Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 11: Abschied -------------------- 11. Kapitel: Abschied [Ein kurzes Wiedersehen, schon wieder Abschied Eine Vorherbestimmung?] ---------------------------------------- „Weil ich dich liebe.“ Kagegakus warme Stimme und die gewaltige Bedeutung seiner Worte traf direkt in das Herz des Blonden, während es ihm selbst die Sprache verschlug. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte es sich gewünscht, doch im Grunde kaum Chancen dafür gesehen. Der Schwarzhaarige schien für ihm immer unerreichbar, ein Traum, der zerplatzte, sobald er sich sicher fühlte. Wie konnte es nur möglich sein, dass es überhaupt nicht so war, wie er die ganze Zeit geglaubt hatte. War er blind gewesen? Zu stur, um die Augen zu öffnen und die Wahrheit zu sehen? Oder war auch dieser Moment nur ein Traum, den er sich in seiner Verzweiflung zusammengesponnen hatte? Doch es fühlte sich so verdammt echt an. Ganz anders als seine trügerischen Einbildungen. Kagegaku hatte es gesagt und die Bedeutung jener Worte waren nicht misszuverstehen. Von seinem unverhofftem Glück überwältigt, wollte der Blonde etwas erwidern. Er blickte Kagegaku in die Augen, während dieser seine Schultern berührte. Und genau in dem Moment, als Hyde glaubte, nichts würde mehr passieren können, fiel er plötzlich in eine bedrückende und pechschwarze Dunkelheit. In Sekundenschnelle war alles um ihn herum mit Finsternis überzogen. Es war so dunkel, dass er nicht einmal seine eigene Hand vor Augen sehen konnte. In weiter Ferne hörte er noch undeutlich die Stimme des Strategen. „Ich liebe dich!“, schwor dieser, bevor es schließlich beängstigend still wurde. Obwohl er ein merkwürdiges Gefühl hatte, wusste der Blonde sofort, dass er sich wieder in einer seiner seltsamen Erinnerungen oder Visionen befand. An jene ungewöhnlichen Aussetzer, die von Mal zu Mal schlimmer und intensiver wurden, hatte er sich gewöhnt, trotzdem passierte es immer völlig unerwartet. Alles, was er während dieser wenigen Sekunden spürte, fühlte sich täuschend echt an. Sowie auch die panische Angst, die soeben rasend schnell durch seinen Körper fuhr. Wie ein Blitz, der die Finsternis verjagte und ihn kurz wieder sehen ließ. Doch das, was er erblickte, konnte er nicht begreifen. Es waren verschwommene Farben, Flächen, Linien. Sie ergaben ein Bild, doch keinen Sinn. Es war, als konnte sein Gehirn das Gesehene einfach nicht verarbeiten. Als wäre es grundsätzlich nicht im Stande dazu. Es machte ihn wahnsinnig. Er konnte sehen, dass etwas passierte, obwohl es eigentlich nur eine Empfindung zu sein schien. Ein nebliger Traum mit schwarzen Bildern. Nur ein Gefühl, in dem unzählige Zeitpunkte seines Lebens gebündelt waren. Obwohl alles verworren war, kristallisierte sich ein bestimmter Augenblick sehr deutlich hervor. Ein Moment, in dem tiefste Gefühle in Hitze zu explodieren schienen. Ein Feuer, welches ihm fremd und doch irgendwie vertraut war. Er spürte Kagegaku ganz nah bei sich. Seine Hände, seine Lippen. Sie berührten sich, ganz zart und überall. Sein Körper glühte wie im Fieber, als passierte es tatsächlich. Es war wundervoll und doch war da auch Trauer. Als wäre es ihr endgültiger Abschied, in Tränen und Zärtlichkeit. Die Unendlichkeit ihrer Gefühle, die keine Zukunft hatten. Warum er so negativ fühlte, während er diesen aufregenden Moment mit Kagegaku teilte, war ihm schleierhaft. Er wusste nur, dass ihn eine bekannte Furcht das Leben zur Hölle machte. Angst vor der Einsamkeit und dem