Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 10: Rettung ------------------- 10. Kapitel: Rettung [Mein lautloser Schrei dringt in dein glühendes Herz Bitte rette mich!] ---------------------------------------- Die letzten Sonnenstrahlen des Tages suchten sich ihren Weg durch das hölzerne Gitter seiner Gefängniszelle. Nur noch schwach wärmten sie seine Hände, bevor die hereinbrechende Nacht sie in kühle Dunkelheit tauchte. Immer stiller wurde es in den Gängen und auf dem Hof von Kasugayama. Nur noch die langsamen Schritte der Wachen, die vor seiner Zelle auf und ab gingen, wechselten sich gleichmäßig mit dem pfeifenden Schnarchen eines schlafenden Häftlings nebenan ab. Wie im Zeitraffer waren die letzten Tage vor ihm davongerast. Seiner verloren geglaubten Zeit rannte er vergebens hinterher, seit er bereitwillig in die ihm gestellte Falle gelaufen war. Doch selbst wenn er die rasende Uhr zurückdrehen könnte, an seinen Taten würde er nichts ändern wollen. Er bereute es nicht, denn er war überzeugt, dass einzig Richtige getan zu haben. Er hatte Kagegaku gerettet. Genau so, wie es seine Aufgabe gewesen war. Deswegen war er hierher gekommen, deswegen war er dem Strategen begegnet. Er war seinen Erinnerungen gefolgt, die ihm diesen Weg vorgelegt hatten. Und dafür musste er nicht einmal sein Herz verleugnen. Es waren seine Gefühle für den Samurai, die ihn dazu gebracht hatten, den höchsten Daimyo in Echigo anzulügen, um das Leben des ihm wichtigsten Menschen zu schützen. Die Konsequenzen waren ihm bekannt und doch hatte er keine Sekunde lang gezögert. Eine andere Wahl war ihm auch nicht gegeben worden. Von Anfang an hatte es für ihn keine Alternativen gegeben. Seit dem ersten Tag in dieser Welt, seit er begriffen hatte, dass er mehr für den Samurai empfand als nur freundschaftliche Zuneigung. Dafür war er ohne zu zögern bereit gewesen, seine Vergangenheit ein für alle Mal zu vergessen und sein Leben neu zu beginnen. Nie mehr wollte er an sein früheres Leben denken, nie mehr versuchen, einen Weg zurück in seine Zeit finden. Der Gedanke, noch vor einem halben Jahr durch die belebten Straßen Tokios gelaufen zu sein, war so unwirklich wie ein Traum. Er konnte es sich nicht vorstellen, jemals dorthin zurückzukehren, jemals wieder einen Auftritt mit seiner Band zu haben oder vor einem Fotografen zu posen. Diese Welt existierte nicht mehr, sie war völlig verschwunden. Die Erinnerungen waren verblasst und hatten Platz für mehr unbekannte Bilder und Szenarien gemacht, die eines Tages real werden würden. Alles, was davor war, schien wie eine Illusion. Es waren schemenhafte Erinnerungen, über die er heute nur noch den Kopf schütteln konnte. Zog er die letzten sechs Monate als Vergleich heran, schienen seine Sorgen und Probleme, die er damals gehabt hatte, einfach nur belanglos. Nie hatte er sich ernsthafte Gedanken über seinen Tod gemacht. Es war eine absurde Sache, die nur anderen passierte. Er war ein Star, der Sänger einer unglaublich erfolgreichen Band. Nie hätte er gedacht, dass er in dieser mittelalterlichen Zelle sitzen und schlaflos auf den letzten Morgen seines Lebens warten würde. Hatte er es überhaupt begriffen? Er würde das letzte Mal die Sonne sehen, das letzte Mal den Wind spüren. Wann hatte er überhaupt einmal einen Gedanken an solche Dinge verschwendet? Nie hätte er sich vorstellen können, dass für ihn all das bald nicht mehr existieren würde, dass sein Leben so früh zu Ende gehen würde. Vor allem nicht auf diese Weise. Mit zitternden Händen fasste sich Hyde an den Hals. Nur