Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 6: Liebe ---------------- Ich selbst tu mich gerade schwer irgendetwas auf die Reihe zu kriegen. All meine Gedanken sind in Japan. Ich hatte in den letzten beiden Tagen nicht den Kopf zum schreiben, aber dieses Kapitel war ja schon fertig und vielleicht hilft es einigen ja, sich etwas abzulenken. ^^; *'*'* 6. Kapitel: Liebe [Ich streifte den süßen Mund mit meinen Lippen. Und quälend war der Abschied.] ---------------------------------------- „Take the pain away“, flüsterte Hyde und schrieb es mit dem Pinsel auf das dünne weiße Papier. Ein großer Klecks der schwarzen Tusche zierte das Ende des englischen Satzes, den er noch einmal kritisch vorlas, bevor nachdenklich den Pinsel auf dem Tintenstein ablegte. Unzufrieden schüttelte er den Kopf, riss das Stück Papier von der Rolle und zerknüllte es. Seine leeren Augen starrten auf den niedrigen Tisch, der mitten im Raum stand und an dem er seit einer Stunde grübelnd sinnlose Worte in klecksiger Schrift schrieb. Auf dem Boden neben ihm lagen die anderen Papierrollen, die er herbringen und auf Kagegakus Arbeitstisch legen sollte. Noch nie war er hier gewesen, obwohl es das Zimmer direkt neben dem Empfangsraum war, in dem er Kagegaku zum ersten Mal gesehen hatte. Auf einem anderen Tisch, der rechts von ihm an der Wand stand, lagen Bücher und zahlreiche Schriftrollen. Kagegaku schrieb Gedichte. Es war für einen gebildeten Samurai nicht unüblich, wenn sich dieser in Poesie übte, und doch überraschte es Hyde, auf welche Art und Weise sich der Krieger in seinen Gedichten ausdrückte. Er war fasziniert von den Texten, die so viel Tiefe hatten, dass es ihn gleichzeitig frustrierte, selbst nicht die richtigen Worte zu finden. Warum hatte er sich überhaupt hierher gesetzt? Einen Songtext zu schreiben hatte doch überhaupt keinen Sinn. Selbst wenn er etwas Gutes auf Papier brachte, er würde es doch nie benutzen können. Und hier waren seine Texte genauso lächerlich wie der Gedanke, Kagegaku hätte sich in ihn verliebt. Es war absurd, denn wäre es so, dann hätte er sich die letzten fünf Monate nicht so einsam gefühlt. Natürlich hatte er jeden Tag, so blauäugig wie er war, auf eine Nachricht von Kagegaku gewartet. Ein Brief, ein paar Worte und sei es nur die erwartete Ablehnung gewesen. Alles wäre ihm recht gewesen, doch diese Gleichgültigkeit ertrug er nur schwer. Der Gedanke, einfach zu verschwinden, um diesen Schmerzen zu entfliehen, wurde von Tag zu Tag stärker. Obwohl er nicht wusste, wohin er gehen konnte, dachte er jede Stunde daran. Nicht nur, weil er sich nutzlos fühlte, sondern auch, weil er nicht wusste, wie er Kagegaku in Zukunft gegenübertreten sollte. Zu viel Zeit war vergangen, ohne dass je ein Wort über das, was geschehen war, gesprochen worden war. Letztendlich war es einfach nur lächerlich, überhaupt jemals eine Silbe darüber zu verlieren, denn Kagegaku schien es so oder so bereits vergessen zu haben. Vielleicht würde er damit umgehen können, denn seine eigentliche Aufgabe war schließlich nicht, den Samurai zu lieben, sondern ihn vor Gefahren zu beschützen. Wie aber konnte er das tun, wenn er nicht an seiner Seite sein konnte? Ratlos nahm Hyde den in Tusche getauchten Pinsel in die Hand und setzte die Spitze vorsichtig auf das Papier. „Liebeskummer?