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Anime Evolution: Krieg

Fünfte Staffel
von

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Fluch und Verderben

Prolog:

"Wenn ich mich an etwas erinnere, etwas spezifisches, während der Verband rund um das Kommandoschiff ADAMAS unter Kydranos in Richtung Galaktisches Zentrum aufbrach, um die Randgebiete der menschlich erforschten Sphäre zu erreichen, dann ist das dieses Gefühl... Dieses tiefsitzende, nicht abzustreifende Gefühl der Sinnlosigkeit, dieser Gedanke, dass egal, was man auch tat, es sinnlos und folgenlos bleiben würde. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, was man sich selbst antun kann, ich weiß. Aber vielleicht ahnte ich da schon, dass unser Einsatz zu spät kam, dass unsere Heimatwelt, dass Atlantis so gut wie verloren war. Dass es Atlantis in einer Daimon noch heute gibt, ist eine Entwicklung, so phantastisch, so wunderbar, dass ich es kaum zu begreifen vermag. Ich war mir so sicher, so verdammt sicher, dass der Sturm, der über mich hinweg gezogen war, auch alle anderen davonwirbeln wollte. So sehr sicher, dass ich mich heute für diesen Gedanken zutiefst schäme. Aber wer weiß, was ich weiß, wer erlebt hat, was ich erlebt habe, wäre unweigerlich zu den gleichen Schlüssen gekommen. Und nur ein ausgesprochener Optimist wie Akira Otomo hätte das Übermenschliche leisten können, das Über-Dai-liche, das selbst meine persönliche Leistung und die eines Kydranos übertroffen hätte, um die gesamte Kultur der Daima und Daina zu erretten, während diese noch immer eifrig bemüht war, selbige Kultur auch selbst auszulöschen. Nun, teilweise ist es ihnen gelungen, und es gibt immer noch Daima und Daina in dieser Galaxis.

Aber wenn mich meine Erfahrungen etwas lehren, wenn sie mir etwas vermitteln, dann, dass die Kinder der Götter nicht aufgegeben haben, uns zu vernichten, sondern dass sie nur eine Pause machen. Eine Pause, die fünfzigtausend Jahre andauert und die nun jeden Moment vorbei gehen kann, denn es gibt wieder einen Reyan Maxus in der Galaxis. Dazu vielleicht den stärksten Reyan Maxus, den es je gegeben hat. Die Kinder der Götter wissen das. Und sie werden reagieren. Es wird uns nicht gefallen."

(Latiss Jomdral, Dai, vergeistigt, Bewohner des Paradies der Daima und Daina, ehemaliger Suppressor von Kydranos, Kommandant der ADAMAS, während seines Berichts zu seinen Erlebnissen vor fünfzigtausend Jahren)
 

1.

"Row, row, row your boat...", flötete Kitsune fröhlich vor sich hin, während sie letzte Vorbereitungen traf.

Lertaka der Wind beobachtete sie dabei mit Wohlwollen. Die wenigen Wochen, die sie nun zusammenwaren, hatte er die Tiergöttin mehr als zu schätzen gelernt. Ihre Fähigkeiten im Kampf, ihre taktischen Kenntnisse, ihre große Erfahrung machte sie zum natürlich Anführer ihrer kleinen Gruppe aus sechs Dais aus sechs Dai-Nationen, die gemeinsam um ihr Überleben kämpften. Und heute, das wusste Lertaka, würden sie den Kindern der Götter nicht nur einen empfindlichen Schlag verpassen, den sie einfach spüren mussten, nein, sie würden den Beginn ihrer Niederlage einläuten. Ein für allemal. Und diese Fuchsgöttin hatte all das aus dem Stegreif heraus arrangiert.

"Rooo was?", fragte er amüsiert.

Sie sah auf und lächelte. "Ach, das ist nur ein englisches Lied. Es besteht aus drei Strophen und wird im Kanon gesungen. Ich glaube, du nennst es Syrphill. Willst du es lernen?"

"Ich bin mir nicht so sicher..."

"Ach komm. Meinst du, weil wir gleich zu unserem zweiten Versuch ansetzen und nebenbei auch noch über vierzigtausend Nagalev zu retten haben, hast du keine Zeit mehr, um ein altes terranisches Lied zu lernen?", tadelte sie ihn.

"Hm, ja, das fasst meine Gedanken sehr gut zusammen, Dai-Kitsune-sama. Allerdings kommt da noch hinzu, dass du etwas von drei Strophen gesagt hast. Für einen Syrphill brauchen wir also noch einen dritten Mann."

"Genau wie beim Skat", murmelte Kitsune.

"Genau wie beim was?"

"Ach, ein altes nordeuropäisches Spiel, das ich gerne in Deutschland gespielt habe. Nur so ein Gedanke, der nichts mit unserer Situation zu tun hat. Soll ich es dir beibringen?"

"Willst du unsere Kriegsanstrengungen sabotieren, indem du den Dai ausschaltest, der den hoffentlich erfolgreichen Schlag gegen die Vernichter führen wird?", murrte Lertaka. "Bring es mir hinterher bei." Der große Dai winkte einer jungen Frau zu, die, mit einem elektronischen Notizblock bewaffnet, durch die Reihen jener wuselte, die sich gerade für die Dinge, die da kommen sollten, bewaffneten. Über ein Drittel von ihnen waren aufgeweckte Kryostaten, gehörten aber zu den besten Soldaten und Raumfahrern, über die die Werftkolonisten der Nagalev verfügten. Sie gehörten zu jenen, die während der ersten zwölf Stunden geweckt worden waren. Grimmige Entschlossenheit, ihre Leben und ihre Familien zu retten, ging von ihnen aus. Es gab keine Vorbereitung, keine Übungen, nur eine knappe Einweisung in die Situation, und dennoch wusste jeder, dass ihnen keine andere Wahl blieb, als den Dai zu vertrauen und ihnen für das eigene Wohl zu helfen, so gut sie konnten. Belta gehörte zu denen, die informierten, erklärten und Wissen vermittelten, so gut sie es vermochte und so oft die Kryostaten danach fragten.

Als der Dai nach ihr winkte, kam sie lächelnd näher. "Was gibt es denn, Wind-Junge?", fragte sie augenzwinkernd.

Lertaka lachte, als sie seine Funktion als Dai des Windes auf die Schippe nahm. "Wir haben hier ein kleines Problem. Dai-Kitsune-sama möchte mir gerne ein dreistrophiges Lied von Lemur -" "Terra!" "- Terra beibringen, das drei Sänger benötigt, wobei der zweite Sänger mit der ersten Strophe beginnt, während der erste Sänger Strophe zwei beginnt, und Sänger drei Strophe eins anfängt, sobald Sänger eins Strophe drei singt."

"Ah", sagte die junge Frau strahlend, "ein Oanon."

"Was? Wie auch immer. Wir sind jedenfalls eine Person zu wenig. Und du hast so eine schöne Sprechstimme, da dachte ich mir, du willst bestimmt unsere Nummer drei sein."

"Für einen guten Oanon bin ich immer zu haben", sagte sie strahlend. "Wie geht denn das Lied?"

Hinter ihnen stockten etliche Nagalev bei ihren Vorbereitungen. Einige kamen interessiert näher. Unterhaltung hatte bei ihnen einen großen, sehr großen Stellenwert, wenn man die eigentliche Aussichtslosigkeit ihrer Situation betrachtete. Spaß zu haben war für sie ein Pflichtgefühl, eine Doktrin geworden, die sie eifrigst befolgten.

"Äh, das Lied ist englisch. Du wirst die Laute nachahmen müssen, ohne sie zu verstehen."

"Geht es um sexuelle Inhalte oder sexuelle Symbolik?"

"Nur im allererweitertsten Sinne", wiegelte Kitsune ab.

"Macht es dann wenigstens Spaß?", fragte Belta mit entwaffnender Offenheit.

"Das hängt von den Sängern ab", konterte Kitsune, die sich beim Thema Sex jedenfalls nicht die Butter vom Brot nehmen lassen würde.

"Also gut. Ich bin dabei. Wie geht das Lied denn?"

"Also, die erste Strophe geht so: Row, row, row your Boat... Es beschreibt jemanden, der in einem Fahrzeug auf einem Gewässer fährt und mit einem Ruder Fahrt aufnimmt und steuert."

"Registriert." Auch Lertaka nickte zustimmend.

"Dann kommt: Merrily, merrily, merrily, merrily. Das heißt soviel wie: Glücklicherweise."

"Macht jetzt nicht so viel Sinn", wandte Belta mit skeptischem Blick ein.

"Na, dann warte den Rest mal ab", orakelte Kitsune. "Der geht nämlich so: Live ist but a dream. Das bedeutet: Leben ist aber ein Traum."

"Ah, ein religiöser Text also. Man ist auf dem Fluss des Lebens, fährt ihn hinab, aber glücklicherweise ist es nur die Vorbereitung auf die Welt jenseits des Traums", sagte Belta mit fachmännischer Miene.

"Oder es ist einfach nur ein dämliches Lied", warf Lertaka ein.

"Oder das", bestätigte die Nagalev nickend.

Kitsune kicherte leise. "Ihr schafft mich, Leute."

"Ist bestimmt eine neue Erfahrung für dich, was?", neckte Lertaka.

"Ein klein wenig", gestand die Fuchsgöttin.

"Wo wir schon mal dabei sind, bist du sicher, dass drei reichen?", fragte Belta. "Mir kommt es nämlich von der Phonetik so vor, als würde deine erste Strophe eigentlich aus zweien bestehen. Und dann brauchen wir noch einen vierten Sänger."

Kitsune errötete. "Gut, gut, vielleicht sind es sogar vier Strophen, aber Zuhause haben wir das immer zu dritt gesungen. Vielleicht klappt es zu viert sogar besser, aber wenn wir drei schon mal beisammen sind..."

"Schon gut. Ich wollte deinen Enthusiasmus nicht mit Logik auskontern. Und da wir in zwölf Stunden in einen Einsatz gehen, der über das Leben und das Sterben aller Nagalev entscheidet, können wir zwölfe auch mal gerade sein lassen."

"Schön, dass du es so siehst, Belta, Liebes", sagte das Fuchsmädchen. "Aber du weißt schon, zwölf ist immer gerade, oder?"

"Ach, du hast es gemerkt", erwiderte die Nagalev grinsend.

"Wollen wir nun singen, oder was?", beschwerte sich Lertaka.

"Ich fang an!", rief Kitsune. "Row, row, row your boat..."

Dabei hatten sie, der Dai und die Nagalev so viele Zuhörer, dass sich das Lied wie ein Lauffeuer verbreitete. Vielen nahm es die Nervosität vor der beginnenden Attacke und das hatte Kitsune so vielleicht geplant. ...Oder auch nicht.

***

Rickar und Antrar betrachteten das Gebilde, das Kitsune einen "Bio-Computer" genannt hatte. Fast zweitausend Freiwillige hatten sich eingefunden und in einer virtuellen Welt vernetzt, während der integrierte Zentralrechner, der normalerweise für den Erhalt der virtuellen Welt diente, ihre Gehirne als Rechenoperatoren zwangsverwendete. Das Ergebnis war der leistungsstärkste Computer in diesem Teil der Galaxis. Zudem spiegelte die virtuelle Welt die aktuelle Situation wieder und erlaubte den Operatoren, ihre Rechenoperationen anzupassen. Es gab einen Anführer, der ihre Anstrengungen zusammenfasste und koordinierte, aber kleinere Probleme zu lösen oblag der Pflicht einzelner Operatoren. Dafür, dass sie dieses... "Ding" aus dem Nichts erschaffen hatten, war es jedenfalls recht beeindruckend. Dazu kam, dass der hiesige Werftrechner wohl nicht wirklich mit einem Angriff von innen rechnete. Also würde ihnen ihre Unerprobtheit, ihre Unerfahrenheit und die nicht vorhandene Koordinierung nicht zum Fallstrick werden - hoffentlich. Allerdings war die Aufgabe, die es zu bewältigen galt, auch nicht so komplex. Bedeutend, ja, aber nicht komplex. Am Ende der Operation würde jedenfalls die Vernichtung der Werft, der meisten Schiffe und des künstlichen Mondes stehen, während die Kultur der Nagalev mit jedem einzelnen ihrer Angehörigen in die Freiheit entkam - wenn nichts unvorhergesehenes geschah. Und dass nichts Unvorhergesehenes geschah - beziehungsweise, dass das Unvorhergesehene das Endergebnis nicht merklich stören konnte - war Aufgabe der Dai. Unter anderem von Antrar von den Tiefen und Rickar dem Taucher. Und es war Aufgabe der zweitausend schlecht koordinierten, nicht ausgebildeten, unvorbereiteten aber freiwilligen Nagalev, die in diesen Tanks hockten und ihren Teil dazu beitragen wollten, damit ihr Volk fliehen konnte. Und dies würden sie tun, noch während ihre Tanks mit ihnen an Bord inmitten der Rechenoperationen verladen wurden. Ein Umstand, der die Dinge so sehr verkomplizierte, dass man sich nicht unbedingt die Frage stellte, ob das ambitionierte und schlecht vorbereitete Machwerk Kitsunes scheiterte. Die richtige Frage lautete: Wann.

Oder anders ausgedrückt: Die Mission des Supercomputers musste scheitern, früher oder später. Doch je länger sie funktionierte, desto besser für die Rettung von über vierzigtausend Nagalev. Jeder der fünf Dais, die sich nach einem interstellaren Komplott hier eingefunden hatten, um diese Werft zu vernichten, stimmten mit Kitsune überein, dass die Rettung dieser Daima oder Daina Priorität hatte, und zwar knapp vor der Vernichtung der Werft, einer der wichtigsten Machtbasen der Kinder der Götter.
 

"Was denkst du?", fragte Antrar mit leiser Stimme. "Wird es gelingen?"

Rickar straffte sich merklich. "Was meinst du? Den Hauptcomputer auszuschalten, ein Dutzend Vernichter der Götter kapern, mit den vierzigtausend Nagalev zu befüllen, die teilweise gerade erst aufwachen und vollkommen desorientiert sind und dennoch ihre Heimat verlassen müssen, nur um anschließend noch eine ganze Werft zu vernichten? Klar klappt das alles. Denk doch nur daran, wer uns diesen Plan unterbreitet hat. Keine andere als Dai-Kitsune-sama. Und wie sie stets zu sagen pflegt, sie ist die Heldin ihrer eigenen Geschichte. Und die neigen eher nicht dazu, zu sterben."

"Uh", machte Antrar unbehaglich. "Es trifft ohnehin meistens die Nebencharaktere, richtig? Schätze, dann ist einer von uns beiden dran. Es mag ja sein, dass das Robotgehirn des Werftkerns nicht mit der Anwesenheit von Menschen rechnet und sich vollkommen darauf verlässt, dass er das Zentrum mit für Menschen tödlichen Dosen an Gamma-Strahlung flutet. Und mag ja sein, dass wir alle Strafer der Götter geentert haben, aber die Vernichter werden nicht ganz so verblödete Künstliche Intelligenzen ihr eigen nennen. Beim Versuch, sie zu entern, wird wohl einer von uns sterben müssen, Rickar."