noch wenige Stunden und man würde ihn enthaupten. Dabei müsste er eigentlich in irgendeinem Studio sitzen und ihre neue Single einsingen. Eine Single, die er noch nicht einmal geschrieben hatte. Denn bevor er dies hatte tun können, war er unfreiwillig aus seinem intakten Leben gerissen worden. Es gab keine Konzerte oder Meetings mit dem Staff mehr, keine Gespräche mit dem Manager oder Interviews mit einer Zeitschrift. Stattdessen diese dunkle Zelle, in der er gelandet war, nur weil er jemanden beschützen wollte. Er hatte das Schema sofort durchschaut. Gleich nachdem ein junger Bursche während der Audienz in den Raum gekommen war und mitgeteilt hatte, dass der Vorkoster an einer Vergiftung gestorben war. Es waren die Omogashi* gewesen, die Kagegaku ihm als Geschenk für Kenshin mitgegeben hatte. Doch dass der Stratege der Drahtzieher dieses Mordversuches sein sollte, schien für den Blonden ausgeschlossen. Keine einzige Sekunde hatte Hyde gebraucht, den wahren Täter zu ermitteln. Er hatte ihm direkt gegenüber gesessen, gegrinst und dann erschüttert getan. Ohne zu zögern warf Kagemura seinem eigenen, nicht anwesenden Bruder Hochverrat vor und Kenshin war dabei ihm zu glauben. Dem Blonden war in dieser Situation nur diese eine Möglichkeit geblieben. Er gab vor, in Wahrheit ein Spion zu sein, der es auf das Leben des feindlichen Daimyos abgesehen hatte. Es fiel ihm kaum schwer, denn nur einen Tag zuvor hatte er Kagegaku genau die selbe Geschichte erzählt. Er nahm selbstlos die Schuld auf sich und entlastete den Strategen. Dafür wurde er zum Tode verurteilt. Obwohl seine Stunden gezählt waren, verspürte er aber kaum Angst. Er war so ruhig wie noch nie in seinem Leben. Aber vielleicht war es auch nur eine Art Lähmung, die ihn vor einer nutzlosen Panik bewahrte. Denn tun konnte er nun nichts mehr. Eine Flucht würde ihm nicht gelingen. Selbst wenn er es aus dieser Zelle schaffte. Der Weg aus der Burg und somit in die Freiheit war von unzähligen mit Katana bewaffneten Kriegern bewacht. Sie hätten ihn geschnappt, noch bevor er überhaupt versuchen konnte, über die hohe Mauer zu klettern. Doch egal, wie aussichtslos seine Situation schien, das einzige, woran er die letzten Stunden immer wieder denken musste, war das Oberhaupt der Nishiyamas, für den er letztendlich sterben würde. Er starb für die wenigen Wochen, die er mit dem Samurai verbringen durfte, für die kurzen zärtlichen Momente mit diesem. Er hatte für ihn gekämpft. Nicht mit dem Katana, sondern mit seinen Lügen, in die er sich immer weiter verstrickt hatte. Genau jene Lügen, die ihm Kagegaku nicht geglaubt hatte. Dass er so todesmutig war und sich tatsächlich für einen anderen Menschen opfern konnte, war Hyde bis vor wenigen Tagen nicht bewusst gewesen. Aber vielleicht hatte er bisher auch noch nie so sehr geliebt. Viellicht hatte er nie verstanden, was es hieß, wirklich zu lieben, und was es bedeutete, für den Anderen sterben zu wollen. Jetzt wusste er es. Obwohl er einfach nicht dazu bereit war, die Liebe und Zuneigung des Strategen mit jemand anderem zu teilen, hätte er wohl – unabhängig davon – alles für den Samurai getan. Doch nun war es vorbei. Das kühle Auf-Wiedersehen, welches er dem Strategen vor die Füße geworfen hatte, war auch gleichzeitig sein endgültiges Lebewohl gewesen. Er bereute diese gespielte Gefühlskälte aus tiefsten Herzen, während er an nichts anderes als an ihren stumpfen Abschied denken konnte. Er konnte es nicht rückgängig machen, egal wie sehr er es sich insgeheim wünschte. Alles, was er während seiner verbleibenden Zeit noch tun konnte, war zu hoffen, dass sein Opfer nicht umsonst war und dass Kagegaku ihn eines Tages verstehen würde. Mehr wollte und brauchte er nicht. Nachdenklich setzte sich Hyde auf den sandigen Boden. Seine Beine winkelte er an, während er sich mit den Händen durch das Haar fuhr. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die kalte Zellenwand und seufzte leise, bevor ihn dumpfe Schritte aufmerksam werden ließen. „Wirklich jammerschade ...“, ertönte dann Kagemuras Stimme wie aus heiterem Himmel. Erschrocken drehte sich Hyde zur Seite und blickte sofort in das finstere Gesicht hinter den Holzstäben seiner Zelle. Dem Blonden wurde unwohl, als der Mann, der neben Kenshin den größten Einfluss auf Kasugayama genoss, zu grinsen begann. „Mein Lord war sehr daran interessiert, dich kennenzulernen, wo doch ganz Echigo von dir spricht. Und da kommst du einfach auf die dumme Idee, dich für meinen Bruder zu opfern.“ Kagemura schüttelte den Kopf, während das schadenfrohe Lächeln um seine Lippen eingefroren zu sein schien. „Das war unklug von dir“, urteilte der Schwarzhaarige, nachdem Hyde zögerlich seine Augen vom machtgierigen Bruder Kagegakus abwandte. Allein der Gedanke, gerade im Kagemuras Fokus zu stehen, ließ den Blonden nichts Gutes ahnen. Das übertrieben leidige Seufzen, welches über die Lippen des ranghohen Samurai kam, unterstrich diese Angst. „Was wollt Ihr von mir?“, murmelte Hyde, obwohl er es gar nicht wissen wollte. Er wollte ihm nicht zuhören oder in Erfahrung bringen, was genau sich im Gehirn dieses Mannes abspielte. Er wünschte nur, in Ruhe gelassen zu werden. Es interessierte ihn nicht, das genaue Ausmaß seiner Dummheit festzustellen, oder was er nach Meinung Kagemuras hätte anders machen müssen. „Dir muss ja ziemlich viel an Kagegaku liegen. Und das obwohl er jetzt die schöne Prinzessin liebt und dich völlig vergessen hat?!“ Für das auffällige Zucken in seinen Lippen hätte sich Hyde im Nachhinein selbst ohrfeigen können. Er merkte förmlich, wie Kagemura sich über diese Reaktion freute und sie als Anlass für weitere Sticheleien verwendete. Wie er seine Worte einzusetzen hatte, damit es besonders weh tat, wusste der Samurai sehr gut. „Oh ja, die beiden haben sich bereits hier auf der Burg sehr gut verstanden. Eine gewisse Anziehung ist selbst mir in den wenigen Tagen nicht entgangen. Ich dachte, sie wären eine gute Partie und Kenshin war zum Glück auch der Meinung. Vielleicht wird er sie auf meine Empfehlung hin auch bald verheiraten lassen.“ Kagemuras Worte trafen ihn. Natürlich verletzte es ihn. Er war eifersüchtig auf die Prinzessin, obwohl es überhaupt keinen Sinn mehr hatte, so zu fühlen. Durch seinen Körper strömten negative Empfindungen und er konnte es nicht aufhalten. Die Stimme des Bruders brachte sein Blut zum Kochen. Es machte ihn rasend, von Kagemura die Wahrheit zu hören. Er fühlte sich hilflos einer Realität ausgeliefert, die er nicht hören wollte. Sie war ihm regelrecht ins Gesicht geschleudert worden. Doch was bezweckte der Vertraute Kenshins damit? Wollte er sich ein letztes Mal über seine jämmerliche Erscheinung lustig machen und zusätzlich in seinen offenen Wunden herumbohren, damit es für ihn noch amüsanter wurde? Hyde spürte den höhnischen Blick, dem er letztendlich nichts entgegenbringen konnte, bevor Kagemura spöttisch auflachte und sprach: „Aber das wird dich wohl kaum noch interessieren, oder? Schließlich glaubst du ja, morgen hingerichtet zu werden.