“, schrieb er langsam auf das weiße Papier und lächelte betrübt, als er es leise flüsterte. Hatte er wirklich Liebeskummer? Waren die langen, einsamen Nächte und die qualvollen, dunklen Tage der Beweis dafür? Oder war es eher die Leere, die er spürte und die ihn so verzweifeln ließ? Wann hatte er das letzte Mal Liebeskummer gehabt? Er konnte sich nicht erinnern, doch er wusste, dass er schon einmal so gefühlt hatte. War es vor fünfzehn Jahren in der Schule gewesen? Oder doch vor 400 Jahren, genau hier an diesem Tisch? Liebte er Kagegaku, wie Fukushima es anscheinend auch schon vermutete? Liebte er Kagegaku, wie es sich die Menschen im 21. Jahrhundert noch erzählten? War der Kuss alles, was zwischen ihnen passieren würde? Die Gerüchte, dass sie ein Liebespaar wären, kursierten schließlich schon seit den ersten Tagen. Was, wenn die Sage des heimlichen Paares nur auf diesem Gerede beruhte und tatsächlich nur eine einseitige Liebe dahintersteckte? Eine Liebe, die dem Fremden mit dem goldenen Haar nur Kummer brachte. 'Leute sagen, er hätte sich aus Verzweiflung im Seki-Fluss ertränkt.' Das waren Tayamas Worte, an die Hyde sich soeben erinnerte. War dies wirklich sein vorherbestimmtes Ende? Sein qualvolles Schicksal? Als ihm bewusst wurde, wie nah sein Leid bereits diesem dummen Entschluss war, stiegen ihm heiße Tränen in die Augen. Er hatte doch nichts. Keine Freunde, keine Familie, kein Ziel, nichts, woran er sich festhalten konnte, nicht einmal ein wahres Zuhause. Denn er gehörte hier nicht her. Unbewusst hatte er sich an Kagegaku geklammert, in der Hoffnung, all das in ihm wiederzufinden. Und am Ende hatte er sogar den Willen, zurückzukehren, verloren. Die vagen Ziele, die er sich hier gesetzt hatte, waren nur Hirngespinste, erfunden, um von dem, was er wirklich fühlte, abzulenken. Seine Existenz in dieser Zeit hatte schlussendlich doch keine Bedeutung. Dass er hier saß und versuchte, seinen Schmerz nieder zuschreiben, hatte auch keinen Sinn, denn niemand würde es lesen. Niemand würde es bemerken. Er war völlig allein und mit Einsamkeit konnte er noch nie wirklich umgehen. Doch er war ja selbst Schuld daran. Mit seiner unüberlegten Annäherung hatte er in null Komma nichts alles kaputt gemacht. Dass es ihm egal war, wie Kagegaku darauf reagierte, war nur eingeredet, damit er sich selbst nicht im Wege stand. Denn hätte er es zu hundert Prozent gewusst, wäre er niemals so weit gegangen. Und nun musste er mit den Konsequenzen leben. Eine andere Wahl blieb ihm wohl kaum. Das war ihm bereits wenige Minuten nach Kagegakus Abreise klar geworden. Er wollte gehen und doch hatte er es in den letzten fünf Monaten nicht einmal vor die Schwelle dieses Hauses geschafft. War er zu feige, diesen Schritt zu gehen? Was hielt ihn hier noch? „Warum bin ich hier?“, murmelte Hyde und ließ ratlos den Kopf in seine Handflächen sinken. Ein tiefes Seufzen entfuhr seinen Lippen, bevor er sich die Tränen wegwischte und mit verschwommenem Blick versuchte, Ordnung auf dem wüsten Tisch zu schaffen. „Ich kann es ja selbst kaum glauben, aber es stimmt wirklich“, piepte eine helle Frauenstimme direkt vor der dünnen, mit Papier bespannten Schiebetür des Arbeitszimmers. Eine andere Frau, deren Schatten Hyde sah, schüttelte ungläubig den Kopf. Es waren Sanjo und Yukie, deren Klatschgeschichten jeden Tag die Runde durch das Anwesen machten. Hyde rollte mit den Augen, während er leise die Papierrollen auf den Tisch legte. Es war besser, wenn ihn hier niemand sah, denn eigentlich gab es für das Personal nur Zutritt, wenn etwas gebracht oder geholt werden sollte. „Mein Mann sagte sogar, dass Herr Nishiyama sie mitbringt, wenn sie zurückkehren“, meinte Sanjo. Normalerweise schenkte Hyde dem Geschichten dieser beiden Frauen kaum Beachtung, doch als Kagegakus Name fiel, hielt er automatisch inne. „Herr Nishiyama und eine Geliebte? Das kann ich nicht glauben.