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Anime Evolution: Krieg

Fünfte Staffel
von

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Retroperspektive für die Zukunft

Prolog:

Die ADAMAS war ein beeindruckendes Schiff, das musste ich zugeben. Das Ultraschlachtschiff der Dai hatte im Grundriss die Form eines Keils, einer sehr populären Schiffsform, die dank der Naguad auch auf der Erde das Grundmodell war. Die ADAMAS maß dreitausendneunhundertundsiebzig Meter vom äußersten Teil des Hecks bis zur vordersten Bugspitze. Am Heck hatte sie eine maximale Breite von zweitausendundacht Metern sowie eine größte Höhe von eintausendsiebzig Metern. Am Bug, zu dem sich das Schiff zum Keil-Konzept verjüngte, war die größte Höhe vierhundertundsiebzehn Meter. Das machte ein Volumen von mehr als neun Komma sechs Kubikkilometern. Ein beachtliches Volumen, vor allem wenn man bedachte, das es zur Zeit nur ein lebendes Wesen aufgenommen hatte: mich. Ein einsamer Gedanke. Aber ich musste zugeben, das Schiff faszinierte mich. Und ich fragte mich unwillkürlich, warum ich mich erst so spät für den Giganten interessierte.

Das Schiff hatte ähnlich wie die AURORA zwei konträr gelagerte Teilchenbschleuniger, einem im Rumpf, und einen im Heck, um die Massenträgheit bei der Beschleunigung auszutarieren und künstliche Schwerkraft im Schiff zu erzeugen. Und dabei konnte der Pulser-Antrieb der ADAMAS durchaus mit der wesentlich kleineren Bismarck-Klasse mithalten, auch wenn die Technologie bereits zehn- bis zwanzigtausend Jahre auf dem Buckel hatte. Es trug mehr als eintausend Waffensysteme, die hauptsächlich am Bug und auf den Großflächen der Keil-Oberseite und der Keil-Unterseite zu finden waren. Die meisten waren für kurze Distanzen bis zwanzig Kilometer ausgelegt, als Abwehr von kleinen Einheiten und Antischiffsraketen. Einige gingen auf mittlere Distanz bis zu zwanzigtausend Kilometer, und der Rest, vor allem die Torpedowerfer, die Partikelkanonen und die Plasmawerfer, erreichten Kernschussweiten von bis zu achtzigtausend Kilometern. Wenn man mal wohlwollend übersah, dass Torpedos dank ihrer selbstständigen Zielsuchsysteme und dank ihrer Treibstoffgenundenen Manövrierfähigkeiten bis zu fünf Millionen Kilometer steuerbar und gefährlich blieben, ein interessanter Wert. Terranische Systeme, auch hier Torpedos ausgenommen, schafften es bestenfalls auf vierzigtausend, bevor die Fokussierung der Plasmaschüsse und Partikelstrahlen verloren ging und den Schaden reduzierte. Das lag vielleicht auch daran, dass die Waffen der ADAMAS bis zu vierfaches Volumen im Vergleich zu UEMF-Waffensystemen hatten.

Dazu kamen acht Katapultsysteme und Wartungsmöglichkeiten für sechshundert Banges oder Mechas. Die künstliche Schiffsintelligenz Arhtur vernetzte all dies und machte die theoretische Besatzung von zehntausend Matrosen und Banges-Piloten theoretisch obsolet, sprich überflüssig.

Schließlich und endlich verfügte der Gigant auf acht Hauptdecks und bis zu unter vierzig Unterdecks pro Hauptdeck Genug Platz für zwanzigtausend Menschen oder Daima. Außerdem hatte das Schlachtschiff einen eigenen Sprungantrieb.

Auf den an der Oberfläche eingerichteten Landeplätzen konnte die ADAMAS eine kleine Flotte mitführen, ähnlich dem Konzept, das wir Terraner mit den ersten sprungfähigen Bismarck-Schiffen verfolgten, die in der Lage waren, mit mehreren Fregatten zu springen.

Und dabei war es äußerst ironisch, dass ich von den neun Komma sechs Kubikkilometern, die mir - das Volumen der Panzerung, der Schiffsmaschinen und der Wände und Decken mal ignoriert - zur Verfügung standen, erst gut fünfzig Kubikmeter in Beschlag genommen hatte. C-Deck, Sektion VIII, direkt hinter der Zentrale der ADAMAS, beinahe am Herzen von Arhtur, der Schiffsintelligenz. Mein Quartier. Mein Exil.

Noch überwog die Neugier auf dieses alte Schiff, noch war da diese Erleichterung, dass ich, als Reyan Maxus dazu gezwungen, fremdes KI zu absorbieren und Ungenutztes wieder unkontrolliert abzugeben, hier niemanden verletzen konnte. Weil die Stahlwände des Schiffs die Eigenelektrizität abschirmten, und freies KI nicht zur Verfügung stand, da ich an Bord alleine war. Noch sah ich die positiven Seiten. Aber die negativen würden kommen, denn sobald wir auf einen Strafer der Götter trafen, dann erwartete man von mir, das ich das erfüllte, was zuvor tausend East End-Daina geleistet hatten. Ich würde im Verbund mit Arhtur kämpfen müssen. Und damit das gelang, mussten wir uns aufeinander einstimmen, musste ich sein Gehirn werden, und zehntausend Daina-Gehirne vollwertig ersetzen. Und dabei spielten automatisierte Banges wie zu Zeiten der Dai-Expansion nicht einmal eine Rolle. Eines war jedenfalls sicher: Ich suchte mir immer noch nicht die kleinen Aufgaben aus. Ein Gedanke, der mich trotz meiner misslichen Lage lächeln ließ.

Und was erwartete mich danach? Nach meinen Trainingseinheiten? Nach der nächsten Schlacht, die ich hoffentlich überlebte? In einem Konzept gefangen, das ich gerade erst kennen lernte, und das vor zehntausend Jahren das letzte Mal benutzt worden war?

Sicher, eines Tages würde ich diese verteufelten Kräfte eines Maxus in den Griff kriegen. Eine Zeit lang würde ich wieder leben können wie zuvor. Bis meine Fähigkeiten nachließen, aus welchen Gründen auch immer. Wenn ich wieder freies KI absorbierte, unkontrolliert von mir gab, und diesmal vielleicht Menschen tötete. Vielleicht war es da besser, gleich auf der ADAMAS zu bleiben. Alleine. Ohne andere zu gefährden. Abgesehen natürlich durch die ADAMAS und ihre Möglichkeiten selbst.

"Ich kann deine Gedanken lesen, Akira."

Erschrocken fuhr ich herum. Ich brauchte nicht verwundert sein, dass ich die Stimme kannte, die mich gerade angesprochen hatte. Ich kannte sämtliche Führungskräfte der Flotte, hatte schon mit den meisten von ihnen Seite an Seite gekämpft. Ich kannte die Dai an Bord der Flotte, jeden einzelnen;übrigens die einzigen, die mich hier besuchen konnten, ohne ihre Leben zu riskieren. Besuchen, ja, denn ihre wertvollen Fähigkeiten der ganzen Flotte vorzuenthalten war ein Egoismus, den ich mir bei aller Einsamkeit, die mir bevorstand, nicht gestatten würde. Niemals.

Das Problem war nur, diese Stimme gehörte keinem Dai.

Mother sah mich spöttisch an, die Lippen geschürzt, und ein halb resignierendes, halb mitleidiges Lächeln auf den Lippen. "Akira, Akira. Du glaubst doch nicht, dass die ADAMAS dein Schicksal ist? Du bist bisher noch aus jeder Falle ausgebrochen und hast dein Schicksal immer gedreht. Warum sollte es diesmal anders sein? Du wurdest nach Nag Prime entführt und hast dich dort als Herr von zwei Türmen etabliert. Du wurdest von deinem Körper getrennt, und kamst als oberster Heerführer des Cores zurück. Du wurdest in den Konflikt der Iovar involviert und hast den Kaiser gestürzt. Denkst du wirklich, dieses bisschen Reyan Maxus-Zeug wäre eine Aufgabe, die du nicht bewältigen kannst?"

"Mother", hauchte ich, immer noch bis ins Mark erschrocken, als ich die holographische Projektion der Frau erkannte. "Bist du es wirklich?"

Nun wurde ihr Lächeln freundlich und warm. Mother, das war die Künstliche Intelligenz jenes kronosischen Supercomputers, in dem ich gefangen gewesen war, damals nach dem ersten Marsangriff. In dem ich kalt gestellt worden war, als Faustpfand für das Leben meiner Schwester, die damals auf dem Mars gefangen war. Mother hatte die virtuelle Welt, in der ich damals gelebt hatte, geleitet. Bis ich aus ihr ausgebrochen war. Ich hatte die virtuelle Welt mehrfach zerstört, ruiniert. Sie hatte immer wieder hochgefahren werden müssen, was mir heute noch ein Gefühl der Befriedigung entlockte. Mother hatte ich damals als meinen Gegenpart erkannt. Ich hatte für sie nie Feindschaft empfunden, weil sie nicht real war. Wie denn auch, als Abbild eines Computers? Eher hatte ich sie als Gegnerin im Schach angesehen, als Rivalin. Nie als Feind, niemals. Und nun stand sie in der ADAMAS? Dreißig Lichtjahre von Terra entfernt? "Ist das ein Angriff?", fragte ich argwöhnisch und spannte mich in Erwartung der Antwort. Anscheinend würde ich nicht annähernd so viel Zeit zum Üben bekommen, wie ich gehofft hatte.
 

1.

Als Henry William Taylor und Ai Yamagata ins Paradies der Daima und Daina zurückkehrten, wirkten sie niedergeschlagen, verzweifelt, deprimiert. Aber diese Gefühlsregung teilten sie eins zu eins mit Maltran Choaster, dem Viersternträger.

"Ihr habt es nicht rechtzeitig geschafft", sagte Latiss, der uralte, körperlose Dai. Doch es waren kein Spott, kein Hohn in seiner Stimme, nur Resignation.

"Nein, wir haben es nicht geschafft. Aber er hat nichts vernichtet, niemanden getötet. Es gab ein paar Verletzte, aber wir haben die Situation im Griff. Er ist jetzt auf der ADAMAS, wo er kein freies KI absorbieren kann", erwiderte Henry ernst.

"In seinem Exilschiff." Latiss nickte bedächtig. "Und so wiederholt sich die Geschichte. Nun, er ist noch jung und anpassungsfähig. Vielleicht gewöhnt er sich an seine Gabe, und kann sie ein paar Jahrzehnte effektiv unterdrücken, bevor sie so groß wird, dass sie ihm nicht mehr gehorcht. Und vielleicht ist er dann die Einsamkeit gewöhnt und übersteht das eine oder andere Jahrhundert an Bord der ADAMAS."

Betretenes Schweigen antwortete dem alten Dai.

Schließlich seufzte der alte Mann, stellte das Glas mit seinem Cocktail am virtuellen Strand auf den Boden und erhob sich schwungvoll aus seinem Liegestuhl. "Gut, eine Chance gibt es noch, um ihn zu retten. Akira kann immer noch zum Dai aufsteigen. Doch dazu muss er sterben. Und die Reyan Maxus haben in der Regel die Macht, um den Zeitpunkt ihres Todes sehr genau selbst zu bestimmen - aber eher selten die Klarheit, um zu erkennen das der Tod ihr Verbündeter ist."

"Er wird nicht zum Dai aufsteigen. Nicht solange er ein Leben hat, das sich hier zu leben lohnt", sagte Ai Yamagata mit bedrückter Stimme.

"Und das hat er doch verloren, solange man ihn auf der ADAMAS festhält. Warum ist das geschehen? Ihr habt drei Pressoren, die ihn hätten bändigen müssen."

"Sie... Haben keine Übung darin. Sie müssen trainieren, um Akiras Kräfte in den Griff zu kriegen. Und zugleich arbeitet Akira daran, seine Fähigkeiten selbst zu unterdrücken."

"Keine Übung darin? Er ist ihnen bereits jetzt zu stark, und sie befürchten, weil sie reines KI sind, von ihm gefressen zu werden. Wer kann es ihnen verdenken? Ich hatte damals die gleiche Angst, als ich Kydranis als Pressor diente."

Der alte Dai machte eine weit ausholende Bewegung. "Mir scheint, dass Ihr alle gerade jetzt nichts tun könnt, um Akira zu helfen, oder um die Situation auch nur ansatzweise zu verbessern. Akira muss sich selbst helfen. Wieder einmal. Oder die Dämonenkönige müssen genügend Vertrauen ineinander entwickeln, um als Pressoren dienen zu können. Immerhin haben wir es mit einem Reyan Maxus zu tun, einen übermächtigen AO-Krieger, der uns im Konflikt mit den Göttern noch sehr hilfreich sein wird." Auf seinen Wink hin entstanden Dutzende Fenster mit Videomitschnitten. Einige zeigten die AURORA, andere Bilder ihrer Außenkameras. Viele zeigten Erde, Mars und Mond. Eines bildete die derzeitige Szenerie auf Atlantis ab, am Absturzort der RASZHANZ.

"Die Dinge sind wieder einmal in Bewegung. Wir kämpfen wieder einmal an vielen Fronten zugleich, kämpfen wieder einmal gegen die vollständige Vernichtung unserer Art. Und auch wenn die Bedrohung nicht so stark ist wie damals, wir sind auch nicht so stark wie damals. Und unsere Kernwelt war nie so bedroht wie mit diesem halbwracken Kriegskreuzer der Götter mitten auf Atlantis. Ich schätze mittlerweile, wir brauchen einen Reyan Maxus in diesem Krieg, dringender als wir alles andere brauchen."

"Wir?", fragte Maltran.

"Wir. Ich bin nach läppischen vierzigtausend Jahren eurer Zeitrechnung noch nicht bereit zu gehen. Es liegt noch viel zu viel vor mir."

Langsam wandelte sich die Szenerie, unterwarf sich dem Willen des uralten Dai. "Ich denke, die Zeit ist reif für einen Rückblick. Einen richtigen Rückblick, keinen frisierten wie den, den ich dir und deinem Untersuchungsteam untergeschoben habe, Sean O' Donnely. Ich denke, ich werde ein paar meiner Erfahrungen mit Kydranis mit euch allen teilen müssen. Vielleicht lernt Ihr durch diese Beispiele genug, um Akira das Leben zu erleichtern. Wenigstens für eine gewisse Zeit."

"Kann ich dich unterstützen, Herr?", bot Tomar an.

Der alte Dai schüttelte langsam den Kopf. "Nein, mein junger Freund. Jetzt und hier kommt es auf meine Erinnerung an. Das ist nichts, wobei du mir helfen kannst." Er sah ins Rund, sah über acht Millionen Gesichter, die Versammlung aller Soldaten des Cores. "Seid Ihr bereit?"

"Du meinst, wir alle?", fragte Henry verblüfft.

"Es wird keine Interaktion geben. Nur eine, ah, Vorführung", versprach Latiss. Die vielen kleinen Bildschirme verschmolzen zu einer gigantischen Kugel. Und in dieser Kugel begann eine Geschichte. Die Geschichte von Latiss und Kydranis.