“ Überrascht blickte Hyde den Samurai an, dessen Gesicht nun völlig in dunkle Schatten getaucht war. Das breite Grinsen um die Lippen jedoch hätte der Blonde noch in tiefster Finsternis zur Kenntnis nehmen können. „Dummerweise glaube ich aber, dass es ziemlich schade wäre, dich jetzt schon sterben zu lassen“, deutete der Krieger an. „Was meint Ihr damit?“, fragte der Blonde, während er verwirrt verfolgte, wie Kagemura langsam vor seiner Zelle auf und ab ging und ihn dabei herrisch ansah. Als er dann einen zweideutigen Blick vernahm, durchflutete Hyde plötzlich das dumme Gefühl, in eine noch tiefere Falle gelaufen zu sein, als er vorerst angenommen hatte. „Du wirst mir sicherlich noch behilflich sein können“, meinte der Samurai, der vor der verschlossenen Zellentür stehen blieb und seine Hand demonstrativ über die Verriegelung führte. Skeptisch runzelte Hyde die Stirn, als ihm mit einem Mal der Gedanke kam, dass Kagemura alles genau so geplant haben könnte. Der Krieger wollte ihn an diesem Punkt haben. Er wollte ihn verloren, verlassen und ohne Ziel sehen, damit er einfacher zu brechen war. Er wollte ihn für sein abtrünniges Spiel benutzen. Selbst Prinzessin Ume war ihm allein für dieses Ziel wahrscheinlich nur ein Instrument gewesen. Sie alle waren Spielfiguren in seinem Krieg gegen den eigenen Bruder. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. „Wie findest du meinen Vorschlag? Du tust was ich sage und dafür rette ich dich vor dem sicheren Tod. Ich erkläre Kenshin, dass deine Leute dich befreit haben. Niemand wird dich suchen. Du wärst wieder frei und müsstet dir keine Gedanken machen.“ Kagemura drehte sich herum und lehnte seinen Rücken an das Holzgitter, bevor er die Bedingung für seine Hilfe erklärte. „Aber dafür arbeitest du ab sofort mit mir zusammen.“ Fassungslos, dass der Samurai tatsächlich etwas so Unmögliches verlangte, schüttelte Hyde heftig den Kopf, was der Schwarzhaarige aber nicht mitbekam. Dieser schien jedoch eine ablehnende Reaktion erwartet zu haben. Er seufzte und legte den Kopf schief. Den Gesichtsausdruck konnte Hyde nicht sehen, da er immer noch mit dem Rücken am Gitter gelehnt war. „Niemals!“ wisperte Hyde, dem es buchstäblich die Stimme geraubt hatte. „Sieh es doch mal so. Kagegaku wird dich bereits vergessen haben. Er hat jetzt die Prinzessin und anzunehmen, er hätte jemals irgendetwas für dich empfunden, ist doch völlig absurd. Wenn du überhaupt etwas für ihn warst, dann nur ein interessantes Versuchsobjekt.“ Schweigend starrte der Blonde vor sich hin, während er insgeheim zugeben musste, dass Kagemura auch damit Recht haben könnte. Es stimmte vielleicht, dass der Stratege nie etwas für ihn empfunden hatte, oder dass ihm die Prinzessin nun viel wichtiger war. Vielleicht war es auch die Wahrheit, dass er nur benutzt wurde. Er wusste, dass dies alles möglich war. Er hatte es selbst schon zu oft befürchtet. Deswegen war er davon gelaufen. Nur, weil er Angst davor hatte, die Wahrheit zu hören oder sie eines Tages am eigenen Leib zu spüren. Was Kagemura ihm klarzumachen versuchte, war für ihn keine Neuigkeit. Er hatte sich bereits damit abgefunden. Und trotzdem wünschte er nicht, sich aus Eifersucht zu rächen. Weder an der Prinzessin, noch an Kagegaku selbst. Es war sinnlos, ihn damit treffen zu wollen. Es schmerzte zwar, doch zum Handlanger von Kagemura würde es ihn nie machen können. Eher starb er, als sich selbst derart zu belügen. Er schwieg, um dem Samurai seine felsenfeste Entscheidung klarzumachen. Dass dieser es aber verstand, bezweifelte er. Kagemuras Kopfschütteln bestätigte dieses Gefühl sofort. „Also gut“, meinte dieser