Jemand von Ur ("1 neue Mitteilung erhalten") ================================================================================ Kapitel 4: Matheprobleme ------------------------ »Meine Fresse!« »Ich wollte es dir eigentlich schon Samstag erzählen, aber…« »Dass sowas hier an unserer kleinen Scheißschule passiert!« »Er ist wirklich sehr, sehr cool, glaube ich.« »Was denkst du, wer es ist?« Manu ist überhaupt nicht sauer. Sie ist eher aufgeregt und ungläubig darüber, dass so etwas hier passiert, weil unser Jahrgang für gewöhnlich nicht zu Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm neigt. Ich habe ihr jedes kleinste Detail berichtet, ihr Passagen aus der Unterhaltung vorgelesen und mehrmals empörte Blicke eines Lehrers auf mich gezogen, weil ich meine Erzählungen auch zischelnd während des Unterrichts fortgesetzt habe. Allerdings ermahnt mich niemand. Es ist das alte Satanistenproblem. »Keine Ahnung«, gebe ich zurück und lasse meinen Blick durch die Pausenhalle schweifen. Natürlich ist Lelo auch da. Und er sieht wie immer entzückend aus. Trotz der Unterhaltungen mit Jemand hat sich nichts an meinem Wunsch geändert, Lelos Bauchmuskeln abzulecken und mich von ihm in die nächstbeste Matratze vögeln zu lassen. Ein Dilemma sondergleichen. »Ich hatte den schrecklichen Gedanken, dass es Jan sein könnte«, füge ich schließlich hinzu und auf Manus Gesicht spiegelt sich blankes Entsetzen wieder. »Oh nein. Das wäre ein Alptraum! Andererseits würde es erklären, wieso er immer vor dir flieht. Also, es wäre ein anderer Grund als der, von dem wir eigentlich ausgehen«, meint sie und ihre Augen suchen unweigerlich die Halle ab, bis sie Jan und seine Gruppe von Freunden gefunden hat. Skeptisch mustert sie seinen beknackten Haarschnitt, die teuren Markenturnschuhe und sein blödes, schiefes Grinsen. »Nein. Nein, es kann nicht Jan sein. Der wäre nie zu so netten Dingen fähig«, meint sie schließlich und ich bin dankbar, dass Manu das denkt, denn wenn es Jan wäre, würde jegliche Anziehung, die ich für Jemand empfinde, im Wind verpuffen und es wäre sehr unangenehm. »Ich glaub, er ist einfach ein heterosexistischer Arsch«, sagt Manu. Ich nicke. »Ja. Ja, du hast Recht. Er kann es nicht sein.« Als wüsste Jan, dass wir über ihn reden, dreht er sich in diesem Moment zu uns um, sieht mich und läuft scharlachrot an. Ich schlucke. »Herrje, bitte lass es nicht Jan sein…« Manu ist tatsächlich ziemlich beeindruckt davon, dass Jemand so bereitwillig den Wikipedia-Artikel gelesen und sich so offen dazu geäußert hat. Und dass er sofort Lernbereitschaft verkündet hat und es nicht komisch fand, dass ich manchmal gern Kleider trage. »Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wer von all unseren beknackten Mitschülern so nett sein sollte«, meint sie kopfschüttelnd und lässt erneut den Blick schweifen. Ich hüstele und spüre, wie ich rot werde. »Du hoffst, dass es Lelo ist, oder?«, fragt Manu amüsiert und ich schnaube verlegen und lasse den Kopf hängen. Als würde Lelo mich gut finden. Das wäre utopisch. Unweigerlich schau ich zu ihm hinüber. Seine Locken sind so entzückend. Und sein Schmollmund. Herrje, mein Herz hämmert automatisch ein paar Takte schneller und ich hoffe, dass Manu mich nicht immer noch beobachtet. Ehrlich gesagt kann ich mich gar nicht daran erinnern, wann genau das mit uns beiden angefangen hat… »Schreib diesem Jemand doch mal, und schau, wer sein Handy vorkramt«, schlägt Manu vor und mein Herz hört sofort auf zu schlagen und sinkt zwischen meine Knie. »Nein«, sage ich panisch und schüttele sie ein wenig. Manu lacht. »Aber wieso nicht? Bevor du dich Hals über Kopf verknallst, wäre es doch gut zu wissen, wer es ist. Dann kannst du schauen, ob du den Kontakt weiter haben willst.