Anime Evolution: Krieg von Ace_Kaiser (Fünfte Staffel) ================================================================================ Kapitel 9: Human kill Saints ---------------------------- Prolog: Daisuke Honda mochte den Banges. Die Modulbewaffnung gab ihm so viele Möglichkeiten, so viele Variationen, dass es eine Freude war, auf einem zu fliegen. Die Menschen hatten den Vorteil der Banges natürlich erkannt, und mit dem Phoenix hatten sie ihren ersten eigenen Modul-Mecha erbaut, der zudem erheblich größer als ein Banges war. Kein Wunder, basierte er doch auch auf einem Daishi Delta, während man einen normalen Banges eher mit einem Daishi Gamma gleichsetzen konnte. Doitsu hatte sich natürlich gleich einen gekrallt, das war klar. Er musste ja seine mangelnden Pilotenfähigkeiten irgendwie ausgleichen und sich einen Mecha zulegen, mit dem es ihm leichter fiel, sein Bataillon zu koordinieren. Aber dass der Yakuza deshalb ihn als konservativ bezeichnete, weil er sich von seinem Red Team Banges nicht trennen wollte, war schon ein starkes Stück. Gut, gut, vielleicht würde er sich mit einem Phoenix anfreunden, irgendwann einmal. Doch bis dahin leistete ihm der Naguad-Mecha sehr gute Dienste. Und solange die Variationen des Phoenix noch nicht die Vielfalt eines Banges erreicht hatten, würde er ohnehin nicht wechseln. Ein Alarmsignal seines Kommunikators riss ihn aus seinen Gedanken. Mist, und da hatte er gerade einmal nicht an Akira und den ganzen Mist gedacht, der ihm gerade passierte. "Honda." "Hier ist Sarah. Wurdest du noch nicht alarmiert, Dai-chan?" "Alarmiert wofür?", fragte er argwöhnisch. "Akira ist aus dem Transfer zur ADAMAS ausgebrochen und bewegt sich auf die Stadt zu. Sphinx-sama, Okame-sama und Tyges haben versucht ihn aufzuhalten. Jetzt hat das Red Team Startfreigabe. Ich dachte, du wärst schon in deinem Mecha." "Mich hat keine Nachricht erreicht. Ich wollte gerade Kei im Krankenhaus besuchen!" "Oh. Das ist ganz schlecht." "Das ist sogar richtig schlecht!" Daisuke begann zu laufen. "Hör zu, Sarah, ich bin gerade am Römischen Platz! Kannst du mich abholen und zum Westhangar bringen? Da steht mein Mecha." "Du bist drei Kilometer von deiner Maschine entfernt?" "Ich habe nicht unbedingt mit einem Zwischenfall gerechnet! Warum ist Akira überhaupt abgehauen?" "Das haben sie nicht gesagt", räumte Sarah ein. "Sie wissen es wahrscheinlich selbst nicht. Hör zu, Dai-chan, ich bin selbst zu weit weg, aber Emi ist auf dem Weg. Sie wird dich rüber bringen." "Ist Emi nicht hoch schwanger?" "Sie ist eine Youma Slayer, und außerdem erst im sechsten Monat. Vertrau mir, sie wird dich schon sicher rüber bringen. Und dann schwinge dich in deinen Mecha und sorge dafür, dass nicht einer der Red Team-Leute aus Versehen auf Akira tritt." Daisuke fühlte einen kalten Schauder über seinen Rücken gleiten. "Der arme Pilot. Der arme Banges." "Äh, hallo?" "Später, bitte. Alles klar, Sarah, ich warte." "Außerdem hat mir jemand eine Information zugesteckt! Demnach haben deine Leute Schießerlaubnis. Wenn du also einen im Team hast, der Akira nicht sonderlich mag, könnte es problematisch werden." "Äh, Daisuke-san?" "Ich telefoniere gerade. Einen Moment, bitte. Nein, Sarah, bei meinen Leuten wüsste ich niemand, der Akira so sehr hassen würde. Aber da sind ja immer noch die KI-Agenten, und wenn sich einer von Akira bedroht fühlt, dann..." "Äh, Daisuke-san?" Entnervt drehte sich der Colonel der Stimme zu. "Was ist denn, zum Donnerwetter?" Emi Sakuraba fuhr bei seiner lauten Stimme zusammen. Verlegen sah sie zu Boden. "I-ich meine ja nur... Ich soll dich doch zum Westhangar bringen." Ungläubig starrte Daisuke das Mädchen an. Himmel, wie schnell war sie eigentlich? "Emi-chan ist hier, Sarah. Ich breche hier ab und melde mich später." "Ist in Ordnung. Sag ihr noch mal lieben Dank von mir. Ich behalte Akira im Auge, irgendwie." "Danke. Bis später." Daisuke trennte die Verbindung. Verlegen sah er Emi an. "Es tut mir Leid. Ich habe da heftig überreagiert. Es tut mir wirklich, wirklich Leid." Das verlegene Gesicht verschwand und machte einem strahlenden Lächeln Platz. Allgemein galt sie nicht gerade als die hellste Slayer, aber das war nur Fassade. Er hatte selten eine Frau getroffen, die mit so wenigen Gesten und einigen eingestreuten Worten so viele Menschen gleichzeitig manipulieren konnte. Ob das nun eine natürliche Begabung war, oder ein Zeichen ihrer Intelligenz, stand außen vor. Man sollte sie jedenfalls niemals unterschätzen. "Können wir dann?" Sie lächelte für ihn, und Daisuke fühlte sich nachhaltig manipuliert. Jetzt schon. Mist. "Natürlich, Daisuke-san." Sie streckte die Rechte in die Höhe. "Slayer Power..." Erst war es nur eine Art grüner Nebel, der diffus ihren rechten Arm herab wanderte, dann gab es einen Lichtblitz, und einen Augenblick später trug sie ihre KI-Rüstung. Irritiert starrte Daisuke sie an. "Nanu? Was ist aus der netten Kombination aus Rock und Trikot geworden? Ich fand, schwarz stand dir immer sehr gut." "Das Trikot ist so eng, und ich habe doch auch schon Bauch, jetzt wo der kleine Sakura so schnell wächst. Da ist eine Arogad-Hausuniform einfach bequemer." "Aha. Gutes Argument." "Wollen wir dann mal?", rief sie, und nahm den verdutzten Mecha-Piloten auf die Arme. Bevor er es sich versah, setzte sie zum Absprung an, und bevor die noch immer von der Verwandlungssequenz überraschten Leute blinzeln konnten, befand sie sich bereits auf dem Dach eines zwanzigstöckigen Gebäudes. Von hier sprang sie erneut, diesmal über eine Distanz von achthundert Metern. Daisuke machte sich klar, dass der Magical Youma Slayer-Express wahrscheinlich die schnellste Form des Reisens in der AURORA war. Nicht unbedingt die bequemste, aber gewiss die schnellste. 1. Als ich mich übergab, macht ich zwei sehr interessante Beobachtungen. Mein Erbrochenes löste die Erde nicht auf, wenngleich es ein unappetitlicher Anblick war. Und mein Körper löste sie auch nicht mehr auf. Zwei interessante Informationen für mich, denn bisher war ich davon ausgegangen, dass ich den wahnwitzigen Vorgang, freies KI zu absorbieren und unwissentlich wieder zu entlassen, nicht steuern, geschweige denn ihn beeinflussen konnte. Das freie KI, das von mir absorbiert und destruktiv freigesetzt wurde, zerstörte die magnetische Bindung der Moleküle in meiner Umgebung und war deshalb eine große Gefahr für mein Umfeld. Eine Gefahr, die mir mehr Übelkeit bereitete als die Säure aus meinem Magen, die sich in meinem Mund furchtbar anfühlte. Gab es einen Weg, diesen Prozess doch zu steuern? Ihn zu kontrollieren? Oder wenigstens zu manipulieren? Ich wälzte mich auf die Seite, legte mich ins halbmeterhohe Gras der Wiese, auf der ich die Ley-Linien der AURORA wieder verlassen hatte. Sicher nicht, schalt ich mich. In der hohen Zeit der Dai hatte es mehrere Oren Maxus gegeben... Vielleicht Dutzende, Hunderte. Und alle waren sie irgendwann ausgetickt, oder als potentielle Gefahr getötet worden. Wenn sie sich nicht selbst ein Ende gesetzt hatten. Na toll, was für grandiose Aussichten für meine Zukunft. Ich war es ja gewohnt, dass mein Leben permanent in irgendwelche Gossen gespült zu werden drohte, und mehr als ein Dutzend Mal hatte ich den Tod vor Augen gesehen, nur um anschließend als strahlender Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen. Aber diesmal war ich mir ziemlich sicher, dass die Gefahr, die ich darstellte, größer war als mein Nutzen. Konnte ich überhaupt noch in Prime steigen, ohne ihn unwissentlich zu vernichten? Gut, Kitsune hatte mich im Umgang mit meiner KI-Rüstung trainiert, und notfalls konnte ich es mit bloßen Händen mit einem Hawk aufnehmen. Aber mit Prime schaffte ich es, ein halbes Dutzend aufzuwiegen. Ich stemmte mich hoch, sah flüchtig nach hinten, um mich zu vergewissern, dass die Dämonenkönige mir noch nicht auf den Fersen waren. Noch so eine Reise auf einer Ley-Linie gehörte sicher nicht zu den Dingen, die ich noch mal tun wollte. Nicht so bald, jedenfalls. Mein Respekt vor Sphinx wuchs auf jeden Fall - diese Frau reiste auf den Lokk-Linien, jenen magnetfeldartigen Strömungen, die Planeten, Monde und Sonnen miteinander verbanden. Ob es mit mehr Übung leichter wurde? Ich betrachtete meine Hände. Sie hatten sich nicht verändert. Dennoch waren es diese Finger gewesen, die Kei regelrecht das Fleisch von den Fingern gefressen hatten. Ich fühlte mich wie eine moderne Version des König Midas, der mit dem Fluch belegt worden war, das sich alles in Gold verwandelte, was er berührt hatte. Schlecht, wenn man essen, trinken, schlafen, oder wenigstens bequem sitzen wollte. Der Legende nach hatte sich der König ein goldenes Heim geschaffen. Und in dem war er schließlich verhungert. Doch da war ich weit schlimmer dran, denn Midas hatte wenigstens einen großen Haufen Gold hinterlassen. Da wo ich wütete - unfreiwillig - hinterließ ich nur gasförmiges Plasma. Die Situation war verworren, dramatisch verworren, und mein Verstand sagte mir, dass ich verdammt noch mal so schnell wie möglich auf die ADAMAS gehen sollte, einen Ort, der so gut wie kein natürliches KI erzeugte, weil die Besatzung von Bord gegangen war. Weil es keine hydroponischen Gärten an Bord gab. Weil ich dort allein war, niemanden unwillentlich töten konnte, wie ich es beinahe mit Kei getan hatte. Ich schluckte hart. Kei, verdammt, Kei! Einer meiner ältesten, besten Freunde wäre beinahe von mir aufgelöst worden. Was, wenn ich es geschafft hätte? Was wenn ich auch noch andere getötet hätte? Joan, zum Beispiel? Takashi, Tetsu, oder einen der anderen, die ihr KI nicht kontrollieren konnten? Was, wenn ich wie ein gigantischer Blob durch die Straßen von Fushida City gegangen wäre, eine Aura von Verderben und Tod um mich herum? Einem Mahlstrom auf zwei Beinen gleich? Und... Wäre ich eventuell nackt durch die Straßen gewandelt? Es wunderte mich ohnehin, dass meine Tarnklamotten noch immer nicht aufgelöst worden waren. Noch nicht? Ich atmete tief ein und drehte mich auf den Rücken. Vielleicht gar nicht. Vielleicht durfte ich sie behalten, egal nach welchen Kriterien die Realität in diesem Moment funktionierte. Das bedeutete auch, das ich noch immer die Tarnfarbe trug, die ich mir ins Gesicht geschmiert hatte, als ich mit meinen Freunden auf die Jagd nach dem geheimnisvollen Blue Lightning-Regiment gegangen war. Dass mir das ausgerechnet jetzt, auf der Flucht, einen gewissen Schutz bot, das war pure Ironie des Schicksals. Willkommene, tröstende Ironie. Irgendwie. Über mir erstreckte sich der klare blaue holographische Himmel der AURORA, der von den überragenden Technologien der Anelph erschaffen worden war. Er erzeugte die Illusion eines unendlichen blauen Horizonts, während die holographische Sonne gerade grell genug war, damit man nicht in sie hinein sehen konnte. Das Licht, das eigentliche Licht in der AURORA, wurde vom gesamten Himmel erzeugt und gleichmäßig verteilt. Ich war immer stolz auf diesen Himmel gewesen, auch wenn er weder perfekt, noch von mir gemacht worden war. Tatsächlich konnte man hier und da die Lichter der Appartements sehen, die in die Seitenwände verbaut worden waren, und die nun keck durch das holographische Blau hindurch lugten und die Illusion Lügen straften. Aber es war unser Himmel, unsere Illusion, unsere Lüge. Ich liebte sie. Ebenso wie diese Stadt, die so nahe war, dass ich glaubte, nur die Arme ausstrecken zu müssen, um jenes Hochhaus berühren zu können, auf dessen Dach ich mich offiziell mit Megumi verlobt hatte. Ich liebte diese Stadt. Ich liebte die Menschen, Anelph, die Leute aus dem Core, die Naguad, die Dai und Daima, die Iovan in unserer Begleitung. Das machte es mir nicht gerade leicht zu begreifen, wie unheimlich gefährlich mein Vorhaben war. Und wie egoistisch. Dennoch, wenn mir nicht erlaubt wurde, wenigstens diese eine Sache tun zu dürfen, wenn mir verweigert wurde, wenigstens einmal in meinem Leben so vollkommen egoistisch zu sein, dann musste ich an allem zweifeln, was ich bisher getan hatte. Was ich bisher geleistet hatte. Dann wäre es vielleicht besser gewesen, ich hätte mich den Kronosiern angedient. Oder mich nach Hawaii zurück zu ziehen, um dort mein eigenes kleines Königreich auszurufen. Oder im südchinesischen Meer auf einer einsamen Insel meinen eigenen Verein gründen sollen. Langsam wälzte ich mich wieder auf die Seite, stemmte mich hoch. Dieses eine Mal wollte, musste ich egoistisch sein. Musste ich die Welt drehen. Wenn nicht jetzt, dann würde der Menschheit ein wesentlich größeres Grauen drohen, als es nun schon durch die Entstehung eines Reyan Maxus drohte, der seine Kräfte nicht einmal für einen Wimpernschlag im Griff gehabt hatte. Und, bei allem was mir heilig war, bei allen Dämonenkönigen, bei alledem wofür ich bis zu diesem Moment gelebt hatte: Ich würde mein Ziel verfolgen. Ich würde bei allem was ich jemals erreicht hatte, bei allem was ich jemals erreichen würde verhindern, dass ein zweiter Reyan Maxus entstehen konnte. Jemand, der die gleiche Genetik