Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 22: Ewigkeit -------------------- 22. Kapitel: Ewigkeit [Dein Blick rührt mich zu Tränen Nicht zu verkraften ist der tiefe Schmerz in mir.] ---------------------------------------- Es war ein regnerischer Oktobertag, als Hyde in einem Restaurant mitten in Shibuya grübelnd an einem runden Tisch saß und an dem kühlen Wasserglas nippte, welches die freundliche Kellnerin soeben gebracht hatte. Es war eines dieser teuren Speiselokale, in dem man einen kleinen Raum ganz für sich allein buchen konnte. Nicht dass der Blonde unbedingt darauf bestanden hätte, doch in Anbetracht der Berühmtheit seiner noch nicht erschienenen Verabredung, war es vielleicht nicht die dümmste Idee gewesen. Die Hand, mit der er das Wasserglas hielt, begann zu zittern. Hastig nahm er einen Schluck und spürte, wie die eiskalte Flüssigkeit sich ihren Weg durch seine Speiseröhre bahnte. Er verfluchte sich jetzt schon dafür, dass er überhaupt dieser Verabredung zugestimmt hatte. Was wollte dieser Gackt nur von ihm? Hatte der Sänger denn immer noch nicht verstanden, dass er an einer Zusammenarbeit jeglicher Art nicht interessiert war? Warum konnte sich dieser aufdringliche Mann mit dem Nein, welches Hyde durch seinen Manager Woche für Woche hatte ausrichten lassen, nicht abfinden? „Habe ich nicht schon genug Probleme?“, flüsterte der blonde Sänger, bevor er seine Faust an die Stirn drückte und seufzend die Augen schloss. Seit ihrer letzten Begegnung in diesem TV-Sender schwirrte es ununterbrochen in seinem Kopf herum. Diese merkwürdige Situation, dieser Name, Gackts Stimme, als dieser ihn gerufen hatte und seine wirren Gefühle, die plötzlich in ihm ausgebrochen waren. Seit jenem Tag war ihm der friedliche Schlaf kaum noch vergönnt geblieben. Seine Nächte waren unruhiger denn je. Seine Träume wurden immer sonderbarer. Sie drehten sich fast immer um eine verschwommene Gestalt mit langem schwarzen Haar und einem Samuraischwert, dessen scharfe Klinge sogar in der Dunkelheit silbern funkelte. In ihr spiegelte sich unendliche Trauer und starke Sehnsucht wider. Und manchmal auch tiefe Einsamkeit. Gefühle, die immer wieder in ihm hochkamen, sobald er den Namen des Solosängers hörte, sobald er ihn im Fernsehen sah oder im Radio hörte. Ein seltsamer Fakt, der ihn jedes Mal nachdenklich werden ließ. Irgendetwas in seinem Inneren war mit diesem Gackt verbunden. Oder war es wieder eine seiner seltsamen Einbildungen? Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war er sogar erleichtert darüber, denn das alles hatte zumindest seine blutigen Albträume verjagt. Als hätte der schwarzhaarige Mann, den er Nacht für Nacht sah, alle bösen Geister in seinen Träumen mit seinem Katana getötet. Nur diese starken Gefühle, sie blieben, egal wie mutig der Fremde für ihn kämpfte. Diese seltsame Verbindung zu Gackt und das bevorstehende Treffen mit ihm aber zerrten stärker an seinen Nerven, als es der Blonde je zugeben würde. Genauer genommen hatte exakt diese Sache ihn in den letzten Tagen erst zu einem nervlichen Wrack gemacht. Er hatte es die ganze Zeit vermeiden wollen, um nicht noch tiefer in Verwirrung zu stürzen, doch da der Solokünstler nicht lockerlassen wollte, hatte Hyde schließlich nachgegeben und einem Treffen zugestimmt. Vielleicht verstand der Sänger seine Ablehnung, wenn sie vom Blonden persönlich kam. Vielleicht gab er auf, wenn er es von ihm selbst hörte. Vorausgesetzt, er war überhaupt zum Sprechen im Stande, dachte Hyde, als er an sein Schweigen vom letzten Mal denken musste. In seinen Gedanken versunken griff er wieder zu seinem Wasserglas. Und während er sich überlegte, wie er den Abend möglichst souverän und ohne Peinlichkeiten meistern konnte, vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Er stellte das Glas zur Seite, zog das Handy aus der Tasche, blickte kurz auf das Display und nahm das Gespräch mit seinem Manager entgegen. „Ja?“, fragte er stirnrunzelnd. Der Mann am anderen Ende der Leitung überflutete den Sänger sofort mit seinem Anliegen. „Hallo! Ich weiß, du hast gerade dein Essen mit Gackt, aber ich soll dir unbedingt etwas von diesem Tayama ausrichten. Der drängt mich schon seit Tagen, deine Adresse oder Telefonnummer herauszurücken, aber ...“ „Was will er?“, unterbrach Hyde seufzend seinen Manager, bevor dieser mit seiner ausschweifenden Erklärung fortfahren konnte. „Soweit ich das verstanden habe, geht es schon wieder um die Geschichte rund um diesen alten Kimono. Ich habe ihm gesagt, dass dich das nicht interessiert, aber ...“ „Was hat er gesagt?