Eien 永遠 von Tenshis (Der Samurai und der Fremde) ================================================================================ Kapitel 5: Kuss --------------- 5. Kapitel: Kuss [Nur ein süßer Kuss und doch soviel Bedeutung. Kannst du mich lieben?] ---------------------------------------- * Hydes Augen blickten in den runden Bronzespiegel in seiner Hand, während er sich nachdenklich durch sein blondes Haar fuhr. Fast ein Monat war vergangen, seit er auf unerklärliche Weise in das mittelalterliche Japan gereist war und inmitten von kriegerischen Samurai lebte. Nun diente er als gewöhnlicher Vasall unter dem Strategen Nishiyama Kagegaku, wie Hyde es auf Fukushimas Anraten gewünscht hatte. Offiziell war er der persönliche Diener des Klanoberhauptes. Er war der Mann, der seine weite Reise aus dem nördlichsten Winkel Japans angetreten hatte, um den legendären Strategen eine helfende Hand zu sein. Diese Lüge hatte Fukushima in der ganzen Provinz verbreitet. Auch Kagegaku wurde es so erzählt. Nicht jeder schenkte dieser Geschichte Glauben, trotzdem konnte ihn nun niemand mehr der Spionage bezichtigen. Seit einem Monat bewohnte Hyde nun den Raum direkt neben den Räumlichkeiten des Familienoberhauptes. Er brachte ihm Frühstück und Mittagessen, half beim Putzen und in den Ställen. Während Fukushima und Kagegaku im Schnee den Schwertkampf trainierten, sah er meist aus dem Verborgenen heraus zu. Abends zündete er in Kagegakus Räumen die Kerzen an, servierte das Abendessen und leistete ihm zum Abschluss des Tages Gesellschaft beim Saketrinken. So sah der gewöhnliche Tagesablauf aus, den Hyde ohne Reue gegen sein Leben als Star eingetauscht hatte. Obwohl er oft an die Menschen in seiner Zeit denken musste, wurde ihm auch von Tag zu Tag klarer, dass er nicht erwarten konnte, jemals zurückkehren zu können. Er hatte sich damit klar abgefunden, ein Mensch dieser Zeit zu werden. Seine Denkweise und Aufgaben hatten sich bereits so drastisch verändert, dass er das Gefühl hatte, schon sein ganzes Leben lang dazuzugehören. Dass Kagegaku an diesen Empfindungen nicht ganz unschuldig war, spürte Hyde jeden Abend, wenn er an seiner Sakeschale nippte und den spannenden Worten des Strategen zuhörte. Obwohl die Geschichten, die er erzählte blutig und grausam waren, liebte es Hyde, dieser klaren Stimme zu lauschen. An das starke Herzklopfen, das er dabei wahrnahm, hatte er sich längst gewöhnt, genauso auch wie an die kurze Atemnot, die eintrat, wenn Kagegaku ihn scheinbar unbewusst mit einem tiefen Blick ansah und lächelte. Das waren jene Augenblicke, die Hyde bis in die Nacht hinein beschäftigten und nicht schlafen ließen. Sie kamen oft vor. Fast schon zu oft, um sie noch Zufall nennen zu können. Wie auch den letzten Abend, als Hyde den Sake verkippt hatte, nachdem ihm wieder jener Blick nervös gemacht hatte. Hinter den verschlossenen Türen der Bediensteten wurde bereits vom heimlichen Geliebten gesprochen, der sich als Diener tarnte, um dem begehrten Strategen ohne viel Aufsehen so nahe wie möglich zu sein. Neidische Frauen bedachten ihn deswegen täglich mit bösen Blicken, welche Hyde jedoch kaum interessierten. Ob sie nun der Meinung waren, Kagegaku hätte den Mann mit den goldenen Haaren in seine Dienste genommen, weil er sich schuldig fühlte oder weil er den vermeintlichen Verführungskünsten des Fremden wehrlos erlegen war, war für ihn ohne Belang. Selbst wenn es wirklich so war und der