"Rede du nur. Ich bin auch der Hauptprotagonist meiner eigenen Geschichte", sagte der Dai grinsend. "Außerdem, was soll schon schief gehen? Kitsune und Lertaka suchen das Zentrum auf und schalten den Hauptcomputer mit Neuroschockern aus, zugleich übernimmt der Supercomputer hier vor uns die Steuerung der gesamten Werft und ruft zwölf Vernichter ins Zentrum und legt sie still. Wir brauchen die dann nur noch zu entern, ihre Künstliche Intelligenzen zu beseitigen und durch Elemente dieses Supercomputers zu ersetzen, die Schiffe mit allem vollladen, was wir von diesem Ort mitnehmen können, inklusive der kompletten Bevölkerung und Nahrung für ein halbes Jahr, und schwups, sind wir wieder draußen und auf dem Weg in die Freiheit. Und die Kinder der Götter sind einem Drittel aller Möglichkeiten beraubt, die sie zur Wartung ihrer ultragefährlichen Kampfschiffe haben."

"Zugegeben", murmelte die Dai. "Ich kann nur nicht ganz glauben, dass das alles ohne Verluste passieren wird. Für unseren sechsköpfigen Vorstoß haben wir mit Toten gerechnet, erinnerst du dich?"

Rickar schüttelte leicht den Kopf. "Wir haben damit gerechnet, dass einige von uns es nach der Vernichtung des Zentralgehirns und der Manipulation der Reaktoren nicht mehr rechtzeitig schaffen und voraussichtlich sterben werden. Nun aber haben wir die Unterstützung eines Supercomputers. Er wird nicht nur Kitsune und Lertaka abschirmen, während sie ins Zentrum stoßen, wo die Überwachungsfunktionen sicher schärfer als hier in den Randbereichen sind, er wird auch das System stabil halten, bis wir weit genug weg sind. Und er wird allen anderen Schiffen Passivität befehlen, sodass wir hier wirklich, wirklich heile wieder rauskommen. Hoffentlich."

"Was ist mit den anderen beiden Basen? Macht es nicht Sinn, herauszufinden, wo sie sich befinden? Oder vertraut Ihr darauf, dass die hiesigen Daima ihre Positionen noch kennen? Falls die Götter sie nicht verlegt haben? Gut, gut, nicht gerade von System zu System, dafür sind die Dinger einfach zu groß. Aber innerhalb eines Sonnensystems sollte das binnen fünfzigtausend Jahren doch durchaus möglich sein."

Die beiden Dai wandten sich um, als sie die fremde, melodische Männerstimme hörten. Entgeistert starrten sie den Dai an, der sie angesprochen hatte. Er war groß, dunkelhäutig und hatte weißblondes Haar. Als Dai war er sehr leicht zu erkennen, sein KI strahlte hell wie die Morgensonne zu ihnen herüber. Er machte sich nicht mal die Mühe, sich abzuschirmen.

Der Dai lachte kurz und abgehackt über diese Reaktion. "Entschuldigt, ich hätte mich nicht anschleichen dürfen. Aber dank Dai-Kitsune-sama war es relativ leicht, hierher zu finden. Die Roboter sind vielleicht ignorant gegenüber uns Organischen, aber ich bin es nicht. Das riesige Gemälde an diesem Strafer, der euch als Basis gedient hat, war ein wichtiger Hinweis für mich. Als ich dann zur Werft selbst kam, war mir Radio Kitsune eine sehr große Hilfe, um einerseits die Werft nicht im Alleingang zu vernichten und andererseits diesen Ort zu finden." Er streckte beide Hände vor, die Handflächen nach außen gehalten. "Ich bin unbewaffnet und komme in Frieden, wollte ich noch sagen."

"Nummer sieben?", fragte Rickar erstaunt. "Wir haben nicht mehr mit einem weiteren Dai gerechnet, wenn ich ehrlich bin."

"Nein, das haben wir nicht", sagte Antrar mit Unglauben im Blick. "Nicht, das wir nicht wussten, dass insgesamt zwölf Dai ausgesandt worden waren, aber... Es ist doch erstaunlich."

"Aber dass ich ein Dai bin, der den gleichen Auftrag hat wie Ihr, daran besteht hoffentlich kein Zweifel", sagte der Fremde, für den Augenblick argwöhnisch.

"Wir werden sehen. Dein Name?"

"Kyrdantas von Elote, Sohn von Kyrdanos."

Rickar nickte bestätigend. "Es stimmt. Kyrdanos wollte seinen Sohn schicken. Und zwar seinen ältesten Sohn."

"Dann hat er was falsch gemacht", sagte Kyrdantas grinsend. "Ich bin der Jüngste."

Rickar grinste nun breit. "Test bestanden, junger Dai. Und, willkommen im Team."

"Was? So einfach geht das? Es gibt keine weiterführenden Tests? Keine Untersuchungen? Keine peinliche Befragung oder so?" Diese Worte hatte nicht Kyrdantas gesprochen, sondern Antrar.

"Antrar...", sagte Rickar mahnend. "Erstens ist es unwahrscheinlich, dass ein Dai jemals Agent der Götter werden sollte. Richtig? Zweitens kann ein Agent der Götter unmöglich wissen, wo wir sind, wer wir sind, was wir sind. Und drittens, wenn er wirklich ein Agent der Götter wäre, was würde es für einen Sinn machen, ihn das Gebiet der Nagalev infiltrieren zu lassen, wenn es doch soviel einfacher ist, den ganzen Teilbereich zusammenzuschießen?"

"Ich würde es so machen", versicherte Kyrdantas aufrichtig. "Aber ich kann verstehen, wenn Ihr misstrauisch seid. Ich würde es wahrscheinlich sein."

"Braucht Ihr aber nicht", sagte Kitsune, während sie, in Begleitung von Belta, näher trat. "Er hat sich, als er angekommen ist, ordentlich bei den Nagalev angemeldet. Die waren nicht schlecht überrascht und haben ihn gleich an Oren überstellt. Der ist sofort zu mir gekommen. Ich habe ihn dann ausgiebig getestet und bin zu dem Schluss gekommen, dass er nicht nur ein Dai ist, sondern es auch ehrlich meint."

"Ah, ja. Und wann wolltest du uns das sagen, Dai-Kitsune-sama?", fragte Antrar spöttisch.

"Was denn? Habe ich ihn zu euch geschickt, oder habe ich das nicht?", erwiderte Kitsune mit unschuldigem Augenaufschlag. "Ich meine, dass wir jetzt sieben Dais sind, das muss ich doch nicht gleich über die Werftlautsprecher verkünden, oder?"

"Das ist Kitsune-Logik", murrte Rickar. "Und wie, Dai-Kitsune-sama, hast du herausgefunden, dass unser neuer bester Freund voll der lauteren Absichten ist?"

Unwillkürlich berührte sich Kyrdantas an den Lippen, während Kitsune breit grinste. "Ich habe ihn geküsst. Nichts ist ehrlicher. In einem Kuss ist niemals Lüge. Macht meine Chefin auch immer, mit durchschlagendem Erfolg."

"Aha. Du hast also einen vollen KI-Scan mittels des Körperkontakts des Kusses durchgeführt", sagte Antrar.

"Auch. Aber der Kuss an sich ist wichtiger. Denn Lippen lügen noch weniger, nicht, Kyrdantas?"

"I-ich möchte da nicht drüber reden", sagte der Dai mit rotem Gesicht.

"Das ist ja niedlich. Er wird rot wie eine Livva. Dass ich so etwas noch erleben darf... Wie alt bist du denn, mein Kleiner?", neckte Antrar.

"N-neunzehn Standardjahre."

"Und dann schickt dich dein alter Herr auf so eine Mission?" Rickar schüttelte ungläubig den Kopf. "Du bist ja noch nicht trocken hinter den Ohren, hast noch so viel zu erleben. Und dann sowas. Sieh mich an, ich bin wenigstens schon dreitausend Standardjahre alt. Ich habe das Meiste schon erlebt, was ich erleben kann. Aber du..."

"Ich bin einfach nur der Beste für den Job, der vor mir liegt", entgegnete Kyrdantas. "Und ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen. Vor allem nicht, wenn ansonsten Schlechtere meinen Platz einnehmen würden, was die Gefahr des Scheiterns erhöhen würde."

"Seht Ihr, was ich meine? Ist er nicht wunderbar in seiner Hingabe?" Kitsune griente die anderen an. "Übrigens, Kyrdantas, es gibt da jemanden, den ich dir dringend vorstellen muss, sobald wir hier wieder raus sind. Du wirst ihn mögen."

"Akira Otomo", sagten Antrar und Rickar zugleich.

"Ach, habe ich ihn schon erwähnt?", fragte Kitsune gespielt verwundert.

"In den letzten zehn Minuten nicht, glaube ich", entgegnete Rickar ironisch. "Und je öfter du es tust, desto interessierter bin ich an deinem Akira Otomo."

"Oh, das darfst du ruhig. Deine Neugierde wird zufriedengestellt werden, versprochen", orakelte die Fuchsdämonin.

"Wehe, wenn nicht", sagte Antrar gespielt ernst.

Die vier Dai und die Nagalev lachten.

Übergangslos wurde Kitsune ernst. "Bei meinem Scan habe ich festgestellt, dass Kyrdantas uns beim Angriff auf den Zentralcomputer helfen kann. Kriegt er deinen Neuroschocker, Antrar?"

Mit einem Seufzer trennte sich die Dai von ihrer Waffe. "Wiedersehen macht Freude, junger Dai. Nichts mache ich lieber, als nach dem Ende der Mission diese fiesen kleinen Teufeleien wieder wegzusperren. Hoffentlich wieder für fünfzigtausend Jahre."

"Ein echter Neuronenröster", sagte der junge Dai andächtig, als er die Waffe entgegennahm. Professionell überprüfte er Zustand, Energieladung des Magazins, und Funktionsweise, bevor er die Waffe sicherte und in seinen Gürtel steckte. "Ich werde gut drauf aufpassen und sie dir wohlbehalten wiederbringen."

"Grundsätzlich bin ich nicht dagegen, wenn sie mit dieser Werft in unzählige Atome gesprengt wird", sagte die Dai, die Kitsune so ähnlich sah, bedächtig. "Aber da ich zurückkehren werde, wird mein Herr wohl verlangen, dass ich genauso viele Neurowaffen wieder mitbringe, wie ich aus der Waffenkammer erhalten habe. Und wenn ich dann nicht eine sehr gute Ausrede parat habe..." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich nehme dich beim Wort, junger Dai."

"Also gut", sagte Kitsune schließlich, "vier Stunden vor Operationsbeginn. Fahrt den Supercomputer hoch."

Belta nickte ihr zu. "Fahrt den Supercomputer hoch!", rief sie den Ingenieuren und Computerspezialisten zu.

Daraufhin ging ein leises Brummen durch die Halle, als alle zweitausend Biotanks zugleich zu arbeiten begannen.

"Okay, das Netzwerk steht!", meldete einer der Computertechniker. "Wir beginnen die Infiltration des Werftcomputers!"

"Ab hier gibt es kein zurück mehr", stellte Kitsune beinahe tonlos fest. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Das bedeutete im Umkehrschluss auch, dass ihre Rückkehr zu Akira bevorstand...
 

2.

"Sir, wenn wir nur ein paar Anpassungen vornehmen, dann..."

"Nein!"

"Sir, aber ich habe alles durchgerechnet! Mit den Ressourcen, die die Erde jetzt gerade ihr eigen nennt, mit Unterstützung der Werften und vor allem mit dem Know How, das uns gerade erst von Iovar und Naguad zugeflossen ist, können wir sie bauen!"

"Nein, habe ich gesagt!"

"Aber Sir, wir werden sie vielleicht noch sehr dringend brauchen! Wir werden uns nicht immer auf Akira Otomo verlassen können! Ich meine, Grund der ganzen Expedition war es doch, ihn zu suchen, oder?"
 

Der Angesprochene, der kronosische Captain Kevin Lawrence, stoppte und sah den jungen Mann, der ihn seit einem halben Kilometer mit einem Stapel Ausdrucke in der Hand verfolgte, ernst an. "Doktor Beer, nein, wir bauen KEINE Macross Cannon! Wir bauen auch keine Mobile Macross Fortress!"

"Aber die Feuerkraft, die wir mit ihr erreichen, wird vielleicht einmal dringend nötig sein!", ereiferte sich der österreichische Spezialist.

"Und wie lange, denken sie, bauen wir an der Macross Cannon und wie lange an ihrem Trägermodul, der Macross Fortress?", fragte der Kronosier mit Ironie in der Stimme.

"Höchstens zwei Jahre! Wenn wir das Konzept derart beschränken, sodass es keine Zivilisten aufzunehmen braucht, können wir es um ein Drittel verkleinern, haben aber immer noch achtzig Prozent ihrer Feuerkraft! Und mit einem einzigen Schuss hauen wir einen Bestrafer aus dem All!"

"Doktor Beer! Einen Strafer hauen wir auch mit der verbesserten Hephaistos-Kanone "aus dem All", wie Sie so blumig gesagt haben. Davon hat die AURORA drei an Bord, richtig?"

"Aber eine Macross Cannon ist noch viel stärker und effektiver! Sie wissen doch selbst, dass ein Schiff ab einer bestimmten Geschwindigkeit nicht so einfach den Kurs wechseln kann und deshalb gegen Energiewaffen besonders empfindlich ist. Der Waffenstrahl einer Macross Cannon könnte Dutzende Ziele auf einen Schlag ausschalten!"

"Wenn sie so dumm sind, hintereinander zu fliegen, richtig?", fragte Lawrence bissig. "Nein, habe ich gesagt. Aber es steht Ihnen frei, Direktor Otomo Ihre Pläne zu unterbreiten. Wobei ich partout nicht den Nutzen eines Raumschiffs sehe, dass sich in einen Riesenroboter mit eigener Kanone verwandelt."

"Ich halte das Konzept für sehr schlüssig", murrte Beer, steckte aber die Ausdrucke wieder in seine Aktentasche. Dafür zog er ein neues Bündel hervor. "Die anderen Berechnungen sind übrigens fertig."

Diesmal zeigte sich der Captain wesentlich interessierter. "Das Ghostrider-Projekt?"

"Auch. Die Daten zu den bewaffneten, unbemannten Drohnen sowie die ersten Versuchsergebnisse. Sehen sehr vielversprechend aus. Aber eines sage ich Ihnen gleich. Eine Artemis-Lanze oder ein Herakles-Schwert als Bewaffnung können Sie vergessen. Zwar arbeitet ein Computer zehntausendmal genauer als ein menschlicher Verstand, was ja von Vorteil für diese eine Zehntelsekunde ist, in der das Karbonblatt frei schwingen darf, ohne seine Fassung zu verlassen, aber selbst untrainierte Menschen schneiden beim Einsatz dieser Waffen siebzehnmal besser ab als die Maschinen. Stattdessen dachte ich, da wir ja keine Andruckabsorber vorhalten müssen, an ultrabeschleunigte Kleinstprojektile, die fast Lichtgeschwindigkeit erreichen und mit der Wucht eines herabstürzenden Hawks auf ihr Ziel prallen. Jede einzelne von ihnen."