“, wollte der Blonde wissen. Eigentlich sollte es ihn tatsächlich nicht weiter interessieren. Es war nur eine Geschichte. Eine dumme romantische Erzählung, die ihn irgendwie mächtig gepackt hatte. Genau das hatte er sich ständig versucht, einzureden. Doch so harmlos war die ganze Sache nicht. Er wusste es, doch natürlich konnte er dies niemanden so erklären. Es machte ihn neugierig. Es fesselte ihn, noch mehr Details zu erfahren. So viele wie es nur irgendwie ging. Tayama hatte er aber seit jenem Tag trotzdem nicht mehr aufgesucht. Obwohl es ihn so faszinierte und es sein Herz immer anzulocken wusste, wollte er einfach nicht mehr darüber reden. Er wollte mit niemanden mehr über seine geheimsten Gedanken sprechen, darüber, wie er sich fühlte. Früher oder später aber würde er in diese ungünstige Lage geraten, machte er den Fehler, näher auf Tayama und seiner Geschichte einzugehen. Es war kurz still geworden, nachdem Hyde mit leichter Aufregung in seiner Stimme nachgefragt hatte. Das Interesse seitens des Blonden an dem, was dieser fanatische Geschichtsliebhaber zu sagen hatte, musste den Manager verblüfft haben. Aber er machte dazu keine Anmerkungen, sondern fuhr nach kurzem Schweigen einfach nahtlos fort. „Er hätte doch endlich herausgefunden, wie der, ich zitiere, 'fremde Liebhaber mit dem goldenen Haar' hieß. Hört sich für mich wie so ein typischer Schnulzenroman an. Und ich kann nicht verstehen, was daran so wichti...“ „Wie hieß er?“, hakte Hyde ungeduldig nach. „Dann interessiert es dich doch?“, kam es überrascht über den Hörer. Hyde schüttelte angespannt den Kopf. „Sag mir einfach, was Tayama gesagt hat.“ Unruhig nahm der Sänger sein Glas in die Hand und nippte kurz an dem kalten Wasser. „Er sagte, der Typ hieße wohl Hidetori.“ Die Worte des Managers stürzten den geschockten Blonden plötzlich in ein Meer aus Verwirrung. Seine Hände begannen zu zittern und ohne, dass er es überhaupt bemerkt hatte, rutschte das Wasserglas aus seinen Fingern, fiel dumpf auf dem Tisch und kullerte bis zum Rand. Wie in Trance beobachtete Hyde, wie es auf den Boden fiel und dort in mehrere kleine Scherben zerbrach. Das kalte Wasser tropfte vom Holztisch auf seine schwarze Hose, doch der Sänger spürte es nicht. Er hörte nur, wie der Name, den er schon einmal gehört hatte, wie ein Echo in seinem Kopf widerhallte. „Hidetori?“, murmelte er nach langem Schweigen, als suche er nach einer Antwort. Aber er verstand es nicht. Wie konnte das sein? Er konnte seinen eigenen Gedankengängen nicht folgen. Sie gerieten immer wieder in eine Sackgasse oder kehrten einfach wieder zum Anfang zurück. „Bist du sicher?“, fragte Hyde, nachdem er langsam wieder seine Umgebung wahrnehmen konnte. Seine Stimme aber war dünn und unsicher geworden. „Ganz sicher. Ich hab es mir Silbe für Silbe aufgeschrieben“, antwortete der Manager. Gerade als der Blonde etwas erwidern wollte, ging die Tür auf. Die freundliche Kellnerin trat herein und führte den dunkelhaarigen Sänger, mit dem Hyde verabredet war, an den Tisch. Noch während er das Handy an sein Ohr gedrückt hielt, starrte er Gackt fragend an. Dieser lächelte ihn zaghaft an, sagte aber nichts, aus Rücksicht gegenüber dem noch bestehenden Telefongespräch. „Tut mir leid. Ich muss Schluss machen“, murmelte der Blonde hastig und legte sogleich auf. Die Kellnerin, die das Scherbenchaos auf dem Boden erblickt hatte, entfernte sich mit den Worten „Ich bin sofort wieder zurück.“ Die Tür klackte und während Hyde immer noch an die Worte seines Managers denken musste, spürte er Unbehagen, als er plötzlich mit dem Solokünstler allein war. Dieser ging um den Tisch herum, zog den Stuhl, der ihm von der Kellnerin zugewiesen worden war, zurück und blickte den Älteren an. „Für die Verspätung möchte ich mich entschuldigen. Das Interview dauerte länger als geplant“, meinte Gackt höflich als der Blonde schweigend das Handy in seine Hosentasche steckte. „Aber ich bin wirklich froh, dass Sie gekommen sind. Das bedeutet mir sehr viel.“ Als Hyde auch dazu nichts sagte, setzte sich Gackt mit einem zaghaften Lächeln um die Lippen auf den gepolsterten Lederstuhl und musterte skeptisch die Wasserpfütze auf dem Tisch. Hyde bemerkte diesen fragenden Blick und wollte sich erklären, doch noch bevor er eine Silbe sprechen konnte, trat die junge Frau herein, entschuldigte sich für die Störung und beseitigte schnell die Scherben auf dem Boden und das ausgelaufene Wasser auf dem Tisch. Als sie die Speisekarten auf den Tisch legte, schob Gackt sie zur Seite und meinte, dass sie erst später essen würden. Die junge Frau wollte schüchtern etwas vorbringen, doch der Dunkelhaarige bat sie mit einem Lächeln, das verführen konnte, sie erst einmal eine Weile nicht mehr zu stören, da sie etwas sehr Wichtiges zu besprechen hätten. Natürlich nickte sie und tat, worum sie gebeten wurde. Mit roten Wangen und einem verlegen Blick nahm sie die Karten wieder an sich und verließ den kleinen Raum. Dann folgte wieder beklemmende Stille, die Gackt hartnäckig mit belanglosen Bemerkungen zu überbrücken versuchte. „Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, es hat Ihnen keine Umstände bereitet, hierher zukommen. Sie haben sicher viel zu tun und ich ...“ „Da haben Sie vollkommen recht. Ich bin sehr beschäftigt, also möchte ich gern, dass Sie sofort zum Punkt kommen und mir sagen, was Sie von mir wollen.