The Right Touch von -Moonshine- ================================================================================ Prolog: Just As Ever -------------------- "Ich hasse dich." "Und ich hasse dich noch viel mehr!" Die elektrisierenden Blicke der beiden trafen sich und man konnte fast die Funken sprühen sehen, wenn man genauer hingeschaut hätte. Doch die Erwachsenen im Raum schauten nicht genauer hin, sondern unterhielten sich untereinander, ohne auf die Kinder zu achten, die nebeneinander auf dem Sofa saßen und sich im Flüsterton Gemeinheiten an den Kopf warfen. "Du bist ein widerlicher Blödmann, Josh", murmelte Zoey leise, ihren Blick auf ihre Mutter gerichtet, damit diese auch ja nichts mitbekam. "Und hör endlich auf, mir deinen dämlichen Salat auf den Teller zu häufen!" "Halt die Klappe! Wären unsere Eltern nicht so gut befreundet, bräuchte ich den Mist hier gar nicht zu essen, klar? Das ist alles deine Schuld." Der Junge schenkte seiner Lieblingsfeindin einen genervten, anschuldigenden Blick. "Niemand zwingt dich dazu, du Vollpfosten!" Zoey nahm ihren Teller, auf dem ein Haufen grüner Salat und Tomaten lag, und schüttete den Inhalt wieder zurück auf Josh's Geschirr. "Sei froh, dass ich dir das nicht über den Kopf kippe!" "Sei DU froh, dass meine Mutter deine so gern hat, sonst wärst du längst fällig, du missratene Göre!", knurrte er und funkelte das Mädchen tödlich an, ballte vor Wut die Hände zu Fäusten, nicht wissend, wohin mit seinem ganzen Zorn, den die zwei Jahre jüngere Tochter der Freunde seiner Eltern so einfach und schnell in ihm zu entflammen vermochte. Wie schaffte sie das nur? Mit ihren zehn Jahren war sie erstaunlich schlagfertig, aber, und was noch viel wichtiger war: erstaunlich nervig und anstrengend. Darüber hinaus verfügte sie über einen ausgeprägten Wortschatz, was Beleidigungen und Beschimpfungen anging, und war ihm, zu seinem eigenen Missmut, nicht selten ebenbürtig. Ein berechnendes Lächeln breitete sich über Zoey's Gesicht. "Oooch, hat da einer Angst vor seiner Mami?", spottete sie. "Muttersöhnchen!" Josh kochte vor Wut, in seinem Inneren brodelte es. Wieso konnte dieses Kind nicht einmal seine große Klappe halten? "Du wirst ja schon sehen, was du davon hast, deinen Mund so weit aufzureißen", drohte er leise, sein Blut kochte, doch das schreckte das Mädchen nicht im Geringsten zurück. Stattdessen grinste sie nur breit, schnitt ihm eine schadenfrohe Grimasse und entschwand aus seiner Reichweite in Richtung Kinderzimmer, zu dem ihm der Eintritt natürlich strengstens verboten war. Josh presste die Zähne zusammen und tüftelte einen Plan aus, wie er diesem Quälgeist den Garaus machen konnte. Wovor hatten Mädchen am meisten Angst? Insekten? Spinnen vielleicht? Ein fieses Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. Wer zuletzt lacht, lacht immer noch am besten, ging ihm durch den Kopf, als er die Gabel, mit der er in dem mehrmals hin und her transportierten Salat herumgestochert hatte, sinken ließ und neben den Teller legte. Die Hände putze er säuberlich an einer Serviette ab, bevor er seine Eltern darüber in Kenntnis setzte, dass er kurz raus gehen wollte. Er durfte nur nicht vergessen, aus der Küche ein leeres Glas zu stibitzen. Auf dem Tisch hatte er eins stehen sehen, als sie zur Tür hereingekommen waren... Kapitel 1: In Retrospect ------------------------ Zoey starrte aus dem Fenster und sah doch nur ihr eigenes Spiegelbild in der dunklen Scheibe. Wäre sie doch bloß nicht so spät noch losgefahren, aber sie hatte sich einfach nicht von ihrer Familie losreißen können - oder besser gesagt, ihre Familie nicht von ihr. Ihre Mutter war am anstrengendsten gewesen und hatte sie gar nicht erst wegfahren lassen wollen, aber es war nun einmal unvermeidbar und wenn sie ehrlich war, war Zoey auch ganz froh, jetzt endlich ihr eigenes