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Eien 永遠

Der Samurai und der Fremde
von

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Ehre

7. Kapitel: Ehre
 

[Zu spät die Blicke

in die Seele der Hoffnung

alles vergebens]
 

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„Fällt das Ankleiden nicht eigentlich in Hidetoris Aufgabenbereich?“, merkte Fukushima stutzig an, als er am Morgen eines sonnigen Junitages in Kagegakus Räumlichkeiten trat und seinem Herrn ungläubig ins betrübte Gesicht sah, während diesem der dunkelgrüne Obi zum grauen Kimono gebunden wurde. Die Unzufriedenheit über Hidetoris Abwesenheit war dem Klanoberhaupt klar anzusehen, weshalb Fukushima sich dazu verpflichtet fühlte, direkt nachzufragen.

„Er zieht es seit unserer Rückkehr vor, mir so gut es geht aus dem Weg zu gehen“, antwortete Kagegaku, nachdem er dem Jungen für dessen Hilfe dankend zunickte. Fukushima, der überrascht feststellen musste, dass sich während seiner Suche nach Informationen über den verschwundenen Brief wohl einiges zugetragen haben musste, kniete sich auf den Tatamiboden und runzelte die Stirn.

„Heißt das, er erledigt seine Arbeit nicht mehr?“ Skeptisch legte er den Kopf schief, während ihm nicht einleuchten wollte, was für einen Grund Hidetori dafür vorlegen könnte. Die Starrköpfigkeit des Blonden, als dieser unbeirrt darum gebeten hatte, an Kagegakus Seite bleiben zu dürfen, sah Fukushima noch so klar vor Augen, als wäre es erst gestern gewesen. Was war vorgefallen, dass Hidetori es nun lieber vorzog, den Strategen zu meiden, anstatt ihn zu beschützen, wie es damals noch sein Wunsch gewesen war?

Kagegaku schüttelte kurz den Kopf, bevor er begleitet von einem leidigen Lächeln antwortete: „Nein, es heißt nur, dass er Arbeiten, bei denen er mich berühren oder ansehen muss, anderen überlässt.“ Prüfend versuchte Fukushima einen Blick in das Gesicht seines Herrn zu werfen, als dieser seltsam auffällig zu Boden sah und damit offensichtlich vermeiden wollte, seine tristen Gefühle offen darzulegen. Doch der Freund des Strategen hatte gelernt, Gemütsverfassungen seines Herrn anhand von Kleinigkeiten zu deuten. Er sah sofort, dass Kagegaku verletzt war. Ein Gefühl, welches dem Oberhaupt völlig neu zu sein schien.

„Und Ihr duldet das?“, fragte Fukushima vorsichtig, den es wunderte, dass der Stratege dies mit sich machen ließ.

Wieder schüttelte Kagegaku den Kopf, während er mit gesenktem Blick auf die Veranda trat.

„Noch nie in meinem Leben bin ich so nervös gewesen, dass ich sogar vergaß, einen Boten hierher zu schicken, der unsere Rückkehr verkündete.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, das über sein kopfloses Handeln an diesem Tag spottete. Er kam sich selbst wie ein Wahnsinniger vor, als ihm bewusst wurde, wie impulsiv er Kenshins Einladung abgelehnt hatte. Während der Daimyo zur Siegesfeier eingeladen hatte, waren Kagegakus Gedanken bereits hunderte Kilometer gereist. Ungeduldig hatte er den Befehl gegeben, unverzüglich zur Nishiyama-Residenz aufzubrechen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass er anmaßend gewesen war.

Doch diese Ruhelosigkeit, die ihn plötzlich überkommen hatte, hatte alles so unwichtig erscheinen lassen.

„Ich war unhöflich und habe eine Bitte meines Herrn abgelehnt, nur weil ich es nicht abwarten konnte, ihn wiederzusehen.“ Kagegakus Augen hafteten voller Selbstzweifel auf den weißen Blüten der Azalee, die direkt unter dem großen Kirschbaum wuchs, während er sich fragte, ob seine Entscheidungen, die er in letzter Zeit getroffen hatte, richtig gewesen waren.

Er seufzte leise, als Fukushima neben ihn trat und dieser seinen Herrn ernst ansah.

„Wenn Ihr jemals an irgendetwas zweifeln solltet, dann könnt Ihr darauf vertrauen, dass ich Euch immer helfen werde, die richtige Antwort zu finden“, bot der Berater an, der sofort gesehen hatte, was in Kagegaku vor sich ging. Es bedurfte keiner Worte, denn Fukushima wusste, dass sein Herr sich seit geraumer Zeit nicht mehr sicher in seinen Entschlüssen war. Es hatte begonnen, als das Herz des Oberhauptes zu lieben gelernt hatte, aber auch gleichzeitig langsam vergaß, dass er Diener eines Daimyos war, für den er Schlachten führte, die er als Stratege selbst empfahl und analysierte.

Für Kagegaku schien es jedoch immer deutlicher zu werden, dass er ein Mann war, der nur für eine Sache leidenschaftlich leben konnte. Bisher war es immer nur die Treue zu Kenshin gewesen, die seine Tage lebenswert gemacht hatten. So wie es von ihm immer erwartet wurde. Doch Fukushima war sich fast sicher, dass sich diese Hingabe nun drastisch gewandelt hatte.
 

„Ich behandle ihn wie einen Gefangenen. Kein Wunder das er es nicht mehr bei mir aushält“, murmelte der Stratege verbissen und Fukushima schüttelte sofort mit dem Kopf, als Kagegaku sich wieder umdrehte und in den Raum ging.