Samurai sich für die mittlerweile verheilte Verletzung verantwortlich machte, störte es Hyde nicht. Für ihn zählte allein, dass er in Kagegakus Nähe war. Warum dieser seiner Bitte ohne zu zögern zugestimmt hatte, war auch völlig egal. Müde starrte Hyde nach der letzten schlaflosen Nacht und dem anstrengenden Tag in den kleinen Spiegel in seiner Hand. Sein Haar sah noch genauso aus, wie an dem Tag, als er hierher gekommen war. Was Hyde seltsam fand, denn normalerweise hätte ihm bereits ein dunkler Ansatz auffallen müssen. Doch dort glänzte es, genauso wie in den Spitzen, in einem sauberen Blond. Diese Tatsache ersparte ihm natürlich Fragen, die er nicht hätte beantworten können. Schließlich erklärte sich ein geheilter Geburtsfehler nicht so leicht. Er war froh, dass es so war, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie so etwas möglich sein konnte. Stirnrunzelnd legte Hyde den Spiegel beiseite und ergriff das Tablett, auf dem der Sakekrug und zwei Schalen standen. Es war der letzte Tag des Jahres. Der Schnee fiel heute wieder in dicken Flocken in den weiß bedeckten Garten, auf dessen Veranda Kagegaku wie jeden Abend schon auf ihn wartete. Sicherlich hatte sich dieser bereits eine neue Geschichte, aus seinen abenteuerlichen Leben, zurechtgelegt. Doch es waren nicht die spannenden Erzählungen, die Hyde allabendlich in die Räumlichkeiten des Strategen zogen, es war eher Kagegakus geheimnisvolles Wesen, dessen Ritterlichkeit selbst wie aus einem Märchen stammte. Hyde zögerte kurz, als er nach seinen vertieften Gedankengängen schließlich den Raum verließ und sofort Kagegaku erblickte. Er saß an der Shojitür seines Zimmers, den Kopf an das dunkle Holz gelehnt. Das lange offene Haar bedeckte die breiten herabhängenden Schultern, über die ein brauner Haori* gelegt war. Langsam trat er an den Samurai heran. „Guten Abend“, murmelte Hyde, doch es kam keine Antwort. Verwundert kniete er sich nieder und stellte das Tablett vorsichtig neben sich, während er einen verstohlenen Blick in das Gesicht des Strategen riskierte. Er schlief. In seinen Händen, die auf seinem Schoß lagen, hielt er ein dünnes, aufgeklapptes Buch, in dem er wohl gelesen hatte, bevor er sich der Müdigkeit hatte geschlagen geben müssen. Behutsam wollte der Blonde das Buch aus Kagegakus Händen ziehen und es beiseite legen. Dabei berührte er unabsichtlich die kalten Finger des Oberhauptes. Hyde zuckte erschrocken zurück, als ihn daraufhin ein ungewöhnliches Gefühl übermannte. Irritiert blickte er wieder auf die geschlossenen Augen des Schlafenden. Obwohl es Hyde nicht neu war, den Krieger von seiner friedlichen Seite zu sehen, war der sanfte Ausdruck, der auf dem Gesicht Kagegakus lag, ungewohnt. Es schockierte ihn regelrecht, dass seine Reaktion auf diesen Anblick ein heftiges Pochen in der Brust war, begleitet von einem seltsamen Schmerz. Es war derselbe Schmerz, unter dem er am Fluss, vor einen Monat, zusammengebrochen war. Doch dieses Mal war eine befremdliche Aufregung stärker als diese Qual. Erschrocken fasste Hyde sich an die Stirn, als ihm auf einmal wieder Bilder unbekannter Erinnerungen in den Sinn kamen. Es herrschte Stille und sein Herz klopfte so laut und heftig er glaubte es wäre eine Turmuhr, die in seiner Brust steckte, während alles um ihn herum verschwamm. Kagegaku verschwand hinter einem Nebel aus Erinnerungen, die immer deutlicher wurden. Und dann sah er es so klar als passierte