“ Seine Worte kamen etwas patziger, als Hyde es gewollt hatte. Doch seine Wut darüber, dass er nicht wusste, was hier vor sich ging, hatte plötzlich die Oberhand gewonnen. Der Dunkelhaarige konnte eigentlich gar nichts dafür. Jedenfalls glaubte der Blonde das. Dass dieser den Namen des Fremden aus vergangener Zeit kannte, hielt Hyde für unmöglich. Viel eher glaubte er, dass es sich damals in diesem TV-Sender wieder um eine seiner Wahnvorstellungen gehandelt hatte. Alles andere wäre eindeutig realitätsfern gewesen. „Also gut“, meinte Gackt, immer noch lächelnd. Dass er kurz überrascht gewesen war, ließ er sich aber nicht anmerken. „Ich habe um dieses Treffen gebeten, weil ich Ihnen die zweite Hauptrolle in meinem Film anbieten möchte“, brachte er sein Anliegen hervor, ohne weiter um den heißen Brei herumzureden. „Bitte?“ Ungläubig schüttelte der Blonde den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das Gesicht des Gegenübersitzenden. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.“ „Mir ist natürlich zu Ohren gekommen, dass Sie bisweilen alle Angebote dieser Richtung abgelehnt haben, doch ich bin mir sicher, dass es dieses Mal nicht der Fall sein wird.“ Er wirkte unglaublich selbstsicher. Wie er dort saß, den Blonden anlächelte und dazu diesen Vorschlag machte. Obwohl er anscheinend genau wusste, wie Hyde dazu stand. Trotzdem hatte er sich diesen Gedanken über Wochen hinweg nicht austreiben lassen. Aber wie kam er auf diese Idee? Wie kam er nur darauf, dass der Blonde ausgerechnet sein Filmangebot annehmen würde? Zugegeben, er besaß eine ungeheure Anziehungskraft. Seit der Dunkelhaarige vor einigen Minuten den Raum betreten hatte, konnte der Blonde seinem Blick nicht von ihn wenden. Seine Augen klebten an diesem feingeschnittenen Gesicht und sobald er auf den blauen Ring um seine Pupillen traf, hüpfte sein Herz vor Aufregung auf und ab. Und immer, wenn er dann wegsehen wollte, war es wie ein Verlust, den er nicht aufbringen konnte. Dann ging es von vorn los. Der Blick in diese Augen, die ihm so bekannt vorkamen, wurde ihm immer unerträglicher. Aber trotzdem wollte er ihn nicht lösen. Es war ein Kreislauf, der ihn schwächer werden ließ. Fast schon willenlos. Als könne dieser Mann um alles bitten. Um alles – und er würde es ohne zu hinterfragen tun. „Ich ... wäre mir ... da an Ihrer Stelle ... nicht so sicher“, war alles, was Hyde wenig überzeugend herausgebrachte. Gackt lächelte. Wahrscheinlich, weil er hinter Hydes zögerlichen Antwort einen kleinen Erfolg sah. „Ich bin mir sicher, Sie werden diese Rolle interessant finden. Sie ist Ihnen wie auf den Leib geschnitten. Nicht zuletzt, weil ich Sie schon für die Rolle im Kopf hatte, als ich das Buch dazu geschrieben habe. Wie wäre es, wenn Sie sich einfach mal das Script durchlesen und dann entscheiden?“ Er blieb beharrlich, was Hyde gar nicht gefiel. Doch schlimmer fand er, dass diese Hartnäckigkeit langsam zarte Früchte trug. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass es doch eigentlich keine schlechte Idee wäre und einen Versuch wert sein könnte. Aber war er dieser Meinung, weil ihn diese neue Richtung der Selbstverwirklichung interessierte, oder weil es Gackt war, der ihn fragte? Weil er sich diesem so seltsam verbunden fühlte? Weil es in seiner Brust so pochte, wenn der Dunkelhaarige das Wort an ihn richtete und ihn dabei mit diesem Lächeln ansah? Er wusste es nicht genau und verfluchte sein eigenes Herz, welches sich gerade so sehr daran erfreute, ihn an der Nase herumzuführen. „Ich verstehe nicht, warum gerade ich es sein soll? Ich bin kein Schauspieler und ich will es auch nie werden. Suchen Sie sich bitte einen anderen“, meinte der Blonde, während er unruhig wurde und aufstehen wollte. Er war verwirrt über seine eigenen Gedanken. Dinge, die so seltsam waren, dass er davor fliehen wollte. So weit wie möglich weg von diesem Sänger, der es hervorragend verstand, ihn zu einer willenlosen Marionette zu machen. Einfach so ... nur mit seinen Blicken und seiner Stimme. Er musste hier weg. Tat er es jetzt nicht, würde es für immer zu spät sein, da war sich Hyde sicher. Aber zu mehr als dieser Erkenntnis kam er nicht. Obwohl er gewillt war, schaffte er es nicht einmal aus seinem Stuhl. „Weil ...“, kam es laut von Gackt und Hyde blieb sofort wie erstarrt sitzen. Hatte er vielleicht insgeheim gehofft, dass er ihn aufhalten würde? Damit er keine andere Wahl hatte, als zu erfahren, was der wahre Grund war? Scheu wagte der Blonde einen Blick in das Gesicht des Sängers. Und als er sah, wie das Lächeln um diese vollen Lippen verschwunden war, wurde ihm mit ein Mal ganz anders. Ernst blickte der Braunhaarige ihn an. Von seiner Selbstsicherheit aber war kaum noch etwas übrig geblieben. Er wirkte auf einmal so verletzlich und betrübt. Das überraschte Hyde und machte ihn gleichzeitig auch neugierig. Er konnte nicht gehen. Nicht bevor er erfahren hatte, was auf einmal los war. „Weil Sie ihm so unglaublich ähnlich sind, dass es schon fast ein Wunder ist“, sagte Gackt, nachdem er lange geschwiegen hatte. Wahrscheinlich hatte er ursprünglich nicht vorgehabt, darüber zu reden. Es fiel ihm schwer, das bemerkte Hyde sofort. Die Art, wie er ihn ansah und wie jene Worte über seine Lippen gekommen waren, es sagte so viel. Es steckte so viel Bedeutung darin, doch der Blonde konnte rein gar nichts damit anfangen. Ratlos konnte er nur dem unregelmäßigen Schlagen seines Herzens zuhören. Denn nur sein Herz schien zu verstehen, was der Braunhaarige ihm zu sagen versuchte. „Wem ... bin ich ähnlich?