihn einfach nicht verlassen dürfen. Nicht so, nicht auf diese Weise. Doch nun war es zu spät. Er konnte es nicht ändern. Es war bereits geschehen ... vor einer Ewigkeit. Dem Schicksal, welches sich so oft vor seinen Augen abgespielt hatte, hatte er einfach nicht entkommen können. Es war passiert, weil er es hätte verhindern wollen. Es war passiert, weil er aus Angst vor dem Tod feige in die Zukunft zurückgeflohen war und Kagegaku allein gelassen hatte. Dieser Kimono hatte ihn hierher zurückgebracht, weil er innerlich um Hilfe gerufen hatte. Weil er sich nicht anders zu helfen gewusste hatte. Weil er keine andere Möglichkeit gesehen hatte, als sich in seinen Wünschen zu vergraben und zu hoffen, dass das alles nicht wahr wäre und er irgendwie gerettet werden würde. Deswegen hatte er so verbissen versucht, sich zu erinnern. Seine Vergangenheit in der Zukunft war seine einzige Flucht gewesen. Seine einzige Rettung. Aber warum? Damit er nun hilflos seine Schuld eingestehen konnte? Damit er jetzt an seinen Erinnerungen zerbrechen konnte? Oder wurde ihm etwa eine zweite Chance gegeben? Konnte er das alles noch verhindern? Konnte er berichtigen, was er falsch gemacht hatte und den Samurai retten? „Kagegaku“, entwich es Hyde noch einmal flüsternd, bevor sich seine Augen schlossen und er plötzlich schlaff in Tayamas Armen zusammensackte. „Hyde-san?“ Tayama klopfte den Blonden zaghaft gegen die Wangen. Er war bewusstlos; reagierte nicht auf seine Rufe. Ratlos blickte sich der Mann um, bevor er in Panik laut um Hilfe rief. Das Gesicht des besinnungslosen Sängers erblasste. Es war kalkweiß. Seine Lippen waren bereits blau und sein Körper seltsam kalt. Entsetzt klopfte Tayama immer wieder gegen Hydes Wangen, rüttelte an seiner Schulter, doch der Blonde wachte einfach nicht auf. „Hyde-san, Hyde-san, wachen Sie auf!“ schrie Tayama, bis endlich Hilfe kam. ---------------------------------------- Da hier in Japan alles so schön mit dem Internet klappt, gibt es das Kapitel wie versprochen pünktlich! ^_^ Viel sag ich jetzt nicht weiter. Wann es das nächste Kapitel gibt entscheidet sich dann in wenigen Tagen. Vllt früher... als gedacht. ^^ PS: Japan ist einfach ein Traum. Übermorgen geht es nach Hause...;_; Es ist schon ein wenig traurig. Kapitel 18: Trauer ------------------ 18. Kapitel: Trauer [Ich fühlte was Abschied heißt. Ich spüre es noch. Dunkle, grausame Sehnsucht...] ---------------------------------------- ~ 4.Tenshō (1576)* - Nishiyama Residenz Wenige Tage nach Hidetoris Verschwinden ~ Sein müder Blick spiegelte sich in der scharfen Klinge des Dolchs, den er in der Hand hatte, wider. Er ertastete feine Sandkörner in den schmalen Rillen des Holzgriffes und musste an die Worte jenen Mönches denken, der den vermissten Hidetori am Tag seines Verschwindens auf der Klippe gesehen hatte. Es waren Worte, die Kagegaku sofort in den tiefen Abgrund der Verzweiflung gestürzt hatten. „Ich habe nach ihm gerufen, … ihn gebeten es nicht zu tun. Doch er stürzte sich ohne auf mich zu hören oder überhaupt zurückzublicken... in das tosende Meer,“ hatte der ältere Mann kopfschüttelnd und merklich aufgewühlt erzählt. Seine Hände waren zittrig und die brummige Stimme brüchig gewesen. Kagegaku hatte Schwierigkeiten gehabt dem Mann zu folgen, als sich dieser immer wieder räuspernd unterbrochen hatte. „Er … er hatte außergewöhnlich … helles Haar. Es schimmerte … in der aufgehenden Sonne wie … Gold. Ja, wie Gold. Ich dachte, er wäre … eine Illusion gewesen. Er wirkte wie … wie ein Geist.“ Kagegaku presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf. Das Bild, wie Hidetori sich in das Meer stürzte, wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Obwohl er den Mönch gefasst gebeten hatte, ihn allein zu lassen, tobte in seinem Inneren ein unbändiger Sturm aus Verzweiflung und Schmerz. Als er schließlich allein war, entrang ein erstickendes Keuchen seinem Mund, während er sich an die Brust fasste und nach vorn beugte. Eine unglaubliche Schwere lag auf seinem Herzen. Sie schmerzte. Ein Brennen, welches seinen ganzen Körper befallen hatte. Er spürte, wie ihn diese Gefühle überwältigten. Sie stachen in seiner Brust und krochen in seine Kehle hinauf. Einen schmerzerfüllten Schrei erstickte er mit seiner Hand, die er fest auf seine Lippen drückte, während er schnell und flach atmete. Er wollte nicht, dass jemand sah, wie er litt. Wie er auf dem Boden kauerte und nach Luft rang. Wie er versuchte die Tränen zurückzuhalten und schließlich doch diesen Kampf verlor. Niemand sollte sehen, dass er schwach war. Er hatte den Dolch, den Yukitaka vor seinem Tod gefunden hatte und die Dolchscheide, die sich bis zu diesem Tag in Hidetoris Besitz befunden hatte, auf seinem Schoß liegen. Der Mönch hatte sie dort an der Klippe gefunden und zu ihm gebracht, da sich sein Wappen darauf befand. Sie war der Beweis, dass es tatsächlich der Blonde gewesen war, der sich an jenem Tag umgebracht hatte. Die ganze Zeit hatte Kagegaku gezweifelt. Er hatte gehofft, dass Hidetori einfach nur geflohen war. Dass sein Lebewohl nicht den Abschied vom Leben bedeutet hatte. Doch er hatte sich geirrt. Er hatte sich schrecklich geirrt. Niemals hätte er daran gedacht, dass er sich umbringen würde. Aber warum? Warum hatte er das getan? Warum war er bei ihm gewesen? Warum hatte er diese Tränen vergossen? Er hätte den Blonden doch beschützen können. Vor der ganzen Welt, selbst vor dem Daimyo. Ja, selbst gegen ihn hätte er sein Schwert erhoben, um Hidetori zu beschützen. Er hätte gegen jeden Feind gekämpft, jedes Hindernis überwunden. Warum hatte Hidetori ihm nicht vertraut? Jene Fragen quälten Kagegaku genauso, wie der unbändige Schmerz in seinem Herzen. Seine Brust war wie zugeschnürt, sein Hals so trocken, dass er brannte. Es waren bereits mehrere Stunden vergangen, seit der Mönch sich entschuldigend verabschiedet hatte. Die Tränen versiegten langsam, doch die Qual, sie war immer noch da. Wie erstarrt saß das Oberhaupt der Nishiyama im Schneidersitz auf seinem Sitzkissen und ließ den Blick einige Male durch den Raum schweifen. An jeder Ecke sah er den Blonden. Jedes Mal, wenn er blinzelte, wurde seine Erscheinung klarer. Er sah es vor seinen Augen, wie sie hier jeden Abend gesessen und Sake getrunken hatten. Wie Hidetori aufmerksam seinen Geschichten zugehört und auch ab und zu interessierte Fragen gestellt hatte. Der Blonde war stets schweigsam gewesen, hatte nie viel von sich erzählt und doch war er Kagegaku immer so nah gewesen. Es war eine Begegnung, die sein Schicksal drastisch verändert hatte. Sicherlich hatte er viele Fehler gemacht. Fehler, die ihn von Hidetori entfernt hatten. Nie hatte er in Erfahrung bringen können, was der Blonde all die Jahre wirklich gedacht hatte. Was ihn bewegt und was ihm Angst gemacht hatte. Er war immer völlig ahnungslos gewesen. Und deswegen war es so weit gekommen. Es war seine Schuld gewesen. Weil er so blind gewesen war, weil er einfach nie etwas bemerkt hatte. Er hätte sich besser um Hidetori kümmern müssen. Er hätte ihn nie nach Kasugayama schicken dürfen. Er hätte ihn nie allein lassen sollen. Ob er jemals mit dieser klaren Schuld leben könnte? Kagegaku schüttelte den Kopf, bevor er in den Garten hinausblickte. Ein frischer Herbstwind ließ die roten Ahornblätter rascheln. Ein Geräusch, das so einsam schien, dass dem Samurai erneut die Tränen kamen. Sie brannten in seinen geschwollenen Augen, flossen über sein Gesicht und tropften auf die scharfe Klinge des Dolchs. Seine verkrampften Finger schlossen sich um den Griff, während er die Lippen fest aufeinander presste. Er fühlte sich verloren und hilflos. Wie es nun weitergehen sollte wusste er nicht. All seine Pläne, seine Zukunft war nun nichts mehr wert. Für ihn gab es keinen Platz mehr auf dieser Welt. Am liebsten würde er nur noch hier sitzen und dieser Stille lauschen. Bis zu jenem Tag, an dem er Hidetori wiedersehen würde. Alles andere ergab für ihn keinen Sinn mehr. Ohne den Blonden war er nichts als eine leere Hülle. Leblos, stumm und gefühllos. Eine Marionette, wie Kagegaku es gewesen war, bevor Hidetori in sein Leben getreten war. Aber so wollte er nicht mehr leben. Er konnte das Blut auf dem Schlachtfeld nicht mehr riechen. Er ertrug es nicht mehr, das Leben eines Jünglings zu nehmen, dessen Leben noch gar nicht begonnen hatte. Das alles machte ihn nur noch krank und wütend. Im Herzen war er kein Samurai mehr. Er war seinem Herrn nicht mehr treu ergeben. Seine Gefühle, sein ganzes Dasein hatte er jemand anderem geschenkt. Nicht seinem Herrn, wie er es vor langer Zeit geschworen hatte, sondern einem Mann, der in seiner Provinz als Verräter und Spion gesucht worden war. Ihn geliebt zu haben, war sein Verrat an den Daimyo. Er hatte nicht mehr das Recht, sich Diener Kenshins zu nennen. Aber darum trauerte er nicht. Er hatte dieses Leben sowieso satt. Es war nur noch von Schmerz und Leid erfüllt. Nichts was ihm Wärme schenken, nichts was ihn halten konnte. Alles war mit dem Blonden verschwunden. Mit diesen Gedanken nahm Kagegaku den Dolch fester in seine Hand. Da er in den eigenen Augen kein Samurai mehr war, konnte er auch nicht nach Samurai-Brauch Seppuku** begehen. Dieser Art des Suizids war er nicht mehr würdig. Er war ein Verräter des Daimyos. Kein Privileg, kein Ritual der Samurai war ihm mehr vorbehalten. Ihm blieb nur noch der Strick oder der Fluss. Doch der Tod durch Hidetoris Dolch schien ihm ebenso angemessen. Er hob die Waffe empor, blickte auf sein Bild, welches sich in der Klinge spiegelte und lächelte. Schon bald waren sie wieder vereint. Bald würde sie nichts mehr trennen können. Kein Hass, keine Gewalt, keine Intrigen würden in dieser Welt mehr mächtig sein können. Denn es war ihr eigenes Reich, in dem sie allein die Regeln bestimmen würden. Der Gedanke daran gab Kagegaku Frieden. Er hatte keine Angst. Sein Leben lang war er auf den Tod vorbereitet gewesen. Jedes Mal, wenn er in eine größere Schlacht gezogen war, hatte er sein Todesgedicht geschrieben. Ein paar Zeilen, seine letzten Worte an die Hinterbliebenen. Erst als er schließlich gelernt hatte, aufrichtig zu lieben, hatte er den Tod gefürchtet. Doch Hidetori war nicht mehr da. Es gab überhaupt nichts zu befürchten. „Nur noch ein paar Sekunden“, flüsterte Kagegaku, nachdem er seine Augen geschlossen und tief durchgeatmet hatte. Er wollte während dieses stillen Moments aus dem Leben treten. Nur das wundervolle Geräusch von raschelnden Blättern und die stille Einsamkeit, die ihn umgab. Es war so idyllisch. Wie die Ewigkeit, der er so entgegen fieberte. Einer Stille, die plötzlich durch einen lauten Ruf unterbrochen wurde. „Kagegaku!“, brüllte jemand und das Oberhaupt öffnete unzufrieden seine Augen. Nur Fukushima nannte ihn hin und wieder bei seinem Vornamen. Dieser polterte aufgeregt die Veranda entlang und trat unaufgefordert in den Raum. Kagegaku blickte dem aufgeregten Freund ungerührt in die Augen. „Ihr müsst von hier verschwinden! Sofort! Kagemuras Männer stehen am Tor und wollen Euch festnehmen. Ihr seid wegen Hochverrats angeklagt.“ Teilnahmslos umklammerte der Stratege den Dolch fester und wollte beenden, was er sich stur in den Kopf gesetzt hatte. „Sie sollen ruhig kommen“, murmelte er und berührte mit der Dolchspitze die Haut an seinem Hals. Gerade als er fest zustechen wollte, packte Fukushima den Dolch und riss ihn aus Kagegakus Händen. Mit einer Mischung aus Überraschung und Wut blickte das Oberhaupt in die hitzigen Augen seines Freundes. „Was soll das, Fukushima?“, brüllte er außer sich. Er wollte nach dem Dolch greifen, der neben ihm auf den Boden gefallen war, doch bevor er ihn zu fassen bekam, packte Fukushima die Hände seines Herrn und drückte das Oberhaupt unsanft auf den Boden. „Glaubt Ihr, dass dies Hidetoris Wunsch gewesen wäre?“, schrie er Kagegaku unter hitzigem Zorn an. Der Stratege war dermaßen entsetzt über Fukushimas Handeln, dass er seinen treuen Freund nur verwirrt anstarren konnte. Es verschlug ihm regelrecht die Sprache. Noch nie hatte Fukushima etwas in dieser Art getan oder überhaupt eine Entscheidung seines Herrn in Frage gestellt. Noch nie hatte Kagegaku ihn so wütend erlebt. „Glaubt Ihr, dass er sich dafür umgebracht hat?“ Fukushimas sonst so sanfte Augen waren weit aufgerissen. Den Großteil seiner Wut aber unterdrückte er hinter seinen fest zusammengepressten Lippen, während er den Druck in seinen Händen verstärkte und die Handgelenke seines Herrn schmerzhaft auf den Tatami drückte. Obwohl dies nicht nötig war. Kagegaku sah sich überhaupt nicht im Stande Gegenwehr zu leisten. Der Schreck über Fukushimas Handeln und seine lauten tadelnden Worte steckte noch viel zu tief. „Glaubt mir. Das hätte er nie gewollt!“ Als der Freund schließlich bemerkte, dass das Oberhaupt dazu bereit schien ihm zuzuhören, wurde seine Stimme wieder sanfter. Dennoch blieb er energisch. „Wisst Ihr eigentlich, wie sehr er Euch geliebt hat? Wie oft er an Euch gedacht hat? Wie viele Sorgen er sich um Euch gemacht hat? Ich weiß nicht, was ihn zu dieser Tat bewegt hat. Aber ich bin mir sicher, dass er es für Euch getan hat. Um Euch zu beschützen. ... Wenn Ihr Euch jetzt umbringt, dann ist sein Tod völlig umsonst gewesen.“ Wortlos starrte Kagegaku in das Gesicht seines Freundes. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Obwohl Hidetori nicht mehr da war, gab es noch immer einen Menschen, der sich um ihn sorgte. Fukushima, sein Freund. Wie konnte er ihn nur vergessen haben? Er war ungerecht und egoistisch gewesen. Hatte nur an sich selbst gedacht. Nur an seinen eigenen Schmerz. Nie daran, wie er sich, sein bester Freund und Begleiter, fühlte. Dabei war Fukushima immer für ihn da gewesen. Seit sie Kinder gewesen waren. Er war der Bruder, den er sein Leben lang vergebens in Kagemura gesucht hatte. Er war es immer gewesen, der ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit, egal in welchen Belangen. Mit ihm hatte er immer über alles reden können. Er war nicht allein. Er war es nie gewesen. Nicht solange noch dieser Mensch an seiner Seite war. Nicht solange er seine Familie war. „Ihr solltet für Hidetori weiterleben. Denn das ist Eure Pflicht. Die einzige, die Ihr noch habt.“ Fukushima ließ von Kagegaku ab, schob sich auf Knien nach hinten und verbeugte sich tief. Um sich für seine Unhöflichkeit zu entschuldigen, aber auch um den Herrn um Einsicht zu bitten. „Ich bitte Euch!“, flehte er mit gesenktem Haupt, während Kagegaku sich aufsetzte und seinen Freund ernst ansah. Seine eigene Dummheit schockierte ihn. Fukushima hatte recht. Natürlich hatte er recht. Alles was er sagte war richtig. Noch nie hatte er sich geirrt. Die Trauer und der Schmerz hatten ihm die Sinne vernebelt und ihn noch blinder gemacht. Er hatte an Hidetori gezweifelt. Sogar, dass dieser ihn überhaupt jemals geliebt hatte. Nie waren diese Worte über die Lippen des Blonden gekommen. Obwohl er das eine Mal geglaubt hatte, Hidetori hätte jenes Geständnis leise geflüstert. Aber das war nur ein Traum gewesen. Ein Traum, der seine innersten Wünsche widergespiegelt hatte. Kagegaku hatte ihn nicht annähernd so gut gekannt, wie Fukushima es getan hatte. Die wenigen Wochen, die der Stratege mit Hidetori verbracht hatte, konnten sich mit den langen zwei Jahren, in denen Fukushima der Schatten des Blonden gewesen war, überhaupt nicht messen. Wenn irgendjemand nur ansatzweise wusste, was Hidetori gedacht oder gefühlt hatte, dann nur Fukushima. „Hochverrat? In welcher Angelegenheit?“, fragte das Oberhaupt, während er gefasst nach seinem Katana griff und es unter den Obi schob. Langsam blickte Fukushima auf und riskierte vorsichtig den Blickkontakt mit seinem Herrn. Kagegaku nickte. In seinen Augen konnte der Freund so etwas wie Dankbarkeit lesen. Dankbar, weil er ihn vor einer großen Dummheit bewahrt hatte? Ohne ein weiteres Wort über das soeben Geschehene zu verlieren, standen sie beide auf und verließen den Raum über eine versteckte Tür hinter der Wandnische. „Zusammenarbeit mit einem gesuchten Spion, dem ihr Unterschlupf und Eure Hilfe angeboten habt.“, flüsterte der Berater des Strategen, als sie den schmalen Korridor in die Küche des Anwesens nahmen. „Dafür gibt es doch überhaupt keine Beweise“, murmelte Kagegaku nachdenklich. Hidetori war tot. Und ansonsten gab es nichts, was auf dieses Verbrechen hindeuten oder es beweisen könnte. „Kenshin liegt ein Brief von Euch vor.“ Stutzig blieb der Stratege stehen. „Brief?“, kam es verdutzt über seine Lippen. „Ich denke, es ist der verschwundene Brief, den Ihr Hidetori geschrieben habt, als Ihr auf Kasugayama stationiert wart.“ Fassungslos schüttelte Kagegaku den Kopf. „Mein Bruder dreht sich alles so hin, wie es am besten in seinen Plan passt.“ Als sie nach draußen gelangt waren, sahen sie sich prüfend um. Das Nishiyama-Anwesen war groß. Die Innenräume sehr verwinkelt und über einen geheimen Korridor miteinander verbunden. Der versteckte Weg führte schließlich durch eine Höhle zu einer geheimen Stallung, die weit außerhalb der Residenz lag. Dort arbeitete ein einziger Stalljunge, der sich um fünf Pferde kümmerte. Pferde, die für Notfälle wie diese hier bereit standen. Kagegaku hatte oft daran denken müssen, dass Hidetori vielleicht über diesen geheimen Weg geflohen war. Doch eigentlich war momentan nur das Klanoberhaupt und dessen Berater, Fukushima in dieses Geheimnis eingeweiht. Die Familie würde erst dann darüber in Kenntnis gesetzt werden, wenn es eine unbedingte Notwendigkeit erforderte. Der Blonde hatte davon nichts wissen können. Trotzdem schien es die einzige Erklärung für Hidetoris Verschwinden zu sein. „Ich wusste, dass er die ganze Zeit den Brief hatte. Er muss das alles schon von Anfang an geplant haben“, meinte Kagegaku, als sie in den Stall zu den Pferden kamen. Fukushima nickte. „Er verwendet ihn, um Euch massiv zu belasten. Und Kenshin glaubt ihm. Der Befehl Euch zu verhaften kam von ihm persönlich, nicht von Kagemura.“ Nachdenklich schob Kagegaku den Stalljungen, der sofort die Pferde satteln wollte, zur Seite und fuhr mit den Fingern durch ein paar verhedderte Haare der Mähne, hob den Sattel auf und schwang ihn selbst auf den Pferderücken. „Dann bin ich nun wohl offiziell ein Geächteter.“ Kagegakus Stimme klang belustigt, doch seine Augen blickten bekümmert zu Boden. Dass sein Leben einmal diese Wendung nehmen würde, hätte er vor drei Jahren nie zu glauben gewagt. Die Treue zu seinem Herrn stand über alles und jedem. Alles was er von früh bis spät in die Nacht getan hatte, war für seinen Daimyo gewesen, den er immer hoch geschätzt und tief verehrt hatte. Wie einen allmächtigen Gott, dessen Wort unantastbar war. Wie ein tosender Sturm war Hidetori dann urplötzlich in sein Leben getreten und hatte es neu geformt. Er hatte Kagegakus Werte verändert und Kreuzungen gelegt, wo es sonst nur einen einzigen Weg gegeben hatte. Der Blonde hatte einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Einen Menschen, in dessen Brust ein starkes und kühnes Herz schlug, was der Samurai früher nie für möglich gehalten hätte. „Hidetori ...“, flüsterte Kagegaku, als er nachdenklich auf den schmucklosen Sattel seines Pferdes starrte. Fukushima, der den plötzlichen Unmut im Gesicht seines Herrn bemerkt hatte, legte seine Hand auf die Schulter des Oberhauptes und nickte. „Wenn Ihr ein Geächteter seid, dann bin ich es auch. Egal wo Ihr hingeht, ich werde Euch begleiten und für Euch kämpfen, bis ich sterbe.