Leben führen zu können. Nicht, dass sie ihre Familie und ihr Zuhause in Frinton-On-Sea, einem 5000-Seelen-Dorf an der Nordseeküste Englands, nicht mochte. Sie würde ihre Eltern schrecklich vermissen, und auch ihre zwei kleinen Geschwister, die Zwillinge, die gerade erst 13 Jahre alt geworden und drauf und dran waren, unwiderruflich in die Pubertät zu schlittern, was die ersten von ihnen verursachten Katastrophen bereits eindeutig ankündigten. Trotzdem fing nun ein neuer Abschnitt ihres Lebens an: Unabhängigkeit, Erwachsenwerden. Neue Wohnung, neuer Job. Vielleicht neue Freunde. Sie hoffte es jedenfalls. Norwich war zwar eine große Stadt, aber noch lange nicht so groß wie London. Kurzzeitig hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich an der Universität von London zu bewerben, aber dann hatte sie doch gekniffen. Einem Landkind wie ihr war die Vorstellung, in einer der größten Städte Großbritanniens allein auf sich gestellt zu sein, doch ein wenig zu unheimlich vorgekommen. Außerdem war London auch etwas weiter weg als Norwich, was zwar nicht wirklich ins Gewicht fiel, aber eine gute Ausrede dafür war, sich doch nicht dort einzuschreiben. Sie ging ihren Plan noch einmal Schritt für Schritt durch, nur, um sich daran zu erinnern, was sie jetzt vor hatte. Als Erstes würde sie übermorgen, am Montag also, zu ihrem neuen Sommerjob antreten. Sie hatte eine Stelle in der Personalabteilung einer großen Firma ergattert und würde dort für dreieinhalb Monate arbeiten, um sich ein bisschen Geld dazu zu verdienen, bevor sie an die Norwicher Universität ging, um ihren zweiten Abschluss zu machen. Zuvor hatte sie in Colchester, der nächstgrößeren Stadt, die Uni besucht und innerhalb von drei Jahren den ersten akademischen Grad, den Bakkalaureus, erworben, aber da die Uni sehr klein und die Nachfrage auch nicht größer war, mussten diejenigen, die den zweiten Abschluss machen wollten, sich eben eine andere Universität suchen, die dieses Angebot bereit stellte. Und Zoey hatte sich für Norwich entschieden, denn die Institution dort hatte einen hervorragenden Ruf, was die Englischen Literaturwissenschaften anbelangte. Eingeschrieben war sie bereits, also würde nichts und niemand sie davon abhalten können, diesen Studienplatz, und somit die Möglichkeit einer ausgezeichneten Ausbildung, auch wahrzunehmen. Während die Landschaft, die sie nicht sehen konnte, auf der anderen Seite des Fensters an ihr vorbeirauschte und nur das monotone Rattern des Zuges zu hören war, wanderten ihre Gedanken wieder zurück zu ihrer Mutter, der bei ihrem Abschied die Tränen gekommen waren, und ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Sie würde es doch schaffen, oder? Doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Natürlich würde sie es, warum auch nicht? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war es viel weniger die Frage, ob sie alles erfolgreich hinter sich bringen würde, die ihr Angst machte, als das Wissen, für die erste Zeit auf sich allein gestellt zu sein. Der erste Arbeitstag - wie würde sie sich schlagen? Würde sie neue Freunde finden? Wie waren die Menschen in Norwich? Wie waren ihre Nachbarn? Sie war aufgeregt und beschloss, am Montag, direkt nach der Arbeit, einen Stadtbummel zu machen. Sie würde herausfinden, wo sich das Postamt befand, nach Supermärkten suchen und dem Rathaus einen Besuch abzustatten. Da musste sie sowieso noch hin, um sich anzumelden. Als offizielle Bewohnerin von Norwich. Wieder erschien das unglückliche, besorgte Gesicht ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge. "Pass gut auf dich auf, Schatz", hatte sie zwischen zwei Schluchzern herausbringen können und sich die Augen mit einem Stofftaschentuch betupft. Ihre Mutter war immer so emotional, wenn es um Abschiede ging. Zum Glück war Zoey da anders. Klar