« Was sie sagt, klingt natürlich total vernünftig, aber ich weiß nicht, ob ich mich traue, es jetzt schon herauszufinden. Es ist dämlich, aber ich hätte nichts dagegen, meine Utopie – dass es Lelo ist – noch ein wenig länger zu erträumen, statt jetzt schon ernüchtert zu werden. Seufzend ziehe ich mein Handy heraus. Manu hat Recht. Lieber jetzt ein wenig enttäuscht, als am Ende dramatisch und mit zertrümmertem Herzen endend. Gut, dass Manu meine theatralischen Gedanken nicht lesen kann. »Aber es haben sowieso total viele ihr Handy draußen. Wahrscheinlich fällt es gar nicht auf«, gebe ich kläglich zu bedenken und Manu sieht mich streng an, sodass ich unverständlich vor mich hin murmelnd anfange, eine SMS zu tippen. »Ich werde Lelo und Jan besonders im Auge behalten«, verspricht Manu und rutscht ein wenig in ihrer Position herum, als würde sie sich tatsächlich körperlich darauf einstellen, aufmerksam zu sein. Ich atme tief ein und lese noch einmal den Text, den ich geschrieben hab. »Guten Morgen! Ich hoffe, du hattest einen guten Start in den Tag :-) Ich hab gleich Mathe und bin ziemlich unmotiviert.« Es ist jetzt das erste Mal, dass ich mit dem Kontakt anfange. Ich meine, klar, wir schreiben sowieso noch nicht besonders lange, aber es fällt mir trotzdem auf. Ob sich Jemand freut, dass ich von mir aus schreibe? Oder ist er von gestern immer noch gekränkt, weil ich von meinem crush erzählt hab? »Hm… keiner von beiden holt sein Handy raus«, sagt Manu und ich schaue mich ebenfalls um. Aber das muss ja nichts heißen. Viele haben in der Schule das Handy auf lautlos. »Kevin und Mehmet haben ihr Handy draußen. Oh, und da hinten ist noch Miguel, und… äh… hier. Dingens. Tobi. Tobi mit den blonden Haaren, nicht Tobi mit den O-Beinen.« Ich muss lachen und lasse meine Augen ebenfalls durch die Pausenhalle schweifen. Lelo unterhält sich bestens gelaunt mit Caro und Sabrina und Jan und seine Kumpels haben ein Hacky-Sack ausgepackt. Ich wusste nicht, dass es immer noch Leute gibt, die diese Teile haben. Wow. Hatte ich schon erwähnt, dass ich sehr hoffe, dass es nicht Jan ist? Ich meine, die Leute aus meinen Jahrgang sind mir ja größtenteils eher egal, aber letztens hab ich mitgehört, wie er über Nina gelästert hat, weil sie angeblich zu fett ist. Mal abgesehen davon, dass Nina mit großer Wahrscheinlichkeit Kleidergröße 36 oder 38 trägt, wäre es auch nichts Schreckliches, wenn sie tatsächlich dick wäre. Ich habe Jan sehr kräftig angerempelt und zuerst war er sauer, aber als er gesehen hat, dass ich es war, sah er eher verängstigt aus. Ich bin wirklich nicht besonders beängstigend. Die ein Meter siebzig Knochen und latente Muskeln können doch keinen beeindrucken. »Er ist es nie im Leben«, sage ich und stopfe mein Handy wieder in die Hosentasche. Meine Augen hängen an Lelo. Wenn er lacht, dann hat er Grübchen in den Wangen und Fältchen um die Augen herum. Manu grummelt leise und schaut sich weiter um, aber niemand packt sein Handy aus, tippt, und bringt damit mein Handy zum Vibrieren. Erst, als es zur Pause klingelt und Manu und ich schon auf dem Weg zu Mathe sind, vibriert mein Handy und ich ziehe es hastig heraus. »Ich mag Mathe auch nicht besonders. Guten Morgen! Wahlloser Kommentar am Rande: Deine Haare sehen immer so weich aus.« Ich spüre, wie ich rot werde und halte Manu das Handy hin. Sie lacht und wuschelt mir durch die Haare. »Sie sehen nicht nur weich aus«, meint sie schelmisch und ich möchte gerne etwas Geistreiches antworten, aber ich muss die ganze Zeit daran denken, dass Lelo das geschrieben haben könnte. Die Vorstellung ist… oh Mann. Mein Gehirn ist sowieso nicht besonders fähig, wenn es um Mathe geht, aber seit dieser SMS geht es noch mehr bergab. »Jetzt kann ich mich nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren!«, klage ich per SMS und fahre mir peinlicherweise dauernd durch die Haare, nur um immer wieder zu testen, ob sie wirklich weich und flauschig sind. Sie sind schon ziemlich weich. Ich will, dass Lelo durch meine Haare fährt. Und dann kann er fest dran ziehen und mich an die nächstbeste Wand drücken… »Das werte ich als positives Zeichen :-) Wenn du dich schon nicht auf Mathe konzentrierst, worüber denkst du dann nach?« »Frag lieber nicht, ich schrecke dich doch nur ab«, tippe ich sehr schnell zurück und schlucke schwer. Es ist eindeutig nicht awesome im Matheunterricht rallig zu werden und sich Sexszenarios in großer Detailfülle auszumalen, bis sich in der Hose etwas regt. Es ist so ätzend ein hormongesteuert Teenager mit Penis zu sein. »Versuch’s doch mal ;-)« Ich atme tief durch und tue für einen kurzen Moment so, als würde ich angestrengt nachdenkend die Tafel mustern, während die Augen des Lehrpersonals mich streifen, dann richte ich meinen Blick auf das Display meines Handys und denke mir: Mensch, Kim, du bist schon so wagemutig gewesen, jetzt kannst du auch noch einen Schritt weiter gehen. Also tippe ich, was ich denke. »Ich steh wahnsinnig drauf, wenn man mir an den Haaren zieht, und ich stell mir vor, wie du genau das machst und mich dabei an die nächstbeste Wand drückst. Weil ich ein notgeiler, hormongesteuerter Teenager bin.