"Geben Sie mal her, Beer", murmelte der Kronosier. "Zehntausend Schuss die Sekunde ist vielleicht etwas Overkill, mein lieber Doktor."

"Ja, schon, aber damit wäre der Ghostrider in der Lage, alles bis zur Größe eines Zerstörers effektiv zu bekämpfen. Allerdings habe ich mich noch nicht um das Munitionsproblem kümmern können."

"Überlassen wir das Vernichten feindlichen Kampfschiffe doch lieber weiterhin Blue Lightning und Lady Death, Doktor Beer." Er reichte die Papiere zurück. "Optimieren Sie den Ghostrider für die Bekämpfung kleinerer Ziele, sodass der Munitionsvorrat länger reicht. Dann legen Sie es mir erneut vor."

"Wie klein, Captain?"

Der offizielle Chefwissenschaftler der AURORA seufzte. "Korvetten-klein, Beer."

"Ich könnte es bis zur Fregatte optimieren", murmelte der andere Wissenschaftler fast unhörbar.

"Orientieren Sie sich daran, was gebraucht wird, Doktor", mahnte Lawrence. "Und wir brauchen bei den Fernerkundern Entlastung, nicht bei den Kampfeinheiten. Wenn die Ghostrider feindliche Späher ausschalten können, umso besser. Aber wir brauchen nicht mit Banges auf Vogeljagd zu gehen."

"Ich melde Protest an, Sir", murrte Dr. Beer.

"Hören Sie, Beer, Sie sind ein guter Ingenieur und Sie haben schon bei der Entwicklung des Epsilons gute Arbeit geleistet und entscheidende Impulse gegeben. Aber bitte, bitte, nehmen Sie Ihre Nase aus jeder Art von Mecha-Anime, von Macross bis Gundam und orientieren Sie sich an der Realität. Sie können ja gerne versuchen, den fünfhundert Kilometer langen Energiesäbel eins Gundams in die Realität umzusetzen, aber tun Sie das bitte in Ihrer Freizeit."

Die beiden Männer bestiegen nacheinander eine Bahn, die sie nach Poseidon bringen würde. "Und bitte, erwähnen Sie die Macross Cannon auf keinen Fall vor Admiral Ino oder Commodore Genda. Ich flehe Sie an. Ich habe es schwer genug, Ihre Reputation zu verteidigen, also machen Sie es mir nicht mit Gewalt schwerer, Beer."

Der Doktor murrte leise.

"Was war das?"

"Ja, schon gut, schon gut, ich bemühe mich. Wirklich, ich BEMÜHE mich. Nicht, dass es mir leichtfällt. So viele gute Ideen und so wenig Möglichkeiten, sie umzusetzen..."

"Das reicht mir für den Moment", erwiderte Lawrence zufrieden. Allerdings beschloss er, während der aktuellen Besprechung ein Auge auf seinen vielleicht fähigsten Waffenforscher zu haben. Für sein eigenes Wohl, damit man seinen Ideen auch weiterhin zuhören würde. Den realistischen, zumindest. "Was den verbesserten Massebeschleuniger angeht, so dachte ich daran, die weiteren Arbeiten an Luna Mecha Research auszulagern."

Entsetzt blieb der Österreicher stehen. "Auslagern? Meine Arbeiten zum verbesserten Massebeschleunigergeschütz? Aber... Aber..."

"Doktor Beer, verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist Ihre Idee und Sie haben bei der theoretischen Herleitung Großes geleistet, um die fast auf Lichtgeschwindigkeit gebrachten Geschosse von achtzehn Mikrogramm auf neunzehneinhalb hochzuschrauben. Aber schauen Sie sich doch mal Ihre Arbeiten an. Wie viele Projekte betreuen Sie zur Zeit? Zwanzig? Mehr?"

"Es sind dreiundzwanzig", murrte der Wissenschaftler. "Aber ich weiß, Prioritäten zu setzen, Captain Lawrence."

"Von wegen. Sie arbeiten nebenbei Blaupausen für ein Schlachtschiff der Macross-Klasse aus. Ich frage Sie mal ganz ehrlich: Haben Sie schon mal daran gedacht zu schlafen oder ein Privatleben zu führen?"

Die Bahn hielt am Haltepunkt Poseidon an. Unter den misstrauischen Augen einer UEMF-Elite-Infanterietruppe und den wachsamen Augen der Kameraüberwachung stiegen der Wissenschaftler und der Ingenieur aus.

"Privatleben wird überbewertet", sagte Beer. "Ich habe keins, und ich vermisse es überhaupt nicht. Dieser ganze Beziehungsquatsch, freundschaftliche Bande und so, das kann mir gestohlen bleiben. Lieber mache ich etwas Sinnvolles mit meiner Zeit. Zum Beispiel neue Waffen für Blue Lightning bauen. Das ist es, was heutzutage wirklich zählt, nichts anderes."

Lawrence seufzte laut. "Doktor Beer, so sehr ich Sie als Kybernetiker, Ingenieur und Metallurge schätze, aber in diesem Punkt sind Sie auf dem Holzweg. Gerade Menschen mit einem Privatleben leisten bei der Arbeit Erstaunliches." Er salutierte dem Wachtposten am Eingang und hielt ihm seine ID-Karte hin, während das System seine Werte mit den gespeicherten Daten über Captain Kevin Lawrence verglich. Zugleich sondierte ein KI-Meister den Neuankömmling, um auszuschließen, dass er einen der noch immer aktiven KI-Attentäter der Kronosier in sich trug, der zu einem wirklich unpassenden Zeitpunkt aktiv werden konnte.

Nach ihm unterzog sich der Österreicher der Prozedur. Der Wachhabende stutzte. "Doktor Beer, Sie haben seit dem letzten Besuch vier Kilo zugenommen. Und wie ich dem Fettmasse-Anteilmesser entnehme, sind das nicht gerade Muskeln. Im Gegenteil, deren Masse ist seither ein halbes Kilo zurückgegangen. Ich empfehle Sie für eine genauere Untersuchung."

Entgeistert sah der Wissenschaftler den Sergeant vom Dienst an. "Was, bitte? Sie schicken mich zum Arzt? Ich bin Forscher, keine Laborratte!"

Der Mann seufzte tief und lang. "Hören Sie, Doc, tatsächlich ist es Ihre Sache, was Sie mit Ihrem Körper machen. Aber nicht, solange Sie bei der UEMF gelistet sind. Sie haben eine Verpflichtung, Ihren Geist bei Verstand und Ihren Körper aktiv zu halten. Wenn jemand wie Sie sich nur noch von Schokoriegeln ernährt, und wenn dieser Jemand durch Kreislauferkrankungen oder Mangelerscheinungen ausfällt, schadet das der UEMF als Ganzem." Er schob ein frisch ausgedrucktes Kärtchen zum Österreicher herüber. "Morgen um halb Elf im medizinischen Trakt der Poseidon-Basis. Einer der KI-Meister wird Sie untersuchen und eine Empfehlung abgeben."

"Ach, ein KI-Meister auch noch?", murrte Beer ärgerlich. "Ich habe wirklich keine Zeit für sowas, und außerdem..."

"Das können Sie mit Miss Vaslot persönlich besprechen, denke ich. Ansonsten ist das ein Befehl, Doktor Beer", sagte der Sergeant mit unerschütterlicher Miene.

"Miss?", fragte Beer. "Ich dachte, KI-Meister sind immer grimmige alte Säcke mit Glatze."

Der Sergeant, Captain Lawrence und einige der Wachen lachten.

"Noch nie was vom Otome-Bataillon gehört, mein lieber Doc?", erwiderte der Sergeant grinsend. "Mit etwas Glück entpuppt sich die Dame als echter Feger." Er zwinkerte dem Wissenschaftler vertraulich zu.

"Nun", murmelte Beer und griff nach der Karte, "wenn es denn ein Befehl ist..."

Nachdem er die Karte umständlich in seiner Brieftasche verstaut hatte, machten sich die beiden Männer wieder auf den Weg. Lawrence blieb dabei erstaunlich stumm, wenngleich zufrieden.

"Was?", fragte der Österreicher schließlich, als es ihm zuviel wurde.

"Hm? Oh, ich freue mich nur darüber, dass Sie anscheinend doch noch zu retten sind, mein lieber Rüdiger."

"Ach!", machte Beer. "Und das schließen Sie woraus?"

Lawrence grinste breit. "Aus Ihrer Frage, zum Beispiel."

Abrupt blieb Beer stehen und sah dem Captain nach. Getroffen und versenkt. "Mist", murmelte er und holte den Kronosier wieder ein. "Mist."

***

"...möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen Doktor Beer vorstellen. Er kam mit den neuen Detachements zur zweiten Reise der AURORA an Bord und arbeitet in der Sektion der Waffenoptimierung. Er war maßgeblich daran beteiligt, die Energieversorgung von drei Hämmern des Hephaistos sicherzustellen, indem er vorschlug und bei der Umsetzung half, die Hämmer nicht von Fusionsreaktoren versorgen zu lassen, sondern von Fission-Kraftwerken."

"Damit ich das richtig verstehe", fragte Hina Yamada, ihres Zeichens Majorin und Anführerin des Otome-Bataillons, "die Energieversorgung unserer stärksten Waffen basiert auf Kernspaltungsreaktoren?"

"Bevor Sie in Panik ausbrechen", sagte Beer anstelle Captain Lawrence', "es handelt sich um Fission-Kraftwerke. Auch Palladium-, oder Flüssigsalz-Reaktoren genannt. Sie benötigen kein Uran, erst recht kein künstlich angereichertes Uran-Isotop. Die Flüssigsalz-Reaktoren können diese natürlich verwerten, klar, aber sie haben zwei klare Vorteile: Erstens, wenn bei der Spaltung von Uran-Isotopen waffenfähiges Plutonium entsteht, können sie dieses auch verwerten. Und zweitens, die Reaktoren können spaltbares Material so lange spalten und wieder spalten, bis am Ende ein Element herauskommt, das überhaupt nicht mehr strahlt. In allen Phasen erzeugt der Reaktor übrigens auch Energie. Natürlich ist die Energie umso höher, je mehr Elektronen die zu spaltenden radioaktiven Elemente ihr eigen nennen, weshalb die direkt für die Energieversorgung zuständigen Fission-Reaktoren Uran, Plutonium und Neptunium zu fressen bekommen. Die Abfallprodukte werden anschließend in weiteren Fission-Kraftwerken verbraucht und auf wenig bis nicht strahlendes Niveau gebracht. Es besteht natürlich immer eine Gefahr der Verstrahlung. Aber selbst ein Fission-Kraftwerk, das von einer Bombe hochgejagt wird, hat nicht annähernd so schlechte Auswirkungen auf seine Umgebung wie ein Druckwasserreaktor, wie sie vor kurzem noch State of the Art auf der Erde waren. Zum Glück haben die Dai mit ihrem Wissen geholfen, die letzten Kinderkrankheiten und Leistungsbeschränkungen der Fission-Kraftwerke auszumerzen, sodass sie Serienreife hatten, kaum dass die AURORA eine neue Energieversorgung brauchte. Und radioaktives Material fällt eigentlich immer an. Das ist die traurige Wahrheit. Beantwortet das Ihre Frage, Major Yamada?"

"Äh, ja, danke, Doktor Beer. Ich verstehe, warum Sie den Job haben, den Sie tun. Aber es wirft eine weitere Frage auf. Und bitte, halten Sie mich deshalb nicht für blöde, weil ich mich in diesem Thema nicht so auskenne. Ich bin Slayer und Soldatin, keine Physikerin."

Beer nickte der blonden Schönheit aufmunternd zu. "Es gibt keine dummen Fragen, Ma'am. Es gibt nur dumme Antworten."

Sie betrachtete den Ingenieur einige Zeit, bevor sie sich räusperte. "Na, da warten Sie doch erstmal meine Frage ab. Also, brauchen wir das Plutonium nicht für die Sprengköpfe unserer Torpedos?"

Stille senkte sich über den Konferenzraum. Irgendjemand unterdrückte ein glucksendes Lachen und Hina Yamada begann, vor Verlegenheit rot zu werden.

"Nein", sagte Beer mit unerschütterlicher Ruhe.

"Was?", fragte sie überrascht.

Der Blick des Doktors ging von der Slayer über Admiral Ino, ihren Bruder, General Ino, von dort über Kommodore Genda zum holografischen Abbild von Division Commander Uno und schließlich zu Admiral Takahara, bevor er wieder zu Blue Slayer zurückkehrte. "Nein. Wir brauchen kein Plutonium für Kernwaffen als Gefechtsköpfe der Torpedos. Sie als Laie können das nicht wissen. Und ich schätze die überwiegende Mehrheit der Offiziere und Mannschaften auf diesem Gebiet als Laien ein - Anwesende ausgenommen, Doktor Ino", sagte er schnell in Richtung Sakura Inos, "aber wir verwenden keine Kernspaltung für eine Reaktion, die wir als Waffe verwenden wollen."

Die Röte aus den Wangen Major Yamadas verschwand ein wenig. "Und was benutzen wir dann, Doktor Beer?"

Der Österreicher grinste. "Was viel gemeineres. Wir nutzen heiße Fusion. Die erreicht bis zu zwanzig Millionen Grad. Oder anders ausgedrückt: Ein Kernspaltungssprengkopf auf Plutoniumbasis, der die Zerstörungskraft einer Megatonne Vergleichs-TNT hat, findet seine Entsprechung in einem achtzehnmal kleineren Sprengkopf mit heißem Fusionskopf. Oder anders ausgedrückt: Unsere Torpedos sind beispielsweise nur halb so groß wie die Kaiserlichen oder die des Cores und der Sprengkopf hat nur ein Viertel ihrer Größe, aber unsere Explosionen sind mehr als viermal so groß. Übrigens derzeit das letzte Machbare, was wir produzieren können. Machen wir sie noch größer oder noch schwerer, haben wir Planetenkiller. Und das wäre doch - ha, ha - schon Overkill."

Hina riss die Augen auf. "Doktor Beer, ich gebe zu, ich bin schwer beeindruckt. Ich schätze, bei all der Arbeit, unter der Akira Otomo beschlossen hat, mich zu vergraben, habe ich mich viel zu wenig für die Flotte an sich interessiert. Das ist ein Versäumnis, das ich bereinigen muss. Danke."

"Gern geschehen, Ma'am. Aber wenn ich gerade die Aufmerksamkeit aller Anwesenden habe, kann ich vielleicht mal diese Pläne hier..."

"Rüdiger!", sagte Lawrence scharf. "Keine Macross-Pläne!"

"Oooch."