hatte wie ich: Meine Schwester Yohko. *** Als Daisuke Honda seinen Banges erreichte, registrierte er zu seinem Erstaunen, das bereits drei Maschinen aktiviert waren. Die Konfiguration der fehlenden Maschinen war leicht abzuschätzen; dafür brauchte er sich nur anzusehen, welche der einsatzbereiten Sets im Hangar fehlten. Sollte es ihn unruhig machen, das vor allem die Fernkampfwaffen für mittlere Distanz eingesetzt worden waren? "Danke, Emi. Ich weiß zwar nicht was hier gerade passiert, aber ich denke, es war höchste Zeit, das ich gekommen bin." Der Hangarchief begrüßte ihn knapp und bündig und informierte ihn über die drei im Einsatz befindlichen Banges, sowie die Konfigurationen, die von Sergeant Tomlin, dem höchstrangigen Soldaten der Dreiergruppe, befohlen worden war. "Haben sie Schießbefehl?", fragte Daisuke knapp, und versuchte einen kalten Schauder der Angst zu verhindern. Mechas die mit scharfen Waffen Jagd auf Akira machten, das war ein Horrorszenario. "Sie dürfen sich verteidigen und verhindern, dass der Division Commander ihnen zu nahe kommt. Deshalb hat Tomlin Fernkampfwaffen befohlen. Sie wollen versuchen, ihn aus gewohnten Gebieten raus zu halten." Daisuke knirschte mit den Zähnen. Das war zwar eine durchaus richtige Entscheidung, aber er hatte nicht ohne Grund gefragt. Konnte er Tomlin trauen? Bisher hatte sich der Amerikaner als guter UEMF-Soldat erwiesen, der eine überdurchschnittliche Leistung erbrachte. Aber was wenn er das Behältnis für einen kronosischen KI-Agenten war, und die Gelegenheit für einen tödlichen Angriff auf Akira nutzen wollte? Sie hatten längst nicht alle KI-Agenten auf der AURORA enttarnt. Und es stand zu befürchten, dass die AURORA während ihres halbjährigen Aufenthalts über der Erde vielleicht noch den einen oder anderen Agenten zusätzlich erhalten hatte. Ein wahres Horrorszenario. Daisuke zog die Jacke aus, während er auf seinen Banges zulief. Den Druckanzug wehrte er ab, akzeptierte aber den Helm. Das ging ihm alles nicht schnell genug. Natürlich war es richtig, Akira davon abzuhalten, in Wohngebiete zu gelangen, solange er alles auflöste, was er berührte. Andererseits tat er selten etwas Unvernünftiges, und war noch seltener so egoistisch das Leben Anderer aus reiner Willkür zu gefährden. Daisuke erklomm das Cockpit und startete die Aktivierungssequenz, während Emi sich neben ihm auf dem Notsitz nieder ließ. Fragend sah er die Slayer an. Sie lächelte und winkte ab. "Du wirst Akira-chan sicher schneller finden als ich. Mit dir bin ich also klar schneller. Und du wirst einen KI-Meister brauchen, wenn du ihn gefunden hast." Dieser Logik konnte er sich nicht widersetzen. Vielleicht wollte er das auch gar nicht, und gönnte sich das beruhigende Gefühl, eine KI-Meisterin an Bord zu haben. Seine eigenen Fähigkeiten in der KI-Kontrolle waren da eher moderat. "Kenji wird mich umbringen, sobald er hiervon erfährt", brummte er missmutig und schloss das Cockpit. Kurz darauf kam das Start-Zeichen aus dem Hangar. Er aktivierte die Düsen, hob den Mecha zwei Meter vom Boden ab und flog voran durch das große Tor in den Innenraum der AURORA. Nach einer kurzen Orientierung erfasste er die Positionen der drei Banges und hielt auf sie zu. "Dai-chan", sagte Emi unvermittelt, "irgendwas ist da faul." "Ich erfasse optisch die Einschläge großkalibriger Schüsse rund um eine einzelne Person", meldete die K.I. des Banges. Da war tatsächlich etwas faul. War das noch Tomlins Versuch, Akira von der Stadt fern zu halten, oder hatten sie es hier schon mit versuchtem Mord zu tun? Wenn sich die Banges nämlich nicht sehr zurückhielten, dann hatte es mal einen Akira Otomo gegeben. Und er wollte dann nicht in der Haut des ausführenden Schützen stecken. Vor allem nicht wenn er daran dachte, was alleine er diesem Unglücksraben antun würde. "Kanal zu den Banges!", befahl er ernst. Es wurde Zeit, einzugreifen, bevor Akira noch etwas passierte. Es gab nur einen Menschen, der jemals Auge in Auge mit einem Mecha gekämpft hatte, ohne selbst in einem zu sitzen, und auch noch die Frechheit besessen hatte zu gewinnen. Das war Joan Reilley, der einzige Mensch, der als vollwertiger Cyborg der Kronosier bezeichnet werden konnte. KI-Rüstung hin, KI-Rüstung her, Akira konnte das nicht, definitiv nicht. Zumindest glaubte Daisuke das, bis einer der Banges mittig getroffen und mehrere Dutzend Meter nach hinten geschleudert wurde. "Da stimmt was ganz und gar nicht", murmelte Emi. In ihrer Stimme klang Furcht auf. "Verbindung steht, Colonel", meldete die K.I., aber Daisuke war sich überhaupt nicht mehr sicher, was er den Leuten sagen sollte. *** Im Otomo-Anwesen war es derweil recht still. Die meisten Bewohner waren ausgeflogen, und nur Jora Kalis hütete das Haus und den kleinen Laysan. Sie, und etwa ein halbes Dutzen der KI-Biester, die Yoshi erschaffen hatte. Man konnte sich an sie gewöhnen, ehrlich. Aber leicht war es nicht, unvermittelt einem Braunbären in die Arme zu laufen. Oder plötzlich vor einem Wolf zu stehen, egal wie friedlich er sich gab. Eigentlich war die Aufgabe recht erfüllend, fand Jora. Und wenn sich für sie die Gelegenheit und der Partner ergab - irgendwann einmal - zweifelte sie nicht daran, dass sie sich auch eine eigene kleine Familie wünschte. Irgendwo auf der Erde, vielleicht, nicht unbedingt im Familienclan. Wie besitzergreifend das Haus Daness war, konnte sie ja von ihrem Logenplatz mit Sicht auf Megumi mehr als deutlich erleben. In der Familie Kalis spielte sie zwar nur eine sekundäre repräsentative Rolle, aber immerhin war sie KI-Meisterin, wenngleich keine inoffizielle offizielle aus Meisterin Tevells Stall. Wenn sie daran dachte, dass einst ihre Kinder als wertvolle Werkzeuge der Politik angesehen werden würden, drehte es ihr den Magen um. Als die Türklingel ging, zuckte sie zusammen. Sie fühlte sich ertappt und verraten. Ärgerlich erhob sie sich, sagte ein paar beschwichtigende Worte zum kleinen Laysan, der gerade seine Hausaufgaben machte, und ging zur Tür. Als der Gast eintrat, war sie ehrlich überrascht. "Das habe ich jetzt allerdings nicht erwartet. Komm doch herein, Sostre Daness." Der große schlanke Mann nickte ihr dankbar und beinahe etwas sachlich zu. Eine Spur zu kalt, um etwas für ihn empfinden zu können, ging es ihr durch den Kopf. Ein frustrierender Gedanke, wenn sie sich vergegenwärtigte, wie sehr Sostre auf seine Cousine Megumi fixiert war. Ob er in Megumi alias Solia verliebt war? Ein dummer, unnützer Gedanke, vor allem wenn sich gleich darauf die Idee in ihren Hinterkopf schlich, dass sie dann vielleicht wegen der großen Ähnlichkeit zwischen sich und Megumi tatsächlich noch Chancen bei ihm hatte. "Danke." Er zog seine Straßenschuhe aus und trat ein. Sostre war schon oft Gast in diesem Haus gewesen, hatte das Angebot hier ebenfalls einzuziehen jedoch stets abgelehnt. Soweit Jora wusste bewohnte er eine Dachgeschosswohnung in der Innenstadt, und hielt sich ansonsten auf Abruf als Berater der Expeditionsleitung zur Verfügung. Vielleicht gefiel es ihm einfach allein zu leben, nachdem sein ganzes bisheriges Leben im Daness-Turm alles gewesen war, nur nicht einsam. "Du machst dir keine Sorgen um Akira?", fragte Sostre. "Akira? Warum fragst du?" Sie führte den Gast in das Wohnzimmer. Laysan sprang freudig auf und lief auf den hochrangigen Daness zu, um ihn zu umarmen. Er mochte Sostre, und bislang hatte der Junge eine erstaunlich gute Menschenkenntnis bewiesen. "Dann hast du noch nichts davon gehört?" Sostre strich dem Jungen über den Kopf, machte aber keinerlei Anstalten, am Tisch Platz zu nehmen. "Akira ist zur Gefahr geworden." Erstaunt sah Jora auf. "Wie das?" "Sein Aufstieg zum Reyan Maxus hatte nicht nur gute Seiten - und die Dämonen haben das gewusst. Sie haben damit gerechnet, dass er irgendwann die Kontrolle über seine Kraft verliert. Aber das es so schnell geht, hat wohl niemand geahnt." Laysan verstand nicht alles, wohl aber das etwas mit Akira nicht in Ordnung war. Mit großen fragenden Augen sah er den schlanken Mann an. "Gehe mit Spike und den anderen spielen, Laysan", sagte Jora streng. "Aber es geht um Akira!", begehrte der Junge auf. "Er ist doch nicht wirklich eine Gefahr, oder? Ich meine, mit den kaiserlichen Truppen ist er immer sehr ruppig gewesen, und einer der Lencis-Admiräle hat mal gesagt, Akira wäre eine ernsthafte Gefahr für die ganze Galaxis..." Verzweifelt versuchte der Junge den Widerspruch zu verstehen. "Ihm passiert doch nichts, oder?" Wieder strich Sostre dem Jungen über den Kopf. "Nein, Laysan. Nicht so lange Jora und ich etwas dagegen tun können. Und jetzt gehe mit Spike spielen, ja?" Unsicher nickte der Junge. Doch dann folgte er dem KI-Hund, der bereits in den Garten hinaus trottete. "Was genau meinst du mit Gefahr?", hakte Jora nach. "Normalerweise, wertes Cousinchen, sollten die Kräfte eines Reyan Maxus irgendwann in der Zukunft außer Kontrolle geraten. In zwei Jahren, in zweihundert Jahren, je nachdem wie stark und wie intensiv er sich mit seinem AO beschäftigt, beziehungsweise bis er es nicht mehr kontrollieren kann. Ein Maxus ist besonders mächtig, weil er nicht nur sein eigenes AO kultiviert, sondern auch freies AO absorbiert. Ein menschlicher Körper kann überschüssiges eigenes AO abbauen, auch wenn das problematisch und schmerzhaft ist. Fremdes, das er nicht verwerten kann aber strahlt er wieder ab. Das Problem bei einem Reyan Maxus ist, dass dies über seine Aura erfolgt. Manche Reyan Maxus sind an Auskühlung gestorben, andere wurden von ihren Auren aufgehitzt, bis sie starben. Wieder andere aber gaben ihr fremdes AO auf destruktive Art von sich. Sie lösten die molekulare Bindung der Materie um sich herum auf. Das geschah aber meistens erst nach vielen Jahren, in denen sie fremdes AO absorbiert hatten. Einige lernten damit umzugehen, es für weitere wertvolle Jahre zu unterdrücken, zu kontrollieren. Andere wurden auf sogenannte Kommandoschiffe verbannt, ungemein mächtige Einheiten, die exakt auf einen Reyan Maxus zugeschnitten waren." Jora wurde blass. "Moment, Sostre, das erinnert mich an etwas. Als Akira und Torum draußen auf den Feldern gekämpft haben, damals als die Anelph mit Hilfe des Resonatortorpedos eingefroren wurden, da haben sich die beiden mit ihren Auren durch den Erdboden gefräst. Du willst mir doch nicht etwa sagen...?" Entsetzen legte sich auf ihre Gesichtszüge. "Ja, Akira ist der destruktive Typ, der sein absorbiertes AO als destruktive Aura abgibt. Er ist vor einiger Zeit zusammengebrochen und hat Kei Takahara mit seiner Aura schwer verwundet. Daraufhin haben unsere Dai beschlossen, ihn auf die ADAMAS zu schaffen, die gerade geräumt wird. Akira aber entkam ihnen. Er ist auf dem Weg nach Fushida City." "Aber... Warum? Du hast gesagt, so etwas passiert nach Jahren, nach Jahrhunderten?" "Ich weiß es nicht. Ich habe mit Maros Jorr gesprochen, unserem stärksten AO-Meister unter uns Naguad. Er meint, das Akira manipuliert worden sein könnte. Oder das Faktoren hier eine Rolle spielen, die wir noch gar nicht einschätzen können. Himmel, sein Körper und sein Geist waren fast ein Jahr voneinander getrennt! Und dann hat ein uralter Dai im Paradies der Daina und Daima Akira beinahe getötet, indem er seinen Geist vom Körper gewaltsam getrennt hatte. Es gibt dieses Sprichwort unter den Menschen: Was mich nicht umbringt, macht mich nur noch stärker. Ich fürchte, diese Erfahrungen haben Akira stärker gemacht. Viel stärker. Unglaublich stärker. Und diese Stärke kann er nicht mehr kontrollieren. Deshalb ist er jetzt ein außer Kontrolle geratener Reyan Maxus, und gehört an einen Ort mit möglichst wenig freiem AO, nämlich der ADAMAS." "Aber stattdessen ist er auf den Weg hierher. Weiß er, was er mit jedem einzelnen Schritt anrichtet? Weiß er, was er Kei angetan hat?" "Natürlich weiß er das. Er war nicht geistig umnachtet, als er Sphinx, Okame und dem West End-Dai entkommen ist. Er hat gewusst was er tat. Er hat ein Ziel, Jora, ein Ziel das wir nicht kennen. Und das er uns nicht mitteilen kann, solange wir ihn einerseits jagen und er sich andererseits nicht aufhalten lässt. Und wer weiß, wenn er wirklich manipuliert wurde, dann vielleicht nicht nur sein Körper, sondern auch sein Verstand. Dann ist er eine wirkliche Gefahr für uns." Ernst sah Sostre die Kalis an. "Jorr hat mich zu dir geschickt, Jora. Er sagte, du bist die einzige Person, die meine brennende Frage beantworten kann." "Und was ist deine brennende Frage im Angesicht dieser Katastrophe, Sostre?", fragte sie mit matter Stimme. "Denkst du, Antrovil würde etwas bei Akira bewirken? Maros Jorr hat gesagt, dass du die medizinischen Kenntnisse über das AO hast, um das zu beurteilen." "Unsinn! Antrovil stärkt das Bo, während es das Jong massiv reduziert. Man setzt es bei Verletzungstrauma ein, oder in größeren Dosen, um KI-Meister..." Sie stutzte. Stutzte erneut. "Sora." Vom Flur kam die Fioran-Attentäterin herein. "Ja?" "Wo kommt die denn plötzlich her?" "Sie versteckt sich hier vor Akira", erwiderte Jora amüsiert. "Der einzige Ort, wo er nicht sofort nach ihr suchen würde. Er ist ihr und den ganzen anderen mit dem Blue Lightning-Regiment auf die Schliche gekommen, und deshalb hat er sie für ein paar Antworten gesucht." "Oh. Ja, das erklärt einiges." Jora lächelte leicht. "Sora Fioran, haben wir Antrovil an Bord der AURORA, oder können wir es kurzfristig herstellen?" "Ich werde das sofort in Erfahrung bringen, Jora." Mit einer schnellen, fast flüchtigen Bewegung war sie wieder im Flur, und nichts ließ mehr darauf schließen, dass sie kurz zuvor noch im Wohnzimmer gewesen war. Sostre pfiff anerkennend. "Ich komme nicht aus dem Staunen heraus, egal wie oft ich mit ansehe, was ein Naguad vollbringen kann, auch ohne Kontrolle über sein AO zu haben. Sora Fioran ist ein verdammtes Gespenst." "Und ein überaus nützliches." Sie sah Sostre in die Augen. "Suche nach einer Möglichkeit, nahe an Akira zu kommen. Sora macht den Rest. Sorge dafür, dass die wenigstens irgendjemand zuhört. Und prüfe deinen Verdacht. Ist Akira nicht ansprechbar, oder logischen Argumenten nicht zugänglich, ist er eine Gefahr für uns alle." Sostre nickte und erhob sich wieder. "Auf dich ist Verlass, Cousinchen. Ich weiß das zu schätzen. Du passt weiter auf Laysan auf?" "Sollte ich die Notwendigkeit oder die Chance sehen, selbst einzugreifen, werde ich das tun. Die sehe ich aber nicht." Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. "Und glaube mir, ich würde zu gerne helfen." Sostre nickte schwer. Er ging zu Jora herüber und drückte ihr einen Kuss auf die rechte Wange. "Ich biege das schon wieder alles hin. Versprochen." "Männer", tadelte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen. "Im Versprechen geben sind sie immer groß." "Ich bin auch ziemlich gut im einhalten", erwiderte Sostre. Er lächelte ihr noch einmal zu. Wie immer hatte er sich nicht gerade den leichtesten Weg ausgesucht. 2. Tarco Parhel hatte in seinem Leben schon viel erlebt, schon vieles gesehen. Seine Kryostase hatte Jahrzehntausende betragen, und hätte ihn von einem Krieg in den nächsten befördern sollen. Er hatte die letzten Kämpfe zwischen Dai und Göttern mit erlebt, war dabei gewesen, als die RASHZANZ als Kontrollinstanz auf der Welt mit der mächtigsten Daimon versteckt worden war, hatte gesehen, wie sich beide Seiten Zähneknirschend im Angesicht der drohenden gegenseitigen Vernichtung geeinigt hatten, ausradiert und eingeschränkt, wie zwei Völker nach dem Aderlass ihres brutalen Krieges nur hatten sein können. Er hatte mit tapferen Soldaten gedient, mit Feiglingen, mit vielen sehr durchschnittlichen Menschen, die dafür aber andere Vorzüge gehabt hatten. Er hatte die Besten gesehen, die Schlechtesten, die Masse des Durchschnitts, und das in mehrerlei Hinsicht. Und er hatte schon vor sehr langer Zeit, der eigenen wohlgemerkt, und nicht der abstrakten tatsächlich verstrichenen Zeit, akzeptiert, eines Tages einen gewaltsamen Tod zu sterben. Als der renitente General den Feuerbefehl gab, glaubte er für einen Moment diesen Augenblick gekommen zu sehen. Er hielt sich für tot, denn einen Laserstrahl konnte man weder sehen noch spüren, wenn er ein schönes Loch in den Körper stanzte. Traf er was Wichtiges, verdampfte er zum Beispiel das Herz, dann sorgten Schock und Trauma für einen schnellen Tod. Merkwürdigerweise war er eine Sekunde später immer noch da. Auch in der Sekunde darauf. War er womöglich nur schwer verletzt? Aber warum kippte er dann nicht längst in Richtung Boden, oder taumelte über die Brüstung weit in die Tiefe der Kryo-Einrichtung, um ganz unten als großer Haufen biologischer Überreste zu enden? Überrascht blinzelte er, als auch nach weiteren zehn Sekunden weder Tod noch Schmerzen noch totaler Kontrollverlust über seinen Körper eintraten. Dann sah er zur Seite, zum Key. Aber die junge Daima war nicht mehr da. Mit einem Gefühl der Verwirrung suchte er sie, und entdeckte sie schließlich auch. Mit beiden Armen und einem Bein hielt sie die Läufe der Laserwaffen nach oben gedrückt, und die Soldaten einschließlich ihres Generals Render Vantum waren nicht in der Lage, sie wieder herab zu nehmen. Zumindest nicht in den ersten siebzehn Sekunden nach dieser überraschenden Entwicklung. "Nun gehe endlich in Deckung!", zischte die Daima ärgerlich, und dem Waffenoffizier dämmerte, dass sein Leben doch recht schnell vorbei sein würde, wenn er jetzt nicht schnell reagierte. Seine Ausbildung übernahm wieder, und er dankte der Tatsache, das die Kryostase für die Infanteristen dieser Anlage erst vor kurzem aufgehoben worden war. Er hatte also ganz klar einen Beweglichkeitsvorteil. Hastig warf er sich gegen eine Tür, die nach einem Druck auf den Schlosssensor tatsächlich nachgab. Sie entließ ihn in ein Treppenhaus. Hinter der Tür kniete Parhel nieder, während der erste Infanterist fluchend seine Waffe frei bekommen hatte, um ihm einen feurigen Gruß in die Türzarge hinterher zu schicken. Tarco zog seine eigene, entsicherte sie und hielt sie feuerbereit. "Komm jetzt, Key!", rief er, bereit, aus der Tür zu springen, und ihre Flucht zu decken. "Key?", klang die Stimme des Generals auf. Es schwang Unglauben mit. "Warum sollte ein Gott der Key des Paktes mit den Dai werden?" Überrascht hätte Tarco Parhel beinahe um die Tür gelinst, um den Infanteristen eine gute Zielscheibe zu bieten. Guter Versuch, General, verdammt guter Versuch. Links von ihm materialisierte der Key. Sie rieb sich die Arme. "Verdammt kräftig, ihr Götter." Parhel hätte laut lachen mögen. Die wahre Kräftige hier war Helen Arogad, die es mit vier ausgebildeten Soldaten in Kraftverstärkenden Rüstungen aufgenommen hatte. Zwar nur für ein paar Sekunden und eine kleine Schreckzeit, aber so etwas hatte der Waffenoffizier der RASHZANZ noch nie zuvor erlebt. "Nette Idee, General Vantum!", rief Tarco durch die Tür. "Darf ich durch Ihr Verhalten davon ausgehen, dass Sie sich den Dai ergeben werden, anstatt Ihren Auftrag auszuführen?" Wenn das wirklich der Fall war, dann mussten sie schleunigst ein paar Götter finden, die den alten Auftrag erfüllen wollten. Notfalls musste Vantum abgesetzt werden. Oder, wenn das nicht möglich war, jeder Kampfeswillige Gott auf der einen Seite, und die Verräter auf der anderen Seite versammelt werden. "Das ist hier doch überhaupt nicht die Frage!", blaffte Render Vantum zurück. "Viel wichtiger ist, warum ein Gott als Key dient! Habt ihr idiotischen Offiziere der RASHZANZ euch auch nur ansatzweise über die politische Lage auf Lemur informiert? Seid ihr überhaupt sicher, dass wir hier gegen Dai und Daina kämpfen, und nicht gegen eingewanderte Götter?" Das brachte Parhel für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht. "Wir kämpfen gegen Dai, Daina und Daima. Sie sind alle in ansprechender Zahl auf dieser Welt vertreten. Wir wurden vorzeitig geweckt, weil die Dai den Vertrag gebrochen haben. Und jetzt suchen wir nach einem Weg, um diese Welt zu vernichten. Wenn möglich ohne das wir uns ebenfalls vernichten!" "Und dennoch ist der Key ein Gott", erwiderte Vantum beharrlich. Parhel wurde ärgerlich. "Die Kryostase ist Ihnen wohl nicht bekommen, General, wenn Sie schon eine Daima-Frau mit einem Gott verwechseln!" Render Vantum lachte laut auf. "Ich habe nie behauptet, dass sie ein reinrassiger Gott wäre. Sie ist ein Mischling, sonst könnte sie den Key niemals tragen. Aber hast du das Aura-Lesen verlernt, du dummer Schiffsoffizier?" Aura-Lesen? Das war Aberglaube, mystifizierter Unsinn hoch fünf. Daran zu glauben war beinahe so verwerflich wie AO-Kontrolle zu erlernen, um wie die großen Hunde der Reyan Maxus zu ihren übelsten Zeiten Welt auf Welt zu vernichten. "Auf der RASHZANZ sind wir nicht abergläubisch!", rief er zurück. "Mag sein, aber anscheinend etwas einfältig", erklang die Stimme des Generals nun direkt hinter ihm. Die warme Mündung eines feuerbereiten Lasers legte sich auf seinen Hinterkopf und begann damit, sich in seine Haare zu schmoren. Langsam ließ Tarco Parhel seine Waffe fallen. Ebenso langsam wandte er sich um. Okay, sie wollten ihn nicht sofort töten. Er sah zum Key herüber, die nun nicht nur aus dem Treppenhaus, sondern auch von vorne durch die Tür in die Zange genommen wurde. "Mach dir keine Hoffnungen. Ich will immer noch nicht mit deinem Kapitän zusammen arbeiten. Aber wir haben einen gemeinsamen Feind. Und ich bin neugierig auf den Key." Der General senkte die Waffe, nachdem einer seiner Leute Parhels Pistole an sich genommen hatte. "Ich brauche einen Mediker mit mobilem Labor hier. Sofort." Der General lächelte Helen Arogad freundlich an. "Mach dir keine Sorgen, Mädchen. Im Gegensatz zu diesem Idioten von der RASHZANZ bist du vollkommen sicher. Ich war noch nie ein Freund von Zwang, Vorschriften und gesellschaftlichen Etiketten." "Wieso kann ich das nicht glauben?", erwiderte die Arogad spöttisch. "Abgesehen davon das ich den Key in mir trage und deshalb konditioniert bin, bleibe ich immer noch Feind der Götter." Vantum sah sie sehr ernst an. "Du bist selbst ein Gott", sagte er in einem vollkommen sachlichen Ton. "Ein Mediker mit Analyseausrüstung wird gleich hier sein, und meine Worte bestätigen. Dann wirst du einsehen, dass du als Mischling zwischen den Stühlen sitzt." Der Mediziner trat ein. Er wurde vom General kurz instruiert, dann begann er mit seiner Arbeit. Eine Hautschuppe des Key reichte ihm für eine Analyse der DNS-Struktur der Humanoiden. Das Ergebnis brauchte nur ein paar Minuten. Als der Mediziner aufsah, wirkte er erstaunt. "Es ist ein offenes Geheimnis, das wir Götter von den Daima abstammen", sagte er in mit Erschütterung in der Stimme. "Unser Genom hat sich fast zehntausend Jahre selbstständig entwickelt, deshalb hat es viele eigene Charakteristika angenommen. Diese Frau hier hat siebzig Prozent dieser für uns typischen Charakteristika in ihrem Genom. Sie ist fast zu drei Vierteln ein Gott." Tarco Parhel schnaubte überrascht. "Du hast das gesehen, General?" Vantum nickte ernst. "Ich habe dir gesagt, dass ich das Aurasehen beherrsche. Ihre Aura sieht mehr nach einem Gott als nach einem Daina aus. Ich fand das interessant genug, um es mir bestätigen zu lassen. Wie sicher ist dieses Ergebnis?" Der Mediziner wirkte leicht verunsichert. "Ich werde es im Labor überprüfen. Aber ich bin mir sehr sicher, dass meine Diagnose richtig ist." "Unsinn", sagte Helen Arogad bestimmt. "Damit das korrekt sein kann, müssten alle Naguad ja eigentlich Götter sein. Drei Viertel meines Erbguts sind Naguad, ein Viertel ist Iovar." "Hast du Informationen über diese Völker, Tarco Parhel?", fragte der General. "Rudimentäre. Beide Völker sind seit einiger Zeit Verbündete des größten Kriegers dieses Planeten. Beide gelten als Daima." Zweifelnd sah er die Naguad an. "Ich will die Prüfung an einem größeren Analysegerät. Wenn das wahr ist, dann müssen wir im schlimmsten Fall das ganze Volk der Naguad als Götter einstufen." "Wie viele Naguad gibt es denn über den Daumen?", fragte der General Helen. "Etwas über zwanzig Milliarden. Ich bin da nicht ganz auf dem Laufenden. Aber viele von ihnen haben unsere Genetik aufgeprägt bekommen, das macht eine klare Zahl recht schwierig." "Sie haben also Daina und Daima mit ihrer Genetik adaptiert." Vantum lachte laut und rau auf. "Das klingt nach etwas, was ein Gott tun würde. Hole deine Gegner auf deine Stufe, und sie rebellieren nicht mehr gegen dich." Amüsiert sah er Tarco Parhel an. "Wie viele Naguad gibt es auf diesem Planeten?" "Nicht sehr viele. Lemur verzeichnet höchstens ein paar tausend von ihnen, aber fast sechs Milliarden Daina." "Und habt ihr deren Genetik bereits überprüft? Ich möchte ungern gegen Götter antreten. Verdammt, ich hatte von vorne herein ein schlechtes Gefühl, seit ich aufgewacht bin." "Wir haben das nicht geprüft", erwiderte Parhel kühl. "Die Erweckung des Keys war ein eindeutiges Zeichen für das Wirken der Dai." "Ach ja. Und ihr hattet einen Key unter der Nase, der in Wirklichkeit ein Kind der Götter ist." Böse sah Vantum den Offizier an. "Ohne es zu merken! Geschweige denn sie zu prüfen!" Tarhel zuckte leicht zusammen bei diesem Tadel. "Es gibt definitiv Dai auf dieser Welt", zischte er ärgerlich. "Und sie haben den Vertrag gebrochen. Sie haben sogar einen Reyan Maxus erschaffen. Es herrscht hoffentlich kein Zweifel darüber, dass die Dämonen sowohl die Feinde der RASHZANZ als auch Eure Feinde sind, General." "Darüber sicherlich nicht. Aber eines interessiert mich gerade sehr: Wisst ihr zufällig, wer der Reyan Maxus ist? Oder wurdet ihr nur über seine bloße Existenz informiert?" "Es ist ihr mächtigster Krieger. Er..." Tarhel wurde blass. "Er ist der Sohn des Key." "Also, jetzt wird es interessant." Vantum sah Helen in die Augen. "Stimmt das? Ist dein Fleisch und Blut wirklich so arrogant, sich als stärkster Krieger Lemurs zu bezeichnen?" Die junge Arogad atmete ärgerlich aus. "Erstens heißt diese Welt heute Terra oder Erde. Und zweitens bezeichnet mein Sohn sich niemals als stärkster Krieger Terras. Das