war sie traurig gewesen, aber irgendwie auch aufgeregt. Und sie zog ja nicht ans andere Ende der Welt. Sicherlich würde sie ihre Eltern hin und wieder mal besuchen. Was waren schon 120 Kilometer? Während der Zug weiterhin durch die Dunkelheit raste - tuckerte, musste man wohl eher sagen -, lehnte Zoey sich zurück und streckte die Beine aus. Sie war allein im Abteil und der alte Typ, der im Abteil gegenüber dem Gang saß, schnarchte fröhlich vor sich hin, seinen Altmännerhut tief ins Gesicht gezogen, die Arme schützend vor der Brust verschränkt, als wäre ihm kalt. Sie wusste, dass irgendwo weiter vorne ein junger Mann saß, der Kopfhörer trug und Musik hörte. Als sie eingestiegen war, war er ihr sofort aufgefallen mit seinem gelangweilten, schläfrigen Gesichtsausdruck und den unbeteiligten Augen. Ansonsten schien der Waggon leer zu sein, fast wie ausgestorben. Die meisten waren bereits ausgestiegen. Zoey warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Noch zwanzig Minuten, bis sie ankommen würden. Bisher hatte sie immer auf dem Land gewohnt. Ihre Kindheit in Frinton-On-Sea war behütet und glücklich gewesen. Sie hatte Freunde, aber auch Feinde gehabt. In Frinton hatte sie die winzige Grundschule besucht, zusammen mit ihrer besten Freundin Jane, die auch heute noch eine der ihr liebsten Menschen auf der Erde war. Leider war Jane nach der Schule nach Oxford gegangen und hatte ein Jurastudium angefangen, sodass sie sich nur noch sehr selten sahen. Anschließend besuchte sie - zusammen mit Jane -, die Gesamtschule in einer Nachbarstadt, Clancton. Etwa zu derselben Zeit freundete sie sich auch mit der kleinen Schwester ihres Erzfeindes an: Josh Michaels. Seine Schwester war um einiges netter und sympathischer als er. Melissa war ein Jahr jünger als Zoey selbst, aber ein friedliebender, harmoniebedürftiger Mensch, der ähnlich emotional veranlagt war, wie Zoey's Mutter. Zoey musste grinsen. Melissa war stets jedem Streit aus dem Weg gegangen und hasste Konflikte über alles, während sie selbst, Zoey, immer schon ein wenig aggressiver veranlagt gewesen war. Nicht, dass sie es darauf anlegte, sich mit jemandem zu streiten, aber etwaige Ungerechtigkeiten sprach sie direkt an und ließ ganz sicherlich nichts auf sich sitzen. Melissa war in Frinton geblieben, hatte eine Ausbildung zur Buchhändlerin abgeschlossen und arbeitete nun in dem kleinen Buchlädchen ihres Vaters, den sie in absehbarer Zeit übernehmen sollte. Deren großkotzigen Bruder hingegen - Zoey verzog das Gesicht, als sie an ihn dachte -, hatte sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Seit sie 16 war, um genauer zu sein. Er war nach der Schule - zum Glück! - irgendwohin weggezogen. Melissa sprach nicht über ihn, da sie sich noch ganz genau an die Streitereien zwischen Zoey und ihm erinnern konnte, aber seine Mutter, Mrs. Michaels, eine sehr gute Freundin ihrer Mum, hatte vor einiger Zeit irgendetwas über ihn erwähnt. Sie war es auch gewesen, die sie, Zoey, auf den Sommerjob aufmerksam gemacht hatte. Irgendwann war sie mit einer Norwicher Zeitung ins Haus geplatzt und hatte all ihre Probleme mit einem Mal gelöst - indem sie mit dem Zeigefinger auf die Anzeige tippte, die besagte, dass noch Kurzzeitarbeiter - Schüler, Studenten - für die Sommerferien gesucht wurden. Mrs. Michaels war eine nette Frau, so ganz anders als ihr Sohn, der Zoey als Kind das Leben zur Hölle gemacht hatte. Irgendwann hatte er allerdings angefangen, sie zu ignorieren. Das war etwa zu der Zeit, als sie auch in die Gesamtschule eingetreten war, die er bereits seit zwei Jahren besuchte. Er hatte so getan, als wäre es ihm vor seinen neuen Freunden peinlich, sie zu kennen, und zuerst hatte sie sich darüber geärgert, hatte versucht, ihn zu provozieren, zu ärgern, doch er blieb hart und irgendwann ließ sie locker, tat