„Es ist zu seinem eigenen Wohl“, erklärte der Berater, der gut verstehen konnte, weshalb sein Herr so besorgt war. Gab er Hidetori die Erlaubnis, zu gehen, lieferte er seinem kaltherzigen Bruder gleichzeitig die einmalige Gelegenheit, ihn am wundesten Punkt zu treffen. Das konnte und wollte er natürlich nicht zulassen. Obwohl Kagegaku wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab, zweifelte er an dieser Entscheidung, weil er sich sträubte, gegen Hidetoris Willen zu handeln.

„Das versteht er nicht“, murmelte der Stratege leiser, während er sich im Schneidersitz auf den Boden setzte und wieder in den Garten sah.

„Kagemura würde keine Sekunde zögern und Hidetori suchen lassen. Was dann geschehen würde, möchte ich mir gar nicht erst vorstellen.“ Sein besorgter Blick traf auf Fukushima, der ihm ernst zunickte. Beide wussten, wie begierig Kagemura auf diese Gelegenheit wartete. Ein falscher Schritt, eine gedankenlose Handlung und sie würden ihm geradewegs in eine hinterhältige Falle laufen.

Die letzten Worte des Bruders, als sie sich zum Aufbruch zur Nishiyama-Residenz fertig gemacht hatten, hallten noch immer in Kagegakus Ohren.

~Behalte dein Vögelchen gut im Auge. Man weiß nie, was für Gesindel sich vor den eigenen Toren herumtreibt.~ Mit dieser Drohung, wie der Stratege es deutete, war Kagemura grinsend gegangen, wohl wissend, dass er seinen Bruder genau dort getroffen hatte, wo er neuerdings am empfindlichsten war.

„Der Gedanke, Hidetori in Gefahr zu wissen, würde mich wahnsinnig machen. Diese Angst würde mich jede Sekunde quälen, sobald er das Tor hinter sich gelassen hätte“, gestand Kagegaku überraschend ehrlich, während er jedoch genau wusste, dass es dank der Wächter, die Hidetori überallhin folgten, niemals dazu kommen würde. Dafür musste er jedoch hilflos mit ansehen, wie sich der Blonde immer weiter von ihm entfernte.

Kaum ein Wort, geschweige denn einen Blick, hatten sie in den letzten fünf Tagen miteinander gewechselt. Als wäre Hidetori tatsächlich nur ein unauffälliger Bediensteter, der sich aus Ehrfurcht vor seinem Herrn nicht traute, seine Stimme zu erheben.

Dabei hatte sich Kagegaku so sehr danach gesehnt, wieder mit ihm reden zu können, ihn anzusehen und sich zu fragen, warum er sich so seltsam wohl in Hidetoris Gegenwart fühlte. Warum er immer so versunken in seinen neuen Gefühlen war, dass er es meist zu spät bemerkte, wie er den Blonden mit seinen starrenden Blicken nervös machte. Er wollte in Erfahrung bringen, warum er so aufgeregt gewesen war, als Hidetori ihn geküsst hatte, und warum er bis heute jeden Tag an diese Berührung denken musste. Warum hatte er das Gefühl gehabt, vor Glück sterben zu müssen?

All das wollte er Hidetori fragen, doch nun waren es andere Dinge, die der Stratege unbedingt wissen musste.

Was quälte den Blonden und warum wollte er unbedingt das Anwesen verlassen? Was war passiert, dass sich alles so sehr verändert hatte? Und was bedeutete dieser aufregende Kuss jetzt noch, da Hidetori sich immer weiter von ihm distanzierte? War nun alles vorbei?

Obwohl er all das wissen wollte, war Kagegaku bisher nicht in der Lage gewesen, den Blonden diese Fragen zu stellen. Die Kluft, die sich der Samurai nicht erklären konnte, war einfach zu groß geworden. Immer wieder waren ihm die Worte entfallen, als er gespürt hatte, wie eisig es zwischen ihnen geworden war. Diese Erkenntnis schockte ihn jeden Tag aufs Neue und doch wollte er Hidetori nicht gehen lassen. Selbst wenn er ihn jahrelang festhalten musste.

Solange er bei ihm war und Kagegaku wusste, dass er in Sicherheit war, würde er es auch ertragen können, vom Blonden gehasst zu werden.

Waren diese Gefühle und die Bereitschaft, tiefe Abneigung ertragen zu wollen, wirklich Liebe? Oder war es einfach nur seine verborgene Natur, alles haben zu wollen, was ihm zögerlich geboten wurde?

Nie hatte er etwas wirklich stark begehrt. Weder sinnlosen Reichtum noch grenzenlose Macht. Alles, was er je wollte, war Hidetori. Denn dieser hatte ihm gezeigt, dass es noch andere, schönere Dinge gab, als nur unsinnig zu töten. Nie hätte er geglaubt, dass er sich jemals etwas so sehr wünschen würde.

Und nun war es sein sturer Kopf, der sich mit der gegensätzlichen Lage nicht abfinden wollte. Die Sucht nach dem, was Hidetori ihm gegeben hatte, war erwacht.

Niemals würde er zulassen, dass der Blonde ihn verließ. Er gehörte nicht zu einem anderen Herrn. Er hatte keine Familie und auch kein Heim, keinen Ort, an dem er leben konnte. Es gab keinen anderen Weg, den Hidetori einschlagen könnte. Und selbst wenn es ihn gab, er würde eine Möglichkeit finden, diesen unpassierbar zu machen. Er würde ohne zu zögern zu diesen unfairen Mitteln greifen, nur damit der Blonde für immer bei ihm bliebe.