“, fragte Hyde zögerlich, nachdem Gackt seinem Blick ausgewichen war. Warum wollte er es überhaupt wissen? Warum vertiefte er dieses Gespräch und fühlte sich dazu verpflichtet, ihm zuzuhören? „Jemandem, den ich einmal kannte“, begann Gackt, noch bevor der Blonde sich Gedanken über seine Fragen machen konnte. „Es ist lange her. Ich dachte schon, ich hätte vergessen, wie er aussah und ... wie er war, ... doch als ich Sie neulich in dieser Sendung gesehen habe, da war ... da war es ... als wären Sie er.“ Seine letzten Worte waren nur ein leises Flüstern. Sie waren mit tiefem Zweifel bestückt. Als könne er es selbst kaum glauben, was er da sagte. Doch dies hinderte ihn nicht daran, weiterzusprechen. Und Hyde brachte keine Einwände vor. Er wollte es hören, denn die Stimme, in der ein leichtes Zittern mitschwang, riss ihn mit. An einen Ort, der weit weg lag. Weiter, als es überhaupt möglich war zu reisen. „Er hatte blondes Haar, welches in der Sonne tatsächlich wie Gold schimmerte. Er hatte eine sanfte Persönlichkeit und trotzdem war er manchmal so stur, dass er mich damit verrückt machen konnte.“ Gackt lächelte. Ein Lächeln, so ganz anders als die anderen Male zuvor. Viel wärmer und liebevoller. Ein Lächeln, welches der Blonde von dem kühlen Sänger nie erwartet hätte. Aber auch tiefe Trauer konnte er darin lesen und Hyde spürte, wie ihm bei diesen Anblick heiß in der Brust wurde. „Aber ... er war etwas Besonderes, egal wer er wirklich war, egal, was die anderen sagten. Er war einfach alles für mich.“ Gackt drückte seine Lippen aufeinander, als wolle er Tränen zurückhalten. Er schüttelte bedrückt den Kopf und sah kurz weg, bevor er sich wieder gesammelt hatte und erneut zu lächeln begann. Aber er wirkte abwesend, als hätte er sich in seinen Erinnerungen verirrt. Als würde er gar nicht mehr wahrnehmen, dass er mit einem praktisch Fremden über seine Gefühle zu einem Mann sprach. Natürlich wunderte sich der Blonde über die unerwartete Richtung, die das Gespräch auf einmal eingeschlagen hatte. Aber trotzdem konnte er nicht aufhören, ihn anzusehen. Der Dunkelhaarige hatte ihn rasend schnell derart tief in sein Innerstes gezogen, dass Hyde es nicht wagen wollte, ihn zu unterbrechen. Er sah in seine Augen. So lang, so tief. Er hatte das Gefühl, er würde mit seinen Blicken sprechen. Und obwohl es eigentlich fast gar nicht mehr notwendig war, flüsterte Gackt weiter. Genau jene Worte, die Hyde erwartet hatte. Worte, die ihm die Brust fest zuschnürten. „Ich habe ihn so sehr geliebt.“ Dem Blonden pochte das Herz bis zum Hals, als er das Wort Liebe hörte. Als hätte er sich lange gewünscht, es aus seinem Mund zu hören. Nur von ihm ... niemand anderem. Aber warum? Warum aber war er darüber so aufgeregt? Warum hatte er das Gefühl, Gackt würde über ihn sprechen? Einen Menschen, den er doch gar nicht kannte. Einen Menschen, dem er nur wenige Male begegnet war. Warum hatte er das Gefühl, dass es gar nicht so war? Dass er ihn besser kannte, als er glaubte? „Er nahm sich das Leben, noch bevor wir überhaupt glücklich sein konnten“, murmelte der Dunkelhaarige verzweifelt weiter. Und da war es, das so verbissen unterdrückte Glitzern in seinen blauen Augen. Er hatte den Kampf gegen sich selbst verloren und zeigte dem Blonden offen seine Schwäche. Dieser Anblick brannte sich in Hydes Herz, genauso wie all seine Worte, die der Dunkelhaarige gesprochen hatte. Tiefe unerklärliche Gefühle durchströmten ihn plötzlich, nachdem Gackt sein offensichtliches Leid wieder mit einem Lächeln überspielen wollte. Als wäre nichts geschehen. Aber Hyde wusste, wie er sich fühlte. Er spürte es, als würden sie dieselbe Einsamkeit teilen. Dasselbe Schicksal. Er hatte sich doch jede Nacht weinend um einen geliebten Menschen trauern sehen. Er lag tot in seinen Armen. Blut klebte an seinen Fingern. Sein Körper war kalt wie Eis. Er hatte ihn geliebt, mehr als alles andere auf dieser Welt. Doch glücklich waren sie nie gewesen. Jedenfalls nicht in seinen Träumen. Als dem Blonden dieser Gedanke gekommen war, sammelten sich heiße Tränen in seinen Augen. Sie liefen über seine Wangen, als Gackt nach seiner Hand greifen wollte. Doch er zog sie weg, noch bevor sich ihre Finger berühren konnten. Seine eigenen viel zu starken Gefühle machten ihm Angst. Sie führten ihn in ein schwarzes Loch, aus dem eine Flucht unmöglich schien. Er wurde dieses schreckliche Bild einfach nicht mehr los. Ein Bild, das sich wie eine Erinnerung anfühlte. Aber diese Erinnerung hatte keinen Platz in seiner Seele. Sie existierte nicht, sie ergab keinen Sinn. Das alles machte keinen Sinn. Zitternd riss Hyde sich aus seinem Stuhl und wollte aus dem Raum flüchten. Doch in seiner Panik stolperte er an der niedrigen Türschwelle des kleines Raumes. Er verlor das Gleichgewicht und rutschte an der