Admiral Ino lachte leise auf. "Lassen Sie nur, Kevin. Er soll sie ruhig vorlegen. Er ist bei weitem nicht der Einzige, der in seinem Leben versucht hat, eine Macross-Festung zu planen und vielleicht zu bauen, nicht?" Amüsiert sah sie ihren Bruder an, der tatsächlich ein wenig rot wurde.

"Aber eines sage ich Ihnen, Doc, wenn das Ding nicht transformieren kann, will ich es nicht sehen", scherzte Admiral Ino.

"Dann haben Sie mit meinem Entwurf kein Problem", prophezeite der Wissenschaftler.

Überrascht lachte sie auf. "Gut. Sie haben...", die junge blonde Frau sah auf ihr Multifunktionsarmband, "zehn Minuten."

"Ich hätte ihm die Sachen wegnehmen sollen", sagte Lawrence säuerlich. "Du hast versucht, eine Macross-Festung zu bauen, Makoto?"

Der General fand die nächste Wand plötzlich sehr interessant. "Haben wir das nicht alle versucht?"

"Ich für meinen Teil nicht", murmelte Lawrence. Säuerlich sah er auf den Ausdruck, den Beer ihm vorgelegt hatte. "Also, schauen wir uns das Ding halt an."

"Niemand hat vor, eine Macross-Festung zu bauen", scherzte Megumi Uno. Mit dem leicht entfremdeten historischen Zitat hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.
 

2.

"Also", sagte Rooter Kevoran ernst in die Runde, "was tun wir jetzt?"

Die Runde, das waren Juichiro Tora, weitere Vertreter des Tiger-Clans, Dai-Kuzo-sama, Dai-Kumo-sama, weitere Dämonenkönige, Vrivrites Acouterasal, die erste Offizierin der RASHZANZ, General Render Vantum, Helen Otomo, Eikichi Otomo und Michael Berger, um nur die Wichtigsten am Tisch aufzuzählen. Tatsächlich füllten fast einhundertzwanzig Menschen - Daina, Daima und Dai sowie Götter - den Konferenzraum an Bord der RASHZANZ.

"Ich kann mit Fug und Recht behaupten, mein lieber Kapitän", sagte Helen Otomo, "dass Ihre Zeit als Wachtposten auf der Erde - Lemuria - ein Ende hat. Es gibt kein Imperium der Götter mehr, für dessen Schutz sich Schiff und Mannschaft opfern müssen. Stattdessen habt Ihr die Pflicht zu überleben, denn es ist wahrscheinlich, dass Ihr die letzten Individuen seid, die sich als Götter definieren."

"Hinzu kommt", fügte ihr Mann mit ernstem Ton hinzu, "dass die Kinder der Götter einen Scheiß darauf geben, dass es euch gibt. Dass sie es wissen, dass sie zumindest von der RASHZANZ wissen, dürfte klar sein. Immerhin haben sie sich darauf verlassen, dass Ihr hier aufs Knöpfchen drückt, sobald wir Vertragsbrüchig sind."

"Was ja auch beinahe der Fall war", knurrte der Kapitän der RASHZANZ angriffslustig. Er sah Render an. "Was ist mit den Zivilisten, General?"

"Wir haben sie... Erfasst. Wir zählen noch, aber einhunderttausend wird wohl hinkommen." Sein Blick ging zu Dai-Kuzo-sama. "Eine Anlage dieser Größenordnung kann nicht gegen euren Willen erbaut worden sein, Dai. Unmöglich. Die Anlage, in der ich mit meinen Leuten geruht habe, sicher, das funktioniert. Aber eine fünfmal so große Anlage unter unsere zu setzen, wahrscheinlich nachdem wir bereits in Kryostase waren... Wahnwitz."

"Oh, man hat mir berichtet, dass es schwierig war, aber nicht unmöglich", sagte Dai-Kuzo-sama mit einem undefinierbaren Lächeln. "Wir haben dies gestattet, als die Vernichtung der Götter - also der echten, atmenden, lebenden Götter - abzusehen war. Damals, am Ende des Daima- und Daina-Krieges, als die Strafer der Götter ihre Jagd auf Daimons begonnen hatten. Damals dachten meine Vorgänger, sie würden den letzten lebenden Göttern Asyl gewähren. Götter, für die jene Wesen, die sich ihre Kinder nannten, längst Todfeinde geworden waren."

"Die Kinder der Götter", sinnierte Render. "Mir ist keine Nation und keine Rasse bekannt, die einen Anspruch auf diesen Titel erheben könnte. Ich wüsste auch niemanden, den wir je so betrachtet hätten."

"Das gilt auch für uns", sagte Vrivrites Acouterasal. "Wir hatten Kontakt zu etlichen nichtmenschlichen Spezies, aber keine davon hätte sich als unseren Nachfolger betrachtet, geschweige denn als Kinder. Irgendwas muss da fürchterlich schief gelaufen sein."

"Wie man es nimmt. Nicht alles ist schief gelaufen", sagte Helen. "Ich möchte euch allen gerne meine Schlussfolgerungen mitteilen, die ich aus den bisherigen Daten gezogen habe. Ob wahr oder falsch werden wir später ermitteln müssen. Aber von meinem Standpunkt aus gesehen hat sich folgendes abgespielt. Vor rund fünfzigtausend Jahren war dieser Sektor der Galaxis dicht besiedelt. Von Menschen, die sich in Daima und Daina unterschieden, von weiteren Rassen, von den Dai. Damals herrschte Krieg zwischen den verschiedenen Nationen, und die Erde, damals Lemur oder Lemuria genannt, entschloss sich, diese Kriege zu entspannen oder zu unterbinden. Dies gelang nur zum Teil. Schließlich wurden die Götter in dieses Dilemma hineingezogen, eine Gruppe Daima, die aus Daima entstanden war, die sich möglichst weit entfernt von Lemuria niedergelassen hatte, ohne Dai, um eben nicht in ein solches Geschehen hineingezogen zu werden. Unterbrecht mich, wenn ich etwas Falsches sage. Ihr stammt aus dieser Zeit, nicht ich. Keine Einwände? Gut.

Es kam für Lemuria etwas unglücklich. Zuerst blutete es in den Bürgerkriegen aus, anschließend hatte es den Göttern nur wenig entgegen zu setzen. Die Daima-Nationen, die ihre militärische Macht verheizt hatten, waren nicht mehr zu retten. Auch die Daina-Welten konnten nicht gehalten werden. Letztendlich stand die Erde allein gegen all das, was die Götter aufzubieten hatten. Es war ein klassisches Patt, das nur gegen die vollkommene Vernichtung beider Seiten aufgelöst werden konnte. Also wurde ein Kompromiss geschlossen, der dem Patt angemessen war. Die Dai der Erde erklärten sich bereit, ihre Flotte nie wieder einzusetzen und die Erde nicht zu verlassen. Um das zu garantieren, wurde die RASHZANZ im Marianegraben versenkt und seine Besatzung in Kryostase gehalten, um beim Weckruf des KI diese Welt zu vernichten. Soweit sind alle bei mir?"

Die Anwesenden nickten. "Im Gegenzug verzichteten die Götter auf die Vernichtung der Daina-, und Daima-Kolonien. Lediglich die Daimon blieben legitime Ziele für sie. Nun aber kommt der Teil, der alle irritieren wird: Heutzutage, Kinder der Götter hin oder her, sind lediglich robotische Schiffe im Dienst der Götter unterwegs. Wir wissen zwar von einem Rat der Kinder der Götter, der angeblich hinter allen Aktionen der Sucher, Strafer und Vernichter stecken soll, aber Akiras Bericht über seinen Kontakt zu dieser Gruppe besagt eindeutig, dass es sich um ein Strohmann-Ensemble handelt und dass die Computerhirne der Götter auf ihre Anweisungen einen Dreck geben. Sie handeln eigenständig. Extrapoliert man diese Information mit der Tatsache, dass es das Sternenreich der Götter nicht mehr gibt, kommt man zu der Erkenntnis, dass die Götter heutzutage ausgestorben sind. Ja, ich weiß. Dazu komme ich später. Die Frage, die uns nun beschäftigen sollte, ist einfach: Sind sie auf natürliche Weise ausgestorben, oder haben die Computer nachgeholfen?"

Render räusperte sich. "Ich möchte an der Stelle kurz anmerken, dass unsere Zivilisation keine robotischen Schiffe kennt. Ich meine, kannte."

Rooter nickte bei diesen Worten bestätigend.

"Eine Invasion?", riet Helen Otomo.

Leises, nervöses Raunen ging von den Göttern am Tisch aus. Eine Option, die ihnen sichtlich nicht gefiel. "Vielleicht ein Grund, warum sich diese Fraktion "Kinder der Götter" nennt und sich unserer Technologien und Daten bedient", sagte Vrivrites Acouterasal. "Eine Invasion, eine Eroberung. Das würde auch die Existenz der Naguad erklären, die nachweislich unsere Nachfahren sind."

"Richtig, Vrivrites. Es macht Sinn, wenn man bedenkt, dass die Aufzeichnungen der Naguad auf Iotan beginnen, wo sie sich den Planeten mit den Iovar teilten. Wobei zu bemerken ist, dass die Iovar ihr KI oder AO beherrschten, die Naguad aber lange Zeit nicht oder nur im Verborgenen. Es ist anzunehmen, dass sie Flüchtlinge waren, die der Vernichtung ihrer Zivilisation durch die Maschinen entkommen konnten. Es ist Ironie, dass sie anschließend erneut fliehen mussten, um erst auf Nag Prime ihre endgültige Heimat zu finden. Wo sie nichts eiligeres zu tun hatten, als ein Imperium zu gründen", sagte Helen nicht ohne Ironie in der Stimme. Ihr Vater Michael schmunzelte bei diesen Worten.

"Was uns zu der Erkenntnis bringt, dass wir mit den Naguad verwandt sind", sagte General Vantum, "auch wenn ich hier nur allzu Offensichtliches ausspreche. Deshalb sollte das Imperium der Naguad unser natürlicher Rückzugsraum sein."

"Und wir sind im Imperium der Naguad", sagte Kapitän Kevoran. "Spätestens, seit Akira Otomo im Namen der UEMF kapituliert und die Erde als Morgengabe der Familie seiner Braut übergeben hat." Rooter Kevoran lachte leise. "Wundert mich, dass die Naguad diese Geschichte gefressen haben. Und dass es auf der Erde keine allzu großen Aufstände gab."

"Ach, das", sagte Eikichi Otomo und machte eine wegwerfende Handbewegung, "die paar Protestler haben wir im Griff. Ohnehin verhalten sie sich überwiegend friedlich. Mit den Anhängern haben wir wesentlich mehr Probleme."

"Anhänger?", fragte Rooter skeptisch.

"Ja, Anhänger. Jene Menschen, die den Beitritt zum Imperium ernst nehmen und Megumi Solia Kalis Daness einen Thron errichten wollen. Und natürlich ihrem Prinzgemahl Aris Arogad, den sie hoheitsvoll an ihrer Seite dulden, weil ihm Mond und Mars gehören." Eikichi seufzte. "Solche Anhänger. Am liebsten würden sie heute noch mit dem Bau der neuen Hauptstadt beginnen. Und angeblich sollen ein paar Spinner schon damit angefangen haben, in Gebieten auf der Erde, die sie mit Hilfe der überlegenen Naguad-Technologie zu urbanisieren hoffen. Also in der Wüste Gobi oder der Wüste Sahara. Manche plädieren dafür, einen künstlichen Kontinent im Pazifik aufzuschütten, oder wenigstens auf diese Weise eine künstliche Halbinsel an Atlantis zu erschaffen. Solche Spinner eben."

"Wie jetzt, auf dem Mond will keiner bauen?", scherzte Michael.

"Nein. Erst wenn es gelingt, einen der größeren Krater per Energieschirm zu versiegeln, ihn mit Atemluft zu füllen und landwirtschaftlich zu urbanisieren", erwiderte Eikichi trocken.

"Oh. Das haben sie wirklich gefordert, richtig?"

"Richtig."

"Ihr seid interessante Leute, Ihr Menschen", sagte Rooter Kevoran. "Was wäre mir da nur entgangen, wenn ich euch vernichtet hätte, anstatt euch kennenzulernen."

"Nicht, dass du es nicht versucht hast", sagte Eikichi ernst.

"Zugegeben. Aber Summa Summarum bedeutet das, dass unser ganzer Kampf hinfällig ist, richtig? Stattdessen haben wir da einhunderttausend Zivilisten, die über den Abgrund der Zeit vor der Auslöschung gerettet wurden, mehrere Milliarden Nachfahren in Form der Naguad und einen unerbittlichen Feind, der die anderen Götter höchstwahrscheinlich ausgelöscht hat."

"Zusammen mit den Daimons", sagte Dai-Kuzo-sama.

Der Gott runzelte die Stirn. "Was, bitte?"

"Ich sagte: Zusammen mit den Daimons." Die schwarzhaarige Spinnendämonin schnaubte abfällig. "Als abzusehen war, was eurem Volk passieren würde, entschlossen sich unsere Vorfahren zu helfen. Flüchtende Götter wurden zumeist in Daimons versteckt und dort in Kryostase konserviert. Für eine Zeit, in der es die Kinder der Götter nicht mehr geben würde. Die Strafer haben es nicht nur auf Dai abgesehen gehabt in der Hoffnung, uns die Möglichkeit zu nehmen, jemals wieder einen Reyan Maxus zu erschaffen. Sie wollten auch unter euer Volk einen Schlussstrich ziehen. Oft genug haben sie es geschafft. Zum Beispiel mit der Vernichtung der Daimon auf Iotan, die den kaiserlichen Palast beherbergte. Und unter ihm eine Anlage, die einer Million eurer Leute als Zuflucht gedient hat."

Entsetzen stand in den Gesichtern der Götter. "Ist das sicher?", fragte Vrivrites Acouterasal mit rauer Stimme.

"Es ist sicher. Aris Ohana Lencis hat die Trümmer des Palasts untersuchen lassen und dabei die Reste der Anlage entdeckt. Soweit ich weiß, haben es die unteren Etagen überstanden, aber... Es gab horrende Verluste bei euren Zivilisten."

Mit einem Knall, der an einem Pistolenschuss erinnerte, zerbrach der Kugelschreiber, den Rooter Kevoran in Händen gehalten hatte. "Das ist... Alles das Gegenteil von dem, was wir geplant haben, was wir vorgehabt haben. Es hat nichts mehr mit dem zu tun, was uns befohlen wurde", sagte er grimmig. Er atmete tief ein. "Die Götter auf der Erde ergeben sich hiermit offiziell der UEMF."

Im Raum wurde es totenstill. "Kapitulation anerkannt", sagte Direktor Otomo mit ernster Stimme. "Zugleich reaktiviere ich die Kampftruppen der Götter im Rahmen der gesetzlichen Regelungen im Kriegsfall als Hilfstruppen und ordne die Reparatur der RASHZANZ an. Wir werden das Schiff bald genug brauchen, wenn die Daimons erst einmal versagen."