es ihm gleich. Die nächstes Jahre verbrachten sie in einmütiger Aversion und symbiotischer Ignoranz, von ein paar eisigen und geringschätzigen Blicken mal abgesehen. Lediglich, wenn sie bei Melissa zu Besuch war, richtete er hin und wieder das Wort an sie, beschränkte sich jedoch auf die Begrüßungsformeln "Na, Vogelscheuche" und "Hi, Wurm". Mit 18, als er seinen Schulabschluss hatte, hatte er die Stadt verlassen. Seitdem waren nun sechs Jahre vergangen. Sie schob die Erinnerung an Josh beiseite. Sie hatte sich in den letzten sechs Jahren nicht um ihn gekümmert, warum sollte sie also jetzt damit anfangen? Für sie stand fest, dass sie ihm seine Gemeinheiten während ihrer gemeinsamen Kindheit ganz sicher nicht verzeihen würde. Er war in mancherlei Hinsicht wirklich zu weit gegangen, aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie zwang sich, sich wieder auf das vor ihr Liegende zu konzentrieren, anstatt weiterhin zurückzublicken. Auf ihre kleine Wohnung freute sie sich schon. Morgen, ein Sonntag, würde sie ganz früh aufstehen und anfangen, das kleine Appartement zu dekorieren. Ihr Vater hatte vor einigen Tagen mit einem Kleinlaster alle nötigen Möbel dorthin verfrachtet, und auch die Umzugskartons, damit sie heute nicht so viel Stress hatte. Sie hatte nur noch ihren Rucksack nehmen und in den Zug steigen müssen. Was sie auch gemacht hatte. Natürlich waren die letzten Tage in ihrem alten, absolut leeren Zimmer ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, und so hatte sie sich die meisten Zeit über im Wohnzimmer aufgehalten. Und dort auch auf der Couch geschlafen, denn ihr Bett war ebenfalls schon über alle Berge gewesen. Sie machte sich im Kopf eine Liste, was alles zu tun war: den Boden wischen, Vorhänge aufhängen, die Gerätschaften - von Herd bis zu dem Computer - anschließen, die Bücherregale, Schubladen und den Kleiderschrank füllen, die Fenstersimse dekorieren mit Windlichtern und Pflanzen, Bilder aufhängen, das Geschirr in die Küchenschränke einsortieren und das gesamte Badezimmer musste auch noch geputzt werden. Das würde ganz schon viel Zeit in Anspruch nehmen, aber sie hatte ja den ganzen Tag. Heute Abend jedenfalls würde sie nur noch das Bett beziehen und sich todmüde darauf stürzen, denn die letzten vierundzwanzig Stunden waren anstrengend und lang gewesen, aber eigentlich genau so, wie es sich für den letzten Tag ihres alten Lebens gehörte. Ein wenig wehmütig legte sie die Stirn an die kühle Scheibe und schaute sich selbst in die Augen, während sie versuchte, die Landschaft dahinter zu erblicken, was ihr allerdings nicht gelang. Morgen würde ganz sicher ein schöner Tag werden und sie musste aufhören, zwischen Trübsal, Unsicherheit und Freude hin und her zu schwanken! Zoey klappte das Buch, das auf ihrem Schoß lag - ein Abschiedsgeschenk von Melissa - zu und stopfte es in ihren Rucksack, der voll war mit Plastikbehältern, die ihre Mum mit Essen gefüllt hatte, damit sie auch ja nicht verhungerte. Sie musste ein wenig lächeln. Ihre Mutter hatte ja gerade so getan, als könnte Zoey nicht selbst mal ein wenig den Kochlöffel schwingen. Aber sie wusste, dass sie sich nur Sorgen machte, also hatte sie nichts gesagt und das Essen dankbar angenommen. Das würde ihrer Mutter wenigstens ein bisschen Seelenfrieden verschaffen, und sie hatte versprechen müssen, am Wochenende sofort nach Hause zu kommen, um ihnen alles erzählen zu können. Ihr Vater hatte genervt mit den Augen gerollt, aber geschwiegen. Die Zwillinge waren natürlich heilfroh, dass sie weg war, da sie nun ein Zimmer mehr hatten, in dem sie Unsinn treiben konnten. Als die Durchsage des Zugführers ertönte und Zoey aus ihren Gedanken riss, zuckte sie erschrocken zusammen, beruhigte sich jedoch schnell wieder. In nur wenigen Minuten würden sie den Norwicher Bahnhof erreichen, von