Tür zu Boden. Noch bevor er sich selbst helfen konnte, war Gackt zu ihm geeilt, hatte nach seiner Hand gegriffen und ihn zu sich nach oben gezogen. Ihre Blicke trafen sich, was den Blonden im Moment am meisten quälte. Er hatte einfach keine Kraft mehr, sich Gedanken über diese ganze Sache zu machen. Er hatte es doch gewusst. Er hätte nicht herkommen dürfen. Er hätte Gackt nie wieder sehen dürfen. „Ich ... habe noch ... etwas ... zu tun“, stotterte Hyde in seiner Hilflosigkeit. Er hatte gehofft, dass der Größere ihn dann loslassen würde. Dass er ihn einfach gehen lassen würde. Doch Gackt tat es nicht. Er hielt ihn fest, legte seine Finger unter das Kinn des Blonden und drehte seinen Kopf zu sich, so dass er gezwungen war, in seine Augen zu sehen. Zuerst sagte er nichts. Lange unangenehme Minuten verstrichen, in denen er einfach nur dastand und ihn schweigend ansah. Erst als Hyde Anstalten machte sich loszureißen, kam es über Gackts Lippen. „Hidetori“, sagte er leise, aber in Hydes Kopf hämmerte es, als würde eine geballte Faust hart auf Metall aufschlagen. Entsetzt riss der Blonde seine Augen auf und starrte den Dunkelhaarigen fassungslos an. Schon wieder war dieser Name gefallen. Schon wieder hatte der Sänger ihn so genannt. Dann war es also doch keine Einbildung gewesen? Es war kein Zufall? Er kannte diesen Hidetori? Er wusste von dieser Geschichte? Aber wie ...? Wie konnte das sein? „Ich ... ich heiße nicht Hidetori“, stotterte der blonde Sänger mit einem Kopfschütteln. „Mein Name ist Hideto“, stammelte er verunsichert weiter. Aber sich von diesen Augen lösen, das konnte er einfach nicht, egal wie sehr sie ihn verwirrten. Egal wie klar er in ihnen sehen konnte, was für Gefühle sich hinter ihnen verbargen. Gackt nickte, während er Hydes Hand fester in seine nahm und mit dem Daumen über seine Haut fuhr. Eine unschuldige Berührung, die dem blonden Sänger eine Gänsehaut bescherte. „Ich weiß“, flüsterte der Dunkelhaarige dann und nahm auch seine andere Hand. „Das hast du mir ... schon einmal gesagt“, meinte er und quälte den Älteren mit einem warmen Lächeln, welches ihn noch nervöser werden ließ. Doch es war nicht nur das Lächeln, welches ihn verunsicherte, sondern auch die Tatsache, dass es stimmte, was Gackt gerade gesagt hatte. Genau so war es. Er konnte sich daran erinnern. An diesen einen kurzen Moment, den er aber nie wirklich erlebt hatte. Er sah es ganz klar vor sich, wie er vor einer schwarzen Person gestanden und dieser seinen richtigen Namen genannt hatte, was er eigentlich selten tat. „Ich heiße ... Hideto“, hatte er mit dünner Stimme gesagt, nachdem er mit Hidetori gerufen worden war. Ein Name, der ihm auf einmal sehr vertraut vorkam. Dann hatte diese Person, die in seiner Erinnerung nur ein Schatten war, langsam seinen Namen nachgesprochen. Und er war glücklich gewesen. So glücklich, dass er jetzt noch dieses wohlige Gefühl in seiner Brust spüren konnte. Aber mehr war da nicht. Weder das Gesicht der Person in seiner Erinnerung, noch ein Anhaltspunkt darüber, wann und wo es gewesen war. Es hing einfach so in der Luft, ohne irgendeine Verbindung. Desto seltsamer war es, dass ausgerechnet Gackt sich daran zu erinnern schien.Wie auch immer das möglich sein konnte. „Wann ... wann habe ich das gesagt?“, wollte Hyde wissen. Er konnte sich daraus einfach keinen Reim machen. Seine Gedanken waren so verworren. Egal, wie er es drehte und wendete, es funktionierte einfach nicht. „Als du dich in dem Bergdorf vor mir versteckt hattest. Vor genau 425 Jahren“, antwortete Gackt, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Schockiert musterte Hyde den Größeren. Es war merkwürdig, doch plötzlich setzte sich das Puzzle zu einem Bild zusammen. Plötzlich erkannte er Zusammenhänge. Aber das Endergebnis war vollkommen absurd und praktisch unmöglich. Wie konnte es sein, dass etwas so surreales so viel Sinn ergab? Wie konnte es sein, dass er sich wieder derart an der Nase herumführen ließ, wieder anfing, diesen Humbug zu glauben und es ihn so aufwühlte? Warum führte der Weg wieder zu diesem Samuraimärchen? War es ein Trick dieses Sängers? Wollte er ihn so überzeugen, sein Angebot anzunehmen? Wut kochte in ihm auf. Darüber, dass er so dumm war und sich derart benutzen ließ. Er riss sich von Gackt los, sammelte all seinen Mut zusammen und funkelte den Dunkelhaarigen zornig an. „Was wollen Sie mir hier eigentlich weismachen? Dass Sie dieser Kagegaku sind? Vor über 400 Jahren ein Samurai waren, sich in diesen blonden Mann verliebt haben, irgendwie unsterblich wurden und in mir nun die Wiedergeburt dieses Typen sehen? Weil ich ihm ein bisschen ähnlich sehe? Oder sogar noch schlimmer ... Sie glauben, ich bin dieser Hidetori ...“, fasste er den ganzen Irrsinn zusammen, der sich ihm in den letzten Minuten so klar erschlossen hatte. Als Antwort erwartete er ein Kopfschütteln, eine Verneinung oder zumindest ein skeptisches Stirnrunzeln, was ihn allein zu einem Wahnsinnigen gemacht hätte, doch Gackt entgegnete mit ungewöhnlichen Worten. „Das wäre eine zu seltsame Geschichte, oder? Aber, genau so würde ich es dir erklären. Auch wenn ich den ein oder anderen Teil selbst nicht verstehen kann.