es direkt vor ihm, mit echten Gefühlen, die durch seinen Körper rasten. Zuerst war es nur die bekannte Begebenheit, wie Kagegaku schlafend auf der Veranda saß. Es war idyllisch leise, während im Garten dichter Schnee fiel. Er sah sich selbst, wie er sich dem Samurai näherte und ihm das Buch aus den Händen nahm. Der lange Blick auf die geschlossenen Augen des Schwarzhaarigen war schließlich das Letzte, was Hyde bekannt war. Es folgte ein tiefes Seufzen, das wie aus der Ferne erklang, bevor er seine Lippen sanft auf die des Kriegers drückte. „Was?“ murmelte Hyde leise, als er urplötzlich aus dieser seltsamen Trance erwachte. Verwirrt sah er sich um, als wüsste er nicht, wo er war und was überhaupt passierte. Er hatte das Buch in seinen Händen und kniete neben dem schlafenden Samurai. Es war alles genauso wie er es soeben gesehen hatte. Doch ein harmloses Déjà-vu war anders. Er spürte noch wie es sich anfühlte, Kagegakus Lippen zu küssen, als hätte er es wirklich getan. Er drückte einen Finger auf seine Unterlippe und starrte auf Kagegakus Mund, bevor er noch einmal versuchte, sich daran zu erinnern. In seiner Brust wurde es warm, genauso wie er es bereits gespürt hatte. Er wusste, dass diese Bilder, die er manchmal sah, Hinweise auf sein Schicksal waren, dem er einfach nicht entkommen konnte, denn der starke Drang, Kagegakus Lippen zu küssen, war gegenwärtig, was er einfach nicht leugnen konnte. Er wollte ihn küssen. Aber warum? Warum zweifelte er nicht? Hatte er sich in den letzten Wochen tatsächlich so verändert, dass es ihm völlig gleich war, was er tat oder fühlte? Erlag er nun den Gerüchten, die seit seinem Auftauchen um ihn und Kagegaku kursierten? Würden sie wirklich ein Liebespaar werden, wie es 400 Jahre später noch vereinzelt erzählt werden würde? Er wusste doch gar nicht, wie Kagegaku auf seine Annäherung reagieren würde. Ob er aufwachen und ihn von sich stoßen würde? Ob er Fragen stellen würde? All das empfand Hyde als unwichtig und trotzdem schwirrte es in seinem Kopf herum. Es war völlig egal, ob Kagegaku ihn abweisen würde. Es war auch egal, wenn all jene Gerüchte, die er vor wenigen Wochen noch für unmöglich gehalten hatte, der Tatsache entsprechen würden. Die Anziehung, die der schwarzhaarige Samurai auf ihn ausübte, war zu groß, als dass er sich dagegen wehren konnte. So war es schon seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Er hatte es die ganze Zeit gespürt und es doch nicht wahrhaben wollen. Bis jetzt ... Während Hyde sich langsam darüber im Klaren wurde, warum sein Wunsch, in die Zukunft zurückzukehren, derart in den Hintergrund getreten war, schloss er die Augen und näherte sich Kagegakus Lippen, die er schließlich quälend langsam mit seinen streichelte. Es fühlte sich an wie ein kleiner Stromstoß, den er egoistisch genoss, im Glauben, der andere würde es nicht spüren. Er seufzte und tat es noch einmal. Vorsichtig berührte er wieder die vollen Lippen, die sich so weich an seine eigenen schmiegen würden, könnte er ihn leidenschaftlich küssen. Doch ihm blieb nur diese kaum vernehmbare, zarte Berührung, die weit unter dem lag, was Hyde wirklich wollte. Als er spürte, wie ein sanftes Kribbeln durch seinen Körper fuhr und schließlich in seinem Bauch verharrte, fragte er sich, ob dies die allzu bekannten Schmetterlinge waren, die er zugegebenermaßen noch nie so intensiv wahrgenommen hatte. Sie baten selbstsüchtig um mehr, doch Hyde