Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 14: Wiedersehen ----------------------- 14. Kapitel: Wiedersehen [Finsterer Abgrund, in die Ewigkeit verdammt. Alles wegen dir] ---------------------------------------- „Fukushima“, murmelte Kagegaku ungläubig, als er erwachte und das bekannte Antlitz seines Freundes erblickte. Zweifelnd, ob das, was er vor seinen Augen sah, nicht doch nur eine Einbildung war, schüttelte er vehement den Kopf. Er träumte doch nur. Es war nur ein Traum, den er sich so oft vorgestellt und gewünscht hatte, dass er nun zu einer real wirkenden Illusion geworden war. Die Einsamkeit und die Sorge um die beiden ihm liebsten Menschen hatten ihn in diesen Wahnsinn getrieben. Er war verrückt geworden. Doch obwohl er davon überzeugt war, dass er sich Fukushimas Gesicht nur eingebildet hatte, war es immer noch da, als er wieder seine Augen öffnete. Der vermisste Freund blickte ihn direkt an. Ernst und doch so vertraut. Eine neue Narbe zog sich über die rechten Augenbraue. Sie schnitt sich mit der alten, viel tieferen Wunde, die er sich vor vielen Jahren zugezogen hatte, als er seinem Herrn einst das bedrohte Leben gerettet hatte. Sonst hatte sich an diesem Gesicht nichts verändert. Das lange Haar war im Nacken zu einem Zopf gebunden, das Gesicht gepflegt und sauber. Sein dunkelbrauner Kimono war aus einfachen Leinen. Ein kratziger Stoff, trotzdem sah er ordentlich und elegant aus. So wie immer. So wie er den Freund vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte. „Fukushima“, flüsterte Kagegaku wieder, bevor er aufgeregt aber doch vorsichtig über die Schultern seines Freundes tastete. Er konnte es noch immer nicht glauben, obwohl er spüren konnte, wie sich die Brust unter seinen Händen hob und senkte, obwohl er klar und deutlich die tiefe Stimme hören konnte. „Mein Herr“, sagte Fukushima nur. Dann verstummte er wieder, als müsse er die eigene Freude über ihr Wiedersehen unterdrücken. Er senkte sein Haupt, als würde er sich schämen, bevor er sich etwas nach hinten schob und tief verbeugte. Die Stirn berührte den kalten Fußboden der Veranda, auf der Kagegaku eingeschlafen war. „Es tut mir Leid“, wiederholte er immer wieder mit lauter Stimme. Kagegaku blickte ihn verwirrt an, bis er sich endlich dazu durchringen konnte, die eine wichtige Frage zu stellen, die ihn seit zwei Jahren belastete. „Wo ist Hidetori?“ Fukushima verstummte, setzte sich auf und blickte seinem Herrn in die Augen. Kagegakus Geduld aber war am Ende. Angespannt packte er den Freund und schrie ihn von Panik bestimmt an. „Lebt Hidetori? Wo ist er? Verdammt nochmal, rede endlich!“ „Er lebt“, kam es nach einem langen Moment der Stille ruhig von Fukushima. Der Stratege hielt inne, als er diese Worte hörte. „Wo ist er? Hast du ihn hergebracht?“ „Nein.“ Verschämt wich Fukushima dem perplexen Blick seines Herrn aus, als er diesen mit seiner Antwort sichtlich bestürzte. Er konnte verstehen, was sein Herr gerade fühlen musste. Schließlich hatte dieser zwei Jahre lang auf diesen Tag gewartet. Kagegaku hatte Hidetoris Leben in seine Hände gegeben. Einen größeren Vertrauensbeweis hätte er von seinem Herrn niemals erhalten können. Das Oberhaupt musste tief enttäuscht sein, denn er war ohne den Blonden zurückgekehrt, obwohl er es versprochen hatte. „Warum nicht? Du hast geschworen, dass du ihn zurückbringen würdest. Warum ist er nicht bei dir?“, wollte der Stratege verwirrt wissen. Fukushima aber beugte sich nur noch einmal tief zu Boden und entschuldigte sich. „Es tut mir aufrichtig Leid, Euer Vertrauen enttäuscht zu haben.