seufzend, als Hyde ihn weiterhin schweigend ignorierte. Der Schwarzhaarige stoppte einen Moment, bevor er das Schloss entriegelte und langsam in die Zelle trat. Von den Wachen, die Tag und Nacht durch die Gänge patrouillierten, war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Gehörten auch sie zu Kagemuras Leuten? Bedrohlich stellte sich der Samurai vor den Blonden, der ihn perplex ansah, packte ihn sogleich am Kragen seines Kimonos und zog ihn auf die Beine. Die Augen Kagemuras waren kalt, und doch glaubte Hyde, das Feuer von Wut in ihnen zu sehen. Die Gleichgültigkeit, mit der Hyde auf seinen Vorschlag und Überredungen reagiert hatte, verärgerte ihn. Trotzdem versteckte dieser seinen Zorn geschickt hinter einer grinsenden Fassade, die an der einen oder anderen Stelle zu bröckeln begann. „Ich habe dich höflich gebeten. Aber da du anscheinend nicht kooperieren willst, muss ich wohl oder übel Gewalt anwenden“, drohte der Samurai, der Hyde fast schon fanatisch anstarrte, was der Blonde jedoch auch ignorierte. Der leere Blick ging an Kagemura vorbei, während es Hyde entging, wie die versteckte Wut des Kriegers zu kochen begann und er schließlich zu seinem Katana griff. Der Blonde hörte nur ein Klacken, dann fühlte er einen starken Schmerz im Bauch. Was danach passierte, bekam Hyde nur noch schemenhaft mit. Seine Beine versagten, sein Blick war verschwommen. Während er zu Boden sank, sah er nur noch, wie Kagemura sein Katana zurückzog, mit dessen Knauf er ihn in den Bauch gestoßen hatte. Kurz darauf wurde er ohnmächtig. Dann war alles dunkel. Selbst, als er nur wenige Minuten später wieder zur Besinnung kam, herrschte absolute Finsternis. Mehrere Male versuchte Hyde, zu blinzeln, bis er realisierte, dass er aufgrund eines schweren Sacks, der über sein Kopf gestülpt war, nichts sehen konnte. Auch bewegen konnte er sich nicht. Um die Knie spürte er dicke Fesseln, genauso wie um seine nackten Füße. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden. Panisch wollte er versuchen, sich von den Fesseln zu befreien. Er fing an, zu zappeln und sich umherzudrehen, bis er plötzlich gepackt und unsanft auf den Rücken eines Pferdes geworfen wurde. „Pass auf, dass ihn keiner sieht“, hörte Hyde Kagemuras Stimme leise flüstern, dann stieg der wohl angesprochene Reiter hinter ihm auf und hielt den Blonden, der mit dem Bauch über den Pferderücken gebeugt war, mit einer Hand fest, während das Tier sofort losgaloppierte. Verwirrt versuchte Hyde, zu verstehen, was hier vor sich ging. Er wurde aus seiner Gefangenschaft befreit, nur um von Kagemura entführt und anscheinend an einen anderen Ort gebracht zu werden? Genau das schien seine momentane Situation zu sein. Aber was versprach sich der Samurai davon? Was hatte er vor? Was hatte diese Aktion für einen Nutzen, wenn er sich niemals dazu bereiterklären würde, für den kaltherzigen Bruder arbeiten zu wollen? Vor allem nicht, wenn dieser Pläne gegen Kagegaku schmiedete. Niemals würde er dem Strategen schaden wollen, egal mit welchen Mitteln Kagemura versuchen würde, ihn zu ködern. Und wo sollte er hingebracht werden? Das Pferd lief in schnellem Galopp. Immer wieder hatte Hyde das Gefühl herunterzurutschen. Sein ganzer Körper war bereits nach wenigen Minuten von Schmerzen übersät, während er durch den engmaschigen Sack nur wenig Luft bekam. Dort, wo das Seil um die Hände gebunden war, brannte es, denn durch das ständige Auf-und-ab auf dem Pferderücken rieb sich der Strick an seiner Haut. Am liebsten hätte er aufgegeben, denn momentan fühlte er sich der