musste bekennen, dass ihm einfach der Mut dazu fehlte. Das war alles, was er sich von Kagegaku nehmen konnte, ohne diesen zu fragen. Auf mehr brauchte er nicht zu hoffen, obwohl der Gedanke, einfach die Grenze zu überschreiten und zu sehen was passierte, zu verlockend war. Er scheute sich davor, obwohl er gern gewusst hätte, wie Kagegaku darauf reagieren würde. Zögernd entfernte er sich etwas und öffnete betrübt über seine eigene Feigheit die Augen. Dunkle, von dichten Wimpern umrahmte Augen sahen ihn überrascht an. Hyde wich erschrocken zurück. Das Buch fiel aus seinen Händen, als Kagegaku schnell nach seinen Fingern griff und ihn von seiner Flucht abhielt. Schweigend sahen sie sich in die Augen, während Hyde spürte, wie ihm unangenehme Röte ins Gesicht stieg. Er suchte nach Worten, denn aus irgendeinen Grund spürte Hyde, dass Kagegakus Blick ihn mit Fragen löcherte. Doch über seine Lippen kam kein einziger Ton. Er war wie gefesselt an diese Augen und die Finger, die seine Hand festhielten. So verharrten sie endlose, stille Sekunden, bis der Samurai sich mit den Fingern über seine Lippen fuhr. Begleitet von starkem Herzklopfen beobachtete der Blonde diese Handlung. Sein Blick fuhr zu den Lippen, die ihm bereits zu einem verführerischen Kribbeln verholfen hatten, während sich eine bekannte Sehnsucht in seiner Brust breitmachte. Er konnte nicht deuten, was der Samurai dachte oder fühlte, und doch handelte sein Körper als würde er es genau wissen. Ohne ein Wort der Entschuldigung zu verlieren oder selbst zu realisieren, was er tat, berührte er wieder Kagegakus Lippen. Dieses Mal jedoch nicht so zaghaft und vorsichtig wie die Male zuvor. Er tat es fordernd, was den Schwarzhaarigen womöglich überrumpelte, doch Hyde wusste, würde er es jetzt nicht tun, dann würde er nie wieder den Mut dazu aufbringen können. Zu seiner Überraschung musste der Blonde allerdings feststellen, dass Kagegaku seinen Kuss sofort erwiderte. Obwohl die Reaktion des Strategen scheu und zögernd war, war es gerade diese Schüchternheit, die Hyde erstaunte und gleichzeitig beinahe wahnsinnig machte. Die Lippen des Samurai waren so weich, dass er sich ein zufriedenes Seufzen nicht verkneifen konnte. Auch seine nach mehr hungernde Zunge konnte er nicht zurückhalten, als sie unverschämt über Kagegakus Lippen fuhr. Er nahm eine kindliche Zurückhaltung wahr, die er jedoch gekonnt mit einem Lächeln überging. Es war seltsam, doch in jenen Moment war er das erste Mal er selbst. Die vergangenen Wochen hatten ihn zwar sicherer gemacht, doch so forsch und mutig wie jetzt war er viel zu lange nicht gewesen. Trotzdem versuchte er nur vorsichtig die zitternden Lippen des Schwarzhaarigen zu teilen und die schüchterne Berührung ihrer Zungen still zu genießen. Immer wieder zuckte Kagegaku zurück, was den Blonden zuerst verwunderte, denn er spürte, dass es ihm alles andere als unangenehm war, wenn er Kagegaku nachkam und den Kuss etwas intensivierte. Es war eher so, als wüsste der Stratege nichts mit seinem aufgeflammten Begehren anzufangen. Konnte es möglich sein, dass ein Mann, der mit Attraktivität, Beliebtheit und Ansehen gesegnet war, noch nie in den Genuss eines solchen Kusses gekommen war? Verwirrt über diesen absurden Gedanken, drückte Hyde sich näher an den Samurai heran. Er griff mit der rechten Hand nach dem Holz, an das sich Kagegaku gelehnt hatte, um besseren Halt zu erlangen, während er mit der linken