“ Wortlos starrte das Oberhaupt auf das gesenkte Haupt seines Freundes. Monatelang war er verschwunden gewesen, um den Blonden, den Kagegaku so sehr liebte, zu suchen und zurückzubringen. Nun, da Fukushima endlich wieder hier war und er dessen vertraute Stimme hörte, war es aber nur noch Enttäuschung, die seine Freude trübte und mit einen dunklen Schatten überzog. Fukushima, dem es sichtlich unangenehm war, den Herrn enttäuscht zu haben, ließ den Kopf gesenkt, während er wieder zu sprechen begann. „Wochenlang bin ich durch den Wald gestreift, habe Berge überquert und Höhlen durchforstet. Bis ich irgendwann in eine kleine Siedlung mitten in den Bergen gekommen bin. Als ich Hidetori dort gefunden hatte, war er bereits festes Mitglied der Siedlung und hört nun auf den Namen Hideto. Er arbeitet auf einem Feld weiter unten im Tal und lebt mit einer alten Frau und deren zwei Enkelkindern zusammen in einer kleinen heruntergekommenen Hütte. Ich habe mich als Hidetoris Bruder ausgegeben und bis vor wenigen Tagen selbst dort gelebt.“ Aufmerksam hatte Kagegaku seinem Freund zugehört, während er sich erhoben und ungeduldig auf der Veranda hin- und hergelaufen war. „Warum ist er nicht mit dir zurückgekommen?“, wollte er dann wissen, als Fukushima die wichtigsten Fakten zusammengefasst hatte. Der Berater schüttelte zögerlich den Kopf. „Er wollte es nicht“, antwortete er vorsichtig. Er blickte zu seinem Herrn auf, der betroffen und verwirrt vor sich hinstarrte, bevor Fukushima weiter sprach. „Ich bin dort geblieben, um ihn zu beschützen, falls ihn auch Kagemuras Männer dort aufgespürt hätten. Und ich dachte, dass er seine Entscheidung irgendwann überdenken würde. Ich empfand es aber auch als klug den Schutz, den dieses versteckte Dorf bietet, zu nutzen und dort eine Weile unterzutauchen.“ Kraftlos lehnte sich Kagegaku an die geöffnete Shojitür seines Raumes, während er versuchte, all das, was Fukushima ihm erzählt hatte, zu verarbeiten. Allein die Tatsache, dass der Freund lebte, wohlauf war und nun vor ihm saß, überforderten seine Gefühle. Auf der einen Seite war er überglücklich, aber auch tief besorgt und ratlos. Hidetori war irgendwo dort draußen. Er lebte, er war glücklich. Und doch war es Kagegaku nicht genug. Nur zu wissen, dass es ihm gut ging, reichte ihm nicht. Auch nach zwei Jahren hatten sich seine Gefühle für den Blonden nicht verändert. Noch immer wollte er an seiner Seite sein und jeden Tag mit ihm verbringen. Ihn sehen und auch berühren. Ja, er war immer noch so egoistisch und wollte Hidetori für sich ganz allein, selbst wenn dieser nichts von ihm wissen wollte. Selbst wenn der Blonde ihn hasste. Der Gedanke, dass Hidetori irgendwo sein Leben ohne ihn lebte, war ihm einfach unerträglich. Es machte ihn wütend und stachelte seinen Drang, den Blonden besitzen zu wollen, noch mehr an. „Ich konnte nicht gehen, bevor ich nicht wirklich sicher war, dass ihm keine Gefahr mehr droht. Und ich weiß, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, indem ich Hidetori dort zurückgelassen habe. Aber er fühlt sich sicher, deshalb bin ich trotz meines Versprechens gegangen. Ich wollte Euch endlich davon berichten. Es tut mir Leid“, riss Fukushima seinen Herrn aus den Gedanken. Ungläubig runzelte der Stratege die Stirn. „Er fühlt sich sicher?