Vielleicht würde er bald genauso selbstsüchtig und kaltherzig werden wie sein Bruder. Vielleicht war er schon der rücksichtslose, ichbezogene und gierige Mensch, der er nie sein wollte. Durch seine Adern floss immerhin das Blut seines Vaters, der genauso eigensüchtig gehandelt hätte. Sie waren sich letztendlich doch ähnlicher, als Kagegaku zugeben wollte. Er schämte sich dafür und doch wollte er keinen einzigen Schritt zurück wagen. Nicht jetzt und auch nicht in Zukunft.
 

„Hast du noch etwas über den verschwundenen Brief erfahren?“, fragte Kagegaku, während seine Augen immer noch abwesend in den Garten blickten.

Bedauernd schüttelte Fukushima den Kopf.

„Nein. Konishiki entschuldigt sich immer wieder dafür, dass er Euch angelogen hat. Wo der Brief ist oder wer ihn gestohlen hat, weiß er nicht.“

„Verstehe“, murmelte der Stratege unzufrieden. Fukushima wusste, wie verärgert der Stratege über die misslungene Zustellung des Briefes war, obwohl dieser es bisher nicht zugegeben hatte. Konishiki war noch jung und diente dem Klan erst seit einigen Monaten. Kagegaku hatte all sein Vertrauen in die Fähigkeiten dieses Jungen gesetzt, welches nicht im gewünschten Maße umgesetzt wurde. Doch das war es nicht, was dem Oberhaupt missfiel. Es war die Lüge über sein Versagen, die ihn schrecklich enttäuscht hatte.

Misserfolge und Fehlschläge waren nicht immer zu vermeiden. Es waren menschliche Fehler, die Kagegaku nie hatte bestrafen lassen. Doch Lügen waren einfach nicht akzeptabel.

„Werdet Ihr ihn bestrafen?“, wollte Fukushima wissen.

Das Oberhaupt blickte seinem Berater in die Augen und schüttelte kurz den Kopf. Obwohl ihm der Brief wichtig war und sein Verschwinden große Sorge bereitete, sah Kagegaku keinen Sinn darin, deshalb das Leben eines jungen Mannes zu zerstören oder gar auszulöschen. Eine Lektion und Zeit, um sein Handeln zu reflektieren, sollten hierbei völlig genügen.

„Er sollte darüber nachdenken, warum er mir dienen möchte. Was ich nicht dulde, sind Lügen innerhalb meines Klans.“

Fukushima nickte, während Kagegaku plötzlich ungläubig zur Veranda sah.

„Hidetori?“ Erstaunt musterte das Oberhaupt den Blonden, der mit gesenktem Blick an der offenen Schiebetür stand. Wie sehr hatte der Stratege diesen Anblick vermisst, das Gold seiner Haare, sein schönes Gesicht, sein stets unsicheres Auftreten. Das leichte Lächeln, welches sich auf seine Lippen stahl, als er Hidetori sah, konnte er sich nicht verkneifen.

Hyde trat, ohne Kagegaku anzusehen, in den Raum, kniete nieder und schob mit beiden Händen einen Brief über den Boden. „Ein Bote aus Kasugayama hat ihn gebracht“, murmelte Hyde leise, seine Augen stur zu Boden gerichtet. Dann wich er langsam zurück, wollte sich erheben und gehen, doch über Kagegakus Lippen stürzte sich ein lautes „Warte!“, welches Hyde erschrocken zusammenzucken ließ und selbst dem Strategen im Nachhinein zu barsch erschien.

„Warte, bitte!“, wiederholte der Schwarzhaarige deshalb in einem dezenteren Ton.

Kagegaku bemerkte, wie Hyde zögerte. Seine Beine zitterten, als sie stehengeblieben waren, und der Stratege glaubte irrtümlich, sie würden vor Angst beben. Es machte ihn wütend, Hidetori so zu erleben und nicht zu wissen, warum er sich vor ihm fürchtete. Er hatte doch nie irgendetwas getan, was ihm geschadet hatte.

„Hidetori, bitte bleib hier“, bat Kagegaku noch einmal, während ihm plötzlich bewusst wurde, dass er noch nie jemanden angefleht hatte. Für Hidetori schien er zu vielen Dingen bereit zu sein, die ihm früher grundsätzlich unangenehm gewesen waren. Hatte er sich denn wirklich so sehr verändert?
 

Hyde ließ sich schließlich widerwillig auf die Knie sinken, während die dunklen Augen, die Kagegaku so sehr liebte, ihren warmen Blick an der Tatamimatte verschwendeten.

Doch der Stratege wusste, dass er momentan nicht sehr viel mehr von dem Blonden erwarten konnte. Solange er im Unklaren darüber war, was Hidetori zu dieser Distanz zwang, musste er sich bescheiden mit dem zufrieden geben, was er gütigerweise bekam.

„Fukushima, würdest du uns einen Moment allein lassen?“, bat das Oberhaupt, während er Hidetori nicht aus den Augen ließ.

Der Berater nickte und antwortete mit einem klaren „Natürlich“, bevor er sofort den Raum verließ.
 

Nervös und als wäre ihm das Alleinsein mit dem Strategen schrecklich unangenehm, starrte Hyde schweigend auf den Boden, während der Schwarzhaarige seltsamerweise genau ahnte, was in Hidetoris Kopf vor sich gehen musste.

„Ich ...“, begann Kagegaku mit leiser Stimme. Seine Worte hatte er sich schon vor Tagen zurechtgelegt, sie hunderte Male überdacht und dann wieder verworfen.

Seine Hände, die auf seinem Schoß ruhten, verkrampften sich, er wurde unsicherer, doch davon würde Hidetori nichts bemerken, denn dieser fiel dem Oberhaupt dreist ins Wort, noch bevor Kagegaku nach einer kurzen Pause seinen Satz beenden konnte.

„Ich wünsche, das Anwesen verlassen zu dürfen“, kam es klar und entschlossen über Hydes Lippen.