unter sein Kinn fuhr und ihm das Gesicht entgegendrückte. Ihr Atem ging heftiger, als Hyde mit seiner Zunge noch fordernder wurde. Ein Spiel, das der vermeintlich Unerfahrene schnell erlernt hatte. Auch er wurde nun drängender, obwohl es sich doch noch etwas zaghaft anfühlte. Mit seinen kühlen Händen berührte er die glühenden Wangen des Blonden. Hyde seufzte wollig, denn diese Berührung war so unglaublich wohltuend, dass ihm ein Kribbeln durch den ganzen Körper zog. In seiner Brust jedoch zog es, als würde ihm jemand das Herz herausreißen wollen. Während er dem Drängen seines Körpers nachging, versuchte das Herz mit unglaublich großen Gefühlen klarzukommen. Gefühle die ihm vertraut waren, obwohl sie doch eigentlich neu waren. Es verwirrte Hyde. Er kannte seinen Geruch, er wusste wie sich Kagegakus Lippen anfühlten, noch bevor er sie überhaupt berührt hatte. Selbst seine zurückhaltende Art war ihm nicht neu, obwohl er sich doch darüber gewundert hatte. Es war, als würde er das bereits Geschehene noch einmal erleben, ohne zu wissen, dass es schon lange Vergangenheit war. Waren dies wirklich eine Nebenwirkungen seiner Zeitreise, wie er es sich selbst immer wieder erklärte? All das, was er erlebte, lag lange zurück. Dieser Kuss geschah vor 400 Jahren. Hyde jedoch war es, als wäre er vergangen und gleichzeitig Gegenwart. Kagegakus Hände, die von den Wangen abließen und über seinen Rücken fuhren, waren echt, genauso wie sie auch nur als Bild in seinen Erinnerungen erschienen. Obwohl Hyde sich in diesem Kuss auf eine eigenartige Art verloren fühlte, schmerzte ihn der Gedanke ihn zu beenden. Er wollte ihn nicht loslassen, da er das Gefühl hatte, ihn dann nie wieder auf diese Art spüren zu können. Diese Angst nistete sich in sein Herz, während er als Gefangener eines plötzlichen Feuers dem tiefen Kuss mehr Leidenschaft gab. Hyde spürte wie das Herz in der Brust des Kriegers wild raste, fast im Einklang mit seinem eigenen Pochens. Immer wenn Hyde sich kurz von den Lippen trennte, traf stoßweise heißer Atem auf seinen Mund, was den Blonden berauschte. Die Welt um sich herum vergessend, fuhr er mit seinen Fingern Kagegakus Hals hinunter. Sie stoppten nicht, als sie am Kragen des Kimonos angelangten, sondern glitten einfach unverschämt darunter. Das überraschte Stöhnen des Samurai fing er einfach mit seinen Lippen auf, während er langsam über die muskulöse Brust fuhr. An seine Ohren drang nichts außer dem stillen Rauschen, das plötzlich von einer bekannten Stimme, die aufgeregt den Namen des Kriegers rief, ausgelöst wurde. Hyde jedoch ignorierte sie, weil er glaubte, sie wäre nur Teil einer Einbildung. Auch Kagegaku reagierte nicht, was für ihn die Sinnestäuschung bestätigte. Doch als die Stimme lauter wurde und scheinbar näher rückte, erwachte Hyde urplötzlich aus diesem erregenden Wahn, in den er sich selbst rücksichtslos gestürzt hatte. Er trennte ihre sich küssenden Lippen und drückte sich völlig außer Atem von dem Samurai weg. Sofort erblickten seine Augen Fukushima, der nur wenige Meter von ihnen entfernt auf der Veranda stand und sie anstarrte. Hyde blickte verschämt zu Boden, um zu verhindern, das der Berater seine geröteten Wangen sah. „Herr!“, murmelte dieser und der Blonde bemerkte sofort die kurze Unsicherheit in Fukushimas Stimme. Auch wie Kagegaku versuchte seinen Atem und Herzschlag zu kontrollieren, vernahm der Blonde nur zu deutlich. Die zitternden Hände, die den Kimono zurechtzogen, blieben nur Fukushima verborgen, der verwirrt auf den Rücken seines Herrn blickte und auf eine Reaktion wartete. „Herr, euer Bruder ist hier!