Tod. Sie war soeben realer und stärker als je zuvor. Sie schnürte ihm die Luft ab, sie schlug schmerzhaft gegen seine Brust, während er den Schwarzhaarigen plötzlich leblos in seinen Armen liegen hatte. Seine steifgefrorenen Hände berührten das kalte Gesicht, welches von nassen Haaren bedeckt war. Er erzitterte vor Panik, während ihm immer kälter wurde. Gerade als er glaubte, dass alles nicht mehr ertragen zu können, erwachte er aus dieser höllischen Illusion. Er schwitzte und sein Herz raste. Geschockt blickte er dem Samurai ins Gesicht, der ihn ernst und doch sanft ansah, bevor ein „Aber ...“ automatisch die Lippen des Blonden verließ. Verwundert legte Hyde sofort die Finger auf seinen Lippen. Er hatte gesprochen, obwohl er es nicht gewollt hatte. Hatte er die Kontrolle über seinen eigenen Körper verloren? Was passierte mit ihm? Er glaubte immer noch, in seinem Traum zu stecken. Oder war der Traum Wirklichkeit geworden? Irgendetwas schien anders zu sein, als die vielen Male zuvor. Er spürte keine Grenze zwischen Illusion und Wahrheit mehr. Er hatte immer noch Angst, als würde man ihm ein scharfes Messer an die Kehle halten. Als wäre sein Leben akut bedroht. Und die Dunkelheit um ihn herum war ebenfalls nicht verschwunden. Hyde schüttelte heftig den Kopf. Er wollte diesen Schatten auf seinem Herzen loswerden. Doch egal, wie sehr er sich dagegen wehrte, es wollte nicht verschwinden. Es erdrückte ihn, es schmerzte. Verzweifelt versuchte er, die Qual zu unterdrücken, während der Stratege fragend in seine Augen sah. „Was ist los mit dir? Bist du doch verletzt?“, wollte dieser beunruhigt wissen, als sich der Blonde stöhnend an die Brust fasste. „Ich ... weiß es nicht“, antwortete Hyde erschöpft. Tatsächlich wusste er nicht, was mit ihm los war. So intensiv war es bisher nie gewesen. Die Angst wurde zur schmerzenden Folter und er war am Ende seiner Kräfte. Seine Lider waren schwer und die Augen brannten. Einfach alles tat ihm weh. Er wusste nicht einmal, ob er in der Lage war aufzustehen. Düster blickte er auf seine zitternde Hand, die Kagegaku plötzlich in seine nahm. Als dieser dann das schwarze Stoffband, welches sein langes schwarzes Haar im Nacken zusammenhielt, abzog und es sorgsam um die blutigen Schrammen seines linken Handgelenks wickelte, spürte Hyde, wie die Qualen langsam nachließen. Kagegakus Hände versorgten seine Verletzungen, doch in Wahrheit heilten sie auch sein inneres Leid. Und sie waren so unglaublich warm. Perplex verfolgte der Blonde jeden einzelnen Handgriff. Es war wie ein Wunder, welches ihn sprachlos machte. Aber vielleicht waren es einfach nur die sanften Berührungen ihrer Hände, die ihn ruhiger werden ließen. Vielleicht war es allein der Gedanke, dass Kagegaku lebte, dass er hier war, sich um ihn kümmerte und ihn beschützen wollte. „Es tut mir Leid. Ich hätte dich niemals gehen lassen dürfen. Das alles ist allein meine Schuld“, beteuerte der Samurai voller Reue, während er die verbundene Hand des Blonden nicht losließ. Hyde schwieg und schüttelte den Kopf, weil er dem Strategen nicht zustimmen konnte. Es war nicht sein Fehler. Nichts von alledem, was passiert war, war die Schuld des Schwarzhaarigen. Wenn es einen Schuldigen gab, dann ihn selbst, denn er sträubte sich engstirnig gegen diese Welt und ihre Sitten. Er war der Dumme, der Fehler gemacht hatte, nicht der Stratege. Er brachte Kagegaku ständig in Gefahr. Er war der Schwachpunkt, den der feindliche Bruder benutzte, um dem Oberhaupt der Nishiyama zu schaden. Auch wenn