"Und wir...", sagte Rooter mit belegter Stimme, "müssen das beschützen, was von unserem Volk übrig geblieben ist." Nein, das war definitiv nicht die Zukunft, die sie sich erhofft hatten. Anscheinend war ein Universum ohne Reyan Maxus auch weit davon entfernt, perfekt oder friedlich zu sein. Und das lag nicht zuletzt an den Kindern der Götter. Er ballte beide Hände zu Fäusten. "Und die Menschen gehören ab jetzt zu unserem Volk und stehen unter unserem Schutz!"

Render Vantum, sonst immer zu einem Disput mit dem Schiffskommandanten oder gar einer Handgreiflichkeit bereit, nickte zustimmend. Die Zeit für Dispute war vorbei. Nun galt es, die Galaxis zu retten.

***

"Eryn Lycast, Commander, Haus Fioran", sagte die junge Frau. Es war ein Wunder, dass sie bei den Worten nicht stotterte, denn ihr Gesicht war knallrot, während sie mir die Hand gab. "Stellvertretende Kommandeurin des Blue Lightning-Regiments mit der Fachrichtung Verdeckte Operationen."

"Freut mich, Sie kennenzulernen, Eryn", sagte ich fröhlich. Endlich, der Schatten bekam Gestalt. Und diese Gestalt bestand aus fast vierhundert Soldaten von drei verschiedenen Welten.

"Bitte, Sir, der Zweite Stellvertreter." Sie deutete auf einen großgewachsenen Blondschopf, der seine Haare schulterlang trug. Die schmucklose schwarze Einsatzuniform verriet nicht viel über ihn, aber sein Grinsen sagte alles. "Freut mich sehr, Blue Lightning. Len Nox Ryon, Funktionär und Einsatzagent des Komitees. Ich war einer von denen, die Sie auf den Plattformen eingefroren haben, um uns ins Sol-System zu schaffen."

"Hat Ihnen anscheinend nicht geschadet", scherzte ich und mein Gegenüber lachte abgehackt, aber nicht unfreundlich.

"Stimmt, allerdings. Mich hat es nur im Gegensatz zu meiner Familie gleich wieder ins Weltall gezogen. Erde und Mars sind ja so unanständig friedlich. Ich hätte keine Ahnung gehabt, was ich ansonsten mit meiner Zeit hätte anfangen sollen. Und bevor Sie fragen: Team Megumi."

Irritiert sah ich den großen Anelph an. "Team was?"

"Team Megumi. Nichts gegen Sie, Sir, und jeder einzelne Mann und jede einzelne Frau haben sich eindeutig zu Ihnen bekannt, aber tief in meinem Herzen vergebe ich meine Loyalität eher an Ihre Verlobte." Er grinste und klopfte Lycast auf die Schulter, bevor er den Arm auf ihren Nacken legt eund sie burschikos an sich heranzog. "Unsere gute Eryn hier allerdings ist eine waschechte und lupenreine Team Akira-Vertreterin. Na, kein Wunder bei einer Fioran-Attentäterin, würde ich sagen."

Sie lächelte bei seinen Worten. "Der Commander ist zum Teil ein Fioran. Es ist nur allzu verständlich, dass ich ihn als loyale Fioran unterstütze, oder?"

"So kann man das auch formulieren", erwiderte der Anelph spitzzüngig. "Ach, und bevor ich es vergesse, Sir, wir alle hier sind unheimlich stolz darauf, wie Sie die Situation mit dem zerstörten Strafer und dem zweiten Wurmloch geregelt haben. Sollte jemand zu dem Zeitpunkt noch skeptisch gewesen sein, ob er oder sie tatsächlich das eigene KI gut genug unterdrücken kann, ohne Sie damit zum fressen anzuregen - danach war es eine Frage der Ehre, dass sie es einfach tun. So wie Sie einfach tun, was Sie müssen, um uns zu retten."

"Kommen Sie, Sir, ich will Ihnen...

"ACHTUNG!", gellte ein lauter Befehl von der Tür. Das Blue Lightning-Regiment erhob sich, wenn die Mitglieder nicht ohnehin schon standen, und ging in Hab acht-Stellung.

"Rühren", sagte ein kleiner Mittvierziger mit graumelierten Schläfen. Er war in einen Stapel Akten vertieft, während er zum Stehpult an der Tafelseite des großen Tagungssaals ging. "Es gibt gute Neuigkeiten von Aleevon, meine Damen und Herren. Es sieht so aus, als könnten Randsdales Gruppe gerettet worden sein, bevor die kaiserlichen Truppen hart und unbarmherzig zuschlugen. Nicht so gute gibt es von Qualit. Komitee-Truppen haben die sterblichen Überreste von Regen Lachuter geborgen. Von seinem restlichen Team fehlt jede Spur, sodass wir zumindest hoffen können, dass die acht Mann entkommen konnten. Die neue Räteregierung der Republik Iovar hat ihre volle Unterstützung bei der Suche nach ihnen versprochen. Und wir wissen, dass die Iovar ihre Versprechen auch halten. Zumindest mit Aris Lencis als Intendentin."

Ein wenig verblüfft sah ich den Mann an.

"Darf ich vorstellen?", sagte Ryon grinsend, "unser Chef, Jason Staffort."

Der Regimentskommandeur sah auf. "Commander?"

"Jason?" Verwundert trat ich ans Rednerpult. "Jason, was machen Sie denn hier?"

"Sir, ich habe Ihnen doch gesagt, sollte ich mich eines Tages entscheiden müssen, dann würde ich immer Sie wählen. Und was soll ich sagen, hier bin ich", erwiderte der ehemalige Army Ranger verlegen.

Ich reichte ihm die Hand und er griff mit trockener Hand zu und drückte sie fest. "Schön, Sie an Bord zu haben, Jason."

"Danke, Sir. Es ist mir eine besondere Ehre, dieser Einheit anzugehören und sie zu kommandieren. Obwohl ich mir nie ganz sicher war, ob Sie die Existenz eines solchen Regiments befürworten würden. Wir betreiben hier Black Ops, wenn man übergenau ist."

Ich nickte. "Black Ops sind Teil des Geschäfts. Wir haben Dutzende gegen die Kronosier geführt und an vielen habe ich teilgenommen." Besonders eine war mir noch sehr gut in Erinnerung. Jene, als wir das kronosische Nest mitten in Japan ausgenommen und den französischen Agenten Jean Duvalle aus einem Biotank gerettet hatten.

"Dann hätten wir gar nicht so heimlich zu tun brauchen, was?", erwiderte Staffort gut gelaunt. "Nein, das heißt, wir mussten es so oder so tun. Immerhin mussten wir uns die Ehre unseres Namens erst verdienen."

"Und? Haben Sie sich diese Ehre verdient?", fragte ich leichtheraus. "Ich bin nicht umhin gekommen, Ihre kurze Zusammenfassung zu den beiden iovarischen Welten mit anzuhören."

"Aleevon und Qualit. Wir führen vorbereitende Operationen durch, um die hiesige Infrastruktur der kaiserlichen Armee zu schwächen und die Kommunikation zu sabotieren. Gelingt uns das, haben wir das letzte Viertel des Kaiserreichs ein für allemal vom Rest getrennt. Dann können die Ratstruppen damit beginnen, das letzte Viertel zu tranchieren und Lichtjahr für Lichtjahr zu erobern. Mit anderen Worten: Ja, Sir, ich denke, mittlerweile haben wir uns den Namen des Blue Lightning-Regiments wohlverdient." Sein Lächeln wurde steinern. "Wir haben mit fünfhundert Mann begonnen, vor knapp einem Dreivierteljahr. Seit wir das Kaiserreich betreten haben, haben wir in Kooperation mit der Intendenten-Flotte, Ihnen, Sir, und dem Core einhundertachtundsechzig Einsätze durchgeführt. Dabei kamen jeder Mann und jede Frau des Regiments im Durchschnitt vierzehnmal zum Einsatz. Wir hatten achtzehn Verluste und haben über neunzig Leute in die Biotanks geschickt. Keiner hier ist nicht wenigstens einmal verwundet worden, aber die Ärzte haben uns immer schnell wieder zusammengeflickt. Zur Zeit sind einhundertundsieben Männer und Frauen im Einsatz, Seite an Seite mit unseren iovarischen Verbündeten. Voraussichtliche Dauer ihrer Missionen ist zwischen sechs Wochen und einem Jahr. Sie werden durch unsere Verbündeten nach und nach zurückgebracht. Etwa ein Drittel von ihnen leitet Ausbildungskurse, um die ersten eintausend nicht-kaiserlichen Kommandos zu trainieren. Scheint, dass der Drecksack eine Menge loyaler Leute auf seinen ehemaligen Welten zurückgelassen hat, die nun mit terroristischen Methoden den Übergang zur Räterepublik stören sollen. Verhindern können sie es nämlich nicht." Staffort rieb sich müde die Augen. "Alles in allem freue ich mich, wenn wir wieder zur Erde kommen. Das Blue Lightning-Regiment braucht dringend neue Leute, wenn wir unsere operativen Erwartungen weiter erfüllen wollen. Tatsächlich helfen die Hekatoncheiren und die Otomes bereits bei uns aus, wo immer sie können. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich das Regiment auf dreitausend Leute aufblähen. Nur, woher so viele loyale und fähige Kommandos nehmen?"

"Sie werden Ihre zukünftigen Leute selbst trainieren müssen", sagte ich und klopfte dem Mann auf die Schulter. Der ehemalige Army Ranger sah mich erstaunt an. "Sir?"

"Ich sagte: Trainieren Sie Ihren Nachwuchs selbst. Sie werden nicht ewig an Bord der ADAMAS sein. Im Gegenteil, wenn Ihre operativen Möglichkeiten tatsächlich da liegen, wo ich es vermute, ist ein Ausbau auf das Sechsfache eine verdammt gute Idee, die wir dringend umsetzen sollten."

"Und Sie haben keine Bedenken gegen die Black Ops, Sir?", fragte er mich.

Für einen Moment spürte ich wieder das althergebrachte Gefühl der Verwirrung, das mich immer dann überfiel, wenn mich ein deutlich älterer Mensch "Sir" nannte oder mir eine wichtige Entscheidung überließ. Nicht, dass ich nicht der beste Mecha-Pilot der Menschheit war und nicht, dass ich nicht auch der dienstälteste Mecha-Pilot der Menschheit war. Teufel auch, entgegen meiner angeborenen Bescheidenheit - klopf dreimal auf Holz - wusste ich ziemlich genau, was ich in puncto Mecha und Mecha-Kampftaktiken wert war. Aber dennoch, es verwirrte mich immer noch. Wahrscheinlich, weil da immer so ein wenig Unwillen in meiner Stimmung mitschwang, so nach dem Motto: Klasse, schon wieder schieben sie alles auf dich ab... Aber ich schüttelte das Gefühl ab, so wie ich es tausendfach getan hatte, als ich noch ein kleiner, vierzehnjähriger First Lieutenant gewesen war, mit der geballten Last der gesamten Erdverteidigung auf meinen schmalen Schultern.

"Ich denke, beide Angriffe auf den Mars, aber vor allem den ersten, kann man als Black Operation beschreiben", sagte ich nachdenklich. "Und viele meiner weiteren Aktionen waren... Nun, auch nicht gerade lehrbuchtauglich, zumindest nicht im konservativen Sinn. Nein, ich habe nichts gegen Black Operations im weitesten Sinne. Außerdem führen Sie die Truppe, Jason. Wir kennen uns seit der Schlacht um New York und ich weiß, dass Sie sehr gute Arbeit leisten."

"Danke, Sir." Der rund vierzig Jahre alte Soldat mit fast zwanzig Jahren Dienstzeit wirkte erleichtert wie ein grüner Kadett, der um einen Tadel seines Kommandeurs herumgekommen war, mit dem er fest gerechnet hatte. Na toll. So etwas setzte mich doch nur umso mehr unter Erwartungsdruck. Andererseits war ich derjenige, der die ADAMAS notfalls alleine kommandieren konnte. Nein, nicht nur notfalls.

Ich setzte mich auf den freien Stuhl neben dem Stehpult. "Okay, ich denke, wir haben ein wenig Zeit. Nicht Arhtur?"

"Sechs Stunden, neun Minuten, Sir. Dann verlassen wir das Wurmloch im Zielsonnensystem. Von da ist es nur noch ein Sprung bis zur Erde."

"Danke, Arhtur. Sie sehen, Jason, es ist eine Menge Zeit. Ich nehme an, Sie haben alle verfügbaren Mitglieder der Blue Lightnings hier versammelt, um diverse Einsätze zu besprechen. Nun, hier bin ich, bereit, etwas zu lernen. Legen Sie los."

"Verstanden, Sir", sagte er freudig. Staffort wandte sich seinen Leuten zu. "Na, dann wollen wir doch mal beweisen, dass wir des Regimentsnamen Blue Lightnings würdig sind!"

Applaus klang auf. Was für eine überraschende akustische Abwechslung. Ich hatte Jubel oder stille Zustimmung erwartet.

"Abnoel. Vol Tanek, Sie hatten die Einsatzleitung. Bitte berichten Sie von Ihrer Warte, was da genau passiert ist."

Eine Anelph kam nach vorne, während sich alle anderen wieder setzten. Sie löste Staffort am Stehpult ab. "Abnoel. Siebte Welt des Helac-Systems, Sauerstoffwelt, Gravitation in der Norm, ein Flottenhafen auf der Oberfläche, einer im Orbit. Es war ein Sabotage-Einsatz mit zwanzig Leuten, aufgeteilt in vier Fünferteams. Wir..."

Während ich den Worten der Frau aus dem Kanto-System lauschte, kam ich nicht umhin, Zufriedenheit zu fühlen. Nicht, weil diese Männer und Frauen meinen Kampfnamen führten, und das mit Stolz. Nicht, weil sie meine Zeit im Kampf in Ehren hielten. Nein, weil sie aus drei unterschiedlichen politischen Systemen stammten und dennoch vorbehaltlos miteinander arbeiteten. Zwar waren sie Black Ops, aber ihre Arbeit war genauso notwendig wie die eines Mecha-Piloten. Und ihr Einsatz verhinderte oft genug, dass Dutzende, wenn nicht hunderte oder tausende reguläre Soldaten umkamen. Ich war zufrieden. Und je mehr ich zu hören bekam, desto zufriedener wurde ich.

***

"Soso, das sind sie also." Brigadier General Nathan Kreuzer, Anführer der Titanen-Regimenter, musterte die drei Schüler, die vor ihm standen - Hab Acht wäre wohl zuviel verlangt gewesen, aber diese drei standen nicht einmal gerade - aufmerksam. Von zweien schmeckte er Angst, das stellte ihn recht zufrieden. Vom Mädchen jedoch nicht. Sie hatte die Aura einer Diva und die Unerschütterlichkeit einer Otomo. Sie wusste, was sie wert war und sie wusste, dass sie es nicht leisten musste. Also war ihr guter Wille Gold wert.

"Ja, Sir." Thomas lächelte schmallippig. "Darf ich vorstellen? Die Anführerin der Verschwörung zur Erforschung der Dai auf Atlantis, Haru Mizuhara."