“ Das helle Piepsen der fassungslosen Frauenstimme hallte in Hydes Ohren wieder. Der Pinsel, den er soeben in die Hand genommen hatte, rutschte ihm zwischen den Fingern hindurch und fiel lautlos auf seinen Schoß. Schwarze Farbe drang in das Gewebe des hellbraunen Kimonos, doch der Blonde starrte nur reglos auf die Schatten an der Tür, während er glaubte, sein Herz hätte aufgehört zu schlagen. „Ich verstehe nicht, was daran so unglaublich ist. Andere haben mehr als eine Geliebte.“ „Ja, aber er hatte doch noch nie eine“, entgegnete die andere Frau mit der etwas tieferen Stimme, bevor Yukie mit dem Kopf schüttelte. „Und Toshiba?“ Eine kurze Stille kehrte ein, bevor die etwas ältere Sanjo abfällig mit der Hand fuchtelte. „Toshiba hat sich doch nur aufgedrängt. Unser Herr war nett zu ihm, weil er glaubte, schuld an seiner Verletzung gewesen zu sein.“ Yukie schnaufte verächtlich, bevor sie sich an die Stirn fasste. „Das Gefühl hatte ich nicht, als ich sie damals zusammen auf der Veranda gesehen habe.“ Verachtung und Spott lag in ihren Worten, die der Blonde bereits gewohnt war. Das tuschelnde Gerede über ihren Kuss hatte er in den letzten Monaten oft genug hören dürfen. Yukie hasste ihn, denn er stand dem Familienoberhaupt so nahe, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte. Sie war in ihn verliebt und war daher auf jeden krankhaft eifersüchtig, dem Kagegaku ein Lächeln schenkte. Doch was ihn in die dunkle Tiefe zog war nicht der Hass und auch nicht die Eifersucht, die der Blonde jeden Tag aufs Neue in den Augen der Menschen sah, sondern die Erkenntnis, dass es endgültig keinen Sinn mehr hatte, auf Kagegaku zu warten. „Ich sagte doch, Toshiba hat sich aufgedrängt. So ein Kuss sagt überhaupt nichts“, murmelte Sanjo und Hyde nickte im Stillen. Sie hatte Recht. Ein Kuss sagte nichts. Das begriff er nun. Vielleicht bedeutete diese Berührung hier nichts. Vielleicht hatte ein Kuss überhaupt keine Relevanz. Es zählte nur, wie viele Söhne man mit wie vielen Frauen zeugen konnte, damit die Nachfolge zu hundert Prozent gesichert war. Er musste endlich begreifen, dass dies nicht das 21. Jahrhundert war, sondern eine Welt, in der Krieg herrschte und in der Macht das größte Gut war. Wie er sich dabei fühlte hatte keine Wichtigkeit. Zumal er nicht erwartet hätte, dass ihn eine solche Nachricht derart erschüttern könnte. Völlig unerwartet wurde ihm das letzte Stückchen Boden unter den Füßen weggezogen, während er keinen blassen Schimmer hatte, worauf er eigentlich die ganze Zeit gewartet hatte. „Ich frage mich, wie die Frau aussieht, die es geschafft hat, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ „Er sollte erst einmal heiraten, bevor er sich eine Geliebte nimmt“, äußerte Sanjo kritisch, bevor ihr Gespräch von aufgeregten Rufen unterbrochen wurde. „Sie sind zurück! Unser Herr ist wieder da!“, rief ein junger Bursche laut, um die Bediensteten von der unmittelbaren Rückkehr des Familienoberhauptes zu informieren. „Was? Sie sind zurück?“, fragte Yukie aufgeregt. Der Junge nickte. „Ja, sie sind bereits vor dem Tor.“ „Warum wussten wir nichts davon?“, piepte Yukie aufgeregt, während sie den Ärmel des Kimonos ihrer Freundin griff und diese eilig mit sich schleifte. Hyde, der ebenso überrascht über die plötzliche Rückkehr Kagegakus war, blickte schweigend auf die Papiertür, während die abrupte Stille ihn merklich nervös machte. Fünf Monate hatte er auf diesen Tag gehofft und sich durch die Stunden gequält. Und nun hatte es nicht einmal mehr Sinn, Kagegaku überhaupt unter die Augen zu treten. Niemals wieder würde er es ertragen können, in dieses Gesicht zu sehen oder seine Stimme zu hören, ohne sich für seine dummen Gefühle in das nächste Loch verkriechen