dessen Plan vorerst vereitelt war, garantierte das noch lange nicht ihre Sicherheit. Er spürte es. Es würde früher oder später wieder geschehen. Irgendetwas würde passieren. Etwas Schlimmeres, als er sich ausmalen konnte. Die Furcht, die er in seinem Traum vernommen hatte, war eine Warnung, die Gelegenheit, es abzuwenden. Wenn er sie nicht wahrnahm, dann würde er das bevorstehende Unglück nicht mehr aufhalten können. Und die Gefahr war tatsächlich real. Er hatte es am eigenen Leib spüren müssen. Es war keine normale Einbildung mehr gewesen, die er schnell wieder vergessen konnte. Die Angst war allgegenwärtig. Sie war immer noch da. Er sah sie, wenn er den Strategen anblickte, er fühlte es, wenn dieser ihn berührte. Als wolle eine höhere Macht auf keinen Fall, dass er es jemals vergaß. Aber was sollte er tun? Er konnte nicht vor Kagegaku fliehen. Er konnte nicht weglaufen. Der Stratege hatte bewiesen, dass er ihn überall suchen würde. Egal wie weit er lief, Kagegaku würde ihn einholen. Egal wo er sich versteckte, er würde ihn finden. Nicht einmal mehr abweisen könnte er den Schwarzhaarigen. Blieb er bei ihm, würden es so passieren wie in seinem Traum. Er würde es nicht ändern können, weil er nicht wusste, wie dagegen ankämpfen sollte. Noch nie hatte er etwas an seinem Schicksal ändern können. Alles war bisher genauso passiert, wie er es geträumt hatte. Wahrscheinlich waren es auch nie Träume gewesen. Vielleicht waren es seine inneren Wünsche, die er selbst wahr machte. Vielleicht waren es wirklich Erinnerungen, die er vergessen hatte. Erinnerungen, die sich während seiner Zeitreise hierher verirrt hatten und nun zu seinen Wünschen wurden. Aber er wollte sie nicht. Er wollte nicht, dass es wahr wurde und er daran litt. Er wollte mit Kagegaku zusammen sein, sein Leben mit ihm verbringen und nie wieder an etwas anderes denken. Doch das ging nicht. Selbst wenn er all seine Erinnerungen ignorierte, konnte er davor nicht weglaufen. Denn sie waren Teil seines Schicksals. Sie zwangen ihn dazu, Dinge zu tun, die er nicht wollte. Er musste es akzeptieren. Doch immer wenn er dem Schwarzhaarige in das Gesicht blickte, verließ ihn der Mut und er wünschte sich einfach nur, den Strategen in seine Arme zu schließen. Doch stattdessen konnte er ihn nur ratlos ansehen. Die gesenkten Wimpern des Samurai warfen zarte Schatten auf die helle Haut unter seinen Augen. Sie blickten reumütig, was Hyde hilfloser machte. Und als dieser ihn plötzlich wieder ansah und mit seinen Fingern seine Wangen berührten, spürte der Blonde wie ihm heiße Tränen in die Augen stiegen. Er wusste keinen Ausweg, er fühlte sich verlorener denn je. Er musste sich schwer eingestehen, dass es nicht nur die Prinzessin war, die sie auseinandergezerrt hatte. In Wahrheit waren sie wahrscheinlich nicht einmal füreinander bestimmt. Wie sollte dies auch möglich sein? Wie sollten zwei Seelen, die in verschiedene Zeiten gehörten, miteinander verbunden sein? Warum konnte er nicht an dieses Wunder glauben? Es funktionierte einfach nicht. Dies war kein Märchen, in dem die Liebe über alles siegte. So simpel war die Realität nicht. Sie standen inmitten eines Schlachtfeldes. Von allen Seiten drohten tödliche Gefahren. Und immer wenn sie sich erleichtert in die Augen sahen, erlitten sie Verletzungen. Wenn sie nicht aufpassten, würde einer von ihnen sterben. Genau das war die schreckliche Wahrheit, nichts anderes. Vielleicht würden sie nie zusammen sein können. Nicht hier, nicht in dieser Zeit. Doch im Herzen wünschte er sich nichts sehnlicher. Er wollte Kagegaku nicht aufgeben, nicht nachdem er endlich erfahren hatte, dass sie die selben Gefühle teilten. „Bitte sag mir doch, warum du so abweisend zu mir bist“, flüsterte der Schwarzhaarige, als dieser Hydes Abwesenheit bemerkte. Der Blonde blickte ihn sofort wieder an und war bestürzt von dem bedrückenden Elend, welches er in Kagegakus Augen lesen konnte. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Er wusste nicht, was ihn davon abhielt Kagegakus Gefühle anzunehmen und zu erwidern. Theoretisch gab es keinen Grund zu schweigen, doch praktisch sah alles völlig anders aus. „Warum?“, murmelte der Stratege verzweifelt. Hyde schüttelte stumm den Kopf, während er seine Tränen nun nicht mehr zurückhalten konnte. Sie kullerten haltlos über seine Wangen und tropften auf den Kragen seines Kimonos. Er kam sich schrecklich undankbar vor. Der Stratege war gekommen, um ihn zu retten, und alles, was er als Dank entgegen bringen konnte, war Abweisung. Er hatte sich seine Fehler eingestanden und doch konnte er immer noch nicht er selbst sein und Kagegaku die Wahrheit sagen. Er konnte nicht aufhören, sich neue Steine in den Weg zu legen. Es ging nicht anders, denn seine Angst vor dem was noch kommen mochte war zu groß. Er wusste, dass seine Zukunft eine einsame war und dass er für Kagegaku eine Gefahr darstellte. Deswegen konnte er ihm seine Gefühle nicht beichten. Wahrscheinlich würde er es nie tun können. Kagegakus warme Hände, die seine von Tränen feuchte Haut streichelte waren wie ein Segen, doch zurückgeben konnte er einfach nichts. Die unsichtbare Mauer aus Angst schreckte ihn ab. „Ich liebe dich. Ich verlange nicht von dir, dass du meine Gefühle erwiderst. Ich möchte einfach nur, dass du bei mir bist“, murmelte der Stratege, bevor er nassgeschwitzte Strähnen aus dem Gesicht des Blonden strich. Hyde schluckte schwer, als er feststellte, wie bescheiden der Wunsch des Schwarzhaarigen im Gegensatz zu seinem war. Selbstsüchtig verlangte er nach Liebe, die nur ihm gehörte, während Kagegakus nicht einmal erwartete geliebt zu werden. Wie lange hatte er gelitten, weil er geglaubt hatte, Kagegaku würde Gefühle für die Prinzessin hegen, statt für ihn. Wie oft hatte er den Schwarzhaarigen zurückgewiesen, weil er sich nicht mit dem polygamen Liebesleben eines Samurai abfinden konnte? Wie viel Zeit hatte er mit seinen dummen Gedanken verschwendet? Wie viele Glücksmomente hatte er verloren oder kaltherzig weggeworfen? Er fühlte sich gierig, klein und ärmlich unter den dunklen Augen des Samurai, weswegen er sich diesem Blick abwandte. Doch der Stratege ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Er wollte endlich all seine Gefühle aussprechen, alles sagen, was er bisher versäumt hatte, auch wenn der Zeitpunkt dafür alles andere als günstig war. Während es zu dämmern begann und das Gesicht des Schwarzhaarigen in helleres Blau tauchte flüsterte dieser leise „Für immer ...“ Hyde jedoch griff nach der Hand des Strategen und drückte sie von sich. „Das kann ich nicht“, antwortete er mit brüchiger Stimme. Kagegaku war genau anzusehen, dass er verletzt war, trotzdem nickte er nur darauf und zwang sich ein gespieltes Lächeln ab. Hyde kam sich unglaubwürdig vor, wie er unter Tränen die aufrichtigen Gefühle des Strategen abzublocken versuchte. Obwohl er bis vor wenigen Minuten noch so sehr auf diese Worte gehofft hatte und sogar geglaubt hatte, sein Leben hätte sich verändert, war alles genauso geblieben wie vorher. Er hatte