“ Kagegaku sah in die Augen seines Freundes. Seine Worte gaben ihm Zuversicht, den Blick nach vorn, den er kurzzeitig völlig verloren hatte. Mit Fukushima an seiner Seite konnte er sich vorstellen, Hidetoris Wunsch wahrzumachen und einfach weiterzuleben. So lange wie es sein Schicksal vorgesehen hatte. Egal ob hier in Echigo oder in irgendeinem Fischerdorf weit im Süden des Landes. Und vielleicht würde er dort auch endlich seine Ruhe finden können. Kagegaku nickte und bemühte sich zu lächeln. „Dann sollten wir uns jetzt beeilen“, meinte er und stieg auf sein Pferd. Fukushima tat es ihm gleich. Und dann ritten sie ohne zurückzublicken los. Hinter sich lassend ihr ruhmreiches Leben als Samurai im Dienste eines der größten Fürsten ihrer Zeit. In eine düstere Zukunft, die ihre dunklen Schatten bis in das 21. Jahrhundert warf. ---------------------------------------- Ich war kurzzeitig etwas Betaleserlos. ^^;;; Aber zum Glück gibt es ja liebe Leute, die einen aus solchen Zwickmühlen helfen. Vielen Dank an Kimiko02, die eingesprungen ist, obwohl sie die FF (zur Zeit) nicht liest und sich der Spoilergefahr ausgesetzt hat. ^^ Hätte sie es nicht getan, dann wäre es nicht nur ein Tag verspätet, sondern vllt ein paar Wochen später on gekommen. Ich hoffe, dass es das nächste Mal wieder rechtzeitig gebetat ist. Hoffentlich habe ich überhaupt noch einen Betaleser. ^^;; Da muss ich wohl nochmal nachfragen. ^^;;; *#*#* Erläuterungen: * Tenshō japanische Epoche von 1573-1592 ** Seppuku ritualisierter Suizid, der etwa ab Mitte des 12. Jahrhunderts in Japan innerhalb der Schicht der Samurai verbreitet war... Ein Mann, der wegen einer Pflichtverletzung sein Gesicht verloren hatte, konnte durch Seppuku die Ehre seiner Familie wiederherstellen. Weitere Gründe für Seppuku waren unter anderem Strafe für einen Gesetzesverstoß oder wenn Ronin ihren Daimyo in den Tod folgen wollten. Kapitel 19: Bestimmung ---------------------- 19. Kapitel: Bestimmung [Dein Körper ist kalt und starr. Schnee vermischt mit Blut. Und mein Traum wird doch real ... ] ---------------------------------------- In einsamen Gedanken versunken blickte der Samurai in das klare Wasser des Baches. Er beobachtete schweigend, wie dicke Schneeflocken sich mit dem plätschernden Wasser vereinten und an ihm vorbeirauschten. Sie entkamen seinen Augen so schnell, wie sie aufgetaucht waren und erinnerten ihn an all die Dinge, die ihm während der letzten Jahre aus seinen unfähigen Händen geglitten waren. Er dachte an seinen verlorenen Status, seine weggeworfene Ehre als Samurai, seine zurückgelassene Familie, an Hidetori und Fukushima. Alles hatte er verloren. Ein Jahr war inzwischen vergangen. Ein Jahr nach Fukushimas Opfer. Er hatte seinen Gesichtsausdruck noch klar vor Augen. Als sich dieser tapfere Krieger todesmutig auf die Angreifer gestürzt hatte, um seinem Herrn die Flucht zu ermöglichen. Kagegaku hatte sich dagegen gewehrt, den Freund kampflos zurückzulassen. Lieber wäre er mit ihm gestorben, doch Fukushima war so dickköpfig gewesen, dass er seinem Herrn keine andere Wahl gelassen hatte Als er kurze Zeit später zurückgekommen war, lag Fukushima bereits im Sterben. Ein Wunder, dass er noch in der Lage gewesen war, zu sprechen. Seine Gedanken an den Freund und seine letzten Worte waren immer noch schmerzerfüllt. Selbst nach so langer Zeit, nach so vielen einsamen Tagen, konnte Kagegaku seine Tränen nicht zurückhalten. Wie er all diese Monate überlebt hatte, war ihm schleierhaft. Sie waren genauso schnell an ihm vorbeigezogen, wie die Schneeflocken im Bachwasser. Jeder Tag in dieser Einsamkeit war schmerzlich, erschreckend kurz und doch so unendlich lang gewesen, wie das Flimmern der Blitze während einer gewittrigen Nacht. Und doch hatte er jeden Tag an Fukushimas letzten Wunsch gedacht. Er solle niemals aufgeben, egal, was sich ihm in den Weg stellen würde. Er sollte auf sein Leben achten, für das Hidetori selbstlos sein eigenes gegeben hatte. Fukushimas Worte hatten ihn all die Monate am Leben gehalten. Obwohl er sich bis zum heutigen Tag nur auf der Flucht befunden hatte, obwohl es schon viel zu oft fast zu spät gewesen war. Irgendwie war er immer noch am Leben. Irgendwie hatte er es immer wieder geschafft. Obwohl es alles andere als leicht gewesen war. Selbst hier in Iwami, weit weg von Echigo, folgten herrenlose Samurai dem Befehl seines Bruders. Egal ob Freund oder Feind seines Klans, auf den Kopf des verräterischen Strategen stand ein hohes Preisgeld. Verarmte Ronin jagten ihn. Sie durchforsteten Wälder, Tempel und verlassen Häuser. Praktisch gab es keinen sicheren Ort für ihn. Keinen Tag, an dem er sich mit seinem selbstgeschnitzten Stock nicht wachsam neben die hölzerne Tür seiner kleinen Hütte setzen und jedem Geräusch lauschen musste. Er lebte von der Welt isoliert und allein. Und dies würde kein Ende nehmen, solange er lebte. Sein Katana hatte er bereits im letzten Winter verkaufen müssen. Mit ihm war schließlich auch seine kämpferische Seele verschwunden. Für dieses sinnlose Dasein hatte er einfach nicht mehr die Kraft. Er hatte nicht mehr den Willen, es mit allen Mitteln zu beschützen. Er war müde und ausgelaugt. Die Sehnsucht nach dem Tod hatte seinen starken Lebenswillen ausgelöscht. Sie war so groß geworden, dass sie bereits all seine Gedanken, all seine Wünsche beinhaltete. In dem Moment, als Fukushima gestorben war, hatte sein Leben schließlich komplett an Wert verloren. Er hatte die letzte Entscheidung nur immer wieder vor sich hergeschoben. Vielleicht, weil er nie diese dumme Hoffnung auf ein Wunder aufgeben konnte. Aber dieses Wunder würde nie eintreffen, das war Kagegaku am heutigen Morgen, als er hinausgegangen war und in den verschneiten Himmel gesehen hatte, klar geworden. Er spürte, dass es so nie ein Ende nehmen würde. Dem Rauschen des Wassers lauschend schloss Kagegaku die Augen und ließ den Schnee in sein Gesicht rieseln. Er genoss schweigend den wohl letzten friedlichen Moment seines Lebens, bis er urplötzlich aus diesen herausgerissen wurde. „Ich bin beeindruckt. Da hast du dir ja ein schönes Zuhause gesucht.“ Die Stimme seines Bruders vermischte sich mit dem Plätschern des Baches. „Kagemura“, murmelte Kagegaku, als er hörte, wie der Schnee unter seinen näherkommenden Schritten knirschte. Über das Auftauchen seines Bruders war er kaum überrascht. Nein, es war eher Erleichterung, was er fühlte, als er Kagemuras Gegenwart nur wenige Meter hinter sich spürte. Es wäre sowieso irgendwann dazu gekommen, dachte der Stratege, während er sich umdrehte und ausdruckslos in die kalten Augen seines Halbbruders blickte. Eines Tages wäre es so oder so zu diesem letzten Treffen gekommen. Kagemura lachte. „Ich weiß schon lange, dass du dich hier aufhältst. Aber ich dachte, ich statte dir erst einen Besuch ab, wenn ich dir etwas mitbringen kann. Schließlich ist es ein langer Weg und …“ „Was willst du?“, unterbrach ihn Kagegaku desinteressiert. Kagemura schnaubte verächtlich, bevor er wieder zu grinsen begann und dem Strategen einen Umschlag vor die Füße warf. „Das hier hast du vergessen, als du wie ein Feigling geflohen bist.“ Skeptisch kniete sich Kagegaku nieder und nahm das Papier in seine Hand. Er faltete es auseinander und stockte, als schwarze Haarsträhnen herausrutschten und sofort vom Wind fortgetragen wurden. „Was ... ?“, flüsterte er verwirrt. Als wäre dies sein Zeichen gewesen, lachte Kagemura spöttisch auf und kniete sich hinab zu seinem Bruder. „Das arme Ding. Sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten“, flüsterte Kagemura. Sofort wusste Kagegaku, von wem hier die Rede war. Die Prinzessin. Die Prinzessin, die er zurückgelassen und somit direkt in die Arme seines teuflischen Bruders gestoßen hatte. Fest umklammerte er mit seinen Fingern das Papier mit den restlichen Strähnen und biss sich auf die kalte Unterlippe. Bedeutete dieses Haar, dass sie tot war? Bedeutete dies, dass er einen weiteren Fehler begannen hatte? Kagemuras Augen spielten ihm Mitleid vor, doch Kagegaku wusste, dass dieser Mann nie so ein barmherziges Gefühl für einen anderen Menschen empfinden könnte. Es war tiefer Hohn, der über die Augen und die Lippen seines Bruders kam. Und er vertiefte ihn, als er merkte, wie es Kagegaku ins Herz traf. Wie es ihn verletzte und wütend machte. „Jede Nacht hat sie mir wegen dir die Ohren vollgejammert. Dabei habe ich ihr besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die vergessene Geliebte meines Bruders war unbestreitbar die schönste Frau weit und breit. Sie in irgendwelche anderen Hände zu geben, wäre reine Verschwendung gewesen.“ Der Stratege blickte bestürzt zu Boden und schüttelte über seine eigene Machtlosigkeit den Kopf. Nicht einmal die Prinzessin hatte er beschützen können. Selbst sie hatte für ihn sterben müssen. Sie, die gar nichts damit zu tun gehabt hatte. Grinsend klopfte Kagemura seinem älteren Bruder auf die Schulter, bevor er aufstand und grübelnd die Stirn runzelte. „Wirklich seltsam ... Über alles hat sie dich geliebt, obwohl sie von dir und Hidetori gewusst hatte, obwohl du ihr nie Beachtung geschenkt und sie letztendlich herzlos weggeworfen hast. Bis zum Schluss, schlug ihr dummes Herz nur für dich.“ Die Einsicht fiel Kagegaku schwer, doch Kagemura hatte vollkommen Recht. Er hatte sie weggeworfen, ohne auch nur einen Moment an ihre Zukunft zu denken. Sie mit sich zu nehmen war keine Sekunde lang eine Option gewesen. Er war einfach gegangen und hatte sie ihrem eigenen Schicksal überlassen. Dabei war es seine Aufgabe gewesen, für ihr Wohl zu sorgen. Egal wie, egal in welchen Schwierigkeiten er selbst steckte. Es war seine Pflicht gewesen. Aber was wäre aus ihr geworden, wäre sie mit ihm geflohen? Wie hätte er sie beschützen können, wenn er nicht einmal in der Lage war, sich selbst zu beschützen, wenn er keine Ziele hatte und ihm alles nur noch sinnlos erschien? Wie hätte sie an seiner Seite überhaupt nur einen Tag überleben können? Er glaubte nicht, dass er dazu fähig gewesen wäre. Kagemura sah seinen Bruder, der immer noch auf dem Boden kniete herablassend an, bevor er mit einem Lächeln auf den Lippen weitersprach. „Doch statt mein Kind auf die Welt zu bringen, wählte sie lieber den Tod. Und das obwohl ich mich aufopfernd um sie gekümmert hatte.“ „Kind?“, murmelte Kagegaku überrascht und sah auf. Im Gesicht seines Bruders konnte der Stratege keine Gefühlsregung erkennen. Keine Trauer, kein Hass, gar nichts. Es schien ihm gleichgültig zu sein. Was Kagegaku aber wenig wunderte. Nicht einmal für seinen Sohn, der mittlerweile neun Jahre alt sein müsste, hatte sein Bruder je Liebe empfinden können. Er war in jeder Hinsicht ein kaltherziges Monster. In Kagemuras Augen zu sehen, war Kagegaku plötzlich zur reinste Qual geworden. Diese Unmenschlichkeit empfand er als unerträglich, also blickte er weg. Doch das kümmerte den vertrauten General Kenshins wenig. Er erfreute sich an dem Ekel, den sein älterer Bruder für ihn empfand. Es bestätigte seinen langersehnten Sieg. „Wie stand es in ihrem Abschiedsbrief? Ah ja ... es würde sie anwidern, in das Gesicht des Kindes sehen zu müssen, dessen Vater ihren liebsten Kagegaku vernichtet hat.“ Kagemura seufzte theatralisch. „Du tust mir wirklich Leid, Bruder. Nun sind sie alle tot, die dir etwas bedeutet haben. Besonders schade aber ist es um deinen Hidetori. Ich hörte, er ist dir weggelaufen und hat sich von den Klippen gestürzt. Du musst ihn ja wirklich schlecht behandelt haben.“ Kagegakus Lippen zuckten, als er den Namen des Blonden hörte. Was dem Bruder nicht entgangen war. Kagemura grinste, als er feststellte, dass seine gewagte List tatsächlich Früchte getragen hatte. Ob Hidetori noch am Leben war oder tot wie in seiner eingefädelten Intrige, das wusste er natürlich nicht. Der Blonde hatte sich nicht an ihre Abmachung gehalten und war trotz angedrohter Konsequenzen aus dem Anwesen geflohen und bis heute nicht aufzufinden. Er hatte tagelang nach ihm suchen lassen. Nicht einmal seine Spione hatten mitbekommen, wie der Blonde unbemerkt fliehen konnte. Es war bis zum heutigen Tag ein ungelöstes Rätsel geblieben. Kagemura war keine andere Wahl geblieben, als alles auf eine Karte zu setzen und diesen Mönch zu erpressen. Er sollte Kagegaku anlügen und von Hidetoris Selbstmord berichten, damit dieser verzweifelte und zu unüberlegten Handlungen griff. Und genauso war es gekommen. Alles lief trotz Hidetoris Verschwinden genau nach seinem Plan. Selbst die heutige Begegnung. „Er hatte wohl nicht sehr viel für dich übrig“, stichelte Kagemura in der Hoffnung, seinem Bruder ein Wort zu entlocken. Doch dieser schwieg. Er starrte nach wie vor auf seine zur Faust geballten Hand, in der er den Umschlag mit Prinzessin Umes Haar hielt. Kagemura seufzte gelangweilt, als er dies registrierte. „Du scheinst nicht mit mir reden zu wollen. Dabei bin ich extra den weiten Weg aus Echigo gekommen...“ „Ich finde, du solltest endlich zur Sache kommen, anstatt mir sinnlos dein Mitgefühl vorzuheucheln“, kam es plötzlich ausdruckslos über Kagegakus Lippen, während er aufstand und ernst in die Augen seines Bruders sah. „Du bist sicher nicht nur hier, um mir von deinen kranken Triumphen zu erzählen.“ Er steckte den Umschlag mit Prinzessin Umes Haar in seinen Kimono und schüttelte langsam den Kopf. Dabei unterbrach er aber nicht den provokanten Blickkontakt. Was sein Bruder wirklich wollte, konnte er diesem von den kalten Augen ablesen. Er hatte es schon gewusst, als er hier aufgetaucht war; in seiner schwarzen protzigen Kriegsrüstung, welches das Wappen der Nishiyama trug. Als wolle er präsentieren, dass er alles besaß, was vorher ihm gehört hatte. Die Familie, das Erbe, den Ruhm. Kagemura nickte und schwieg eine Weile, während er lange in die dunklen Augen seines Bruders sah. Er lächelte, als würde er diesen Moment genießen. Seine Augenlider flatterten, was immer dann der Fall war, wenn er starke Aufregung zurückhalten musste. „Heute ist der beste Tag. Der beste meines Lebens“, sagte Kagemura, bevor er seine Finger um den Griff seines Katana legte und es langsam aus der Schwertscheide zog. * Es war eisig kalt als Hyde seine schweren Lider öffnete und verwirrt blinzelte. Er erblickte nackte verworrene Äste und den mit grauen Wolken verhangenen Himmel über ihm. Dicke Schneeflocken rieselten ihm ins Gesicht. Sie kitzelten kurz an seinen Wimpern, bevor sie wieder schmolzen. Ein kalter Wind fegte über seine nackten Füße. Als er sie bewegen wollte, zog sich ein heftiger Schmerz bis in seine Beine. Seine Hände ruhten steif auf dem kalten Boden und waren schon mit feinem Schnee bedeckt. Auch sie schmerzten bereits unter den eisigen Temperaturen, denen er anscheinend schon etwas länger ausgesetzt war. Er war zurück. Zurück in der Vergangenheit. Das hatte er sofort gespürt, als er die Augen geöffnet und in den Himmel gesehen hatte. Wahrscheinlich hatten ihn seine tiefen Schuldgefühle hierher zurückgebracht. Sein tiefsitzender Wunsch, die Dinge zu verändern, weil sie so nicht richtig waren. War dies seine zweite Chance? Die Gelegenheit, Kagegaku zu retten und endlich sein wahres Schicksal zu erfüllen? Stöhnend stützte sich der Blonde auf seine Arme und stand auf. Seine Beine waren wackelig. Sie sackten unter dem schmerzenden Stechen in seinen Füßen immer wieder zusammen. Als würde er auf einen Teppich aus Nadeln laufen, so stach jeder Schritt auf dem schneebedeckten eisigen Waldboden. Und in seinen Armen hatte er kaum die Kraft sich immer wieder nach oben zu ziehen. Und doch schaffte er es jedes Mal. Die innere Angst, Kagegaku nicht retten zu können, drängte jeden Schmerz beiseite. Jene Angst hätte ihn bis ans Ende der Welt gebracht, bis in die tiefste Hölle. Um den Samurai vor dem sicheren Tod zu bewahren, würde er überall hingehen. Alles, einfach alles würde er für ihn tun. Er tastete sich stöhnend von Baum zu Baum, an denen er sich lehnend alle paar Minuten ausruhte. Dann zwang er sich trotz Müdigkeit und Kraftlosigkeit zum weitergehen. Wohin er laufen sollte, wusste er nicht. Er folgte nur seinem Gespür. Ein Gespür, welches ihm durch den dichten Schnee den Weg zeigte. Ein Weg, den nur er gehen konnte, der nur für ihn existierte. Die Kälte nahm er nicht mehr wahr. Seine Füße waren mittlerweile taub. Sie funktionierten, solange er nicht stehen blieb. Der schwere Kimono klebte feucht an seiner Haut. An einigen Stellen war er sogar schon steifgefroren. Es war die Hölle. Und doch konnte er einfach nicht stehen bleiben. Er lief und lief, als würde man ihn verfolgen. Er musste schnell sein, denn ein seltsames Gefühl plagte ihn. Das Gefühl, zu spät zu sein. Das Gefühl, dass alles umsonst und sinnlos war. Also fing er an, zu rennen. So schnell er konnte. Der Schnee peitschte ihm scharf ins Gesicht und das fehlende Gespür in den Füßen brachte ihn immer wieder zu Fall. Aber liegen bleiben konnte er nicht. Er musste weiter, solange, bis er seine Fehler berichtigt hatte. Die Stunden verflogen und es begann, zu dämmern. Es hatte aufgehört, zu schneien. Und sogar die Sonne hatte kurz einen Weg durch das dicke Wolkengeflecht gefunden. Das tiefe Rot während der Abenddämmerung schien in Hydes Augen, als er plötzlich stehenblieb. Er sah eine kleine Holzhütte, versteckt hinter den Bäumen. Es gab keine Einzäunung, kein Tor, keinen Hof oder ähnliches. Nur eine kleine einsame Hütte mitten im verlassenen Wald. Das tiefhängende Dach war mit so dickem Schnee bedeckt, dass es das Häuschen fast verschlang und Hyde beinahe daran vorbeigelaufen wäre. Das gesammelte Holz lagerte unter dem winzigen Fenster, die schmale Tür war einen kleinen Spalt aufgeschoben. Im Inneren war es dunkel und still. Frische Fußspuren führten vom Eingang hinter das Häuschen. Hier lebte jemand. Vielleicht jemand, der ihm helfen konnte. Vielleicht sogar jemand, der wusste, wo er Kagegaku finden konnte. Erleichterung machte sich in ihm breit, als er schließlich zur Hütte lief und die geöffnete Holztür weiter aufschieben wollte. Doch im letzten Moment hielt er geschockt inne. Er erbleichte, als er plötzlich eine bekannte Stimme hörte. Sie ertönte hinter dem Haus. Eine Stimme, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Lebewohl, Bruder!“ Ein hämisches Lachen hallte im Wald wider, während Hyde hastig zurückrannte und sich hinter einem dickstammigen Baum versteckte. Ein Zittern durchzog seinen Körper, als er nur einen kurzen Augenblick später Kagemuras heroische Gestalt erblickte. Er war wie für das Schlachtfeld gekleidet. Lederne Bein- und Armschienen, eine lackierte Stahlstreifenrüstung und ein breiter Rumpfharnisch. Alles in schlichtem Schwarz. Nur die blaue Lotosblüte, das Wappen der Nishiyama, hob sich von seiner Brust besonders hervor. Der zweilinige Kreis um die Blüte war vergoldet und etwas eckiger, als es Hyde in Erinnerung hatte. Stolz schien der Samurai seine reichverzierte Rüstung zu präsentieren. Als wäre sie speziell für diesen Tag gemacht. Nur für diesen einen Moment, den er ganz allein und doch zufrieden grinsend genoss. Warum war er hier? Warum ausgerechnet hier? Ängstlich starrte der Blonde den Mann in der dunklen Samurairüstung an. Dieser hielt sein langes Katana in der rechten Hand, betrachtete es noch eine Weile voller Begeisterung und ließ die scharfe Klinge dann vorsichtig über ein langes weißes Tuch gleiten. Es färbte sich sofort blutrot. Hyde schluckte und schüttelte schockiert den Kopf, während sich seine Pupillen beim Anblick des Blutes verengten. Kagemura, der nicht ahnte, dass er beobachtet wurde, ließ sein Katana geräuschvoll in die Schwertscheide gleiten. Das zufriedene Grinsen auf seinen Lippen schien wie eingemeißelt. Selbst, als er auf sein Pferd gestiegen war und ihm die Sporen gegeben hatte, war es nicht verschwunden. Wie erstarrt blickte Hyde ihm hinterher, bis er schließlich verschwunden war. In seinem Kopf liefen die Gedanken Amok. Sie kreisten um das Blut, das er an Kagemuras Schwert gesehen hatte, und um das hässliche Grinsen, welches ihm schrecklich bekannt war. Es war dasselbe, wie an jenem Abend, als der rachsüchtige Samurai ihn angegriffen und mit widerlichen Dingen erpresst hatte. Genau dasselbe, wie in dem Moment, als er sich an seiner Idee, den Blonden gegen Kagegaku arbeiten zu lassen, ergötze hatte. Alles um den eigenen Bruder zu schaden. Was hatte er diesmal getan? Wem gehörte das Blut an seinem Katana? Als Hyde sich diese Frage stellte, durchfuhr ein eisiger Schauer seinen ganzen Körper. „Kagegaku ...“, flüsterte der Blonde schockiert. Hals über Kopf stolperte er aus seinem Versteck und rannte zurück zur Hütte. Seine Augen erfassten die dicken Bluttropfen auf dem schneeweißen Boden. Sie führten hinter das Häuschen. Er folgte dieser Spur bis hinunter zu einem kleinen Bach. Und dort erblickte er einen Mann. Er saß an einen Baum gelehnt und schien auf das Wasser zu blicken. Er hatte langes schwarzes Haar, welches im Nacken mit einem goldenen Band zu einem Zopf gebunden war. Der Kimono, den er trug, war aus kostbaren Material und genauso schwarz wie sein Haar. Die weißen Hände lagen zusammengefaltet auf seinem Schoß. „Kagegaku“, flüsterte Hyde noch etwas ungläubig. Obwohl er sich sicher war. Dieser Mann dort war Kagegaku. Er spürte es. Wieder nannte der Blonde seinen Namen. Diesmal lauter, damit der Schwarzhaarige ihn hören konnte. Doch es kam keine Antwort. Keine Regung, nicht einmal ein überraschtes Zusammenzucken. Gar nichts. Zögernd trat Hyde näher an den Samurai heran. Seine Beine zitterten, sie bebten regelrecht. Ein Brennen kroch ihm die Kehle hinauf, als er schließlich stehen blieb und auf den regungslosen Mann hinabblickte. Ihm wurde unwohl. „Kagegaku ... “, mehr wollte nicht über seine Lippen kommen. Er kniete sich hinunter, legte seine zitternden Finger unter das Kinn des Mannes und hob das Gesicht empor. „Du bist es wirklich“, flüsterte Hyde, während er nicht sicher war, ob er darüber glücklich sein, oder in Verzweiflung zusammenbrechen sollte. Stattdessen blickte er nur abwesend auf die geschlossenen Augen. Lange schwarze Strähnen verbargen zum Teil das feingeschnittene Gesicht, welches er in- und auswendig kannte. Es war der Samurai, den er liebte. Der Grund seiner Rückkehr. Aber er bewegte sich nicht. Er war tot. „Wach ... auf!“, stotterte Hyde, während er Kagegakus Schultern packte und ihn zaghaft schüttelte. „Verdammt! Du kannst doch hier nicht liegenbleiben“, murmelte er. Seine Lippen bebten. Er hatte die Situation erkannt und doch konnte er nur solche feigen Dinge sagen. Er wollte sich einen kurzen Augenblick hinter seinen Worten verstecken und es unwahr machen. Vielleicht war es das dann. Vielleicht konnte er ja mit seinen Gedanken der Realität eine Lüge entlocken. Doch als Hyde in Kagegakus Gesicht sah und das Lächeln auf dessen Lippen erblickte, kamen ihm plötzlich die Tränen. Tränen, die bezeugten, dass er es tief in seinem Inneren ganz klar wusste. Sie flossen heiß über seine kühlen Wangen und hinterließen eine brennende Spur der Erkenntnis. Kopfschüttelnd wischte er sie weg und legte seine Hände um Kagegakus Gesicht. Dabei erhaschten seine Augen plötzlich das viele Blut. Es war überall. Auf dem Schnee, an der Baumrinde, auf Kagegakus Kimono und sogar in seinem Haar. Seine linke Gesichtshälfte war ebenso blutüberströmt. Die romantisch weiße Landschaft war in rot getränkt und er hatte es nicht einmal gesehen. Er war völlig blind vor Angst gewesen. Geschockt fuhr Hyde über die Wangen des Samurais. Er wollte das Blut von seiner weißen Haut wischen. Es sollte weg, damit sie wieder so rein wie die eines Engels war. „Nein, nein ...