dort aus konnte Zoey zu Fuß zu ihrem neuen Zuhause gehen. Es war nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt und so musste sie nicht noch lange auf einen Bus warten, die erfahrungsgemäß abends seltener fuhren. Froh, diesem kurzen gedanklichen Rückblick auf ihr bisherigen Leben im kleinen Frinton-On-Sea, wo jeder jeden kannte und deine Nachbarn gleichzeitig deine schlimmsten Feinde sein konnten, endlich entkommen zu können, richtete Zoey sich auf und warf einen weiteren Blick aus dem Fenster, im dem ihr nicht mehr ihr Spiegelbild entgegenstarrte, sondern die Bahnhofslichter bereits zu erkennen waren, als der Zug in gemäßigtem Tempo reinfuhr. Der alte Mann rührte sich ebenfalls, schien zuerst verwirrt, schob sich dann aber den Hut aus dem Gesicht und holte eine Brille aus seiner Tasche heraus, die er sorgfältig auf seiner Nase platzierte, um sich dann dem Anblick des leeren Bahnsteigs zu widmen. Der Bahnhof von Norwich war klein und sehr sauber gehalten. Es war ein altes Gebäude aus rotem Backstein mit einem Kuppeldach und sechs Gleisen, die teilweise unter freiem Himmel waren, teilweise aber unter dem Dach. Überall standen große Pflanzen in riesigen Töpfen herum, die auch draußen, vor dem Gebäude, den Weg zum Bahnhof säumten. Durch drei Torbögen an der Vorderseite des Haupteingangs und jeweils zwei an den beiden Seiten konnte man den Bahnhof betreten, darüber war ein großer Balkon, den man wohl ohne Bedenken als großzügige Terrasse bezeichnen konnte. Eine runde Uhr war am Kuppeldach angebracht, direkt über der schlichten, schwarzen Aufschrift "Norwich Station". Insgesamt war es ein imposantes und schönes Gebäude und irgendwie, fand Zoey zumindest, repräsentierte es die Stadt viel besser, als so mancherlei anderes Bauwerk. Das Rathaus zum Beispiel, dem sie schon einmal einen Besuch hatte abstatten müssen, war eines der hässlichsten Bauten, die sie jemals gesehen hatte. Es war groß und glich eher einem Industriegebäude. Durch die oberen Fensterreihen, die sehr klein waren und den Eindruck machten, als seien sie vergittert, konnte man das Rathaus rein von seinem Äußeren her allerdings auch mit einem Gefängnis vergleichen. Einfach hässlich. Zoey hängte sich ihre Tasche um, griff nach ihrem Rucksack und stand auf, während der Zug langsam anhielt. Auf in die Lower Clarence Road, sagte sie sich. Von jetzt an ihr neues Zuhause! Kapitel 2: Nathalie ------------------- Mit den Neuen in der Firma wurde kurzer Prozess gemacht. Eine 60-minütige Begrüßungs- und Einführungsveranstaltung und schon wurde von Zoey und ihren ebenfalls neuen Kollegen – allesamt Ferienjobber - erwartet, alle nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten auf Anhieb gelernt und verinnerlicht zu haben. Zum Glück kamen ihnen nur die unwichtigsten Aufgaben zu: E-Mails und Telefonanrufe beantworten und weiterleiten, inoffiziell natürlich auch noch Kaffee kochen, Zeug kopieren und den Laufburschen spielen. Aber das machte Zoey nichts aus. Sie würde laufen, so viel es ihre Chefs und Kollegen wollten, Hauptsache, sie wurde dafür bezahlt. Doch etwas nervös folgte sie der kleinen Gruppe - es waren hauptsächlich Mädchen - die ebenfalls in die Personalabteilung kommen würden. Für die nächsten drei Monate war das also ihr Arbeitsplatz. Sie schaute sich um, als sie in einem Großraumbüro im ersten Stockwerk des großen Gebäudes ankamen, und es war genauso, wie sich jeder so ein Büro vorstellte und wie man es immer im Fernsehen sah: viele Schreibtische mit Computern und Papierstapeln darauf, ständig wuselten irgendwelche wichtig aussehenden Menschen geschäftig durch die Gegend, oder aber es wuselten wichtig aussehende Menschen gemütlich mit einer Kaffeetasse durch die Gegend. Hier und da standen vereinzelt Zimmerpflanzen, um den großen Raum wohnlicher zu gestalten und eine