***

Mit steinerner Miene verfolgte Eikichi Otomo die Bildübertragungen von Atlantis, das abgestürzte Götterschiff betreffend. Die Selbstreparatur des Giganten arbeitete; heran gezoomte Datenfenster zeigten, wie kleine robotische Einheiten Lecks abdichteten, neue Schweißnähte arbeiteten oder auf molekularer Ebene den Schiffsstahl vernetzten.

Vor wenigen Minuten war Dai-Tora, der Herr der Tiger, an der Spitze seiner Gefolgsleute erst durch den Waffenkordon der RASHZANZ, und dann durch ein noch nicht repariertes Leck in das Schiff eingedrungen. Die Besten des Tiger-Clans hatten in begleitet, was an sich schon ein Novum darstellte. Juichiro Torah hatte nie Beistand von seinem Mit-Daimon verlangt. Der Clan hatte ihn aber selbst nach vierhundert Jahren nie als Oberhaupt abgewählt, noch hatte Kuzo das jemals verlangt. Die internen Verstrickungen der Dämonen waren Eikichi selbst heute noch, nach einhundert Jahren, ein Rätsel.

Und dann war da noch der unumstößliche Fakt, das mit Torahs Vorstoß in das Schiff noch nichts gewonnen war. Würden die Tiger einem Kampf mit Göttern gewachsen sein? Würden sie überhaupt mit ihnen kämpfen, oder würde der Magier vielleicht auf Verrat setzen? Sich mit den Göttern verbünden, um seine verhasste Feindin Kuzo zu vernichten? Der Preis der Vernichtung ihrer Daimon mochte ihm als Preis dabei angemessen erscheinen.

Dai-Kuzo-sama mochte ihm vertrauen, wenn auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Aber Eikichi konnte sich diesen Luxus nicht leisten, und koordinierte stattdessen die weltweiten Bemühungen, dieser Gefahr Herr zu werden, ohne die Erde zu vernichten.

"Direktor Otomo, der Präsident auf Leitung eins", meldete sein Adjutant.

Eikichi aktivierte den Kanal, ein Holofenster wechselte den Inhalt, und bildete schließlich Admiral Dean Richards ab. Es war ein wenig gewöhnungsbedürftig für den Executive Commander der UEMF, den alten Kampfgefährten weder in der UEMF-, noch der amerikanischen Navy-Uniform zu sehen. Aber der Anzug stand ihm wirklich gut.

"Eikichi", begann der vom Kongress einstimmig eingesetzte Übergangspräsident der USA, "ich habe die ADMIRAL NIEMITZ, die GEORGE WASHINGTON und die KITTY HAWK in Reichweite von Atlantis. Außerdem habe ich alles von Hawaii in Marsch gesetzt, was überhaupt eine Chance hat, Atlantis zu erreichen. Ich biete sechshundert Mechas aller Klassen dafür auf."

Eikichi nickte dankbar. "Wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können. Die Chinesen haben für die Verteidigung der Erde bereits ordentlich Federn lassen müssen. Es wird Zeit, sie zu unterstützen."

"Die XIANG ist ein zähes Schiff, und die Piloten der Mechas gehören zum Besten was China hat. Wir hätten kaum eine bessere Crew vor Ort haben können." Richards Blick verdüsterte sich. "Auch wenn sechzig Prozent Verluste eine andere Sprache sprechen. Aber das beweist nur, wie gefährlich unser Gegner ist. Wie gefährlich die Götter sind."

"Das sind sie in der Tat." Nachdenklich legte Eikichi beide Hände zusammen. "Und sie sind bei weitem noch nicht geschlagen."

Der Executive Commander der UEMF zögerte einen Moment. "Sie haben Helen."

Diese Eröffnung erschreckte den Admiral sichtlich. "Dann war das Auftauchen der RASHZANZ in diesen Tagen kein Zufall."

"Nein, es war kein Zufall. Gewiss kein Zufall. Wir hätten die RASHZANZ sicherlich im Orbit stellen können, wenn die Chinesen das Schiff nicht so schwer beschädigt hätten, um es zur Notlandung zu zwingen. Ich hatte dreißig Schiffe hier oben, die ich notfalls alle geopfert hätte."

"Dann sollten wir den Chinesen dankbar sein. Denn so hat die Menschheit statt dreißig kostbarer Schiffe ein paar Dutzend Mechas verloren. Was immer noch schlimm genug ist. Und dir bleibt es erspart, ausgerechnet deine eigene Frau töten zu müssen."

Eikichi lachte rau auf. "Noch." Leise fluchend barg er das Gesicht in seinen Händen. "Oh, verdammt, warum passiert das alles?"

"Sir, Eridia Arogad auf der drei!"

Eikichi nahm die Hände ab und schaltete den Kanal hinzu. "Mutter."

Eridia Lencis Arogad lächelte wohlwollend. "Eikichi, mein guter Junge. Wie ich höre läuft alles in den erwarteten Parametern."

"Helen hat sich dem Key unterworfen und ist an Bord der RASZHANZ. Das sind nicht ganz die Parameter, die ich erwartet habe", erwiderte Eikichi ernst.

"Aber die ich erwartet habe. Helen ist ein zähes Mädchen. Sie wird den Key unterwerfen. Etwas, was noch keinem Träger je zuvor gelungen ist. Sie wird es schaffen. Und sie wird zu ihrer Familie zurückkehren. Daran habe ich keine Zweifel."

"Du hast einen starken Glauben."

"Nein, das ist es nicht. Wäre Akira an ihrer Stelle, würdest du glauben, er könne den Key besiegen?"

"Sicherlich. Akira ist in jeder Beziehung etwas Besonderes, wenn ich das mal sagen darf."

"Siehst du. Und Helen ist seine Mutter. Beweisaufnahme beendet."

"Kapituliere lieber gleich, Eikichi. Eris Beweiskette ist schlüssig", merkte Richards an.

"Dean, mein guter alter Freund. Hast du es endlich geschafft, dich in dieses undankbare politische Amt treten zu lassen. Ich bedaure dich und gratuliere dir."

"Danke, Eri. Ich weiß selbst noch nicht so genau, welcher Teufel mich geritten hat, als ich auf Eikichis Idee einging. Aber ich habe vor, das Beste für mein Land und für die Erde heraus zu holen, so lange wie es dauert."

"Und genau das beweist, dass du dort, wo du gerade bist, am richtigen Platz sitzt, Dean." Eridia nickte zufrieden. "Ihr kennt die Gesamtsituation?"

"Die AURORA wird noch immer von Strafern gejagt, wir hatten einen Vernichter auf Stippvisite im Sonnensystem, der Aufstand der Logodoboro ist ungebrochen und das Kanto-System bedroht. Und noch immer gibt es im Kaiserreich der Iovar kleinere Konflikte zwischen Anhängern des alten Kaisers und der neuen Kaiserin", schloss Eikichi. "Habe ich etwas entscheidendes vergessen, abgesehen von der abgestürzten RASHZANZ und der reaktivierten AO?"

Eridia Arogad lächelte dünn. "Du hast die Flotte vergessen, die sich bei Alpha Centauri sammelt. Uns haben sich drei neue Fraktionen von Daina und Daima angeschlossen, mit insgesamt vierzig Schiffen aller Klassen. Die Legende von meinem Enkel springt mit Überlichtgeschwindigkeit von Stern zu Stern und motiviert die Intelligenzwesen. Sogar nichtmenschliche Spezies stehen mit uns oder unseren neuen Verbündeten in Verhandlungen und wollen sich an der Abwehr der Götter beteiligen."

"Dann wird das Sol-System bald zum Schauplatz des Endkampfes werden." Für einen Moment zögerte Eikichi. "Hoffen wir, dass Kitsune und die anderen Dai bei ihrer Mission Erfolg haben werden. Ansonsten werden noch eine ganze Reihe von Endkämpfen folgen. Und jeder könnte die Existenz der Menschheit ein für allemal beenden."

"Wir werden nicht scheitern", versprach Eridia ernst.

"Sir, Dai-Kuzo-sama auf der zwei!"

Eikichi schaltete die Herrin der Dämonen hinzu.

"Hallo, Eikichi. Eri-Schatz, ich grüße dich. Mr. President." Dai-Kuzo sah ernst in die Runde. "Die Götter haben uns überrascht. Sie haben eine Kryo-Einrichtung ausgerechnet auf Atlantis aufgebaut. Aus dieser strömen zur Zeit kampfbereite Götter hervor. Ihr Ziel ist die RASHZANZ. Es sind über tausend, und ihre Zahl steigt weiter. Dabei liegt ihre Kampfkraft durchaus bei dem eines Dai, und das ist es, was die Situation so gefährlich macht."

Kuzo ließ ihre Worte wirken. Unglaube antwortete ihr. "Eine Kryo-Einrichtung, die mindestens eintausend Götter aufnehmen konnte? Und Ihr habt sie in all den Jahrtausenden nie gefunden?", rief Eikichi überrascht.

"Wir haben ja nicht einmal geahnt, dass sie da ist", gab Kuzo etwas kleinlaut hinzu. "Die Bergregion wurde noch nie von uns genutzt, was... Im Nachhinein schon sehr merkwürdig ist. Aber mit dieser Verstärkung könnte die RASZHANZ entkommen und dem müssen wir entgegen arbeiten. Haben wir bereits die Fähigkeiten, die AURORA und ihre Begleitschiffe mit Hilfe der Systeme verbindenden Lokk-Linien bis ins Sol-System zu befördern?"

"Nein. AURORA und die Begleitflotte sind und bleiben noch mindestens drei Wochen von uns entfernt", erwiderte Eikichi. "Und falls du fragst, ob ich zustimmen würde, wenn Sphinx einen oder mehrere KI-Meister auf den Lokk-Linien zur Erde bringt - das Risiko ist zu groß. Wir dürfen gerade jetzt niemanden vom Kaliber Akiras verlieren."

"Ja, das wäre in der Tat meine nächste Frage gewesen. Bleibt mir nur noch eines: Ich bitte darum, die KI-Meister, die derzeit unter John Takei dienen, in die Abwehrbemühungen einzubinden. Außerdem ersuche ich Torum Acati und den Orden der naguadschen Grenzwächter um Unterstützung durch KI-Meister." Sie sah zu Eridia herüber. "Eri-Schatz, du bist in relativer Nähe."

"Gut. Ich werde die TAUMARA nehmen und zur Erde springen."

"Und ich werde Thomas informieren. Er wird sich ebenfalls einbringen", sagte Richards.

"Und so erreicht unser Ärger wieder einmal eine neue Stufe. Dabei ist Akira noch nicht mal zurück", schloss Eikichi säuerlich. Aber immerhin hatte er damit die Lacher auf seiner Seite.

***

"Entspann dich wieder", sagte Mother vorwurfsvoll. "Hast du schon mal davon gehört, das ein Hologramm einen lebenden Menschen angreifen könnte?"

"Du hast ein paar mehr Möglichkeiten als reine körperliche Angriffe. Wer sagt mir, dass du nicht gerade die Innenverteidigung der ADAMAS kaperst, um mich damit zu bekämpfen?"

Mother wurde blass. "Was? Das traust du mir zu? Ich soll meinen niedlichen, süßen Akira absichtlich verletzten wollen?" Sie stürzte zu Boden, stützte sich schwer mit dem linken Arm ab, während sie mit der Rechten ihren Kopf stützte. Leises Schluchzen klang zu mir herüber. "Dass du mir das zutraust, Akira, das ist... Das ist... So unfair!"

Ich fühlte, wie mir ein Stich durchs Herz ging. Okay, sie war nur ein Hologramm, das Abbild des Selbstverständnisses eines Supercomputers, in dem ich - damals zusammen mit Sarah - eine kleine Ewigkeit gefangen gewesen war. Aber ich würde lügen, wenn ich behauptet hätte, Mother würde mich nicht nur gut kennen, sondern dieses Wissen auch gegen mich benutzen können. Sie hatte mich erwischt, richtig gut erwischt, wie ein Teil von mir, der sich nicht emotional manipulieren ließ, neidlos anerkennen musste.

"Ich habe nicht gesagt, dass du es gerade tust", wandte ich in schwacher Abwehr ein. "Aber ich frage mich schon, was du auf der ADAMAS tust. Und wie du herkommst. Und noch ein paar hundert andere Dinge."

Sie sah auf. "Was denn, was denn? Da überbrücke ich vierzig Lichtjahre durch Raum und Zeit, um dir nahe zu sein, und du freust dich nicht mal ein bisschen? Das habe ich nicht verdient, Akira."

"Hallo? Mother, soweit ich mich erinnere, waren wir das letzte Mal auf unterschiedlichen Seiten!", warf ich in einem Anflug nüchterner Logik ein.

"Ach das", meinte sie, lächelte und machte eine wegwerfende Handbewegung. "Mach dir darum keine Sorgen. Michael und Juichiro haben einen Pakt geschlossen. Technisch gesehen sind wir gerade Verbündete."

"Michael hat was?"

"Es geht auch noch weiter", berichtete sie. "Im Moment kämpft Juichiro auf Atlantis Seite an Seite mit den anderen Dais gegen die RASZHANZ. Du siehst, auch hinter den Kulissen ist eine Menge geschehen, seit du weg bist."

Seit ich weg war. Das berührte etwas tief in mir. Etwas nicht so schönes, wenn ich ehrlich war. Zwar hatte ich die Zeit, die mein Bewusstsein in Laysan verbringen musste, nicht wirklich bereut, aber die Umstände waren bestenfalls ärgerlich zu nennen. Aus seinem Leib entführt, vom Körper über hunderte Lichtjahre getrennt, vor allem von seinen Liebsten getrennt... Die Spätfolgen mit meiner akuten Körpertrennung und den ganzen Reyan Maxus-Mist, der mir passiert war, hatten mit dieser ganz speziellen Entführung sicherlich einiges zu tun. Oder anders ausgedrückt: Wäre ich nie in Laysans Körper entführt worden, wäre mir die Reyan Maxus-Sache womöglich erspart geblieben. Was meinen dringenden Wunsch, das abtrünnige Haus Logodoboro mit Stumpf und Stiel auszurotten, irgendwie intensivierte. Noch so ein Ding. Würde Laysan verstehen, warum ich nicht mehr nach Hause kam? Zumindest nicht für die nächste Zeit, und danach vielleicht für immer?

"Hallo? Universum an Akira. Du grübelst ja schon wieder", tadelte Mother.

Ich schreckte hoch. Tatsächlich, ich war erneut in meine Gedankenwelt entkommen, regelrecht geflohen... Dabei hatte ich hier mit Mother die Realität direkt vor Augen, sofern man von einem Hologramm von Realität sprechen konnte.

"Wie hast du überlebt? Ich meine, wir haben den Supercomputer abgeschaltet. Er war isoliert, es gab keine Verbindung nach außen. Du kannst nicht... Ich meine, schön das du es überlebt hast, aber physikalisch gesehen ist es nicht möglich."

Mother lächelte fein. "Sagen wir einfach, ich hatte meine Möglichkeiten. Weißt du, ich bin etwas mehr als die Summe meiner Programmiersprache. Ich bin... Eher schon so etwas wie Chausiku Aris, die Herrin des Cores. Mehr die Summe jener, die in meinem Computer zusammengefasst waren." Ihre Augen schienen zu strahlen. "Und du warst immer ein wichtiger Bestandteil von mir, Akira. Ist es da nicht völlig normal, wenn ich mir wünsche, dich wieder zu sehen?"