sich schrecklich geirrt. Er war nicht hierher gekommen, um Kagegaku zu beschützen, sondern um ihn ins Verderben zu stürzen. Das hatte er endlich begriffen. Er hatte es gesehen und gespürt. Es gab überhaupt keine Zweifel mehr. An seinen Händen klebte der Tod. Er konnte es regelrecht riechen. Kagegaku wandte seinen Blick von Hyde ab und starrte stattdessen auf das taufeuchte Gras. Es herrschte eine minutenlange Stille, die dem Blonden unangenehm war. Er wollte aufstehen, doch als der Stratege plötzlich wieder zu sprechen begann, hielt er inne. „Dann ... gestatte mir wenigstens ... dich in Sicherheit zu bringen.“ Die letzten Worte waren nur noch ein leises Flüstern, welches Hyde mitten in sein gebeuteltes Herz traf. Es fiel ihm schwer dieses Gefühl zu verbergen. Er konnte dem Schwarzhaarigen nicht mehr in die Augen sehen. Er konnte es nicht ertragen, wie sich seine ekelhafte Gestalt in Kagegakus Pupillen spiegelte. Die Schuld, die auf seinen Schultern lastete, und die Angst vor sich selbst waren einfach zu schwer. Er drehte sich zur Seite und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die immer wieder über seine Wangen flossen, während er einfach nur nickte. Die ersten Vögel begannen zu zwitschern und verkündeten einen neuen Tag. Ansonsten war es totenstill. Es war bedrückend, schlimmer als die Qual, die ihn daran hinderte, irgendetwas zu sagen. Es tat ihm weh, Kagegaku leiden zu sehen. Er liebte ihn. Er wäre für ihn gestorben, weil er wusste, dass es dem Strategen ohne ihn besser ergehen würde. Er glaubte nicht daran, dass er in der Lage war, sich jemals den strengen Regeln dieser Zeit beugen zu können, genauso wie er es für unmöglich hielt, dass er in sein Tokio zurückreisen könnte. Der einzige Weg, der ihm geblieben war, schien nur noch das Ende seines Lebens zu sein. Doch da Kagegaku dasselbe für ihn empfand, würde dieser niemals zulassen wollen, dass der Blonde sein Leid freiwillig beendete. Er war nun ein Gefangener von seinen und Kagegakus Gefühlen. Ohne Ausweg. Hätte der Stratege ihn doch nie gerettet, hätte er sich doch nie in ihn verliebt. Es war seine eigene Schuld. Der Kuss an jenem Winterabend, hätte niemals passieren dürfen. Er hätte gern gewusst, wie er sich beim Strategen entschuldigen könnte, doch sein Kopf war leer. Dass der Schwarzhaarige keinen Ton mehr sagte, verwirrte ihn, doch er wollte auch keinen Blick mehr in dessen Gesicht riskieren. Er schämte sich zu sehr. Er schämte sich, überhaupt hier zu sein. Es ging einfach nicht weiter. Sie befanden sich in einer Sackgasse und keiner der Beiden wusste, wie es zurück ging. „Ich ...“ Verunsichert zupfte Hyde am schwarzen Stoffband, welches um sein linkes Handgelenk gewickelt war, während er das näherkommende Geräusch von Hufen hörte. Er zuckte zusammen, als Kagegaku ihn plötzlich beschützend in seine Arme nahm und „Still!“ flüsterte. Damit sie unentdeckt blieben, drückte ihn der Samurai flach zu Boden, während die freie Hand kampfbereit zu seinem Katana fuhr. Obwohl Hyde sich in Kagegakus Nähe sicher fühlte, klammerte er sich wie ein ängstliches Kind an die Brust des Strategen und versuchte angestrengt, seine stoßende Atmung zu kontrollieren. Seine Finger gruben sich verkrampft in den schwarzen Kimono des Kriegers, während ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Doch obwohl ihre Situation nicht die beste war, wünschte sich der Blonde nichts sehnlicher, als dass die Zeit in genau jenem Moment stehenbliebe. Er hatte Angst und trotzdem fühlte er sich geborgen. Bliebe