“, wiederholte er entrüstet und schüttelte den Kopf, während er aber Fukushimas Beweggründe nachvollziehen konnte. Er hatte es versprochen und Fukushima brach nie seine Versprechen. Es musste ihn ungeheure Überwindung gekostet haben, den Blonden zurückzulassen, obwohl seine Aufgabe darin bestand, diesen zu beschützen und zurückzubringen. „Er möchte Euch nie wieder sehen. Das soll ich Euch sagen“, murmelte Fukushima zurückhaltend. Er wagte es nicht, in das Gesicht seines Herrn zu blicken. Er ahnte, wie verletzt er sein musste. Und doch sah er es als seine Pflicht an, dem Oberhaupt davon zu berichten. Egal wie schmerzhaft oder unglaublich es sein mochte. „Aber warum?“, hätte Kagegaku gern gefragt. Doch das brachte er nicht über die Lippen. Für ihn war Hidetoris Handeln von purer Dummheit bestimmt. Grenzenloser Wahnsinn, den er so nicht hinnehmen konnte. Vielleicht war Hidetori während der letzten zwei Jahre tatsächlich in Sicherheit gewesen. Vielleicht war es aber auch nur reines Glück gewesen. Kagemura hatte ihm schließlich mehr als nur deutlich gemacht, dass er nie aufhören würde, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Sicherlich waren seine Männer immer noch auf der Suche nach dem Blonden. Irgendwann würden sie ihn finden. Selbst das sicherste Loch konnte irgendwann zur tödlichen Falle werden. „Bring mich zu ihm!“, befahl Kagegaku, nachdem er eine Entscheidung gefällt hatte. So schnell würde er Hidetoris sturem Kopf nicht nachgeben. Er liebte den Blonden und machte sich höllische Sorgen, also hatte er auch ein Recht darauf ihn zu beschützen. Er wollte wissen, was Hidetori dachte. Warum er ihn nicht wiedersehen wollte. Warum hatte sich der Blonde vor ihm versteckt? Fühlte er sich bedrängt? War er davongelaufen, weil er nicht gewusst hatte, was er auf Kagegakus Liebesgeständnis hätte antworten sollen? Warum nur hatte der Stratege damals das Gefühl gehabt, dass der Blonde seine wahren Gefühle unterdrückt und verschwiegen hatte? Was steckte hinter all dem? Darüber zerbrach sich Kagegaku auch noch den Kopf, als er und Fukushima nur wenige Tage später aufgebrochen waren und schließlich vor dem kleinen Holztor hinter riesigen Bäumen standen. Die kleine Siedlung, bestehend aus nur neun bis zehn Hütten, lag perfekt geschützt mitten im dichten Wald. Drei Kinder spielten lachend hinter einem der kleinen Häuser, während eine Frau Wasser in ihre Hütte trug. Es herrschte eine idyllische Atmosphäre, als existierte hier der jahrzehntelange Krieg nicht. Der Anblick von glücklichen Menschen war Kagegaku fremd. Es war ihm wie ein Wunder, wie eine Welt, der man nur in Träumen begegnete. Aber es war real. Er roch die Erde, die klare Luft, das Holz und den Duft der Nadelbäume. Aber auch das Essen, welches in den Häusern zubereitet wurde. Kagegaku entwich ein Lächeln, als er durch das Tor schritt und fasziniert in die Gesichter der Menschen sah, die ihn ebenso verwundert anstarrten. Obwohl er, auf Fukushimas Anraten, eher bescheidene Kleidung trug, fiel den wenigen Frauen und Kindern die Eleganz und die aristokratische Aura auf, die Kagegaku selbst in seinen Lumpen ausstrahlte. Einige Frauen verbeugten sich sogar, so gefesselt waren sie von dem Mann mit dem langen schwarzen Haar, der sie so anregend anlächelte. Fukushima führte seinen Herrn in den abgeschiedensten Winkel des Dorfes. Dort stand eine kleine Hütte mit niedrigem Strohdach. Neben ihr lagerte das Feuerholz und der Eingang, der in den dunklen Kochbereich, der gleichzeitig auch Wohn- und Schlafraum war, führte, war mit einfachen Strohgeflecht verhangen. Es war die bescheidenste Behausung, die der Stratege je zu Gesicht bekommen hatte. Es schockierte ihn, während er aber auch ein Gefühl des Zusammenhalts und der Nähe verspürte. Hier lebten und arbeiteten die Menschen Hand in Hand. Hier war