Der Stratege starrte betreten auf das blonde Haupt, welches tief gesenkt war. Er wusste nicht, weshalb er so bestürzt war, diese Worte zu hören, schließlich hatte er doch geahnt, worum Hidetoris Gedanken kreisen mussten. Nichts hatte sich also verändert, seit er das letzte Mal versucht hatte, zu fliehen. Der Wunsch, ihn zu verlassen, war wohl tief im Herzen des Blonden verankert. Kagegaku realisierte es nur langsam, doch anscheinend schien sich Hidetori in seiner Nähe zu quälen. So sehr, dass er glaubte, keinen anderen Weg zu sehen, als zu gehen.

„Ich denke, Fukushima hat dich oft genug darüber belehrt, wie gefährlich es für dich dort draußen sein kann“, antwortete der Schwarzhaarige energisch, dem diese Idee nach wie vor einfach zu dumm war.

„Ich bin allein durch das halbe Land gereist ...“, log Hyde mit verkrampfter Stimme. Obwohl ihm ein wenig unwohl dabei war, bediente er sich dieser aus Fukushimas Fantasie entsprungenen Geschichte. So oft war er sie in Gedanken durchgegangen, dass er nach wenigen Tagen bereits das Gefühl gehabt hatte, sie tatsächlich so erlebt zu haben. Auf alles hatte er sich zusammen mit dem Berater eine Antwort zurechtgelegt. Seine gesamte Vergangenheit, vom Kindesalter bis zum Tag am Fluss, war wie für ein Drehbuch durchgesprochen worden. Erfunden, erlogen und falsch, doch für sein zukünftiges Dasein im 16. Jahrhundert eine dringende Maßnahme, die ihm ein Leben als normaler Bediensteter ermöglicht hatte. Doch vor allem sollte sie ihm jetzt dazu behilflich sein, Kagegaku klarzumachen, dass er bereits sein ganzes Leben lang mit seiner ungewöhnlichen Haarfarbe die Blicke auf sich gezogen hatte und doch nie zu Schaden gekommen war. Dieser Punkt ließ Hyde natürlich unsicher werden. Denn dies galt nur für seine Existenz im 21. Jahrhundert. Ob sein Leben während einer stürmischen Kriegszeit tatsächlich so friedlich verlaufen wäre, war natürlich ungewiss.

Kagegaku schüttelte gereizt den Kopf.

„Und du hast keine Erinnerungen daran, weshalb du bewusstlos am Fluss lagst. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurdest du überfallen.“

„Ich war nicht verle...“, wollte Hyde mit sicherer Stimme verdeutlichen, doch ihm wurde schnell klar, dass sich der Samurai von seinen Lügen kaum beeindrucken ließ. Dieser unterbrach den Blonden, als wäre es ihm völlig egal, was er zu sagen hätte.

„Du hattest nichts bei dir. Nicht einmal Strohsandalen. Hätten meine Männer dich dort nicht gefunden, wärst du gestorben.“ Obwohl Kagegaku versuchte, sein aufkochendes Gemüt zu zähmen, sprangen die letzten Worte fast unkontrolliert aus seinem Mund. Er wollte sich nicht vorstellen müssen, was aus Hidetori geworden wäre, hätte er seinen Männern nicht Wochen zuvor befohlen, täglich sicherzustellen, dass sich keine Feinde oder randalierende Ronins am Flussufer herumtrieben . Warum er dies angeordnet hatte, obwohl sich im Winter kaum ein Bauer in dieser Gegend aufhielt, den es zu beschützen galt, konnte sich der Stratege selbst nicht beantworten. Mittlerweile aber glaubte er fest daran, dass es unbedingt so hatte kommen müssen. Er nannte es Schicksal, obwohl er zuvor nie Vertrauen darauf gehabt hatte. Dass es zu ihrer Bestimmung gehörte, ihre gemeinsame Zeit ohne nennenswerten Grund zu beenden, wie es Hidetoris ausdrücklicher Wunsch war, schien nach Kagegakus Meinung vollkommen irrsinnig zu sein. Vor allem würde dies viel größere Gefahren mit sich bringen.

Die Worte des Blonden waren in seinen Ohren ohne Sinn und Verstand.

„Es ging mir gut“, warf Hyde stoisch ein, nachdem ihn die kurze Stille nervös gemacht hatte. Wohl wissend, dass es nichts brachte, fügte er leise hinzu: „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“

„Vielleicht hast du nur Glück gehabt“, meinte das Oberhaupt daraufhin zornig.

Natürlich wusste Hidetori, dass Kagegaku Recht hatte. Er wusste rein gar nichts über diese kriegerische Welt, in der hinter jedem Baum eine Gefahr lauern konnte. Es war riskant, mit seinem auffälligen Aussehen allein durch die Wälder zu streifen, vor allem, da er keinerlei Kampferfahrung oder eine Waffe bei sich hatte. Und er wusste auch, dass er mehr als nur Glück gehabt hatte, ausgerechnet in die Hände von Kagegakus Männer gefallen zu sein. Wahrscheinlich hätte er nicht einmal die Sonne des nächsten Tages gesehen, wäre es ein wenig anders gekommen. Er war dankbar und doch ertrug er es einfach nicht mehr, unter dem Dach des Strategen zu leben, ihn jeden Tag zu sehen, zu wissen, dass seine Geliebte ihn berühren durfte und er nun nichts anderes mehr war als ein Bediensteter, dem lediglich eine etwas engere Bindung zu dem beliebten Samurai gestattet war. Es würde ihn früher oder später innerlich zerfressen. Besonders, wenn Kagegaku ihn weiterhin ahnungslos mit Blicken überschüttete, die ihm hin und wieder fast schon verbotene Szenarien in den Kopf schießen ließen. Bilder, die er sich nie hätte vorstellen können und doch manchmal so unglaublich real waren.