"Ach, wie nett", erwiderte ich trocken. "Und wie siehst du mich gerade wieder?"

Ärgerlich blies Mother die Wangen auf. Aber sie ging darauf ein. "Die Standleitung zur Erde. Ich befinde mich im Moment im Core, dem zentralen Kontrollpunkt aller weltweiten Supercomputer, die, wie du mittlerweile weißt, eine Imitation des Paradies der Daina und Daima darstellen, und die über eine virtuelle Realität miteinander vernetzt sind. Von dort nehme ich direkten Zugriff zum Hauptkanal auf dem OLYMP, lasse mich zur AURORA abstrahlen, und von dort zu über Umleitung zur ADAMAS. Hier angekommen habe ich den Bordrechner überredet, ein Hologramm von mir zu erzeugen. Arhtur ist ein sehr einsichtiger Bursche, und normalen Argumenten mehr als zugänglich. Ein feines Stück Künstlicher Intelligenz, aber ich wünsche mir schon, er würde sich mal entscheiden, ob er sich männlich oder eher weiblich definiert. Mir hätten zwanzigtausend Jahre für die Entscheidung vollkommen ausgereicht", sagte sie in einem tadelnden Wortfall.

Beinahe erwartete ich, Arhturs künstliche Stimme zu hören, laut protestiertend. Aber die K.I. der ADAMAS respektierte meine Privatsphäre und mischte sich ohne meine Erlaubnis nicht ein. Eventuell hatte er auch die Überwachung dieser Sektion vollkommen eingestellt, um "seinen Piloten" nicht zu verärgern.

"Das ist Arhturs Problem, nicht deines, oder?", erwiderte ich mit einem dünnen Lächeln. "Was also treibt diesen immensen Wunsch an, mich wieder zu sehen, Mother?"

"Ich mache mir halt Sorgen um dich", sagte sie. "Sieh dich doch an. Was man dir im letzten Jahr alles angetan hat; was du erleiden musstest. Und auf wen du jetzt, da du im Exil bist, verzichten musst. Gut, du hast die Hoffnung darauf, dass deine drei Dai an Bord gute Pressoren abgeben werden und dir vielleicht Jahrhunderte zur Seite stehen können, um den Reyan Maxus in dir in dieser Zeit nur gezielt ausbrechen zu lassen. Du hast die Möglichkeit, eine Zeitlang ganz alleine die Kraft zu beherrschen, die Aufnahme von freier KI-Energie selbstständig zu unterbinden. Und das für einige Jahrzehnte, die für dich erfüllend sein können. Und du hast die Chance, in dieser Zeit nicht nur Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern auch wahrhaft Großes zu leisten. Denn seien wir mal ehrlich, du wurdest nicht geboren, um kleine Brötchen zu backen. Du bist eher der Großfabrikant."

"Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das ein Kompliment war", erwiderte ich mit hochgezogener Augenbraue.

Mother prustete leise lachend. "Weißt du, was dein Cousinchen Sakura gesagt hat, als man sie fragte, wie man dich in der Fremde, der unüberschaubaren Sternenwüste, finden sollte? Ihre Worte waren: Einfach den Explosionen folgen.

Und was hast du getan? Einen gewaltigen Aufstand ausgelöst, der das Sternenreich der Iovar komplett umgekrempelt hat. An Explosionen hat es nicht gemangelt, oder?"

"Zugegeben. Willst du damit vielleicht andeuten, dass ich der geborene Krieger bin? Dass ich Konflikte brauche wie andere die Luft zum Atmen?"

"Ich sage, dass du die Möglichkeit, dich mit anderen zu messen, niemals auslässt. Was ist mit Torum Acati? Ihr habt euch duelliert, auf Leben und Tod. Er, weil es seine Pflicht dem Reich gegenüber war, du, weil du Ai-chan und Joan retten wolltest. Aber dennoch ist dir aus ihm nicht nur ein starker Gegner erwachsen, sondern auch ein guter Freund. Ihr seid euch zu ähnlich, beinahe wie Brüder. Und du kennst viele deiner Art. Nein, du brauchst sicher nicht den Krieg, aber du misst dich gerne. Und du hast nur allzu gerne das Gefühl, gebraucht zu werden. Dabei ist es egal, in welcher Funktion das geschieht, welche Rolle du bekleidest. Du musst deinen Nutzen haben. Das ist dein ureigenster Reflex. Sonst wärst du niemals in Primus geklettert und hättest nie in den Kampf über der Tokio Bay eingegriffen."

Ich erschauderte bei dieser Erinnerung. Damals war ich mehr als nur naiv gewesen, zu glauben, ich könnte etwas bewirken. Den Mecha steuern. Oder nicht von der eigenen Seite abgeschossen werden. Aber als der Mecha vor mir gelandet war, als sich das Cockpit geöffnet hatte, um den toten Kronisier auszuspeien, da war etwas in mir zerbrochen. Da hatte ich gewusst, dass dies fortan meine Maschine sein würde. Und ich bin mit ihr in die Schlacht gezogen. Es war naiv zu erwarten, ich könnte ihn steuern. Doch ich als allererster war überrascht, als ich merkte, wie leicht es mir fiel, Primus zu bewegen, zu steuern, zu meinem verlängerten Arm, zu meinem zweiten Körper zu machen. "Ach das, ja. Henrys Geschenk."

"Nicht nur Henry William Taylors Geschenk, aber lassen wir das durchaus mal außen vor, Akira." Sie lächelte erneut, diesmal intensiver. "Ich bin aus zwei Gründen hier. Beziehungsweise lasse ich aus diesen zwei Gründen ein Live-Abbild von mir direkt vor deiner Nase entstehen. Der erste Grund ist, um dir ein wenig die Einsamkeit zu nehmen, unter der du leidest."

"Ich leide nicht unter...", begehrte ich auf, doch Mothers zwingender Blick ließ mich verstummen.

"Der zweite Grund ist, dass ich einen Weg gefunden habe, dich von dieser Reyan Maxus-Geschichte zu befreien."

"Was?"

"Ich kann dich von der Reyan Maxus-Geschichte befreien. Es gibt sogar zwei Wege, und du musst entscheiden ob du einen der Wege einschlagen willst. Oder beide ausschlägst, denn, das steht leider fest, die Erde wird einen Reyan Maxus dringend brauchen. Mit einem Götterschiff auf Atlantis, das die Aufgabe hat, die Welt zu zerstören. Mit einer Daimon, die von den Schiffen der Götter attackiert wird und deren menschliche Bewohner von den KI-Biestern, die freies KI sammeln, irgendwann einmal ausgesaugt werden... Wir brauchen dann Akira Otomo, und das am Besten in seiner kampfstärksten Form als Maxus."

"Was sind diese beiden Wege?", fragte ich ernst. Nicht, dass ich vorhatte, mich vor meiner Verantwortung in den kommenden Schlachten zu drücken. Aber ich wollte zumindest wissen, welche Auswege sich mir boten.

"Die erste Methode ist simpel. Du hättest selbst drauf kommen können." Mothers Lächeln verblasste. "Nimm die Gift an. Werde zum Teil Elwenfelt. Es wird funktionieren, so wie es bei Yohko funktionieren wird. Du wirst dann diese unheilvolle Fähigkeit, freies KI aufzunehmen, wieder verlieren. Höchstwahrscheinlich. Die Chancen stehen aber gut", schränkte sie ein.

"Was ist die zweite Methode?"

"Du verlierst auf ewig deine Fähigkeit, das KI zu kontrollieren. Du wirst keine KI-Klinge mehr erzeugen können, kein fokussiertes KI anderer KI-Meister wie den Slayern absorbieren und einsetzen können. Du wirst deinen Alterungsprozess nicht mehr steuern können. Und deine Kräfte und Fähigkeiten werden auf ein normales, ein menschliches Maß zurückgesteuert werden. Du wirst auch die Langlebigkeit der Naguad verlieren. Du wirst durch und durch ein ganz normaler Mensch mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung werden, Akira Otomo. Ich habe ein Medikament entwickelt, das auf einem Produkt der Naguad beruht. Du wirst zwei Jahre damit kuren müssen, und am Ende alle Fähigkeiten zur KI-Beherrschung einbüßen. Aber es gäbe ein Leben nach dem Reyan Maxus."

"Ein normaler Mensch...", echote ich.

Das brachte Mother zum Lachen. "Nun gut, vielleicht kein vollkommen normaler Mensch. Wir reden hier immerhin von dem Akira Otomo. Okay, das sind die beiden Optionen. Aber ich kann schon jetzt vorhersagen, dass du..."

"Danke, Mother, für die Möglichkeiten. Ich werde gut drüber nachdenken müssen. Aber im Moment sind meine Fähigkeiten als Reyan Maxus noch zu wertvoll im Kampf gegen die Götter. Vielleicht komme ich später darauf zurück. Vielleicht muss ich es dann sogar. Aber jetzt werde ich erst einmal trainieren, um mit ADAMAS eine Einheit zu werden, damit wir in der nächsten Schlacht gegen die Götter kein totes Kapital sind. Unser Sprung endet bald, und niemand kann versprechen, dass die Strafer unserer Flotte nicht auflauern."

"Dass du genau so etwas sagen wirst", seufzte Mother leise. Sie zuckte mit den Schultern. "Aber war soll's, das ist nun mal mein Akira. Ich habe es voraus gesehen."

Sie lächelte mit von der Seite an. "Soll ich dich unterstützen? Dieses Hologramm bindet nur einen Bruchteil meiner Rechenkapazität. Und ich bin recht erfahren in den Netzwerken, die du mit Arhtur betreiben willst. Ich kann dir mehr als ein paar Tricks zeigen."

"Hm", erwiderte ich. "Arhtur?"

"Keine Einwände, Meister Arogad."

"So, du hast also doch zugehört", stellte ich grimmig fest.

"Entschuldigt, Meister Arogad."

"Das war eine Feststellung, kein Tadel", erwiderte ich. "Also, wenn du nichts dagegen hast, dann nehme ich Mothers Hilfe an. Sie ist... eine alte Freundin."

"Natürlich, Meister Arogad." Irrte ich mich, oder klang da so etwas wie Belustigung in Arhturs Stimme auf?

"Also dann, Akira", rief Mother beschwingt und hakte sich rechts bei mir ein, "retten wir mal das Universum!"

Zwei Dinge waren für mich in diesem Moment sehr verwunderlich. Das Erste war der Enthusiasmus, den die künstliche Intelligenz aus einem Supercomputer der Kronosier für die Rettung der Welt aufbringen konnte, wenn man doch erwartete, dass sie dies eher für die Eroberung des Universums empfinden würde.

Das Zweite war die Tatsache, das ein Hologramm mich berühren konnte, sich warm und sanft anfühlte, und in der Lage war, mich hinter sich her zu ziehen. Na, das war ja schnell gegangen mit den Wahnvorstellungen, entstanden aus der Einsamkeit.

"Wundere dich nicht. Ich bin keine reine Projektion, sondern nutze freies KI von der AURORA, um mir eine dünne Hülle zu erschaffen. Gerade wenig genug KI, um von dir nicht als Appetizer angesehen und gefressen zu werden, du großer, böser Reyan Maxus."

"Ach so", murmelte ich. Allerdings, ohne es wirklich zu verstehen. Stattdessen ließ ich mich von Mother mitziehen. Die Zeit an Bord der ADAMAS schien nun wenigstens etwas interessanter zu werden, als ich erwartet hatte.
 

2.

Als Kitsune in den Bereich der harten Strahlung eintauchte, spürte sie für ein paar bange Sekunden die altbekannte Panik, als abermilliarden lichtschneller Partikelwellen der harten Gamma-Strahlung durch ihren Pseudokörper schossen und ihn auf submolekularer Ebene zum Schwingen brachten. Unbewusst stockte sie, bis sie die Schwingungen als normal empfunden hatte. Zugleich spürte sie, wie ihr KI-Körper mit der Selbstreparatur begann, was einen Teil ihrer Kraft kostete. Nicht viel, und sie hatte es erwartet, aber sie musste den Verlust mit einrechnen. Dabei hatte sie gegenüber einem Daina oder Daima Vorteile in der radioaktiven Strahlung. Ein normaler Mensch wurde ebenso von den Gamma-Wellen durchbohrt wie sie, die Strahlung hinterließ Hitze und beschädigte die Zellen auf ihren Wegen, was zu Erbschäden und letztendlich zum Tod führen würde; darum musste ein Dai sich keine Sorgen machen, weil er keine Zellen hatte, die beschädigt werden und anschließen absterben konnten. Dennoch, schön war es nicht. Ein Blick in die Gesichter ihrer Gefährten unter den Einsatzhelmen bewies, dass sie sich ähnlich fühlten, aber ebenso wie sie darüber hinweg gingen, umschalteten. Kitsune konzentrierte sich wieder auf die Fahrtrichtung des Materialtransporters, der sie nun in die Tiefen des Kerns brachte, in jenen Bereich, den sie zu erreichen gehofft hatten. Die Radioaktivität verstärkte sich immens. Sie war hart genug, um einen ungeschützten Daima oder Daina binnen weniger Sekunden bei lebendigem Leib zu braten. Kitsune fragte sich, ob maschinelle Logik bei der Bekämpfung der Götter wirklich der Grund für dieses Höllenloch sein konnte, oder ob es nicht doch wahrscheinlicher anzunehmen war, alle sechs Reaktoren hätten Strahlungslecks... Ja, klar. Seit wann neigte sie zu Wunschdenken?

Der Materialtransporter nahm einen natürlichen Schacht zwischen zwei Werften, in denen Vernichter in den unterschiedlichen Stadien der Demontage auf Kiel lagen. Roboter und Drohnen arbeiteten emsig an ihnen und umwuselten die mächtigen, vier Kilometer langen Schiffe wie Ameisen ihre Königin. Kein so unpassender Vergleich. Auf die Werften für die Vernichter folgten kleinere Werften für die Strafer und Sucher, und bevor die vier Dai sich versahen, hatten sie bereits dreißig Kilometer zurückgelegt.

Der Schacht öffnete sich ein wenig. Das heißt, eigentlich waren die sie umgebenden Werften und Fabriken nun weniger in ihre Richtung hin gebaut worden. So, so, der Schacht war also in Wirklichkeit nur eine absichtlich frei gelassene Baulücke von dreihundert Metern Durchmesser hier unten. Eine interessante Information, die nur durch maschinelle Logik erfolgt sein konnte.

Vierzig Kilometer. Livess sprang ab, um den ersten Reaktor zu erreichen, der ihrem Fluchtschiff am nächsten stand. Bei siebzig würde Celeen springen. Kitsune würde bis zum Zentrum mitfahren, Lertaka bis zum Computerkern eskortieren und dann den dritten und letzten Fusionsreaktor aufsuchen. In der festen Hoffnung, dort schnell genug wieder weg zu kommen, ohne im Höllenfeuer der Detonationen, die hoffentlich erfolgen würden, unterzugehen.

Sechzig Kilometer. Die Materialfähre reduzierte für ein paar Augenblicke die Geschwindigkeit, um einen Materialzug durch zu lassen, der einen Quertunnel passierte und einmal über ihre Fahrtroute hinweg schoss. Die Dimensionen dieses Zuges konnten es durchaus mit einer terranischen Fregatte aufnehmen. Seine Geschwindigkeit allerdings auch.