zu wollen. Ihm blieb nichts weiter als die Flucht, die er bisher unbewusst hinausgezögert hatte. Nicht aus Angst davor, nirgendwo hin zu können, sondern weil ihm sein Gefühl Hoffnung gemacht hatte. Auf die Möglichkeit, dass seine unerwartete Liebe irgendwie erwidert wurde. Doch so war es nicht. Das wurde ihm heute deutlicher als er es wollte vorgeführt. Mit zittrigen Händen nahm Hyde den Pinsel von seinem Schoss, legte ihn auf den Tisch und stand auf. Sein abwesender Blick schweifte lange durch den kleinen Raum, bevor er an die Schiebetür trat und unentschlossen seine Finger über das Papier streichen ließ. Er zögerte, obwohl sein Entschluss feststand. Regungslos verharrte Hyde mehrere Minuten, während er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Sein Verstand wollte so schnell wie möglich weg von hier, doch sein Herz wartete nur darauf, aufgehalten zu werden. Wieder war er zu feige, um entschieden zu handeln, während er das Gefühl nicht loswurde, eine höhere Macht würde ihm riesige Felsen in den Weg legen, die er niemals überwinden könnte. Er war machtlos seinem verborgenen Willen ausgeliefert. Seufzend ließ er seine Stirn an die schmalen Holzstreben sinken, als er schließlich nähergekommene Stimmen vernahm. Unter ihnen auch die des Klanoberhauptes. „Sie soll ihr Quartier im Westflügel bekommen. Der Raum mit der Aussicht auf den kleinen Garten wird ihr bestimmt gefallen“, ordnete Kagegaku an. „Das Zimmer Eurer verstorbenen Mutter?“, fragte Fukushima nach, während dieser dem Familienoberhaut in den Empfangsraum nebenan folgte. Aufmerksam lauschte Hyde den bekannten Stimmen, die er beinahe ein halbes Jahr lang nicht mehr gehört hatte, während er sich mit dem Rücken an jene dünne Wand drückte, die ihn von Kagegaku trennte. Er seufzte still, als er begriff, wie sehr er es vermisst hatte, den Worten des Oberhauptes zuzuhören. „Ja“, antwortete der Stratege knapp auf die Frage seines Beraters, begleitet von dem klirrenden Metall seiner Rüstung, die ihm abgenommen wurde. „Es soll ihr an nichts fehlen.“ Hyde biss sich schmerzlich auf die Unterlippen, als diese Worte fielen. Es stimmte also wirklich. Kagegaku hatte eine Geliebte, wie es bereits überall herum erzählt wurde. Und wie es sich anhörte, befand sie sich bereits auf dem Anwesen. Was völlig natürlich war, denn von nun an würde sie hier leben, Tage und Nächte mit dem Klanführer verbringen, sehnsüchtig auf seine Rückkehr nach einer Schlacht warten und irgendwann seinen Nachfolger zu Welt bringen. Genauso sah das Leben eines normalen Samurai und seiner Frau aus. So musste es sein, so war es richtig. Doch für Hyde war es die schmerzlichste Erkenntnis seines Lebens. Unaufhaltsam kullerten ihm neue Tränen über die Wangen. Sein Schluchzen unterdrückte er, indem er sich die Hand auf den Mund drückte. „Sehr wohl“, erwiderte Fukushima. Dann herrschte eine kurze Stille, die nur vom Klappern des Metalls und dem Rascheln schweren Stoffes unterbrochen wurde. „Wo ist Hidetori?“, murmelte der Stratege nach einigen Minuten und zerrte Hyde damit aus seinen Gedanken, in die er sich kurz verloren hatte. Fukushima zögerte, bevor er darauf antwortete. „Ich weiß es nicht.“ „Wann wurde er das letzte Mal gesehen?“, fragte Kagegaku hastig, kaum das sein Berater ausgesprochen hatte. „Vor einigen Stunden.“ Aufgeregt begann das Oberhaupt, im Raum auf und ab zu gehen. „Vielleicht ist er gegangen“, schlussfolgerte er besorgt. „Warum sollte er das tun?“, entgegnete Fukushima, der seinen Herrn zu beruhigen versuchte. Der Stratege schüttelte sofort den Kopf. „Auf meinen Brief hat er auch nicht geantwortet.