Es hatten sich bereits so viele geträumte Erinnerungen mit tatsächlich erlebten vermischt, dass Hyde schon gar nicht mehr wusste, was in Hidetoris und was in seinem eigenes Leben geschehen war. Aber vielleicht gab es den Menschen Hyde auch gar nicht mehr. Vielleicht war er gestorben, verschwunden oder sogar völlig vergessen. Vielleicht gab es nur noch Hidetori Toshiba, einen Menschen mit erfundener Vergangenheit und aussichtsloser Zukunft.

Hyde schüttelte über seine wirren Gedanken den Kopf, bevor er entschlossen und in einer tieferen Verbeugung noch einmal um sein Anliegen bat.

„Ich bitte Euch inständig, mich gehen zu lassen.“ Seine Worte waren leise und doch war die Hartnäckigkeit hinter diesem Wunsch deutlich herauszuhören. Dem Schwarzhaarigen war bewusst, dass es dem Blonden ernst war, obwohl ihm der Grund dafür eher unschlüssig erschien.

„Warum?“, fragte das Oberhaupt. Denn tatsächlich hatte er Hidetori bisher nie nach einer Erklärung gefragt. Aber warum nicht? Warum hatte es ihn die ganze Zeit nie interessiert, was der Blonde fühlte? Oder hatte er nur Angst davor, deutlich abgelehnt zu werden? Die Angst, dass es an ihm liegen könnte, dass er schuld war. Er fürchtete sich davor, den Grund zu erfahren, und doch hatte er soeben danach gefragt. Eine Antwort aber würde er nicht bekommen, selbst wenn er sie wirklich gewollt hätte. Hidetori schwieg, wie Kagegaku es erhofft hatte, und unerwartete Erleichterung machte sich beim Strategen breit.

„Tut mir Leid, aber ich kann das einfach nicht zulassen“, antwortete der Samurai erneut ablehnend, während er nicht weiter auf seine unüberlegte Frage eingehen wollte.

„Wenn dir etwas passiert ...“

„... ist es mein Problem“, unterbrach Hidetori das Oberhaupt. Fassungslos starrte Kagegaku auf den Blonden, dessen Stirn in seiner tiefen Verbeugung den Boden berührte. Alles hätte er im Moment dafür gegeben, diesem merkwürdigen Mann vor seinen Füßen in das Gesicht blicken zu können.

Er wollte in seine Augen sehen und dort erkennen, dass alles, was er sagte, weit von dem entfernt war, was er wirklich wollte. Er wollte in Hidetoris Augen sehen und ihm sagen, dass er die Schuld nicht ertragen könnte, würde ihm etwas passieren, dass er aus Wahnsinn über diesen Verlust nicht mehr würde leben können. Er wollte ihm seine egoistischen Gründe nennen, doch stattdessen überkam ihn wieder diese dumme Wut, die ihn zu verzehren drohte, stattdessen ergab er sich seinem verletzten Stolz und schleuderte Hidetori unfaire Worte an den Kopf, die nichts mit seinem wahren Gefühlen zu tun hatten.

„Seit du deinen Fuß auf mein Gut gesetzt hast und darum batest, in meine Dienste treten zu dürfen, gehörst du zu den Menschen, die ich als Diener unseres Daimyos beschütze. Wenn dir etwas passiert, verletzt das meine Ehre als Oberhaupt dieses Klans.“

„Und Ehre zu behalten, ist natürlich das Wichtigste“, murmelte Hyde verbittert.

Kagegaku nickte, obwohl er dem nicht zustimmen konnte. Ehre war ihm früher einmal wichtig gewesen. Das Wichtigste in seinem Leben. Doch das hatte sich grundlegend verändert. Er hatte es fast gar nicht bemerkt, doch spätestens, als er unbewusst seinem eigenen Bruder erklärte hatte, was höchste Priorität in seinen Leben hatte, hatte er realisiert, dass es nicht mehr sein Stolz oder seine Ehre als Krieger war, auch nicht der Status als vertrauter Stratege Kenshins, sondern etwas völlig anderes. Etwas, was jedem Menschen das Allerwichtigste sein sollte.

Ehre war nur die Ausrede, die es ihm erlaubte, unsinnige Aktionen zu rechtfertigen.

Ehre war nur die Schutzmauer, welche ihn vor Angriffen auf seine Gefühle beschützten sollte.

„Solange ich keine Männer zu deinem Begleitschutz entbehren kann, bleibst du hier. Und an eine Flucht brauchst du auch nicht zu denken. Kondo und Nagakura werden dich weiterhin auf Schritt und Tritt begleiten, wenn du meine Entscheidung auch in Zukunft nicht akzeptieren willst.“ Kagegakus Finger zuckten, als er noch einmal über seine harten Worte nachdachte.

Es fiel ihm immer schwerer, seinen Zorn zu unterdrücken, ging es um dieses Thema, denn es machte ihn nach wie vor rasend, dass Hidetori seinen Befehlen einfach nicht Folge leisten wollte. Er würde wieder versuchen, zu fliehen, so wie er es jeden Tag, seit der Stratege mit seinen Männern aus Kasugayama zurückgekehrt war, getan hatte. Irgendwann spät in der Nacht, wenn scheinbar alles schlief. Und er würde wieder scheitern, denn Kagegakus Männer ruhten nicht, wenn ihnen der Befehl dazu gegeben wurde.

Der Stratege wusste selbst, dass er ungerecht war, denn jeden anderen hätte er sofort ziehen lassen.

Ohne Frage, denn ihm zu dienen, war für keinen Zwang.