“ Fassungslos schüttelte Hyde den Kopf. „Das ist verrückt ... einfach verrückt“, stammelte er und wollte die Tür hinter sich öffnen. Doch Gackt, der den Blonden noch nicht gehen lassen wollte, hielt sie fest und versperrte ihm den Weg. „Das stimmt“, murmelte er dann ernst. „Es ist verrückt. Es ist ein Wunder, dass ich dir jetzt gegenüberstehe. Und wenn du nicht davor fliehst, dann wirst du es auch verstehen können.“ Hyde schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt verstehen will“, meinte der Blonde abwehrend. Plötzlich packte Gackt ihn an den Schultern und sah ihn flehend an. „Aber nur du ... nur du kannst es verstehen.“ In seinen Augen flackerte großes Leid, wovon Hyde sich stark in die Enge getrieben fühlte. Er konnte die Verzweiflung des Dunkelhaarigen spüren und seltsamerweise auch nachvollziehen, aber er wusste nicht, ob es wirklich so gut war, darauf einzugehen. Er wollte doch einfach nur endlich damit abschließen und seine Ruhe haben. Warum funktionierte das nicht? Bevor er ernsthaft darüber nachdenken konnte, sich gegen Gackt zu wehren, lockerte dieser schon seinen Griff und murmelte leise eine Entschuldigung. Hyde war erleichtert und schüttelte scheu den Kopf. Aber dabei blieb es nicht. „Ich kann dich natürlich nicht zwingen, aber wenn du mir vielleicht nur noch eine Minute schenken würdest ...“ Mit diesen Worten ließ Gackt seine Finger durch das blonde Haar des Sängers gleiten. Ohne Vorwarnung überrumpelte er ihn plötzlich mit dieser Berührung, die Hyde erschrocken zurückweichen ließ. Das hatte er einfach nicht erwartet. Wie vor dem Kopf gestoßen, starrte Hyde den Größeren an, der sich von seinen Rückzugsanstalten aber wenig begeistern ließ. Er streichelte das helle Haar und belohnte ihn dabei mit einem warmen Blick. Und der Blonde war außerstande einen wörtlichen Protest vorzubringen. Als wäre er erstarrt. Er ließ Gackt einfach gewähren. Er ließ es zu, dass dieser mit seinen Fingern von seinem Haar hinab über seine Wange streichelte. Und das nicht nur eine Minute, wie der Solosänger es sich gewünscht hatte, sondern sehr viel länger. Als würde er es genießen, obwohl sein Verstand sich klar dagegen aussprach. Aber selbst als der Dunkelhaarige ihm gefährlich nahe kam und ihm etwas zuflüsterte, konnte er sich nicht bewegen. Er konnte es noch nicht einmal verhindern, dass sich seine Wangen dunkelrot verfärbten, als Gackts heißer Atmen über sein rechtes Ohr glitt. „Erinnerst du dich, wie ich nach deiner Haarfarbe gefragt habe und du es mir mit einem Geburtsfehler erklärt hast?“, fragte der Jüngere und Hyde spürte wie ein brennendes Kribbeln bis hinauf in seine Kehle kroch. „Nein“, antwortete er schnell. Vielleicht hörte es sich in Gackts Ohren eher trotzig an, aber es war die Wahrheit. Obwohl er ein Bild im Kopf hatte. Wie ein Déjà-vu. Aber er konnte sich nicht erinnern, also schüttelte er steif den Kopf. Dabei aber berührten Gackts Lippen kurz sein Ohrläppchen, was dem Blonden wie ein warmer Blitz durch den Körper jagte. Und dem Dunkelhaarigen schien dieses Missgeschick sehr gelegen zu sein. Er küsste ungeniert noch einmal diese Stelle, bevor er mit seinem seltsamen Fragespiel fortfuhr. „Weißt du noch, wie du mich an diesem verschneiten Winterabend mit einen Kuss geweckt hast? Er war genauso zart wie meiner gerade.“ Seine flüsternden Lippen wanderten weiter über Hydes Gesicht, bis sie am Mund des Blonden angekommen waren. „Nein“, murmelte Hyde wieder wie in Trance, während er Gackts Atem direkt auf seinem Mund spürte. Doch selbst wenn er anders hätte antworten können, über seine Lippen brachte er nur diese beinahe gehauchte Verneinung. Denn er war nicht imstande dazu, nachzudenken. Er konnte das, was er fühlte, nicht deuten. Das, was er sah, nicht verstehen. Es war, als würde Gackt ihm seine eigenen Erinnerungen geben. Für einen kurzen Augenblick, nur damit er es sehen konnte. Aber alles, was er klar spüren konnte, waren nur diese viel zu zarten Berührungen, die er irgendwie zu genießen schien. Und es wollte nicht aufhören. Gackt flüsterte weiter und streichelte dabei immer wieder über sein Gesicht. „Auch nicht, wie du mitten in der Nacht zu mir kamst und ... wir ...“ „Nein“, unterbrach Hyde hastig, bevor der Dunkelhaarige zu ende sprechen konnte. Er wusste, was Gackt sagen wollte. Irgendwie wusste er es. Aber allein die Vorstellung, woran der Größere gerade gedacht haben musste, ließ ihm das Blut in seine Wangen schießen. Sein Herz hämmerte wild und seine Knie waren inzwischen butterweich. Er wurde gerade eben von einem Mann verführt und er konnte keinen Widerstand leisten. Warum konnte er nichts dagegen tun? Warum konnte er sich nicht bewegen, ihn von sich stoßen und einfach weglaufen? Hatte er sich so fest an diesen Sänger binden lassen? Gab es denn gar keinen Ausweg mehr? „Ich kann ... mich ... nicht erinnern“, beteuerte Hyde nachdrücklicher, obwohl er es plötzlich im Kopf hatte. Obwohl er sehen konnte, wie er in seinen Armen lag und ihn leidenschaftlich küsste. Wie ihre Berührungen immer intimer wurden und sie sich nicht mehr loslassen wollten. Das alles war auf einmal so real, als wäre es wirklich passiert. Aber das war es doch nicht. Es war doch praktisch unmöglich. Gackt drückte sich etwas von dem Blonden weg, um ihm in die Augen sehen zu können, während er seine Finger über Hydes Kinn und dann über seinem Hals wandern ließ. „Auch nicht, dass ich dich liebe und dir versprochen habe, auf dich zu warten?