“ Darauf antwortete der Berater nur mit einem resignierenden Schweigen, während Kagegaku wie erstarrt stehen blieb. Verwirrt versuchte Hyde, das Gesagte zu verstehen. Er wusste nichts von einem Brief. Dass er darauf gewartet hatte, wollte er nicht leugnen, doch unter den Briefen, die jede zweite Woche ankamen, war nie etwas für ihn dabei gewesen. Irgendwann hatte er einfach nur aufgegeben, daran zu glauben, und sich damit abgefunden, dass Kagegaku nicht die Notwendigkeit darin sah, auch nur ein Wort über das, was passiert war, zu verlieren. Schlichtweg, weil es ihm anscheinend nichts bedeutete. Das hatte Hyde die ganze Zeit geglaubt. Davon war er wochenlang überzeugt gewesen. Und nun stellte sich einfach heraus, dass es vielleicht doch nicht so war? Hyde war verwirrt. Unentschlossen, was er nun glauben sollte, schüttelte er den Kopf, bevor er zögernd die Tür öffnete und wie ferngesteuert das Zimmer verließ. Er hörte wie Kagegaku wieder ruhelos durch den Raum lief. Die Nervosität des Samurai übertrug sich auf den Blonden, dessen Herz in Dreiecken sprang, als er sich wehmütig dazu entschlossen hatte, ein letztes Mal unter die Augen des Strategen zu treten. Seine langsamen Schritte brachten ihn in den Nebenraum. Ohne aufzusehen oder vor seinem Herrn niederzuknien, stand er regungslos da und haderte mit den Worten. „Hidetori“, bemerkte Fukushima, der den Blonden zuerst entdeckt hatte, erleichtert. Kagegaku drehte sich sofort herum und musterte aufmerksam den verkrampften Mann an der Tür. „Wo warst du?“, wollte der Stratege wissen, doch Hyde zeigte keine Reaktion, was Kagegaku augenblicklich stutzig machte. Zögernd trat er an den Blonden heran, während seine Augen den schwarzen Fleck auf seinem Kimono fixierten. „Was ist passiert?“, stellte er die nächste Frage, die Hyde wieder nicht beantwortete. Den tadelnden Blick Fukushimas bemerkte der Blonde. Als treuer Vasall war es natürlich seine Pflicht, niederzuknien und auf Fragen seines Herrn zu antworten, doch er hatte einfach nicht mehr die Kraft, so zu tun, als wäre er Teil dieser albernen Welt. Das Einzige, was er wollte, waren jene Antworten, auf die er so lange hatte warten müssen. Alles andere war ihm völlig gleichgültig. Auch wenn er wusste, dass es nun so oder so keinen Sinn mehr hatte. „Ich habe nie einen Brief erhalten“, murmelte Hyde mit brüchiger Stimme, während er stur den Boden vor seinen Füßen musterte, um nicht in die dunklen Augen des Samurai sehen zu müssen. Kagegaku blickte ihn irritiert an, bevor er skeptisch den Kopf schüttelte und fragte: „Was soll das heißen?“ Hydes ratloses Schweigen war die Antwort darauf, was dem Strategen sofort Sorgen bereitete. Aufgeregt fuhr er sich mit seinen Fingern über das Kinn und runzelte ernst die Stirn. „Konishiki hat mir versichert, dass du ihn persönlich in Empfang genommen hast“, meinte der Schwarzhaarige zweifelnd, der natürlich größtes Vertrauen in die Loyalität seiner Männer legte. Die Vorstellung, dass jemand gegen einen seiner Befehle gehandelt hatte, war ihm einfach zu absurd. Das wusste Hyde und doch gab es theoretisch kaum eine andere Erklärung dafür. „Ich habe Konishiki fünf Monate lang nicht gesehen“, antwortete der Blonde, dem soeben klargemacht wurde, dass er Teil eines falschen Spieles geworden war. Verwirrt registrierte er Kagegakus plötzliche Nervosität, als diesem praktisch vor Augen geführt wurde, dass sich offensichtlich ein Verräter unter seinem Dach befand. Für einen Heerführer, der seinen Kriegern blind vertraute, war dies ein würdeloser und hinterhältiger Angriff auf seine Ehre. „Fukushima, finde sofort heraus, wo dieser Brief ist.