Siebzig Kilometer, Celeen nickte ein letztes Mal in ihrer beider Richtung, bevor auch sie absprang.

Lertaka und Kitsune tauschten einen langen Blick. Die Füchsin klopfte auf dem Blaster im Brustholster und griente den anderen Dai an. Mit einer Waffe, die künstliche Neuronen brutzeln konnte, war gegen einen Computer der Götter tatsächlich ein Kraut gewachsen.

Auch Lertaka hatte einen Neuroschocker erhalten und klopfte seinerseits grinsend auf die Waffe.

Achtzig Kilometer. Neunzig. Die Materialfähre reduzierte merklich und steuerte einen Verladebahnhof an. In die Greifwerkzeuge dieses Molochs wollten die beiden Dai nicht geraten, deshalb stießen auch sie sich ab und schwebten den Aufbauten entgegen. Durch die Geschwindigkeit, die ihnen die Materialfähre mitgegeben hatten, sausten sie wie menschliche Kanonenkugeln auf die Streben, Wände und Halterungen zu, und nur das große, Jahrtausende gewachsene Geschick verhinderte, dass sie sich selbst durch die Eigenmasse an einer Strebe in mehrere Dais verteilten. Auch so war der letztendliche Aufprall hart genug, aber diese Dai gehörten zu den besten Kriegern des bekannten Universums. Darüber hinaus waren sie Dai, und als Kitsunes Handgelenk beim Versuch, sich abzufangen, mit deutlichem Geräusch brach, brauchte sie nur wenige Sekunden, um es zu heilen. Aber der Energieverlust war schon sehr ärgerlich.
 

Seite an Seite drangen sie in den Komplex ein, suchten den nächsten Hohlweg, der sie tiefer in die Struktur bringen würde. Kitsune verglich den Weg mit ihrem Hologramm und winkte Lertaka weiter. Noch zwanzig Kilometer bis zum Zentrum. Lertaka stoppte. "Da stimmt etwas nicht", sagte er zu Kitsune, indem er seinen Helm auf ihren legte, damit die Vibrationen der Schallwellen in ihren Helm gelangen konnten. "Das Hologramm stimmt nicht mehr mit der Realität überein!" Er deutete in das Hologramm und dann zur Seite des Hohlweges. Gewiss, das waren die Strukturen, die sie zu sehen erwartet hatten. Aber warum gab es keinen Frachtverkehr in diese Sektion hinein und wieder heraus? Und wieso maß sie ein starkes Energiefeld an, ähnlich einem Schiffsschild?

Kitsune checkte die Missionszeit. Sie hatten ihr Primärziel noch nicht erreicht, aber sie lagen sehr gut in der Zeit. "Weiter zum Zentrum", befahl sie Lertaka. "Ich sehe mir das an und gehe dann direkt zum Reaktor."

Der andere Dai zögerte einen Augenblick. Dann nickte er bestätigend, stieß sich ab und schoss den Hohlweg tiefer hinab.

Kitsune schwebte indes in einer gemächlicheren Geschwindigkeit auf die andere Seite der Schachtwand zu. Gewiss, da waren Öffnungen für Warenverkehr. Aber sie konnte das starke Energiefeld spüren, auch ohne es zu sehen. Kurz entschlossen löste sie etwas Masse aus ihrem Kampfanzug und warf diese in Richtung Gangwand. Das Ergebnis war verblüffend. Sie hatte erwartet, das die paar Gramm Stahl und Plastik verbrennen würden, vergehen in der Feuerlohe der Energie. Stattdessen dehnte sich das Abbild der Wand, schlug kreisförmige Wellen von jenem Punkt, von dem die Materie aufgetroffen war, und verschluckte sie schließlich.

Okay, an dieser Stelle musste man Kitsune zugute halten, dass sie eine sehr neugierige Dai war. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, dieses Phänomen zu ignorieren, als beiläufig abzutun und sich um die Reaktoren zu kümmern. Das hätte sie näher ans Missionsziel, näher an Akira gebracht. Doch eine Kitsune musste nun mal tun, was eine Kitsune tun musste, auch wenn sie keinen ihrer Gefährten über ihre Absicht informieren konnte. Und ein Energiefeld, das feste Materie passieren ließ, war interessant genug.

Sie schwebte näher heran, bis sie fühlte, dass das Feld zum Greifen nahe vor ihr lag. Sie streckte die Hand aus, steckte den Zeigefinger hinein. Etwas, was sie schnell regenerieren konnte, wenn ein paar hunderttausend Volt nach ihr griffen, den Finger abschmorten und ihren Leib wie von einem Katapult abgeschossen durch die nächste Wand trieben. Doch nichts dergleichen geschah. Abgesehen davon, dass wieder dieser Welleneffekt eintrat, der sich von dort, wo ihr Finger eintauchte, langsam über die ganze Wand hinfort zog. Interessant. Sie streckte die ganze Hand hinein. Zwar konnte sie die Hand noch spüren, aber nicht mehr sehen, so als hätte man ihr das Körperteil abgeschnitten. Ein Geheimnis, ging es Kitsune durch den Kopf. Hier musste etwas ganz Besonderes verborgen sein, wenn dieser Ort so speziell geschützt war. Die Frage war nur: Nachgehen oder Aufgabe erfüllen? Die Vernunft behielt die Oberhand, die Mission klopfte an und meldete Vorrang, auch wenn sie danach nie wieder erfahren würde, welches Geheimnis sich hier verbarg. Mit einem Seufzer zog sie die Hand wieder hervor.

Das heißt, sie wollte die Hand hervor ziehen, aber es gelang ihr nicht. Irritiert zog sie stärker, aber es gab einen Widerstand. Kurz entschlossen wollte sie die Hand abtrennen und neu erschaffen, doch dafür war es zu spät, als ein Sog nach ihr tastete. Ein Sog, der sie vollends durch das Schirmfeld zog, und auf dieser Seite des Schachts nur ein paar hundert Wellenberge auf der Schirmoberfläche zurückließ, die davon kündeten, das hier einmal eine Dai existiert hatte.

Auf der anderen Seite griff gleißende, alles beherrschende Helligkeit nach Kitsune. Helligkeit, die sich steigerte, die sich so heiß anfühlte wie ein Laserstrahl. Für einen winzigen, bewussten Augenblick war sich Kitsune sicher, dass sie sterben musste.

***

"Was hast du da draußen zu suchen gehabt?", fuhr eine markante Männerstimme die Dai an.

Zornig blitzende blaue Augen fixierten ihren Blick, eine kräftige, behandschuhte Rechte lag wie eine Stahlklammer um ihren linken Unterarm. "Aus welcher Sektion bist du überhaupt?"

Kitsune war ehrlich verwirrt. Bisher war sie davon ausgegangen, dass die Strahlung im Kern kein organisches Leben zuließ.

Für einen Moment sah der Mann zur Seite. "Du hast Glück gehabt, wirklich großes Glück! Du hast keinen radioaktiven Staub mitgebracht, und der Mediscanner zeigt nur minimale zellulare Schäden durch die Strahlung bei dir an. Aber das ist auch das einzige Positive. Wie bist du nur auf diese wirklich dumme Idee gekommen, da raus zu gehen?" Nun sah er sie wieder an, und die Wut in seinen Augen hatte etwas von Dai-Kuzo-sama, wenn sie einen von Kitsunes Ausrutschern tadelte.

"I-ich...", stammelte sie.

"Na, ist ja auch nicht so wichtig. Verschwinden wir erstmal aus den Randbezirken." Er wandte sich um und zog die Dai hinter sich her. Sie durchschritten eine massive Wand - aha, ein Holo - und kamen auf das Laufband einer hohen Galerie, die um einen mehrere hundert Meter tiefen Schacht aufgebaut war. Unten in der Tiefe klang das leise Summen von Fusionsgeneratoren bei der Arbeit auf. Dutzende Galerien zogen sich in die Höhe und in die Tiefe, und ein bestimmtes Gefühl verriet Kitsune, dass sich diese Schächte durch den ganzen abgeschirmten Bereich zogen.

"Belta!", rief der Mann und winkte eine Frau ohne Schutzanzug herbei, die an einer Wand stand und eifrige Notizen in ihr antiquiertes Klemmbrett schrieb.

"Was gibt es, Oren?"

Der große Mann zog an Kitsunes Unterarm, bis sie vor ihm stand. "Ich habe eines deiner Küken draußen vor dem Schirm gefunden. Wäre ich nicht zufällig vor Ort gewesen, hätte sich dein neugieriges Baby mit der harten Strahlung so sehr vollgesogen, dass wir sie nur noch hätten klonen können."

Die mit Belta Angesprochene lächelte verschmitzt in Kitsunes Richtung. "Lass dich nicht von ihm einschüchtern. So schnell verstrahlt man nicht. Und auf keinen Fall mit unserer Ausrüstung. Ich selbst habe schon achtzehn Missionen draußen absolviert, und jede ging über den Zeitraum einer Stunde. Minimal. Oren, du sollst die Kleinen doch nicht immer so erschrecken."

"Was heißt hier nicht erschrecken? Du erinnerst dich an Davige? Er war länger als eine Stunde draußen, und wir haben dreitausend Jahre gebraucht, um die radioaktiven Ablagerungen aus ihn raus zu holen und seine vollkommen zerschossene DNS zu rekonstruieren. Du erinnerst dich an den Ärger, den wir deshalb mit Rat Tymal hatten, und zwar in allen fünf Erweckungsphasen?"

"Ich sehe deinen Punkt. Das ist aber keinen Grund, den Nachwuchs derart einzuschüchtern." Sie sah wieder zu Kitsune herüber. "Wie heißt du denn, Mädchen?" "Ki-kitsune"; haspelte sie hervor.

"Kikitsune. Das ist ein merkwürdiger Name. Kommst du aus der Kolonie?"

"Nein, Kitsune. Verzeihung, ich habe gestottert."

Beltas Blick wurde böse. "Du hast sie wirklich total eingeschüchtert." Sie legte das Klemmbrett zur Seite, trat vor die Dai und öffnete den Helm mit sicherem Griff. Ihre sanften, warmen Hände legten sich auf Kitsunes Wangen. Dann drückte sie die Rechte auf die Stirn. Es war ein mehr als angenehmes Gefühl voller Geborgenheit. "Na, wenigstens scheint es dir körperlich gut zu gehen."

"Das habe ich bereits mit dem Mediscanner festgestellt", murrte Oren.

"Du verlässt dich noch immer zu sehr auf die Technik", tadelte Belta. "Sag mal, Kitsune, wer ist dein Gruppenleiter?"

Dumm stellen war immer eine gute Idee. Und die junge Frau vor ihr schien einen ausgeprägten Beschützerinstinkt zu besitzen. "I-ich weiß nicht. Ich habe mich sooo erschrocken, als plötzlich diese Hand aus dem Nichts nach mir griff, und..."

"Ach, so war das?" Wieder ging ihr böser Blick in Richtung Oren. "Hast dem armen Mädchen gleich noch ein wenig Angst einjagen wollen, damit es so etwas nie wieder macht, was? Du bist und bleibst ein Oberlehrer, Oren."

"Es ist ja wohl zu ihrem eigenen Besten!", erwiderte der große Mann ärgerlich. "Wir müssen zwar die Computer der Maschinen nicht fürchten, aber wohl die Strahlung."

"Wir müssen die Computer auch erst seit zweitausend Jahren nicht mehr fürchten. Davor war es anders, Oren. Du erinnerst dich?"

"Ich weiß. Deshalb ist jeder Nagalev bei Verstand und Sinnen ja auch so wertvoll für uns."

"Moment, Moment, das geht mir alles zu schnell", sagte Kitsune, schüttelte Beltas Hände ab und trat einen Schritt auf das Geländer zu. Sie deutete auf die Wände. "Was ist das alles hier?"

"Oren, du bist ein Ekel. Wie sehr hast du sie eigentlich erschreckt?" Ärgerlich starrte Belta den Hünen an, bis er als Erster fort sah und leise eine Entschuldigung murmelte.

Belta ergriff Kitsunes Hände. "Es ist alles in Ordnung, Schatz. Du bist hier in der Zuflucht in Sicherheit. Die Maschinen interessieren sich nicht für dich, solange wir den Hauptcomputer hacken. Du bist doch bestimmt aus der Kolonie. Du bist viel zu jung, um schon ein Techniker zu sein. Komm, ich bringe dich zurück. Und du, Oren, denke das nächste Mal drüber nach, bevor du wieder ein kleines Mädchen traumatisierst."

"Zuflucht? Hacken? Sagt mir endlich, was dieser Schacht zu bedeuten hat!"

"Aber Kind", sagte Belta mit Verzweiflung in der Stimme, "dies sind unsere Kryo-Einrichtungen für die vierzigtausend Nagalev, die hier die Revolte der Maschinen überlebt haben. Redet Ihr in der Kolonie nicht darüber?"

"Vierzigtausend? Vierzigtausend Nagalev?" Ihr schwindelte. Die anderen Dai waren auf dem Weg, um die Anlage zu vernichten, und damit ungewollt nicht nur die Götter zu schädigen, sondern auch noch vierzigtausend Unschuldige, von der Zahl der Menschen in der Kolonie ganz zu schweigen.

"Ich muss... Ich glaube, ich muss jetzt ganz schön schnell sein!" Kitsune warf sich herum und lief auf den Schacht zu, den sie mit Oren passiert hatte.

"Hey!", rief der große Techniker überrascht. "Bleib stehen!"

"Jetzt ist sie ganz durchgedreht! Oren, das geht auf dein Konto! Bleib hier, Mädchen!"

Tatsächlich blieb Kitsune stehen, und Oren konnte sie einholen. "Gut so. Beruhige dich erstmal, und wir reden noch mal in Ruhe über - WHOAAA!"

In einer einzigen fließenden Bewegung hatte Kitsune den Arm des Hünen ergriffen und über ihre Schulter gehebelt. Ein Haltegriff bei ausgestrecktem Arm fixierte ihn am Boden.

"Ich glaube, Ihr solltet jetzt mal mir zuhören. Ich bin eine Dai."

Belta lachte nervös. "Die Existenz der Dais ist nur ein Märchen, Schatz. Ist ja schön wenn du glaubst, eines dieser phantastischen Wesen zu sein, aber Träumereien bleiben nun mal Träumereien."

Als Antwort verformte sie ihre linke Hand zu einem Schwert. Ein Streich mit dieser Klinge durchschlug das Geländer, als bestünde es nur aus Butter. "Ich bin eine Dai, und in diesem Moment ist mein Team dabei, um die Werften mithilfe der Reaktoren zu vernichten. Ich weiß, Ihr seid Götter und damit eigentlich meine Feinde, aber ich habe ein echtes Problem damit, einen Massenmord an vierzigtausend Göttern zu begehen!"

"Sechzigtausend. Zwanzigtausend leben in der Kolonie", sagte Belta mit stockender Stimme.

"Noch ein Grund, um die anderen aufzuhalten!" Sie ließ Orens Arm los und machte sich wieder auf den Weg.

"Warte!", rief Belta. "Was meinst du mit Göttern? Wir nennen uns selbst nicht so!"