"Haru Mizuhara? Bist du mit Takashi und Takeru Mizuhara verwandt, junge Frau?"

Das japanische Mädchen räusperte sich. "Sie sind meine älteren Brüder."

"Na, das ist ja mal interessant. Commodore Mizuhara ist unser bester Mann in der Naherkundung der umliegenden Systeme. Seine Zerstörer-, und Fregattenflottille vollbringt wahre Wunder. Man spricht schon davon, ihm nach Benghasi als zweiten eine eigene Flotte zu geben. Und Major Mizuhara gehört zu den wenigen Glücklichen, die nicht nur von sich behaupten können, bei den Hekatoncheiren zu sein, sondern dort ein Bataillon zu kommandieren. Eine Position, für die jeder meiner Bataillonskommandeure einen Arm geben würde, würde sie das nicht automatisch vom Dienst im Mecha disqualifizieren. Und wie es ausschaut, stehst du deinen älteren Brüdern nicht nach, junge Dame."

Sie brummte ärgerlich. "Ich wünschte, Sie würden aufhören, mich zu duzen, Sir."

"Wünsch weiter. Das wird nicht passieren", versetzte Kreuzer.

Zu Thomas' maßlosen Erstaunen funktionierte es. Haru klappte noch einmal den Mund auf, setzte zum Sprechen an und machte ihn dann wieder zu. Sie schwieg.

"Und diese jungen Herrschaften sind?", fragte General Kreuzer.

"Was? Oh, Entschuldigung. Der Bordschütze des Eagles, Philip King."

"Ich nehme an, er ist Miss Mizuharas Bordschütze, nicht? Alle Achtung, junger Mann. Mit einer Frau wir ihr mitzuhalten, ist eine Leistung, die man gar nicht hoch genug bewerten kann. Du hältst doch mit ihr mit? Abgesehen davon, dass Ihr hoffentlich miteinander ausgeht."

Philip räusperte sich vernehmlich und wurde rot. Er hatte noch nicht erfolgreich verdrängen können, dass er quasi vor dem gesamten angetretenen Titanen-Regiment Haru seine Liebe gestanden hatte. Und wenn er an ihre Antwort dachte, diesmal nicht vor offenen Mikrofonen, wurde ihm der Kragen eng. "Geht so, General. Ich komme klar."

"Luc Valsonne, Pilot des Hawks."

"Freut mich. Guter Mann. Aber Ihr wart zwei, richtig? Neben Thomas, meine ich."

"Sven Dorff ist der zweite, Sir. Ist noch bei den Weißkitteln, die ihn nicht gehenlassen wollen. Aber ich bin sicher, das kriegt er hin. Er kann nämlich eine genauso große Nervensäge sein wie unsere Haru-chan."

"Sven!", protestierte sie energisch.

Die Umstehenden lachten.

"Ich werde auch mit Sven sprechen, versprochen. Aber vorher gibt es Entscheidungen zu treffen. Zuallererst, Miss Mizuhara. Sind Sie mittlerweile davon überzeugt, dass die Dai keine Gefahr darstellen? Besonders nicht für die AURORA-Mission und Division Commander Otomo?"

"Für den Moment, ja. Und merkwürdigerweise vertraue ich Kuzo", sagte das Mädchen. "Aber man weiß nie, welche negative politische Strömung auf Atlantis mal die Oberhand bekommen wird."

"Darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist", sagte Kreuzer. "Aber kann ich sagen, dass deine Gruppe quasi gerade... Nun, ziellos ist? Vor allem im Anbetracht der Tatsache, dass auch die RASHZANZ und ihre Besatzung sowie die Götter aus der Kryostase-Einrichtung im Moment unsere Verbündeten sind?"

"Ja, das kann man annehmen", sagte sie gedehnt. Und misstrauisch.

"Sehr gut. Du und deine Gruppe, Ihr seid zwangsrekrutiert."

"Was, bitte?"

"Mit sofortiger Wirkung gehört Ihr zu den Titanen. Wir werden euch auf dem OLYMP aufnehmen und dort trainieren. Thomas ist ein guter Lehrer, aber den letzten Schliff kriegt man von vielen Lehrern. Und von jeder Menge Übung." Kreuzer sah nach oben. "Die Daimon wird nicht ewig bestehen. Alle drei Daimon werden das nicht. Und es sind bereits zehn Strafer im Sonnensystem, um auf ihre Chance zu lauern. Wir werden jeden fähigen Piloten brauchen, wenn unsere Stunde schlägt. Und Ihr beherrscht euer KI, das macht euch noch einmal erheblich wertvoller für die UEMF, für die Menschheit. Wir machen euch so fit, wie wir es vermögen, damit Ihr die Menschheit retten könnt."

Die drei jungen Leute schluckten sichtlich im Angesicht der Bürde, die ihnem vom General da auf die jungen Schultern gelegt werden sollte.

"Zumindest, falls Akira nicht vorher zurückkommt, um die Sache im Alleingang zu regeln", scherzte Kreuzer.

"Ja, stimmt, dann sind wir aus dem Schneider", sagte Luc fröhlich.

"Eigentlich war das ein Witz", sagte Kreuzer ernst.

"Echt jetzt? Immerhin reden wir hier von DEM Akira Otomo, Sir."

"Zugegeben, vielleicht war es nicht komplett ein Witz", schränkte sich der Anführer der Titanen grinsend ein. "Aber ich bin sicher, er kann fähige Hilfe gebrauchen. Also, seid Ihr dabei?"

"Wir sind dabei", sagte Haru entschlossen.

"Sind wir", sagte Philip.

"Einer für alle, alle für Akira, oder so", fügte Luc hinzu.

"Na dann, willkommen in der neugegründeten KI-Meister-Sektion der Titanen. Mögen wir euch nie brauchen. Aber möge Gott unseren Feinden gnädig sein, wenn wir es tun... Denn wir werden es nicht sein."

Und so, wie Nathan Kreuzer es gesagt hatte, klang es wie ein Schwur.
 

4.

"Es geht los", sagte Leekan Amada. Maltran Choaster sah auf, als er ihre Worte hörte. Das war insofern schon erstaunlich, denn er befand sich in einem Wurmloch, achtzehn Lichtjahre von der Erde entfernt, während sich die Dreisternträgerin im Kanto-System befand, bei der vereinigten Flotte von Arogad, Anelph, Fioran und Terranern, bereit, den Angriff der Logodoboro aus dem benachbarten Sonnensystem zurückzuschlagen.

"Sie kommen?", fragte er leise, ohne die Frage laut auszusprechen. Das musste er auch gar nicht, denn über das Paradies konnte er der Frau in ihrem Kunstkörper so nahe sein, als stünden sie direkt nebeneinander.

"Ja", erwiderte sie ernst. "Zum Glück haben sie uns genug Zeit gelassen, um die AROGAD zu reparieren. Ein Bakesch mehr auf unserer Seite wäre für einen Kampf gegen die Schiffe der Kinder der Götter unerheblich genug gewesen; gegen die Logodoboro und ihre Verbündeten hingegen fällt es enorm ins Gewicht." Sie zögerte. "Aris Arogad geht es gut? Nicht jeder verkraftet es, von jetzt auf gleich ein Moloch zu werden, der mit Hilfe von Lebenskraft feste Materie auflöst, ohne es zu wollen."

"Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, Leekan. Natürlich nimmt es ihn mit. Aber seine Freunde haben das einzig Richtige getan und sind ihm auf das Kommandoschiff gefolgt. Es ist ja auch nicht besonders schwer, das eigene AO zu löschen, solange man nicht im Kampf steht. Dadurch entsteht kein freies AO, das Aris gegen seine Umgebung verwenden könnte."

"Es wird Ausfälle geben. Wieder und wieder."

"Mag sein. Aber wir kommen einem normalen Leben so nahe wie irgend möglich, was Aris betrifft."

"Und wenn wir einen Dai aus ihm machen?", fragte sie.

"Ein Reyan Maxus kann kein Dai mehr werden", belehrte sie Maltran.

Beinahe konnte er ihre Gefühle schmecken, die sie bei dieser Antwort empfand. Es war Amüsiertheit und Trotz, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. "Du meinst, es hat noch niemand probiert oder erfolgreich durchgezogen."

"Oder so", gestand Maltran grinsend. "Es gibt da vielleicht eine Möglichkeit. Eine winzigkleine Möglichkeit, die... Später einmal möglich sein wird. Bis dahin aber brauchen wir ihn, brauchen wir einen Reyan Maxus auf einem Kommandoschiff. Es tut mir leid, dass das Universum und vor allem der Core und die Menschheit ihm gegenüber so egoistisch sein muss, aber mit dem, was er jetzt vermag und dort wo er jetzt ist, nützt er uns am Meisten. Aber ich schäme mich für diesen Gedanken."

"Das brauchst du nicht. Vergiss nicht, der Junge hat einen unglaublich großen Helfer-Komplex. Wenn ihm bewusst wird, dass er gerade mal wieder Milliarden Leben rettet, wird er sich schon arrangieren." Ihre Belustigung wich Wehmut. "Wie hältst du es nur neben ihm aus? Wie kannst du bei ihm sein, ohne erschlagen zu werden?"

"Alles eine Frage der Übung. Dass ich ebenfalls erlernt habe, kein AO abzugeben, ist dabei natürlich auch recht hilfreich." Er zögerte. "Die offizielle Meldung kommt herein. Akira wird informiert werden, schätze ich. Ich wünsche dir und deinen Verbündeten alles Glück dieses Universums."

"Ich brauche kein Glück. Ich habe Können", erwiderte die Frau. "Sieh du nur zu, dass mein Echtkörper heile bleibt, und damit auch das Paradies und die AURORA, ja?"

"Ich sehe zu, was ich kann. Und du, riskiere nicht zuviel, nur weil dein Bewusstsein höchstwahrscheinlich ins Paradies zurückkehren wird, wenn dein Roboterleib da draußen vernichtet wird."

"Ich werde dran denken. Die Besprechung fängt an. Ich wünsche auch dir Glück. Wenn Ihr nach Terra kommt, werden euch zehn Strafer erwarten."

"Mag sein. Aber wir haben Aris Arogad."

"Ja, ich weiß. Die armen Strafer."

Die beiden lachten über ihr lautloses Zwiegespräch, dann beendete die über dreitausend Jahre alte Frau die Verbindung, um das zu tun, wozu sie ausgebildet worden war, was sie die letzten zweitausend Jahre betrieben hatte: Soldat zu sein. Soldat des Cores.

Maltran fühlte, wie der Kontakt der recht oberflächlichen, ja, rudimentären Verbindung wich, die alle erfüllte, die lange Zeit im Paradies verbracht hatten. Er seufzte. Ihr Weg war schon immer steinig gewesen, ungerecht und übervorteilend für sie wie für ihre Gegner. Aber warum musste er ausgerechnet jetzt auch noch steil werden?

***

Rogan Arogad sah ins Rund. Vor ihm am Hologrammtisch saßen die Oberbefehlshaber von über zweihundert Kampfschiffen und zweitausend Raidern. Sie waren dreiundvierzig Offiziere. Flottenbefehlshaber, Stabsoffiziere, Geheimdienstoffiziere und -Spezialisten, Kommunikationsoffiziere und vieles mehr. Nur fünf Personen in diesem Raum hatten einen Rang, der unter dem mit einem Konteradmiral terranischen Ursprungs zu vergleichenden Rangstufe lag. Tatsächlich unterstanden Rogan in diesem Moment vier Voll-Admiräle aus drei verschiedenen Raumflotten. Neon Zut Achander war defacto auch nach dem Putsch, der Kanto wieder zu einem allein regierten System gemacht hatte - ausgerechnet protégiert von Haus Elwenfelt, das das System damals unterworfen hatte - Oberkommandierender der Anelph-Flotte. Ihm unterstanden mittlerweile über einhundertzwanzig Schiffe aller Klassen, die vor allem aus Kampfschiffen bestanden, die während des Unabhängigkeitskampfs ihre Positionen im Imperium aufgegeben und sich selbst nach Kanto durchgeschlagen hatten. Dies machte ungefähr ein Drittel der im Reich der Naguad detachierten Kampfschiffe der Anelph aus. Der Rest hatte seine Positionen nicht verlassen, ob freiwillig oder nicht. Dies hatte über vierzig Schiffe ausgemacht, von denen allerdings rund dreißig noch in der Werft lagen. Auch zugunsten der Kapazitäten, die aufgewendet worden waren, um die AROGAD und ihre Schwesterschiffe schnellstmöglich wieder klar zu kriegen, denn jedermann war klar, dass die Naguad-Schiffe die beste Verteidigung sein würden, die das System bekommen konnte. Blieben also rund neunzig mit einer Vergleichsfeuerkraft von achtzehn Bakesch.

Fenn Ikosu hatte das Kommando über die direkt der Regierung unterstellten Kampfschiffe erhalten, die immerhin dreißig Einheiten ausmachte, mit einer Vergleichsfeuerkraft von fünf Bakesch. Dazu kam Admiral Bhansali von der Erde, der immerhin fünfundzwanzig Einheiten mitgebracht hatte. Keins der Schiffe war größer als ein Bismarck-Kreuzer, aber davon hatte er drei mitgebracht. Die Gesamtfeuerkraft bei den hochmodernen Trägern und ihren Begleitschiffen war besonders hoch, denn lediglich die Bismarck-Klasse war sprungtauglich; was die Begleitschiffe an Platz und Energiespeicherung eingespart hatten, war in die Waffen und die Schilde gegangen. Dadurch hatte Bhansalis Flotte eine Schlagkraft von sieben Bakesch. Dann war da noch Dreisternträgerin Leekan Amada, die geschlagene zweitausend Raider des Cores mitgebracht hatte. Ungefähre Schlagkraft war etwa vierzig Bakesch. Von der reinen Feuerkraft gesehen. Und schließlich und endlich war da Admiral Lonstiv, eiligst entsandt mit nicht ganz zwanzig Haus-Schiffen der Elwenfelt, um seinen Teil beim Schutz der ehemaligen Kolonie Lorania zu leisten. Den Rest der zweihundertsieben Schiffe füllten seine Einheiten auf, die vor allem aus Arogad-Hausschiffen, jenen der Fioran und einigen Daness bestanden, wobei die Arogad mit knapp vierzig Einheiten klar die Majorität stellten. Diese Schiffe fehlten nun, wo sich Logodoboro als Verräter erwiesen hatten, selbstverständlich woanders im Imperium; andererseits, wenn er betrachtete, was da auf sie zukam, gab es keinen besseren Ort für ihre Schiffe als das Kanto-System, denn der Feind war hier.