Hölle nah. Lieber wäre er tot, als noch länger diese Schmerzen und seelische Qual ertragen zu müssen. Er war nicht stark genug für diese kriegerische Welt, in der sich jeder rücksichtslos das nahm, was er wollte, in der ein normales Leben kaum Wert besaß und es wie eine Spielfigur auf einen Brett herumgeschoben wurde. Kagegaku hatte vollkommen recht gehabt. Allein hatte er hier keine Chance. Der Stratege wusste dies, obwohl er nicht einmal seine wahre Identität kannte. Davor wollte der Schwarzhaarige ihn beschützen, deswegen hatte er ihn nie angehört, als er ständig darum gebeten hatte, das Anwesen verlassen zu dürfen. Doch letztendlich war es doch so gekommen, und das obwohl er Fukushima bei sich gehabt hatte. Und nun war er allein und hilfloser denn je, einer schwer einschätzbaren Gefahr ausgesetzt. Einfach so. Und es hatte nur wenige Minuten gedauert, sich in diese Situation zu begeben. Er konnte nicht auf die Hilfe des Strategen oder Fukushimas zurückgreifen. Beide wussten nicht, wo er war und wo er hingebracht wurde. Sie wussten nicht einmal, dass Kagemura hinter alldem steckte. Wie sollten sie ihn finden können? Und warum sollten sie ihn überhaupt suchen wollen? Dass er Kagegaku so viel bedeutete, glaubte der Blonde nicht. Denn wie Kagemura gesagt hatte, gab es im Leben des Strategen nun die schöne Prinzessin. Warum sollte sich das Oberhaupt einer bedeutenden Familie darum scheren, was mit einem Bediensteten passierte? Es war aussichtslos. Genauso gut könnte er sich auch von diesem Pferd stürzen und sein Leben ein für alle Mal dem Schicksal überlassen. Es war so oder so bereits endgültig vorbei für ihn. Er war müde und geschwächt. Er hatte keine Kraft mehr, über sinnlose Auswege nachzudenken. Er wusste nicht einmal, wie lange sie schon geritten waren. Es kam ihm bereits wie ein langer Tag vor. Viele Stunden, ohne zu rasten. In seinen Ohren hörte er nur noch den pfeifenden Wind und die Hufen des Pferdes, die im schnellen Takt auf dem Boden aufkamen. Die Abstände waren so gleichmäßig, dass Hyde schließlich sofort bemerkte, wie sich ihnen plötzlich ein weiteres Pferd näherte. Zuerst glaubte der Blonde an eine Einbildung, doch als es immer lauter wurde und er auch bemerkte, dass der Reiter ständig unruhig zurückblickte, schien es doch die Realität zu sein. Es lief sehr viel schneller als ihres. Es schnaufte hektisch, als würde es zu Tode geschunden, während es unglaublich schnell aufholte. Dann hörte er wie Katanas aus der Schwertscheide gezogen wurden und wie Metall klirrte. Es wurde gekämpft, während die Pferde weiter galoppierten. Hyde spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er sah nichts und wusste nicht, was passierte. Er hatte Angst, während er krampfhaft versuchte, sich auf dem Pferd zu halten. Doch da der Reiter ihn nicht mehr sicher im Griff hatte, verlor Hyde nur wenige Sekunden später das Gleichgewicht und rutschte vom Rücken des Pferdes. Hart stieß er auf dem Boden auf und rollte einen kurzen Abhang hinunter. Seine Beine schmerzten und doch fing er sofort an, zu strampeln und sich zu winden, während er in der Ferne den Kampf hörte. Der Lebenswille des Blonden war plötzlich erwacht. Obwohl er kaum die Kraft dazu hatte, rieb er seine Hände wie von Sinnen aneinander, um die Fesseln zu lockern. Ihn erfasste eine Todesangst, die ihm Tränen in die Augen schießen ließ. Er sah nichts, er wusste nicht, ob er sich noch in Gefahr befand. Seine Hände zitterten, den Schmerz blendete er völlig aus. Und als der Kampf schlagartig verstummte, lähmte ihn plötzlich die