“, flüsterte der Blonde immer wieder, während er seinen Kimonoärmel, der vom Schnee feucht war, nahm und damit verzweifelt über Kagegakus Gesicht fuhr. Es konnte nicht sein. Das musste ein Traum sein, dachte der Sänger. Doch seine Tränen sprachen die irrsinnige Wahrheit. Sie waren heiß wie Feuer und brannten immer noch auf seinem kühlen Gesicht. Dies war die Realität. Die schrecklich schonungslose Realität. Kein Traum, keine Illusion. Kagegaku lebte nicht mehr. Sein starkes Herz hatte schon aufgehört zu schlagen, bevor Kagemura ihn verlassen hatte. Nie wieder würde er seine Augen aufschlagen und ihn ansehen. Nie wieder würde er diese klare Stimme hören können. Es war seine Schuld. Er war zu spät gekommen. Er war einfach zu spät gekommen. Es war seine Aufgabe gewesen, dieses Unglück zu verhindern. Deswegen war er hierher zurückgekommen. Um ihn zu beschützen und bis in alle Ewigkeit bei ihm zu bleiben. Schließlich hatte der Samurai nur noch ihn gehabt. Fukushima war ermordet worden. Jedenfalls hatte Tayama das erzählt. Und wenn das stimmte, dann war Kagegaku allein gewesen. Vollkommen allein. Ohne Besitz, ohne Familie, ohne jemanden, dem er vertrauen konnte. Und deswegen hatte er diese Chance bekommen. Und natürlich hätte er zum zweiten Mal alles für ihn aufgegeben. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Das war es, was er die ganze Zeit gewollt hatte. Nur bei ihm sein, sonst nichts. So wie es jeder Mensch wollte, der verliebt war. Dass er ihn liebte, nicht einmal das hatte Kagegaku gewusst. Nie hatte der Blonde es ihm sagen können. Doch abgesehen von dieser Wichtigkeit, gab es noch so viele Dinge, die er ihm gern gesagt hätte. Doch wozu? Wozu, wenn er nicht mehr angehört wurde? Verzweifelt packte Hyde die Schultern des Samurai und zog ihn in seine Arme. Sein leises Schluchzen hallte durch den Wald. Ansonsten war es beängstigend still. Als hätte alles irgendwie aufgehört, zu leben. Mit geschlossenen Augen schmiegte der Blonde sein Gesicht an die kalte Wange des Schwarzhaarigen. Er wollte seine Haut spüren, ihm ganz nah sein. Er wollte ihn nie mehr loslassen und hier bei ihm sterben. Das hatte er soeben entschieden. Es gab keinen anderen Weg als diesen. Mit seinen Fingern strich er langsam durch das feuchte schwarze Haar und flüsterte immer wieder weinende Worte in Kagegakus Ohr, während es erneut anfing zu schneien. „Warum hast du das zugelassen?“ Seine Finger stoppten im Nacken des Samurai. Kagegakus Körper war so kalt wie der herabrieselnde Schnee und doch fühlte sich Hyde irgendwie warm umarmt. „Warum ... warum hast du dich nicht gewehrt?“ Ein tiefes Schluchzen erstickte seine letzten Worte. Dass Kagegaku kein Schwert bei sich trug, hatte er sofort bemerkt. Aber warum nicht? Warum hatte er sich so einfach von Kagemura umbringen lassen? Seine Tränen flossen haltlos über sein Gesicht. Es wollte einfach kein Ende nehmen. Und seine Augen brannten, als hätte er bereits zwei Tage durchgeweint. Doch so lange würde es hoffentlich nicht dauern, bis er hier in Kagegakus Armen erfroren war. Bis diese Qual endlich ein Ende genommen hatte. „Warum hast du nicht auf mich gewartet?“, murmelte Hyde und drückte Kagegaku fester an seinen Körper. Nie würde er Antworten auf diese Fragen erhalten. Sie gingen in der Stille des Waldes unter, als wären sie nie über seine Lippen gekommen. Aber er brauchte sie nicht mehr. Denn hier würde bald sowieso alles zu Ende gehen. Seine Liebe, seine Zukunft, sein Leben. Er hatte nichts mehr. Mit Tränen in den Augen starrte Hyde ins Leere. Der dicke Stoff seines Kimonos hatte sich mit Kagegakus Blut vollgesogen und lag noch schwerer auf seinem Schoß. Der Boden um ihn herum war nun ein eisiger Teppich aus Blut. Aber der Blonde rührte sich nicht von der Stelle. Egal wie stark er fror und zitterte, egal wie groß seine Schmerzen waren, oder wie schrecklich der Anblick war. Er würde hier bleiben, bis in alle Ewigkeit. Selbst wenn er Jahre auf seinen Tod warten müsste. Und so vergingen weitere qualvolle Stunden. Die Minuten schlichen dahin, während Hyde immer mehr an Kraft verlor. Es war dunkel geworden und die Stille hing immer noch furchteinflößend in der eisigen Luft. Mittlerweile fiel es dem Blonden schwer, den Samurai in seinen geschwächten Armen zu halten. Widerwillig legte er ihn deshalb vorsichtig in den feinen Neuschnee. Er selbst spürte kaum noch etwas. Weder die Kälte, noch irgendwelche Schmerzen. Selbst das Zittern hatte aufgehört, als wäre sein Körper schon erfroren. Als wäre alles schon lange vorbei. Er legte sich neben Kagegaku und blickte noch ein paar Minuten in sein friedliches Gesicht. Die Lippen des Samurai waren blau und die Haut so weiß wie der Schnee. Er wirkte zerbrechlich, wie aus Glas, und trotzdem war er immer noch so wunderschön. Genauso wie an jenem Tag vor so vielen Jahren, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Damals noch unwissend, was ihre verwirrenden Gefühle zu bedeuten hatten. Doch in jenem Moment hatten sich ihre Schicksale so fest miteinander verbunden, dass dieses unsichtbare starke Band selbst jetzt nicht auseinandergerissen war. Es würde noch lange nach ihrem Tod existieren. Denn ihre Geschichte würde weitererzählt werden. Von Generation zu Generation. Bis sie ihm durch Tayama selbst zu Ohren kommen würde. Aber würde dies überhaupt geschehen? Nun, da er Kagegakus Tod nicht hatte verhindern können? Nun da er selbst hier sterben würde? War dies vielleicht das Ende des Kreislaufes? Das Ende ihrer Zukunft? „Du bist ... so ein ... Dummkopf, weißt du?“, flüsterte Hyde erschöpft. Seine müden Augen konnte er kaum noch offen halten. Er sah nur noch unklare Umrisse, die im weiß des glitzernden Schnees verschwammen. „Du hättest ... nie ... nie sterben dürfen.“ Blind tastete der Blonde mit seiner Hand nach Kagegakus Brust. Seine Finger berührten den steifgefrorenen Kimono, an den er sich klammerte, um sich näher an den Samurai zu ziehen. Seufzend bettete er sein Gesicht auf Kagegakus Schulter und flüsterte mit brüchiger Stimme, „Nie...mals.“ Dann schloss er die Augen und dachte an nichts. Ihn umfing sofort endlose Leere. Eine Leere in seinem Kopf und in seinem Herzen. Die Müdigkeit kroch in seine Glieder. Dagegen wehren konnte er sich nicht mehr. Er wollte es auch nicht. Er wollte sterben. Hier und jetzt und endlich wieder bei Kagegaku sein. In der Stille, die ihn umfing, hörte er sein eigenes Herz schlagen. Es war ein dumpfes unregelmäßiges Geräusch, welches immer schwächer wurde. Die tiefe Dunkelheit der hereingebrochenen Nacht umarmte ihn und die eiskalten Temperaturen ließen seine Gliedmaßen steif werden. Durch seine rissigen Lippen versuchte er noch, Luft zu holen und sich das letzte Mal gegen den Tod zu wehren. Es war schon so schwierig, dass er es gleich nach dem ersten Versuch aufgab. Er war zu müde, zu schwach. Und er spürte ganz deutlich, wie sein Körper sich dem Tod fügte. Er kapitulierte einfach. Und es tat nicht einmal weh. Es war, als würde er ganz normal einschlafen. Mit dem Gedanken an den nächsten Tag. Hyde jedoch dachte nicht an morgen, denn er wusste, dass es ihn nicht geben würde. Und dann kam nichts. Nur eine tiefe Dunkelheit, die sich mit keinem bekannten Gefühl vergleichen ließ. Aber es war wundervoll. Eine positive Schwärze, die ihn in sich hineinsog. Und er fühlte sich körperlos. Wie eine dünne Wolke, die vom warmen Wind leicht getrieben wurde. Obwohl er nichts anderes fühlen konnte, glaubte er, dass nur dies der Himmel sein konnte. Die Unendlichkeit weit und breit. Doch etwas schien ihm sofort seltsam zu sein. Plötzlich zweifelte er. War dies denn wirklich der Ort, an dem seine Reise enden würde? Hier, wo es nur dunkel war? Wo es keinen Anfang und kein Ende gab, sondern nur diese unendliche Leere? Ihm stellte sich die Frage, warum er überhaupt diese Freiheit wollte. Warum, wenn er dafür doch nur allein war? Warum, wenn es hier keine Gefühle gab? Hatte er sich den Tod so vorgestellt? Nein, natürlich nicht. Er hatte doch gehofft, er könne mit Kagegaku zusammen sein. Das war doch der Grund gewesen, weshalb er sich nicht gegen den Tod gewehrt hatte. Er schrie, doch es blieb still. Er schlug um sich, doch er konnte nichts greifen. Obwohl es nichts um ihn herum gab, fühlte er sich plötzlich eingeengt. Wie in einem Kokon aus Zement. War der Himmel wirklich so qualvoll? So einsam, so dunkel? Er wollte zurück. Er wollte kämpfen. Um Kagegaku und sein eigenes Leben. Er wollte doch mit ihm glücklich sein. Es war doch so einfach. So schrecklich einfach. „Du darfst nicht sterben!“, schrie Hyde, als läge die Lösung all seiner Probleme in seiner Stimme. Er spürte den Schmerz in seiner Kehle, aber trotzdem blieb es still. Verzweifelt schrie er immer wieder seinen Namen, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Aus seinen Augen flossen die Tränen. Er spürte, wie sie über seine Wangen liefen. Aber er konnte sie nicht berühren. Als wären seine Arme weit weg vom Körper gestreckt und an ein Gitter gefesselt. Er ertrug es nicht mehr. Diese Dunkelheit, diese Leere. Das war nicht das Paradies, nach dem sich alle Menschen sehnten. Es war die Hölle. Die einsame Hölle. Wurde er für sein Versagen bestraft? Dafür, dass er aus Dummheit die Geschichte verändert hatte? Dafür, dass er ihn umgebracht hatte? „Kagegaku ...“ Obwohl sein hilfloses Flüstern genauso lautlos wie seine verzweifelten Schreie war, blieb es dieses Mal nicht ungehört. Auf einmal stach ein grelles Licht in seine Augen. Er kniff die Lider zusammen und als er sie zaghaft wieder öffnete, blickte er in das Gesicht des Schwarzhaarigen. „Kagegaku...?“, murmelte Hyde ungläubig. Leise hallte seine Stimme durch die Unendlichkeit. Der Samurai lächelte und seine dunklen Augen glänzten. Der Blonde konnte es nicht glauben. Er wollte ihn berühren, doch als er seine Arme ausstreckte, fasste er ins Leere. Kagegaku war für ihn unerreichbar, egal wie oft er es versuchte. „Bitte ...“ Seine eigene Stimme, die nun laut und klar in seinen Ohren widerhallte, erschreckte Hyde. Alles wurde nun deutlich. Farben und Geräusche kehrten zurück. Er hörte das Zwitschern der Vögel, das Flüstern des Windes und wie Wasser plätscherte. Und Kagegakus Gegenwart, obwohl er ihn nicht berühren konnte, beruhigte ihn. Sie gab ihm unheimlich viel Kraft. Er spürte seine Nähe. Nicht körperlich, sondern viel eher in seinem Herzen. Es war warm und wundervoll und all seine Ängste waren plötzlich verschwunden. Stattdessen hatte Hyde ganz klar erkannt, was er zu tun hatte, um all dies abzuwenden. Er hatte die Macht, alles zu ändern. Nur er. Er konnte Kagegaku retten. „Du darfst nicht sterben. Du musst leben ...“, flüsterte Hyde. Er wusste, dass Kagegaku ihn hören konnte. Selbst wenn er nur ein Geist war. Ihre Gefühle waren miteinander verbunden. Bis in alle Ewigkeit. Kagegaku nickte zögerlich, doch seine Augen blickten ihn besorgt an und Hyde spürte sofort den Grund. Sein Kimono wurde warm. Die roten Ahornblätter glühten, als würden sie in Flammen stehen. So wie sie es bisher immer getan hatten, wenn sie ihm einen Wunsch erfüllten. Doch diesmal war es vollkommen anders. Diesmal war der Wunsch so groß, dass er nicht ohne Gegenleistung erbracht werden konnte. Er musste für Kagegakus Leben ein Opfer bringen. Aber er zögerte nicht. Keine einzige Sekunde lang. Das Leben dieses Mannes war ihm das Wichtigste auf der ganzen Welt. „Du musst leben, ... bis ... bis wir ...“ Der Blonde presste seine Lippen fest aufeinander. Obwohl er stark sein wollte, verschwamm sein Blick hinter Tränen. Verabschiedungen waren ihm noch nie leicht gefallen. Vor allem nicht, wenn sie das Ende bedeuteten. „... bis wir ... wieder zusammen sein können.“ Trotz seiner Worte wusste Hyde, dass dieser Abschied endgültig war. Er log, aber er wusste einfach nicht, was er sonst sagen sollte. Sie würden nie zusammen sein können, weil er nie wieder hierher zurückkehren würde. Er spürte es. Der Kimono glühte stärker, so stark wie nie zuvor. Als würde er seine ganze Kraft zusammenbündeln. War dieser Wunsch erfüllt, würde dieser Zauberkimono nicht mehr existieren. Kein Weg würde ihn dann mehr zu Kagegaku führen können. Zwischen ihnen lag dann nur noch die Ewigkeit der Zeit. Viele, viele Jahre, die nicht zu überbrücken waren. Aber so hatte es das Schicksal wohl von Anfang an für sie vorgesehen. Genauso, wie es gerade passierte. „Ich werde auf dich warten.“ Kagegakus Worte drangen unerwartet in Hydes Ohren, bevor dieser sehnsüchtig seufzte. Wie sehr hatte er seine warme Stimme vermisst? Diese Stimme, die er so sehr liebte. Dabei lag seine letzte Begegnung mit dem Samurai praktisch nur zwei Tage zurück. Stattdessen aber fühlte es sich so an, als wären es in Wirklichkeit viele Jahrhunderte gewesen. Jahrhunderte, die er mit seinen Zeitreisen schon so oft übersprungen hatte. War es deswegen so? Verwirrt blickte der Blonde in Kagegakus Augen. Sie überschütteten ihn sofort mit unausgesprochenen Geständnissen, die es Hyde nur noch schwerer machten. Und trotzdem fand jedes einzelne Wort sofort den Weg in sein Herz. „Ich liebe dich und ich werde auf dich warten. Bis du zurückkommst“, hörte der Blonde es immer wieder flüstern, obwohl sich die Lippen des Schwarzhaarigen nicht bewegten. Vielleicht war es Kagegakus Herz, was er sprechen hörte. Seine innersten Gefühle, seine Wünsche. Wie ein Süchtiger sog Hyde seine Worte auf. Er wusste, es war das letzte Mal, dass er diese Stimme hören würde. Das letzte Mal, dass er ihn sehen konnte. Dann waren sie für immer getrennt. Aber würde er sich denn an Kagegaku erinnern können? Oder würde er ihn wieder vergessen? Würde er ihn diesmal vielleicht für immer vergessen? „Ich werde mich immer an dich erinnern“, schwor der Schwarzhaarige, als hätte er Hydes düsteren Gedanken gelesen. Dann wurde Kagegakus Stimme leiser und verstummte schließlich ganz. Verzweifelt schüttelte der Blonde den Kopf. Er wollte nicht wieder vergessen. Aber das würde er. Sobald er zurück in seiner Zeit war, würde er all das wieder vergessen haben. Genauso wie beim letzten Mal. Er hatte sich nur erinnern können, weil er den Kimono gehabt hatte. „Ich will dich nicht vergessen“, wollte Hyde sagen, doch er schwieg. In Kagegakus Augen konnte er sehen, dass dieser ihn verstanden hatte. Auch ohne Worte. Er spürte Vertrauen in seinem Blick. Er vertraute darauf, dass der Blonde ihn nicht vergessen würde. Doch Hyde selbst zweifelte. So sehr, dass es ihn wahnsinnig machte. Und mit diesem Zweifel vergeudete er seine letzten Sekunden mit dem Samurai. Er verschwand. So plötzlich, wie er aufgetaucht war. Verwirrt sah sich der Sänger um. Er war allein. Seine Halluzination hatte ihn verlassen. Und wieder hatte er sich nicht verabschieden können. Genau wie all die anderen Male, als er geglaubt hatte, ihn nie wieder sehen zu können. Auch dies schien wohl ihr Schicksal zu sein. Aber was geschah nun? Lebte Kagegaku, oder war dass alles nur ein Traum gewesen? Eine Wahnvorstellung, ein Trick seines Gehirns? Würde er wirklich nach Hause zurückkehren können? Würde sein Wunsch erfüllt werden? War das alles dann tatsächlich nur eine dumme, romantische Geschichte, der irgendwann niemand mehr glauben schenken würde? Vom Zeitfluss verblasst, von Mensch zu Mensch anders erzählt, bis sie nichts mehr mit dem wirklich Geschehenen zu tun hatte? Er dachte an den Morgen, als er in Kagegakus Armen gelegen hatte, an die Holzdecke im Nishiyamaanwesen, und wie es gerochen und geknackst hatte, genauso wie die flackernde Kerze, die fast heruntergebrannt war. Er erinnerte sich daran, wie warm es gewesen war und wie wundervoll es sich angefühlt hatte. Obwohl der Samurai tief und fest geschlafen hatte, waren seine Arme beschützend um den Blonden gelegt und er spürte jetzt noch, wie sein warmer Atem seine Haut gestreichelt hatte. Es war nicht nur eine erfundene Geschichte. Es war wirklich geschehen. Auch wenn er es bald vergessen würde, hatte er es trotzdem erlebt. Selbst wenn er bald keine Erinnerungen mehr an diesen Moment haben würde, hatte sein Herz einmal diese Wärme empfunden. Und wenn er nur einmal versuchen würde, auf sein Herz zu hören, dann würde er sich auch wieder erinnern können. Auch ohne Kimono, auch ohne diese Zauberei. Daran musste er glauben, darauf musste er vertrauen. Dann würde alles gut werden. Auch wenn sie nie zusammen sein könnten. Hyde lächelte bei diesem Gedanken und schloss seine Augen. Als er sie nur wenige Sekunden später wieder öffnete, sah er sich von weißen Wänden umgeben. Er lag in einem Bett, neben einem großen Fenster. Warme Luft streichelte sein Gesicht. Seine Finger zucken und da spürte er, wie eine zarte Hand seine festhielt. Er drehte sich zur Seite und blickte in das schlafende Gesicht seiner Mutter. Im selben Moment wachte sie auf. Sie starrte ihn überrascht an, auch etwas ungläubig, als würde sie in das Gesicht eines Geistes blicken. Doch dann lächelte sie ganz kurz und überschüttete den Blonden sogleich überglücklich mit leichten Küssen. In ihren Augen glitzerten Tränen der Freude. „Was ... ist ... passiert?“, fragte der Sänger perplex. Zuerst brachte sie kein Wort über ihre Lippen. Sie war aufgeregt, als wäre etwas wirklich schreckliches mit ihm geschehen. Das musste es auch, denn sie kam selten nach Tokio. „Du bist zusammengebrochen und einfach nicht mehr aufgewacht. Die Ärzte sagten, es wäre eine Art Koma.“ Sie unterbrach sich und blickte in die dunklen Augen ihres Sohnes. „Drei Wochen. Ich dachte, du würdest nie wieder aufwachen“, weinte sie. Hyde sah sie skeptisch an. „Koma?“ Sie nickte, fiel ihm in die Arme und schluchzte. Er konnte nichts sagen. Er wusste nicht was. Alles, woran er sich erinnern konnte, war wie er sich über Tayamas Geschichte aufgeregt hatte. Und dann war alles dunkel. Nichts ... Dabei hatte er das Gefühl, dass es noch etwas gab, woran er sich erinnern müsste. Etwas, was er vergessen hatte. ---------------------------------------- So kurz vor Weihnachten gerade das schlimmste Kapitel. Tolles Timing. >_> Aber wenigstens gibt es Schnee im Kapitel.^^; Hyde lag also 3 Wochen im Koma, obwohl in der Vergangenheit nur ein paar Stunden vergangen waren. Jetzt kann man sich natürlich Gedanken machen, was war, als Hyde mehrere Jahre fort war. -_- Aber eigentlich braucht man sich darüber keine Gedanken machen, weil es so oder so nicht passiert ist.;) Ich wünsche euch auf jeden Fall ein schönes Weihnachtsfest und viele schöne Geschenke. Bye Kapitel 20: Reue ---------------- 20. Kapitel: Reue [Mein finsterer Traum ... Reue, Einsamkeit und Schmerz. Wirre Gefühle …] ---------------------------------------- „Lebewohl Bruder!“ Wie ein unendliches Echo durchdrangen jene Worte wieder und wieder die bedrückende Stille. Ein tiefes Lachen folgte ihnen, bevor es wie auf einer springenden Schallplatte wieder von vorn losging. Panisch rannte er durch die weiße karge Landschaft, als würde diese Stimme ihn verfolgen. Hinter ihm verschwanden seine Fußspuren im Nichts, während eine eisige Kälte seinen Körper umhüllte und in sein Inneres drang. Er lief und lief und trotzdem kam er nicht voran. Die Umgebung färbte sich blutig rot und die knochigen Äste der riesigen Bäume schienen auf ihn hinabzustürzen. Er ließ sich, die Arme schützend über den Kopf gelegt, mit geschlossenen Augen auf die Knie fallen und schrie, weil er glaubte erschlagen zu werden. Doch es passierte nicht. Es blieb still. Nur der rote Boden, auf dem er kniete, fing plötzlich an, hohe Wellen zu schlagen. Sofort tauchte er in den See aus dickflüssigem Blut, in dem er zu ertrinken drohte. Seine hilflosen Schreie waren dünn und gingen im tiefen Gelächter ungehört unter. Bis plötzlich eine leuchtend weiße Gestalt erschien. Sie schwebte dicht neben ihm und strahlte eine unglaublich wohltuende Wärme aus, die ihn sofort beruhigte. Das ebenso weiße Haar tanzte schwerelos um den Körper und verdeckte vollkommen das Gesicht. Eine weiße Hand streckte sich ihm entgegen und er griff nach ihr. Doch statt sich aus dem blutigen See ziehen zulassen, riss er die engelsgleiche Gestalt mit sich in die unendliche Tiefe. Sie sanken tiefer und tiefer. Der Engel verlor sein leuchtendes Weiß und wurde zu einem verletzbaren Menschen. Ein Mensch, der hier mit ihm sterben würde. Wie aus einem Reflex heraus nahm er ihn beschützend in seine Arme. Er wollte ihn vor dem Ertrinken retten, obwohl er selbst um sein Leben kämpfen musste. Doch um alles in dieser Welt wollte er diesen Engel, der wegen ihm seine Unsterblichkeit verloren hatte, nicht sterben lassen. Er drückte ihn an seine Brust, als wäre allein seine Umarmung die Rettung. Während Tränen über seine Wangen liefen, bat er immer wieder um Vergebung. Doch das Herz hatte aufgehört zu schlagen. Er war tot. Und es war seine Schuld gewesen. Tief bekümmert strich er ihm über die kalten Wangen und blickte in das weiße von Blut überströmte Gesicht. In Schweiß gebadet wachte Hyde auf. „Schon wieder ... dieser Traum“, murmelte er atemlos und fuhr sich über die nasse Stirn. Das gelbe Licht der Straßenlaterne schien in sein Krankenzimmer, trotzdem suchte er mit zitternden Händen nach dem Schalter der Lampe über seinem Bett. Seit drei Nächten plagte ihn dieser Albtraum. Seit er aus dem Koma erwacht war. Immer wieder träumte er von diesem Engel, den er mit sich in die Dunkelheit zog und tötete. Nie hatte er sein Gesicht sehen können. Immer wenn er kurz davor war, wachte er im Schweiß seiner Angst auf. Selbst jetzt noch schlug sein Herz so wild, als wäre all dies wirklich geschehen. Als hätte er tatsächlich jemanden umgebracht. „Warum immer derselbe Traum?