“ Diese Warnung kam leider zu spät. Kagegaku seufzte genervt, während er sich, die näher kommenden Schritte hörend, verbissen an die Brust fasste. Hyde, der sich etwas verloren fühlte, wollte sich ungesehen zurückziehen, doch die lauten Worte des Bruders hallten in seinen Ohren wie dumpfe Schläge gegen eine Wand. „Sieh mal an. Da seh ich das Bürschchen doch endlich mal bei Bewusstsein und es will gleich abhauen.“ Zögernd hielt er in seinem Fluchtversuch inne, drehte sich herum und ließ sich nervös zu einem kurzen Blick in das Gesicht des jüngeren Bruders hinreißen. Fukushima hatte ihn oft vor Kagemura gewarnt. Er sei ein herzloser Mensch, der es auf das Erbe der Familie abgesehen hatte. Kagegaku war ihm deswegen ein Dorn im Auge. Wer Freund mit dem Strategen war, der war auch gleichzeitig Feind des Bruders, so hatte der Berater es ihm erklärt. Hyde jedoch war überrascht, als er die Augen Kagemuras erblickte. Sie waren warm und doch stimmte etwas in ihrer Ausstrahlung nicht. Es war auch Verbitterung und Groll in ihnen zu lesen, was dem Blonden ein ungutes Gefühl bescherte. „Deine Haarfarbe ist zwar wirklich abstoßend, doch dein Gesicht hat für einen Mann ungewöhnlich schöne Züge“, meinte Kagemura, der langsam an Hyde herantrat und sich zu ihm hinunterbeugte. Den Hohn in der warmen Stimme des Samurai ekelte den Sänger. Machtlos musste er auch zulassen, wie ihm über die noch glühende Wange gestrichen wurde, denn das schaurig unwohle Gefühl, das durch seine Brust fuhr, lähmte ihn regelrecht. Benommen nahm er das bissige Lachen des Bruders war, das wie tausend Nadeln in seinem Kopf stach. Gleichzeitig schwirrten unzählige Bilder vor seinen Augen, die ihn in den Wahnsinn zu treiben drohten. Zärtliche Hände, sanfte Lippen, aber auch Tränen, Hass und Feindschaft. Er musste die Augen schließen, um ihnen zu entkommen und um zu realisieren, dass Kagegaku die kalte Hand aus seinem Gesicht geschlagen und Kagemura hart weggestoßen hatte. Dieser taumelte zurück, direkt in die Arme Fukushimas, der ihn vor einen peinlichen Sturz bewahrte. „Fass ihn nie wieder mit deinen dreckigen Händen an, sonst bring ich dich um!“, brüllte das Oberhaupt in einen beängstigenden Ton. Selbst Kagemura schien erschrocken über diese Wut, die er nie in seinem Bruder vermutet hätte. Seine zornigen Augen funkelten, während er sich stolz aufrichtete und lachte. „Tust du das, dann wirst du als Verräter hingerichtet.“ Fukushima, der seinem niederen Stand ausgeliefert war und nichts tun konnte, schüttelte über diese unbedachte Aktion nur den Kopf. Genau das hatte er die ganze Zeit befürchtet. Täglich hatte er seinen Herrn davor gewarnt, doch es schien alles umsonst gewesen zu sein. „Was willst du hier?“, kam es voller Zorn von Kagegaku. Hyde der sich für den Wutausbruch des Strategen verantwortlich fühlte, wagte es nicht, sein Haupt zu heben und irgendjemandem ins Gesicht zu sehen. Er wusste, dass das, was gerade geschehen war, noch Folgen haben würde. Geschah etwas Schreckliches, dann war es ganz allein seine Schuld. Nicht umsonst hatte Fukushima ihm immer wieder dazu geraten, sich möglichst schnell zu entfernen, wenn Kagemura auftauchte. Doch er war neugierig stehengeblieben, obwohl er wusste, dass es ungeheuerlich dumm von ihm war. „Ich