Die wichtigste Person hier im Raum, von Commander Iskender Saleed einmal abgesehen, dem terranischen Kommandeur der SANSSOUCI, der modernsten und kampfstärksten sprungfähigen Fregatte der UEMF, war sein Passagier, den er in Eilfahrt ins System gebracht hatte und der ihm großzügigerweise erlaubt hatte, diese Besprechung zu leiten, obwohl er unangefochten und unwidersprochen die Systemverteidigung kommandierte. Weil er es verdient hatte. Weil er die Fähigkeiten dazu hatte. Weil er war, wer er war: Jano Avergan Ryon, Begründer des Komitees zur Flucht und anerkanntes militärisches Genie des Imperiums. Der Mann war in mehr als einer Beziehung eine Legende. Der Mann, der neben ihm saß, machte Rogan jedoch mindestens ebenso nervös, handelte es sich bei Admiral Gennusuke Riada doch um einen nicht minder berühmten Offizier und Kommandeur. Der Mann hatte auf Lorania die Stellung gehalten, während Ryon mit der ersten Migrantenflotte ins Universum aufgebrochen war, um eine neue Heimat für fluchtwillige Anelph zu finden. Dabei war er über die Terraner gestolpert, und der Rest war Geschichte. Diese Geschichte hatte Aris Arogad nach Nag Prime gespült; sie arbeiteten noch immer daran, die Nachwirkungen seiner Anwesenheit zu verarbeiten. Und die Entführung seines AO's hatte es nicht gerade besser gemacht. Ein ganzes Imperium sah sich ihm gegenüber mehr oder weniger in der Schuld, weil achtzig Milliarden Naguad nicht in der Lage gewesen waren, auf einen einzigen Menschen achtzugeben. Aber das war schon wieder eine andere Geschichte. Eine ganz andere Geschichte. Die, die sie hier und heute zum Besten geben würden, konnte man Schlacht um Kanto nennen. Rogan bevorzugte: Schicksalsschlacht um das Imperium. Denn wenn sie das Kanto-System an die Logodoboro verloren, waren sie von den Terranern abgeschnitten. Und zu einem beträchtlichen Teil auch von den Iovar. Dann hatten Logodoboro - also jener Zweig der Familie, der sich offen gegen das Imperium gestellt hatte - und Koromando, die beiden Verräterhäuser, ein effektives Bollwerk aus fünf Systemen errichtet, die jeder umgehen wollte, der in die Machtgebiete der Menschen und der Iovar reisen wollte. Sie erwarben sich dadurch einen Zeitvorteil von mehreren Wochen. Das konnte schnell zu einem tödlichen Nachteil werden.
 

Neon Zut Achander räusperte sich vernehmlich und Rogan sah auf. Die Ordonnanzen hatten gerade die letzten Getränke aufgetragen. Rogan erkannte in ihnen den jungen Mann und die junge Frau, die selbst dann noch die Axixo-Basis verteidigt hatten, Loran Aketar und Yamu Lhantan, zwei hauslose Naguad. Ihr persönlicher Mut war für viele Soldaten der Kanto-Systemverteidigung ein leuchtendes Vorbild. Von Yamus Selbstmordversuch einmal abgesehen, der wurde nicht ganz so wohlwollend betrachtet.

"Ich denke, es kann losgehen. Vorab eines: Wir haben in etwa noch achtzehn Stunden, bevor die Chance besteht, dass wir mit den Logodoboro aneinander geraten werden. Aber die schlechte Nachricht vorweg: Es sind weit mehr, als wir angenommen haben."

Durch seinen Tastendruck erwachte das Hologramm zum Leben und bildete über dem Tisch die taktische Karte des Kanto-Systems ab. "Wie Sie alle sehen, kommen die Logodoboro nicht bei Livior heraus, um den Deckschatten des Gasriesen und seiner neunundfünfzig Monde zu nutzen. Stattdessen nutzen sie die Gravitationssenke von Licavre, um ins System zu springen und sich zu sammeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, wäre Lissette nicht gerade auf der anderen Seite der Sonne, hätten sie auch dessen Schwerkraftsenke mit Kusshand genommen. So aber sind sie etwas tiefer im System, weil Licavre und Lorania relativ gesehen auf der gleichen Seite der Sonne stehen. Unser großer Vorteil ist aber, dass Lovtose und die Regionaladmiralität auf seinem Mond Bilod ebenfalls auf "unserer" Seite des Systems stehen. Im Übrigen haben wir mehr als ein wachsames Auge auf den Rest des Sonnensystems, um sicherzustellen, dass wir nicht in die Zange genommen werden sollen. Wonach es bisher nicht ausschaut. Glücklicherweise.

Das war es aber auch schon an Glück, denn die Flotte, die Logodoboro und Koromando aufbieten - ja, wir haben die Koromando-Einheiten anhand ihrer Signatur-Abdrücke eindeutig identifizieren können - umfasst einhundertzwanzig Einheiten aller Klassen mit einer Gefechtsleistung, die etwa achtzehn Bakesch entspricht. Dazu bieten sie schätzungsweise achttausend Banges auf. Ja, ich weiß, wir haben über zweihundert Schiffe und fast zwanzigtausend Banges auf unserer Seite, von Ihren Raidern, Leekan Amada, mal ganz abgesehen. Aber die kombinierte Flotte der Separatisten bietet fast fünftausend Raider auf."

Nervöses Raunen ging durch den Konferenzraum.

"Wir können mit Fug und Recht sagen, dass der Verrat der Logodoboro keinesfalls überraschend kommt, zumindest nicht für sie selbst", sagte Rogan mit sarkastischem Tonfall in der Stimme. "Sie sind sehr gut vorbereitet, wie wir sehen. Und auch wenn wir ihnen in die Suppe gespuckt haben und die Neugründung der Logodoboro durch ihre erste Hausmeisterin einiges an Schiffen und Personal abspenstig gemacht hat, von latenten Sympathisanten einmal ganz abgesehen, sind sie uns zahlenmäßig überlegen. Und als wenn das noch nicht genug wäre, haben wir rund sechshundert Einheiten identifiziert, die wir den Iovar zuordnen müssen. Genauer gesagt dem geflohenen iovarischen Kaiser. Dies führt zu einer Überlegenheit von drei zu eins für die Angreifer, die Kampfkraft unserer Forts noch nicht berücksichtigt. Geschweige denn von unseren Minenfeldern und sonstigen Schweinereien, die wir präpariert haben, inklusive..."- er grinste über das ganze Gesicht - "...sieben Resonanztorpedos, die uns so sehr überlegen machen, dass den Logodoboro der Arsch schon auf Grundeis geht. Aber leider gilt das nicht für die kaiserlichen Einheiten, weil wir davon ausgehen müssen, dass ihr Anteil an AO-Beherrschern recht hoch ist. Tatsächlich aber müssen wir davon ausgehen, dass an Bord dieser sechshundert Schiffe das Gros jener Iovar befindet, die ihrem Kaiser treu sind und von den Resonanztorpedos nicht betroffen sein werden."

"Alles hat seine Licht-, und Schattenseiten", wandte Commander Khaleed ein. "Und richtig eingesetzt werden die sieben Resonanztorpedos sehr effektiv sein. Nicht gegen die Raider, nicht gegen die Iovar, aber wohl gegen die Naguad."

"Ich weiß, wovon Sie reden, Commander", sagte Achander. Seine persönlichen Erfahrungen mit Resonanzfeldern waren sicher nicht die Besten. Aber immerhin hatte ihn niemand aus dem Resonanzfeld entfernt und damit seinen Tod provoziert.

"Danke, Sir. Kann ich davon ausgehen, dass wir jetzt zu den Geisterreitern kommen, Rogan?"

Der Voll-Admiral runzelte die Stirn. "Nun, wenn du das Thema auch gerade ansprichst, Iskender. Unsere terranischen Freunde von der UEMF waren nicht nur so zuvorkommend, uns eine Flotte zu schicken und Admiral Ryon schnellstmöglich vorbei zu schicken, sie haben uns mit der SANSSOUCI nicht nur eine Fregatte geschickt, sondern auch ihr modernstes Kampfschiff dieser Klasse. Ausgelegt auf Erkundung verfügt das Schiff über acht LRAO-Mechas für die Fernerkundung sowie sechzehn Geisterreitern. Lange Zeit wurde der Schutz der zumeist mit Boostern ausgestatteten Daishi Epsilon von anderen Mechas gewährleistet: Sparrows, Hawks, Eagles. Das ist bei der SANSSOUCI nicht mehr notwendig. Jeder LRAO steuert zwei Geisterreiter direkt. Diese sind, um es auf den Punkt zu bringen, auf der Zelle eines Epsilons erbaute Kampfplattformen, die sowohl den Innenraum für die Ortungscrews als auch die Lebenserhaltung für Waffentechnologie benutzen. Sie sind ausgerüstet mit Schiffskillertorpedos und Teilchenkanonen, darauf ausgelegt, sogar eine Korvette in Fetzen zu schießen. Diese können sowohl defensiv als auch offensiv eingesetzt werden. Auf jeden Fall benötigen sie keinen Piloten und können deshalb auf alles verzichten, was einen Mecha für Menschen komfortabel macht. Das macht sie vor allem eines: Ersetzbar. Ich denke, wir haben zwar nur sechzehn davon, aber sie werden eine erhebliche Überraschung für die Logodoboro werden."

Rogan Arogad faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch. "Optionen, Herrschaften?"

Bhansali meldete sich. "Admiral Arogad, können wir eine Belagerung ausschließen? Ich meine, dieser Angriffsverband könnte, einfach indem er das Kanto-System blockiert anstatt uns anzugreifen, unsere Position deklassieren. Blockiert er Schifffahrtsrouten und Handel, ist es gleichbedeutend damit, dass das Kanto-System unverteidigt ist. Noch schlimmer, der Feind zwingt uns, zu ihm rauszukommen. Was wir zweifelsohne tun werden, wenn nur genügend ankommende Schiffe der Blockade zum Opfer gefallen sind."

"Da stimme ich Ihnen zu, mein lieber Bhansali", sagte Achander. "Aber bedenken Sie, jede Sekunde, die Logodoboro seine Schiffe im Kanto-System massiert, ermöglicht es uns, eigene Verstärkungen heran zu bringen. Was für uns mehr als ökonomisch ist, denn jedes Schiff, das wir hier stellen, aufbringen oder vernichten, wird ihnen bei der Verteidigung ihrer hauseigenen Systeme fehlen. Deshalb können sie nicht auf Blockade spielen. Sie werden angreifen, sobald ihre Flotte komplett ist. Und sie werden hart zuschlagen müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass sie zu uns kommen. In unsere Waffenreichweite. In den Beschussradius unserer planetengebundenen Forts."

Vize-Admiral Ikosu räusperte sich. "Neon, das bedeutet aber im gleichen Maße, dass die verdammten Logodoborohier relativ schnell reinen Tisch zu machen versuchen. Und das in einem Sonnensystem, das gerade erst voll erkannt hat, welches Naguad-Haus tatsächlich für die letzten Jahrzehnte der Unterdrückung verantwortlich war. Und sie kennen die meisten unserer Waffensysteme. Sie wissen mit Sicherheit, dass die Resonanzfeld-Torpedos das System nicht verlassen haben. Das erkennen wir daran, dass der Kaiser nicht seine ganze Flotte einsetzt, oder? Wobei sechshundert Schiffe aller Klassen eine deutliche Sprache sprechen. Wie viele Einheiten hat er darüber hinaus?"

"Ja, das ist ein strittiger Punkt. Das wird vor allem problematisch, wenn wir daran denken, die Logodoboro-Systeme zu erobern. Wie viele kaiserliche Einheiten werden uns dort erwarten?", fragte Letar Lonstriv Elwenfelt. "Und sind die kaiserlichen Schiffe technologisch mit unseren gleichzusetzen?"

"In dem Punkt kann ich Sie beruhigen, Admiral Lonstriv", sagte Rogan Arogad. "Wir schätzen die kaiserlichen Schiffe als im Schnitt zwanzig Prozent unterlegen ein, was Beschleunigung, Manövrierfähigkeit und Banges-Beladung angeht. Tatsächlich sind sie den terranischen Schiffen ohne Sprungantrieb sogar zu fünfundvierzig Prozent unterlegen."

"Dennoch wünschte ich mir, die AURORA und Commander Otomo wären hier", sagte Admiral Ryon. Mehr als einer der Anwesenden nickte zustimmend.

"Commodore Otomo ist mit seinem neuen Schiff, dem Kommandoschiff ADAMAS, auf dem Weg zur Erde. Wir können nicht über ihn verfügen. Vor allem nicht, wenn wir bedenken, dass Terra mehr Ärger hat als wir. Zehn Strafer stehen auf Höhe der Jupiterbahn und warten darauf, dass die drei Daimon um Erde, Mars und Mond versagen. Zwar haben umliegende Nationen der Daina, von denen wir noch nie etwas gehört haben, Flotten detachiert, um die Erde zu schützen und die Götter endlich in ihre Schranken zu weisen, aber wenn wir uns die Vorgänge über Iotan ansehen, als Flotte um Flotte der Strafer die Daimon des Kaisers angegriffen haben, können wir unmöglich sagen, wie viele Schiffe sie noch über der Erde zusammenziehen können. Nein, Aris Arogad ist auf dem Weg dorthin, wo er am meisten gebraucht wird", sagte Rogan ernst. "Wir können nur hoffen, dass ADAMAS, AURORA und die Begleitflotte nicht zu spät kommen werden."

"Zurück zu unseren eigenen Problemen", sagte Admiral Ryon. "Die Frage, die Sie uns stellen, mein guter Rogan, ist doch: Greifen wir trotzdem an, oder lassen wir sie auflaufen?"

"Richtig. Was bringt uns mehr Vorteile? Was bringt ihnen Verluste, möglichst schwere und möglichst viele, schont aber unsere Ressourcen?"

"Wenn ich meine bescheidene Meinung in den Raum werfen dürfte", sagte Commodore Khaleed.

"Wir bitten darum, Iskender."

"Ich denke, das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, mit dieser Flotte Breitseite an Breitseite zu liegen. Dann wird nämlich ihre überlegene Feuerkraft zum Tragen kommen. Was wir nicht gebrauchen können, das ist, dass sich die Flotte organisiert und als geschlossener Verband marschiert. Wir müssen Unruhe reinbringen, ihren Aufbau unterminieren, sie daran hindern, sich zu formieren. Sie nerven und stören und in Verwirrung stürzen. Und wir haben gute Chancen dafür. Die Hauptstreitmacht besteht aus Logodoboros. An wie vielen Flottenoperationen haben ihre Haus-Schiffe in den letzten dreißig Jahren teilgenommen? Wie groß ist die reale Erfahrung ihrer Kapitäne und Mannschaften, geschweige denn ihrer Kommandeure?"

Rogan Arogad schwieg verblüfft. "Kaum bis nicht vorhanden. Wie wir ja jetzt wissen, haben die Logodoboro bevorzugt auf Agentenebene gehandelt. Teilnahme von Hausschiffen an Aktionen fanden eher selten mit Logodoboro-Einheiten statt. Die meisten Kapitäne und Flaggoffiziere wurden kaum eingesetzt. Und ich schätze mal, hausintern haben sie auch nicht gerade den besten Ruf. Ich meine, sie wurden nicht eingesetzt. Die Agenten des Hauses hingegen schon."