“, fragte der Sänger flüsternd sich selbst, während er zum Fenster sah. Die Vorhänge hatte er offen gelassen. Er fürchtete sich, wenn es zu dunkel war. Er fürchtete sich vor dieser Angst, die er jede Nacht aufs neue spürte. Die Angst vor diesem Traum und was er bedeuten könnte. Warum war er ins Koma gefallen? Was war passiert? Warum fühlte er sich so alleingelassen und hilflos? In wenigen Stunden sollte er entlassen werden. Der Grund für seinen Schwächeanfall aber blieb ungeklärt. Er konnte sich nicht erklären, was an diesem Tag mit ihm geschehen war. Warum er sich so sehr aufgeregt hatte. Was überhaupt in seinem Kopf vorgegangen war. Er konnte sich nur vage an diese Geschichte erinnern, die ihm Tayama erzählt hatte. Sie hatte ihn schrecklich aufgewühlt. So sehr, dass er die Besinnung verloren hatte. Aber was war genau passiert? Er würde Tayama selbst fragen müssen. Er wollte Antworten. Antworten auf diese unerklärlich Angst. Es führte kein Weg daran vorbei. Obwohl er sich auch vor der Wahrheit fürchtete. Was, wenn er wieder zusammenbrach? Was, wenn er wieder in dieses Koma fiel und sein Albtraum wahr werden würde? Mit besorgtem Blick hatte seine Mutter ihn darum gebeten, diesen Tayama nie wieder aufzusuchen. Sie hatte Angst um ihren Sohn und ihre Bedenken waren vielleicht nicht unbegründet. Trotzdem ließ es ihm einfach keine Ruhe. Es gab da eine große Lücke in seinem Inneren. Ein Loch, ein leeres Gefühl. Seit diesem Vorfall existierte es, also musste es da eine Verbindung zu dieser Geschichte geben. Es war ein irrsinniger Gedanke und trotzdem konnte Hyde sich keine andere Erklärung zusammenreimen. Nervös zog er sich die Decke bis zum Hals. Er begann zu zittern, wie jede Nacht nach diesem Traum. Es war immer dieselbe Qual. Als würde sich die Angst durch seinen Körper fressen. Er drehte sich zur Seite und starrte aus dem Fenster. Weit in der Ferne konnte er den farbigen Streifen der Morgendämmerung sehen. Irgendwie beruhigte es ihn. * Kein Auge hatte er mehr zumachen können, seit er sich Tayamas Besuch in den Kopf gesetzt hatte. Stundenlang hatte er überlegt, was er sagen sollte. Warum er überhaupt gekommen war, was er eigentlich wissen wollte. Und nun stand er schon geschlagene fünf Minuten vor seiner Wohnungstür und starrte wie versteinert auf das Namensschild neben der Klingel. Warum zögerte er wirklich? War es tatsächlich die Angst, dass ihm wieder etwas derartiges wie im Fernsehsender passieren könnte? Oder hatte er vielleicht Bedenken, weil er sich für seinen Zusammenbruch schämte, für das Chaos, welches er damit verursacht hatte? Er wusste also nicht zu hundert Prozent, woran es tatsächlich lag, dass seine Finger zitterten, als er schließlich auf den Klingelknopf drückte und wartete. „Vielleicht bin ich zu früh. Es scheint noch niemand da zu sein“, murmelte Hyde nervös und wollte schon gehen. Er war erleichtert. Doch das Schicksal tat ihm diesen Gefallen nicht. Die Tür öffnete sich und ein kleiner dicklicher Mann schaute um die Ecke. „Hyde-san?!“, wunderte sich dieser. Der Blonde zögerte. Nun gab es kein Zurück mehr. „Es tut mir Leid, wenn ich Sie störe ... und dass ich so unangekündigt vorbeikomme, aber hätten Sie vielleicht einen Moment Zeit?“ Tayama blickte ihn fragend an, nickte aber sofort und ließ den Sänger in seine Wohnung. „Erst einmal wollte ich mich für mein Verhalten an diesem Tag entschuldigen. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los war. Ich habe Ihnen Ärger bereitet. Das tut mir Leid“, sagte Hyde, nachdem er seine Schuhe ausgezogen und in das kleine Wohnzimmer getreten war, in das der Ältere ihn geführt hatte. Tayama schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Sie müssen sich dafür wirklich nicht entschuldigen.“ Er deutete auf den Sessel gegenüber des tiefen Tisches. „Möchten Sie etwas trinken? Einen Tee oder Kaffee?“ „Nein, machen Sie sich keine Umstände.“ Der Blonde setzte sich auf den weißen Sessel und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Es war die kleine aber ordentliche Wohnung eines alleinstehenden Mannes. Die Einrichtung war schlicht, aber mit Stil. Ganz anders, als es sich Hyde vorgestellt hätte. Auf dem Wohnzimmertisch lagen Ordner und Stapel beschriebenes Papier. Auf einem dieser Blätter stand der Titel des Werbespots, für den der Blonde eine Rolle spielen sollte. „Was ist aus dem Spot geworden? Ich hörte, er wurde an jemand anderen weitergegeben“, fragte Hyde. Tayama setzte sich räuspernd auf die kleine Couch gegenüber des Sängers. „Ja, er ist abgedreht und wird in zwei Monaten ausgestrahlt. Wir konnten Kitamura Kazuki für den Spot gewinnen.“ Der Blonde setzte ein gespieltes Lächeln auf und nickte. „Das ist gut. Ihm steht der Kimono sicherlich auch viel besser als mir.“ „Na ja ...“ Tayama runzelte die Stirn. Er schien besorgt zu sein. „Eigentlich wurde dieser Spot mit einem anderen Kimono gedreht.“ „Ein anderer? Weshalb?“ Fragend schaute Hyde den etwas älteren Mann an. Dieser fuhr sich nervös durch das kurze Haar und räusperte ein weiteres Mal. „Weil er ... verschwunden ist“, antwortete er nach einer kurzen Pause zögerlich. „Verschwunden?!“, fragte Hyde. Tayama nickte, während er den Augen des Blonden auswich. „Ich habe im Krankenhaus um den Kimono gebeten, aber die konnten ihn nicht mehr finden. Ich hatte deswegen großen Ärger mit dem Besitzer, Nishiyama gehabt.“ Hyde blickte nachdenklich auf den Tisch. „Verstehe. Das ist wohl meine Schuld“, murmelte er. Er sah Tayamas Kopfschütteln sich spiegelnd im Glastisch. „Nein, nein, ist es nicht. Es war meine alleinige Verantwortung“, wollte dieser den Sänger beruhigen. Doch Hyde bemerkte sehr wohl, wie unangenehm ihm diese ganze Sache war. Das alles war seine Schuld. Er war zusammengebrochen und hatte damit ein Chaos verursacht. Und nur, weil er sich irgendwie zu sehr in diesen Irrsinn hineingesteigert und den Bezug zur Realität verloren hatte. „Hören Sie, ich könnte mit diesem Nishiyama red...“, fing der Blonde an. Tayama jedoch schüttelte sofort den Kopf und unterbrach den Sänger. „Aber wissen Sie, was mir die Schwester im Krankenhaus erzählte?“ Aufgeregt faltete er seine Finger ineinander und fing an zu flüstern, während Hyde seine Skepsis nicht verbergen konnte. Er starrte ihn stirnrunzelnd an und schüttelte auf Tayamas Frage hin zögerlich den Kopf. „Eigentlich sollte ich darüber nicht sprechen. Sie werden wahrscheinlich glauben, ich wäre verrückt.“ Er beugte sich über den Tisch, näher an den Blonden heran. „Der Kimono hätte sich kurz, nachdem Sie im Krankenhaus angekommen waren, in Luft aufgelöst.“ „Bitte?“, warf Hyde ungläubig in den Raum. „Einfach so“, murmelte der Ältere leise. Tayamas Gesichtsausdruck beunruhigte den Blonden. Was dieser Mann erzählte grenzte buchstäblich an Wahnsinn. Doch im Angesicht der seltsamen Dinge, die in letzter Zeit um ihn herum passiert waren, konnte er es Tayama nicht übel nehmen. „Ist dieser Nishiyama, von dem Sie den Kimono hatten, eigentlich ein Nachfahre von diesem Kagegaku?“ Der Sänger entschied sich, nicht weiter darauf einzugehen und das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Nein, nein ... Er hatte keine Nachfahren. Keine Kinder, weder eigene noch adoptierte. Nishiyama stammt von seinem Bruder Kagemura ab. Dieser hatte einen Sohn.“ „Verstehe.“ Hyde wunderte sich, weshalb er überhaupt danach gefragt hatte. Und warum ihn die Antwort darauf plötzlich so enttäuscht hatte. Diese Geschichte war äußerst merkwürdig. Genau dasselbe hatte er auch schon an jenem Tag gedacht, als Tayama ihn das erste Mal davon erzählt hatte. Aber er kam einfach nicht dahinter, was genau es war, was ihn so beschäftigte. Warum es ihn überhaupt beschäftigte. Hatte sein Albtraum wirklich etwas damit zu tun oder war das alles etwa doch völlig aus der Luft gegriffen? „Was ich Sie eigentlich fragen wollte ...“, fing Hyde an, als ihm der Grund seines Besuches wieder in den Sinn kam. „Was ist da passiert? Warum bin ich zusammengebrochen?“ Tayama blickte ihn überrascht an. „Sie können sich nicht erinnern?“, hakte er skeptisch nach. Hyde schüttelte kurz den Kopf. „Nur ganz schwer. Ich erinnere mich an diese Geschichte, aber ...“ „Sie wissen auch nicht, woher Sie diese mir zum Teil unbekannten Fakten kannten? Woher Sie Nishiyamas Vornamen wussten, obwohl ich den vorher nicht genannt hatte und … und den Namen seines Freundes?“ Wieder schüttelte der Sänger den Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Manchmal erinnere ich mich, dass ich so etwas gesagt habe, aber mir ist schleierhaft, wie ich darauf gekommen bin.“ Tayama strich sich nachdenklich über das Kinn. „Merkwürdig.“ „Würden Sie mir noch einmal von dieser Geschichte erzählen? Vielleicht verstehe ich dann, was mit mir los war“, bat der Sänger, der seine Verzweiflung nicht mehr überspielen konnte. Es machte ihn wahnsinnig. Dieses Gefühl, als wäre er in einem unsichtbaren Käfig gefangen, aus dem er sich erst befreien konnte, wenn er den Grund für seine Angst kennengelernt hatte. „Natürlich, aber sind Sie sicher? Sie scheinen diese Geschichte sehr ernst zu nehmen. Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Ich meine ... Sie lagen schließlich im Koma.“ Hyde nickte entschlossen. Es gab keine andere Möglichkeit. Nur diese. „Bitte, Sie müssen mir helfen“, flehte der Blonde. Tayama zögerte noch einen Augenblick, bevor er sich zurück in die Couch lehnte und seufzte. „Also gut“, murmelte er. Unsicher musterte er den blonden Sänger bevor er zu sprechen begann. „Man sagte, der Fremde mit dem goldenen Haar hätte sich umgebracht. Als der Samurai davon erfahren hatte und er gleichzeitig auch von Kenshin wegen Hochverrats angeklagt worden war, war er zusammen mit seinem vertrauten Berater geflüchtet. Aber weit waren sie wohl nicht gekommen. Einige Monate später wurde Nishiyamas Freund getötet. Und das tragische Ende des beliebten Samurais erfolgte ein Jahr später. Es hieß, dass es ebenso Selbstmord war. Sein eigener Bruder habe ihn verblutet im Schnee gefunden. Aber da er ein geächteter Verräter war, gestattete man ihm keine gebührende Beerdigung. Man ließ ihn einfach liegen. Heute ist er der romantische Held einer kaum bekannten Sage. Ob es alles wirklich so war, kann ich aber nicht garantieren. Ich vermute, dass sich im Laufe der Zeit viele Fakten mit erfundenen Erzählungen vermischt haben.“ Hyde starrte nachdenklich auf die cremefarbene Wand des Wohnzimmers und seufzte. Was war los? Warum fühlte er sich so anders? Warum war es nicht genauso wie an dem Tag, als er das erste Mal davon gehört hatte? Was hatten damals diese Gefühle in ihm ausgelöst? War es letztendlich doch nicht die Geschichte gewesen? „Und haben Sie eine Antwort gefunden?“, fragte Tayama neugierig, nachdem er den Blonden skeptisch angesehen hatte. Der Sänger schüttelte enttäuscht den Kopf „Nein, irgendwie ist da nichts. Nichts außer einer merkwürdigen Distanz.“ „Distanz? Was meinen Sie damit?“ Hyde schwieg. Er wusste selbst nicht, was er damit meinte. Es war ein Gefühl, welches er nur mit diesem Wort beschreiben konnte. Das vollkommene Gegenteil der Empfindungen, die er vor drei Wochen gespürt hatte. Damals war es ein eigenartiger Schmerz in seinem Herzen gewesen. Eine Traurigkeit, eine Leere, tiefe Verzweiflung. Als wäre diese Geschichte Teil seines eigenen Lebens gewesen. Doch nun war es nur diese unendliche Distanz. Aber zu was oder wem? Der Blonde wurde nervös. Wieder war er nicht Herr seiner eigenen Gefühle. Wieder verwirrten sie ihn. Wieder wusste er sich nicht zu helfen. Er faltete seine leicht zittrigen Finger ineinander und blickte Tayama verzweifelt an. „Wissen Sie noch etwas? Irgendetwas?“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid. Viele Briefe von damals wurden zerstört. Es gibt kaum noch Beweise für irgendwelche privaten Geschehnisse.“ „Verstehe.“ Der Sänger senkte seinen Kopf und fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Es war zwecklos, dieser Geschichte hinterherzuhetzen. Sie war verworren und viel zu lange her und was sollte sie auch mit seinen Albträumen und seltsamen Gefühlen zu tun haben können? Vielleicht sollte er es einfach dabei beruhen lassen. Seufzend stand Hyde auf und verneigte sich höflich vor dem älteren Mann. „Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben. Und entschuldigen Sie die Stö...“ Plötzlich fing Tayama an im Blätterberg auf dem Tisch zu wühlen. Er warf ungeduldig die Ordner auf den Boden und schob einzelne Blätter von der Tischplatte. „Doch da fällt mir ein, dass ich vor Monaten mal einen Brief von diesem Nishiyama bekommen habe. Es ist natürlich nur eine Kopie, aber vielleicht möchten Sie ihn lesen?“ Hyde ließ sich sofort von Tayamas Unruhe anstecken. Er nickte aufgeregt mit dem Kopf, obwohl er sich insgeheim nur wenig von einem Brief erhoffte. „Ja, ja natürlich. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Der Blonde setzte sich zurück in den Sessel und nahm das Blatt, welches der Ältere ihm mit einem breiten Grinsen auf den Lippen reichte, entgegen. „Es ist ein Brief von Kagegaku. Höchstwahrscheinlich an den Fremden. Man könnte es einen Liebesbrief nennen. Ich finde, ein sehr interessantes Schriftstück. Auf jeden Fall anders, als ich es von einen furchtlosen Krieger von damals erwartet hätte.“ „Ein Liebesbrief“, flüsterte Hyde sofort ergriffen von den ersten Worten, die er gelesen hatte. Aber sollte er ihn wirklich lesen? Einen so intimen Brief, der doch nur für die Augen dieses einen wichtigen Menschen bestimmt gewesen war. Nur für diesen einen Menschen, der von dem Samurai so geliebt wurde. Doch für Zweifel oder Skrupel war es schon zu spät. Er war bereits gefangen. Gefangen zwischen den Zeilen, die er regelrecht verschlang. Er konnte nicht aufhören. Die Worte drangen fast wie von selbst in sein Herz. Er las den Brief flüsternd vor, aber in seinem Kopf hörte er eine klare und tiefe Stimme. Nicht seine eigene, sondern eine fremde. Er liebte ihren Klang und hatte plötzlich das Gefühl, sie schon einmal gehört zu haben. Es war völlig verrückt. Als wäre er auf einmal in eine ganz andere Welt getaucht. In eine vertraute und doch unbekannte Welt. Eine Welt, in der er grenzenlos geliebt hatte und bedingungslos geliebt wurde. Sein Herz pochte bei diesem Gedanken. Er fühlte sich angesprochen. Alles, was in diesem Brief stand, bezog er auf sich. War er nun vollkommen wahnsinnig geworden? *~Es tut mir Leid. Ich weiß, du hast darauf gewartet, dass ich etwas sage. Doch statt ehrlich zu dir zu sein, bin ich an diesem Abend einfach gegangen. Es war wohl eher eine mutlose Flucht. Ich war feige. Ich habe gesehen, wie du auf dem Boden saßt. Du blicktest verzweifelt vor dich hin. Ich hätte zurückgehen sollen. Ich wollte es, weil ich plötzlich so eine Sorge gespürt hatte. Ehrlich gesagt mache ich mir immer noch Sorgen. Ich mache mir darüber Gedanken, wie du jetzt über mich denken magst. Glaubst du vielleicht, dass mir dein Kuss nichts bedeutet hat? Genau das habe ich mir die ganze Zeit hier auf Kasugayama auch eingeredet. Es bedeutet mir nichts. Du bist mir egal. Das habe ich mir ständig gesagt, doch ... Doch so ist es ganz und gar nicht. Ich kann einfach nicht aufhören, an dich zu denken. Ich stelle mir jeden Tag deine Stimme vor, sehe dein Gesicht hinter mir im Spiegel und wenn ich die Augen schließe, dann spüre ich noch deine Berührung. Deine unglaublich warmen Hände ... Und dann wünsche ich mir sofort, bei dir zu sein. All dies zurückzulassen und nur noch dich zu sehen. Das sind genau jene Momente, in denen mir sogar das Leben meines Herrn egal ist. Alles ist mir dann gleich ... nur du nicht. Es ist das erste Mal, dass ich so durcheinander bin. Überrascht dich das? In Wahrheit bin ich wohl der unerfahrenste Mann in ganz Echigo, wenn es um Dinge wie Gefühle geht. Ja, genauso ist es. Auch wenn es der ein oder andere für völlig unmöglich halten mag. Es überrascht mich selbst, dass ich so ehrlich bin und dir diese peinlichen Dinge gestehe. Es ist mir unangenehm, aber da ich diesen Fehler begangen habe, muss ich auch etwas bieten können, um es wieder gutzumachen. Ich biete dir meine Ehrlichkeit. Ich frage dich, so unerfahren und dumm wie ich bin, warum fühle ich mich in deiner Gegenwart so wohl? Warum war ich so aufgeregt, als du mich geküsst hast? Warum muss ich immer wieder daran denken? Warum hat es mich so rasend gemacht, als mein Bruder dich angefasst hat? Warum habe ich keine Worte für dich gefunden und war so ein Trottel gewesen? Und was soll ich jetzt tun? Ich will nicht, dass dieses Gefühl aufhört. Aber ich habe Angst, dass es sterben könnte, wenn ich dir all das nicht sage. Ich habe schreckliche Angst, dass du mich hassen könntest. Bitte tu das nicht. Es würde mich umbringen. Habe ich mich in dich verliebt? Ist es das, was mit mir geschehen ist? Ist es das, was du mit mir gemacht hast? Oder hat mich dein goldenes Haar von Anfang an so sehr geblendet, dass ich vollkommen den Überblick verloren habe? Sag, hast du darauf Antworten? Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Aber selbst wenn du meine Gefühle nicht verstehen oder gar teilen kannst, möchte ich, dass du bei mir bleibst. Auf meinem Anwesen, in meiner Nähe. Für immer ... Ja ... für alle Ewigkeit! Nenne es Egoismus, aber ich will nie wieder auch nur eine Sekunde ohne dich leben. Nishiyama Kagegaku~* Noch völlig in diesem Brief versunken, presste Hyde seine Lippen fest aufeinander. Eine Träne tropfte auf das Papier. Genau auf den Namen des Schreibers. Er weinte, dabei hatte er nicht einmal bemerkt, wie sich seine Augen mit Tränen gefüllt hatten. „Was ist los mit mir?“, fragte der Blonde flüsternd sich selbst. Er fuhr sich über die Augen, aber konnte den Blick nicht von diesem Brief lassen. Er las ihn noch einmal und dann noch einmal. Und immer wieder spürte er dieses Gefühl von Reue. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Tayama schließlich, als der Sänger den Brief an seine Brust drückte und den Kopf schüttelte. „Ja ... es ist alles ... in Ordnung“, versicherte Hyde. Seine brüchige Stimme aber leistete nur wenig Überzeugungsarbeit. „Vielleicht war es doch keine gute Idee ...“ „Nein, nein, nein. Mir geht es wirklich gut“, warf der Blonde kopfschüttelnd ein. Er stand auf und verbeugte sich vor dem älteren Mann. „Dürfte ich diesen Brief behalten?“, bat er mit entschlossener Stimme und senkte sein Haupt tiefer. Tayama stand ebenso auf und fing nervös an zu stottern. „Bitte! ... Sie müssen ... sich nicht ... verbeugen. Sie können ihn haben. Es ist sowieso nur eine Kopie und ich habe den Scann noch auf meinem ... Rechner.“ Hyde blickte den älteren Mann abwesend an, faltete das Papier zwei Mal und steckte es in seine Jackentasche. „Vielen Dank. Ich danke Ihnen, für Ihre Hilfe“, murmelte er. „Konnte ich Ihnen denn wirklich helfen?“ Tayama tat skeptisch, doch Hyde nickte nur, ging auf den schmalen Flur und zog sich die Schuhe an. Ohne dem Mann noch Beachtung zu schenken, öffnete er selbst die Tür, verbeugte sich noch knapp zum Abschied und verließ die Wohnung. Er rannte das Stück zu seinem Auto, schlug die Tür viel zu fest hinter sich zu und lehnte sich atemlos in den Sitz zurück. „Was ist das nur für ein Brief?“, flüsterte er, während er ihn wieder aus seiner Jacke zog und auseinander faltete. Wieder las er ihn, als könne er zwischen den Zeilen lesen, was seine Gefühle zu bedeuten hatten. „Oh mein Gott. Was ist denn nur los mit mir?“ Er schluchzte. Aber weinte er denn, weil ihn dieser Brief so bewegte, oder hatte er in Wirklichkeit nur Panik davor, langsam verrückt zu werden? Es hatte doch rein gar nichts gebracht. Keine einzige Antwort, stattdessen nur noch viel mehr Fragen. Er war schlichtweg einfach nur verwirrt und fühlte sich verloren. „Verdammt“, fluchte er laut, beugte sich nach vorn, berührte mit der Stirn das Lenkrad und ließ seinen Tränen freien Lauf. Hatte er sein Leben noch im Griff? Wusste er eigentlich was er hier tat? Warum er weinte? Stürzte er in die Tiefe, so wie in seinem Traum? Es gab keinen Engel, der ihn dann retten würde. Sie existierten nicht. Aber vielleicht war es auch gut so. Denn dieser Engel würde ja mit ihm sterben. Zusammen in dieser Finsternis ertrinken. Dafür wollte er sich nicht verantwortlich machen. Vielleicht war es auch besser, wenn er nicht erfuhr, was das alles zu bedeuten hatte. Je mehr er sich darin vergrub, desto schwieriger wurde es ihm, wieder herauszufinden. Dieses Labyrinth hatte keinen Ausgang. Er dürfe sich nicht tiefer hineinbegeben. Er war schon viel zu weit gegangen. „Davon komme ich nie wieder los“, murmelte Hyde, fuhr mit den Fingern über den Brief und schloss seine Augen. Es war schon zu spät. ------------------------------------------------- Da ist er nun endlich. Der Brief, den einige schon vermisst haben. Natürlich habe ich ihn nicht vergessen. XD Wäre alles anders gekommen, hätte Hyde den Brief schon damals gelesen? Wer weiß... *seufz* Wie dem auch sei.. ich wünsche euch allen ein guten Rutsch ins neue Jahr. Und danke, dass ihr ein Jahr lang so fleißig mitgelesen habt. XDD Haltet noch eine Weile durch. Es ist wirklich nicht mehr viel. Kapitel 21: Rätsel ------------------ 21. Kapitel: Rätsel [Du sprichst leis meinen Namen Du siehst mich starr an. Ich erinnere mich nicht.] ---------------------------------------- September 2001 „Ist alles in Ordnung? Hast du mir überhaupt zugehört?