man gemeinsam, geschlossen und miteinander. Hier war man aus ehrlicher Sorge immer füreinander da. All das fühlte der Samurai, seit er das Dorf betreten hatte. Für ihn war es ein magischer Ort. Nicht nur, weil Hidetori hier lebte, sondern weil er hier die Liebe empfand, nach der er sich schon sein Leben lang gesehnt hatte. Schließlich blieb Kagegaku stehen, als er eine Person hinter der Hütte erblickte. Er glaubte sich zu irren, doch es war eindeutig Hidetori, der auf einem Baumstumpf saß und Strohsandalen flocht. Völlig vertieft in seiner Arbeit summte er eine Melodie, bevor er auch zu singen begann. Verwundert starrte der Stratege den Blonden an, der immer noch nicht bemerkt hatte, dass er beobachtet wurde. Es war ein seltsames Gefühl, Hidetori nach so langer Zeit wiederzusehen. Kagegaku war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Sein Herz klopfte als stünde er vor einer lebenswichtigen Entscheidung. Der Blonde hatte sich nicht verändert. Selbst den alten Kimono, auf den das Wappen der Nishiyama genäht worden war, trug er noch. Doch ein Stück hellbrauner Stoff verdeckte die blaue Lotusblüte, die von einem zweilinigen Kreis umrahmt war. Zerrissene oder löchrige Stellen waren sorgfältig zusammengeflickt worden und die Ärmel hinten zurückgebunden, damit sie ihm nicht bei der Arbeit störten. Er trug das Tuch um seinen Kopf, welches Kagegaku ihm zum Abschied gegeben hatte. Unter diesem drängten sich blonde Haarsträhnen hervor, die das von der Sonne gebräunte Gesicht umrahmten. Kagegaku verspürte plötzlich den Drang, ihm das Kopftuch herunterzureißen, damit er seine Finger im goldenen Haarschopf vergraben konnte. Doch er hielt sich zurück, denn er befürchtete, dass Hidetori alles andere als erfreut über sein Erscheinen sein würde. Er lauschte lieber noch etwas länger dem seltsamen Gesang, welcher sein Herz auf eine eigenartige Weise berührte. „Was tut er da?“, murmelte das Oberhaupt dann von seiner Aufregung berauscht. „Er flechtet Strohsandalen. Eigentlich sollte er mit den anderen Männern auf dem Feld ...“ „Nein, ich meine ... er singt, aber es hört sich seltsam an“, unterbrach Kagegaku seinen Freund, während er immer noch aufmerksam zuhörte. „Er singt in einer anderen Sprache“, antwortete Fukushima. „Warum?“, hakte Kagegaku interessiert nach. Doch darauf wusste auch der Berater keine Antwort. Mehrmals hatte er den Blonden danach gefragt. „Es ist eine andere Sprache“ war alles, was der Mann aus der Zukunft immer als Antwort gegeben hatte. Mehr hatte dieser nie preisgeben wollen. „Er singt jeden Tag“, murmelte Fukushima, statt Kagegakus Frage zu beantworten. „Das hat er nicht getan, als er noch auf dem Anwesen gelebt hat“, stellte der Stratege betroffen fest. Denn zum ersten Mal hatte er das Gefühl, Hidetori glücklich zu sehen. Glücklich, unbeschwert und frei. Diesen Eindruck hatte der Blonde nie gemacht, als er noch als Vasall für ihn gearbeitet und neben seinen Räumen gelebt hatte. Er schien immer eher befangen gewesen zu sein, als hätte ihn etwas zurückgehalten. Als hätte er etwas zu verbergen gehabt. „Ohne Fragen zu stellen haben ihn diese Menschen hier aufgenommen“, erzählte Fukushima, als er das nachdenkliche Gesicht seines Herrn sah. „Sie kennen die außergewöhnliche Farbe seines Haares und trotzdem trägt er das Tuch, als müsse er sie vor ihnen verstecken. Ich denke, das hat etwas mit Euch zu tun.“ „Mit mir?