bin in Kenshins Auftrag hier. Ich soll dir mitteilen, dass Shingen tot ist und die Truppen noch heute Nacht nach Etchu aufbrechen werden“, antwortete Kagemura mit demselben Zorn in der Stimme wie sein Bruder. Überrascht blickten sich Fukushima und der Klanführer an. Shingen war der ewige Widersacher der Uesugis gewesen. Achtungsvoll hatte Kenshin ihm den Namen „Tiger von Kai“ gegeben, sowie dieser ihn „Drache Echigos“ genannt hatte. Ein beiderseitiges Gefühl des tiefempfundenen Respekts verband die beiden Erzrivalen, die sich während ihrer Feindschaft sogar wertvolle Geschenke gemacht hatten. Sein Tod war keine unwichtige Angelegenheit, was Kagegaku, Fukushima und selbst Hyde sofort klar war. Doch dem Blonden war im Gegensatz zum Oberhaupt und dessen Daiymo auch bekannt, dass Shingens Tod lange vor seinen Feinden geheimgehalten worden war, was dessen letzter Wille gewesen war. „Shingen ist tot?“, murmelte Kagegaku fassungslos. Kagemura nickte, während er dieselbe Betroffenheit in den Augen seines Bruders feststellen musste, die ihm schon bei Kenshin aufgefallen war, als dieser davon erfahren hatte. Verstehen konnte er es nicht, genauso wenig wie den unsinnigen Befehl, das Land der Takedas, nun da sie geschwächt waren, nicht anzugreifen. „Du sollst mit deinen Männern sofort nach Kasugayama aufbrechen“, brummte Kagemura, der wütend über Kagegakus Ähnlichkeit mit seinem Herrn war. Wortlos stieß er Fukushima, der ihm im Weg stand, beiseite und stampfte von der Veranda. Kagegaku blickte immer noch entgeistert über diese unerwartete Nachricht in die Augen seines Freundes. „Wir müssen aufbrechen“, meinte Fukushima, woraufhin der Klanführer entschlossen nickte. Hyde, der mit gesenktem Haupt zu Boden blickte, musste feststellen, wie sich ihm bei diesen Worten die Brust fest zuschnürte. Er hatte gewusst, dass sie irgendwann zur Verteidigung ihrer Hauptburg nach Kasugayama aufbrechen mussten, doch dass es so plötzlich kam, schockierte ihn mehr als er sich eingestehen wollte. Schon als der Blonde vor wenigen Wochen darum gebeten hatte, die Truppen zur Burg zu begleiten, hatte Kagegaku, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, abgelehnt. Wahrscheinlich hatte Fukushima dazu geraten, da es sicherer für einen Kampunerfahrenen war, auf der Nishiyama-Residenz zu bleiben. Widerwillig war er dazu gezwungen gewesen, diese Entscheidung zu akzeptieren, denn in den Augen Kagegakus und aller anderen Vasallen war er nur ein gewöhnlicher Bediensteter, der den Befehlen und Wünschen seines Herrn Folge leisten musste. So hatte er es ja auch gewollt, um in der Nähe des Kriegers zu bleiben. Jede Konsequenz hatte er dafür in Kauf genommen. Sogar sein Zuhause, seine Welt, hatte er aufgegeben, um diesen Mann vor etwas zu beschützen, was ihm in unklaren und seltsamen Träumen erschien. Doch nun hatte sich alles gedreht. Das tiefe Gefühl, das er seit dem Kuss einfach nicht ignorieren konnte, machte die bevorstehende Trennung zur Qual. Ein Abschied, der ohne ein einziges Wort wie ein farbloser Film an ihn vorbeirauschte. Kagegaku, der wegen Shingens Tod in tiefen Gedanken versunken war, nickte noch einmal und murmelte: „Ja, lass uns sofort aufbrechen“, bevor er schweigend an dem Blonden vorbeitrat. Als der raschelnde Stoff des Kimonos die Füße des Blonden streifte, blickte dieser zaghaft empor. In der Hoffnung doch noch einen Blick des Klanführers zu erhaschen, zog er sich schnell auf die