“ Der besorgte Ton in der Stimme des Bandleaders ließ Hyde aufsehen. „Was?“, murmelt der Blonde wie im Reflex. Tetsu, der neben ihm stand, legte seinen Kopf etwas schief und runzelte die Stirn. „Ist alles okay? Du bist schon wieder so nachdenklich.“ Hyde nickte, griff nach der großen Sonnenbrille, die auf dem Tisch lag, und schob sie auf seine Nase. Tetsu starrte den Sänger fragend an. „Ich hab dir doch gesagt, dass das alles zu viel wird.“ „Tet-chan, mir geht es gut“, winkte Hyde seinen Freund ab. „Wirklich?“ „Ja, mach dir keine Sorgen.“ Der Sänger setzte ein gespieltes Lächeln auf und nickte. Dass er damit den manchmal zu besorgten Freund beruhigen konnte, glaubte er aber kaum. Trotzdem tat er es, obwohl er wusste, dass Tetsu ihn sofort durchschauen würde. Es waren knapp drei Monate vergangen, seit er das Krankenhaus verlassen hatte. Wie ein Verrückter hatte Hyde sich sofort in die Arbeit gestürzt, in der Hoffnung, alles vergessen zu können, was in den letzten Wochen passiert war. Natürlich hatten sowohl Tetsu, als auch Ken und Yukihiro Bedenken gehabt. Vor allem, als sich der Blonde partout nicht umstimmen lassen wollte und sie nur wenige Tage nach seiner Entlassung einen neuen Song aufgenommen hatten. „Lass uns den neuen Song machen“, hatte Hyde in der vertrauten Memberrunde vorgeschlagen, nachdem der Mann von Square Pictures*, der um einen Song für den kommenden Final Fantasy Animationsfilm gebeten hatte, gegangen war. Die Reaktionen der anderen war gemischt. Von Yukihiros Kopfschütteln, über Kens aufgerissene Augen bis hin zu Tetsus skeptischem Stirnrunzeln. „Als du im Koma lagst, haben wir sie bereits mit einem alten Song vertrösten können. Ich war froh, dass sie nicht ganz abgesprungen waren. Außerdem haben wir diesen neuen Song nicht. Erinnerst du dich? Du warst drei Wochen nicht hier. Zwei Tage vor deinem Zusammenbruch sagtest du noch, du hättest drei Zeilen geschrieben“, hatte Tetsu gesagt. „In den wenigen Wochen einen neuen Song auf die Beine stellen, ist kompletter Wahnsinn“, war von Ken gekommen. Nur Yukihiro hatte nichts gesagt, sondern immer nur weiter mit dem Kopf geschüttelt. Doch Hyde hatte sich von dieser Idee nicht abbringen lassen. „Aber ich habe ihn fertig. Ich habe den kompletten Text, die Melodie und ein Demo. Wir müssen ihn nur aufnehmen.“ „Wie ...?“ Tetsus erstaunter Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen. „Das ist jetzt egal. Wichtig ist nur, dass wir alles haben, was wir brauchen.“ „Du bist erst vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Und ...“ „Ich weiß Tet-chan, ich weiß ... Aber ich will diesen Song machen, bevor wir in die Bandpause gehen. Ich will diesen Song mit euch machen. Jetzt! Unbedingt!“ Und so hatte er alle überstimmt. Sie hatten den Song aufgenommen, Square Pictures eingereicht und als neue Single angekündigt. Es ging schnell. Schneller als er gedacht hätte. Und es war tatsächlich der komplette Wahnsinn gewesen, aber sie hatten es trotz aller Schwierigkeiten rechtzeitig geschafft. Und doch hatte der Blonde während dieser Zeit nicht alles um sich herum vergessen können. Das Koma, Tayamas Geschichte, der Brief. Alles war Tag für Tag, Stunde für Stunde präsent gewesen. Er hatte sich so tief in seine Arbeit vergraben und nichts außer der Musik war an ihn herangekommen. Er war wie besessen von diesem Song und den Aufnahmen gewesen. Und trotzdem waren seine Gedanken irgendwann immer wieder zu seinen Ängsten und Sorgen zurückgekehrt. Auch wenn er es noch immer nicht akzeptieren wollte, aber sie waren mittlerweile fester Bestandteil seines täglichen Lebens geworden. Doch egal, wie schwer es für ihn gewesen war, der Song war gut geworden. Besser, als er es sich erträumt hatte. Seit zwei Monaten konnte man ihn bereits im Abspann des Animationfilms hören. Und heute würden sie ihn das erste Mal live vor Publikum spielen. ** Hyde war nervös, was vor dem ersten Auftritt eines neuen Songs nicht unbedingt außergewöhnlich war. Es war völlig normal, hätte Tetsu gesagt. Doch diesmal war es intensiver als sonst. Verkrampft faltete Hyde seine Finger ineinander. Er kaute angespannt auf seinen trockenen Lippen herum. Und immer wieder versank er in sorgenvollen Gedanken, die um alles mögliche kreisten, nur nicht wirklich um den kommenden Auftritt. Vielleicht lag es ja an der seltsamen Geschichte, die an dem Lied hing. Vielleicht, weil er nicht einmal wusste, wie das alles letztendlich zusammengekommen war. Wie ihm die Zeilen und die Melodie in den Sinn gekommen waren. Dass das alles einfach so existierte, ohne dass er sich daran erinnern konnte, ihn komponiert zu haben. Ein kompletter Song, der ihm unbekannt war und trotzdem hatte er ihn sofort, nachdem er aus dem Koma erwacht war, singen können. Als hätte er jahrelang daran gearbeitet. Zuerst hatte er sich davor gefürchtet. Eine seltsame Angst vor sich selbst. Doch dann hatte er versucht, dahinter zu blicken. In seine eigene Seele. Er hatte das Geschenk, welches er sich selbst gemacht hatte, angenommen und war gewillt gewesen, es der Welt zu präsentieren. Und das, obwohl er von Anfang an so ein seltsames Gefühl bei diesem Song gehabt hatte. Doch nun saß er hier. Mit diesem unsicheren Gefühl ... wartend auf ihren Auftritt, mit der dunklen Sonnenbrille auf der Nase, und blickte in die besorgten Augen seines Bandleaders. „Du bist in letzter Zeit so merkwürdig. So abwesend. Ich könnte nackt auf einem Bulldozer an dir vorbeirauschen und du würdest es nicht bemerken“, beschwerte sich Tetsu, während er ernst auf das Informationsblatt der Sendung in seinen Händen sah. „Tut mir Leid“, murmelte Hyde leise. Kens freches Kichern im Hintergrund ignorierte der Blonde. Er hatte momentan wirklich nicht den Kopf für Albernheiten. „Schon gut.“ Tetsu seufzte resignierend, bevor er still die Liste der teilnehmenden Künstler durchging und sich zu Yukihiro herumdrehte. „Also wir sind nach Matsuura Aya und vor Gackt an der Reihe. Es sollte ...“ Tetsu zuckte erschrocken zusammen, als es plötzlich hinter seinem Rücken laut krachte. Als hätte sich gerade jemand daran versucht, einen dieser schweren Stahlstühle an die Wand zu werfen. „Gackt?“, schrie Hyde völlig außer sich, noch bevor der Bassist reagieren konnte. Und was der Krach zu bedeuten hatte, erschloss sich dem Bandleader, als er einen dieser besagten Stühle umgekippt auf dem Boden liegend erblickte. Gerade als Tetsu den Blonden darauf ansprechen wollte, riss dieser ihm das Blatt aus den Händen und schüttelte fast panisch den Kopf. Das konnte doch nicht sein. Hatte er das gerade richtig verstanden? „D-du du meinst den Sänger?“, stotterte Hyde, während er die Liste durchging. Perplex sah Tetsu den aufgeregten Freund an. „Normalerweise sind es Sänger, die diese Musikshow besuchen“, meinte Ken, der an sie herangetreten war und nach der Zigarettenschachtel auf dem Tisch griff. „Aber ich dachte ...“ Verwirrt starrte der Blonde auf den Namen, der mit dicken Druckbuchstaben die Zeile direkt unter dem Namen seiner eigenen Band ausfüllte. „Ich dachte ... es gibt ihn gar nicht“, flüsterte er leise zu sich selbst, während er langsam an seinem Verstand zweifelte. „Was?“, fragte Tetsu, der das Gemurmel des Sängers nicht verstanden hatte. Hyde schüttelte den Kopf, blickte den Freund an und hielt das Informationsblatt in die Höhe. „Mein Manager hat mir am Tag vor meinem Zusammenbruch gesagt, dass es keinen Sänger namens Gackt gibt“, erklärte der Blonde. Ungläubig starrten sich seine Kollegen gegenseitig an. „Dann wird er dich wohl verarscht haben“, lachte Ken und zündete sich eine Zigarette an. Hyde runzelte die Stirn. Als auch Yukihiro zu grinsen begann, setzte er sich verwirrt auf einen der anderen Stühle, die um den großen Tisch standen und fasste sich an die Stirn, während er versuchte, nachzudenken. Es konnte kein Scherz gewesen sein. Im Internet hatte er doch auch nichts gefunden. Selbst der Typ im CD-Laden hatte nichts von einem Gackt gewusst. Und der Werbespot im Fernsehen ... er war doch anders gewesen. Daran erinnerte er sich so genau, als wäre es erst vor ein paar Stunden gewesen. Was hatte das alles zu bedeuten? „Auf jeden Fall gibt es diesen Gackt und er wird heute nach uns performen. In 15 Minuten geht die Sendung los, also sollten wir uns langsam bereit machen“, sagte Tetsu ernst. Ken und Yukihiro nickten. „Aber ...“, wollte Hyde einwenden, obwohl er gar nicht wusste, was genau er sagen wollte. Er saß nur da und starrte seine Bandkollegen hilflos an. „Was soll jetzt dieses 'Aber'? Du hast das alles unbedingt gewollt, obwohl es dir nicht gut ging. Jetzt musst du es auch bis zum Schluss durchziehen.“ Da hatte er natürlich vollkommen recht. Er hatte es gewollt, obwohl er wegen seiner Albträume kaum hatte schlafen können. Obwohl er ständig diesen Brief bei sich getragen, ihn mindestens vier Mal täglich durchgelesen hatte und immer wieder an die Gefühle des Samurais denken musste, bis es ihn innerlich fertig gemacht hatte. Wie ein Zombie war er jeden Tag ins Studio gegangen und hatte bis in die Morgenstunden gesungen und diskutiert. Die Arbeit hatte ihn immer nur für wenige Minuten von seiner innerlichen Zerrissenheit abgelenkt. Im Grunde hatte es nichts gebracht. Er hatte immer noch dieses seltsame Gefühl. Er spürte immer noch diese Reue und hatte immer noch unheimliche Angst. Es hatte sich nichts verändert. Vielleicht war die Sache mit diesem Gackt ja auch nur eine dumme Einbildung gewesen. Vielleicht konnte man all dies als eine Art Resultat seiner momentanen Unausgeglichenheit verstehen. Wahrscheinlich gab es nur diese eine Erklärung dafür. Aber es beruhigte ihn nicht. Die Unsicherheit war stärker und präsenter als je zuvor und er spürte, wie sie sich wie ein Virus mehr und mehr in seinem Körper ausbreitete. Gerade jetzt, wo er doch eher auf eigene Zuversicht gehofft hatte. Aber er konnte nicht mehr zurück. Denn er selbst hatte es ja so gewollt, genau wie Tetsu es gesagt hatte. Er musste es durchziehen. Mit diesem Gedanken stand der Blonde langsam auf, schob sich die Sonnenbrille tiefer in sein Gesicht und verließ zusammen mit den anderen wortlos den Aufenthaltsraum. Bis die Sendung letztendlich begann, vergingen nur noch wenige Minuten, die Hyde damit verbrachte, nervös den Songtext durchzumurmeln. Dann endlich ertönte eine einprägsame Melodie, die Moderatoren kündigten die Gäste an, es wurde laut geklatscht. Bereits jetzt war es Hyde schon viel zu viel Trubel und das, obwohl er es doch eigentlich gewohnt war. Doch vieles, was ihm sonst geläufig war, schien ihm in letzter Zeit eher gehörig auf die Nerven zu gehen. Nicht nur hier, sondern auch im alltäglichen Leben. Da war zum Beispiel die laute Musik, die kreuz und quer aus den Geschäften ertönte, die vielen Menschen auf den Straßen, die alle durcheinander in ihre Handys sprachen, die flimmernden Bildschirme an den Fassaden der Gebäude, der ohrenbetäubende Lärm der stinkenden Autos. So viele Dinge waren ihm seit seinem Zusammenbruch unerträglich. Plötzlich war es einfach nicht mehr seine Welt, in der er jeden Morgen aufwachte, zu Mittag aß, arbeitete und spät Abends zu Bett ging. Es war ihm ein fremdes Leben, in dem er sich seit ein paar Monaten überhaupt nicht mehr so zurechtfand. Als wären diese drei Wochen in Wirklichkeit dreißig lange Jahre gewesen. Er wusste zwar, dass dies völlig absurd war, aber sein Körper fühlte tatsächlich so. Und so war es auch während dieser Sendung. Es wurde wie immer viel geredet. Doch der Blonde bekam kaum ein Wort mit. Es interessierte ihn auch nicht, was sie alle zu sagen hatten. Es interessierte ihn nicht, was sie alle dachten. Er tat nur so, als würde er zu ihren Geschichten lachen, als würden sie ihn erstaunen. Während er die Worte des Moderators, der gerade mit dem Sänger einer Boyband sprach, vollkommen ausblendete, sah er sich unter den anwesenden Künstlern um. Sein Blick blieb sofort an einem bestimmten Sänger hängen. Er saß nur eine Reihe hinter dem Blonden, auf der gegenüberliegenden Seite und genau am äußersten Rand der Sitzbänke. Hyde fasste sich an die Brust, als plötzlich ein merkwürdiger Ruck durch seinen Körper gegangen war. Gerade als sich kurz ihre Blicke getroffen hatten. Da saß er nun also, dieser Gackt, um den sich gerade all seine Gedanken zu drehen schienen. Seltsam, dass er bis vor ein paar Minuten tatsächlich noch geglaubt hatte, es hätte ihn nie gegeben. Aber nein, so war es ja nicht gewesen. Es wurde ihm eingeredet. Er selbst war doch felsenfest davon überzeugt gewesen, ihm schon einmal begegnet zu sein. Doch egal, wie es wirklich war, der Solosänger hatte momentan sein ungeteiltes Interesse erweckt. Vielleicht nicht unbedingt wegen dieser seltsamen Vorgeschichte, sondern viel eher, weil dieser Mann eine außergewöhnliche Aura besaß, der sich Hyde nur schwer entziehen konnte. Der Blonde musterte den großgewachsenen Mann mit der weißen Stoffhose und dem dunkelgrün-weiß gemusterten Hemd genauer. Sein Haar war braun und kurzgeschnitten und er trug eine durchsichtige Brille. Er schien die Sendung genauso desinteressiert zu verfolgen wie der Bandsänger. Er blickte an die Decke oder in die andere Ecke des Studios. Selbst die Auftritte der anderen Künstler verfolgte er kaum. Das Mikrophon hatte er neben sich liegen, als hätte er nicht vor, zu reden. Während der kurzen Werbepausen sprach er mit niemanden. Er wirkte unnahbar und kühl. Und er sah anders aus, als Hyde ihn von ihrem letzten Treffen in Erinnerung hatte. Aber das war lange her. Sie alle hatten sich verändert. Doch Fakt war, dass er wirklich existierte. Er war keine Halluzination, kein Traum, keine Erscheinung und auch kein Scherz. Eigentlich sollte er darüber erleichtert sein, doch es war genau das Gegenteil. Irgendwie fühlte er sich eigenartig, wenn er diesen Mann ansah. „Hyde-san, erzählen Sie uns, wie dieser Song zu Stande gekommen ist?“, fragte der Moderator, als der Blonde gerade nach dem Mikrofon griff und so tat, als würde er überlegen. „Eigentlich weiß ich das auch nicht so genau. Ich hatte ihn eines Morgens einfach im Kopf“,*** lächelte er gespielt. So hatte er es mit seinem Management abgesprochen. Niemand sollte von diesen drei Wochen, in denen er im Koma gelegen hatte, erfahren. Niemand sollte wissen, dass es diese kritische Zeit in seinem Leben gegeben hatte. Kein Wort würde er jemals darüber verlieren. „Also haben Sie davon geträumt?!“, hakte der Mann mit der großen Sonnenbrille lachend nach. „So kann man es sagen, ja“, antwortete Hyde sofort. Als er dazu nickte, lachte das ganze Studio. Ihm selbst aber war dazu nicht zumute. Er fühlte sich eher seltsam, wenn er an diese soeben erzählte Situation dachte. Es stimmte. Er hatte den Song im Kopf gehabt, als er aus dem Koma erwacht war. Es war, als hätte er davon geträumt, ihn komponiert zu haben. An mehr konnte er sich nicht erinnern. Alles, was übrig geblieben war, war dieser ominöse Song. Der Song eines Traumes. Danach ging es um den Film. Belanglose Fragen, die Ken, Yukihiro und Tetsu mit einem Lachen beantworteten. Obwohl das Interview nur wenige Minuten dauerte, kam es Hyde wie eine Ewigkeit vor. Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen und dann wieder von hier verschwinden. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen, wie sie lachten und dumme Fragen stellten. Noch nie hatte er sich unter Menschen so schrecklich unwohl gefühlt wie heute. Es war ein völlig neues Gefühl, mit dem er gerade zu kämpfen hatte. Aber wieso? Was zum Teufel war mit ihm los? Tetsu stand auf. Das Interview war beendet. Während sie auf ihre Bühne gingen, hörte der Blonde noch, wie die Frau neben dem Moderator ihren Song ankündigte. „Und nun 'Spirit Dreams Inside -Another Dream-'.“ Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er sich dicht an das Mikrofon stellte und den Instrumenten lauschte. Kurz darauf setzte er mit seinem Gesang ein. Seine Stimme war kräftig und klar und darüber war er sehr erleichtert. Obwohl er sich merkwürdig fühlte, hatte das keinen Einfluss auf seinem Gesang. Es war alles so wie immer. Es gab keinen Grund, irgendetwas zu befürchten. Sie merkten es nicht. Keiner der Anwesenden konnte seine Müdigkeit hinter der schwarzen Sonnenbrille sehen. Keiner konnte an seiner Stimme hören, dass er innerlich zitterte. Niemand sah ihn fragend an. Nein, niemand. Niemand außer diesem Gackt. Ihm wäre fast das Mikrophon aus den Händen gerutscht, als er diesen durchdringenden Blick bemerkte. Ein Blick, der ihn zweifelnd mit tausend Fragen zu durchbohren schien. Was war es, was dieser Sänger gerade gesehen hatte und ihn so aufmerksam werden ließ, wo es ihn doch die ganze Zeit nicht interessiert hatte, was die anderen Künstler präsentierten? Warum starrte er dem Blonden in die Augen, als könne er hinter die dunkle Sonnenbrille blicken? Es machte Hyde nervös. Ein Zittern fuhr in seine Hände und seine Wangen fingen an zu glühen. Warum konnte er nicht einfach wegsehen, so wie er es die ganze Sendung über getan hatte? Warum hatte der Blonde das Gefühl, dieser Solokünstler hätte ihn bei einem merkwürdigen Gedanken ertappt? Ein Gedanke, der in 1000 Puzzleteilen in seinem Kopf herumschwirrte. Konnte dieser Gackt lesen, was er gerade fühlte? Konnte er sehen, dass er mit seinem Leben nicht mehr zurechtkam? Dass etwas nicht stimmte und er leise um Hilfe schrie? Aber Hyde wollte sich diese Unsicherheit auf keinen Fall anmerken lassen. Wenigstens vor den anderen nicht. Er sang weiter, packte noch mehr Energie in seine Stimme und hoffte innerlich, dass dieser Tag – nein, die letzten Wochen nur ein Traum gewesen waren. Er betete, dass er nicht wirklich verrückt war, und dass es irgendwo noch einen Weg aus diesem nicht endenden Wahnsinn gab. Atemlos klammerte er sich an den Mikrophonständer, als das Licht ausging und das Publikum, bestehend aus dreißig bis vierzig Musikfans, begeistert applaudierte. Er hatte es geschafft. Es war vorbei. Er seufzte während er Tetsu, Ken und Yukihiro kurz hinter die Bühne folgte, um etwas zu trinken, bevor sie sich zurück auf ihre Plätze hinter den Moderatoren begaben. Gackt hatte sich derweil auf seine Bühne begeben. Der Blonde war erleichtert. Nur noch dieser Auftritt, dann war die Sendung vorbei. „Du hast gut gesungen,“ flüsterte Tetsu. Hyde bedankte sich mit einem Nicken für dieses Kompliment und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, während er aufmerksam den letzten Auftritt dieser Sendung verfolgte. „Aber du siehst blass aus. Ich hatte kurz das Gefühl, irgendwas würde mit dir nicht stimmen. War was?“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Ich hatte nur wieder Angst, den Text zu vergessen“, flüsterte Hyde, obwohl es ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach. Ausnahmsweise war dies einmal nicht seine Sorge gewesen „Auf jeden Fall gute Arbeit. Besser als ich es von deiner momentanen Verfassung erwartet hätte.“ Hyde nickte, ohne den Bandleader dabei anzusehen. Die wenigen Minuten bis zum Ende der Show vergingen wie im Fluge. Der kühle Sänger kehrte von seinem Auftritt zurück in die Gesprächsrunde, bevor die Moderatoren kurz darauf die Sendung mit einer kurzen Abschlussrede beendeten. Während sich der ein oder andere noch in ein Gespräch verwickelte, ertappte sich der Blonde dabei, wie er noch einmal nach dem dunkelhaarigen Sänger mit den eisblauen Augen Ausschau hielt. Doch es wurde nur ein flüchtiger Blick. Denn als er bemerkte, wie dieser in seine Richtung sah, riss sich Hyde panisch herum. „Was ist los?“, fragte Ken, gegen den er Aufgrund seiner Unachtsamkeit gestoßen war. „Nichts“, stammelte Hyde verlegen. Als er zusammen mit seinen Bandkollegen das Studio verließ, schüttelte er fassungslos über sein eigenes Verhalten den Kopf. Warum hatte er sich wegen dieser Sache so aus dem Konzept bringen lassen? Warum musste er immer wieder darüber nachdenken? Er existierte doch. Es war doch so, wie er die ganze Zeit geglaubt hatte. Er hatte doch so gezweifelt, als sein Manager die Existenz von diesem Sänger abgestritten hatte. Es war doch von Anfang an komisch gewesen. * Obwohl er froh war, dass dieser Abend endlich vorbei war, saß er noch eine Weile allein vor den Spiegeln im Aufenthaltsraum des Senders. Er zog sich die Sonnenbrille von der Nase und starrte lange sein Spiegelbild an. Sein Handy, mit dem er gerade noch telefoniert hatte, legte er auf die Ablage. „Ich habe es mir wirklich eingebildet“, murmelte er schockiert, während er sich über die Stirn in sein Haar fuhr. Die ganze merkwürdige Sache mit diesem Gackt ließ ihm keine Ruhe. Aufgewühlt hatte er seinen Manager angerufen und gefragt, warum er sich diesen Scherz mit ihm erlaubt hätte. Doch dieser hatte von nichts gewusst. Nie sollte es dieses Thema während ihres Telefonats gegeben haben. Es war nur ein Hirngespinst gewesen. Tatsächlich nur eine Halluzination. „Anscheinend werde ich wirklich verrückt“, sagte er und sah in den Spiegel. Der merkwürdige Ausdruck in seinem Gesicht ließ ihn schmunzeln. Lange blickte er in seine gespiegelten Augen. Und je länger er dies tat, desto fremder wurde ihm dieser Anblick. Er sah einen Menschen, den er einfach nicht mehr kannte. Er hatte sich zweifelsohne verändert, ohne dass er es überhaupt bemerkt hatte. Während er verzweifelt den Kopf schüttelte, stand er auf und griff nach seinem Handy und der Sonnenbrille. Er verließ den Raum und lief den langen Flur entlang. Leute kamen ihm entgegen und verabschiedeten ihn mit einer knappen Verbeugung. Doch er sah ihnen nur abwesend in die Gesichter. Er wusste nicht, was er ihnen sagen sollte. Er wusste ja nicht einmal, wie er sich selbst beruhigen und das alles erklären sollte. Es war noch viel schlimmer geworden, als er sich je zu träumen gewagt hatte. Sein Leben entglitt vollkommen seinen Händen. Er seufzte, während er vor der Ausgangstür des Senders stehenblieb und wieder den Kopf schüttelte. „Vielleicht sollte ich zumindest endlich diesen Brief wegwerfen“, murmelte der Blonde leise. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er zu diesem Entschluss gekommen war. Obwohl er es wirklich wollte, fehlte es ihm dafür einfach an dazugehörigem Mut. Jeden Tag schlug er sich damit herum. Jedes Mal, wenn er ihn in seine Hände nahm, verspürte er den Drang, dieses wertlose Blatt Papier endlich zu verbrennen. So oft hatte er bereits versucht, sich davon zu befreien. Doch immer wieder war es diese verborgene Verbundenheit, die ihn in letzter Sekunde davon abhielt. Langsam fuhr er mit seiner Hand in die Hosentasche und wollte den Brief herausziehen. Doch er griff ins Leere. Er war nicht da. Er war nicht in seiner Tasche. Panisch fasste er in die andere Seite seiner Hose, doch auch dort konnte er ihn nicht finden. „Verdammt“, fluchte der Blonde. Er drehte sich um und lief aufgewühlt den Flur zurück. Er musste ihn finden. Er wollte ihn unbedingt zurück. Sein Innerstes schrie danach. Plötzlich hörte er sich selbst sagen, wie wichtig ihm diese Zeilen in Wirklichkeit waren, dass er sie niemals aus den Händen lassen würde. Obwohl er ihn die ganze Zeit über nur hatte loswerden wollen, fühlte er sich nun, da sich sein Wunsch doch erfüllt hatte, als hätte er etwas unbezahlbar Wichtiges verloren. Es war völlig verrückt, doch mit einem Mal hatte er eingesehen, dass es kein wertloses Stück Papier war. Ja, es war eine billige Kopie. Aber nicht das Papier oder die Originalität war das Wichtige daran, sondern die Worte, die darauf standen. Die Gefühle des Samurai, die mit jenen Worten ausgedrückt waren. Hyde wollte sie bewahren, sie beschützen. Niemand sollte sie zu lesen bekommen. Dass er diesen ungewöhnlichen Brief verloren hatte, konnte sich der Blonde nicht verzeihen. Er fühlte sich, als hätte er den Schreiber mit seiner Unachtsamkeit unfair behandelt. Obwohl er ihn gar nicht kannte, diesen Krieger, der schon viele jahrhundertelang tot war. Als der Blonde daran dachte, wie andere über die niedergeschriebenen Gefühle lachen könnten, tat es ihm in der Brust weh. Ein seltsamer Schmerz, den er sich nicht erklären konnte. Was, wenn er ihn nicht hier, sondern auf dem Weg in den Sender verloren hatte? Was, wenn er ihn nicht wiederfinden würde? Hyde schüttelte den Kopf und lief weiter. Voller Sorge und Schuldgefühlen starrte er in die Ecken des verwinkelten Flures, bis er plötzlich geschockt stehenblieb. „Hidetori!“ Jemand rief diesen Namen und Hyde blickte automatisch in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Aber warum hatte er das getan? Stirnrunzelnd fasste er sich an die Brust, genau dort, wo sein Herz plötzlich wie verrückt schlug, während es seltsam still wurde. Sein Innerstes war in wirrer Aufruhr und alles stand auf einmal Kopf. Aber er wusste nicht warum. Sein Körper reagierte, doch sein Verstand hatte keine Ahnung. Normalerweise hätte er es ignoriert und wäre einfach weitergegangen, doch seine Füße trugen ihn automatisch in die Richtung, aus der er den Ruf gehört hatte. Und dann stand er vor ihm. „Das lag vor dem Raum von L'Arc~en~Ciel“, meinte der Sänger mit den blauen Kontaktlinsen, während er noch etwas näher kam und Hyde ein zusammengefaltetes Blatt reichte. Es war dieser Gackt. Von allen Menschen, denen er heute in diesem Gebäude begegnete war, war es ausgerechnet Gackt gewesen, der den Brief gefunden hatte. War es Zufall? Reiner Zufall, oder entwickelte sich die Sache zu einem merkwürdigen Mysterium? Hartnäckig versuchte Hyde den Drang, den Dunkelhaarigen in die Augen zu sehen, zu ignorieren. Doch er verlor diesen Kampf wenig meisterlich. Und nun wusste er auch, warum er sich so dagegen gewehrt hatte. Als sich ihre Blicke trafen, war es, als wäre ein Blitz durch seinen Körper gefahren. Er konnte sich nicht rühren, kaum atmen. Die Zeit war einfach für einen kurzen Moment stehengeblieben. Bestürzt blickte der Blonde in die blauen Augen, die ihn ebenso fassungslos anstarrten. Dann bemerkte Hyde ein Zittern in den Lippen des anderen. Selbst die Hände des Größeren bebten kurz, als der Blonde das Blatt an sich nahm und sich ihre Finger dabei flüchtig berührten. Doch er sagte nichts. Nicht einmal ein Dankeschön kam über Hydes Lippen. Er war geschockt. Es verschlug ihm die Sprache. Alles in seinem Kopf drehte und vernebelte sich. Und diese Augen ... Sie kamen ihm so bekannt vor. Nicht von einer ihrer flüchtigen Begegnungen, in denen sie sich nie wirklich angesehen hatten, sondern von etwas viel Tieferem, etwas Bedeutungsvollerem als das. Aber er erinnerte sich nicht. Es kam ihm einfach nicht in den Sinn, was es war. Er dachte nur plötzlich, dass er von diesem Sänger Antworten bekommen könnte. Antworten auf all seine seltsamen Fragen. Am liebsten hätte er direkt danach gefragt, doch als er sprechen wollte, bemerkte er, wie dumm dieser Gedanke doch war. Was sollte er denn sagen? Dass er verrückt war und nicht genau wusste warum? Sollte er fragen, ob er vielleicht den Grund kannte? „Vielleicht ...“, meinte Gackt verkrampft, während er ungläubig den etwas kleineren Sänger musterte. „Vielleicht hast du ... I-ich meine, haben SIE es verloren.“ Die Unsicherheit in der Stimme des Größeren machte Hyde nervös. Er wusste, dass er etwas sagen musste, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Sänger mit dem kurzen braunen Haar starrte ihn ununterbrochen an. Genau wie vorhin, als der Blonde auf der Bühne gestanden und gesungen hatte. Natürlich war es Hyde klar, dass es unhöflich war, doch aus lauter Verzweiflung sah er keinen andren Weg aus dieser Situation. Er blickte zu Boden, setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase und verbeugte sich zum Dank. Dann ging er einfach, ohne noch etwas zu sagen. Während er verwirrt die Lippen aufeinanderpresste, fing er an zu rennen, als hätte er Angst, dieser Gackt würde ihn verfolgen. Er riss die Tür auf und knallte sie laut hinter sich zu. Die frische Luft, die er draußen einatmete, ließ ihn wieder ruhiger werden. Was war da eigentlich gerade geschehen? Sollte er zurückgehen, oder es lieber dabei belassen? Sollte er so tun, als hätte er soeben nicht dieses seltsame Gefühl gehabt? Er schwankte, er zögerte. Doch Gackt, der immer noch wie paralysiert in diesem Flur stand, ahnte nichts davon. Er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Gedanken, die um eine Frage kreisten. „Wie kann das sein?“ ---------------------------------------- *#*#* Erläuterungen: * Square Pictures eines der Studios unter Square, die für den Animationsfilm verantwortlich waren. ** eigentlich war dieser Music Station Auftritt nicht der erste für diese Single. Es gab noch einen Auftritt bei der Filmpremiere (und der war eben sehr viel früher im Juli), wenn ich das so richtig mitgekriegt habe. Ich habe es für meine Story aber mal so minimal verändert. *** auch den Talk habe ich nach meinem Belieben verändert, damit er in die Story passt. Eigentlich weiß ich auch gar nicht, was sie in Wirklichkeit gelabert haben. Irgendwas mit London. ^^ Kapitel 22: Ewigkeit -------------------- 22. Kapitel: Ewigkeit [Dein Blick rührt mich zu Tränen Nicht zu verkraften ist der tiefe Schmerz in mir.] ---------------------------------------- Es war ein regnerischer Oktobertag, als Hyde in einem Restaurant mitten in Shibuya grübelnd an einem runden Tisch saß und an dem kühlen Wasserglas nippte, welches die freundliche Kellnerin soeben gebracht hatte. Es war eines dieser teuren Speiselokale, in dem man einen kleinen Raum ganz für sich allein buchen konnte. Nicht dass der Blonde unbedingt darauf bestanden hätte, doch in Anbetracht der Berühmtheit seiner noch nicht erschienenen Verabredung, war es vielleicht nicht die dümmste Idee gewesen. Die Hand, mit der er das Wasserglas hielt, begann zu zittern. Hastig nahm er einen Schluck und spürte, wie die eiskalte Flüssigkeit sich ihren Weg durch seine Speiseröhre bahnte. Er verfluchte sich jetzt schon dafür, dass er überhaupt dieser Verabredung zugestimmt hatte. Was wollte dieser Gackt nur von ihm? Hatte der Sänger denn immer noch nicht verstanden, dass er an einer Zusammenarbeit jeglicher Art nicht interessiert war? Warum konnte sich dieser aufdringliche Mann mit dem Nein, welches Hyde durch seinen Manager Woche für Woche hatte ausrichten lassen, nicht abfinden? „Habe ich nicht schon genug Probleme?“, flüsterte der blonde Sänger, bevor er seine Faust an die Stirn drückte und seufzend die Augen schloss. Seit ihrer letzten Begegnung in diesem TV-Sender schwirrte es ununterbrochen in seinem Kopf herum. Diese merkwürdige Situation, dieser Name, Gackts Stimme, als dieser ihn gerufen hatte und seine wirren Gefühle, die plötzlich in ihm ausgebrochen waren. Seit jenem Tag war ihm der friedliche Schlaf kaum noch vergönnt geblieben. Seine Nächte waren unruhiger denn je. Seine Träume wurden immer sonderbarer. Sie drehten sich fast immer um eine verschwommene Gestalt mit langem schwarzen Haar und einem Samuraischwert, dessen scharfe Klinge sogar in der Dunkelheit silbern funkelte. In ihr spiegelte sich unendliche Trauer und starke Sehnsucht wider. Und manchmal auch tiefe Einsamkeit. Gefühle, die immer wieder in ihm hochkamen, sobald er den Namen des Solosängers hörte, sobald er ihn im Fernsehen sah oder im Radio hörte. Ein seltsamer Fakt, der ihn jedes Mal nachdenklich werden ließ. Irgendetwas in seinem Inneren war mit diesem Gackt verbunden. Oder war es wieder eine seiner seltsamen Einbildungen? Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war er sogar erleichtert darüber, denn das alles hatte zumindest seine blutigen Albträume verjagt. Als hätte der schwarzhaarige Mann, den er Nacht für Nacht sah, alle bösen Geister in seinen Träumen mit seinem Katana getötet. Nur diese starken Gefühle, sie blieben, egal wie mutig der Fremde für ihn kämpfte. Diese seltsame Verbindung zu Gackt und das bevorstehende Treffen mit ihm aber zerrten stärker an seinen Nerven, als es der Blonde je zugeben würde. Genauer genommen hatte exakt diese Sache ihn in den letzten Tagen erst zu einem nervlichen Wrack gemacht. Er hatte es die ganze Zeit vermeiden wollen, um nicht noch tiefer in Verwirrung zu stürzen, doch da der Solokünstler nicht lockerlassen wollte, hatte Hyde schließlich nachgegeben und einem Treffen zugestimmt. Vielleicht verstand der Sänger seine Ablehnung, wenn sie vom Blonden persönlich kam. Vielleicht gab er auf, wenn er es von ihm selbst hörte. Vorausgesetzt, er war überhaupt zum Sprechen im Stande, dachte Hyde, als er an sein Schweigen vom letzten Mal denken musste. In seinen Gedanken versunken griff er wieder zu seinem Wasserglas. Und während er sich überlegte, wie er den Abend möglichst souverän und ohne Peinlichkeiten meistern konnte, vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Er stellte das Glas zur Seite, zog das Handy aus der Tasche, blickte kurz auf das Display und nahm das Gespräch mit seinem Manager entgegen. „Ja?“, fragte er stirnrunzelnd. Der Mann am anderen Ende der Leitung überflutete den Sänger sofort mit seinem Anliegen. „Hallo! Ich weiß, du hast gerade dein Essen mit Gackt, aber ich soll dir unbedingt etwas von diesem Tayama ausrichten. Der drängt mich schon seit Tagen, deine Adresse oder Telefonnummer herauszurücken, aber ...“ „Was will er?“, unterbrach Hyde seufzend seinen Manager, bevor dieser mit seiner ausschweifenden Erklärung fortfahren konnte. „Soweit ich das verstanden habe, geht es schon wieder um die Geschichte rund um diesen alten Kimono. Ich habe ihm gesagt, dass dich das nicht interessiert, aber ...“ „Was hat er gesagt?“, wollte der Blonde wissen. Eigentlich sollte es ihn tatsächlich nicht weiter interessieren. Es war nur eine Geschichte. Eine dumme romantische Erzählung, die ihn irgendwie mächtig gepackt hatte. Genau das hatte er sich ständig versucht, einzureden. Doch so harmlos war die ganze Sache nicht. Er wusste es, doch natürlich konnte er dies niemanden so erklären. Es machte ihn neugierig. Es fesselte ihn, noch mehr Details zu erfahren. So viele wie es nur irgendwie ging. Tayama hatte er aber seit jenem Tag trotzdem nicht mehr aufgesucht. Obwohl es ihn so faszinierte und es sein Herz immer anzulocken wusste, wollte er einfach nicht mehr darüber reden. Er wollte mit niemanden mehr über seine geheimsten Gedanken sprechen, darüber, wie er sich fühlte. Früher oder später aber würde er in diese ungünstige Lage geraten, machte er den Fehler, näher auf Tayama und seiner Geschichte einzugehen. Es war kurz still geworden, nachdem Hyde mit leichter Aufregung in seiner Stimme nachgefragt hatte. Das Interesse seitens des Blonden an dem, was dieser fanatische Geschichtsliebhaber zu sagen hatte, musste den Manager verblüfft haben. Aber er machte dazu keine Anmerkungen, sondern fuhr nach kurzem Schweigen einfach nahtlos fort. „Er hätte doch endlich herausgefunden, wie der, ich zitiere, 'fremde Liebhaber mit dem goldenen Haar' hieß. Hört sich für mich wie so ein typischer Schnulzenroman an. Und ich kann nicht verstehen, was daran so wichti...“ „Wie hieß er?“, hakte Hyde ungeduldig nach. „Dann interessiert es dich doch?“, kam es überrascht über den Hörer. Hyde schüttelte angespannt den Kopf. „Sag mir einfach, was Tayama gesagt hat.“ Unruhig nahm der Sänger sein Glas in die Hand und nippte kurz an dem kalten Wasser. „Er sagte, der Typ hieße wohl Hidetori.“ Die Worte des Managers stürzten den geschockten Blonden plötzlich in ein Meer aus Verwirrung. Seine Hände begannen zu zittern und ohne, dass er es überhaupt bemerkt hatte, rutschte das Wasserglas aus seinen Fingern, fiel dumpf auf dem Tisch und kullerte bis zum Rand. Wie in Trance beobachtete Hyde, wie es auf den Boden fiel und dort in mehrere kleine Scherben zerbrach. Das kalte Wasser tropfte vom Holztisch auf seine schwarze Hose, doch der Sänger spürte es nicht. Er hörte nur, wie der Name, den er schon einmal gehört hatte, wie ein Echo in seinem Kopf widerhallte. „Hidetori?“, murmelte er nach langem Schweigen, als suche er nach einer Antwort. Aber er verstand es nicht. Wie konnte das sein? Er konnte seinen eigenen Gedankengängen nicht folgen. Sie gerieten immer wieder in eine Sackgasse oder kehrten einfach wieder zum Anfang zurück. „Bist du sicher?“, fragte Hyde, nachdem er langsam wieder seine Umgebung wahrnehmen konnte. Seine Stimme aber war dünn und unsicher geworden. „Ganz sicher. Ich hab es mir Silbe für Silbe aufgeschrieben“, antwortete der Manager. Gerade als der Blonde etwas erwidern wollte, ging die Tür auf. Die freundliche Kellnerin trat herein und führte den dunkelhaarigen Sänger, mit dem Hyde verabredet war, an den Tisch. Noch während er das Handy an sein Ohr gedrückt hielt, starrte er Gackt fragend an. Dieser lächelte ihn zaghaft an, sagte aber nichts, aus Rücksicht gegenüber dem noch bestehenden Telefongespräch. „Tut mir leid. Ich muss Schluss machen“, murmelte der Blonde hastig und legte sogleich auf. Die Kellnerin, die das Scherbenchaos auf dem Boden erblickt hatte, entfernte sich mit den Worten „Ich bin sofort wieder zurück.“ Die Tür klackte und während Hyde immer noch an die Worte seines Managers denken musste, spürte er Unbehagen, als er plötzlich mit dem Solokünstler allein war. Dieser ging um den Tisch herum, zog den Stuhl, der ihm von der Kellnerin zugewiesen worden war, zurück und blickte den Älteren an. „Für die Verspätung möchte ich mich entschuldigen. Das Interview dauerte länger als geplant“, meinte Gackt höflich als der Blonde schweigend das Handy in seine Hosentasche steckte. „Aber ich bin wirklich froh, dass Sie gekommen sind. Das bedeutet mir sehr viel.“ Als Hyde auch dazu nichts sagte, setzte sich Gackt mit einem zaghaften Lächeln um die Lippen auf den gepolsterten Lederstuhl und musterte skeptisch die Wasserpfütze auf dem Tisch. Hyde bemerkte diesen fragenden Blick und wollte sich erklären, doch noch bevor er eine Silbe sprechen konnte, trat die junge Frau herein, entschuldigte sich für die Störung und beseitigte schnell die Scherben auf dem Boden und das ausgelaufene Wasser auf dem Tisch. Als sie die Speisekarten auf den Tisch legte, schob Gackt sie zur Seite und meinte, dass sie erst später essen würden. Die junge Frau wollte schüchtern etwas vorbringen, doch der Dunkelhaarige bat sie mit einem Lächeln, das verführen konnte, sie erst einmal eine Weile nicht mehr zu stören, da sie etwas sehr Wichtiges zu besprechen hätten. Natürlich nickte sie und tat, worum sie gebeten wurde. Mit roten Wangen und einem verlegen Blick nahm sie die Karten wieder an sich und verließ den kleinen Raum. Dann folgte wieder beklemmende Stille, die Gackt hartnäckig mit belanglosen Bemerkungen zu überbrücken versuchte. „Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, es hat Ihnen keine Umstände bereitet, hierher zukommen. Sie haben sicher viel zu tun und ich ...“ „Da haben Sie vollkommen recht. Ich bin sehr beschäftigt, also möchte ich gern, dass Sie sofort zum Punkt kommen und mir sagen, was Sie von mir wollen.“ Seine Worte kamen etwas patziger, als Hyde es gewollt hatte. Doch seine Wut darüber, dass er nicht wusste, was hier vor sich ging, hatte plötzlich die Oberhand gewonnen. Der Dunkelhaarige konnte eigentlich gar nichts dafür. Jedenfalls glaubte der Blonde das. Dass dieser den Namen des Fremden aus vergangener Zeit kannte, hielt Hyde für unmöglich. Viel eher glaubte er, dass es sich damals in diesem TV-Sender wieder um eine seiner Wahnvorstellungen gehandelt hatte. Alles andere wäre eindeutig realitätsfern gewesen. „Also gut“, meinte Gackt, immer noch lächelnd. Dass er kurz überrascht gewesen war, ließ er sich aber nicht anmerken. „Ich habe um dieses Treffen gebeten, weil ich Ihnen die zweite Hauptrolle in meinem Film anbieten möchte“, brachte er sein Anliegen hervor, ohne weiter um den heißen Brei herumzureden. „Bitte?“ Ungläubig schüttelte der Blonde den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das Gesicht des Gegenübersitzenden. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.“ „Mir ist natürlich zu Ohren gekommen, dass Sie bisweilen alle Angebote dieser Richtung abgelehnt haben, doch ich bin mir sicher, dass es dieses Mal nicht der Fall sein wird.“ Er wirkte unglaublich selbstsicher. Wie er dort saß, den Blonden anlächelte und dazu diesen Vorschlag machte. Obwohl er anscheinend genau wusste, wie Hyde dazu stand. Trotzdem hatte er sich diesen Gedanken über Wochen hinweg nicht austreiben lassen. Aber wie kam er auf diese Idee? Wie kam er nur darauf, dass der Blonde ausgerechnet sein Filmangebot annehmen würde? Zugegeben, er besaß eine ungeheure Anziehungskraft. Seit der Dunkelhaarige vor einigen Minuten den Raum betreten hatte, konnte der Blonde seinem Blick nicht von ihn wenden. Seine Augen klebten an diesem feingeschnittenen Gesicht und sobald er auf den blauen Ring um seine Pupillen traf, hüpfte sein Herz vor Aufregung auf und ab. Und immer, wenn er dann wegsehen wollte, war es wie ein Verlust, den er nicht aufbringen konnte. Dann ging es von vorn los. Der Blick in diese Augen, die ihm so bekannt vorkamen, wurde ihm immer unerträglicher. Aber trotzdem wollte er ihn nicht lösen. Es war ein Kreislauf, der ihn schwächer werden ließ. Fast schon willenlos. Als könne dieser Mann um alles bitten. Um alles – und er würde es ohne zu hinterfragen tun. „Ich ... wäre mir ... da an Ihrer Stelle ... nicht so sicher“, war alles, was Hyde wenig überzeugend herausgebrachte. Gackt lächelte. Wahrscheinlich, weil er hinter Hydes zögerlichen Antwort einen kleinen Erfolg sah. „Ich bin mir sicher, Sie werden diese Rolle interessant finden. Sie ist Ihnen wie auf den Leib geschnitten. Nicht zuletzt, weil ich Sie schon für die Rolle im Kopf hatte, als ich das Buch dazu geschrieben habe. Wie wäre es, wenn Sie sich einfach mal das Script durchlesen und dann entscheiden?“ Er blieb beharrlich, was Hyde gar nicht gefiel. Doch schlimmer fand er, dass diese Hartnäckigkeit langsam zarte Früchte trug. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass es doch eigentlich keine schlechte Idee wäre und einen Versuch wert sein könnte. Aber war er dieser Meinung, weil ihn diese neue Richtung der Selbstverwirklichung interessierte, oder weil es Gackt war, der ihn fragte? Weil er sich diesem so seltsam verbunden fühlte? Weil es in seiner Brust so pochte, wenn der Dunkelhaarige das Wort an ihn richtete und ihn dabei mit diesem Lächeln ansah? Er wusste es nicht genau und verfluchte sein eigenes Herz, welches sich gerade so sehr daran erfreute, ihn an der Nase herumzuführen. „Ich verstehe nicht, warum gerade ich es sein soll? Ich bin kein Schauspieler und ich will es auch nie werden. Suchen Sie sich bitte einen anderen“, meinte der Blonde, während er unruhig wurde und aufstehen wollte. Er war verwirrt über seine eigenen Gedanken. Dinge, die so seltsam waren, dass er davor fliehen wollte. So weit wie möglich weg von diesem Sänger, der es hervorragend verstand, ihn zu einer willenlosen Marionette zu machen. Einfach so ... nur mit seinen Blicken und seiner Stimme. Er musste hier weg. Tat er es jetzt nicht, würde es für immer zu spät sein, da war sich Hyde sicher. Aber zu mehr als dieser Erkenntnis kam er nicht. Obwohl er gewillt war, schaffte er es nicht einmal aus seinem Stuhl. „Weil ...“, kam es laut von Gackt und Hyde blieb sofort wie erstarrt sitzen. Hatte er vielleicht insgeheim gehofft, dass er ihn aufhalten würde? Damit er keine andere Wahl hatte, als zu erfahren, was der wahre Grund war? Scheu wagte der Blonde einen Blick in das Gesicht des Sängers. Und als er sah, wie das Lächeln um diese vollen Lippen verschwunden war, wurde ihm mit ein Mal ganz anders. Ernst blickte der Braunhaarige ihn an. Von seiner Selbstsicherheit aber war kaum noch etwas übrig geblieben. Er wirkte auf einmal so verletzlich und betrübt. Das überraschte Hyde und machte ihn gleichzeitig auch neugierig. Er konnte nicht gehen. Nicht bevor er erfahren hatte, was auf einmal los war. „Weil Sie ihm so unglaublich ähnlich sind, dass es schon fast ein Wunder ist“, sagte Gackt, nachdem er lange geschwiegen hatte. Wahrscheinlich hatte er ursprünglich nicht vorgehabt, darüber zu reden. Es fiel ihm schwer, das bemerkte Hyde sofort. Die Art, wie er ihn ansah und wie jene Worte über seine Lippen gekommen waren, es sagte so viel. Es steckte so viel Bedeutung darin, doch der Blonde konnte rein gar nichts damit anfangen. Ratlos konnte er nur dem unregelmäßigen Schlagen seines Herzens zuhören. Denn nur sein Herz schien zu verstehen, was der Braunhaarige ihm zu sagen versuchte. „Wem ... bin ich ähnlich?“, fragte Hyde zögerlich, nachdem Gackt seinem Blick ausgewichen war. Warum wollte er es überhaupt wissen? Warum vertiefte er dieses Gespräch und fühlte sich dazu verpflichtet, ihm zuzuhören? „Jemandem, den ich einmal kannte“, begann Gackt, noch bevor der Blonde sich Gedanken über seine Fragen machen konnte. „Es ist lange her. Ich dachte schon, ich hätte vergessen, wie er aussah und ... wie er war, ... doch als ich Sie neulich in dieser Sendung gesehen habe, da war ... da war es ... als wären Sie er.“ Seine letzten Worte waren nur ein leises Flüstern. Sie waren mit tiefem Zweifel bestückt. Als könne er es selbst kaum glauben, was er da sagte. Doch dies hinderte ihn nicht daran, weiterzusprechen. Und Hyde brachte keine Einwände vor. Er wollte es hören, denn die Stimme, in der ein leichtes Zittern mitschwang, riss ihn mit. An einen Ort, der weit weg lag. Weiter, als es überhaupt möglich war zu reisen. „Er hatte blondes Haar, welches in der Sonne tatsächlich wie Gold schimmerte. Er hatte eine sanfte Persönlichkeit und trotzdem war er manchmal so stur, dass er mich damit verrückt machen konnte.“ Gackt lächelte. Ein Lächeln, so ganz anders als die anderen Male zuvor. Viel wärmer und liebevoller. Ein Lächeln, welches der Blonde von dem kühlen Sänger nie erwartet hätte. Aber auch tiefe Trauer konnte er darin lesen und Hyde spürte, wie ihm bei diesen Anblick heiß in der Brust wurde. „Aber ... er war etwas Besonderes, egal wer er wirklich war, egal, was die anderen sagten. Er war einfach alles für mich.“ Gackt drückte seine Lippen aufeinander, als wolle er Tränen zurückhalten. Er schüttelte bedrückt den Kopf und sah kurz weg, bevor er sich wieder gesammelt hatte und erneut zu lächeln begann. Aber er wirkte abwesend, als hätte er sich in seinen Erinnerungen verirrt. Als würde er gar nicht mehr wahrnehmen, dass er mit einem praktisch Fremden über seine Gefühle zu einem Mann sprach. Natürlich wunderte sich der Blonde über die unerwartete Richtung, die das Gespräch auf einmal eingeschlagen hatte. Aber trotzdem konnte er nicht aufhören, ihn anzusehen. Der Dunkelhaarige hatte ihn rasend schnell derart tief in sein Innerstes gezogen, dass Hyde es nicht wagen wollte, ihn zu unterbrechen. Er sah in seine Augen. So lang, so tief. Er hatte das Gefühl, er würde mit seinen Blicken sprechen. Und obwohl es eigentlich fast gar nicht mehr notwendig war, flüsterte Gackt weiter. Genau jene Worte, die Hyde erwartet hatte. Worte, die ihm die Brust fest zuschnürten. „Ich habe ihn so sehr geliebt.“ Dem Blonden pochte das Herz bis zum Hals, als er das Wort Liebe hörte. Als hätte er sich lange gewünscht, es aus seinem Mund zu hören. Nur von ihm ... niemand anderem. Aber warum? Warum aber war er darüber so aufgeregt? Warum hatte er das Gefühl, Gackt würde über ihn sprechen? Einen Menschen, den er doch gar nicht kannte. Einen Menschen, dem er nur wenige Male begegnet war. Warum hatte er das Gefühl, dass es gar nicht so war? Dass er ihn besser kannte, als er glaubte? „Er nahm sich das Leben, noch bevor wir überhaupt glücklich sein konnten“, murmelte der Dunkelhaarige verzweifelt weiter. Und da war es, das so verbissen unterdrückte Glitzern in seinen blauen Augen. Er hatte den Kampf gegen sich selbst verloren und zeigte dem Blonden offen seine Schwäche. Dieser Anblick brannte sich in Hydes Herz, genauso wie all seine Worte, die der Dunkelhaarige gesprochen hatte. Tiefe unerklärliche Gefühle durchströmten ihn plötzlich, nachdem Gackt sein offensichtliches Leid wieder mit einem Lächeln überspielen wollte. Als wäre nichts geschehen. Aber Hyde wusste, wie er sich fühlte. Er spürte es, als würden sie dieselbe Einsamkeit teilen. Dasselbe Schicksal. Er hatte sich doch jede Nacht weinend um einen geliebten Menschen trauern sehen. Er lag tot in seinen Armen. Blut klebte an seinen Fingern. Sein Körper war kalt wie Eis. Er hatte ihn geliebt, mehr als alles andere auf dieser Welt. Doch glücklich waren sie nie gewesen. Jedenfalls nicht in seinen Träumen. Als dem Blonden dieser Gedanke gekommen war, sammelten sich heiße Tränen in seinen Augen. Sie liefen über seine Wangen, als Gackt nach seiner Hand greifen wollte. Doch er zog sie weg, noch bevor sich ihre Finger berühren konnten. Seine eigenen viel zu starken Gefühle machten ihm Angst. Sie führten ihn in ein schwarzes Loch, aus dem eine Flucht unmöglich schien. Er wurde dieses schreckliche Bild einfach nicht mehr los. Ein Bild, das sich wie eine Erinnerung anfühlte. Aber diese Erinnerung hatte keinen Platz in seiner Seele. Sie existierte nicht, sie ergab keinen Sinn. Das alles machte keinen Sinn. Zitternd riss Hyde sich aus seinem Stuhl und wollte aus dem Raum flüchten. Doch in seiner Panik stolperte er an der niedrigen Türschwelle des kleines Raumes. Er verlor das Gleichgewicht und rutschte an der Tür zu Boden. Noch bevor er sich selbst helfen konnte, war Gackt zu ihm geeilt, hatte nach seiner Hand gegriffen und ihn zu sich nach oben gezogen. Ihre Blicke trafen sich, was den Blonden im Moment am meisten quälte. Er hatte einfach keine Kraft mehr, sich Gedanken über diese ganze Sache zu machen. Er hatte es doch gewusst. Er hätte nicht herkommen dürfen. Er hätte Gackt nie wieder sehen dürfen. „Ich ... habe noch ... etwas ... zu tun“, stotterte Hyde in seiner Hilflosigkeit. Er hatte gehofft, dass der Größere ihn dann loslassen würde. Dass er ihn einfach gehen lassen würde. Doch Gackt tat es nicht. Er hielt ihn fest, legte seine Finger unter das Kinn des Blonden und drehte seinen Kopf zu sich, so dass er gezwungen war, in seine Augen zu sehen. Zuerst sagte er nichts. Lange unangenehme Minuten verstrichen, in denen er einfach nur dastand und ihn schweigend ansah. Erst als Hyde Anstalten machte sich loszureißen, kam es über Gackts Lippen. „Hidetori“, sagte er leise, aber in Hydes Kopf hämmerte es, als würde eine geballte Faust hart auf Metall aufschlagen. Entsetzt riss der Blonde seine Augen auf und starrte den Dunkelhaarigen fassungslos an. Schon wieder war dieser Name gefallen. Schon wieder hatte der Sänger ihn so genannt. Dann war es also doch keine Einbildung gewesen? Es war kein Zufall? Er kannte diesen Hidetori? Er wusste von dieser Geschichte? Aber wie ...? Wie konnte das sein? „Ich ... ich heiße nicht Hidetori“, stotterte der blonde Sänger mit einem Kopfschütteln. „Mein Name ist Hideto“, stammelte er verunsichert weiter. Aber sich von diesen Augen lösen, das konnte er einfach nicht, egal wie sehr sie ihn verwirrten. Egal wie klar er in ihnen sehen konnte, was für Gefühle sich hinter ihnen verbargen. Gackt nickte, während er Hydes Hand fester in seine nahm und mit dem Daumen über seine Haut fuhr. Eine unschuldige Berührung, die dem blonden Sänger eine Gänsehaut bescherte. „Ich weiß“, flüsterte der Dunkelhaarige dann und nahm auch seine andere Hand. „Das hast du mir ... schon einmal gesagt“, meinte er und quälte den Älteren mit einem warmen Lächeln, welches ihn noch nervöser werden ließ. Doch es war nicht nur das Lächeln, welches ihn verunsicherte, sondern auch die Tatsache, dass es stimmte, was Gackt gerade gesagt hatte. Genau so war es. Er konnte sich daran erinnern. An diesen einen kurzen Moment, den er aber nie wirklich erlebt hatte. Er sah es ganz klar vor sich, wie er vor einer schwarzen Person gestanden und dieser seinen richtigen Namen genannt hatte, was er eigentlich selten tat. „Ich heiße ... Hideto“, hatte er mit dünner Stimme gesagt, nachdem er mit Hidetori gerufen worden war. Ein Name, der ihm auf einmal sehr vertraut vorkam. Dann hatte diese Person, die in seiner Erinnerung nur ein Schatten war, langsam seinen Namen nachgesprochen. Und er war glücklich gewesen. So glücklich, dass er jetzt noch dieses wohlige Gefühl in seiner Brust spüren konnte. Aber mehr war da nicht. Weder das Gesicht der Person in seiner Erinnerung, noch ein Anhaltspunkt darüber, wann und wo es gewesen war. Es hing einfach so in der Luft, ohne irgendeine Verbindung. Desto seltsamer war es, dass ausgerechnet Gackt sich daran zu erinnern schien.Wie auch immer das möglich sein konnte. „Wann ... wann habe ich das gesagt?“, wollte Hyde wissen. Er konnte sich daraus einfach keinen Reim machen. Seine Gedanken waren so verworren. Egal, wie er es drehte und wendete, es funktionierte einfach nicht. „Als du dich in dem Bergdorf vor mir versteckt hattest. Vor genau 425 Jahren“, antwortete Gackt, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Schockiert musterte Hyde den Größeren. Es war merkwürdig, doch plötzlich setzte sich das Puzzle zu einem Bild zusammen. Plötzlich erkannte er Zusammenhänge. Aber das Endergebnis war vollkommen absurd und praktisch unmöglich. Wie konnte es sein, dass etwas so surreales so viel Sinn ergab? Wie konnte es sein, dass er sich wieder derart an der Nase herumführen ließ, wieder anfing, diesen Humbug zu glauben und es ihn so aufwühlte? Warum führte der Weg wieder zu diesem Samuraimärchen? War es ein Trick dieses Sängers? Wollte er ihn so überzeugen, sein Angebot anzunehmen? Wut kochte in ihm auf. Darüber, dass er so dumm war und sich derart benutzen ließ. Er riss sich von Gackt los, sammelte all seinen Mut zusammen und funkelte den Dunkelhaarigen zornig an. „Was wollen Sie mir hier eigentlich weismachen? Dass Sie dieser Kagegaku sind? Vor über 400 Jahren ein Samurai waren, sich in diesen blonden Mann verliebt haben, irgendwie unsterblich wurden und in mir nun die Wiedergeburt dieses Typen sehen? Weil ich ihm ein bisschen ähnlich sehe? Oder sogar noch schlimmer ... Sie glauben, ich bin dieser Hidetori ...“, fasste er den ganzen Irrsinn zusammen, der sich ihm in den letzten Minuten so klar erschlossen hatte. Als Antwort erwartete er ein Kopfschütteln, eine Verneinung oder zumindest ein skeptisches Stirnrunzeln, was ihn allein zu einem Wahnsinnigen gemacht hätte, doch Gackt entgegnete mit ungewöhnlichen Worten. „Das wäre eine zu seltsame Geschichte, oder? Aber, genau so würde ich es dir erklären. Auch wenn ich den ein oder anderen Teil selbst nicht verstehen kann.“ Fassungslos schüttelte Hyde den Kopf. „Das ist verrückt ... einfach verrückt“, stammelte er und wollte die Tür hinter sich öffnen. Doch Gackt, der den Blonden noch nicht gehen lassen wollte, hielt sie fest und versperrte ihm den Weg. „Das stimmt“, murmelte er dann ernst. „Es ist verrückt. Es ist ein Wunder, dass ich dir jetzt gegenüberstehe. Und wenn du nicht davor fliehst, dann wirst du es auch verstehen können.“ Hyde schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt verstehen will“, meinte der Blonde abwehrend. Plötzlich packte Gackt ihn an den Schultern und sah ihn flehend an. „Aber nur du ... nur du kannst es verstehen.“ In seinen Augen flackerte großes Leid, wovon Hyde sich stark in die Enge getrieben fühlte. Er konnte die Verzweiflung des Dunkelhaarigen spüren und seltsamerweise auch nachvollziehen, aber er wusste nicht, ob es wirklich so gut war, darauf einzugehen. Er wollte doch einfach nur endlich damit abschließen und seine Ruhe haben. Warum funktionierte das nicht? Bevor er ernsthaft darüber nachdenken konnte, sich gegen Gackt zu wehren, lockerte dieser schon seinen Griff und murmelte leise eine Entschuldigung. Hyde war erleichtert und schüttelte scheu den Kopf. Aber dabei blieb es nicht. „Ich kann dich natürlich nicht zwingen, aber wenn du mir vielleicht nur noch eine Minute schenken würdest ...“ Mit diesen Worten ließ Gackt seine Finger durch das blonde Haar des Sängers gleiten. Ohne Vorwarnung überrumpelte er ihn plötzlich mit dieser Berührung, die Hyde erschrocken zurückweichen ließ. Das hatte er einfach nicht erwartet. Wie vor dem Kopf gestoßen, starrte Hyde den Größeren an, der sich von seinen Rückzugsanstalten aber wenig begeistern ließ. Er streichelte das helle Haar und belohnte ihn dabei mit einem warmen Blick. Und der Blonde war außerstande einen wörtlichen Protest vorzubringen. Als wäre er erstarrt. Er ließ Gackt einfach gewähren. Er ließ es zu, dass dieser mit seinen Fingern von seinem Haar hinab über seine Wange streichelte. Und das nicht nur eine Minute, wie der Solosänger es sich gewünscht hatte, sondern sehr viel länger. Als würde er es genießen, obwohl sein Verstand sich klar dagegen aussprach. Aber selbst als der Dunkelhaarige ihm gefährlich nahe kam und ihm etwas zuflüsterte, konnte er sich nicht bewegen. Er konnte es noch nicht einmal verhindern, dass sich seine Wangen dunkelrot verfärbten, als Gackts heißer Atmen über sein rechtes Ohr glitt. „Erinnerst du dich, wie ich nach deiner Haarfarbe gefragt habe und du es mir mit einem Geburtsfehler erklärt hast?“, fragte der Jüngere und Hyde spürte wie ein brennendes Kribbeln bis hinauf in seine Kehle kroch. „Nein“, antwortete er schnell. Vielleicht hörte es sich in Gackts Ohren eher trotzig an, aber es war die Wahrheit. Obwohl er ein Bild im Kopf hatte. Wie ein Déjà-vu. Aber er konnte sich nicht erinnern, also schüttelte er steif den Kopf. Dabei aber berührten Gackts Lippen kurz sein Ohrläppchen, was dem Blonden wie ein warmer Blitz durch den Körper jagte. Und dem Dunkelhaarigen schien dieses Missgeschick sehr gelegen zu sein. Er küsste ungeniert noch einmal diese Stelle, bevor er mit seinem seltsamen Fragespiel fortfuhr. „Weißt du noch, wie du mich an diesem verschneiten Winterabend mit einen Kuss geweckt hast? Er war genauso zart wie meiner gerade.“ Seine flüsternden Lippen wanderten weiter über Hydes Gesicht, bis sie am Mund des Blonden angekommen waren. „Nein“, murmelte Hyde wieder wie in Trance, während er Gackts Atem direkt auf seinem Mund spürte. Doch selbst wenn er anders hätte antworten können, über seine Lippen brachte er nur diese beinahe gehauchte Verneinung. Denn er war nicht imstande dazu, nachzudenken. Er konnte das, was er fühlte, nicht deuten. Das, was er sah, nicht verstehen. Es war, als würde Gackt ihm seine eigenen Erinnerungen geben. Für einen kurzen Augenblick, nur damit er es sehen konnte. Aber alles, was er klar spüren konnte, waren nur diese viel zu zarten Berührungen, die er irgendwie zu genießen schien. Und es wollte nicht aufhören. Gackt flüsterte weiter und streichelte dabei immer wieder über sein Gesicht. „Auch nicht, wie du mitten in der Nacht zu mir kamst und ... wir ...“ „Nein“, unterbrach Hyde hastig, bevor der Dunkelhaarige zu ende sprechen konnte. Er wusste, was Gackt sagen wollte. Irgendwie wusste er es. Aber allein die Vorstellung, woran der Größere gerade gedacht haben musste, ließ ihm das Blut in seine Wangen schießen. Sein Herz hämmerte wild und seine Knie waren inzwischen butterweich. Er wurde gerade eben von einem Mann verführt und er konnte keinen Widerstand leisten. Warum konnte er nichts dagegen tun? Warum konnte er sich nicht bewegen, ihn von sich stoßen und einfach weglaufen? Hatte er sich so fest an diesen Sänger binden lassen? Gab es denn gar keinen Ausweg mehr? „Ich kann ... mich ... nicht erinnern“, beteuerte Hyde nachdrücklicher, obwohl er es plötzlich im Kopf hatte. Obwohl er sehen konnte, wie er in seinen Armen lag und ihn leidenschaftlich küsste. Wie ihre Berührungen immer intimer wurden und sie sich nicht mehr loslassen wollten. Das alles war auf einmal so real, als wäre es wirklich passiert. Aber das war es doch nicht. Es war doch praktisch unmöglich. Gackt drückte sich etwas von dem Blonden weg, um ihm in die Augen sehen zu können, während er seine Finger über Hydes Kinn und dann über seinem Hals wandern ließ. „Auch nicht, dass ich dich liebe und dir versprochen habe, auf dich zu warten?“ Verwirrt starrte der Blonde in das Gesicht des Größeren. Was er darauf entgegnen sollte, kam ihm einfach nicht in den Sinn. Ein simples Nein, so wie es der Wahrheit entsprach, brachte er nicht über sein Herz, denn das würde – so hatte er das Gefühl - auf eine völlig andere Art antworten. Aber wahrscheinlich hatte Gackt auch gar nicht erwartet, dass der Blonde darauf Antwort gab, denn er schüttelte kurz danach den Kopf und seufzte. „Und ich habe auf dich gewartet. ... Eine lange, lange Ewigkeit“, flüsterte er leise. Und als er dies sagte, war auf einmal alles ganz anders. Es war seltsam, doch in gerade jenem Moment spürte der Blonde einen Ruck in seinem Herzen. Ein tiefes Gefühl zu dem Sänger. Eine alte und feste Verbundenheit, die alles komplett veränderte. Natürlich glaubte er diese verrückte Geschichte nicht. Es war absurd zu denken, sie wäre echt, doch auf eine gewisse Art und Weise fühlte es sich real an, wenn er in die blauen Augen sah und dort diesen Schmerz erblickte. Wenn er in der klaren Stimme das Zittern hörte und in seinen Berührungen so viel Sehnsucht spürte. Dann fühlte er sich tatsächlich in diese Geschichte hineingezogen. Inmitten von diesen uralten Gefühlen, die alles hinter sich gelassen hatten. Status, Ehre, Macht und sogar die Ewigkeit. Vielleicht stimmte es ja. Vielleicht war er Hidetori, dieser Fremde mit den goldenen Haaren, der sich in den Samurai verliebt hatte. Und vielleicht war Gackt dieser Samurai, dieser Kagegaku, dessen Seele über die Jahrhunderte weitergelebt und auf ihn gewartet hatte. Vielleicht waren sie ihre Wiedergeburten, ihre Reinkarnationen. Vielleicht war es wirklich verrückt, so etwas zu glauben. Doch wenn es so war, dann waren sie es wohl beide. Ein Wahnsinn, der sich richtig anfühlte, wenn sie zusammen waren. Wenn Gackt hier war und ihn berührte. Und das tat er, als hätte er Hydes Gedanken gelesen. Er näherte sich dem Blonden und streichelte wieder über seine Wangen. „Vielleicht ... erinnerst du dich ja, wenn …“ Er verstummte und blickte auf Hydes Lippen, während er sich zu ihm hinabbeugte. Erst langsam und unsicher, doch als der Blonde keine Anstalten machte, Gackts eindeutige Absicht abzuwehren, wurde er kühner. Seine warmen Finger berührten den Mund, den er die ganze Zeit so fasziniert angestarrt hatte, während er dem Bandsänger immer näher kam. „... wenn ich das hier tue“, flüsterte er dann gegen Hydes Lippen, wobei er diese leicht berührte. Hyde war, als würde seine Haut brennen, dort wo der Sänger ihn mit seinem weichen Mund gestreichelt hatte. Doch es war kein Schmerz, sondern ein wundervoller Genuss. Fasziniert von dieser Zärtlichkeit bewegte Hyde seine Lippen, um ihn noch einmal zu spüren. Ohne darüber nachzudenken, tat er es wieder und wieder, völlig versunken in seiner Welt, die aufgehört hatte, sich zu drehen. Bis Gackt seinem Drang nicht mehr widerstehen konnte, ihn fester an sich drückte und ihn endlich inniger küsste. Hyde konnte sich das Seufzen nicht verkneifen, als er leicht seinen Mund öffnete und Gackts heißer Atem zwischen seine Lippen drang. Wie ein Feuer, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. All seine Ängste und Sorgen warf er ohne weiter zu zögern von sich. Es war ihm egal, was danach geschah, was er am nächsten Tag denken würde. Ob er verrückt war oder warum er dies überhaupt tat. Es ging nur um jetzt, um diesen einen Augenblick, um dieses wundervolle Gefühl in seiner Brust, welches immer stärker wurde. Aber mit jeder Sekunde, in der er den warmen Mund auf seinem spürte, drängte sich auch ein unerklärlicher Schmerz in sein Herz. Es jagte ihm plötzlich Tränen in die Augen. Als hätte er sich lange nach diesem Kuss gesehnt. Als hätte er etwas Unersetzliches verloren und endlich wiedergefunden. Es war ein Brennen in seiner Kehle, das ihm das Atmen erschwerte. Ein Druck auf seiner Brust, der gegen sein pochendes Herz kämpfte. Und die Tränen in seinen Augen, die Gackt immer wieder mit seinen Fingern auffing, wenn sie über seine Wangen kullerten. Gackts Zärtlichkeit und diese innere Qual, die Hyde nicht verstehen konnte, zerrissen ihn. Und er wusste nicht warum, oder was genau mit ihm geschah. Er fühlte sich, als könne er mit der Freude, es endlich wiedergefunden zu haben, nicht umgehen. Als wäre es so schwer, dass es ihn zu zerdrücken drohte. Waren es vielleicht die Erinnerungen, nach denen der Dunkelhaarige so hartnäckig suchte? War es wirklich seine verlorene Erinnerung und nicht die eines anderen? Er konnte die Antwort auf diese Frage nicht finden. Obwohl er mit unzähligen seltsamen Gefühlen nur so überschwemmt wurde. Obwohl Gackt ihm mit jeder Sekunde mehr Hinweise in den Mund legte. Obwohl alles so gut zusammenpasste. Die Gefühle, die er spüren konnte, besaßen einfach kein definierbares Bild. Es war dunkel, verschwommen und verwirrend. Und egal wie lange oder wie oft Gackt ihn küsste, es würde daran nichts ändern. Diese Gewissheit schmerzte und trieb ihm immer wieder die Tränen in die Augen, die heiß über sein Gesicht liefen. Das Einzige, was er tun konnte, war sich an den Größeren zu klammern und für einen Moment diese Gedanken zu vergessen. Doch das war nicht leicht. Vor allem nachdem der Dunkelhaarige plötzlich von seinen Lippen ließ und wieder flüsternd diese Frage stellte. „Erinnerst du dich?