“, fragte Kagegaku verwundert. Fukushima nickte. „In seinem Kimonoärmel versteckt er die Dolchscheide, die er jeden Morgen reinigt. Jeden Abend erzählt er den Kindern Eure Geschichten und als er von Eurer bevorstehenden Hochzeit erfahren hatte, war er fünf Tage lang nicht ansprechbar. Auch wenn er singt, ist er oft abwesend, als wären seine Gedanken weit weg.“ Fukushima machte eine kurze Pause und suchte Kagegakus Blick. „Und immer, wenn er Euren Namen hört ... dann sammeln sich Tränen in seinen Augen.“ Fukushimas Worte waren von unerwartetem Inhalt. Niemals hätte der Stratege geglaubt, dass Hidetori doch noch an ihrer gemeinsamen Zeit hing. Dass er überhaupt noch an ihn dachte und Dinge aufbewahrte, die er dem Blonden gegeben hatte. Perplex fuhr sich Kagegaku durch das lange Haar, während Fukushima reuevoll seufzte. „Ich konnte nicht herausfinden, was mit ihm los ist, aber eines kann ich sicher sagen. Er fühlt etwas für Euch. Mehr, als er zugeben möchte. Diese Unbeschwertheit ist nur sein Schutzschild. Er ist einsam, genau wie Ihr.“ Kagegaku schüttelte den Kopf. „Ich war einsam“, berichtigte der Stratege, bevor er entschlossen auf den Blonden zuging. Ein paar Schritte weiter stoppte er allerdings wieder, als Hidetoris Gesang verstummte und dieser seine Arbeit niederlegte. Er sah sich um und blickte in Kagegakus Richtung. Die ganze Welt schien aufzuhören, zu existieren, als sich plötzlich ihre Blicke verfingen. Kagegaku konnte Überraschung in den dunklen Augen des Blonden lesen, die nach wenigen Sekunden aber bereits der Panik wich. Hidetori hatte nicht damit gerechnet, dementsprechend durcheinander fiel seine Reaktion aus. Planlos blickte er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, obwohl ihm klar war, dass es dafür schon zu spät war. Kagegaku stand schon direkt vor ihm, als er aufgestanden war und gehen wollte. Schweigend starrte Hyde zu Boden, während er sich nicht zu rühren traute. Er war schlichtweg überfordert mit dieser unerwarteten Situation, die er nach der langen Zeit so niemals für möglich gehalten hätte. So viele Monate waren vergangen. Eine Ewigkeit, die ihn aber nicht vergessen lassen hatte. In seinen Träumen war der Samurai immer präsent gewesen. Seine Augen, seine Stimme und seine Freundlichkeit. Und obwohl die Gefühle für den Strategen nicht abgeklungen waren, hatte er sich selbst im letzten Moment dagegen entschieden, als Fukushima auf sein Drängen hin gegangen war. Er hatte irrtümlich geglaubt, dass Kagegaku ihn vergessen hatte. Er hatte gedacht, nun, da er heiraten würde, hatte das Liebesgeständnis keine Bedeutung mehr. Alles war zur Vergangenheit geworden, die lange zurücklag. So, wie er seine eigene Familie und sein Zuhause schon lange vergessen hatte. Er hatte sich die ganze Zeit unsichtbar gefühlt, wie ein Geist, der nirgendwo dazugehörte. „Hidetori.“ Kagegakus Flüstern, welches sich so zweifelnd anhörte, bereitete dem Blonden eine Gänsehaut. Welch unheimliche Sorgen er sich doch um den Samurai gemacht hatte. Ständig hatte er die wenigen durchreisenden Pilger belauscht und gehofft, etwas über das Befinden des Oberhauptes zu erfahren. Und nun stand er einfach hier und nannte seinen erfundenen Namen, den er seit fast zwei Jahren nicht mehr gehört hatte. Es war ein seltsames Gefühl, mit dem er im Moment nicht zurecht kam. Mit gesenktem Blick wollte er an Kagegaku vorbeigehen, doch dieser stellte sich ihm provokativ in den Weg. „Hidetori, was soll das alles? Warum versteckst du dich hier vor mir?“, wollte der Samurai wissen, während er den Blonden an den Schultern festhielt. Hyde schüttelte den Kopf. „Ich heiße ... Hideto“, entgegnete er mit dünner Stimme, ohne Kagegaku dabei anzusehen. „Hideto?