Beine. Doch Kagegaku schien ihn zu ignorieren. Abwesend folgte er wortlos Fukushima die Veranda herunter. Hyde blickte ihnen hinterher, während er sich zum ersten Mal in seinen Leben einsam und unsichtbar fühlte. War das, was vor wenigen Minuten zwischen ihnen geschehen war, Wirklichkeit oder nur Traum gewesen? Er zweifelte, obwohl er es auf seinen Lippen immer noch spüren konnten. Vielleicht gehörte es auch nur zu jenen Erinnerungen, die ihn beinahe täglich heimsuchten. Obwohl er noch nicht einmal wusste, warum er diesem Kuss derartig hinterherhing, schmerzte ihn der Gedanke, dass Kagegaku wahrscheinlich keine Bedeutung darin sah. Hatte er ihn nur aus purer Neugierde erwidert? War es nichts weiter als reines Interesse für das Unbekannte? Hätte er ihn doch nur sofort zurückgewiesen, dann wären diese Gefühle nicht gewachsen. Gefühle, die nun nur noch Schmerzen verursachten. Hyde fasste sich an die Brust, als ihm klar wurde, wie dumm er sich doch verhielt. Was um Himmels Willen hatte er denn erwartet? Dass sich in Kagegakus Welt nun alles um ihn drehte? Er wusste nicht, was der Samurai für ihn fühlte, und doch hatte er ihn einfach so geküsst. Es war kein Wort gefallen. Weder davor, noch danach. Was aber wäre passiert, wären sie nicht gestört worden? Als Hyde die schonungslose Realität über seine bisher verborgenen Wünsche erkannte, ließ er sich kraftlos auf die Knie fallen. Während Kagegaku treu seiner Pflicht als Heerführer nachging, jagte Hyde einer sich in Luft auflösenden Sehnsucht hinterher, die er vor wenigen Stunden nicht einmal für möglich gehalten hätte. Kagegaku ging und ließ große Schmerzen im Blondem zurück. Verzweifelt senkte Hyde den Blick. Das Holz des Verandabodens war kalt, doch er spürte es nicht. Er sah auch nichts mehr, nicht einmal wie Kagegaku am Ende des Flures stehengeblieben und sich umgedreht hatte. Ratlos blickten dessen Augen lange auf die Gestalt des Blonden, die hilflos auf den Boden kauerte. Seine Füße wollten ihn zurücktragen, doch Fukushima tadelte ihn mit einem Blick, der ihm keine andere Wahl ließ, als es dabei zu belassen. Schließlich war es seine oberste Pflicht, den Befehlen des Daiymos zu befolgen. Erst dann blieb, wenn überhaupt, etwas Platz für die eigenen Gefühle. ---------------------------------------------- Es ist irgendwie ziemlich toll, wenn man sich einen kleinen Vorsprung geschrieben hat. XD Man gerät nicht unter Druck. Ich hoffe, dass ich das eine Weile so beibehalten kann. So und an dieser Stelle mal ein dickes Dankeschön an alle Leser und vor allem an die Kommischreiber. Ich hab mich bisher bei wenigen persönlich bedankt. Ich glaub das werde ich noch an mir ändern. ^^; Es geht sehr bald weiter. Versprochen! *#*#* Erläuterungen: * Haori eine, bis zu den Oberschenkeln reichende Jacke, die bei kühlerem Wetter über dem Kimono getragen wird. Und noch eine kleine Anmerkung. Es geht um Shingens Tod. Ich hab es hier nämlich historisch unkorrekt wiedergegeben. Schlägt man bei Wiki oder sonst wo nach, dann liest man, dass Shingen im April 1573 starb. In EIEN sind wir aber gerade Ende 1573. Leider konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, ob er wirklich im April starb, oder ob es in diesem Monat bekannt wurde, denn wie gesagt, wurde es eine Weile geheimgehalten. Na ja, ich hab es mir so passend verdreht. Aber ich wollte es hier einfach mal erwähnen. ^_- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)