alles genau so wie es gerade war, konnte ihnen nichts mehr geschehen. Und das wünschte er sich mehr als alles andere auf dieser Welt. Während er selbstsüchtig dachte, dass er ewig so in Kagegakus Armen liegen könnte, drückte ihn der Samurai fester an sich. Er konnte das rasende Herz hören, welches von der eigenen Aufregung zeugte. Und Hyde realisierte mit einem Mal, dass selbst Kagegaku, ein mutiger Krieger, der bereits unbeschreibliche Grausamkeit gesehen hatte, Furcht zu haben schien. Doch konnte sie sich wirklich mit seiner Panik, dessen Ursprung er nicht einmal kannte, messen? Entmutigt schloss Hyde seine Augen, bevor der Stratege ihn auf einmal losließ. „Fukushima“, kam es erleichtert über die Lippen des Schwarzhaarigen, als dieser seinen Freund erkannt hatte. Der Berater war in Begleitung Yukitakas, den Kagegaku nach Kasugayama geschickt hatte, bevor er die Verfolgung des Reiters und seinem Gefangenen aufgenommen hatte. Sofort stieg Fukushima von seinem Pferd und eilte den Hügel zu seinem Herrn hinab. Aufgeregt fiel er auf die Knie, den Kopf senkte er so tief, dass seine Stirn den Boden berührte. „Ich habe versagt“, gab er reumütig zu, „eine Entschuldigung kann meine ungeheuerlichen Taten nicht ungeschehen machen.“ „Erkläre mir, was passiert ist“, bat Kagegaku, nachdem er aufgestanden war. Natürlich fühlte er Enttäuschung, wenn er den treuen Freund ansah, doch er wusste auch, dass es einen Grund für dessen Versagen geben musste. Fukushima war sein bester Mann. Was ihm nicht gelang, schaffte schlichtweg niemand. „Ich war unachtsam. Hidetori wurde aus seiner Zelle befreit, während ich versuchte, der Wahrheit hinter dem Mordversuch, auf den Grund zu gehen. Ich hätte es ahnen müssen“, beteuerte Kagegakus Berater. „Sucht man auf Kasugayama nach Hidetori?“, wollte der Stratege wissen. Fukushima schüttelte den Kopf. „Kurz nachdem Hidetori verschwunden war, berichtete Kagemura davon, dass die Wachen von schwarzmaskierten Kämpfern überfallen und der Gefangene befreit wurde. Es sollen Nobunagas Männer gewesen sein.“ Skeptisch blickte das Oberhaupt auf den Blonden nieder. Obwohl Hidetori ihm bereits vor seiner Abreise die ausgesprochen irrsinnige Geschichte von Nobunaga erzählt hatte, glaubte er immer noch nicht daran, dass sie wahr war. Dass der Blonde Verbindungen zum Feind besaß, war für ihn nach wie vor ausgeschlossen. „Weißt du, wer es war?“, fragte er Hyde, obwohl er sich natürlich gut denken konnte, wer hinter alldem steckte. Dem Blick des Strategen ausweichend, erklärte der Blonde mit leiser Stimme, was ihm widerfahren war. „Euer Bruder schlug mich ... bewusstlos. Kurz darauf bin ich auf dem Pferd aufgewacht. Alles was ich noch mitbekam ... war wie Kagemura sagte, dass mich niemand sehen soll.“ „Er wollte Euch ködern“, stellte Fukushima murmelnd fest, als er aufsah und seinen Herrn anblickte. „Er will mich in die Knie zwingen und dafür benutzt er den Menschen, der mir das Kostbarste ist.“ Im Augenwinkel registrierte Hyde Fukushimas zustimmendes Nicken, während ihm bei Kagegakus geständigen Worten immer unwohler zumute wurde. Er fühlte sich nicht würdig, vom Schwarzhaarigen als kostbar bezeichnet zu werden. Schließlich war er es doch, der dem Strategen Unheil brachte und letztendlich wohl auch in der Lage war, ihn zu töten. Brachte Kagegaku ihn tatsächlich in Sicherheit, war dies der Vertrauensbruch mit seinem Daimyo. Der Stratege war verloren, käme dies Kenshin irgendwann zu Ohren. Er riskierte alles, nur um das sowieso schon unwichtige Leben eines Mannes zu retten, der noch nicht einmal in diese Welt gehörte. Wie würde der Blonde mit dieser Schuld leben können? Wie würde er Kagegaku dann noch in die Augen sehen können? „Hidetori, hör mir gut zu“, bat der Stratege ernst, während er den Blonden an den Schultern packte und sein Gesicht so tief senkte, bis er Hyde in die Augen sehen konnte. „Ich werde jetzt nach Kasugayama reiten, um dort eine falsche Fährte zu legen. Fukushima und Yukitaka werden dich in Sicherheit bringen.