“ Der Blonde nickte, während ein bekanntes, wohliges Kribbeln durch seinen Bauch zog. So hörte es sich also an, wenn der Samurai seinen richtigen Namen aussprach. Dass er jemals in diesen Genuss kommen würde, hätte er nie für möglich gehalten. Natürlich war ihm klar, dass Kagegaku glaubte, er hätte sich diesen Namen ausgedacht, um unentdeckt zu bleiben. Trotzdem machte es ihn unglaublich glücklich. Er konnte endlich wieder ein Stück seines wahren Ichs zeigen. Ein wenig von sich selbst, das, was er wirklich war und wie er fühlte. „Sag mir, warum du nicht zurückgekommen bist.“ Kagegaku hörte sich zornig an und zog den Blonden blitzartig aus dem Glücksgefühl, in das er kurz getaucht war. Als er auf die Frage nur ausweichend den Kopf schüttelte, packte ihn der Samurai fester und zog ihn hinter die Hütte. Geschützt vor den neugierigen Blicken der Dorfbewohner drückte er Hyde an die hölzerne Wand und sah prüfend auf das gesenkte Haupt. „Würdest du mir endlich erklären, was das soll? Ich habe nach dir suchen lassen. Zwei Jahre lang. Ich habe Todesängste ausgestanden und du lebst hier unbeschwert dein glückliches Bauernleben?“ Selbst auf diese Vorwürfe reagierte der Blonde nur mit resigniertem Schweigen. Er hätte darauf nichts antworten können. Er wollte nicht darüber reden, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen war, wie oft er daran gedacht hatte, Fukushima darum zu bitten, ihn zur Nishiyamaresidenz zu bringen. Er wollte nicht an die schrecklichen Träume denken, die ihn immer wieder davon abgehalten hatten. Seit er mit Kagegaku abgeschlossen hatte, waren die schlimmen Bilder seltener geworden. Er war erleichtert gewesen, weil er geglaubt hatte, dass er jenes entsetzliche Schicksal abgewendet hatte. Dass es ihm gelungen war, die Geschichte zu ändern – einfach nur, weil er auf sein eigenes Glück verzichtet hatte. Doch nun schien diese Qual, die er so lange erlitten hatte, völlig umsonst gewesen zu sein. Denn je länger Kagegaku hier war, desto düsterer wurde das Gefühl, welches ihn an seine Alpträume erinnerte. Es war alles wieder da. Seine Angst und die Panik vor einem bevorstehenden Unheil. „Du wirst jetzt mit mir mitkommen“, brummte Kagegaku wütend über Hidetoris Schweigen. Er packte den Blonden am Ellenbogen und wollte ihn mit sich zerren, doch Hyde schüttelte den Kopf und nuschelte ein kaum verständliches „Nein!“, während er sich sofort wieder losriss. „Ich bleibe hier!“ Fassungslos starrte der Samurai in die braunen Augen des Blonden, in denen er sich nun zum zweiten Mal verirrt hatte. „Glaubst du tatsächlich, dass du hier sicher bist?“, fragte Kagegaku, nachdem er sich nur Sekunden später wieder gefangen hatte. „Ja, das tue ich“, antwortete Hyde klar und deutlich. Eine gewisse Unsicherheit war jedoch trotzdem herauszuhören. „Das ist absoluter Wahnsinn. Mein Bruder setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dich zu finden und du fühlst dich hier unter wehrlosen Bauern sicher?“ Hyde nickte nach anfänglichem Zögern. In Wahrheit hatte er sich um seine Sicherheit kaum noch Gedanken gemacht. Er fühlte sich sicher, weil dieser Ort kaum in Berührung mit dem herrschenden Krieg und den Machenschaften der Daimyos kam. Er hatte vergessen, in welch einer Welt er lebte. Er hatte vergessen, dass er verfolgt wurde. „Ich werde nicht mit Euch zurückgehen“, stellte Hyde trotz aufkommender Bedenken noch einmal klar. Ihm blieb keine andere Wahl. Um das Leben des Samurai zu schützen, musste dieser ihm fernbleiben. Und das am besten so weit wie möglich. „Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue, aber ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass mein Bruder seine widerlichen Pläne für dich in die Tat umsetzt“, meinte Kagegaku, der sich mit der Entscheidung des Blonden nicht abfinden wollte. Vor allem nicht, wenn er an Kagemuras ekelhafte Worte dachte. Mit ernstem Blick ging er um die Hütte herum und winkte Fukushima herbei, bevor er Hidetori noch einmal ansah. „Wenn du nicht mitkommen willst, dann werde ich hier bleiben“, fügte er entschlossen hinzu. Perplex erwiderte Hyde den strengen Blick des Schwarzhaarigen, während ihm wieder einmal die Worte versagt waren. Er konnte nicht fassen, dass das Oberhaupt einer hoch angesehenen Generalfamilie gerade dabei war, alles für ihn aufzugeben. Seine Zukunft, seine Vergangenheit; alles, was er sich ehrgeizig aufgebaut hatte. Das konnte er doch nicht zulassen. Das durfte nicht geschehen. Was passierte, würde Kagegaku die Prinzessin nicht heiraten? Welche Auswirkungen hätte das auf die Zukunft, die über 400 Jahre voraus lag? Hyde schüttelte vehement den Kopf, während Fukushima an sie herantrat. Fragend blickte dieser den Herrn an, bevor Kagegaku seine Entscheidung mitteilte. „Ich werde zur Nishiyamaresidenz zurückreiten, um dort noch einige Dinge zu klären. In sieben Tagen bin ich wieder hier. Du bleibst bei Hidetori und hast ein Auge auf ihn.“ Fukushima nickte, nachdem er einen Blick auf den Blonden, der alles andere als einverstanden war, riskiert hatte. „Ich werde hier ein neues Leben beginnen“, gab Kagegaku seinem Freund bekannt. Fukushima runzelte skeptisch die Stirn, als hätte er seinen Herrn falsch verstanden. „Ihr wollt die Nishiyamas verlassen?“, fragte der Freund noch einmal vorsichtig nach. Kagegaku nickte. „Ich weiß, dass das die dümmste Entscheidung ist, die ich je getroffen habe. Doch mein Herz sagt mir ganz klar, dass es keinen anderen Weg gibt.“ Betroffen weitete Hyde die Augen, als er jene Worte hörte. Das Schicksal nahm seinen unheilvollen Lauf und er konnte einfach nichts dagegen tun. Er konnte dem Schwarzhaarigen nicht verbieten, sein Dasein als Krieger aufzugeben, um sich hier ein neues, friedliches Leben aufzubauen. Niemals würde sich Kagegaku etwas von ihm sagen lassen. Selbst wenn er ihn abermals darum bitten würde. Kagegakus Entschluss stand fest und Hyde wusste, dass er daran nichts mehr ändern konnte. Der Blick des Strategen, als dieser sich umdrehte und ging, war ernst und entschlossen. Hilflos ließ Hyde sich wieder auf den Baumstumpf sinken. Den Strohsandalen ließ er unfertig auf den Boden fallen, während er dem Samurai wehmütig hinterhersah. Was sollte er nun tun? Auf Kagegakus Rückkehr warten und darauf hoffen, dass seine Visionen oder Träume nicht wahr werden würden? Konnte er dieses Risiko eingehen und im Falle eines Unglücks die Verantwortung übernehmen? Würde er es überhaupt ertragen können, wenn dem Schwarzhaarigen etwas zustieße? Hyde fasste sich an die Brust und begann, schwer zu atmen. Allein der Gedanke daran machte ihn krank. Definitiv würde er es nicht überstehen können, würden seine Träume zur Realität werden. Dafür liebte er den Samurai zu sehr. Aber was für eine Möglichkeit blieb ihm noch? Fukushima, der auf Kagegakus Befehl hin dageblieben war, folgte ihm auf Schritt und Tritt. Nicht einmal zum Schlafen ließ er den Blonden allein. Nach drei Tagen hatte Hyde nicht die geringste Chance einer Flucht gesehen. Doch viel Zeit blieb ihm nicht mehr, bevor das Oberhaupt der Nishiyama zurückkehren würde. Seine Lage war aussichtslos und doch dachte er den ganzen Tag darüber nach. Als Hyde am dritten Abend zusammen mit Fukushima grübelnd vor der Hütte saß und den selbstgemachten Tee trank, wagte der Blonde, das Thema anzusprechen. „Ich finde, es ist keine so gute Idee“, murmelte er und Fukushima blickte stutzig auf. „Was meinst du?