tun immer andere für ihn." "Weißt du, was es bedeutet, wenn ein Abkömmling der Götter ein Reyan Maxus wird, Parco Tarhel? Weißt du, was das für uns alle bedeutet?" "Ich heiße Tarco Parhel, General", erwiderte der Offizier störrisch. "Und wir wissen beide, was mit ihm passiert. Er wird eine tickende Zeitbombe, die mit einem unglaublichen Knall untergehen wird. Unsere Experimente mit Göttern, die im AO geschult wurden und selbst Reyan Maxus wurden, sind eindeutig. Das Talent der Götter für AO ist zu groß. Sie absorbieren zu viel. Sie verbrennen innerlich daran. Und dann vernichten sie alles in ihrem Umkreis. Viel schneller und viel stärker als die Maxus der Dai." Helens Hände ballten sich zu Fäusten, als sie diese Worte hörte. Auch wenn sie unter der Konditionierung des Keys stand, das Schicksal, das Akira hier prophezeit wurde, gefiel ihr überhaupt nicht. "Auf jeden Fall wird er große Schwierigkeiten haben", erwiderte der General. "Man wird sehen, ob uns in ihm ein großer Gegner erwächst, ein zukünftiger Verbündeter, oder ein weiteres bedauerliches Opfer in unserem Konflikt zwischen Dai und Göttern." "General, wir sind dann bereit für den Ausfall." Vantum nickte dem Adjutanten zu, der leise an ihn heran getreten war, um ihn zu informieren. "Gut. Haltet euch bereit. In zwanzig Minuten verlassen wir die Anlange und beziehen Position rund um die abgestürzte RASHZANZ. Wir bleiben defensiv, vorerst." "Ausfall? Ich dachte, nachdem ihr auf uns geschossen habt, dass..." "Dass wir unsere erste Pflicht vergessen haben? Dass wir uns nicht mehr daran erinnern, was die Dai, einmal losgelassen, mit den Welten des Konglomerats getan haben? Was sie noch hätten tun können, wenn der Vertrag sie nicht gestoppt hätte? Kriege dich wieder ein, Parco Tarhel. Wir haben uns nur ein wenig mit dir amüsiert. Allerdings habe ich eine Wette verloren. Ich habe darauf gesetzt, dass du dich einpinkeln wirst, wenn wir auf dich schießen." "Das... Das... Ich habe die volle Kontrolle über meine Körperfunktionen!", rief er ärgerlich. "Und ich heiße Tarco Parhel! Nehmt ihr uns von der RASHZANZ überhaupt ernst?" "Bleib ruhig, Offizier von Rooter Kevoran. Sei froh, dass wir schnell rausgefunden haben, wer hier mitten in der hochsensiblen Aufwachphase aufgetaucht ist, bevor wir dich und den Key wirklich ausgelöscht haben. Da hat nicht wirklich viel gefehlt." "Eine unzureichende Rechtfertigung!" "Die einzige, die du kriegen wirst, Parco Tarhel. Und jetzt lass dich auf dein Schiff zurückbringen, um Kevoran von unserem Angriff zu erzählen. Ich will nicht, das er auf meine Leute feuert." "Was ist mit Andeema Turak passiert? Ich hatte erwartet, das sie das Kommando führt." "Was wird wohl mit ihr sein? Sie ist tot. Sie hat die Kryostase nicht mitgemacht und die Anlage verlassen, nachdem wir alle eingefroren waren. Sie ist schon vor ewigen Zeiten da draußen im Götterland irgendwo gestorben. Wahrscheinlich hatte sie bessere Tage als wir alle." Der General fixierte Helen mit ernstem Blick. "Key, komme sofort zurück, sobald du Parco Tarhel auf die RASHZANZ gebracht hast. Ich will, dass du für weitere Tests zur Verfügung stehst, um alle Zweifel auszuräumen. Wir müssen sicher sein, was wir mit dir tun, was wir mit deinen Leuten tun. Und jetzt geh." Helen nickte, und ergriff die Hand des Waffenoffiziers. Der sagte ärgerlich, kurz bevor die Arogad auf die Ley-Linien sprang: "Ich heiße Tarco Parhel, verdammt!" *** "Ich kann die AO von hier aus orten", sagte Eikichi Otomo ernst. Dai-Kuzo-sama verzog ihr Gesicht zu einem dünnen Lächeln. "Es war erforderlich, sie zu aktivieren." Sie hob abwehrend die Rechte. "Keine Sorge, wir werden sie nicht eine Sekunde länger benutzen als unbedingt notwendig. Und wir setzen die Waffen nicht ein. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Wir setzen hier und heute mehr auf die Kraft der Dämonen, nicht auf die Kraft der mechanischen Waffen." Eikichi blieb skeptisch. "Das Feindschiff ist kein Strafer. Es ist größer, gewaltiger, stärker. Und seine Insassen, sofern es überhaupt welche gibt, haben schon gegen Dai gekämpft. Vielleicht bleibt dir keine andere Wahl, und du musst die Waffen der AO einsetzen, Dai-Kuzo. Wen wirst du dafür opfern? Dich selbst vielleicht? Ich schaffe gerade alles herüber, was mir möglich ist. Selbst die Amerikaner zeigen sich großzügig, nicht zuletzt dank ihres Interimspräsidenten Dean Richards. Sie senden uns mehrere Kampfgruppen von Hawaii und San Diego. Wenn es irgendwie geht, warte bis sie da sind. Es gibt nicht unendlich viele Dai, aber sehr viel mehr Mechas und Piloten auf der Erde." Dai-Kuzo lachte rau. "Soll ich von den Menschen verlangen, was ich von meinen Dämonen nicht zu fordern bereit bin, Eikichi? An Mut mangelt es keinem von uns. Und wir kennen unsere Aufgabe, denn immerhin haben wir sie mit in diese Zeit gebracht. Aber vorerst versuchen wir es auf den konventionellen Weg. Tora versucht mit einer Gruppe Untergebener in das Kommandoschiff einzudringen." "Tora? Du vertraust ihm? Und das, nachdem er dich eintausend Jahre lang bekämpft hat? Nachdem er sich mit dem Core verbündet hat? Nachdem sein Ziel war, die Daimon Atlantis zu entblößen und vernichtet zu sehen? Und ausgerechnet ihn schickst du zu deinen Feinden? Sage mir wenigstens, dass du ihm ein paar Aufpasser mitgegeben hast." "Es ist nicht die Zeit dafür, engstirnig zu denken und zu handeln. Ausgerechnet von dir hätte ich das nie erwartet, Eikichi. Gerade du hast immer wieder dafür plädiert, dass wir nur gemeinsam widerstehen können." "Es gibt Ausnahmen. Und diese Ausnahmen sind sehr gefährlich. Glaubst du Tora wirklich, dass er seine Meinung um einhundertachtzig Grad gedreht hat, nur weil die Daimon weg ist? Nur weil der Kontakt mit den Menschen da ist, den er so lange gefordert hat? Vergiss nicht, sein Hauptziel ist es dich als Herrin der Dai abzulösen. Dafür ist er schon einmal über Leichen gegangen. Er wird es wieder tun." "Der Core ist jetzt dein Verbündeter, Eikichi", erwiderte Dai-Kuzo trocken. "Und Michael hat keine Bedenken. Ich denke, wenn der Engel so etwas sagt, dann muss es fundiert sein. Und, verdammt noch mal, Eikichi, ich brauche Toras Kampfkraft. Wenn du Recht hast, und dieses Ding und seine Besatzung wissen wie man gegen Dai kämpft, dann brauche ich meine Stärksten!" Ein wenig mürrisch sah Eikichi die Königin der Dai an. "Ich mache mir Sorgen, Dai-Kuzo! Sorgen um dich!" "Das weiß ich doch, mein Junge. Und ich weiß auch, dass ich nicht gegen Verrat und Tod gefeit bin. Aber das ist mein Risiko. Mein Hals, mein Kopf, meine Schlinge. Ich habe mich entschieden, und wenn ich die Konsequenzen nicht abwehren kann, werde ich sie tragen." "Das brauchst du nicht, Dai-Kuzo", wandte der Executive Commander der UEMF unsicher ein. "Das musst du nicht." "Keine Widerrede, Eikichi. Ich habe mich entschieden. Und ich bin immer noch die Seniorpartnerin unserer illustren Runde. Ja, notfalls werde ich selbst mein KI in eine Kanone speisen und dabei vielleicht mein Leben lassen. Oder ich werde im Notfall selbst gegen die Götter kämpfen. Das ist vielleicht unvernünftig, aber ich bin die stärkste Dämonenkönigin. Und dieser Verantwortung, dieser Pflicht bin ich bisher nie aus dem Weg gegangen." "Ich weiß", gestand Eikichi mürrisch ein. Er presste die Kiefer aufeinander. Ärger, Verzweiflung und Angst standen in seinen Augen. "Wenn nur Eridia hier wäre..." "Ich bin sicher, Helen tut es auch. Ich bin zuversichtlich, dass sie sich schon bald aus der Konditionierung durch den Key lösen wird." Eikichi lächelte gequält. "Du hast auch schon überzeugender gelogen." Die große Spinne erwiderte das Lächeln. "Habe etwas Vertrauen zu deiner Frau, Eikichi. Sie ist viel stärker als du denkst. Und habe Vertrauen zu uns. Wir sind nicht besiegt. Und wir sind noch lange nicht so weit, dass wir uns für die Kanonen der AO opfern müssen. Unsere Situation ist gut, und wenn es Tora gelingt in das Feindschiff einzudringen, wird sie sich erneut verbessern. Außerdem steht die HINDENBURG bereits über Atlantis. Sie hat sich einem fliegenden Schlachtkreuzer der Götter als gewachsen erwiesen. Einem gestrandeten wird sie überlegen sein." "Ich gehe jetzt nicht auf all die Schwächen und Rücksichtnahmen ein, die dieses Szenario für uns birgt", sagte Eikichi ernst, weit davon entfernt, sich einlullen zu lassen. "Ich schicke lieber alles was fliegen kann, rüber zu euch. Die TORT ist bereits auf dem Weg zu uns. Sie kommt vom Mars rüber." "Du schickst uns den dritten Bakesch? Ich fühle mich geehrt", spöttelte sie. "Ich würde euch alle drei und die AURORA dazu schicken, wenn es in meiner Macht läge. Und dazu alle KI-Biester, die überall auf der Welt freies KI einsammeln, noch dazu, wenn sie auch nur einen Funken Kampfkraft hätten", erwiderte der Direktor der UEMF säuerlich. "Stirb nicht, Dai-Kuzo. Stirb verdammt noch mal nicht. Kitsune würde mir die Hölle heiß machen." "Ich gebe mir Mühe, noch ein paar tausend Jahre älter zu werden", versprach sie lächelnd. "Ach, und falls du deinen falschen John Takei und seine Kids auf Abenteuerurlaub vermisst, sie sind hier bei mir auf der AO." Für einen Moment zeigte Eikichis Miene Verwirrung, dann verstand er. "Gib mir Thomas." Das Bild wechselte und zeigte nun den hoch gewachsenen Mecha-Piloten mit der martialischen Augenklappe. "Seid ihr in Ordnung?" "Haru Mizuhara hat ihren Eagle gecrasht, aber ansonsten geht es uns allen gut. Wir haben eine Zeitlang gegen das Feindschiff ausgeholfen. Nun befinden wir uns zusammen mit den anderen überlebenden Piloten der Chinesen entweder auf der AO oder auf der XIANG. Wir haben das Feld derweil den Dämonen überlassen, zumindest solange sich die Götter auf die Defensive beschränken. Unser Hauptproblem ist immer noch, das wir keine Ahnung haben, ob und wie dieses Schiff die Erde vernichten kann. Und ob wir den Vorgang vielleicht ungewollt auslösen, wenn wir das Schiff vernichten. Ansonsten ist hier alles in bester Ordnung." Er runzelte die Stirn. "Ist das nicht sonst eine von den Situationen, in die Akira mit Vorliebe platzt?" "Es ist nicht so, als würden diese Situationen ihn nicht suchen, Thomas. Es ist nur so, das ein ganzer Planet ihm schlecht folgen kann", erwiderte Eikichi in einem Anflug von Humor. "Okay, das macht Sinn." "Und? Konntest du den Elite-Piloten gut verkörpern? Oder haben deine Schüler den Braten gerochen?" "Sie haben keinerlei Zweifel daran, das ich John Takei bin, ehemaliger Top-Pilot des zweiten Marsfeldzugs und Testpilot der Luna Mecha Research. Aber vielleicht ahnen sie, das ihre kleine Verschwörung zugunsten der UEMF schon lange nicht mehr geheim ist. Und das wir sie auf ihre Fähigkeiten testen. Wie Sie immer sagen, Sir, Talent findet man an den unmöglichsten Orten. Und diese drei Jungen und das Mädchen haben so viel Talent, dass es ihnen schon aus den Ohren heraus quillt." "Es wundert mich nicht. Wirst du sie gegen die Götter einsetzen?" "Nein, Sir. Außer, es bleibt uns keine andere Wahl mehr. Sollten sie sterben müssen, dann soll das wenigstens an Bord eines Mechas sein." Eikichi lachte leise gequält auf. "Ich werde diesen verdammte Fluch wohl nicht mehr los, der mich ständig Kinder in Lebensgefahr schicken lässt, was? Ich schäme mich vor mir selbst." "Wir tun alle nur, was wir tun müssen, Sir", beschwichtigte Thomas. "Und die Kids haben wenigstens eine Wahl. Die hatte Akira damals nicht." "Doch, die hatte er. Aber andere haben ihm keine Wahl gelassen." Eikichi atmete durch. "Dann tun Sie, was Sie tun müssen, Lieutenant Colonel. Viel Glück bei der Geschichte. Und falls es uns morgen nicht gibt, bringen Sie die Kinder zu mir auf den OLYMP." "Verstanden, Sir." 2. Als Dai-Kitsune-sama die letzten Vorbereitungen traf, summte sie ein Medley von Joan Reilleys besten Hits. Es gab nicht viele Dinge, die ein Dai tun musste, wenn er in den Einsatz gehen wollte. Eigentlich waren nur drei wirklich relevante Dinge zu beachten: Energiebedarf, Energiebedarf, Energiebedarf. Dai waren nur zum Schein materiell. Nein, das war so nicht richtig. Sie waren sehr wohl da, wenn sie einen festen Körper annahmen. Die Materie an sich im gesamten Universum hingegen war eine Illusion, und das erlaubte ihnen, nach Belieben verschiedene Körper zu formen und zu beseelen. Und erschaffen konnte sich der Dai, oder im ihren Fall die Dai, so ziemlich alles, was sich aus Materie schaffen ließ. Von Schusswaffen sah sie ab, vor allem davon, die Munition ebenfalls aus sich zu erschaffen. Welcher Dai war auch so dumm und gab seine eigene Substanz auf? Was sich so einfach anhörte, war in Wirklichkeit sehr kompliziert. Das KI, die Energie der Dai, war nicht leicht zu erzeugen. Und sie war auch nicht leicht zu beherrschen, geschweige denn in verschiedene Formen zu pressen. Es erforderte Übung, jahrelange Routine. Jahrzehntelange Routine. Jahrhundertelange Routine! Und... Gut, gut, wenn man erst einmal die Übung hatte und mit den Körpern umgehen konnte, dann ging das alles rasend schnell. Dann konnte sich ein kleiner Fuchs schon mal in