der Wände bestand vollkommen aus einer Glasfront, dahinter lagen anscheinend ein paar der wichtigeren Büros. Die meisten von ihnen wurden durch Jalousien vor den neugierigen Blicke der Außenstehenden abgeschirmt, nur in eines hatte man einen guten Einblick. Eine junge Frau im grauen Hosenkostüm saß an ihrem Schreibtisch und telefonierte, wobei sie eine wütende Gestik und Mimik an den Tag legte und wild mit dem freien Arm in der Gegend herumfuchtelte. Leise war es nicht im Büro, viele unterhielten sich, manche laut, manche flüsternd, aber insgesamt herrschte eine recht lockere Atmosphäre. Ein bisschen verwundert war Zoey darüber schon. Sie hatte immer gedacht, Arbeit in einem Büro wurde ernst genommen und jeder hätte leise zu sein, aber anscheinend musste sie ihre Ansichten noch mal überdenken. Trotzdem war sie ein wenig erleichtert, nachdem sie gesehen hatte, dass es hier nicht mit Peitschen und Zuckerbrot zuging – sondern, ehrlich gesagt, nur mit Zuckerbrot. So kam ihr die Arbeit gleich ein bisschen entspannender vor, hatte sie doch mit absoluter, beklemmender Stille und strengen, grimmig dreinschauenden Chefs gerechnet. Sie wurden alle in eine Ecke des Großraumbüros geführt, von der erklärt wurde, dass dort die Ferienjobber saßen – die die urlaubsreifen Angestellten der Firma mehr oder weniger ersetzen sollten -, und durften an den Schreibtischen Platz nehmen. Links von Zoey war das Fenster, das in den trostlosen, grau asphaltierten Innenhof der Firma führte, in dem gerade ein Lastwagen ausgeladen wurde, rechts von ihr saß ein braunhaariges Mädchen - es war keines von denen, die heute hier angefangen hatten - und lächelte sie freundlich und auch ein bisschen neugierig an. Ein wenig wacklig lächelte Zoey zurück. Sie traute sich nicht so recht, Hand an den PC zu legen, aus Angst davor, was sie erwarten und ob sie alles richtig machen würde. Wie sollte sie anfangen? Und womit? "Hi", sagte das Mädchen neben ihr - es musste etwa im selben Alter sein, schätzte Zoey. "Ich bin Nathalie, aber alle nennen mich Nat. Also nicht alle, nur meine Freunde, die Vorgesetzten natürlich nicht...", sprudelte es fröhlich aus ihr heraus und dann hielt sie kurz inne und runzelte nachdenklich die Stirn. "Obwohl... ich hatte da mal eine Lehrerin, die hat mich auch Nat genannt... Das war seltsam..." Verständnislos starrte Zoey sie an. Das waren zu viele Informationen auf einmal und Nathalie - Nat - war unheimlich begabt darin, schnell zu sprechen, das merkte Zoey sofort – es war nicht zu überhören. Es wunderte sie, dass Nat nicht über ihre eigenen Worte stolperte. Nathalie schien das nichts auszumachen, denn sie strahlte Zoey nur weiterhin fröhlich an. "Na, ist ja auch egal. Und wie heißt du?" "Zoey", antwortete Zoey einsilbig und kramte in ihrem Kopf nach irgendetwas, das sie noch hinzufügen konnte - etwas über ihren Spitznamen oder über die Lehrer in ihrer Schule, doch ihr fiel nichts Brauchbares ein, also beließ sie es einfach dabei. "Cooler Name, Zoey. Ich bin schon seit zwei Wochen hier. Bleibst du auch bis zum Studiumsbeginn? Die meisten sind über die Sommerferien hier, bis die Uni anfängt. Ich bin jeden Sommer für ein paar Monate hier, um mir was dazuzuverdienen. Wenn du Fragen hast, kannst du ruhig fragen. Zum Beispiel, wo die Klos sind oder so." "Klos?", wiederholte Zoey lahm und fühlte sich wie eine Schwachsinnige. Aber mit diesem Mädchen konnte sie einfach nicht mithalten - oder vielmehr mit der Schnelligkeit, in der sie Informationen auf sie abfeuerte. Es war einfach befremdlich, jemanden zu treffen, der so... ja, hemmungslos war und sie direkt zuschwallte. "Ja, Klos, du weißt schon." Nathalie machte eine wegwerfende Handbewegung, von der Zoey nicht genau wusste, wie sie zu interpretieren war. "Oder wenn du mal nicht weiterkommst. Am Anfang ist es ein bisschen