Jedem stand es frei, zu gehen, ohne eine Begründung dafür abliefern zu müssen. Obwohl bisher niemand je diesen Wunsch geäußert hatte, seit er als Nachfolger seines Vaters das Oberhaupt geworden war.

Für Kagegaku war es eine neue Erfahrung, ein Erlebnis, das sich an viele andere neuartige Dinge und Gefühle reihte. Und immer, wenn etwas Ungewohntes passierte, war es Hidetori, der eine gewichtige Rolle darin spielte. Vom ersten Augenblick an hatte dieser Mann mit dem hellen Haar sein Leben verändert. Nicht nur verändert, sondern komplett umgekrempelt. Er war nicht mehr der furchtlose Kämpfer von früher.

Er hatte Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er pure Angst davor, zu sterben oder den geliebten Menschen zu verlieren. Das war es, was ihm wichtiger war als seine Ehre.

Das Leben.

Doch Furcht vor dem Tod zu empfinden, schickte sich für einen Samurai nicht. Lange hatte er sich dagegen gewehrt, doch letztendlich beinahe kampflos verloren.

Hidetori, den Menschen, der ihn all das realisieren ließ, jetzt einfach so freizugeben, widerstrebte ihm auf allen Ebenen seines noch vorhandenen Stolzes.

Obwohl sich der Blonde immer weiter von ihm entfernte, konnte er sich ein Leben ohne ihn einfach nicht mehr vorstellen.

Selbst in Momenten wie diesen, in denen Hidetori ihn keines Blickes würdigte, war er einfach nur froh, dieselbe warme Luft zu atmen wie dieser seltsame und ihm kostbare Mensch. Daran dachte er immer wieder, wenn er ihn sah.

Dieses Gefühl trübte auch nicht, als der Blonde sich plötzlich unaufgefordert erhob und ihm scheinbar trotzig den Rücken zukehrte. Kagegaku wunderte sich schon lange nicht mehr über Hidetoris manchmal anmaßendes Verhalten ihm gegenüber. Wahrscheinlich war er auch der einzige Mensch auf der Welt, dem er es kommentarlos erlaubte, sich gegen die Etikette zu stellen.

Doch heute war es etwas anders. Heute würde er Hidetoris Dreistigkeit nicht einfach hinnehmen. Es gab Dinge, die er noch zu sagen hatte; Dinge, die der Blonde hören sollte.

„Warte!“, befahl der Stratege deshalb mit emotionsloser Stimme, als Hidetori wortlos gehen wollte. Sofort blieb der Blonde stehen, während Kagegaku nachdenklich auf seinen Rücken starrte.

Die großen Zweifel, die ihm in den letzten Tagen eher davon abgeraten hatten, waren zwar nicht geringer geworden, trotzdem wusste er nach langer Überlegung keinen nennenswerten Grund der wesentlich dagegen sprechen konnte. Er benötigte von niemanden eine Erlaubnis, vor allem nicht von Hidetori. Er hatte das Recht, sich dafür zu entscheiden. Hidetori und alle anderen mussten sich seiner Entscheidung beugen, ob sie wollten oder nicht.

Das Einzige, was ihm dabei schon immer ein ernstes Hindernis war, war sein eigenes Gewissen, seine Zweifel, seine Angst. Er konnte nicht so unverfroren und kaltherzig wie die anderen Lehnsherren sein. Er konnte nicht erbarmungslos über die Gefühle anderer Menschen urteilen und herrschen. Selten hatte er sich dabei wohlgefühlt, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Eine Kuriosität, die er sich als Familienoberhaupt, das große Ländereien besaß und so nicht um unangenehme Befehle an dessen Bauern und Vasallen umhinkam, selbst eingestand.

Es war nicht seine Natur, so zu handeln, doch seine in den tiefsten Winkeln seines Herzen verborgenen Wünsche hatten letztendlich die Oberhand gewonnen.
 

„Ich möchte, dass du mir heute Abend zwei Futons vorbereitest.“ Die Worte sprudelten beinahe überstürzt über Kagegakus Lippen. Er war aufgeregt und Hyde bemerkte es sofort, obwohl er über diese überraschende Bitte, nur schockiert in die Luft starren konnte.

„Zwei?“, murmelte der Blonde. Seine Frage wurde von der darauffolgenden Stille erstickt. Einer paradoxen Stille, die ihm schrecklich unangenehm war und einmal mehr gnadenlos zeigte, dass er hier einfach nichts mehr verloren hatte. Dass der Stratege keine weiteren Erklärungen dafür ablieferte, war für Hyde die kalte Bestätigung, dass es sich um einen Futon für seine Geliebte handeln musste.

Er wusste nicht einmal, warum ihn Kagegakus Worte so sehr schockten, warum sie ihn dermaßen aus der Bahn warfen. Eigentlich hatte er die ganze Zeit damit gerechnet. Und trotzdem noch insgeheim und inständig gehofft, dass sich das Gerücht um Kagegaku und die geheimnisvolle Geliebte, die zudem auch noch eine junge Prinzessin aus der Etchu-Provinz sein sollte, als nicht wahr entpuppen würde. Seine Hoffnung war mit jedem Tag, der vergangen war, ohne dass diese eindeutige Bitte gefallen war, ein wenig gewachsen. Und nun war sie mit einem Mal wie eine Seifenblase direkt vor seinen Augen zerplatzt.