“, fragte der Samurai, bevor er einen Schluck vom heißen Tee nahm. „Dass er alles wegwirft und hier leben möchte, nur weil ich so ein Sturkopf bin.“ „Aber warum denn überhaupt? Du teilst doch seine Gefühle.“ Hyde schüttelte sofort den Kopf. „Ich kann es nicht erklären“, seufzte der Blonde und starrte bedrückt in die braune Teeschale, die einen kleinen Sprung hatte. „Hat es etwas mit der Zukunft zu tun?“, hakte Fukushima nach. „Oder mit Kagemura?“ Obwohl Kagegakus Vertrauter mit beiden Annahmen direkt ins Schwarze getroffen hatte, schwieg Hyde. Er wusste nicht, inwiefern seine Bedenken damit zu tun hatten. Es war nach wie vor nur ein dummes Gefühl, welches aus schrecklichen Alpträumen resultierte. Alpträume, die ihn tagsüber sogar als Visionen heimgesucht hatten. Jedes Mal hatten sie sich realer angefühlt und immer wieder hatte er dann definitiv gewusst, dass er diese schrecklichen Dinge nicht geschehen lassen wollte. „Mach dir keine Sorgen. Kagegaku und ich werden dich beschützen“, wollte Fukushima den Blonden beruhigen, als dieser sich mit zittrigen Fingern über die Stirn gefahren war. „Aber nicht ich brauche Schutz, sondern Kagegaku“, klagte Hyde ratlos. Fukushima runzelte skeptisch die Stirn, als er nachfragen wollte, was er damit meinte. Doch bevor er nur einen Laut über die Lippen bringen konnte, übermannte ihn eine seltsame Müdigkeit. Die Augen fielen ihm zu und sein Körper wurde schwach. Er kippte zur Seite, auf den sandigen Boden neben dem lagernden Feuerholz. „Fukushima?“, murmelte Hyde argwöhnisch, als der Samurai sich nicht mehr rührte. „Was ist los?“ Zögerlich näherte sich der Blonde, um dann erleichtert festzustellen, dass Fukushima nur schlief und nicht tot war. Trotzdem sah sich Hyde skeptisch um, als er ein Rascheln im Gestrüpp vernahm. Und plötzlich überkam ihn die nackte Angst. „Fukushima!“ Panisch rüttelte Hyde den Samurai an den Schultern, doch dieser wollte einfach nicht aufwachen. War er etwa vergiftet worden? Der Tee? Nein, er hatte doch auch davon getrunken. Während Hyde sich Gedanken über eine mögliche Vergiftung machte, wurde er plötzlich von hinten gepackt und unsanft auf den Boden gedrückt. „Na, was haben wir denn hier Feines?“, hörte er es sogleich an seinem Ohr brummen, bevor ihm das Kopftuch heruntergerissen wurde. „Tatsächlich. Das entflohene Vögelchen mit den goldenen Federn.“ Hyde weitete geschockt die Augen, als er herumgedreht wurde und direkt in Kagemuras kalte Augen blickte. Dieser drückte ihm die Handfläche auf die Lippen und begann, schadenfroh zu kichern. ---------------------------------------- Na ja … es konnten sich ja einige denken, dass Hyde sich irgendwo verschanzt hat. ^^;;; Und zum Glück lebt Fukushima noch. In letzter Zeit ist mir Fukushima sehr ans Herz gewachsen. Ich könnte ihn doch jetzt nicht einfach so umbringen. ^_- Es stehen noch zwei Kapitel aus, bevor es für mich, meiner Mum und Sis nach Japan geht. Zum Glück arbeite ich schon am übernächsten Kapitel, so kann ich Kapitel hochladen, obwohl ich drei Wochen keine Zeit haben werde zu schreiben. XDD Also wird es keine lange Pause geben. ^^ Ich halte meinen Zeitplan bis zum Schluss durch. *nick* Aber bis dahin ist noch Zeit... Und nächstes Mal (in drei Wochen) wird es ein sehr schönes Kapitel geben. ^_- Freut euch... 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