“ Er hauchte leichte Küsse auf seine feuchten Wangen und dann wieder auf seinen Mund. Hyde konnte das Salz seiner eigenen Tränen schmecken, als er zögerlich antwortete. Aber seine Worte waren wieder dieselben. „Nein, ich erinnere mich nicht.“ Einen Moment lang blickte der Dunkelhaarige schweigend in die tränennassen Augen. „Warum weinst du dann?“, fragte er und Hyde konnte das letzte bisschen Hoffnung in seiner Stimme wahrnehmen. Doch etwas Sinnvolles konnte er nicht auf seine Frage antworten. Er wusste es ja selbst nicht und eine Lüge brachte er auch nicht übers Herz. Er schüttelte nur den Kopf, bevor Gackts Gesicht plötzlich hinter einem dicken Tränenschleier versank. Und während diese blauen Augen verschwommen umhertanzten, war es auf einmal so, als würde der quälende Druck auf seinem Herzen, der Schmerz in seinem Inneren, seine Ängste, alle negativen Gefühle aus ihm herausbrechen. Er fing an zu schluchzen. Obwohl er es unterdrücken wollte, kam es einfach über seine Lippen. Er drückte die Hände auf sein Gesicht, um sich vor Gackts Blick zu verstecken. Doch am liebsten hätte er sich aus Verzweiflung in seine Arme geworfen und laut geweint. Es musste einfach raus. Dieser gestaute Schmerz, der sich über Monate hinweg wie ein Parasit in ihm breitgemacht hatte. Er drohte, daran zu ersticken. Was also war dieser peinliche Augenblick im Vergleich zu dieser Finsternis, die ihn immer weiter auffraß? Er lehnte sich unsicher an Gackts Brust und zuckte kurz, als dieser ihn ohne weitere Fragen zu stellen sofort fest in seine Arme schloss. Genau dort, wo der Blonde sein klopfendes Herz hören konnte. Es war so vertraut. Diese Wärme, mit der er umschlossen wurde, und das gleichmäßig pochende Geräusch an seinem Ohr. Es ließ ihn alle Sorgen vergessen. Als hätte es sie nie gegeben. Gackt war seine Rettung. Egal, was er für eine Rolle im Leben des Blonden spielte. Was er in dem Dunkelhaarigen sah oder über ihn dachte. Ob seit 400 Jahren oder erst seit ein paar Minuten. Er war der Mittelpunkt, um den er sich eine scheinbare Ewigkeit gedreht hatte. Ohne zu wissen, dass es ihn überhaupt gab. Er war hier. Er war keine Illusion und auch kein Traum. Er konnte ihn unter seinen Händen spüren, seinen Atem und Herzschlag hören, seine blauen Augen sehen. Das allein war das Wichtigste. Auch wenn er sich nie würde erinnern können. Auch wenn es nichts gab, woran er sich erinnern müsste. Es war egal. Es war vollkommen egal. Hyde blickte auf, fuhr mit seinen Händen über Gackts Brust und starrte den Größeren an. Er zögerte erst, doch als der Dunkelhaarige ihn fester an sich drückte, legte der Blonde seine Hände um seinen Nacken, zog sich nach oben und küsste ihn. Ohne Scheu, ohne Angst. Es war nur diese unerklärliche Sehnsucht, die er stillen wollte. Aber er spürte, dass es richtig war. Er spürte, dass es so vorhergesehen war. Er drückte seine Lippen auf die von Gackt und drängte sie ungeduldig auseinander, um ihn dann mit seiner Zunge zu spüren. Sehr viel zügelloser als zuvor. Und der Dunkelhaarige erwiderte diesen leidenschaftlichen Kuss sofort, als hätte er nur darauf gewartet. Als hätte er gewusst, dass es geschehen würde. Er hielt den Blonden mit seinen Händen fest, drängte sich an ihn und nahm ihn mit seinem Mund die Luft zum atmen. Hyde seufzte. Seine Lippen brannten und Gackts Finger drückten sich schmerzhaft in seinen Rücken. Doch dem Blonden war es nicht unangenehm. Er genoss diesen süßen Schmerz, der ihm so bekannt war. Als wäre es schon einmal passiert. Als hätte er schon einmal diese Lippen geküsst. Vor langer Zeit. Vor einer langen langen Ewigkeit. Und während sich seine Welt plötzlich in eine ganz andere Richtung drehte, kam Hyde mit einem Mal ein merkwürdiger Gedanke. Doch erst, als sie atemlos ihren Kuss beendeten, kam es flüsternd über seine Lippen. Obwohl er keine Ahnung hatte, warum er so fühlte. „Ich habe dich ... so schrecklich vermisst“, sagte er verwirrt. ---------------------------------------- Das hier ist nun das letzte Kapitel. Aber keine Sorge... es folgt noch der Epilog. Ich bin gerade etwas traurig, weils nun zu ende ist. Die letzten 1 ½ Jahre habe ich daran gesessen. Und es hat solch Spaß gemacht. *Schnief* Naja aber verfallen wir jetzt mal noch nicht verfrüht in Deppressionen. Es ist ja noch etwas zu erledigen. Vielen Dank fürs lesen! Bis bald. Epilog: Neuanfang ----------------- Epilog - Neuanfang Als er seine Augen aufschlug und den Schnee in seinen Wimpern spürte, da wusste er, irgendetwas Seltsames war geschehen. Er lebte, obwohl er gestorben war. Er sah das viele Blut um sich herum. Nur eine zarte Schneeschicht lag darüber und machte daraus einen rosa Teppich. Selbst im fahlen Mondlicht war dies zu erkennen. Es war sein Blut. Er erinnerte sich an den Schmerz des tiefen Schnittes quer über seinem Bauch. Es hatte nur wenige Minuten gedauert, bis es schwarz vor seinen Augen geworden war. Begleitet von Kagemuras zufriedenem Lachen. Aber er lebte trotzdem. Was war geschehen? Ein Wunder? Verwirrt tastete Kagegaku über seinen Bauch. Der Kimono war zerschnitten, auf seiner Haut klebte sein eigenes Blut. Aber die tödliche Wunde, sie war nicht mehr da, als wäre es nie passiert. „Ein Wunder“, flüsterte der Samurai ungläubig. Er fuhr mit seiner Hand über den Schnee neben sich, als würde er nach etwas greifen wollen. Eine Halluzination? Dieses Gefühl, als hätte gerade noch jemand hier gelegen. Was war das? Er sah Abdrücke im Schnee. Fußspuren, die nicht zu Kagemura gehörten, führten von der Hütte bis zu seinen Füßen. Da sie nicht gänzlich unter dem zarten Neuschnee verschwunden waren, mussten sie beinahe frisch sein. Vielleicht nur wenige Minuten alt. Eine große Fläche neben ihm war flachgedrückt. Er lag auch nicht mehr am Baum angelehnt. Jemand musste ihn also in den Schnee und dann sich selbst daneben gelegt haben. „Hidetori?“, wisperte er, als ihm plötzlich sein Gesicht in den Sinn kam. Aber wie kam er darauf? Ausgerechnet der Blonde, der doch seit über einem Jahr tot war. Aber er hatte ihn gespürt. Gerade eben. Direkt in seinen Armen, hier im kalten Schnee. Als wäre er wirklich hier gewesen. Er konnte noch fühlen, wie Hidetori sein Gesicht gestreichelt hatte. Er konnte seine verzweifelte Trauer spüren, seine Tränen sehen. Er konnte ihn noch riechen und seine Stimme hören. „... bis wir wieder zusammen sein können“, kam es über Kagegakus Lippen. Es waren die Worte des Blonden. Sie waren in seinem Kopf. Wie eine Erinnerung. Hidetori hatte sie mit weinerlicher Stimme gesprochen. In einem Traum. Ein Traum, den er geträumt hatte, als er schon tot gewesen war. Das letzte Licht vor der Dunkelheit, die letzte Rettung. Wie ein Engel war ihm Hidetori erschienen. Gehüllt in ein warmes Licht. Der Blonde hatte ihn angefleht, nicht zu sterben, obwohl es schon zu spät gewesen war. Obwohl er schon tot gewesen war. Aber trotzdem war es so wundervoll warm geworden. In seiner Brust, seinem Herzen, bis in seine Zehenspitzen. Hidetoris Wunsch hatte sich erfüllt. Ja, jetzt erinnerte er sich ganz klar daran, wie das Leben zu ihm zurückgekehrt war. Alles hatte mit diesem entschlossenen Blick des Blonden begonnen. Als hätte man ihm gerade die Macht gegeben, ein Menschenleben zu retten. Sein Leben. „Du darfst nicht sterben, bis wir wieder zusammen sein können.“ Seine Worte waren diese Magie gewesen, die ihn zurückgebracht hatte. Zurück in eine Welt, in der Hidetori nicht mehr existierte. Aber was sollte das bedeuteten? Der Blonde war tot. Wie würden sie sich je wiedersehen können? Warum wurde ihm dieses sinnlose Leben geschenkt? Obwohl er es nicht verstanden hatte, hatte er einfach versprochen, auf ihn zu warten. Er würde warten, bis Hidetori zu ihm zurückkam. Egal, wie lange es dauern würde. Ein Monat, ein Jahr oder auch die Ewigkeit. Niemals würde er versuchen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wie ein dummes Kind, welches auf eine Belohnung dafür hoffte. Und so hatte er weitergelebt. Fernab seiner Heimat, seiner Familie, getrennt von allem, was er kannte. Er war geflohen. Bis an das andere Ende des Landes. Und hatte Kagemura, das neue Oberhaupt der Nishiyama, nie wieder gesehen. Er hatte getan, worum Hidetori ihn gebeten hatte. Nicht, weil er es für möglich gehalten hatte, ihm wie durch ein Wunder jemals wieder zu begegnen, sondern weil er sein Wort gegeben hatte. Obwohl er wusste, dass es aussichtslos war. Er würde warten, bis er irgendwann an seiner Sehnsucht sterben würde, so dachte er. Aber so geschah es nicht. Hidetoris seltsame Magie hatte noch weiter gereicht. Weiter, als Kagegaku es viele Jahre lang erahnen konnte. Während die Menschen um ihn herum alt wurden und irgendwann starben, lebte er einfach weiter. Wunden heilten, egal wie schwerwiegend sie waren, Krankheiten überwand er ohne Schwierigkeiten. Anscheinend war er unsterblich. Anscheinend konnte er einfach nicht sterben. Weil er sein Wort gegeben hatte? War er dazu verdammt, einsam tausende Jahre zu leben, nur weil er ein sinnloses Versprechen gegeben hatte? Ein Versprechen, das nie ein Ende haben würde. Auch älter wurde er nicht. Er lebte und sah, wie die Zeit an ihm vorbeirauschte. Über Jahrhunderte hinweg. Das Ende des langen Bürgerkrieges in seinem Land hatte er miterlebt. Auch den 260 jahrelangen Frieden unter den Tokugawa und die Öffnung des Landes. Er hatte die ersten Ausländer gesehen, das erste Auto gefahren, das erneute Leid und Sterben während der Weltkriege beweint und den Wirtschaftsboom seines Landes gefeiert. Als Samurai geboren, hatte er viele unterschiedliche Leben gelebt. Viele Namen gehabt, unzählige Freunde zu Grabe getragen. Aber die Erinnerung an den seltsamen Mann mit den goldenen Haaren, während der Zeit, als er in seiner prachtvollen Rüstung an der Spitze seiner Samuraitruppe gegen die Feinde seines Klans gekämpft hatte, waren kaum verblasst. Obwohl er oft gezweifelt hatte, den Blonden nicht in irgendeinem Menschen wiedergetroffen zu haben. Wie auch in dem Sänger von L'Arc~en~Ciel, dieser Rockband, von der das ganze Land sprach. Hyde. So oft hatte er gedacht, er wäre es. Aber er hielt es einfach nicht für möglich. Hidetori war vor vielen Jahrhunderten gestorben. Obwohl er lügen müsste, behauptete er, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, dass auch der Blonde unsterblich war und irgendwo sein eigenes Leben lebte. Er hatte schließlich die Magie besessen, ihn zu retten. Aber im Grunde wusste er gar nicht, wie diese Zauberei wirklich zu Stande gekommen war. Selbst wenn der Blonde eine Rolle darin gespielt hatte, musste dies nicht unbedingt bedeuten, dass er selbst es war, der ihn zum Leben erweckt hatte. Vielleicht war es auch nur sein Geist aus der Totenwelt gewesen, dessen letzter Wunsch erfüllt worden war. Vielleicht aber gab es keine Erklärung dafür. Immer wieder kam er zu der Erkenntnis, dass Hidetori trotz aller Mysterien nicht in dieser Zeit existieren konnte. Und obwohl er versprochen hatte, auf ihn zu warten, war diese Hoffnung aussichtslos gewesen. Von Anfang an. Aber dann, als er seine sinnlose Suche fast aufgegeben hatte, war er wieder auf den Sänger dieser Band gestoßen. Letzten Sommer während dieser TV-Sendung. Schockiert musste er wieder diese unglaubliche Ähnlichkeit feststellen. Diese Ähnlichkeit mit Hidetori. Er hatte dasselbe blonde Haar, dieselbe Stimme, dieselbe Aura. Aber wieder zweifelte er. Wie konnte dieser Hyde sein Hidetori sein? Warum lebte er hier und hatte ihn nie erkannt? Er schwankte. Bis zu dem Moment, als Hyde zu singen begonnen hatte. Ein Lied, welches er vor über 400 Jahren schon einmal gehört hatte. Von Hidetori. Sofort hatte er sich daran erinnert. Die Melodie war ihm nie aus dem Kopf gegangen. Nur der Text war anders. Nicht in Englisch, sondern in Japanisch. Aber es war dieselbe Bedeutung. Dasselbe Bild. Es war dasselbe Lied. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt konnte er seinem aufgeregten Herzen nicht die Gewissheit geben. Wie konnte es sein, dass es Hidetori war, der dort auf dieser Bühne stand? Das hatte er immer wieder gedacht. Er war verwirrt gewesen und obwohl er nicht gewusst hatte, was er sagen wollte, war er zum Aufenthaltsraum von L'Arc~en~Ciel gegangen. Er wollte mit dem Blonden reden, irgendwelche absurden Fragen stellen, um sicherzugehen, dass er sich diese Dinge nur einbildete. Doch das hatte er am Ende gar nicht tun müssen. Der endgültige Beweis hatte dort gelegen, direkt vor seinen Füßen. Der Brief, den er damals an Hidetori geschrieben hatte und niemals bei diesem angekommen war. Plötzlich war alles ganz klar. Er hatte den Sänger „Hidetori“ gerufen, um zu sehen, ob er auf diesen Namen reagierte. Sein ganzer Körper hatte unter Strom gestanden, als der Blonde sich sofort umgedreht hatte. Es war genau wie damals. Hidetori hatte ihn angesehen und geschwiegen. Seine dunklen Augen waren so warm gewesen. So warm und so verwirrt. Genau wie er selbst. In dem Moment hatten ihn seine Gefühle überwältigt. Wie ein Sturm waren sie in seinem Körper herumgewirbelt. So stark und feurig. Und da stand er nun, der Mann, den er so geliebt hatte, der Mann, für den er sein eigenes ruhmreiches Leben als Heeresführer unter Kenshin wieder und wieder aufgegeben hätte. Nur wenige Meter hatten ihn von dem Blonden getrennt. Sein Herz hatte rasend geklopft. Er liebte ihn immer noch. Genau wie am ersten Tag. Es hatte nie aufgehört. Selbst nach über 400 Jahren nicht. Zuerst war er völlig hilflos gewesen. Er hatte nicht gewusst, was er nun tun sollte. Anscheinend hatte sich der Blonde nicht an ihn erinnern können. Was auch immer während der letzten 425 Jahre gewesen war, es hatte seine Erinnerungen ausgelöscht. Für Hidetori war er ein Fremder. Jemand, der von einer verrückten Geschichte erzählte und wahnsinnig behauptete, er wäre vor über 400 Jahren sein Geliebter gewesen. Welch vernünftiger Mensch würde so etwas glauben? Niemand. Er selbst hätte es nicht geglaubt, wäre all das nicht genauso mit ihm geschehen. Aber trotzdem wollte er Hyde nah sein. Auch wenn dieser ihn für geistesgestört und aufdringlich hielt. Also hatte er ihm dieses Angebot gemacht. Hidetori sollte unbedingt wieder ein Teil seines Lebens werden. Doch während ihm immer klarer geworden war, dass der Blonde ihn nun völlig anders wahrnahm, hatte er seine Beherrschung verloren. Er hatte ihn geküsst, ihn berührt. Er hatte sich nicht zurückhalten können. Obwohl er sich doch vorgenommen hatte, ihm die Zeit zu geben, sich von allein zu erinnern. Aber so lange hatte er einfach nicht warten wollen. Die Hoffnung, ihn so zurückgewinnen zu können, war zu groß gewesen. Aber die Erinnerungen des Blonden waren nicht zurückgekehrt. Obwohl es kurz ein seltsames Aufflackern gegeben hatte. Als hätte er sich erinnert. An seine Gefühle, an alles ... Aber auch viele Monate später hatte sich daran nichts geändert. Hyde konnte sich nicht an das Leben neben dem Samurai erinnern. Weder an ihre Gespräche, noch an irgendwelche Ereignisse. Und egal, was er tun würde, diese Bilder waren für immer aus seinem Gedächtnis gelöscht. Da war sich Gackt sicher. Vielleicht war das der Preis gewesen, den der Blonde hatte zahlen müssen, um das Leben des Samurai zu retten. Die Hoffnung, dass er sich irgendwann erinnern könnte, hatte Gackt schon lange aufgegeben. Er wollte den Blonden nicht mehr zwingen, ihm nichts mehr aufdrängen. Für den Kuss hatte er sich letztendlich entschuldigt. Hyde hatte seine Entschuldigung verwirrt angenommen und seitdem war nie wieder ein Wort darüber gefallen. Obwohl Gackt das Gefühl hatte, dem Blonden würde eine Frage auf dem Herzen liegen. Aber dieser sagte nichts, sondern lächelte einfach nur. Auch wenn es Gackt ab und zu schmerzte, Hidetori einfach nur nah zu sein, ihn von Weitem zu beobachten. Das war ihm zwar nicht genug, aber er hatte gelernt, damit umzugehen. Denn zu wissen, dass er glücklich war, hier an seiner Seite, war sein eigenes Glück. Sie waren Freunde und ab und zu schien der Blonde etwas zu spüren. Aber das waren nur kleine Funken. Das Seufzen seiner schlafenden Gefühle. Tief in ihm drin waren sie noch da. Verborgen hinter einer dicken Mauer des Vergessens. Aber egal ob sie da waren oder nicht ... All das, was vor 400 Jahren zwischen ihnen geschehen war, war für immer vorbei. Das hatte er endlich begriffen. Er konnte nur von ganz vorn anfangen. Als Freund, als Familie. Vielleicht war es ihm dann irgendwann möglich, diese Mauer zu zerbrechen und ihn wieder so zu lieben, wie es sein Herz so sehr verlangte. Nicht als Kagegaku, sondern als Gackt. Aber das Wichtigste war, dass sie dieses Wunder erleben konnten. Es passierten Dinge, die er sich vor einigen Jahren nie zu träumen gewagt hatte. Dinge, die anderen völlig normal erschienen, ihm aber das größte Wunder der Welt waren. Ja, es war ein Wunder, dass Hidetori gerade aus diesem Auto stieg, ihn anlächelte und auf ihn zu ging. Es war ein Wunder, dass er ihm einen guten Morgen wünschte und seine Hand reichte. An diesem heißen Tag in Taiwan nahm er diese Hand und zog den Blonden in seine Arme, wie er es jeden Morgen zur Begrüßung tat. Nach so vielen Jahrhunderten der Einsamkeit stand er nun hier und umarmte seinen Hidetori. Und jedes Mal, wenn er ihn spürte, war er vor Glück den Tränen nahe. Aber der Blonde bemerkte es nicht. Er lächelte und in seinem Kopf durchlief er gewiss schon die nächste Szene, wozu er dem Größeren noch eine Frage stellen würde. Kein Moment der Welt hätte Gackt glücklicher machen können. Es war nicht perfekt, aber es war ein Anfang. Es war ihr Neuanfang. --------------------------------------------------------------------- So das wars jetzt Leute. Tut mir leid, dass es nicht das perfekte Ende gibt. Aber ich mag es so. So offen. Und wenigstens weiß Gackt noch alles. Und Gackt ist Gackt. Der gibt niemals auf, dass wisst ihr doch XDDD Theoretisch könnte man weiterschreiben. Aber von schlechten Fortsetzungen halte ich nicht gerade viel. ^^;;; Obwohl ich selbst schon mal Fortsetzungen gemacht habe, aber die waren von Anfang an geplant gewesen und war von mir eher als der 2. und 3. Teil angesehen. Hier ist es definitiv zuende. Und genau dort begann für uns vor über 10 Jahren GakuHai! Lol Und wer weiß... vllt erinnert sich Hyde ja doch und sagt es Gackt nur nicht lol Da kann man sich jetzt viel zusammenspinnen. XDDD Mal ne ganz kurze Erklärung, wie ich auf diese Story gekommen bin. Alles fing mit einem Fanart an. Siehe das 4. Bild im Stecki. Hyde war zu diesem Zeitpunkt (2010) blond und Gackt lief wegen dem Theaterstück ziemlich oft als Samurai rum. Ich dachte... irgendwie würde das doch interessant aussehen. Dann habe ich einfach Gackts gefaktes Geburtsjahr 1540 + 33 (weil er in der Story 33 am Anfang 33 ist) genommen und sie in diese Zeit geschickt. In der Gegenwart spielte es 2001, weil ich wollte, dass sich die beiden noch nicht so gut kennen. Und aus diesen Stichpunkten habe ich dann die Geschichte geformt. Erst war sie anders und im Laufe des Schreibens hat sie sich etwas verändert. Aber im ganz Groben ist sie so, wie ich es wollte.^_^ Aber so lange sollte sie nicht werden. Ich bin selbst überrascht, dass sie so ein Mammutprojekt geworden ist. Aber es hat Spaß gemacht. Auch eure Spekulationen zu lesen, war toll. Manchmal hab ich auch gemerkt, dass einige Dinge nicht so klar rübergekommen sind, wie ich es wollte. Aber dank eurer Kommis konnte ich im nächsten Kapitel dann versuchen, es klarer darzustellen. Ihr habt mir auf den Weg sehr geholfen. Dafür danke ich euch! So genug gelabbert. Ich sag jetzt Bye Bye. Und wenn mir irgendwann wieder durch Zufall eine Idee kommt, dann ist eine weitere GakuHai-FF von mir nicht unmöglich. ^^ Ina Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)