schwierig, aber spätestens heute Mittag hast du den Dreh raus. Das war zumindest bei mir so. Manche Kunden sind echt unfreundlich, weißt du, aber das musst du einfach ignorieren und nett sein, weißt du. Die E-Mails sind auch nicht viel besser, aber die sind nicht so schlimm, wie am Telefon angeschnauzt zu werden, stimmt's?" Eine andere junge Frau, die eine Reihe weiter, ebenfalls rechts von Nathalie, saß, warf Zoey einen kurzen, mitleidigen Blick zu. Sie hatte wohl auch schon mit Nat Bekanntschaft geschlossen und sie für zu anstrengend befunden. Seltsamerweise aber konnte Zoey das nicht nachvollziehen. Je mehr Nat redete, desto sympathischer wurde sie ihr. Nicht, dass sie, Zoey, ein Faible für viel zu viel und viel zu schnell sprechende Personen hatte, aber sie fühlte sich plötzlich nicht ganz so allein in dieser Stadt, diesem Gebäude... Und Nathalie schien freundlich und gewillt zu sein, ihr zu helfen, also warum das Angebot ausschlagen? Das Lächeln, das sich nun auf Zoey Gesicht ausbreitete, war ehrlicher und freundlicher als das erste gewesen. "Okay. Danke." Obwohl es nicht mehr möglich schien, wurde Nathalie noch euphorischer. "Klar, kein Problem! Vielleicht können wir, wenn du noch nichts vor hast, in der Mittagspause zusammen runter in die Cafeteria gehen! Da gibt’s immer tolle Sachen und wirklich sehenswerte... äh..." Sie verhaspelte sich und wurde sogar ein wenig rosa um die Nase. "Äh... Sachen..." Zoey lachte laut auf. Sie war gerade erst angekommen und Nat war die erste Person, die mit ihr oder mit der sie heute geredet hatte - natürlich hatte sie noch nichts vor! Und sie war froh, nicht alleine hingehen zu und irgendwo an einem einsamen Tisch sitzen zu müssen, ganz ohne Gesellschaft. "Das wär super", nickte sie. "Lass uns dahingehen und uns die sehenswerten Sachen angucken." Beide Mädchen grinsten sich einvernehmlich an und Zoey ignorierte einfach weiterhin die mitleidigen Blicke, mit denen das Mädchen eine Reihe weiter sie immer noch bedachte. Anschließend drehte sie sich voller Elan wieder ihrem Monitor zu und legte die Hand entschlossen um die kleine Computermaus. "Also", sagte sie voll Arbeitseifer, "wie genau läuft das jetzt hier?" "Hier ist die Cafeteria." Nathalie führte Zoey in einen großen Saal hinein und machte eine ausschweifende Handbewegung, beschrieb mit dem Arm einen Halbkreis. Die Cafeteria erinnerte an eine Mensa - überall standen kleine und große Tische herum, an denen Leute saßen und aßen oder sich unterhielten, und direkt am Eingang befand sich die Essensausgabe. Man konnte sich auch Obst und Gemüse nehmen oder sich einen Salat zusammenstellen, je nachdem, wie lustig man gerade war. Insgesamt war für die Angestellten der Firma gut gesorgt und es hatte den Anschein, als könnte man sich in der Cafeterias totessen, wenn man es nur darauf anlegte. So zumindest Nat’s Worte, als sie zusammen ihr Großraumbüro verlassen und das Treppenhaus ins Erdgeschoss genommen hatten. "Hier gibt es richtiges Essen, aber auch Gebäck und so. Du hast doch so eine Karte bekommen, oder? Genau", fügte sie hinzu, als Zoey eine kleine Plastikkarte aus der Hosentasche herauszog und sie fragend in die Höhe hielt. "Das ist dein Freifahrtschein für dieses Paradies hier." Mit glitzernden Augen ließ sie ihren Blick schweifen, wohingegen Zoey ihre neue Freundin musterte. Nathalie war nicht die schlankste Person auf der Welt und hatte ein paar üppige Rundungen um die Hüften, war aber keinesfalls dick. Modelmaße hatte sie nun nicht unbedingt, aber wer hatte die schon? Zoey lächelte gedankenverloren, als Nathalie alle möglichen Arten der Desserts und des Gebäcks aufzählte, die in der Cafeteria zu ergattern waren; die Besten natürlich nur dann, wenn man früh genug da war. Während Nathalie ihren Vortrag hielt, drückte sie Zoey ein hellgraues Tablett in die