« Ich ärgere mich darüber, dass ich heute eine meiner engeren, schwarzen Hosen angezogen habe, in der man meinen Hintern gut bewundern kann. Eitelkeit. Falls Jemand / Solo mir mal auf den Arsch schaut. Ich bereue diese Outfitwahl jetzt, weil die Enge der Hose unbequem wird, je länger und ausführlicher ich über die Szenerie mit dem Haareziehen nachdenke. Verfluchter Mist. Ich sollte mehr masturbieren. »Fuck.« Ok, das ist nicht hilfreich. Erstens ist es nicht aussagekräftig, zweitens bringt es mein Gehirn nur noch mehr zum Rattern, falls es nicht negativ gemeint ist. Denn abgesehen von Haareziehen und anderen Dingen, steh ich wahnsinnig auf dirty talk. Mein Gehirn bastelt einen Strom schmutziger Worte mit Lelos Stimme gesprochen. Ich glaube, ich sollte das Klassenzimmer verlassen und mich auf dem Klo beruhigen. Aber so, wie ich jetzt hier sitze, kann ich auch nicht aufstehen. Verflucht sei meine enge Hose! Mein Handy vibriert erneut. »Ich hatte erst mit zwei Mädchen Sex und die standen nicht auf so ausgefallene Dinge wie das.« Ich muss schmunzeln und kaue nervös und ziemlich erregt auf meiner Unterlippe herum. »Das ist ja noch gar nicht so ausgefallen. Ich steh noch auf ganz andere Dinge.« »Ich kann mich jetzt auch nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren, scheiße.« Ich muss schmunzeln und lecke mir über die Lippen. Mein Kopf spuckt eine Menge Szenarien aus. Nur allzu gern würd ich vor Lelo auf die Knie gehen und es ihm mit dem Mund besorgen. Mathe war nie weniger spannend. Es vibriert wieder. »Auf was stehst du sonst noch?« »Ich bin gern gefesselt, gebe voller Begeisterung Blowjobs auf den Knien, mag es, wenn man mir dreckigen Kram sagt, alles mit Beißen und Kratzen ist super… und ich find es ziemlich geil, wenn man mir die Luft abdrückt.« Ich lese die SMS durch. Wahrscheinlich ist ihm das alles zu gruselig. Oh Mann. Ein Hoch auf meine Vorlieben im Bett. Aber ich kann nichts dafür, dass ich einen Hang zum BDSM habe. Soll ich das abschicken? Ich meine, er hat gefragt. Und er fand die Sache mit den Haaren offenbar nicht allzu schrecklich. Manu sitzt neben mir und meldet sich tatsächlich mal. Sie ist ziemlich gut in Mathe. Wir leben in einer Symbiose. Sie hilft mir vor Mathe- und Physikklausuren und ich mache mit ihr Hausaufgaben in Deutsch und Englisch. »Sag ja oder nein«, wispere ich ihr zu. Sie schaut mich nicht an und grinst nur verhalten. »Ja.« Mist. Vielleicht hat sie gesehen, wie ich die SMS getippt hab? Keine Ahnung. Ich bin froh, dass ich am Fenster sitze und nur Manu neben mir habe. Augen zu und durch, Kim! Ich drücke auf ‚senden‘ und atme tief durch. Wenn ihm das zu gruselig ist, hätte es mit uns ohnehin nicht funktioniert. »Fuck, fuck, fuck!« Ich unterdrücke ein Lachen und stopfe mein Handy erst einmal in meine Hosentasche. Bevor es zur kleinen Pause klingelt, sollte ich das Problem in meinem Schritt in den Griff bekommen haben. Der Gedanke daran, dass Lelo hinter dem mysteriösen Jemand steckt, macht es allerdings schwer, die Gedanken zu vertreiben. Die Vorstellung daran, dass er mich ans Bett fesselt und mit seinen umwerfenden Händen meinen Hals zudrückt, bringt mein Blut nur noch mehr in Wallung. Ah, Kim, wie weit bist du gesunken? Im Matheunterricht einen Ständer, wirklich? Fünf Minuten später habe ich mich einigermaßen beruhigt und traue mich, mein Handy erneut heraus zu holen. »Ich hab keine Ahnung, ob ich gut darin wäre, aber ich würde es gern mit dir ausprobieren.« Scheiße! Von wegen beruhigt. Ich dreh durch. Wenn ich mit Manu am Wochenende weggehe, sollte ich mir dringend jemanden – haha – zum Rummachen suchen, bevor meine Hormone noch überschäumen und mich zu einem hirnlosen Wackelpudding mit explodierender Libido verwandeln. Aber immerhin, denke ich mir und nehme mir vor, das Handy nun endgültig beiseite zu legen, so aufregend war der Matheunterricht lange nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)