“ „Kagemura hat bereits selbst eine falsche Spur gelegt“, wollte Fukushima hinweisen, doch der Stratege schüttelte den Kopf. „Mein Bruder wird sich eine neue Geschichte einfallen lassen, wenn er erfährt, dass ihm Hidetori entwischt ist. Ich muss ihm zuvorkommen.“ Der Berater stimmte Kagegakus Plan mit einem Nicken zu, während der Stratege dem Blonden vorsichtig auf die Beine half. Er zog ihn zu sich nach oben und nahm ihn in seine Arme. Hyde reagierte mit einem ablehnenden Murren, welches der Samurai bewusst ignorierte. Er trug Hidetori den Hügel hinauf und setzte ihn auf Fukushimas Pferd, bevor er sich noch einmal an seinen Freund wandte. „Fukushima, bring ihn nach Tokura. Ihr wartet dort auf mich.“ Der Angesprochene nickte. Er war sich seiner Pflicht bewusst. Und auch, dass er dieses Mal nicht versagen durfte. Eher würde er sich den Bauch aufschlitzen, als Hidetori noch einmal einer Gefahr auszusetzen. Sein Ziel klar vor Augen stieg Fukushima vor Hyde auf das Pferd und nahm die Zügel in seine Hände. Währenddessen starrte der Blonde verunsichert auf den Strategen hinab, und traf sofort auf seinen besorgten Blick. In seiner Hand hielt der Stratege ein graues Tuch, welches er Hyde mit einem „Hier“ entgegenstreckte. „Binde es um deinen Kopf und zeige niemandem dein Haar“, meinte Kagegaku, der befürchtete, dass Hidetori mit seiner außergewöhnliche Haarfarbe über die Provinzgrenzen bekannt war. Auch, dass er als Feind geflohen war, sollte sich bereits weitergetragen haben. Der Blonde nickte zurückhaltend und antwortete mit einem gemurmelten „Ja“, bevor er sein blondes Haar unter dem Leinentuch verbarg. „Und das hier solltest du auch an dich nehmen“, kam es zögerlich von Kagegaku, während er Hyde seinen Dolch in die Hand legte. Nervös blickte der Blonde in die Augen des Samurais. Er schüttelte den Kopf und schob die Waffe verunsichert zurück in die Hände des Strategen. „Nur für alle Fälle“, meinte Kagegaku nachdrücklich, dessen ehrlich Sorge in seiner Stimme herauszuhören war. Mit einem beklommenen Gefühl nahm Hyde schließlich die Waffe zaghaft an sich. Er tat es, um dem Strategen die Unruhe, die er deutlich spüren konnte und die ihn selbst fast verrückt machte, zu nehmen. Ob er sie jedoch einsetzen könnte und würde – und sei es auch nur zur Verteidigung – wusste er nicht. Er schob den Dolch zwischen Kimono und Obi, während seine Augen wie gefesselt an Kagegakus hingen. Er fühlte sich schuldig und schwach, weil er dem Strategen nicht einmal zum Abschied etwas sagen konnte. Obwohl ihm tausend Worte durch den Kopf schwirrten, konnte er einfach nichts sagen. Keine Silbe kam über seine Lippen, nur der starre Blick, den der Samurai besorgt erwiderte. „Du darfst niemandem sagen wer du bist. Wirklich niemandem“, legte Kagegaku dem Blonden nahe. Als er dies sagte, glaubte Hyde, sich plötzlich während ihres endgültigen Lebewohls wiederzufinden. Er spürte eine unerklärliche Distanz. Eine weite Ferne, die vor ihnen lag. Sie erinnerte ihn an die Einsamkeit, die er während all seiner