“ Hyde zuckte zusammen, als das Oberhaupt mit lauter, aufgeregter Stimme diesen Befehl gab, während ihm die Wut in den Augen des Strategen verborgen blieb. „Natürlich“, gehorchte Fukushima. Er verbeugte sich, stand auf und verließ ohne zu zögern den Raum, während Hyde verkrampft versuchte, Kagegakus Blick, der ohne Zweifel auf ihm ruhte, zu ignorieren. Obwohl er nicht wusste, ob der Zorn des Strategen auch auf ihn gerichtet war, ergriff der Blonde unsicher die Gelegenheit, eine entscheidende Frage zu stellen. „Was … stand in diesem … Brief?“, stotterte er, all seinen Mut zusammennehmend. Noch immer hatte er nicht die erforderliche Kühnheit, den Samurai anzusehen, denn die Angst, die Antwort bereits in seinen Augen sehen zu können, versetzte ihn regelrecht in Panik. Das Oberhaupt zögerte einen Moment, bevor er überlegt und doch befangen eine Antwort darauf gab. „Das ist unwichtig“, entgegnete er leise. Hyde riss sofort schockiert die Augen auf und starrte fassungslos auf seine nackten Füße, die trotz des warmen Juniwindes zu frieren schienen. „Unwichtig?“ Betroffen schüttelte der Blonde den Kopf. Das konnte unmöglich die Wahrheit sein. Warum existierte dieser Brief, wenn er unwichtig war? Warum zögerte er mit seiner Flucht, wenn es dieses Fünkchen Hoffnung, welches er in sich spürte, nicht wirklich geben würde? Warum konnte er sich nicht damit abfinden, seine Zeit hier verschwendet zu haben? „Hidetori ...“, murmelte Kagegaku besorgt, als der Blonde einige zaghafte Schritte rückwärts machte. Widerwillig blieb Hyde stehen, als er seinen Namen, den er sich selbst vor einem halben Jahr gegeben hatte, hörte. Genauso unüberlegt wie sein Entschluss, alles aufzugeben, um an der Seite des kriegerischen Samurai sein zu können. „Wenn es so unwichtig ist, warum seid Ihr dann so aufgeregt und lasst Fukushima danach suchen?“, stellte Hyde mutig diese vielleicht anmaßende Frage. Er hatte nichts mehr zu verlieren, warum also sollte er nicht sagen, was er dachte? Dass Kagegaku darauf keine Antwort geben würde, hatte er bereits geahnt. Und doch schmerzte es ihn immer wieder, zu erkennen, dass es dem Strategen völlig gleichgültig war, wie er sich fühlte. „Lebt wohl“, flüsterte Hyde verzweifelt, während ihm immer elender zumute wurde. Er ertrug es nicht länger, also musste er gehen. Natürlich würde der Stratege nicht verstehen, warum er sich dazu entschlossen hatte, doch von diesem zu verlangen, seine Gefühle zu erwidern, stand genauso außer Frage. Wahrscheinlich wusste der Samurai nicht einmal, was Liebe bedeutete. Er hatte also einfach keine andere Wahl. „Wo willst du hin?“, fragte Kagegaku, der Hyde wie erstarrt hinterher blickte, merklich verwirrt. „Ich … verlasse dieses Anwesen.“ Warum er diese Antwort gab, war dem Blonden völlig schleierhaft. Dass Kagegaku ihn womöglich aufhalten könnte, hätte ihm doch klar sein müssen. Doch so dumm wie er war, hatte er wieder gegen seine zerrissenen Gefühlen verloren und sich selbst Steine in den Weg gelegt. Panisch stürzte der Stratege an den Blonden heran und packte diesem fest am rechten Oberarm. „Du wirst nicht gehen!“, wandte er ernst ein. Erschrocken ließ Hyde sich dazu hinreißen, in Kagegakus Augen zu sehen. Eine beängstigende Strenge lag in dessen Blick, der Hyde erzittern ließ. Es machte ihn regelrecht sprachlos, wie besitzergreifend Kagegaku ihn packte und an seine Brust zog. Wütend starrte der Samurai mit funkelnden Augen in das Gesicht des Blonden, der vor Verwirrung nicht mehr wusste, was er denken sollte. Warum tat Kagegaku das? Mit welchem Recht glaubte er, über ihn verfügen zu können, wie er es wollte. Auch wenn er der Herr und Hyde nur ein Bediensteter war, hatte der Blonde immer