Sein Mund zitterte so heftig, dass er sich kaum getraute, zu sprechen, trotzdem brachte er schließlich ein gezwungenes und doch klares „Natürlich“ über die Lippen. Er kämpfte mit den Tränen. Tränen der Wut, über sein eigenes dummes Verhalten. Tränen über seine albernen Optimismus, seinen Glauben, seine Erwartungen, seine Zuversicht. All das, was er sich aus Schutz vor einer nichtwiedergutzumachenden Idee eingeredet hatte. Spätestens jetzt musste ihm endgültig klar werden, dass es einfach keine Gefühle gab, die Kagegaku für ihn übrig hatte. Es war wohl nur simple Freundschaft und vielleicht auch noch ein wenig mehr Interesse an seiner Person, die für einen Samurai des 16. Jahrhunderts so völlig anders wirkte. Mehr war da einfach nicht. Mehr konnte da nicht sein.

Er durfte sich nun nicht mehr länger sinnlose Hoffnungen einreden. Kagegaku hatte ihm klipp und klar eine Rolle in diesem Spiel zugeordnet. Ihm blieb keine andere Wahl, als sie anzunehmen und ohne Klage zu spielen. Es widerte ihn an, doch eine bessere Alternative dazu kannte er nicht.

Er wusste nicht einmal, wie er sich nun vernünftig zurückziehen sollte.

Das Zittern in seinen Lippen ging in seine Arme und Beine, bis in seine Fingerspitzen. Er hatte Angst, dass der Stratege seinen Zustand bemerkte, also verbeugte er sich flüchtig und stürzte an den Türrahmen.

„Hidetori, ich ...“ Kagegakus Worte, die Hyde nicht mehr erwartet hatte, verstummten plötzlich, während sich ein seltsames Ziehen in der Brust des Blonden, der sofort stehen geblieben war, breitmachte. Ihn drängte es, zu wissen, was der Schwarzhaarige noch zu sagen hatte. Warum Hyde sich dafür noch interessierte, war ihm schleierhaft. Doch er hatte einfach dieses bestimmte Gefühl, dass es sehr wichtig war und er es auf jeden Fall hören sollte.

Widerwillig hatte er sich nun dazu entschlossen, Kagegakus Worte anzuhören, sich diese letzte Hoffnung zu schenken und noch einmal zu vertrauen, doch egal wie lange er gewartet hätte, sie wären nie gekommen. Der Grund dafür schwebte über dem glatten Holzboden der Veranda gegenüber des Gartens.

Er hatte sie sofort gesehen, genauso wie Kagegaku, der sich indessen aus seinem Schneidersitz erhoben hatte und näher getreten war. Nun stand der Stratege direkt hinter ihm. Hyde konnte hören, wie er atmete, wie er die Arme vor der Brust verschränkte und schließlich seine Lippen teilte.

„Hidetori, würdest du ...“, sprach er und Hyde spürte das Kribbeln einer Gänsehaut auf seinem Nacken.

Panisch nickte er, während ihm seine Füße schon fluchtartig auf die Veranda trugen.

Er wollte nicht hören, wie ihn der Stratege ihn darum bat, zu gehen, damit er mit ihr allein sein konnte.

Er wollte nicht wissen, wie sich Kagegakus Stimme anhörte, wenn seine Gedanken nur um die Geliebte kreisten.

Während Hyde kopflos davonrannte, bemerkte er nicht, wie er sich geradewegs und nahezu tölpelhaft in die nächste Problematik stürzte. Er stolperte die Veranda entlang des schönen Gartens hinunter und wäre seinem zweiten Fluchtgrund beinahe in die zierlichen Arme gefallen.

Erschrocken wich sie zur Seite und fasste sich entrüstet an die Brust. Hyde, der überhaupt nicht mehr wusste, was hier eigentlich passierte, starrte entgeistert auf die grazilen langen Finger, die ihm sofort ins Auge gestochen waren. Sie berührten den dunkelroten Kimono und verdeckten winzige Details des weißen Blütenmusters, welches sich über den oberen Teil und den linken Ärmel zerstreute.

Es war das erste Mal, dass er ihr begegnete, und trotzdem wusste er sofort, dass er es mit Prinzessin Ume, der Geliebten Kagegakus, zu tun hatte.

Mit gesenktem Kopf wollte er, ohne ihr getreu der Etikette mit einer Verbeugung den Weg freizumachen, vorbeigehen. Er wollte sie nicht ansehen, wollte nicht wissen, wie sie war oder wie sie aussah. Er wollte auch nicht wissen, wie ihre Stimme klang oder wie grazil sie sich bewegte.

Er fühlte sich besser dabei, nie den Ursprung seines Leides kennenzulernen. Blieb er im Unklaren, könnte er seinen Hass auf eine unbekannte Person vielleicht irgendwann vergessen und seinem Frieden somit einen Schritt näher kommen. Doch es wurde schnell klar, dass ihm dieser bescheidene Wunsch nicht erfüllt werden konnte.

Als er merkte, wie sie ihm näher kam, ihn lange verwundert musterte und dann auch noch mit einem unsicheren „Du ...“ ansprach, kam er einfach nicht umhin, ihr direkt ins Gesicht zu sehen.

Es war nicht gewollt, sondern eher ein ungeschicktes Versehen, als sein Blick auf ihre Gestalt traf.

Seine Augen brannten, als er sah, wie makellos ihre Schönheit war. Es schockierte ihn und doch war er nicht in der Lage wegzusehen. Er war an diesen endlosen Moment gefesselt, als hätte sie ihm mit ihrem Blick schwere Ketten um die Füße gelegt.

Hatte er denn jemals eine so schöne Frau gesehen? Ein Zauber wie aus einem alten Märchen, dem sie entsprungen war. Eine junge Frau, die kaum über 20 sein konnte.