Kitsune stockte. "Okay, jetzt haben wir ein Problem. Umso wichtiger ist es, dass ich die anderen aufhalte! Wir werden uns hier versammeln, und dann schauen wie es weiter geht."

"Warte! Da draußen kannst du keine fünf Kilometer weit funken! Willst du sie alle einzeln einholen?"

"Ich muss es wenigstens versuchen! Auch wenn es mein Leben kostet!" Das Argument von Belta hatte die Dai erschüttert. So weit hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Ihr blieb nur, etwas zu wagen, was sie normalerweise nie tun würde. Vor den Augen der Nagalevs verwandelte sie sich in die Fuchsgestalt. Genauer gesagt in vier Fuchsgestalten, die alle die gleiche Größe und die gleiche schwarzweiße paramilitärische Menschenkleidung trugen. Einer der Füchse trug eine Offiziersmütze, während die anderen drei mit Baretts ausgestattet waren.

"Also, Truppe, hergehört", ereiferte sich der Offiziers-Kitsune, "der Plan ist wie folgt. Ichi, du suchst Livess auf! Ni, du suchst Lertaka auf. Und du, San, holst Celeen ein! Ich gehe raus zu den anderen und informiere sie über diese unverhoffte Entwicklung!"

"Roger!" Die drei kleinen Füchse salutierten, bevor sie in Richtung Schacht davon sprangen.

"Aber", klang wieder Beltas Stimme auf.

"Nein, nein, es geht nicht anders", stellte die Offiziers-Kitsune fest. "Wir haben keine andere Möglichkeit als diese, um meine Kameraden rechtzeitig daran zu hindern, die Reaktoren zu sprengen."

"Das mag schon sein, aber warum fragst du nicht, welche Möglichkeiten wir haben?", fragte Oren, während er sich langsam aufrichtete. "Eine Dai. Eine waschechte Dai. Sachen gibt es auf der Welt."

"Möglichkeiten?", fragte Kitsune.

"Es gibt ein Lautsprecher-System. Es stammt aus der Zeit, als diese Werft noch den Nagalev gehört hat. Die Maschinen interessieren sich nicht für Schall, also dirigieren wir mit dem System unsere Außentrupps, wenn wir draußen irgend etwas zu erledigen haben. Du kannst es gerne benutzen."

"Sag das doch gleich!", rief Kitsune, halb entrüstet, halb erleichtert. Da kehrte auch schon der erste Kitsune zurück, und kletterte dem Offizier auf den Kopf. Die anderen beiden folgten relativ schnell darauf, und vor den Augen der Nagalevs verschmolzen die vier Mini-Kitsunes wieder zu der jungen Frau im Schutzanzug. "Bringt mich zur nächsten Zugriffsmöglichkeit! Schnell!"

"Hier entlang, Dai!", sagte Belta und lief voran.

***

Lertaka hatte den Zentralkern des Computersystems fast erreicht. Er hoffte, dass seine Kameraden effizient agieren würden - aber nicht zu effizient, damit sie alle die Chance erhielten, diese Sache lebend zu überstehen. Nicht, dass er auch nur eine Sekunde gezögert hätte, wenn die Vernichtung dieses gigantischen Werftbetriebs seinen Tod erfordert hätte. Aber hypopthetische Fälle blieben am Besten im Hypothetischen, und sollten gar nicht erst wagen, Realität zu werden.

Während er das Fahrzeug wechselte, um noch tiefer vorstoßen zu können, strich die Linke wie beruhigend über den Neuroschocker an seiner Hüfte, mit der er der künstlichen Intelligenz die künstlichen Gehirnzellen wegrösten würde. Und dachte im gleichen Moment an Kitsune und ihren Erkundungsvorstoß. Die Dai von der Erde hatte auf ihn nicht den Eindruck gemacht, auch bei größeren Schwierigkeiten aufgeben zu wollen. Im Gegenteil, sie war eine von den Personen, die selbst dann nicht aufgaben, wenn sie mit dem Rücken zur Wand standen. Lertaka hatte es im Gefühl, Kitsune würde sie alle noch so richtig überraschen.
 

"Test, Test, Test. Ist das Ding an? Was? Ah, gut. Dann wollen wir doch mal."

Erschrocken verharrte Lertaka an seinem Platz und wagte nicht, sich zu bewegen. Das war eindeutig Kitsunes Stimme gewesen. Aber warum hatte es sich so angehört, als wäre sie von allen Seiten zugleich gekommen?

"Guten Tag, und herzlich willkommen bei eurem Lieblingsradiosender Kitsune Neunundachtzig Punkt Null. Auch heute führt euch eure Lieblingsmoderatorin Dai-Kitsune-sama durch die Welt der Wunder und der Entdeckungen. Ihr neuester Fund, so unglaublich es klingen mag, sind sechzigtausend zum Teil in Kryostase versetzte Daima im isolierten Bereich, den sie untersuchen wollte. Lertaka, du weißt wovon ich rede. Deshalb senden wir heute statt unseres geplanten Programms "Wie zerstöre ich diese Riesenwerft von innen" eine Sondersendung mit dem Thema "Wir sammeln uns in der Strahlungsfreien Enklave und überlegen dringend, wie wir die sechzigtausend Menschen hier raus kriegen - und jagen den Laden danach in die Luft. Eure Dai-Kitsune-sama erwartet euch im isolierten Bereich. Celeen, Litess, fragt einfach Lertaka, wo das ist. Also, bis gleich."

Nur langsam wollten Lertakas stockenden Gedanken wieder fließen. Nur langsam wollte er begreifen, was er gerade gehört hatte. Nur langsam verstand er überhaupt die Konsequenzen. Er sprang vom Vehikel, das ihn tiefer in den Komplex hatte bringen sollen, und sicherte sich einen Platz auf einem Fahrzeug in Gegenrichtung. Sechzigtausend Daima. Beinahe hätte sich das Team von verschiedenen Welten ohne es auch nur zu ahnen an diesen Unschuldigen versündigt. Und, fragte er sich selbst mit Entsetzen, würden sie es vielleicht auch noch tun, wenn die Zerstörung der Werft eine höhere Gewichtung bekam als die bedrohten Leben im isolierten Bereich? Im Krieg gegen die Götter waren die sechzigtausend Daima vielleicht schon vertretbare Opfer.
 

3.

"Also, ich muss ehrlich gestehen, Akira, du beeindruckst mich immer wieder aufs Neue", gestand Mother, aber ihre herunter gezogenen Mundwinkel sprachen eine andere Sprache.

"Beeindrucken auf negative Art?", riet ich.

"Halb und halb", gestand sie. "Auf jeden Fall wird mir mehr und mehr klar, was für einen Satansbraten ich mir da in mein Rechnernetzwerk geholt habe, als du auf Anordnung der Legaten in einem meiner Supercomputer vernetzt wurdest." Sie deutete auf die achtzehn Steuerhologramme, die ich rund um mich aufgebaut hatte. "Achtzehn Felder, Akira. Achtzehn. Alle versorgen dich permanent mit Informationen... Und du bewältigst das auch noch." Sie seufzte gespielt. "Schade, dass der Core nicht dich zum ersten Legaten berufen hat. Du würdest mittlerweile über ein mehrere Systeme umspannendes Reich herrschen." Sie legte den Kopf schräg, wie als wenn sie über etwas nachdenken würde. "Ach, vergiss das wieder. Du herrscht ja über ein mehrere Systeme umspannendes Reich."

"Sehr komisch", murrte ich und fuhr die Manöverholos wieder runter.

"Wir gehen wieder auf Normalbetrieb, Arhtur", wies ich den Bordrechner an.

"Sehr wohl, Sir." Nun entstanden die üblichen Navigationsprogramme. Die wurden zwar nicht gebraucht, solange die ADAMAS neben der AURORA und den anderen Begleitschiffen durch den Wurmlochkorridor ins nächste System flog, aber ich hatte mir fest vorgenommen, mir eine Routine zu erarbeiten.

"Dennoch, das beeindruckt sein bleibt. Für einen ersten Versuch, diesen Giganten in eine Schlacht zu lenken und wieder heil raus zu bringen, war das eine beeindruckende Leistung. Du wärst ein guter Kapitän geworden, Akira."

"Ach." Ich winkte ab. "Ich bin Mecha-Pilot. Ich liebe es, Mecha-Pilot zu sein. Ich steuere die ADAMAS nur, weil ich es muss. Nichts gegen dich, Arhtur."

"Verstehe, Sir. Aber vergessen Sie nicht, dass Prime Lightning jederzeit für Sie auf dem Katapult bereit steht. Sie können jederzeit mit ihm in den Einsatz gehen." Die Kunststimme räusperte sich vernehmlich. "Viele Reyan Maxus waren exzellente Mecha-Piloten."

"Und wer steuert dich dann, du Genie?", fuhr ich den Bordrechner an.

"Bis zu einem sehr hohen Grad bin ich selbstständig", erwiderte Arhtur in mahnendem Ton "Sonst könnten Sie es sich gar nicht erlauben, die Hybris zu genießen, die ADAMAS alleine zu steuern, Sir."

Ich grinste schief. Entwaffnende Logik. "Schon gut. Habe es verstanden. Du sagst also, ich kann mich hier jederzeit ausklinken und mit Prime Lightning kämpfen gehen."

"Wenn es die Situation erfordert. Es könnte aber auch Situationen geben, in denen Ihre Anwesenheit hier auf der ADAMAS zwingender ist. Viele Systeme können nur durch die schiere Kraft eines Reyan Oren oder Maxus aktiviert werden. Darunter sind einige meiner mächtigsten Waffen, Sir."

"Und vergessen wir nicht die Verbesserung der Ortung", warf Mother ein. "Entschuldige, Arhtur, aber ich war etwas neugierig. Ein Supercomputer nach kronosianischem Vorbild könnte deine Leistung enorm steigern."

"Danke", erwiderte der Bordcomputer mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme, "aber ich habe lieber nur ein Gehirn, das für mich denkt. Aber Sie haben Recht, Ma'am, dass ein Reyan Maxus meine Ortung stark verfeinert. Auch wieder nur durch seine schiere Kraft. Ich... Oh, das ist interessant."

"Was ist interessant?", fragte ich. War es normal, das ein lichtschnell arbeitender Computer beim Sprechen eine Pause machte? Bisher hatte Arhtur nie zu Theatralik geneigt, also machte mir das ein klein wenig Sorgen.

"Das Wurmloch scheint nicht vollkommen stabil zu sein, Sir. Wie es aussieht passieren wir in wenigen Minuten eine Passage, die... Nun, Risse zeigt."

"Risse?"

"Risse, Sprünge, Narben, ich versuche mich da Ihrem Wortschatz anzupassen, Sir."

"Risse?", wiederholte ich ungläubig. Meine Erfahrungen mit Wurmlöchern waren begrenzt. Ich nutzte sie zum Reisen. Im Prinzip gestalteten sie sich so: Am Rande eines Systems wurde das Wurmloch erzeugt, das die Raumzeit für mein Schiff krümmte, und somit das andere System, in das ich springen wollte, rapide zu mir heran holte. Anschließend musste ich das Wurmloch nur noch passieren, und ich hatte in zwei Wochen geschafft, wofür ich eigentlich siebzehn Jahre bei Lichtgeschwindigkeit benötigt hätte. Wir bewegten uns also defacto durch einen Raum, der keiner war, der nicht wirklich existierte, und der sich seinen Platz selbst erzeugte. Wie konnte also so ein Wurmloch an der Wand, die gar nicht real war, Risse bekommen? Für meinen Job als gefährlichster Mecha-Pilot der Erde brauchte ich Physik nicht besonders häufig, wenn man von Ballistik einmal absah. Aber zumindest wusste ich, dass das Wurmloch ein in sich gekrümmter Raum war, quasi eine Blase an der Oberfläche der Realität. Jeder einzelne Punkt des Wurmlochs, so eine gängige Theorie, war stets derselbe, nur aus einem anderen Zeitabschnitt heraus gerissen., sodass der Tunnel entstehen konnte, der eigentlich gar nicht möglich war.

"Jetzt sind es Löcher, Sir", meldete Arhtur trocken.

"Löcher?" Entgeistert sah ich Mother an.

Das Hologramm hob entschuldigend beide Hände. "Nicht mein Werk. Und ich habe absolut keine Ahnung, was hier passiert."

"Auch mein Archiv bietet keine Erklärung. Will sagen, so etwas ist mir in fünfzigtausend Jahren nicht passiert, und ich habe auch noch nie von einem ähnlichen Fall gehört."

"Danke, Arhtur. Wurde bereits Flottenalarm gegeben? Was immer das auch ist, es ist weder normal, noch ungefährlich."

Mother seufzte leise. "Du hast die äußerst unangenehme Eigenschaft, mit solchen Dingen Recht zu haben, Akira. Ich schau mal, ob ich helfen kann." Sie schloss die Augen, obwohl das für ein Hologramm so relevant war wie atmen, und klinkte sich augenscheinlich in Arhturs Datennetze ein.

"Löcher würde ich es nicht nennen", sagte sie unvermittelt. "Passage trifft es eher."

"Passage?" Ich hüstelte verlegen. "Hat uns ein zweites Wurmloch getroffen, oder was?"

Mother öffnete wieder die Augen und sah mich mit einem undefinierbaren Ausdruck an. "Ich glaube, du hast es gerade ganz unwissenschaftlich auf den Punkt gebracht, Akira. Uns hat ein zweites Wurmloch getroffen. Und wenn ich mir die pseudoexistentielle Größe des anderen Wurmlochs so anschaue, dann hat der Erzeuger des Wurmlochs eine geringere Masse als die AURORA und ihre Begleitschiffe. Vielleicht ein Grund dafür, dass unser Wurmloch nicht kollabiert ist und uns alle zerquetscht hat."

"Na Klasse. Heißt das, wir haben gerade ein anderes Schiff vernichtet, nur weil es unser Wurmloch getroffen hat?"

"Da ich absolut keine Erfahrungen in diesem Fall habe - keine Ahnung", sagte Arhtur.

"Und was ist mit Mutmaßungen, aufgebaut auf physikalischen Fakten?"

"Nun, ein Wurmloch entsteht, indem die Schwerkrafsenke eines Sonnensystems mit der Senke eines anderen Systems verbunden wird und dann einen Stauchungseffekt der Raumzeit auslöst. Da Wurmlöcher normalerweise vor dem Sprung erzeugt werden, können wir von zwei Dingen ausgehen. Erstens, das Schiff ist noch nicht in das Wurmloch eingetreten. Und zweitens, bis es auf unsere Höhe geflogen ist, haben die AURORA und ihre Begleitschiffe diese Stelle längst passiert."
 

Mein Blick ging auf das Hologramm, das computeraufbereitet die Situation darstellte. Deutlich sah ich das Loch in der Korridorwand. Es war groß, hatte aber nicht einmal ein hundertstel unseres Korridordurchmessers. Soweit man bei computeraufbereiteten Hologrammen von akkuraten Daten sprechen konnte. Diese Sachen waren stets aufgearbeitet, in meinem Fall für einen Laien, damit er schneller verstand. Aber immerhin, der Fakt das das andere Wurmloch kleiner war stand fest.