eine junge Menschenfrau verwandeln. Oder sich einen Kampfanzug erschaffen. Oder einen bestehenden Anzug zu einem Kampfanzug verstärken. Was einige Dai taten, die mit ihren Kräften haushalteten. Und was sie selbst mürrisch ebenfalls als sinnvoll angesehen hatte. Kitsune konzentrierte sich auf ihre Hand, und ließ sie die Form und die Festigkeit einer Stahlklinge annehmen. Dabei achtete sie besonders darauf, einen möglichst spitzen Winkel zu erschaffen. Als sie fertig war, hatte sie eine armlange Klinge erschaffen, deren Schneide so scharf war, dass sie sogar durch Stahl schnitt. Das klappte auch nur, weil sie den spitzen Winkel im Stahl, der für diese Fähigkeit, den Schnitt, verantwortlich war, bis hinunter in den molekularen Bereich stabil hielt. Auch eine Sache, die sie nicht über Nacht erlernt hatte. Außerdem musste man immer mit diesem komischen Gefühl kämpfen, diesem Gedanken, dass die Klinge ein Teil von einem war. Irgendwie. Sie hatte fünftausend Jahre Zeit dazu gehabt, der perfekte Krieger zu werden. Sie hatte immer gedacht, diese Aufgabe gemeistert zu haben, denn immerhin hatte die große Spinne sie gelobt. Und bei diesem Charmebolzen war das ein Ereignis von einer Seltenheit, gegen das eine Jahrhundertwende einen Geschwindigkeitsrausch verursachte. Langsam löste sie die Klinge wieder auf und ließ ihren rechten Arm wieder entstehen. Bedächtig krümmte sie Daumen und Finger, wie um sich zu vergewissern, dass es noch funktionierte. Ja, solange es genügend Energie gab, solange sie konzentriert blieben und sich nicht zu sehr verausgabten, hatten sie mehr als eine reelle Chance, um das Depot zu sprengen. Verdammt, sechs Dais versuchten hier einen Stützpunkt zu sprengen, der eintausend Kilometer durchmaß, innen hohl war, und ein paar hundert Strafer wartete. Und wer weiß wie viele er in welcher Zeit neu erbauen konnte. Das Schlimme an der Geschichte war, dass dies nicht die einzige Werftwelt der Götter war. Letztendlich konnte die Vernichtung dieser Welt nur eine kurze Atempause bewirken. Aber das war vielleicht genau die Zeit, die sie brauchten. Eine Waffe landete in ihrem Schoß. Interessant. Einen Neuroschocker kannte sie nur als Modell, aber nicht als funktionsfähige Pistole. "Hier", sagte Antra von den Tiefen, die Dai, die ihr bis aufs Haar glich, "die wirst du brauchen, Kitsune. Der Hauptcomputer besteht aus einem neuronalen Netzwerk. Er wird empfindlich auf den Beschuss mit diesem Schatz reagieren. Sehr empfindlich." Sie lächelte düster. "Bei den Strafern hat er uns gute Dienste geleistet." Kitsune ergriff die Waffe mit spitzen Fingern am Lauf und hob sie hoch wie etwas Totes. "Ich dachte, diese Dinger wären geächtet, weil sie mehr Daina und Daima verblödet als getötet haben." "Jorug, mein Herr, hat die alten Depots geöffnet, nur für diese Mission. Und nur weil wir gegen einen neuronal vernetzten Supercomputer kämpfen. Es hat Vorteile, im Kampf mit Maschinen zu sein, findest du nicht?" Kitsune lächelte dünn, dann ergriff sie die Waffe richtig, entfernte das Energiemagazin und inspizierte sie aufmerksam. Als sie mit dem Zustand zufrieden war, lud sie das Energiemagazin erneut, sicherte und tauschte sie gegen die 44er Magnum, die sie im Schulterholster stecken gehabt hatte. Die großkalibrige Waffe verschwand in einem Holster auf ihrem Rücken. "Danke. Ich gebe sie dir wieder, sobald die Mission vorbei ist. Ich würde so etwas ungern mit nach Hause nehmen." "Du gehst davon aus, dass wir überleben?", fragte sie interessiert. "Natürlich. Ich bin die Heldin meiner ganz eigenen Geschichte. Und die Hauptprotagonistin stirbt nie." Für einen Moment dachte sie über diese Aussage nach. "Na ja, fast nie. Außerdem habe ich einen guten Grund, um zu überleben." "Oh. Männlich oder weiblich?" "Wie kommst du darauf, dass es kein Dai ist?" Das schien Antra zu erstaunen. "Ihr bleibt nicht euren einmal gefassten Geschlechtern treu?" "Ich bin fünftausend Jahre alt. Ich würde es als sehr langweilig empfinden, wenn ich in jedem Jahrtausend im gleichen Geschlecht herum laufen muss. Gut, gut. Der Einfachheit halber wechseln wir auf Lemur das Geschlecht nicht so häufig, aber immerhin tun wir es. Und es gibt auch kein Tabu dagegen." "Merkwürdige Sitten habt ihr auf der Urheimat. Bei uns gehört es zum guten Ton, herauszufinden was man sein will, nachdem man aufgestiegen ist. Oder nachdem ein geborener Dai erwachsen wurde. Danach bleibt man dabei. Erleichtert viele Dinge im Leben." "Und macht sie langweiliger", konterte Kitsune. "Berechenbarer, nicht langweiliger", hielt Antra dagegen. Die beiden Frauen fixierten einander amüsiert. "Also, männlich oder weiblich?" "Nicht das was du denkst. Ein junger Daina. Mein Schutzbefohlener. Ich kann ihn unmöglich alleine durch die Weltgeschichte marschieren lassen, jedenfalls nicht auf Dauer. Er hat die ungemein schlechte Angewohnheit, in seinem Kielwasser Explosionen und Verwüstungen zurück zu lassen, obwohl er ständig versucht, alles und jeden zu retten." "Ah. Ein Verrückter?" "Von vorne bis hinten. Reinsten Wassers", bestätigte Kitsune. "Ich liebe ihn sehr." "Ja, das merkt man. Ein Aufstiegskandidat?" "Ein Reyan Oren, der kürzlich zum Maxus aufgestiegen ist." "Oh." Erschrocken sah Antra die Füchsin an. "Das... Das tut mir Leid." Kitsune winkte ab. "Keine Sorge, er hat Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, bevor er außer Kontrolle geraten kann. Er hat hervorragende Lehrmeister, die ihm den Umgang mit KI schon von Kindesbeinen an gelehrt haben. Die große Spinne hatte ihn eigentlich bitten wollen, zum Dai aufzusteigen. Er wäre der zweite in den letzten sechshundert Jahren, den sie in unseren Reihen aufgenommen hätte. Und vielleicht können wir die Entwicklung irgendwann einmal umkehren. Er muss kein randalierender, alles verzehrender Berserker werden. Ich finde schon eine Lösung für ihn." "Ja", sagte Antra nickend, "du liebst ihn wirklich sehr, Füchsin. Dein Verrückter muss ein ganz besonderer Mensch sein. Wie ist sein Name?" "Welchen willst du wissen? Seinen Namen auf Lemur, oder den, den er von seinen naguadschen Vorfahren hat?" Antra runzelte die Stirn. "Akira Otomo? Eieieieieiei. Das ist übel." Kitsune riss ihre Augen auf. "Du kennst ihn? Die andere Dai prustete und versuchte einen Lacher zu unterdrücken. "Man hat von ihm gehört", sagte sie mit todernster Miene. Ihr Blick wurde bedauernd. "Umso schlimmer ist die Reyan Maxus-Sache. Es gibt einige, die viel von ihm erwartet haben. Immerhin geht das Gerücht um, er hätte alleine zwei Türme der Naguad erobert." "Oh, das hat er tatsächlich. Irgendwie. Zumindest hat er die Arogad und die Daness glauben lassen, er hätte es getan." Antra hob eine Augenbraue. "Er soll Offizier im Core geworden sein, und diese Gesellschaft maßgeblich neu bestimmt haben." "Er ist Anführer des Core-Militärs geworden", dozierte Kitsune. "Und er hat den Core evakuiert, um ihn vor den Strafern der Götter in Sicherheit zu bringen." Nun wanderte auch die zweite Augenbraue langsam nach oben. "Was ist dran an dem Gerücht, dass er schon seit drei Jahren ein äußerst erfolgreicher Krieger sein soll?" "Drei Jahre trifft es nicht ganz. Warte, er war etwas mehr als dreizehn terranische Jahre alt, als er das erste Mal in einen Daishi stieg. Und vierzehn, als er den Mars angegriffen hat... Das hat er mit siebzehn noch mal gemacht, nur diesmal hat er die ganze Welt erobert... Ich glaube, ich schweife ab." Langsam sackte Antra das Kinn nach unten. "Ich habe diese Berichte alle mit Vorsicht genossen. Ich hielt neunzig Prozent für Übertreibungen." "Bei Akira gibt es keine Übertreibungen", erwiderte Kitsune mit einem glücklichen Lächeln. "Uff. Ich hoffe, ich habe Gelegenheit, Akira einmal kennen zu lernen. Vielleicht kann ich euch ja sogar bei der Maxus-Problematik helfen." "Na? Wer glaubt jetzt daran, das wir die Mission überleben?", neckte Kitsune. "Wenn man aber auch ein Ziel hat", murmelte Antra. Lertaka der Wind kam zu ihnen herüber, alle sichtbaren Partien seines Körpers mit komplexen Schriftzeichen in brauner Tinte bemalt. Er reichte den beiden je ein Päckchen. "Achtet gut darauf. Es könnte vielleicht die einzige Ration sein, die wir hier bekommen werden." Die beiden Frauen nahmen sie entgegen. Sie enthielten zwei Liter Wasser und drei Kilo Fertignahrung aus der Wiederaufbereitungsanlage des Strafers A101. "Danke, Lertaka. Übrigens, schöne Schrift habt ihr. Was bedeuten die Zeichen?", fragte Kitsune. "Sie sind so eine Art Lebenslauf. Ich habe die wichtigsten Stationen meines Lebens beschrieben. Sie mahnen mich, stets mein Bestes zu geben, um den Lertaka der Vergangenheit nicht zu enttäuschen, ihn und seine Mühen, die mich erst hierher gebracht haben. Und sie ermahnen mich, dem Lertaka in der Zukunft eben diese zu ermöglichen." "Eine interessante Philosophie", sagte Kitsune leise, während sie ihre Ration verstaute. Sie hatten alle bereits gegessen, um ihren Energiehaushalt auszugleichen. Ohne Ley-Linien, ohne sie umgebendes KI eine lebensnotwendige Grundvoraussetzung. Nicht, dass Kitsune je etwas gegen normale Nahrung und normale Körperfunktionen hatte, aber es bewies, dass die Geschichte langsam ernst wurde. Zudem wusste niemand zu sagen, wie lang der Einsatz dauern würde, geschweige denn was sie im Zentrum bei den Werften vorfinden würden. Nur ihr Ziel war klar: Den ganzen verdammten Werftkomplex zu Sternenstaub zu zerblasen, und mit ihm alle hier eingemotteten Strafer, Vernichter und Sucher. Entschlossen sah Kitsune Lertaka an. "Na, dann wollen wir dir doch mal was interessantes zu schreiben geben, Lertaka." Sie steckte zwei Finger in den Mund und pfiff herzhaft. Sofort kamen die anderen drei Dai herbei. "Geht es los?", fragte Livess vom Sternfeuer aufgeregt. Sie hatte ihre goldenen Haare zu einem kunstvollen Knoten hochgebunden, der dennoch unter dem Helm ihrer Kampfmontur kaum auftrug. Ihre klugen grünen Augen blitzten aus dem tiefbraunen Gesicht erwartungsvoll hervor. "Ja, es geht los. Das Ereignisprotokoll von A101 hat uns ja verraten, wann mal wieder eine Materialfähre an uns vorbei kommt, die den Werftkomplex im Zentrum mit Material versorgt. Auf den springen wir auf und lassen uns bequem tragen." Ihr Blick ging nach oben. Über ihren Köpfen hing der Werftkomplex wie eine Verheißung im ewigen Licht des Stützpunkts. Warum sich die Maschinen die Mühe machten, die gigantische Sphäre mit Licht zu füllen hatte ihnen nicht einmal der Computer beantworten können. Wahrscheinlich war, dass die Götter es so angeordnet hatten, und die Zentralrechner keinen Grund sahen, diesem Befehl zu widersprechen, weil die Technologie, die Materialien und die Energien in vollem Maße vorhanden waren. Nicht, dass ein Dai Licht gebraucht hätte, um sich zu orientieren. Aber im indirekten Licht von ein paar Millionen Leuchtquellen erster Ordnung enthüllte sich ihnen ein größeres Wunder. Ein Wunder, das sie zu zerstören gedachten. Im Kern der Anlage, fast vierzehnhundert Kilometer entfernt, begann der Werftkomplex, in dem Schwerelosigkeit herrschte. Das verschachtelte, gut zweihundert Kilometer durchmessende Riesengebilde bestand aus Zulieferfabriken, Werftanlagen, Energieerzeugern. Trotzdem war nur jede fünfte Werft, die sie erkennen konnten, dazu in der Lage, die gigantischen Vernichter aufzunehmen, jene Giganten, die sie von ihrer Position aus auf der Innenseite der Anlage erkennen konnte. Zwischen gigantischen Haufen von Material jedwelcher Art. Die Sucher, ja selbst die Strafer wirkten beinahe winzig neben ihnen. Geradezu harmlos. Ein gefährlicher Trugschluss, denn Kitsune hatte gesehen, welche Macht alleine die Strafer hatten. Und sie fürchtete sich davor, dass die Götter die Vernichter auf das Universum los ließen. Hier und heute war die Ökonomie ihr größter Freund, denn die Schattenwirtschaft der Götter konnte es sich nicht leisten, die Vernichter zu reaktivieren und über einen längeren Zeitpunkt zu betreiben, ohne zugleich ihre Rohstoffgewinnung erheblich anzukurbeln. Was wieder Ressourcen fraß, und die Werften für Entdeckung anfällig machte. Rickar der Taucher drückte Kitsune einen holographischen Projektor in die Hand. Die Füchsin aktivierte ihn, und ließ ein dreidimensionales Modell des Kernsektors entstehen. "Wir sind bisher nicht entdeckt worden. Die Naivität der Maschinen ist erschreckend, wenn sie einfach alles ignorieren, was nicht in ihrer Welt existieren kann. Zum Beispiel ein Einsatzkommando der Dai, dass rittlings auf ihren Strafern reitet." Kitsune schwieg für einen kurzen Moment. Elf Dai, die besten von elf Welten, hatten versuchen sollen, jeweils einen Strafer zu entern. Sie waren hier zu sechst, und die Wahrscheinlichkeit war groß, dass die anderen fünf es nicht geschafft hatten. Vielleicht waren sie bereits tot. Dennoch lächelte sie, und versuchte Zuversicht zu verbreiten. "Die Werften sind kein Gesamtkomplex, wie wir ursprünglich vermutet haben. Unsere Langreichweitenscans haben ergeben, dass die ganze Werft wie organisch gewachsen ist. Die ältesten Komplexe stecken im