Sie hatte die Anmut einer Göttin, während ihre Augen wirkten, als wären sie gemalt. Ihr Haar, welches – für diese Zeit untypisch – hochgesteckt war, glänzte wie ein Meer aus schwarzen Diamanten. Ihre Lippen waren voll und rund und hatten eine frische rosige Farbe, die sich kaum von dem Weiß ihrer zarten Haut unterschied. Sie war der Inbegriff eines Traumes, dem Männer in seiner Welt ihr Leben lang vergebens hinterherjagten, und für Hyde die schönste Verkörperung seiner definitiven Chancenlosigkeit bei dem Klanführer. Diese Erkenntnis schmeckte bitter und ließ in ihm wie aus heiterem Himmel das widerliche Gefühl von rasender Eifersucht auflodern. Dagegen konnte er sich nicht wehren, denn er wusste einfach keinen guten Grund, weshalb er anders fühlen sollte.

Er war verloren, allein und völlig hilflos. Alles, was er geglaubt hatte, hier gefunden zu haben, hatte sie ihm weggenommen.

In kürzester Zeit hatte Kagegaku vergessen, wie nah er dem Blonden bereits gekommen war. Falls ihr Kuss je eine Bedeutung gehabt hatte, war selbst diese nun nichts mehr wert.

Seit dem Auftauchen der Prinzessin war er nur noch eine leidige Erinnerung, an die er sich viel zu lange festgeklammert hatte.

Hyde wagte nicht, darüber nachzudenken, was bereits während der letzten fünf Monate auf Kasugayama vorgefallen sein könnte.

Ihr gegenüberzustehen und in ihr wunderschönes Gesicht zu blicken, ertrug er kaum.

Doch daran zu denken, dass er noch am selben Abend ihren Futon neben Kagegakus herrichten sollte, trieb ihn buchstäblich in den Wahnsinn. Obwohl er geglaubt hatte, sich bereits damit abgefunden zu haben, zerriss es ihn. Und der Schmerz wurde nur noch stärker.

Er musste es hinnehmen, mit ihr unter demselben Dach zu leben. Er musste es ertragen, neben ihr zu stehen und sich von ihr ansehen zu lassen. Es fiel ihm schwer, das Beben, welches durch seinen Körper ging, zu verbergen.

Mit zitternden Lippen erwiderte er trotzdem noch lange ihren verwirrten Blick, bevor er den Kopf senkte und davonlief. Er hörte noch, wie Kagegaku ihren Namen sagte und wie sie ihn daraufhin höflich begrüßte. Der Blonde drückte sich die Hände auf die Ohren, während er kopfschüttelnd die dunklen Flure hinunterrannte und schließlich auf dem Hof des Anwesens stehen blieb. Seine beiden Begleiter, die ständig an ihm klebten wie Fliegen, stellten sich an das verschlossene Tor und blickten ihn angespannt an. Doch Hyde dachte im Moment nicht an eine Flucht, sondern an die schöne Prinzessin an Kagegakus Seite.

Natürlich hatte sie keine Ahnung, was sie ihm antat. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nicht, was er für den Klanführer fühlte. Sie wusste nicht, was an jenem Abend vor Kagegakus Aufbruch nach Kasugayama vorgefallen war. Und dass sie sich dafür interessierte, war auch höchst unwahrscheinlich.

Sie war eine Prinzessin, er nur ein Bediensteter. Obwohl sie momentan nur die Geliebte Kagegakus war, stand ihr die Möglichkeit, später auch seine Frau zu werden, offen.

Sie hatte den erforderlichen Status und eine außergewöhnliche Schönheit. Die passende Frau an Kagegakus Seite. Das perfekte Paar. Wahrscheinlich das idealste auf dieser Welt.

Er hatte zwischen ihnen nichts verloren. Mehr denn je fühlte er sich einfach nur schrecklich fehl am Platze.

Was also blieb ihm noch? Welchen Sinn hatte sein Leben?

Er wollte schreien und einfach davonrennen, doch selbst das wurde ihm ja verboten.

Was wollte Kagegaku noch von ihm? Er verstand es einfach nicht. Was hier passierte, war doch frei von jeder erdenklichen Logik. Oder war er es selbst, der die Dinge grundsätzlich falsch sah?

Warum war er nicht schon viel eher zur Besinnung gekommen? Warum war er nicht schon viel eher geflohen?

Nun war es zu spät.

Wahrscheinlich war es von Anfang an viel zu spät gewesen.
 

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Ich war kurz vor dem Ende des Kapitels, als das Erdbeben in Japan passierte. Seit diesem Tag war meine Konzentration massiv gestört. Deswegen konnte ich einige Tage nicht schreiben und ein paar Wochen danach, glaubte ich an einer Schreibblokade zu leiden ^^; Kann aber auch simple Faulheit gewesen sein. ^_-

Dabei war es nur noch so wenig. *seufz*

Naja ich habe sehr viel getrödelt und deswegen kommt es eine Woche verspätet. ABER ich habe schon sehr viel am nächsten Kapitel geschrieben. Ich hoffe, dass ich mir langsam wieder einen Vorsprung rausschreiben kann. ^_^
 

Ich habe die Charakterbeschreibung zu Prinzessin Ume hinzugefügt. Mit Bild natürlich. XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Chilet
2011-04-09T17:37:17+00:00 09.04.2011 19:37
sow..endlich is die fortsetzung da :D

Und...ich finds so arg, das hyde gehn will...klar, ich kann seine beweggründe verstehen, aber... Hah ;_;
Bei kagegaku is es auch so arg, ich kann ihn auch verstehen....aber warum spricht er ihn nich einfach drauf an...
Warum sind die beiden nur ned direkt zueinander T.T

Außerdem will ich wissen, was kagegaku zu hyde sagen wollte....wg den futons... ;_;
aber dann muss haido ja in die prinzessin reinpurzeln un...man ><

ich hoff, dass die fortsetzung bald da is ;3;


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