"Ich sehe kein zweites Loch auf der anderen Seite unseres Korridors." Hilfesuchend sah ich Mother an. "Müsste da nicht einer sein? Ich meine, was hat das unbekannte Schiff anvisiert, wenn nicht die Schwerkraftsenke eines fernen Sterns?"

"Diese Schwerkraftsenke vielleicht?", witzelte sie.

"Dann hätten wir es mit einem Angriff zu tun. Einem gezielten Angriff. Einen Angriff, der ins Leere geht, weil wir längst aus dem Sprung raus sind, bis aus diesem Wurmloch irgend etwas kommt", murmelte ich nachdenklich. "Selbst Waffenfeuer und Torpedos können uns nicht treffen. Im Gegenteil, sobald wir die Stelle passiert haben und unser Ziel erreichen, fällt dieses Wurmloch wieder in sich zusammen. Was dann mit diesem hier passiert, steht in den Sternen." Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. "Aber wenn das hier ein Angriff ist, dann verspricht sich der Angreifer irgend etwas davon. Einen Vorteil. Nehmen wir an, wir haben es mit einem Strafer zu tun, oder einem Vernichter. Oder einem Erkunder. Warum sollten uns diese Schiffe hinterher schleichen wollen, wenn sie doch genau wussten, wo unser Korridor zu finden, zu treffen ist, anstatt uns einfach am Zielpunkt zu erwarten?"

"Vielleicht weil sie es nicht vor uns zum Zielpunkt schaffen?" Mother begann auf und ab zu schreiten. "Vielleicht weil... Weil... Autsch."

"Autsch?", fragte ich argwöhnisch.

"Autsch. Du erinnerst dich an Andea Twin? Die AURORA flog durch ein Doppelsternensystem, während eine kosmische Katastrophe geschah. Der Gasplanet Legrange stürzte teilweise in beide Sonnen, die daraufhin dessen Materie hochionisiert als Schlockwelle wieder abstießen. Diese Schockwelle, die Ähnlichkeit mit der einer Supernova hatte, drohte die AURORA zu vernichten. Sie folgte dem Schiff sogar in das eilig erzeugte Wurmloch, und trieb es über das eigentliche Ziel hinaus, bis nach Kanto."
 

Man konnte nicht sagen, dass ich ein besonders guter Wissenschaftler geworden wäre. Man konnte von mir aber auch nicht behaupten, dass ich ein Idiot oder Dummkopf wäre. Ich hatte immer beste Noten gehabt, besaß eine schnelle Auffassungsgabe, kannte mich auf vielen Bereichen gut aus, und hatte neben der Schule die Zeit gefunden, die Welt zu retten. Okay, ich hatte meinen Hochschulabschluss noch immer nicht gemacht, aber das lag nicht unbedingt nur an mir. Doch das nur am Rande. Zusammengefasst: Ich verstand sehr gut, dass die Kacke gerade richtig am Dampfen war. Und ich stellte mir eine interessante Frage: Konnte ich ein Wurmloch kollabieren lassen?

"Verbindung zu Sakura", sagte ich ernst. "Arhtur, wir fliegen das fremde Wurmloch an."

"Verstanden, Commander."
 

Die Holoverbindung stand sofort. Meine Cousine sah mich ernst an. Sehr ernst. Sehr, sehr, sehr ernst. Im Gegensatz zu mir hatte sie ihren Hochschulabschluss. Und sie hatte diverse Studiengänge in der Tasche, die ich teilweise nicht einmal aussprechen konnte. Dazu kam das umfangreiche Wissen der Naguad, über das sie im Gegensatz zu Yohko und mir unterrichtet worden war. Mit anderen Worten: Der bildhübsche Blondschopf war verdammt smart unter dem Pony.

"Akira, ich...", begann sie, aber ich machte eine abwehrende Handbewegung.

"Schon klar. Feindlicher Angriff, ein Schiff katapultiert sich durch das Wurmloch wie ein Sektkorken auf Druck. Ich nehme die ADAMAS und sorge dafür, das alles, was nach dieser Radikalkur übrig bleibt, der Flotte nicht gefährlich werden kann."

Für einen Augenblick war Sakura nicht einfach nur überrascht, sie war maßlos erstaunt. "Äh, Kei hat sich nicht zufällig zu dir an Bord geschlichen? Oder Takashi?"

"Was?", fragte ich ehrlich verletzt. "Traust du mir nicht zu, auf so eine simple Sache alleine zu kommen?"

Sie lächelte mich an. Herzlich. Strahlend. Falsch. "Nein, Akira. Das traue ich dir nicht zu."

Also, das verletzte mich schwer. "Sakura-chan, das trifft mich jetzt schwer."

"Sag schon, wer hat dir geholfen?"

"Mother ist hier. Und Arhtur hat auch seinen Teil geleistet", sagte ich gedehnt. "Aber ich habe aus vielen Fakten ganz alleine die richtigen Schlüsse gezogen."

"Ja, sicher, das hast du. Mother ist bei dir? Weiß sie schon, dass wir Verbündete sind?"

"Augenscheinlich ja."

"Na, ich weiß nicht." Sie blies eine vorwitzige Haarsträhne weg, dir ihr vor dem Gesicht baumelte. "Eigentlich wollte ich dir gerade sagen, dass du die ADAMAS aus dem Weg halten sollst, damit wir mit allen drei Hämmern des Hephaistos hinein ballern können."

"Aber das bringt nichts, richtig?", sagte ich nachdenklich. "Wenn wir hier wirklich von den Göttern angegriffen werden, dann haben wir keine Ahnung, wie viele Schiffe an dieser Aktion beteiligt sind. Wie viele Wurmlöcher in diesem Moment versuchen, unseres zu treffen. Und wie viele Versuche sie noch unternehmen werden. Das bedeutet, dass wir unsere stärksten Waffen nicht alle auf einen Schlag abfeuern können, weil sie Nachladezeit haben. Allerdings scheinst du zu vermuten, ein einziger Hammer könnte zu wenig sein."

"Ich vermute hier gar nichts, Akira", murrte sie. "Aber bedenke bitte, wenn sie ein Schiff wie einen Sektkorken durch das Wurmloch jagen, gibt es vielleicht kein System mehr, von dem aus sie agieren. Sprich, auch erst mal keine weiteren Angriffe."

"Oder sie haben einen wesentlich ökonomischeren Weg gefunden, als ihre Schiffe mit einer explodierenden Sonne zu beschleunigen", erwiderte ich. "Fakt ist, dass ich wesentlich schneller wieder einsatzbereit bin als die Hämmer. Fakt ist auch, das ich anders reagieren kann als die AURORA. Fakt ist auch, dass ich hier der Reyan Maxus bin. Ich habe Kontrolle über Materie, Sakura. Ich löse sie nicht nur auf, ich manipuliere sie."

"Das ist noch nicht gesichert, Akira", sagte sie tadelnd. "Also gut, du deckst das Wurmloch, während die Flotte es passiert. Was danach geschieht ist uns egal. Wir sind dann schon so gut wie weg, falls noch irgendwelche Schiffe eintreffen. Und sobald wir das Wurmloch auflösen, haben wir sehr viele Probleme weniger." Sie räusperte sich. "Es kann aber auch immer noch ein Zufall sein. Dann wäre Feingefühl nicht verkehrt, Akira."

"Ich will sehen, was ich tun kann. Ich hatte weder einen guten Tag, noch eine besonders gute Woche. Und diese Naguad-Droge steckt mir heute wirklich in den Knochen, weißt du?"

"Akira...", tadelte sie leise.

Ich musste lächeln. "Ich werde der Situation entsprechend angemessen handeln. Ich hoffe, du besetzt die Messstationen doppelt und dreifach. Es wird das erste Mal sein, dass Menschen beobachten können, wie ein Reyan Maxus ein Kommandoschiff einsetzt. Ich werde sicher einiges falsch oder schlecht machen, deshalb sind alle Erfahrungswerte wichtig."

"Etwas in der Art hatte ich vor, ja." Sie legte beide Hände aneinander. "Also gut, Akira, dann geh mal wieder was retten. In diesem Fall die AURORA." Sie lächelte auf ihre eigene, unnachahmliche Art und deaktivierte die Verbindung.

"Okay, jetzt habe ich Angst", gestand ich.

"Angst? Warum?", fragte Mother erstaunt.

"Sakura hat mich nicht dafür getadelt, dass ich glaube, diese Situation wie ein Simulatortraining zu überleben. Normalerweise hätte sie mich zusammen gefaltet, alleine um mich mehr auf meine Aufgabe zu fokussieren. Wenn sie die Situation aber so gefährlich einschätzt, dass sie sogar bereit ist, mich zu opfern, sollte ich selbst fokussiert sein. Sehr fokussiert."

"Du übersiehst das Naheliegendste. Abgesehen davon, dass Sakura lieber selber sterben würde, als ausgerechnet dein Leben zu riskieren, Aris Arogad."

"Und was ist das Naheliegendste?", fragte ich irritiert. Mother hatte meinen Naguad-Namen verwendet, was mich wieder daran erinnerte, dass Sakura mein Bluthund war, meine Aufpasserin, meine Beschützerin.

"Dass sie dir zutraut, mit der Situation fertig zu werden. Wie immer, eigentlich."

"Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt", murrte ich.

"Aber es motiviert dich?", hakte sie nach.

"Etwas schon", sagte ich leise. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. So war die Welt in Ordnung. Sie war bedroht, ich beschützte sie. Der natürliche Lauf der Dinge war wieder gerade gerückt. Wenigstens für den Moment.

***

Haru Mizuhara genoss die Minuten vor dem Einsatz, kurz bevor sie den Helm aufsetzte, kurz bevor sie in ihr Cockpit kletterte, kurz bevor sie sich anschnallte, um mit ihrem Eagle in den Kampf zu ziehen. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Manche sagten, dass sie in dieser Zeit am Nervösesten waren, dass sie Lampenfieber hatten. Bei Haru war davon nichts zu spüren. Sie fühlte sich herrlich ruhig und leer. Alle unnützen Gedanken verließen sie, und ihr Verstand wurde scharf und klar, einzig auf ihr Ziel fokussiert. Sie liebte dieses Gefühl, beinahe noch mehr als ihre KI-Fähigkeiten, die sie sich antrainiert hatte. Ein dünnes Lächeln huschte über die Lippen von Takashis kleiner Schwester. Diese Fähigkeiten hatte sie eigentlich geschaffen und poliert, um gegen die Dämonen zu kämpfen - falls sie sich als Gefahr für Akira Otomo erweisen würden. Augenscheinlich taten sie das nicht, denn sie würde nun mit Philip, Luc, Sven und John an ihrer Seite in die Schlacht ziehen. Zu diesem Zweck war ihr ein Eagle überlassen worden, ein chinesischer von der XIANG, dessen Pilot und Bordschütze im Lazarett lagen. Er hatte notdürftig repariert werden können, und einen Kampf in der Atmosphäre riskierte sie ohne Weiteres damit. Einen Orbitalkampf eher nicht.

"Haru?"

Sie wandte sich der angenehmen Tenorstimme zu, die sie gerufen hatte. "John. Keine Sorge, ich bin voll konzentriert."

John Takei sah die junge Frau ernst an, bevor er an seiner Augenklappe nestelte und sie abzog. Das rechte Auge darunter schien nicht nur auf den ersten Blick gesund zu sein, und eine Art Linse auf der Innenseite der Augenklappe schien dafür gesorgt zu haben, dass der Pilot nicht wirklich nur mit einem Auge hatte kämpfen müssen. "Ich muss dir etwas gestehen. Dir und den anderen. Wir erwarten in der nächsten halben Stunde mein Regiment, die Titanen. Dann werde ich euch drei bitten, euch einzugliedern, und mit uns Seite an Seite zu kämpfen. Ich weiß, das kommt etwas plötzlich, aber ich bin nicht wirklich..."

"Ich weiß, Thomas." Haru stieß sich vom Geländer ab, angelte nach ihrem Helm und sah ihn mit einem dünnen Lächeln an. "Oder sollte ich besser Lieutenant Colonel sagen, Sir?" Sie streckte sich ein wenig. "Als du zu uns geschickt wurdest, anstelle von John Takei, da dachte ich schon, wir wären aufgeflogen. Aber du machtest keinerlei Anstalten, um unsere kleine Verschwörung auszuheben. Stattdessen hast du uns trainiert. Ich wurde da nicht schlau draus, aber da wir alle viel über Mecha-Beherrschung und Taktik gelernt haben, habe ich es laufen lassen, ohne deine Maskerade zu verraten."

"Oh. Das kommt etwas überraschend", gestand Thomas. "Nicht nur etwas. Ich meine... Es kommt sehr überraschend. Du kennst John Takei?"

"So kann man das nicht sagen. Aber ich weiß, dass John Takei kein Europäer ist, so wie du, Thomas. Du konntest es nicht sein. Außerdem wurde mir zugetragen, dass er KI-Meister ist, und ehrlich gesagt hast du von KI-Beherrschung so viel Ahnung wie eine Kuh vom Fliegen."

"Autsch. Das tut weh. Ein klein wenig beherrsche ich es doch", beschwerte sich Thomas. "Zu einer KI-Rüstung reicht es nicht, aber zu ein wenig Selbstheilung. Akira hat mir das mal gezeigt."

"Akira." Haru seufzte leise. "Weißt du eigentlich, wie sehr ich ihn gehasst habe, die letzten Jahre? Ich hatte in der ganzen Zeit immer das Gefühl, er hätte mir meine Brüder weg genommen. Zuerst Takeru, der heute einen Zerstörer kommandiert, dann Takashi, der ein Bataillon der Hekatoncheiren leitet. Beide sind sie zur UEMF gegangen, haben mich zurückgelassen. Sicher, ich kam gut alleine zurecht, aber ich wollte nie allein sein. Ich habe Akira Otomo so viel Schuld zugeschoben, wie ich nur konnte. Ich habe begonnen, KI-Fähigkeiten zu entwickeln, um es eines Tages mit ihm aufnehmen zu können, um mich dafür zu rächen, dass er mir meine Brüder abspenstig gemacht hat." Sie öffnete und schloss die Hände. "Ganz verziehen habe ich ihm das noch immer nicht. Aber ehrlich gesagt verstand ich nach und nach, was er hatte leisten müssen, was er hatte ertragen müssen, und bei diesem Leben hat er keine zusätzliche Strafe mehr nötig, finde ich." Sie lächelte flüchtig. "Ich bin noch immer fest entschlossen, von ihm eine Antwort zu erhalten, eine ehrliche Antwort, wie er es schaffen konnte, mir Takashi-oniichan wegzunehmen, aber ich glaube ich kenne die Antwort schon irgendwie. Ich mag ihn immer noch nicht, Thomas. Aber ich respektiere ihn. Das ist doch schon mal was. Und wenn meine Brüder eines Tages zurückkommen, dann kann ich vielleicht auch diese kindische Verärgerung ein für allemal beiseite schieben. Die AURORA ist doch auf dem Weg zur Erde, oder?"

"Ja, das ist sie. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie im Sonnensystem eintrifft. An uns liegt es dafür zu sorgen, dass sie dann auch noch eine Erde vorfindet."

Haru ließ einen amüsierten Laut hören. "Ja, das ist es: Pflicht. Pflicht treibt Akira an, Pflicht treibt meine Brüder an. Und nun treibt sie mich an. Ja, wir akzeptieren."