Panik, nicht zu wissen, was passiert war. Einer der beiden musste überlebt haben. Sein Entführer oder der unbekannte Angreifer. Er hörte nichts. Keine Schritte, keine Pferdehufen. Es war totenstill. Nur seine schwere, vor Aufregung hektische Atmung würde ihn verraten können. Er musste sich beruhigen, doch die Angst kroch in jede Faser seines Körpers. Er konnte sich nicht mehr kontrollieren. Die Ungewissheit darüber, wer derjenige war, der sie angegriffen hatte, war wie ein wahr gewordener und grauenhafter Alptraum. Wovor er sich am meisten fürchtete, war nicht sehen zu können, was mit ihm passierte. Es konnte ein verfeindeter Samurai sein, der alles tötete, was ihm über den Weg lief, oder ein Ninja, der seinen Auftrag ausführte. In beiden Fällen würde man ihn wohl nicht verschonen. Er musste sich befreien, bevor er gefunden wurde. Doch dafür blieb wohl kaum mehr Zeit. Er hörte schnelle Schritte. Jemand kam auf ihn zu. Zu schnell hatte er ihn erreicht und an den Schultern gepackt. Vor Schreck hielt der Blonde den Atem an, während sein Herz heftiger denn je gegen seine Brust klopfte. Doch als Hyde hörte, wie die Person sofort sein Katana zog, rebellierte er noch einmal mit aller Kraft, die er aufbringen konnte. Dabei rutschte er über das feuchte Gras weiter den Abhang hinunter. Der Unbekannte wollte ihn packen und hochziehen, doch der Blonde konnte vor Panik nicht aufhören, sich gegen ihn zu wehren. Er spürte, wie er an eine breite Brust gedrückt wurde und wie der Mann zusammen mit ihm den steilen Hügel hinunterrollte. Alles ging so schnell, dass Hyde überhaupt nicht mehr verstand, was mit ihm passierte. Der Mann drückte den Kopf des Blonden in seine Arme. Schützend versuchte er, ihn fester an sich zu drücken und alles, was sie streifte, auf sich zu nehmen, bis sie schließlich liegen blieben. Ob er verletzt war, konnte Hyde nicht mit Sicherheit sagen. Von Kopf bis Fuß quälten ihn Schmerzen, die nicht unbedingt von diesem Unfall stammen mussten. Sich jedoch darüber Gedanken zu machen, war ohnehin sinnlos, solange er sich nicht befreit hatte. Denn er hatte noch nicht wirklich aufgegeben. Obwohl ihn starke Hände an den Schultern packten, wollte er versuchen, sich loszureißen. Er drehte sich hin und her, winkelte die zusammengebundenen Beine an und versuchte, den Unbekannten von sich zu stoßen. Doch dann passierte etwas, womit der Blonde nie im Leben gerechnet hätte. „Hi...detori ...“, drang plötzlich ein keuchendes Flehen in seine Ohren. Als er die bekannte Stimme vernahm, stoppte er und seine Lippen begannen zu zittern, obwohl er glaubte zu halluzinieren. Es konnte doch unmöglich sein, dass es Kagegakus Hände waren, die ihn festhielten. Dass er gekommen war, um ihn zu retten. Als ihm schließlich der schwere Sack vom Kopf gezogen wurde, bestätigten seine Augen sofort, was seine Ohren nicht hatten glauben wollen. Er blickte geradewegs in das schmutzige Gesicht des Strategen, welches tiefe Sorge ausstrahlte. Stundenlang und ohne Rast musste er durch die Wälder geritten sein. Sein langes dunkles Haar war zerzaust, der schwarze Kimono an einigen Stellen zerrissen. Seine Wangen und Stirn waren mit Schmutz bedeckt. Seine Augen schienen etwas geschwollen zu sein, während seine Lippen spröde und rissig waren. Es war ein ungewöhnlicher Anblick und trotzdem fühlte sich Hyde plötzlich wie in einem seiner schönsten Träume. Er war glücklich, dass ihm noch einmal die Möglichkeit gegeben wurde, in diese Augen sehen zu können. „Hidetori ...