noch Anspruch auf Entscheidungsfreiheit, denn schließlich war er kein Gefangener mehr. Warum wollte Kagegaku ihn aufhalten, wenn er es nicht einmal für nötig hielt, ihm die Wahrheit über diesen Brief zu sagen. Warum konnte er ihm nicht klipp und klar die Ablehnung in sein Gesicht schleudern? Die Einfältigkeit des Strategen missfiel Hyde. Zornig erwiderte er den scharfen Blick des Schwarzhaarigen, während er sich ruckartig von ihm losriss. Das Geräusch von zerreißendem Stoff ließ Hyde jedoch noch einmal zurückblicken, um dann irritiert festzustellen, dass Kagegaku ihn an seinem eingerissenen Kimonoärmel festhielt. Schockiert blickte er in die starren Augen des Oberhauptes. „Lasst mich los!“, forderte der Blonde, während ihm natürlich bewusst war, dass Kagegaku sicherlich noch nie Befehle von einen Mann niederen Standes erhalten hatte. Da ihm klar war, dass der Stratege sich seinem Wunsch nie beugen würde, packte Hyde seinen Ärmel und zog diesen fest aus Kagegakus verkrampften Fingern. Obwohl ihn jener Moment so sehr quälte, stand sein Entschluss fest. Er würde dieses Haus verlassen, weil er es nie ertragen könnte, eine Geliebte in Kagegakus Armen zu wissen. Diesen Grund konnte er dem Strategen natürlich nicht liefern, also schwieg er, während er sich umdrehte und davonlief. Er war ein elender Feigling, der sich seinen Ängsten nicht stellen wollte. Und er hatte hier nichts verloren. Nein, nichts außer seinem Herzen, das er wohl nie zurückbekommen würde. Aber das war egal, da er sowieso keine Verwendung mehr dafür sah. Er wusste noch nicht einmal, wie er nach seiner Flucht leben sollte. Wozu also ein Herz, welches ihn die ganze Zeit nur in die Irre geführt hatte? Während Hyde wortlos vor Kagegakus Augen flüchtete, presste dieser seine vor Wut verzerrten Lippen zusammen. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, als er Hidetori unbeherrscht an sich gezogen hatte und aus benebelten Zorn am liebsten gar nicht mehr aus seinem festen Griff lassen wollte. War es, weil ihm noch nie jemand so dreist in die Augen gesehen hatte? Weil noch nie jemand so unverschämt mit ihm geredet hatte? Oder eher weil er sich einfach nicht damit abfinden wollte, dass sein nach Monaten erstes Wiedersehen mit dem Blonden derartig schief gelaufen war, obwohl er sich so sehr nach ihm gesehnt hatte? Vielleicht war es eine Mischung aus allem, doch eines war dem Strategen klar. Niemals würde er Hidetori gehen lassen, selbst wenn er diesen in Ketten legen musste. „Makushita, Maegashira, verriegelt das Tor und behaltet ihn im Auge. Er darf auf keinen Fall das Anwesen verlassen!“, ordnete Kagegaku mit kräftiger Stimme an. -------------------------------------- Ohne jetzt zu viel zu verraten, aber ich möchte diese Frage gern stellen . ^^ Vielleicht weiß ja jemand, aus welchem Song der erste Satz des Kapitels ist?! Ich denke, dass zu erraten ist nicht schwer, denn so viele Song mit englischen Sätzen gibt es ja nicht. ^^; Ratet und denkt euch euren Teil. XD Und wie ihr gemerkt habt, bleiben die Kapitel (hoffentlich) nun in dieser (für mich) kurzen Länge, denn ich glaube, ich habe mir erfolgreich angewöhnt die Kapitel nicht in die Länge zu ziehen. Das heißt aber nicht, das ich weniger schreibe, sondern einfach nur, dass die Kapitel anders aufgeteilt sind. Jetzt befinden sich weniger Szenen in einem Kapitel. Also wird es am Ende bestimmt doch sehr viel mehr Kapitel, als die am Anfang geschätzten 10. ^_^ UND es wird keine lange Wartezeit von über einem Monat mehr geben. Ich schätze, dass es so zwischen 2-3 Wochen pendeln wird. Ich find das gut. ^_- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)