Kern, und nach außen hin umgeben jüngere Fabriken und Werften wie eine Schale die älteren Komplexe, bis hin zu den Werften, die wir ganz außen sehen. Es gibt zwar eine stringente Struktur, die dafür spricht, dass dieser Aufbau geplant war, aber es gibt explizite Anzeichen dafür, dass die äußeren Bereiche nicht nur neuer, sondern auch moderner sind. Vielleicht ein Grund, warum wir Werften für Vernichter nur hier draußen finden, aber nicht tiefer im Komplex." Kitsune vergrößerte das Hologramm und zoomte eine besondere Stelle hervor. "Ein Teil der Werften sind reine Reparaturdocks. Andere können Schiffe vom Kiel bis zur Vollausstattung neu bauen. Die Struktur der ganzen Anlage ist nicht kompakt. Schächte und Zwischenräume reichen teilweise bis hin zum Kernkomplex hinab. Meistens sind diese Passagen nur von Materialfähren zu passieren, manchmal passt sogar ein Strafer hindurch." Kitsune verkleinerte das Hologramm wieder. Nach einer kurzen Manipulation leuchteten mehrere hellgelbe Punkte in der Struktur auf. "Hier sind unsere Ziele. In diesen Bereichen wird die Energie für den Komplex erzeugt. Hast du keine Bombe, dann mach dir eine, wie mein Taktiklehrer oft zu sagen pflegte. Unser Ziel ist es, die Fusionsreaktoren derart zu übersteuern, sodass es zu mehreren Explosionen kommt, die schließlich den gesamten Kernkomplex erfasst. Im günstigsten Fall atomisieren wir die gesamte Sphäre, und sind zumindest diese Werft der Götter los." Celeen Atuar hob zögernd die rechte Hand. "Kitsune, wie steht es in diesem Szenario mit dem Überleben des Einsatzteams?" Die Füchsin runzelte die Stirn. "Ich rechne absolut nicht damit, das wir entdeckt werden. Tatsächlich werden wir ein paar ihrer mobilen Einheiten kapern können, damit sie uns beim Bomben basteln helfen. Für die Zentralrechner werden wir nicht einmal existieren, wenn wir vor ihnen stehen und ihr Gehäuse kicken. Also, natürlich werden wir überleben. Wir kapern eine Fähre zur Innenschale der Sphäre, dort einen Sucher, und anschließend bringe ich euch einzeln nach Hause. Ist das ein Plan?" "Ich frage ja nur, weil es mir merkwürdig erscheint, dass die Rechner hier einerseits die Existenz eines Einsatzteams der Dai für unmöglich halten, andererseits aber gegen Daina und Daima Abwehrmaßnahmen eingerichtet haben." "Abwehrmaßnahmen?", echote Kitsune. Rickar räusperte sich und nickte bestätigend. "Der gesamte innere Werftkomplex wird permanent von harter Strahlung geflutet. Die heiße, energiereiche Variante." "Und Radioaktivität bedeutet für einen Dai kein so großes Problem, aber Daina und Daima würden in diesem Komplex nach ein paar Stunden bei lebendigem Leib gebraten sein." "Ich verstehe, was du meinst." Kitsune runzelte die Stirn. "Das ist sehr merkwürdig, denn wenn sie, wie wir wissen, keine Dai hier erwarten, dann sollten sie Daina und Daima erst Recht nicht erwarten. Vielleicht ist es ein Leck. Das Ergebnis eines Unfalls." Rickar schüttelte energisch den Kopf. "Nein, Kitsune. Es gibt sechs Emissionsquellen, die zufällig mit deinen Energieerzeugern identisch sind. Die Strahlung wird gezielt verteilt." "Aber das macht doch keinen Sinn", sagte die Füchsin irritiert. "Wieso sollten die Zentralrechner eine indirekte Abwehrmaßnahme gegen Daina und Daima etablieren, wenn sie es für unmöglich halten, dass wir Dai es bis hierher schaffen?" "Vielleicht haben sie von deinem Akira gehört", scherzte Antra grinsend. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Kitsunes Gesicht. "Ja, das könnte sein." "Also, eines sollte für uns vollkommen außer Frage stehen", sagte Livess ernst. "Es ist eine gezielte Maßnahme, und sie ist gegen organisches Leben gerichtet." "Aber das macht doch erst Recht keinen Sinn. Die einzigen organischen Existenzen, die man hier finden könnte, das sind die Götter selbst, und die sind ausgestorben." Kitsune erbleichte, kaum, das sie ausgesprochen hatte. "Ja, da hol mich doch der... Ist das denn zu fassen? Die Maschinen haben die Götter getötet?" Aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen der Dai. "Das... Das ist unmöglich. Wir kämpfen gegen die Maschinen der Götter, weil sie überlebt haben, ihre Herren jedoch nicht", stotterte Rickar. "Und warum haben die Götter nicht überlebt?" Kitsune lachte, plötzlich gehässig werdend. "Anscheinend müssen wir zumindest einen Teil der Geschichte neu schreiben. Nicht wir Dai haben die Götter ausgelöscht, zumindest nicht komplett. Die Computer der Götter haben ähnliches verfolgt, wie dieser Werftkomplex beweist. Noch immer schützt er sich selbst vor seinen eigenen Herren." "Es ist nur ein Indiz", wiegelte Antra ab. "Ein Indiz, das wir unserem Volk bringen müssen. Es könnte für Ältere, Klügere als uns einiges erklären", sagte Kitsune ernst. Sie sah in die Runde. "Antra, du und Rickar kümmert euch darum, dass uns ein Sucher zur Verfügung steht, wenn wir zurück kommen. Ursprünglich habe ich gedacht, wir hätten genügend Zeit, um die Zerstörung von einem Logenplatz aus zu beobachten, aber das hat sich wohl erledigt. Lertaka, du versuchst in den zentralen Rechnerkomplex einzudringen und so viele Daten wie möglich zu stehlen. Bleiben Livess, Celeen und ich, um die Reaktoren zu sabotieren. Jeder von uns wird zwei von ihnen manipulieren müssen." Die anderen Dai nickten bestätigend. "Ursprünglich hätte ich gesagt, dass eine Zeitverzögerung von acht Stunden mehr als genug für uns ist, um der Sphäre bequem zu entkommen. Aber nicht unter diesen Umständen. Ein Einbruch in ihr Computersystem wird die Rechner alarmieren. Wir werden wenig Zeit haben, vielleicht nur ein paar Sekunden, bevor der Zentralrechner das erste Mal reagiert. Andererseits können wir ihn nicht ausschalten, weil wir die Daten aus seinem Inneren brauchen." Mit festem Blick sah sie in die Runde. "Der Reaktor, der unserem Andockplatz gegenüberliegt, muss als erstes explodieren. Wir müssen insgesamt zwei oder drei von ihnen zerstören, noch während wir im Komplex sind. Das könnte die Kettenreaktion bereits auslösen. Aber ich fürchte, wir haben in ein noch viel größeres Unheil hinein gestochert, als uns allen bewusst ist. Deshalb müssen wir einige Risiken eingehen, die keiner von uns eingeplant hat." "Was passiert, wenn bereits der erste Fusionsreaktor uns alle vier zur nächsten Existenzebene und darüber hinaus bläst, Kitsune?", fragte Celeen ernst. "Dann haben wir hier draußen immer noch zwei Dai, die zumindest unseren Verdacht zurück zu unserem Volk bringen", erwiderte Kitsune mit festem Blick. "Komm schon. Wer will schon ewig leben?" "Ich, mit Verlaub. Aber niemand hat jemals behauptet, ewiges Leben wäre ohne Mühen zu bekommen, oder?", erwiderte Celeen grinsend. "Gehen wir es an, meine lieben Mit-Dais." Die anderen nickten zustimmend. Es stand viel auf dem Spiel, unter anderem ihre Leben. Aber vielleicht war das, was sie zu gewinnen dachten, noch sehr viel wertvoller. Kitsune lächelte dünn. Wenn sie hier überlebte - falls sie hier überlebte - dann hätte sie eine tolle Geschichte, die sie Akira und den anderen erzählen konnte. 3. Der Schlag war hart. Ich hatte mit ihm gerechnet, eigentlich schon lange, bevor der Banges nahe meiner Position gelandet war, und mich mit seinen kraftvollen Lautsprechern aufgefordert hatte, stehen zu bleiben. Der Schlag bedeutete, dass mich eine Kugel getroffen hatte. Richtig, getroffen. Meine unheilvolle Fähigkeit, die nach der kurzen Ruhepause wieder aktiv geworden war, hatte das Mistding nicht aufgelöst. Hätte ich keine KI-Rüstung getragen, dann wäre sie über meine rechte Schläfe direkt ins Gehirn eingetreten, um aus der weichen, grauen Masse eine noch weichere, rote Masse zu machen. Ein Exekutionsschuss. Wie gesagt, ich hatte damit gerechnet. Nur wusste ich nicht, ob ich es mit einem übernervösen Scharfschützen zu tun hatte, der schlicht aus Angst reagiert und geschossen hatte, oder ob wieder mal ein KI-Agent versuchte, mich zu töten. Versuch Nummer eins war fehlgeschlagen, wie ich glücklicherweise registrierte. Das bedeutete für mich aber keine Sicherheit, denn einerseits markierte der Banges sehr genau meine Position, und andererseits hatte mein neuer bester Freund, der Scharfschütze, eventuell eine Idee, wie er meine KI-Rüstung durchschlagen konnte. In diesem Universum war nichts unmöglich und nichts beständig. Es gab nur ein paar Konstanten, und eine davon lautete, dass ich mal wieder tief in der Scheiße steckte. Ich war jedoch nicht gewillt, und bei weitem nicht geduldig genug, um mich aufhalten zu lassen. Oder mich töten zu lassen. Ein zweiter Einschlag an der gleichen Stelle achte mir bewusst, dass ich gerade die dümmste Idee seit langem ausprobiert hatte: in Gedanken schwelgen, während scharf auf mich geschossen wurde. Ich warf mich zu Boden und verschwand damit im Gras. Ein Umstand, der meinem neuen besten Freund überhaupt nicht gefallen wollte. In schneller Folge sandte er drei einzelne Schüsse auf meine Position. Einer traf mich am Bauch, zwei gingen knapp daneben. Die KI-Rüstung hielt stand. Leider setzte meine Fähigkeit als Maxus gerade dem Gras zu, und sorgte dafür, das meine spärliche Deckung nach und nach aufgelöst wurde. Fluchend kam ich auf die Beine und lief geduckt in Richtung Stadt. Um eine Ley-Linie zu benutzen war ich noch zu schwach. Oder ich hatte einfach noch zu viel Angst davor. Bis zu den ersten Gebäuden, den ersten Straßen, die mir Deckung geboten hätten, waren es aber noch mehrere hundert Meter. Leider war ich zwar ein Reyan Maxus, aber ich hatte nicht einmal eine so simple Fähigkeit wie Großvater Michael, der mich einmal mit ein paar Gigantsprüngen durch ganz Fushida City transportiert hatte. Das wäre jetzt sehr nützlich gewesen, auch wenn ich dann für meine lieben Dai-Freunde, die mich zweifellos verfolgten mehr als sichtbar gewesen wäre. Noch sichtbarer als mit einem roten Banges am Hacken. Ich korrigierte mich. Drei Banges. "Habe ich dich!", klang die Stimme von Sphinx hinter mir auf. Ich spürte ihre Präsenz, ihre Nähe, und vor allem ihre Sorge. All das war mir verständlich, aber ich wusste, dass ich mich jetzt nicht ergeben durfte. Dass ich hier nicht verharren durfte, dass ich weiter machen musste, wenn nicht noch jemand all die Qualen erleben musste, die mir gerade erst noch bevor standen. Wieder bellte ein Schuss auf, und die Hand von Sphinx wischte über meinen Kragen. Sie grunzte verblüfft auf, und ich hörte ihre Schritte nicht mehr. Halb wandte ich mich nach hinten. Die Dai hielt sich den schmerzenden Schädel. In ihren Augen war eine beleidigte Verletztheit, und deutlich konnte ich am Rot ihrer Wangen sehen, dass ihr Verstand sich mal wieder zugunsten ihrer Instinkte ausschaltete. "Das hat weh getan, du verdammtes Arschloch!", rief sie anklagend in Richtung des Scharfschützen. Bevor ich es verhindern konnte, und ehrlich gesagt konnte mir gerade wenig besseres passieren, schnellte sie in Richtung des Schützen davon. Weitere Schüsse fielen, und alle waren auf Sphinx gerichtet. Nun, da schien jemand Cynthia Andrews zu kennen und ausgiebig zu fürchten. Ein Gedanke, der mir ein Grinsen beschert hätte, wenn meine Lage nicht so ernst gewesen werde. "Commander, machen Sie es uns doch nicht so schwer!", rief einer der Piloten über die Lautsprecher. "Wir finden eine Lösung, aber jetzt müssen Sie erst mal auf die ADAMAS! Niemand fühlt sich wohl dabei, wenn er Sie verletzt!" Ich musste zugeben, das war beinahe so gut wie der Griff einer Dai nach meinem Kragen. Allerdings wären diese Argumente überzeugender gewesen, wenn nicht die Spitze einer Artemis-Lanze auf meine Position nieder gefahren wäre. Ich spürte die Gefahr erst in letzter Sekunde; die Tatsache, dass die schwingend gelagerte Klinge der Waffe nur einen Sekundenbruchteil hyperschnell vibrierte, nämlich genau jenen Augenblick, in dem sie mich eigentlich hätte treffen müssen, verriet mir, dass ich es mit einem verdammt guten Piloten zu tun hatte. Ich rollte mich über die linke Schulter ab, überschlug mich mehrmals, und rauschte mitten in einen idyllischen kleinen Gartenzaun hinein, der glücklicherweise aus Holz bestand, nicht aus Stein. In den Trümmern blieb ich einen Augenblick lang liegen, versuchte zu Atem zu kommen. Versuchte zu Verstand zu kommen. Mein ganzer Körper schmerzte, und wäre mein Magen nicht schon leer, hätte ich jetzt die Reste ausgespuckt. Ich fühlte mich so müde, entsetzlich müde. Was machte es für einen Unterschied, ob ich weiter lief, oder dem Banges-Piloten mit der Artemis-Lanze die Arbeit erleichterte? Warum musste ich es überhaupt sein, der immer den ganzen Ärger hatte, der mehr wuchten musste als die anderen? Warum musste ich immer alles alleine durchstehen? Ich versuchte hoch zu kommen, mich aufzurichten, aber erneut war ich so leer, so kraftlos, dass ich nicht einmal die Zaunreste auflöste, zwischen denen ich lag. Plastik. War ja klar. Echtes Holz wäre auch purer Luxus gewesen, hier an Bord der AURORA. Na toll, ganz toll. Da hatte ich meine Depression überwunden, und nun spielte mein Körper nicht mehr mit. Irgendwo an meine Flanke lauerte ein Scharfschütze, wenn Sphinx ihn nicht erwischt hatte, und hinter mir waren drei der sechs Banges des Red Teams. Außerdem hatte einer der Bastarde nach mir geschlagen, mit einer verdammten Artemis-Lanze, die eigentlich dazu gedacht war, einen Daishi aufzuschlitzen, oder um es gleich mit Schiffsstahl aufnehmen zu können. Verdammt, verdammt, verdammt. Der Ritt auf den Ley-Linien hatte mich vielleicht vor Sphinx und den anderen gerettet, aber er hatte mich auch verschluckt, durchgekaut und wieder ausgespuckt. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich ohnehin angeschlagen ins Rennen gegangen war. Immerhin war mein Körper vor nicht einmal einer halben Stunde noch von Krämpfen geschüttelt worden. Ja, dies war ein ungerechter, ein sehr ungerechter Tag für mich. Wie ungerecht ahnte ich, als über mir das charakteristische Klicken erklang, das ein Schnellfeuermagazin eines Banges machte, wenn es neue Explosivgranaten lud. Wieder versuchte ich aufzustehen, fort zu kommen. Aber genau so gut hätte der Banges auf meinen Beinen stehen können, mein Versuch hätte nicht weniger kläglich scheitern können. Dann schoss er. Megumi, wo war sie in diesem Moment? Sakura, meine geliebte Cousine und meine Leibwächterin? Makoto, mein zweiter Bluthund? Sora, meine persönliche Fioran-Attentäterin? Die Zeit dehnte sich. Ich glaubte, das Rauschen hören zu können, welches die Geschosse erzeugten, als sie die Luft durchschnitten. Ich glaubte das Pfeifen zu hören, das die Granaten machten, als sie um sich selbst rotierten, um ihre Bahn stabil zu halten. Meine Sinne waren für einen Moment ultraverlangsamt, aber hoch aktiv. Deshalb spürte ich die Wärme, die Weichheit beinahe sofort. Den Schwung, mit dem ich hoch gerissen wurde, die Kraft, mit der ich erst empor getrieben und danach den freien Fall zu spüren bekam. Die Weichheit, die Wärme wuchs. Und plötzlich beschleunigte die Zeit wieder auf einen normalen Wert. "Akira! Sag doch was! Akira!" Ich sah auf. Sora hielt mich in ihren Armen, drückte mich an ihren Busen, und starrte mit wässrigen Augen auf mich hinab. "Akira, geht es dir gut?" Sie strich mit ihrer Rechten über mein Gesicht, während Tränen über ihre Wangen liefen. Hinter mir, aber nicht sehr weit entfernt, explodierte die Feuergarbe des Banges im Erdreich. Ich hörte, wie die mechanische Hüfte des humanoiden Kampfroboters surrte, als er sich umwandte, um sein Ziel - mich - erneut ins Visier zu nehmen. "Hey, Baker, lass den Quatsch! Du kannst doch nicht auf den Boss schießen!", klang die nervöse Frauenstimme aus dem anderen Banges auf. Ich hörte, wie eine schwere Maschine neben mir aufsetzte. "Geh aus dem Weg, Caldones! Er frisst alles auf! Er macht alles zu Staub! Er ist ein Dämon, und ich werde ihn hier stoppen!" "Dazu musst du erstmal an mir vorbei!", blaffte Cardones wütend. Wieder wurde Munition nachgeladen, und voller Entsetzen erkannte ich, dass die beiden Banges sich wegen mir duellieren würden, während ich in direkter Reichweite war! "Ich denke, das wird nicht notwendig werden", klang eine ruhige, geradezu trockene Stimme auf, die ich nur zu gut kannte. Genauso wie das Geräusch, das Sekunden später erklang, und das entstand, wenn man Stahl durch Stahl zog. In diesem Fall ein Katana durch die Panzerung eines Banges. Ich lachte rau, als mir bewusst wurde, was ich da hörte. Das rang Sora ein erleichtertes Lächeln ab. Sie nickte. "Ja, es ist Doitsu. Er hat dem Banges einen der Waffenarme abgetrennt. Und im Moment sieht es so aus, als würde er den Piloten aus dem Cockpit schneiden. Akira, wie fühlst du dich?" "Beschissen", raunte ich mit rauer Stimme, die ich kaum als meine eigene erkannte. "Ley-Linien sind nicht dazu gedacht, um auf ihnen zu reisen." "Das sind sie in der Tat nicht. Und ich werde dafür sorgen, dass du das nicht noch mal machst", klang Sphinx' Stimme hinter uns auf. Sie kam langsam näher, noch immer ein wenig wütend, den bewusstlosen SCharfschützen hinter sich her schleifend. "Ein KI-Agent. Polizist, kein Angehöriger deines Blue Lightning-Regiments, Sora." Vorwurfsvoll sah ich Sora an. "Deines Blue Lightning-Regiments?" Sie richtete mich auf, soweit ich mich selbst gerade halten konnte, und versuchte den Augenkontakt zu vermeiden. "Nicht mein eigenes. Ich bin nur Mitglied. Wir haben einige der besten Terraner, Naguad und Anelph versammelt, um all jene Aufgaben zu lösen, die du nicht erledigen kannst." Das ließ eine Menge Spielraum für Spekulationen, interessanterweise. Doch da war ein Thema, dem ich mich später widmen würde. Falls es ein später gab, hieß das. "Ich kann nicht zur ADAMAS. Noch nicht", schränkte ich ein und wehrte sowohl die helfenden Hände von Sora Fioran als auch Cynthias ab, als sie mir dabei helfen wollten, aufzustehen. "Es gibt nichts was du nicht auch mit Hilfe der Kommunikationsanlagen der ADAMAS erledigen kannst, Akira. Wir müssen dich sofort dort hoch schaffen, bevor du wieder anfängst, Dinge aufzulösen. Bevor du jemanden verletzt wie Kei." Okay, das hatte gesessen. Und normalerweise hätte mich das auch überzeugt. Aber in diesem speziellen Fall verstärkte es meine Entschlossenheit. Ich sammelte meine Kraft, meine Energie. Versuchte KI zu schmieden, und meiner Aura hinzu zu fügen. Ich verstärkte meine KI-Rüstung soweit ich es vermochte. "Ich gehe jetzt noch nicht!" Sphinx sah mich an, in ihren Augen lag die gleiche Wut, die wohl eine Mutter für ein besonders ungezogenes Kind empfand. "Keine Diskussion, Akira! Bevor du noch jemanden umbringst!" "Wenn er nein sagt, dann heißt das nein. Dai hin, Dai her." Doitsu Ataka stellte sich vor mich, sein Schwert in der Scheide, aber griffbereit. "Es ist nur zu seinem Besten", wandte Sphinx ein. "Und wenn er das nicht einsieht, dann werde ich deutlicher sein müssen. Glaub mir, junger Ataka, das würde mir dann noch mehr wehtun als dir, aber wenn du mir dabei im Weg bist, wird es kurz und schmerzhaft sein." Doitsu grinste schief und schob seine Brille die Nase hoch, was einen schimmernden Reflex auf den Gläsern auslöste. "Wenn Akira nein sagt, dann meint er nein. Und da gibt es keine Diskussion." "Wenn du denkst, dass du kleiner Mensch gegen eine Dai bestehen kannst, dann..." "Vielleicht kann ich da etwas Überzeugungsarbeit leisten!", klang die Stimme Daisukes auf, während er mit zwei weiteren Banges im Garten landete. Er richtete den Lauf seiner rechten Armwaffe auf Sphinx. "Glaub mir, das wird mir mehr weh tun als dir. Aber Akira hat seine Gründe. Und ich schulde ihm genug, um mich mit der mächtigsten Dai zwischen Iotan und der Erde anzulegen." "Schmeicheleien bringen dich jetzt auch nicht weiter!", blaffte Sphinx. Sie ignorierte die Waffenmündung und sah wieder in meine Richtung. "Akira! Du wirst Menschen verletzten! Vielleicht sogar töten! Sei vernünftig, gehe auf die ADAMAS. Dort arbeiten wir dann daran, damit du diese schreckliche Fähigkeit zu kontrollieren lernst. Es gibt hier nichts, was einerseits das Risiko wert ist, das du eingehen willst, indem du andere wissentlich gefährdest, und andererseits nicht von der ADAMAS aus erledigen kannst." Tyges und Dai-Okame-sama setzten Seite an Seite über den Zaun hinweg und stellten sich neben Sphinx. "Akira, glaube mir, ich liebe dich. Und deshalb kann ich nicht zulassen, dass du etwas so dummes tust!" Flehentlich sah Sphinx mich an. "Akira, sei vernünftig!" "Ich bin vernünftig!", erwiderte ich laut. "Ich muss jetzt gehen. Ich muss mit Yohko sprechen!" "Was? Aber warum mit Yohko?", fragte Sphinx erstaunt. Okame sah mich düster an. "Er glaubt, dass seine Schwester auch zur Reyan Maxus aufsteigen kann. Sie teilen die gleichen Erbanlagen, und obwohl er eigentlich genau weiß, dass KI nichts mit Vererbung zu tun hat, wird er es zu Ende bringen." "Er kann sie auch von Bord der ADAMAS warnen", wandte Sphinx halbherzig ein. "Mag sein. Aber nur Auge in Auge kann er sie zwingen." Sostre Daness trat ebenfalls in den mittlerweile prächtig lädierten Garten. Er musterte Akira, dann half er Jora Kalis über die Überreste es Gartenzauns. "Wie ich sehe, löst Akira gerade niemanden auf. Nicht einmal das Gras." "Vorübergehend. Die Reise auf der Ley-Linie hat sein KI durcheinander gebracht", erklärte Okame. "Sobald es sich eingependelt hat, wird er wieder freies KI absorbieren, und als destruktive Aura an seine Umgebung absondern." "Oh. Und solange es im Ungleichgewicht ist, ist er keine Gefahr für seine Umgebung?" Sostre runzelte die Stirn. "Ich würde ihn Ley-Linien reiten lassen, bis er kotzen muss." "Es würde ihm schaden", sagte Sphinx ernst. "Aber ich habe euch richtig verstanden, oder? Solange Akiras AO im Ungleichgewicht ist, löst er keine Materie auf?", hakte Sostre nach. "So in etwa." Der Wolf nickte bestätigend. Sostre grinste über das ganze Gesicht. "Was wäre, wenn ich Akira eine oder zwei Stunden erkaufen könnte, in denen er weder seine Umgebung, noch seine Gesprächspartner auflöst?" Ich sah ihn aufgeregt an. "Das würde mir reichen!" Jora und Sostre tauschten einen amüsierten Blick miteinander. "Koffer, bitte." Jora hielt einen kleinen Aktenkoffer hoch. Sostre öffnete ihn und entnahm ihm ein modernes Injektionsspray. "Du erinnerst dich an die Geschichte im Kanto-System, als man dir ein Mittel injizieren wollte, das dein AO für mehrere Stunden aus dem Gleichgewicht bringen sollte, damit du deine Fähigkeiten nicht einsetzen kannst, Akira?" "Du meinst die Szene, in der es erst ein tödliches Gift gewesen sein sollte, aber schließlich nur ein starkes Schlafmittel gewesen war?" "Genau die Szene. Ich habe das Mittel hier. Nicht das Gift, und auch nicht das Schlafmittel. Aber das Zeug, das du ursprünglich bekommen solltest. Es heißt Antrovil. Es stärkt den Bo massiv, also dein Yin, während es den Jong, also das Yang, massiv schwächt. Dein KI gerät nicht nur aus dem Gleichgewicht. Du trittst auch in eine Phase ein, die dich schwerfällig und träge macht. Das dürfte es dir einerseits schwer machen, freies KI zu emissieren, und andererseits weiterhin wie ein Wahnsinniger durch die AURORA zu hüpfen." Sostre hielt mir das Spray hin. "Interesse?" "Rein mit dem Mist!", sagte ich ernst. "Nun gut, du hast es so gewollt." Der schlanke Daness drückte mir das Spray auf den Hals, und schoss mir ein paar hundert Mikrogramm des Medikaments ins Blut. Als ich schläfrig wurde, weckte das ein paar unliebsame Erinnerungen an jene Zeit, die schon so unendlich lange her schien. Verdammter Mist, ich begann weg zu sacken. *** Als Thomas alias John Takei nach dem Gespräch auf das Vordeck der AO hinaus trat, hatte er halb erwartet, dass eines der Kids vielleicht unfreiwillig gelauscht und ihn enttarnt hatte. Es hätte zumindest zum Geschehen gepasst, das sich sonst immer um Akira entfaltete. Gut, gut, er war nicht Akira Otomo, und auch nicht John Takei, aber immerhin benutzte er seine Legende. Vielleicht färbte ja etwas davon auf ihm ab. Nicht, dass er es wollte. Aber er befürchtete es. Nichts dergleichen. Sven und Philip standen etwas die Reling hinab und unterhielten sich mit einem Dai des Fuchsclans. Nicht, dass Thomas sich besonders gut bei den Daimon und ihren Familien auskannte, aber er glaubte sich zu erinnern, dass die Füchse und die Bären am liebsten als Krieger dienten. Also waren sie in entsprechender Zahl an Bord der AO vertreten. Er kannte keine genauen Zahlen, aber auf Lemur - der Erde - sollte es ein paar zehntausend Dai geben. Die meisten davon waren hier, auf Atlantis. Einige wenige hunderte lebten zwischen und mit den Menschen. Unerkannt. Thomas stellte sich vor, was Haru und ihre Freunde wohl gesagt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die von ihnen so verdächtigten Dai mitten unter den Menschen lebten. Wenn ihnen der Sinn danach stand. Mit ein paar raumgreifenden Schritten trat Thomas zu den beiden Jungen an die Reling. Ein guter Platz. Man hatte sowohl auf die Stellungen der Dai als auch auf das Götterschiff einen sehr guten Blick. Die riesigen Mechas der Götter befanden sich noch immer im Clinch mit den Mechas der Chinesen und der UEMF, und es sah nicht so aus als würden die Maschinen den Sperrgürtel ohne weitere Feuerkraft überwinden können. Doch dafür war das Sperrfeuer des notgelandeten Superschlachtschiffs einfach zu dicht. Sie brauchten ein paar weitere Kreuzer. Immerhin bekamen sie den einzigen verfügbaren Bakesch im System, was im Anbetracht der Feuerkraft des Götterschiffs zumindest eine gewisse Beruhigung war. Das Schiff war gestrandet, aber bei weitem nicht wehrlos. Dazu kam auch noch, dass kein Verteidiger auch nur ansatzweise wusste, ob die Programmierung des Schiffs das eigene Ende mit einkalkulierte, wenn es letztendlich die Erde vernichtete. Wie es der Pakt vorschrieb, den die Menschen, Dai und Naguad gebrochen hatten. Verdammt, Akira. Es stimmte also wirklich. Er musste nicht unbedingt hier sein, um die ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Es reichte schon ein Stellvertreter, der seinen Namen benutzte, um ein wenig von seinem Flair auf die Welt abfärben zu lassen. Eine