seltsamen Illusionen gefühlt hatte. Es war erdrückend. Als würde der Stratege vor seinen Augen verschwinden, zu Nebel werden, einer Erinnerung, die er sich im Herzen bewahren musste. Würden sie sich wiedersehen können? Trennten sich nun endgültig ihre Wege? Aber wie konnte das sein? Was hatte dann sein seltsamer Traum zu bedeuten? Er war doch so real gewesen. Er hatte doch Kagegakus Lippen gespürt und wie dessen Hände durch sein Haar gefahren waren. Würde diese Erinnerung nun doch nicht wahr werden? Er war hin- und hergerissen von seinen Gefühlen, die er hinausschreien wollte, und seiner Vernunft, die ihn genau davon abhielt, während er aus einem sonderbaren Impuls heraus den Namen des Strategen flüsterte. Es war so leise, dass er es selbst kaum verstanden hatte, doch der Schwarzhaarige schien das Unmögliche vernommen zu haben. Er weitete perplex die Augen, die sofort hoffnungsvoll schimmerten. Hyde bedauerte seine unbedachte Handlung, denn noch nie hatte er Kagegaku mit seinem Namen angesprochen. Für den Samurai hatte es eine Bedeutung. Dieselbe wie für den Blonden und doch war sie beiden nur ein Hindernis. Denn das Gefühl, dass es für sie keine Zukunft gab, wurde stärker und stärker. Konnte der Stratege es auch spüren, hatte er seine Gedanken gehört, es von seinen Augen abgelesen? Merkwürdig wandte Kagegaku seinen Blick vom Blonden. „Wenn ich zurück bin, überlege ich, wie es weitergeht“, meinte er mit einer eigenartig düsteren Stimme, die Hyde buchstäblich das Herz zerriss. Er wusste nicht warum, aber er hatte sich, so kindisch wie er war, andere Worte gewünscht. Worte, an die er sich selbst während der schlimmsten Stunden immer erinnern konnte. Worte, die über Jahre hinweg Mut schenken und ihm die Einsamkeit nehmen würden. Er brauchte sie, denn es waren wohl die letzten Worte, die er von Kagegaku bekommen würde. Das letzte Mal, dass er seine Stimme hörte. Er musste stark sein, doch der Gedanke an ihren wiederholten eisigen Abschied, war bitter. Das letzte Mal hatte er es bereits bereut und nun machte er genau denselben Fehler. Und dieses Mal wusste er sogar, dass sie sich wahrscheinlich nie wiedersehen würden. Trotzdem kam ihm nicht in den Sinn, was er sagen konnte. Jedes Wort, welches seine Lippen verlassen würde, hätte seine Absicht verraten. Kagegaku hätte es sicher sofort bemerkt. Also schwieg er lieber, denn damit befand er sich auf der sicheren Seite. „Halt dich fest“, kam es ernst von Fukushima und Hyde tat sofort, was ihm gesagt wurde. Er schlang seine Arme um den Bauch des Beraters und ehe er sich versah, wurde ihre Trennung Realität. Fukushima trieb das Pferd voran, es galoppierte los. Nur kurz blickte Hyde zurück, bevor er seine Augen schloss und sein Gesicht an den Rücken des Beraters drückte. Ihm entwich ein verzweifeltes Schluchzen. Noch nie war der Schmerz so stark gewesen, noch nie hatte er sich so elend gefühlt. Alles, was bisher passiert war, schien nichts im Vergleich zu dieser unendlichen Leere, die ihn aufzufressen drohte. Die Hölle, die er gesehen hatte, war nun kein Traum mehr. ---------------------------------------- Das war ein kleines depressives Kapitel für euch, an Gakus Geburtstag. Tolles Timing. >_> Leute, ich kann echt nichts dafür, dass Hyde so drauf ist. Ich kann mich nur wieder für ihn entschuldigen. Aber der Arme hats doch wirklich nicht leicht. ó.ò Also ich würde wirklich nur noch heulend in der Ecke sitzen *lach* Naja egal … Wir lesen uns bald wieder. Bye Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)