"Akzeptieren?" Der Deutsche hob fragend die Augenbrauen.

"Dein Angebot, uns in die Titanen einzufügen. Das ist ein großes Kompliment für uns."

"Ach, das meinst du. Mich freut das auch. Ihr habt das Zeug dazu, eines Tages in der Elite zu dienen. Falls Ihr nach all den Kämpfen nicht doch lieber Zivilisten bleiben wollt." Er trat ans Geländer der AO und sah hinab. Die Götter, die aus ihrem Kryoschlaf erwacht waren und sich nun zum abgestürzten Götterschiff durchkämpften, mussten gestoppt werden. Und bald würde die UEMF dazu die Gelegenheit erhalten. Ihre Mechas waren Teil dieser Mission, eines hastig aufgestellten Plans, der sehr vom Herz der Soldaten lebte, die ihn ausführen würden. Thomas seufzte leise. Eigentlich hasste er Krieg. Aber ein Mecha, das von ihm hoch verehrte Kunstwerk, war leider nun mal eine Kampfmaschine, kein Sportgerät.

"Ich glaube, es ist ganz gut, dass ich gegangen bin, als jemand gesucht wurde, der John Takei ähnlich sieht", murmelte er leise. "Der echte John Takei war nämlich nur eine Tarnbezeichnung."

"Eine Tarnbezeichnung?" Haru riss die Augen unnatürlich groß auf. "Was? Aber... Was? Ach komm, du willst mir hier doch nicht etwa weismachen, dass... Akira?"

Thomas nickte und lachte dazu. "Akira. Unser Akira Otomo."

Ärgerlich verdrehte sie die Augen. "Wie viele Klischees will er denn noch bedienen?"

"Oh, ich hoffe, noch sehr viele. Denn ein Universum ohne ihn stelle ich mir schrecklich langweilig vor", sagte der Deutsche grinsend. "Gehen wir. Unser Einsatz steht kurz bevor."

An den Mechas standen bereits die anderen drei ihrer Gruppe. Sie winkten herüber und wirkten hoch motiviert.

"Hat Philip dir eigentlich noch gesagt, was er dir im zerstörten Eagle hatte sagen wollen, bevor Dai-Kuzo-sama euch gerettet hat?", fragte Thomas in einem beiläufigen Ton.

"B-bisher noch nicht." Sie drehte ihr Gesicht von Thomas weg, damit er die auffallende Röte nicht sehen konnte, die ihr in die Wangen geschossen war.

"Das ist so typisch. Da legt er sich mit Göttern an, aber er bringt es nicht fertig, ein zweites Mal die Motivation dafür aufzubringen, um... Ein paar Dinge auszusprechen."

"Dinge?", fragte Haru.

"Dinge. Du wirst schon früh genug herausfinden, was das für Dinge sind."

"Danke, das hilft mir jetzt auch nicht weiter", erwiderte sie trocken.

"Ich bin Mecha-Pilot, Haru. Fürs Weiterhelfen sind andere zuständig."

Sie blieb stehen und sah den Deutschen an. "Dir macht es Spaß, so um den heißen Brei herum zu lavieren, obwohl wir beide wissen, worum es geht, oder?"

"Ja, es macht Spaß. Und ich frage mich, wie lange du und Philip sich noch winden werden, bevor es endlich mal einer ausspricht." Er lächelte ansatzweise. "Ich war auch schon verliebt, weißt du?"

Nun stieg ihr die Röte vollends in die Wangen. "T-thomas!"

Doch der Colonel der Titanen winkte nur lachend ab und ging weiter auf ihre Mechas auf dem Vorschiff der AO zu.

Haru eilte ihm nach. Verdammt, er hatte ja Recht, so Recht, aber das machte es nicht leichter. Nicht viel, zumindest.

***

Juichiro Tohra hatte seine Gruppe Tigerdämonen handverlesen. Er hatte nur die stärksten mitgenommen. Mit ihm genau zwanzig der mächtigen Krieger des Tigerclans, deren Oberhaupt er gewesen war, bevor die Opposition zu Kuzo zur offenen Rebellion geworden war. Dementsprechend war er auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden, als er zu den Tigern zurückgekehrt war; aber Marco, sein jüngerer Bruder, der den Tigerclan nun anführte und der offizielle Dai-Tora-sama, der König der Tigerdämonen, war, hatte ihm für diesen Kampf ohne ein weiteres Wort Platz an der Spitze gemacht. Das hieß nicht, dass er auch Platz an der Spitze des Clans gemacht hatte; es bedeutete nur, das er Juichiros Kraft richtig einschätzte und nutzen wollte. Der Ältere war ein herausragender Krieger und ein großartiger Anführer. Deshalb hatte er sich damals ja auch in der Rebellion Chancen ausgerechnet, Kuzo und ihre Doktrin der Heimlichkeit übertrumpfen zu können. Heute, gestand sich Juichiro ein, war er gescheitert, war seine Idee gescheitert. Und dennoch hatte er sich durchgesetzt, war die Heimlichkeit vorbei. Es freute ihn dennoch nicht besonders, denn die RASZHANZ drohte die ganze Welt zu vernichten, und das nur weil seine Wünsche in Erfüllung gegangen waren.

Juichiro war vielleicht Machtbesessen und dickköpfig, unbelehrbar und starrsinnig. Aber er war kein vollkommener Narr, weshalb er erst dem Bündnis mit Michael Fioran zugestimmt hatte, und nun seine ganze Erfahrung in den Dienst der Dai stellte.
 

Eigentlich war dies ein besseres Selbstmordkommando. Sie versuchten, die RASZHANZ zu kapern und die Brücke zu erobern, bevor die Götter aus der Kryo-Anlage unter dem Bergsattel eingreifen konnten. Ein Coup d'Etat, gewissermaßen, der für die zwanzig Krieger des Tiger-Clans bitter ins Auge gehen konnte. Wenn etwas schief ging - und es konnte eine ganze Menge schief gehen - dann war das die Gefangenschaft für sie, wahrscheinlicher aber der Tod. Allerdings hatte Juichiro keine Angst vor dem Tod. Er war bereits einmal gestorben, auf dem Mars, und er hatte die Kraft gefunden, wieder zu entstehen. Eine Eigenschaft, die ein Dai nach drei bis vier Jahrzehntausenden irgendwann einmal entwickelte. Falls er des Lebens nicht überdrüssig wurde, und sein KI dem Kreislauf des Lebens zurückgab. Aber das stand auf einem anderen Blatt. Er war sich bewusst, dass die Krieger, die ihn begleiteten, ihre Leben riskierten, er war sich bewusst, das ihre Leben in seiner Hand waren. Und er hatte weder vor, leichtfertig damit umzugehen, noch übertrieben vorsichtig zu sein. Letztendlich war dies eine verzweifelte Mission, und er war der einzige Dämonenkönig eines Kriegerclans, der gerade zur Verfügung stand, solange Kitsune mit ihrem internationalen Auftrag irgendwo im Weltall gebunden war. Ausgerechnet Kitsune, diese Luftbirne. Dieses halbe Kind. Zugegeben, nach ihm sicherlich die beste Kriegerin dieser Generation Dais, und mit Sicherheit auch zu Recht Königin der Füchse. Aber halt noch sehr jung und sehr verspielt. Andererseits hatte er für die Mission nicht zur Verfügung gestanden, war damals noch ein Feind gewesen. Also hatte er keinen Grund, sich zu beschweren. Zumindest kein Recht.
 

Juichiro schob diese Gedanken beiseite, als sie die furchtbare Wunde der RASZHANZ erreichten, welche die Chinesen ihr geschlagen hatten. Über sie würden die Tiger eindringen, das Schiff infiltrieren, die Götter niederkämpfen, die Brücke erobern. Und hoffentlich schnell genug dort sein, um zu verhindern, dass die Erde in viele, viele kleine Erden zerrissen wurde.

Drei der Mega-Mechas bewachten die Bresche in der Schiffshülle, aber Götter waren nirgends zu sehen. Das war ein gutes Vorzeichen, denn der Tiger-Clan hatte eine Fertigkeit, die ihn von anderen Dai unterschied: Sie konnten schleichen. Schleichen auf eine Art, die Maschinen ignorierten. Ein großer Teil des Erfolges Juichiro Toras in diesen Tagen beruhte darauf, dass er sich selbst aus Überwachungskameras ausblenden konnte, für Roboter unsichtbar werden konnte. Alle neunzehn Krieger beherrschten diese Fähigkeit ebenfalls. Nun gab es nur noch zwei Fragen. Erstens, würden sie auf Fallen treffen, die sie nicht rechtzeitig entdecken konnten und die Alarm auslösen würden? Zweitens, wie weit würden sie es ins Schiff schaffen, bevor sie den Kampf aufnehmen mussten? Es wäre doch sehr blauäugig gewesen zu glauben, dass sie auf die Brücke hätten stürmen können, ohne zuvor entdeckt worden zu sein.

Der ehemalige Herr der Tiger ließ die Truppe halten, dann verwandelte er seinen Körper in den eines weißen Tigers. Übergangslos begannen seine Konturen zu verschwimmen, sein Leib flimmerte, er verschwand vor den Augen der Tiger-Krieger.

Die anderen folgten seinem Beispiel. Einer nach dem anderen verschwand für das bloße Augen. Mit Juichiro an der Spitze schlichen sie auf die Bresche zu.
 

Plötzlich war Marco an seiner Seite. "Du hast einen Sohn mit einer Menschenfrau", sagte sein jüngerer Bruder gerade laut genug, damit Juichiro ihn hören konnte. Und das in dieser Situation. Andererseits war in keiner anderen Situation zu erwarten, das sie ungestört sprechen konnten.

"Michi, ja."

"Ich will ihn kennen lernen, wenn wir das hier überleben. Ein halber Dai ist immer eine interessante Person."

"Das wirst du", sagte Juichiro in einem Tonfall, der klar machte, das er nicht mit seinem Tod - oder dem seines Bruders - rechnete.

Marco schnaubte leise und zufrieden, ließ sich wieder ein Stück zurückfallen.

Juichiro war irritiert. Bedeutete dies vielleicht die offizielle Aufnahme seines Sohns in die Kriegerkaste der Dai, in die Kriegerreihen der Tiger? Was für eine interessante Entwicklung. Die würde er zu gerne mit eigenen Augen sehen. Noch ein Grund mehr, dieses riesige Mistding zu erobern und die Sprengung der Erde aufzuhalten.
 

Sie gelangten zum Riss. Er war tatsächlich mit gut getarnten Sprengfallen gesichert, die allerdings auf Druck oder auf die Unterbrechung einer unsichtbaren Lasersperre ausgelöst wurden; Dinge die einen schleichenden Tiger nicht weiter interessierten. Sie passierten die Bresche, ohne eine der Fallen auszulösen. Dann kamen sie an das erste geschlossene Schott, das automatisch gesperrt worden war, als diese Sektion des Schiffes zum Teufel gegangen war.

Die zwanzig Tiger sammelten sich, und Tora nickte ergeben. Sie mussten hier durch; Zeit ging hier vor Schnelligkeit, vor Heimlichkeit. Er gab Juri und Terence das Zeichen, dieses Schott zu durchbrechen. Die jungen Krieger nickten wild. Sie konzentrierten ihr KI, ließen es ihre Tigerkörper umspülen. Dann sprinteten sie los und rammten das geschlossene Schott.

Der erste Sprung beulte das Schott Schiffsinwärts ein. Der zweite brach es halb aus der Fassung. Der dritte Sprung durchbrach es ganz, und erlaubte es den Dai, den Schiffsweiten Alarm zu hören, den die Aktion der beiden Krieger ausgelöst hatte.

Juichiro kannte den Grundriss eines Verwüsters, kannte den Decksplan. Er hatte sich immer darauf vorbereitet, ein Kampfschiff der Götter von innen anzugreifen, wie es sich für, wie nannten die Menschen diese Krieger, Infanteristen gehörte. Und dieses Schiff entsprach den alten Plänen exakt. Es hatte auch nicht viele Gelegenheiten gehabt, nach dem Friedensschluss massiv umgebaut zu werden, in einer Zeit, in der die Dai ihre letzte Daimon frech vor der Nase der versenkten RASZHANZ versteckt hatten.

Die Orientierung war leicht für Tora. Er hetzte voran, und die Tiger folgten ihm. Sicherheitsschotts blockierten die Wege, doch auf die gleiche rabiate Weise, wie sie Juri und Terence bewiesen hatten, bahnten sie sich ihren Weg. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis sie in die ersten provisorische Abwehrstellung gerieten. Das war etwa achtzehn Sekunden nach der Zerstörung des zweiten Schotts, also gut eine Minute nach ihrer ersten Aktivität an Bord. Dementsprechend unorganisiert waren die Götter, und es war ein Leichtes, sie zu überrumpeln.

Als Damit seinen überrumpelten Gegner töten wollte, gebot Tora ihm mit einem Brüllen Einhalt. Ein lebender Gott war eine Geisel, ein toter Gott war nichts wert.

Sie fesselten ihre überwältigten Gegner, acht an der Zahl, mit aus ihrem KI erschaffenen Bändern, die so lange halten würden wie sie es wollten, oder so lange wie sie lebten, dann hetzten sie weiter dem Ziel entgegen: Der Zentrale der RASZHANZ.

Die nächste Konfrontation war härter, die Krieger besser. Ein Zeichen dafür, dass sie sich dem Herzen des Schiffes näherten. Tora musste drei verwundete Tiger zurücklassen, die dafür über achtzehn besiegte Götter wachten, die gefesselt und bewusstlos am Boden lagen.
 

Schließlich und endlich stand die letzte Barriere an: Das Schott zur Brücke. Es zu überwinden bedeutete in das geschlossene Abwehrfeuer der Brückencrew zu geraten; der erste Angreifer war so gut wie tot. Marco machte sich mit einem wilden Knurren bereit, doch Juichiro schob ihn vehement beiseite. "Sieh zu und lerne!", sagte er laut, konzentrierte sein KI. Er öffnete sein Maul, und ein rubinroter Energiestrahl raste auf das Schott zu. Die wuchtige Tür erglühte mattrot, wurde schnell gelb, dann weiß. Als Tora brüllte, fiel das weiß glühende Schott nach innen auf die Brücke hinein. Erstes, ungezieltes Abwehrfeuer schlug ihnen entgegen, aber das würde sie nicht aufhalten.

Diesmal ließ sich Marco nicht das Recht nehmen, als Erster zu gehen. Er sprang todesmutig durch das Abwehrfeuer, wurde in der Flanke getroffen, beinahe gegen den weiß glühenden Rahmen geschleudert, konnte sich aber abfangen und abstoßen. Dann war er drin, und die anderen Tiger folgten ihm ohne zu Zögern.

Tora war der zweite, der sprang, und er erkannte sein Ziel sofort. Während Marco sich um den Waffenoffizier kümmerte, war sein Angriffsziel der Kapitän. Er riss das Maul auf, um seine gewaltigen Zähne zu zeigen, seine schrecklichen Waffen, dann sprang er den Kapitän der RASZHANZ an, um ihn zu töten, bevor er die Sprengung des Planeten auszulösen.