“, flüsterte Kagegaku ein weiteres Mal völlig außer Atem, während er mit seinem Kurzschwert die dicken Fesseln durchschnitt. „Bist du verletzt?“, fragte er dann, als der Blonde keinen Ton über die Lippen brachte. Unruhig tastete er über Hydes Arme und Beine, suchte nach Verletzungen. Doch außer den blutigen Stellen an den Händen und einigen Schrammen, konnte er auf den ersten Blick nichts feststellen. Erleichtert drückte Kagegaku den Blonden in seine Arme und schüttelte den Kopf. „Warum ... warum hast du das getan?“ Noch immer wusste Hyde nicht, was er sagen sollte. Seine Gefühle liefen Amok, sie verwirrten ihn und ließen ihn verstummen. Er war froh und perplex zugleich. Er konnte einfach nicht fassen, was gerade passiert war. Er konnte nicht glauben, dass der Schwarzhaarige hier war und sein eigenes Leben für ihn aufs Spiel gesetzt hatte. „Warum hast du gelogen?“, fragte Kagegaku nochmals, nachdem ihm der Blonde wieder keine Antwort gegeben hatte. Doch statt klar auszusprechen, dass er aufgrund seiner Gefühle einfach nicht anders handeln konnte, drückte sich Hyde aus den Armen des Samurai und blickte ihn fragend an. „Warum habt Ihr mich gerettet?“, murmelte er geradeheraus. Kagegakus Blick sprach tausend Bände. Jedoch in einer Sprache, die der Blonde nicht beherrschte. Er wollte es hören und nicht spekulieren. Warum hatte der Samurai ihn gerettet? Warum war er den ganzen Tag, ohne auf sein Wohl zu achten, durchgeritten? „Warum?“, flüsterte Hyde mit dünner Stimme. Gespannt blickte er in die dunklen Augen, die ihm nicht auswichen. Es war ein seltsamer Moment. Obwohl er nicht wusste, was Kagegaku darauf antworten würde, pochte sein Herz wie verrückt. Er hatte Angst davor, sich erneut zu irren, dass seine aufkommende Hoffnung im Keim erstickt wurde, noch bevor er sich überhaupt ausmalen konnte, was genau es bedeuten sollte. Und in dem Moment, als der Stratege schließlich seine Lippen teilte, um endlich mit Worten eine Antwort zu erwidern, beschlich dem Blonden unfassbare Panik. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die indirekte Ablehnung, die er erwartete, nicht akzeptieren. Doch was ihn letztlich erreichte, war keine Abweisung, sondern genau jene Worte die er sich wochenlang so ersehnt hatte. Und dieses Mal war es kein Traum, keine Illusion oder unerklärliche Erinnerungen. Es war real, denn er spürte Kagegakus warmen Atmen, als dieser sprach. „Weil ich dich liebe.“ Die dunklen Augen funkelten und waren derart ernst, wie Hyde es noch nie beim Strategen wahrgenommen hatte. Und während die Gedanken des Blonden im Kreis zu wirbeln schienen, hatte sich seine Welt von einer Sekunde auf die nächste vollkommen verändert. Sie drehte sich plötzlich in eine andere Richtung, völlig unerwartet und unfassbar schnell. Hyde glaubte, verrückt zu werden, als Kagegaku seine Schulter berührte, ihn stumm darum bat, ihn anzusehen und noch einmal schwor: „Ich liebe dich!“ ---------------------------------------- So, jetzt haben wir definitiv die Hälfte erreicht. Sorry, für die falschen Infos. ^^;; Natürlich war es klar, das Hyde nicht hingerichtet wird. Obwohl ja eigentlich alles passieren könnte, oder? In dieser FF fließt auch ein wenig Fantasie mit, sonst wäre Hyde ja nie in die Vergangenheit gekommen. Selbst wenn Hyde sterben würde, könnte diese FF noch 10 Kapitel haben. ;) Nur damit ihr euch in Zukunft nicht zu sicher seid. *devilgrins* Danke fürs lesen und bis bald. ^^ *#*#* Erläuterungen: *Omogashi traditionelle japanische Süßigkeiten, welche aus rein natürlichen pflanzlichen Rohstoffen hergestellt sind Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)