“ Verwirrt starrte der Blonde in das Gesicht des Größeren. Was er darauf entgegnen sollte, kam ihm einfach nicht in den Sinn. Ein simples Nein, so wie es der Wahrheit entsprach, brachte er nicht über sein Herz, denn das würde – so hatte er das Gefühl - auf eine völlig andere Art antworten. Aber wahrscheinlich hatte Gackt auch gar nicht erwartet, dass der Blonde darauf Antwort gab, denn er schüttelte kurz danach den Kopf und seufzte. „Und ich habe auf dich gewartet. ... Eine lange, lange Ewigkeit“, flüsterte er leise. Und als er dies sagte, war auf einmal alles ganz anders. Es war seltsam, doch in gerade jenem Moment spürte der Blonde einen Ruck in seinem Herzen. Ein tiefes Gefühl zu dem Sänger. Eine alte und feste Verbundenheit, die alles komplett veränderte. Natürlich glaubte er diese verrückte Geschichte nicht. Es war absurd zu denken, sie wäre echt, doch auf eine gewisse Art und Weise fühlte es sich real an, wenn er in die blauen Augen sah und dort diesen Schmerz erblickte. Wenn er in der klaren Stimme das Zittern hörte und in seinen Berührungen so viel Sehnsucht spürte. Dann fühlte er sich tatsächlich in diese Geschichte hineingezogen. Inmitten von diesen uralten Gefühlen, die alles hinter sich gelassen hatten. Status, Ehre, Macht und sogar die Ewigkeit. Vielleicht stimmte es ja. Vielleicht war er Hidetori, dieser Fremde mit den goldenen Haaren, der sich in den Samurai verliebt hatte. Und vielleicht war Gackt dieser Samurai, dieser Kagegaku, dessen Seele über die Jahrhunderte weitergelebt und auf ihn gewartet hatte. Vielleicht waren sie ihre Wiedergeburten, ihre Reinkarnationen. Vielleicht war es wirklich verrückt, so etwas zu glauben. Doch wenn es so war, dann waren sie es wohl beide. Ein Wahnsinn, der sich richtig anfühlte, wenn sie zusammen waren. Wenn Gackt hier war und ihn berührte. Und das tat er, als hätte er Hydes Gedanken gelesen. Er näherte sich dem Blonden und streichelte wieder über seine Wangen. „Vielleicht ... erinnerst du dich ja, wenn …“ Er verstummte und blickte auf Hydes Lippen, während er sich zu ihm hinabbeugte. Erst langsam und unsicher, doch als der Blonde keine Anstalten machte, Gackts eindeutige Absicht abzuwehren, wurde er kühner. Seine warmen Finger berührten den Mund, den er die ganze Zeit so fasziniert angestarrt hatte, während er dem Bandsänger immer näher kam. „... wenn ich das hier tue“, flüsterte er dann gegen Hydes Lippen, wobei er diese leicht berührte. Hyde war, als würde seine Haut brennen, dort wo der Sänger ihn mit seinem weichen Mund gestreichelt hatte. Doch es war kein Schmerz, sondern ein wundervoller Genuss. Fasziniert von dieser Zärtlichkeit bewegte Hyde seine Lippen, um ihn noch einmal zu spüren. Ohne darüber nachzudenken, tat er es wieder und wieder, völlig versunken in seiner Welt, die aufgehört hatte, sich zu drehen. Bis Gackt seinem Drang nicht mehr widerstehen konnte, ihn fester an sich drückte und ihn endlich inniger küsste. Hyde konnte sich das Seufzen nicht verkneifen, als er leicht seinen Mund öffnete und Gackts heißer Atem zwischen seine Lippen drang. Wie ein Feuer, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. All seine Ängste und Sorgen warf er ohne weiter zu zögern von sich. Es war ihm egal, was danach geschah, was er am nächsten Tag denken würde. Ob er verrückt war oder warum er dies überhaupt tat. Es ging nur um jetzt, um diesen einen Augenblick, um dieses wundervolle Gefühl in seiner Brust, welches immer stärker wurde. Aber mit jeder Sekunde, in der er den warmen Mund auf seinem spürte, drängte sich auch ein unerklärlicher Schmerz in sein Herz. Es jagte ihm plötzlich Tränen in die Augen. Als hätte er sich lange nach diesem Kuss gesehnt. Als hätte er etwas Unersetzliches verloren und endlich wiedergefunden. Es war ein Brennen in seiner Kehle, das ihm das Atmen erschwerte. Ein Druck auf seiner Brust, der gegen sein pochendes Herz kämpfte. Und die Tränen in seinen Augen, die Gackt immer wieder mit seinen Fingern auffing, wenn sie über seine Wangen kullerten. Gackts Zärtlichkeit und diese innere Qual, die Hyde nicht verstehen konnte, zerrissen ihn. Und er wusste nicht warum, oder was genau mit ihm geschah. Er fühlte sich, als könne er mit der Freude, es endlich wiedergefunden zu haben, nicht umgehen. Als wäre es so schwer, dass es ihn zu zerdrücken drohte. Waren es vielleicht die Erinnerungen, nach denen der Dunkelhaarige so hartnäckig suchte? War es wirklich seine verlorene Erinnerung und nicht die eines anderen? Er konnte die Antwort auf diese Frage nicht finden. Obwohl er mit unzähligen seltsamen Gefühlen nur so überschwemmt wurde. Obwohl Gackt ihm mit jeder Sekunde mehr Hinweise in den Mund legte. Obwohl alles so gut zusammenpasste. Die Gefühle, die er spüren konnte, besaßen einfach kein definierbares Bild. Es war dunkel, verschwommen und verwirrend. Und egal wie lange oder wie oft Gackt ihn küsste, es würde daran nichts ändern. Diese Gewissheit schmerzte und trieb ihm immer wieder die Tränen in die Augen, die heiß über sein Gesicht liefen. Das Einzige, was er tun konnte, war sich an den Größeren zu klammern und für einen Moment diese Gedanken zu vergessen. Doch das war nicht leicht. Vor allem nachdem der Dunkelhaarige plötzlich von seinen Lippen ließ und wieder flüsternd diese Frage stellte. „Erinnerst du dich?