Iskender Khaleed grinste wölfisch. "Ah, ich liebe das. Unerfahrene Kapitäne, die sich an ihre Lehrbücher klammern und zugleich verzweifelt versuchen, Reputation zu gewinnen, treffen auf unkonventionelle Angreifer, die sich an keine Regeln halten. Zumindest nicht an Regeln aus den Lehrbüchern. Ich schätze, zumindest die Logodoboro werden wir in erhebliche Unordnung stürzen können." Khaleed erhob sich. "Ich sehe hier über dreihundert Jahre Flottenerfahrung versammelt. Hier ballt sich das Wissen aus drei verschiedenen Flotten. Sechs, wenn wir die Haus-Einheiten naguadscher Häuser einzeln rechnen. Wir alle kennen einen Haufen Situationen, die wir alle gleich behandeln würden. Aber wir haben alle auch unsere eigenen Alternativen erarbeitet und teils erfolgreich angewendet. Oder, um es nicht ganz so freundlich auszudrücken: Wenn es eine Zeit und eine Gelegenheit gab, all unsere miesen Tricks auf einen großen Haufen zu werfen, dann ist es jetzt."

"Interessant, Khaleed", sagte Admiral Bhansali. "Na, dann lassen Sie mal hören. Wir sind sehr gespannt."

Khaleed sah zu Rogan herüber, der zustimmend nickte.

"Leekan, angenommen, Sie hätten nur Ihre Raider zur Verfügung, um diese Flotte aufzuhalten, wie würden Sie vorgehen?"

Das künstliche Gesicht des Leihkörpers verzog sich zu einem ziemlich hässlichen Lächeln. Oh, die Mimik des Robotleibs war durchaus in der Lage, Emotionen unverzerrt zu transportieren. Sie wollte einfach so lächeln. "Ich würde die - wie heißt dieser mystische terranische Ort doch gleich? Ach ja - die Hölle auf sie herabkommen lassen."

"Ich denke, wir haben hier den Ansatz gefunden, um den Logodoboro einen Arschtritt zu geben, der sie ein System weit zurückbefördert." Khaleed sah ins Rund. "Vorschläge? Oder soll Dreisternträgerin Amada erst einmal ihre Vorgehensweise erklären?"

***

"Akira?"

Erschrocken fuhr ich zusammen, obwohl ich es eigentlich gewohnt sein sollte, dass Mother aus dem Nichts neben mir auftauchte. Das war in Ordnung, solange sie mich alleine auf einem Gang erwischte, so wie jetzt beispielsweise. "Bitte, häng dir eine virtuelle Kuhglocke um den Hals, um mich vorzuwarnen, wenn du wieder aus dem Nichts auftauchst", beschwerte ich mich. "Was gibt es denn, was nicht warten kann, bis ich auf der Brücke bin?"

"Nur eine Randinformation. Rückkehr in den Normalraum in achtzig Minuten."

"Ich weiß. Deshalb komme ich ja auf die Brücke. Was hat die Fernbeobachtung ergeben?"

"Soweit wir erkennen können, lauern keine Strafer in der Nähe unseres Wurmlochs auf unsere Rückkehr. Die Relaissonde, die wir im System zurückgelassen haben, meldet ebenfalls keine Schiffe in relevanter Entfernung."

"Aber?", fragte ich beinahe schon automatisch.

"Aber die Sonde hat ebenfalls einen Troß Götterschiffe beobachtet, der auf den günstigsten Absprungpunkt in Richtung Sol-System zuhält. Halten sie Tempo und Route bei, werden sie achteinhalb Stunden vor uns springen."

"Anzeichen, dass sie Einheiten detachieren, um uns abzufangen?", fragte ich knapp.

"Nein, keine Anzeichen. Bis jetzt. Es scheint so, dass die Kinder der Götter nicht damit rechnen, dass die AURORA jemals wieder in einem Stück aus diesem Wurmloch kommen wird."

"Ich wäre nicht so nachlässig gewesen", murrte ich. "Selbst wenn ich mit einer gewaltigen Explosion rechnen müsste, die anstelle der AURORA dieses Wurmloch verlässt, ich hätte ein Empfangskomitee abgestellt."

"Sieh es ihnen nach, Akira. Es sind nur Maschinen. Es gibt für sie nur eins oder null. Und die AURORA war für sie null, seit sie unser Wurmloch mit einem eigenen gekreuzt haben."

"Gut für uns. Aber dass ausgerechnet du dich über Maschinen mokierst, Mother, gibt mir zu denken."

Das Hologramm der großen Frau stemmte die Hände auf die Hüften. "Junger Mann, du vergleichst mich doch hoffentlich nicht etwa mit diesen primitiven Apparaturen, die nur zu Rechenoperationen fähig sind, während ich dank meiner Operatoren zu intuitivem Denken fähig bin!"

"Wer sagt denn, dass die Computer der Götter das nicht auch können?"

"Ich..." Mother ließ die Arme hängen. "Gutes Argument. Punkt für dich. Aber dann haben sie diesen Punkt bisher sehr gut verdrängt, Akira."

"Ich weiß. Aber mir geht diese Begegnung nicht mehr aus dem Sinn, bei der ich zum Reyan Maxus erwachte. Die Computerstimme schien... Humor zu haben. Wenngleich einen ziemlich merkwürdigen, kranken Humor. Und ungeduldig war sie auch." Ich deutete dem Hologramm an, mich weiter zu begleiten. "Woraus besteht der Troß?"

"Nun, sie haben zwei Sucher dabei, was für uns kein großes Problem darstellen sollte. Zweifellos sollen die Sucher die Schleusen finden, über die wir unsere Verbündeten in die Daimons holen."

"Anzunehmen. Wie viele Strafer?"

"Einen."

"Na, immerhin."

"Dazu kommen acht Vernichter."

Entsetzt blieb ich stehen. Vernichter waren riesige Einheiten, beinahe so groß wie meine ADAMAS. Moment, wann hatte ich begonnen, meine ADAMAS zu sagen? Na, egal. Auf jeden Fall wurden sie ihrem Namen gerecht und waren der schwerste bekannte Schiffstyp, den die Kinder der Götter einsetzten. Bisher hatten die Strafer immer gereicht - oder eben nicht gereicht. Das konnte man so oder so sehen. Nun aber hatten sie ihr bestes Spielzeug ausgepackt. Und die AURORA hatte schon mit Strafern ihre Mühen gehabt.

"Ich sehe, dass du denkst, Akira. Das freut mich. Aber was brütest du aus?"

"Du hast gesagt, sie erreichen den Absprungpunkt in etwas über acht Stunden, richtig? Und sie erwarten augenscheinlich nicht, dass etwas aus unserem Wurmloch hervor kommt, richtig?"

"Soweit ja."

"Gut. Alle Maschinen Stopp. Die ganze Flotte soll stoppen. Nützt das nichts, Gegenschub für alle Einheiten."

"Wie bitte? Man stoppt nicht in einem Wurmloch", sagte Mother erschrocken.

"Ach, weißt du, Mother, ich habe heute so viel über Wurmlöcher gelernt, es sollte mich nicht wundern, wenn man nicht doch in einem Wurmloch stoppen könnte. Oder zumindest den Ausflug aus dem Wurmloch um acht Stunden zu verzögern."

"Und was dann, großer Held?"

Ich griente sie frech an. "Dann fliegen wir hinterher, dringen in ihr Wurmloch ein und rollen die Halunken von hinten auf. Denn die Götter werden mit Sicherheit nicht versuchen, in einem Wurmloch abzubremsen oder Gegenschub zu geben. Das unterscheidet sie von einem intuitiven Computer wie dir, Mother."

"Akira, Akira", sagte sie bedächtig, "manchmal frage ich mich, warum du mir so unheimlich bist. Und manchmal frage ich mich das nicht."

"Nenn es Genialität." Das Lächeln gefror auf meiner Miene. "Ich habe jedenfalls nicht vor, einen Haufen Vernichter bis zur Erde vordringen zu lassen, wo praktisch jeden Tag die Daimons zusammenbrechen können."

"Ich mag deine Genialität", versicherte mir Mother lächelnd. "Gerade, wenn sie mir Angst macht. Solange wir auf der gleichen Seite stehen."

"Daran dürfte gerade kein Zweifel bestehen, nicht?", erwiderte ich und das Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. Nein, diese Flotte würde die Erde definitiv nicht erreichen. Ich würde es verhindern. Wir würden es verhindern.
 

Epilog:

"Hatschi!"

"Gesundheit, Kitsune." Lertaka sah sie an. "Alles klar bei dir?"

Die Fuchsdämonin winkte großzügig ab. "Ach, ist nichts weiter. Ich dachte nur gerade daran, was wohl wäre, wenn wir mit unserer Flotte Vernichter zur Erde fliegen würden, nur um hinterrücks von Akira überfallen zu werden, weil er nicht weiß, dass die Zivilisation der Nagalev an Bord ist und die Götter keine Kommandogewalt mehr haben. Er würde uns in Grund und Boden stampfen, bevor wir ihm die Sachlage erklären könnten."

"Ach, ist er so stur?"

"Nein, so fix", erwiderte sie mit einem dünnen Lächeln.

Ihr Blick ging zu den Dai und den fünfhundert Einsatzsoldaten der Nagalev, die auf den Einsatzbefehl warteten. Tatsächlich schob sich gerade ein verdammt großer Materialzug an die Enklave heran, der Kurs auf den Rand des ausgehöhlten Mondes hielt, genauer gesagt an eine Stelle, an der sich einige Vernichter massierten. Sie und die sie begleitenden Dai würden so viele Schiffe wie möglich kapern und für die Evakuierung zurückbringen. Doch bevor sie das erste Schiff überhaupt betreten konnten, musste der Hauptrechner frittiert werden. Unwillkürlich ging ihr Griff zum Neuroschocker in ihrem Seitenholster. Das war ihre Aufgabe.

Der Zug verlangsamte merklich, blieb beinahe stehen und ließ einen quer laufenden Zug durch. "Jetzt!", zischte Kitsune. Die Soldaten und Dai brachen von ihrer Seite hinter dem Hologramm hervor. Schnell hatten sie den Zug erreicht und sich auf ihm befestigt. Magnetisch, per Schlaufen, alles war legitim, solange es die mehrstündige Fahrt zum Randgebiet des Werft überstand. Und dabei war die harte Strahlung, der sie hier draußen ausgesetzt waren, noch nicht mal eingerechnet.

Kitsune sah zu Lertaka und Kirdantas herüber. "Los jetzt."

Die beiden Dai nickten zustimmend und folgten der Fuchsdämonin tiefer in die Eingeweide der Werft. Eine schnelle Materialplattform flog einige Zeit parallel zu ihnen und die drei Dai sprangen auf sie auf. Die Plattform würde sie so tief in den Komplex bringen, wie ihre Permits gültig blieben. Ab dort mussten sich die Dai entweder darauf verlassen, dass der Supercomputer ihnen weitere Geschenke dieser Art besorgten, oder sie mussten per Pedes weiter vordringen. Letzteres war nicht so wünschenswert, weil es zeitaufwändig sein würde. Und Zeit war etwas, was ihnen hier wirklich fehlte. Aber Kitsune hatte ohnehin schon lange beschlossen, dass sie den Preis, von der harten Gammastrahlung bis in einen Zustand frittiert zu werden, der selbst ihre Selbstheilung übertraf, zu zahlen mehr als bereit war, wenn dies nur bedeutete, den Hauptrechner auszuradieren und anschließend diese ganze verdammte Werft hochzujagen. Und sie wusste, auch ihre Begleiter hatten diese Möglichkeit erkannt und nahmen sie in Kauf. Was waren sie nur für ein verrückter Haufen. Allerdings war ihre Aufgabe um einiges leichter, weil sie die Reaktoren nicht mehr sprengen mussten. Der Rest... Nun, sie würden es sehen, wenn sie das Zentrum erreicht hatten. Ihre Chancen, wieder nach Hause zu kommen, waren jedenfalls größer als bei der ursprünglichen Planung ohne Unterstützung durch einen Supercomputer. Daran hielt sich Kitsune mental fest. Daran, und am Wunsch, die Erde und Akira wiederzusehen. Und eventuell, ganz vielleicht nur diesen alten, griesgrämigen, ewig grauen Typ von Dai-Okame-sama. Eventuell.



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Von:  Ace_Kaiser
2013-02-27T14:40:55+00:00 27.02.2013 15:40
Na ja, was soll ich sagen? Subtra HAT einen Self Insert in meine Geschichten gewonnen und sich dafür Anime Evolution ausgesucht... Wie ich dann mit seiner Figur umgehe, ist dann meine Sache. Ich versuche, aus seinen Vorgaben das Bestmögliche herauszuholen und möglichst viel zu verwenden, wobei ich die Diskussion um eine Macross-Festung witzig finde - aber nicht realisierbar. Die UEMF würde von Konami und Co. in Grund und Boden geklagt werden. ^^
Wenn Du Dir mal so einen Traum erfüllen willst - die nächste Verlosung bei mir gibt es bestimmt. Derweil wirst Du Dich an Subtras alter Ego gewöhnen müssen. Er wird ab und an einen Auftritt haben.

Was die Reaktoren betrifft: Hast vollkommen Recht. Wenn eine gute Sache nur deshalb nicht als gut tituliert wird, weil sie "schlecht" ist, weil sie mit Atomen und Radioaktivität zu tun hat, muss es eben andere Wege geben, um das zu kompensieren. Deswegen bin ich nicht weniger Gegner der Druckwasserreaktoren und ihrer Produktion waffenfähigen Plutoniums. Dass Palladiumreaktoren aber Plutonium als Treibstoff verwenden können, hat schon was Ironisches. Und das liebe ich bekanntermaßen. ^^

Ob sich Kitsunes Gedanke...? Nun, das ist eine gute Frage. Willst Du die Antwort schon wissen? Ich denke, eher nicht. ^^
Von:  Miyu-Moon
2013-02-27T13:10:01+00:00 27.02.2013 14:10
So fertig mit dem Kapitel und ich bin total verwirrt.
Wird sich Kitsunes Gedanke am Ende bewahrheiten oder nicht?
Von:  Miyu-Moon
2013-02-26T20:22:32+00:00 26.02.2013 21:22
Und ich dachte das Subtras Char nur in einem Kapitel vorkäme und nicht in mehreren. War ein hässlicher, kleiner Schock. Die Zunahme hat mich allerdings zum Schmunzeln gebracht. Das passiert, wenn man nur Sitzarbeit macht. Jetzt kriegt er auch noch das Versprechen das die KI-Meisterin scharf sein wird? Wie lange musste Subtra dich für das bequatschen? (liest sich einfach für mich wie die Erfüllung eines Traums, sorry. )

Den Rest lese ich morgen.

Ich hoffe sehr das alle Dai überleben.
Hm, die Flüssigsalzreaktoren hast du ja schon in deinem Blog erwähnt. Klar dass das auch eingebaut wird. Wenn man sich so lange mit dem Thema beschäftigt, warum es auch nicht verwerten?


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