Die Zeit wurde für Juichiro Tora so zähflüssig wie Sirup. Er konnte dabei zusehen, wie seine Pranken auf die verwundbaren Punkte des Körpers des Skippers zielten, der ungepanzerte Bauch, die Stelle unter der rechten Achsel, an der keine Knochen schützten und die, einmal zerschlagen, wichtige Adern zerstören würde. Die Kehle, die das Ziel seiner Zähne war, in die er sich verbeißen würde, die er zerreißen würde.

"Stop!", rief eine harte, befehlsgewohnte Stimme. Wie aus dem Nichts erschien eine Frauengestalt vor ihm, und Tora wandte seine KI-Energie auf, um abzubremsen. Dennoch schlug er gegen die warnend ausgestreckte rechte Hand der Frau, und fühlte sich, als wäre er im vollen Lauf ohne KI-Panzer gegen einen Eisenträger gelaufen.

Im Hintergrund der Brücke senkten über zwanzig Götter ihre Waffen, die auf Tora gezielt hatten. Die rund um ihn kämpfenden Tiger und Götter hielten mitten in ihrem Tun inne.

Die Frau, sie war keine andere als Helen Otomo, auch bekannt als Helen Arogad, Erbin der berühmten und berüchtigten Arogad-Dynastie. Juichiro hatte gewusst, das die junge Frau wie viele in ihrer Familie das KI beherrschte, aber er hatte nicht gewusst, dass sie ihn, ausgerechnet ihn, einen Krieger, stoppen konnte.

"Was willst du, Key?", herrschte der Kapitän die Frau an.

Richtig, sie war der Träger des Keys, des lebenden Friedensvertrages zwischen Dai und Göttern.

"Die Situation hat sich geändert", sagte Helen bestimmt. "Vritrives Acouterasal, deine Daten."

Die Erste Offizierin der RASZHANZ erschrak, als sie angesprochen wurde. Dann nickte sie. "Dies kam gerade herein. Ich hielt es erst für Propaganda, aber die sekundären Messungen bestätigen die Bilder." Auf dem Hauptschirm der Brücke erschien leerer Raum, aufgenommen von einer verdammt guten Kamera. Nun, ganz leer war er nicht. Einerseits verbarg sich hier die Daimon der Erde, und andererseits flogen sieben Vernichter und dreißig Strafer der Götter im gleichen Gebiet, immer wieder ihre mächtigen Waffen abfeuernd.

"Sie suchen uns?", argwöhnte der Kapitän.

"Sie vernichten uns, Rooter Kevoran", sagte Helen ernst. "Du hast die Erde nicht vernichtet, deshalb bist du nutzlos für sie geworden. Die Computer der Götter haben keinen Nutzen von Göttern, die nicht gehorchen, oder die wieder über sie herrschen könnten. Du und deine Leute, du und die Götter da draußen, ihr seid überflüssig."

"Die Computer... sind gegen uns?" Fassungslos griff sich Kevoran an den Kopf. "Key, bring dich selbst um."

"Tut mir Leid, aber das kann ich nicht machen", sagte Helen Arogad mit fester Stimme. "Oder besser gesagt, der Key kann es nicht machen. Ich habe ihn unterworfen. Kurz bevor ich die Bombe entschärft habe, die Lemur sprengen sollte."

"Ich habe es gewusst, im ersten Augenblick, als ich dir begegnet bin." Seine Rechte schoss vor, umklammerte ihre Kehle, hob sie vom Boden hoch.

Juichiro knurrte ärgerlich, wollte dazwischen gehen, aber dieser Schimmer von KI-Rüstung um ihre Kehle, und eine unauffällige Geste der Frau hielt ihn davon ab.

"Ich war bereit zu sterben, um diese Seuche der Dais ein für allemal auszulöschen! Ich war bereit mich zu opfern!", blaffte er.

"Aber was hast du getan, Rooter Kevoran? Du lebst immer noch, und es gibt die Erde immer noch. Für einen Roboter wie die Kinder der Götter bist du ein Versager. Oder nur ein weiteres Opfer. Denn das was du nicht geschafft hast, das werden sie tun. Mit ihren Strafern, mit ihren Vernichtern. Dann holen sie nach, was du nicht geschafft hast. Sie töten dich und die Götter aus der Kryo-Anlage." Helen machte eine Pause. "Von der die Kinder der Götter nichts wissen dürften. Immerhin wurde sie angelegt, damit dein Volk überleben kann. Oder wusstest du nicht, dass unter den drei Ebenen der Soldaten noch fünfzig weitere Ebenen existieren, in denen über einhunderttausend Zivilisten schlafen?"

"Du lügst!", rief Kevoran aufgebracht, warf die Arogad von sich.

Helen machte sich nicht einmal die Mühe, so zu tun als wäre sie der Kraft des Gottes ausgeliefert gewesen. Sie bremste ihren Flug mitten in der Luft ab und landete sanft wie eine Feder auf dem Boden. "Und das war nur einer der Ausweichpläne, den deine Kameraden getroffen hatten, um ihre Art überleben zu lassen. Meine Vorfahren, die Naguad, sind ebenfalls Götter, die evakuiert wurden, bevor die Maschinen die Macht übernehmen konnten. Was sie getan haben. Was dazu führte, dass sie die letzten lebenden Götter ausgelöscht haben. Bis auf euch. Bis auf die Götter in der Kryo-Einrichtung. Bis auf die Naguad."

"Leere Worte! Lügen!"

"Ich kann es beweisen"; sagte Helen mit fester Stimme. "Es wird dir nichts schaden, meine Beweise zu prüfen. Jetzt wo du ohnehin nicht mehr in der Lage bist, die Erde zu vernichten."

Kevoran sah die junge Frau mit einem Blick an, der irgendwo zwischen Hass, Wahnsinn und Respekt anzusiedeln war. "Ich könnte dich... Wann, Helen Arogad? Wann?"

"Oh, wir planen schon seit vier Jahrhunderten daran. Jeder Key-Träger vor mir hat ihn bereits manipuliert. Und ich als letzte Trägerin bin nicht mehr seinem Willen unterworfen. Im Gegenteil, ich nutze alle Fähigkeiten, über die er verfügt." Ihre Miene wurde freundlich, beinahe lächelte sie. "Ein Waffenstillstand, Rooter Kevoran. Solange die Vernichter noch nicht heraus gefunden haben, wie sie in diese Daimon durch dringen können, um sechs Milliarden Daina zu töten."

"Du bist ein sehr gefährliches Wesen, Helen Arogad", sagte der Kapitän der RASZHANZ mit Schaudern in der Stimme.

"Oh, du hast meine Kinder noch nicht kennen gelernt", erwiderte sie mit einer wölfischen Stimme.

"Deine Kinder?"

"Oh ja", sagte Juichiro Tora und schüttelte sich. Langsam verwandelte er sich wieder in einen Menschen. "Besonders ihr Sohn ist ein... Schmerz im Arsch, wenn er dein Gegner ist."

"Hm. Ich will ihn kennen lernen."

"Das wirst du, Rooter Kevoran. Er ist gerade auf dem Rückweg zur Erde, nachdem er zwei interstellare Großreiche erobert hat." Helen schien kurz nachzudenken. "Nicht für sich selbst, aber erobert hat er sie."

"Du übertreibst."

"Du kennst Akira Otomo nicht", sagte Juichiro Tora mit einem prustenden Lacher. "Ich hielt mich für mächtig, unangrifbar, sicher auf dem Mars. Er hat mich eines Besseren belehrt. Wieder und wieder und wieder."

"Es wäre vielleicht besser, dieses Wesen zu töten", wandte Kevoran ein.

"Ja, das wäre es vielleicht. Aber um wieviel langweiliger wäre die Galaxis dann?", erwiderte Tora nachdenklich. "Also gut, ein Waffenstillstand. Ich stimme dafür, Helen Otomo."

"Waffenstillstand. Für die nächsten zwei Stunden", sagte Kevoran ernst. "Ich will diese Beweise sehen. Und es ist besser, wenn sie mich überzeugen."

"Du wirst diese Entscheidung nicht bereuen", versprach Helen Arogad.

"Ehrlich gesagt bereue ich bereits, dass ich wieder aufgewacht bin. Ungefähr seit dem Zeitpunkt an dem ich dich kennen gelernt habe, Helen Arogad. Und dein Sohn soll noch schlimmer sein?"

"Nur ungefähr das Dreifache von ihr", wiegelte Tora ab.

"Wenn es stimmt, dass die Naguad Götter sind, wissen wir ja, warum Akira Otomo so ein großer Gegner ist", sagte Kevoran nachdenklich. Beinahe umspielte ein Lächeln seine Lippen.

***

"Bist du bereit, Philip?"

"Bereit! Du kannst jederzeit starten!" Philip King bemühte sich, seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten. Oh, er hatte keine Angst vor dem Kampf, aber das Gefühl, mit Haru allein zu sein, elektrisierte ihn geradezu. Allerdings erst, seit sie beinahe getötet worden wären. Wenn das so weiter ging, würde er ein äußerst schlechter Gunner für sie sein. Und das war etwas, was er niemals sein wollte: unnütz für sie. Er straffte sich, drückte den Bauch rein und die Brust raus. Versuchte sich auf den Kampf zu konzentrieren. Die Geräuschkulisse des Mechas steigerte sich, wurde so laut, dass Philip beinahe Harus Stimme im Helm nicht mehr hören konnte. Die Maschine vibrierte kurz vor dem Start, als... Als alles um ihn herum wieder leiser wurde.

Die Geräusche erstarben, und Haru atmete erleichtert aus. Sie griff an ihren Helm und nahm ihn ab. "Missionsabbruch. Es scheint, als würden die Götter da unten noch eine Schonfrist kriegen." Sie wandte sich in ihrem Sessel um, sah zu ihrem Gunner hoch. "Waffenstillstand, fürs Erste. Das bedeutet für uns Pause. Aber wir sollen nicht zu weit vom Eagle weg gehen. Okay, Philip?"

"Okay." Eine gewisse Erleichterung schwappte über ihn hinweg. Ein klein wenig zumindest. "Ich bin ich dich verliebt, Haru."

"Ja, ich weiß." Die Japanerin blinzelte einmal, zweimal. "WAS?"

"H-habe ich das jetzt laut gesagt?", rief Philip entsetzt.

"Heißt das, du hast das nicht ernst gemeint?"

"D-doch, aber... Ich wollte auf die richtige Situation warten!"

"Gibt es im Krieg die richtige Situation?"

"Ich weiß nicht!"

"Aber ich weiß was", klang die Stimme von Thomas auf. "Nämlich, dass man Liebeserklärungen bei abgeschalteter Kommunikation abgibt. Philip, gerade war ein Regiment Titanen Zaungast bei deiner. Ich gratuliere. Und Haru, warte nicht zu lange mit deiner Erwiderung."

Die beiden jungen Leute sahen sich an, und die Peinlichkeit über die Erkenntnis schoss in ihre Wangen. In der ersten Sekunde wollte sie brüllen, ihn beschimpfen. Dann wollte sie ihm Vorwürfe machen. Und schließlich ihn ignorieren, alles abstreiten, abwälzen, von sich schieben.

Doch dann seufzte sie nur. "Schalte die Kommunikation ab, Philip", bat sie leise. Sie schnallte sich ab und kletterte zu ihm hoch. "Meine Antwort soll jedenfalls nicht das ganze Regiment mitkriegen."

Philip spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Das war auf jeden Fall fordernder und viel besser als der Adrenalinkick im Einsatz. Zumindest bis jetzt.
 

Epilog:

Der Raum innerhalb eines Wurmlochs war eigentlich nicht existent. Wenn man sich die Raumzeit als Tuch vorstellte, dann bildeten die Planeten und Sonnen Beulen in diesem Tuch, verursacht durch die Gravitation. Um ein Wurmloch zu erstellen, wurde eine Delle in der Decke mit der nächsten verbunden; hier war die Raumzeit bereits gedehnt, und man konnte die Raumzeit manipulieren.

Das Ergebnis war ein Tunnel, der kaum zu definieren war. Die Strecke, die er überbrückte, betrug Lichtjahre, aber je nach Stauchung der Raumzeit von Senke zu Senke wurden daraus Lichtsekunden bis Lichtstunden.

Dieser röhrenförmige Tunnel hing ab von der Stärke der Wurmlochgeneratoren, von der Masse die er beförderte, und noch einigen anderen Faktoren. Für die AURORA bedeutete dies das größte Wurmloch, über das die Raumfahrt von Naguad, Iovar, Terranern und vielen verbündeten Völkern berichten konnte. Der Durchmesser war ebenso vage wie seine Länge. Aber es stand unbestreitbar fest, dass die Dimensionen weit über allem lagen, was selbst ein Vernichter erzeugen konnte.

Nun war ein Loch in der Seitenwand dieses Wurmlochs. Ein Loch in unbestimmter Größe, das sich auf den Masseschwerpunkt im Wurmloch einpendelte, sprich die AURORA als schwerstes, massereichstes Objekt. Das bedeutete, das fremde, in ihren Bereich eindringende Wurmloch, folgte der Masse der AURORA, und machte so aus einem Passiermanöver, das wenige Augenblicke dauern sollte, einen Prozess von mehreren Minuten. Entweder bis das feindliche Schiff bis zu ihnen durchgestoßen war, oder bis das Wurmloch in sich zusammenfiel. Es gab natürlich noch andere Theorien und Möglichkeiten, immerhin konnten nicht einmal die Datenbanken der Dai von so einem Erlebnis berichten, einem angezapften Wurmloch. Aber Fakt war, das die AURORA und ihre Begleitflotte für exakt zwei Minuten und elf Sekunden direkt vor der Öffnung des Piratenwurmlochs liegen würde, bevor sie die "Schussrichtung" verlassen hatte.

Ich war fest entschlossen, für genau diese Zeit den Torwächter zu spielen, und jedes Leid von der AURORA abzulenken. Nicht zuletzt, weil sich fast alle Menschen, die ich liebte, auf ihr befanden.
 

Ich preschte mit der ADAMAS vor, legte das Schiff vor dem fremden Wurmloch quer. Normalerweise hätte der Gigant weiter driften müssen, die Mündung des Wurmlochs verlassen müssen, alleine durch die Eigenbewegung. Man konnte diese Eigengeschwindigkeit nicht auf Wunsch einfach aufheben. Da das Loch aber der Schwerkraft der AURORA folgte, musste ich die ADAMAS weder beschleunigen noch bremsen. Ich würde die ADAMAS für mehr als drei Minuten hier halten können. Das reichte für die AURORA, um das Wurmloch zu passieren. Für diese Zeit befahl ich, die Bugschilde auf Maximum zu stellen. Nur für den Fall, dass die Götter eine echte Schweinerei durch dieses Wurmloch schickten.

Als ich die ersten rot glühenden Fragmente auf den Fernkameras und in der Ortung registrierte, verbunden mit der Tatsache, dass da eine Masse von über drei Milliarden metrischer Tonnen auf die ADAMAS zuraste, also einigen hunderttausend Tonnen Materie, hyperbeschleunigt und deshalb mit erheblich mehr Masse versehen, stieß ich einen tiefen Seufzer aus. Das war also ihr Plan gewesen. Und ich stand mitten in der Schusslinie. "War ja klar. War ja so klar", murrte ich.



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