“ Er hauchte leichte Küsse auf seine feuchten Wangen und dann wieder auf seinen Mund. Hyde konnte das Salz seiner eigenen Tränen schmecken, als er zögerlich antwortete. Aber seine Worte waren wieder dieselben. „Nein, ich erinnere mich nicht.“ Einen Moment lang blickte der Dunkelhaarige schweigend in die tränennassen Augen. „Warum weinst du dann?“, fragte er und Hyde konnte das letzte bisschen Hoffnung in seiner Stimme wahrnehmen. Doch etwas Sinnvolles konnte er nicht auf seine Frage antworten. Er wusste es ja selbst nicht und eine Lüge brachte er auch nicht übers Herz. Er schüttelte nur den Kopf, bevor Gackts Gesicht plötzlich hinter einem dicken Tränenschleier versank. Und während diese blauen Augen verschwommen umhertanzten, war es auf einmal so, als würde der quälende Druck auf seinem Herzen, der Schmerz in seinem Inneren, seine Ängste, alle negativen Gefühle aus ihm herausbrechen. Er fing an zu schluchzen. Obwohl er es unterdrücken wollte, kam es einfach über seine Lippen. Er drückte die Hände auf sein Gesicht, um sich vor Gackts Blick zu verstecken. Doch am liebsten hätte er sich aus Verzweiflung in seine Arme geworfen und laut geweint. Es musste einfach raus. Dieser gestaute Schmerz, der sich über Monate hinweg wie ein Parasit in ihm breitgemacht hatte. Er drohte, daran zu ersticken. Was also war dieser peinliche Augenblick im Vergleich zu dieser Finsternis, die ihn immer weiter auffraß? Er lehnte sich unsicher an Gackts Brust und zuckte kurz, als dieser ihn ohne weitere Fragen zu stellen sofort fest in seine Arme schloss. Genau dort, wo der Blonde sein klopfendes Herz hören konnte. Es war so vertraut. Diese Wärme, mit der er umschlossen wurde, und das gleichmäßig pochende Geräusch an seinem Ohr. Es ließ ihn alle Sorgen vergessen. Als hätte es sie nie gegeben. Gackt war seine Rettung. Egal, was er für eine Rolle im Leben des Blonden spielte. Was er in dem Dunkelhaarigen sah oder über ihn dachte. Ob seit 400 Jahren oder erst seit ein paar Minuten. Er war der Mittelpunkt, um den er sich eine scheinbare Ewigkeit gedreht hatte. Ohne zu wissen, dass es ihn überhaupt gab. Er war hier. Er war keine Illusion und auch kein Traum. Er konnte ihn unter seinen Händen spüren, seinen Atem und Herzschlag hören, seine blauen Augen sehen. Das allein war das Wichtigste. Auch wenn er sich nie würde erinnern können. Auch wenn es nichts gab, woran er sich erinnern müsste. Es war egal. Es war vollkommen egal. Hyde blickte auf, fuhr mit seinen Händen über Gackts Brust und starrte den Größeren an. Er zögerte erst, doch als der Dunkelhaarige ihn fester an sich drückte, legte der Blonde seine Hände um seinen Nacken, zog sich nach oben und küsste ihn. Ohne Scheu, ohne Angst. Es war nur diese unerklärliche Sehnsucht, die er stillen wollte. Aber er spürte, dass es richtig war. Er spürte, dass es so vorhergesehen war. Er drückte seine Lippen auf die von Gackt und drängte sie ungeduldig auseinander, um ihn dann mit seiner Zunge zu spüren. Sehr viel zügelloser als zuvor. Und der Dunkelhaarige erwiderte diesen leidenschaftlichen Kuss sofort, als hätte er nur darauf gewartet. Als hätte er gewusst, dass es geschehen würde. Er hielt den Blonden mit seinen Händen fest, drängte sich an ihn und nahm ihn mit seinem Mund die Luft zum atmen. Hyde seufzte. Seine Lippen brannten und Gackts Finger drückten sich schmerzhaft in seinen Rücken. Doch dem Blonden war es nicht unangenehm. Er genoss diesen süßen Schmerz, der ihm so bekannt war. Als wäre es schon einmal passiert. Als hätte er schon einmal diese Lippen geküsst. Vor langer Zeit. Vor einer langen langen Ewigkeit. Und während sich seine Welt plötzlich in eine ganz andere Richtung drehte, kam Hyde mit einem Mal ein merkwürdiger Gedanke. Doch erst, als sie atemlos ihren Kuss beendeten, kam es flüsternd über seine Lippen. Obwohl er keine Ahnung hatte, warum er so fühlte. „Ich habe dich ... so schrecklich vermisst“, sagte er verwirrt. ---------------------------------------- Das hier ist nun das letzte Kapitel. Aber keine Sorge... es folgt noch der Epilog. Ich bin gerade etwas traurig, weils nun zu ende ist. Die letzten 1 ½ Jahre habe ich daran gesessen. Und es hat solch Spaß gemacht. *Schnief* Naja aber verfallen wir jetzt mal noch nicht verfrüht in Deppressionen. Es ist ja noch etwas zu erledigen. Vielen Dank fürs lesen! Bis bald. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)