überaus interessante Erfahrung. "John!", sagte Philip überrascht. "Was sagt die UEMF?" "Der Mars schickt den dritten Bakesch, und Eikichi kratzt alles zusammen, was wir an Schiffen, Mechas und Soldaten haben. Mit ein bisschen Glück reicht es, um das da zu bekämpfen." Er schluckte die weiteren Worte runter, ohne sie auszusprechen. Seine Gedanken darüber, was er von Dai-Toras Kampfeinsatz hielt, tat nichts zur Sache. "Immerhin." Philips Hände lagen um das Geländer. Er hielt sich so sehr fest, dass die Knöchel weiß hervor traten. "Kriegen wir einen neuen Eagle?" "Was denn? Bist du so begierig darauf, wieder in die Schlacht zu ziehen?", scherzte Sven Dorff. "Dass Mizuhara darauf brennt, war mir klar. Aber du schienst mir immer vernünftiger zu sein als das durchschnittliche Akira Otomo-Groupie." "Was für ein nettes Wort", sagte Thomas und stellte sich zwischen die beiden. "Akira Otomo-Groupie. Da kann man ja direkt neidisch werden." "Sie ist nicht unbedingt ein Groupie, vor allem nicht in dem Sinne", erwiderte Philip schärfer als er eigentlich vorgehabt hatte. "Aber als sie ihre Gruppe gegründet hat, da hat sie Akira gehasst, abgrundtief gehasst. Ihre beiden Brüder sind in der UEMF und riskieren ihre Leben. Der ältere kommandiert die STADTHAGEN. Der mittlere ist Takashi-sempai." "Takashi, der Gorilla? Einer der besten Sparrow-Piloten der Erde?" "Genau der", bestätigte Philip nickend. "Ich persönlich war schon immer ein glühender Verehrer von Blue Lightning, und als er sich später enttarnt hatte, von Akira Otomo. Deshalb geriet ich mit Haru immer aneinander, weil sie Akira direkt dafür verantwortlich machte, dass beide Brüder das Elternhaus verlassen haben." Philip zuckte die Schultern. "Ihre Mutter ist schon lange tot. Ihr Vater oft im Ausland unterwegs. Ich kann mir vorstellen, dass ihr Zuhause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Und das sie einen Sündenbock suchte. Akira bot sich da geradezu an." "Und wie kam es zur Wandlung vom Saulus zum Paulus? Wenn ich mal die Bibel bemühe?" "Du meinst, wie sie vom Hasser zu Verehrer mutierte?" Philip grinste breit. "Daran ist sie selber Schuld. Ich glaube, sie mag den Menschen Akira immer noch nicht. In keiner Weise. Vor allem weil sie ihm vorwirft, er hätte Megumi Uno gar nicht verdient." "Na, das ist ja wohl auch die Wahrheit!", kommentierte Sven lautstark. "Oh, ein Megumi-Groupie. Habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Der Hawk-Pilot errötete, räusperte sich verlegen, und gab vor interessiert die Bergkette im Nordosten zu mustern. "Jedenfalls hat sie sich mit allem beschäftigt, was es über Akiras Kämpfe zu bekommen gab. Einiges war klassifiziertes UEMF-Material. Anderes illegal aufgenommen und unter der Hand verbreitet. Ich glaube, sie lernte ihn auf einer Art professionellen Ebene zu schätzen. Ihn als Piloten, Offizier und Anführer zu bewundern. Und bevor sie es sich versah, verteidigte sie Akira vor ihrer eigenen Gruppe. Das war natürlich das Ende für ihren Haufen, und nicht wenige ihrer alten Weggefährten, die Akira immer noch für ihre toten Verwandten verantwortlich machen, nehmen ihr das heute noch übel. Aber so ist Haru nun mal. Wenn sie sich entschieden hat, geht sie unbeirrt ihren Weg. Und weil Akira Otomo ein KI-Meister ist, wollte sie auch einer werden, weil er Mecha-Pilot ist, wollte sie auch einer werden. Und ich bin mir sehr sicher, bei Megumi Uno will sie ihn auch beerben." Sven lachte glucksend, und auch über Thomas' Züge huschte ein flüchtiges Grinsen. "Deshalb hat sie auch die Dai so auf den Kieker. Gefahren für Akira sind nämlich auch ihre Gefahren geworden. Vom rein professionellen Standpunkt aus gesehen, natürlich." "Natürlich", echote Thomas amüsiert. "Äh, Leute?" Sven zog am Ärmel von Thomas' Druckanzug. "Du brauchst nicht an mir zu zerren. Ich stehe direkt neben dir", mahnte Thomas. "Das... Das ist es nicht, John. Nur..." Er verstummte plötzlich. Aber er konnte in die Tiefe deuten. Thomas und Philip folgten dem Fingerzeig. Der junge Deutsche runzelte die Stirn. "Das scheinen mir die gleichen Riesenmechadinger zu sein, die auch das Götterschiff einsetzt. Nur, warum kommen sie aus diesem Gebirge?" "Was auch immer, es kann nichts Gutes bedeuten", knurrte Thomas. "Gut. Ich bin also nicht der einzige, der sie sehen kann", stellte Sven erleichtert fest. Er wandte sich um. "Ich alarmiere Luc und steige in meinen Mecha." "Ich komme mit. Philip, suche Haru, und haltet euch bereit. Euer Mecha wird hier jede Sekunde eintreffen. Und ich fürchte, wir werden einen zusätzlichen Eagle gebrauchen können." "Werde KI-Meister, hat sie gesagt. Werde Mecha-Pilot, hat sie gesagt. Das Universum steht uns offen, hat sie gesagt. Von Mühsal, Tod und Vernichtung hat sie jedenfalls nichts gesagt", sagte Philip. "Und das bedeutet?", fragte Sven. "Dass ich keine Wünsche mehr habe. Ich kriege alles serviert, was ich haben will." Er zwinkerte den Freunden zu und machte sich auf die Suche nach seiner Pilotin. "Und Mizuhara-chan dazu, was?". rief ihm Sven Dorff hinterher. Philip verharrte kurz im Laufen, als er die Worte hörte. Plötzlich hatte er es eilig. "Treffer, versenkt, was?" Thomas klopfte Dorff auf die Schulter. "Machen wir uns bereit. Die Scheiße beginnt hier anscheinend erst." "So wie ich es haben will. Dann habe ich was zu erzählen, falls ich überlebe." "Hey, du hast den einmaligen John Takei dabei. Was sollte dir passieren?" "Netter Versuch, John. Netter Versuch." Epilog: In letzter Zeit kam es eher selten vor, dass das Haus gut gefüllt war. Ich meine, wann hatten wir schon mal wirklich alle Zeit, hier zu sein? Und damit meinte ich nicht nur meine Mitbewohner, sondern alle Freunde. Für unsere kleine Versammlung hatten wir uns den Garten ausgesucht. Ich, müde und wacklig auf den Beinen, weil dieses verdammte Medikament der Naguad mir die Kraft raubte, hatte einen Stuhl bekommen. Die anderen standen, hockten, saßen oder knieten im Gras vor mir. Eine interessante Konstellation. Wäre der Anlass nicht so verdammt ernst gewesen, dann hätte ich mich gefühlt wie ein alter Patriarch im Kreise all seiner Kinder. Wahrscheinlich war das nicht allzu weit von der Realität entfernt. Ich seufzte, schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Danach vergewisserte ich mich noch einmal, dass niemand direkt neben mir stand, oder mich gar berührte. Ich wollte so etwas wie mit Kei nicht wieder erleben. Auch wenn er mir tausendmal versicherte, dass er keine Schmerzen hatte, und das Makoto die Heilung bereits in die Wege geleitet hatte. Was wäre wenn ich das nächste Mal Megumi verletzte? Oder Emi, die immerhin gerade hochschwanger war? Kenji vielleicht, den jungen künftigen Vater? Alles erschreckende Gedanken, die mir das Herz zusammenzogen und den Magen dreifach falteten. Mein Blick ging über die Runde. Ich sah Doitsu in die Augen, dessen rechter Arm gerade von Makoto und Sakura geheilt wurde; ein Wunder, dass der heiße Metallsplitter des Banges-Arm ihm seinen nicht abgeschnitten hatte. Ein genauso großes Wunder, dass er ansonsten unverletzt war, bis auf die Schnittwunde, die aber furchtbar geblutet hatte. Ich sah Akari an, die mit jedem Tag dem Oni mehr und mehr ähnelte, der sie einst gewesen war, mit einem biologischen Alter knapp über der Achtzehn. Neben ihr hockte natürlich Micchan, wie immer ihre Nähe und ihre Hand suchend. Beide waren teilweise Dai, und ich fragte mich, ob das für ihre Zuneigung den Ausschlag gegeben hatte, oder vielmehr die Tatsache, dass er der einzige Junge war, den ich je mit nach Hause genommen hatte, der solo gewesen war. Joan musterte mich mit ernstem, wachem Blick. Keine Gefühlsregung, kein Schmerzenslaut schien ihr zu entgehen. Yoshi, der neben ihr kniete, hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Megumi kniete auf seiner anderen Seite, den Blick fest auf mich gerichtet. Die Sorge in ihren Augen sprach Bände. Im Hintergrund standen Jora und Sostre, die zwei, denen ich das Wundermedikament verdankte, das mich für diese Zeit hier, vielleicht ein paar Stunden, überhaupt erst befähigte. Takashi wanderte hinter ihnen nervös im Garten auf und ab. Dabei warf er den Banges und den Hawks, die rund um das Anwesen in den Straßen gelandet waren, nervöse Blicke zu. Er hatte bereits mehr als einmal vorgeschlagen, die Mechas wieder abzuziehen. Aber mit dem Scharfschützen hatten wir lediglich einen weiteren KI-Agenten gefangen. Fehlten noch fünf oder sechs. Falls sie sich nicht vermehrt hatten. Ebenfalls im Hintergrund hielten sich Okame, Sphinx in ihrer Rolle als Major Cynthia Andrews, und Tyges. Die drei Dai würden eingreifen, wenn - wieder mal - was unvorhergesehenes geschah. Ich atmete langsam aus, und wurde als Belohnung von einem Hustenanfall geschüttelt. Verdammt, das Zeug machte mich so schwach, ich verschluckte mich am laufenden Band. Yohko fuhr ein wenig auf, beherrschte sich aber ansonsten. Mein Blick ging über die anderen. Hina, Daisuke, Sarah, Ami, Laysan, Tetsu. Selten waren wir so zusammen gekommen. Selten war der Grund so ernst. "Nun guckt nicht so böse", tadelte ich. "Es ist nicht für immer. Ich verspreche, ich werde hart mit Tante Cynthia trainieren, damit ich dieses vermaledeite Materie-Auflösen im Griff habe. So lange werde ich halt in der ADAMAS bleiben müssen." "Und sie alleine steuern? Na viel Spaß. So gut bist nicht mal du", spottete Kei bissig. "Tatsächlich sind die Kommandoschiffe der Dai darauf ausgelegt, von einem einzelnen Krieger gelenkt zu werden, wenn es sein muss", warf Sphinx ein. "Einige von ihnen haben sich einen Ruf als hervorragende Krieger erworben. Akira hat zumindest die gleiche Chance. Und uns bleibt die Feuerkraft der ADAMAS erhalten, was nützlich ist, falls uns einer oder mehrere Strafer begegnen." "So viel zum positiven Aspekt", sagte Micchan trocken. "Ich bin nicht zurück gekommen, um mich zu rechtfertigen", sagte ich mit fester Stimme. "Um mich zu entschuldigen, vielleicht. Kei, das mit deiner Hand, das..." "Wie ich schon sagte, kein Problem", wiegelte er ab. "Mach dir mehr Sorgen um deinen eigenen Kopf, Akira." Gute Idee, aber das ging jetzt nicht. "Wie dem auch sei, ihr wisst, dass ich als Reyan Maxus über einige besondere Kräfte verfüge. Als ich damals mit Torum durch den Boden ging, hat es wohl schon angefangen. Und hier und heute endet es damit, dass ich die Kontrolle über diese... Fähigkeit, Kraft, oder meinetwegen diesen Fluch erst erlernen muss." Ich seufzte tief. "Okame-sama, Cynthia, Tyges, ihr wisst nicht zufällig, ob es genetische Gründe hat, dass ich ein verdammter Reyan Maxus geworden bin?" "Es kann viele Gründe haben", wich die Dai mir aus. "Fakt ist, dass auch der Begabteste in der Kontrolle des KI nicht weit kommt, wenn er nicht übt und übt und übt. Fakt ist, dass selbst jemand mit wenig natürlicher Begabung zur KI-Kontrolle ein großer Meister werden kann." Sie sah zu Boden. "Wir wissen nicht, welche Faktoren dabei mitspielen, wenn ein Reyan Maxus entsteht. Aber ich kann es nicht ausschließen, dass du einer geworden bist, weil du die genetische Anlage dazu besitzt." Ich seufzte tief und schwer. Betreten sah ich zu Boden. "Und eines Tages werde ich, selbst wenn ich erlerne, eine Zeitlang mit meiner Kraft umzugehen, die Kontrolle verlieren. Wahnsinnig werden. Eine Bedrohung sein." Betretenes Schweigen schlug mir entgegen wie ein unheilvolles Raunen. Ich sah auf, Yohko direkt in die Augen. "Du wirst kein Reyan Maxus, das schwöre ich." Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als ihr vielleicht das erste Mal in den Sinn kam, sie könnte ebenfalls auf dem Weg sein, um ein Reyan Maxus zu werden. Immerhin hatte sie vor nicht allzu langer Zeit ihre eigene Slayer-Kraft entdeckt und dabei die aufgeprägte Genetik der Elwenfelt abgeschüttelt. Sie wirkte entsetzt, fassungslos, bis Yoshi ihr die Hand auf die Schulter legte. "Du wirst deine Genetik verändern. Ich weiß nicht, ob es etwas verändert, aber ich will keine Chance ungenutzt lassen. Außerdem liegen uns die Kronosier ständig in den Ohren, dass du doch ohne die Gift einiges von deinem guten Aussehen eingebüßt hast, Yohko." "Du... Du willst, dass ich das Generbe der Kronosier erneut in meine Gene einfügen lasse?" "Ja", sagte ich schlicht. "Und ich hoffe ernsthaft, dass es verhindert, dass du jemals ein Reyan Maxus wirst." Ich erhob mich. "Mehr habe ich nicht zu sagen. Die weitere Entscheidung liegt bei dir, Yohko." Ich sah zu den drei Dai herüber. "Bringt mich jetzt auf die ADAMAS." Und so traten wir Geschwister beide schwierige Wege an. Ich in mein Exil, ohne zu wissen ob ich dort nützlich war, oder wie lange es meine Heimat sein würde, und Yohko in die Frage, ob sie das fremde Erbgut der Elwenfelt auf sich nehmen sollte, doch diesmal freiwillig. Und wenn ich daran dachte, dass all das zu den einfacheren Problemen gehörte, die sich uns stellten, bekam ich Magenschmerzen. Ich hasste es, abgeschoben zu sein. Das würde ich ändern. Definitiv ändern. Irgendwie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)