Hände und nahm auch eins für sich vom Stapel. "Guck mal...", flüsterte sie schließlich leise und beugte sich näher zu Zoey herüber, während sie versuchte, ihr unauffällig über die Schulter zu schauen. "Da am Getränkeautomaten sind die beiden süßen Typen aus der IT-Abteilung. Die ist ganz oben im Gebäude." Reflexartig wollte Zoey sich umdrehen, doch Nathalie packte sie geistesgegenwärtig an den Schultern, sodass Zoey fast das Tablett aus ihren Händen gleiten ließ, und starrte sie mit vor Schreck aufgerissenen Augen an. "Nein! Guck bloß nicht hin! Sonst schöpfen sie doch Verdacht!" Zoey rollte mit den Augen, machte sich los und umschiffte ihre neue Freundin, ohne auf sie zu achten, bewegte sich nun schnurstracks auf die Essenausgabe zu, natürlich ohne sich zu den Typen umzudrehen, die sie momentan nicht im geringsten interessierten. "Nat, wie alt bist du?", sagte sie geistesabwesend, während sie noch überlegte, welches von den drei Tagesgerichten sie sich nehmen sollte. "Wenn du einen von ihnen toll findest, dann sprich ihn doch an." Nathalie folgte ihr mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf; sie sah aus wie ein getretener Hund. "Die haben bestimmt Freundinnen", warf sie klagend ein und stellte achtlos einfach eines der Tellergerichte auf ihr Tablett, ohne zu gucken, was für einen Inhalt sie erwischt hatte. Zoey hingegen entschied sich gezielt für das vegetarische Gericht - es hörte sich einfach am besten an, zudem mochte sie kein Schweinefleisch und war auch kein großer Rindfleisch-Fan, ausgenommen natürlich sämtliche Burger in Fast-Food-Restaurants. "Du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht herausfindest", erwiderte sie darauf, ohne sich groß weiter um die Angelegenheit zu kümmern. "Ich glaube, einer von ihnen heißt Liam", murmelte Nathalie geistesabwesend und ignorierte vollauf Zoey's Ratschlag, vollkommen in Gedanken versunken. "Er könnte allerdings auch Lee M. heißen... aber er sieht gar nicht aus wie ein Lee, oder?" Mit der grübelnden, schwärmenden Nathalie im Schlepptau suchte Zoey sich einen kleinen, runden Tisch für zwei und nahm Platz, betrachtete ihr Tellergericht genauer. Es waren Nudeln mit Gemüse und Pilzsoße, doch als sie ihren ersten Bissen tat, bemerkte sie schnell, dass ihr Essen bereits vollständig erkaltet war. Auch Nat schien das in diesem Moment zu bemerken, denn vergessen waren die IT-Kerle. "Das ist ja eiskalt!", beschwerte sie sich lautstark, und einige Kollegen drehten verwundert die Köpfe nach ihnen um. "Wir sollten uns beschweren gehen!" Zoey winkte ab und zog unter all diesen Blicken ein wenig den Kopf ein. Sie wollte nicht schon am ersten Tag negativ auffallen. "Mir schmeckt's", log sie, nur, um Nathalie schnell zum Schweigen zu bringen und zeigte dann auf den Grießpudding mit Kirschsoße, den Nathalie sich mitgenommen hatte. "Iss den doch. Der schmeckt auch kalt." Nat folgte Zoey's Fingerzeig und starrte skeptisch die Puddingschale an. Dann zog sie sie langsam näher zu sich heran und rammte unzufrieden ihren Löffel hinein. In diesem Moment schlenderte ein blonder, großgewachsener Typ hinter der frustriert futternden Nathalie vorbei, eine Coladose in der Hand schwenkend, und als Zoey zufällig aufschaute und sich ihre Blicke kreuzten, zwinkerte er ihr selbstgefällig zu. Kapitel 3: Reunion ------------------ Zoey wandte den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf Nathalie. Sie konnte auf den ersten Blick erkennen, dass der Typ, der ihr gerade so lässig zugezwinkert hatten, ein Macho allererster Güte war. Einfach ein Affe von einem Kerl, anders konnte man es nicht sagen. Nat schluckte ihren Pudding herunter und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippen, um eventuelle Kirschsoßenreste wegzulecken. "Hast du nach der Arbeit schon was vor? Ich meine, wenn nicht, könnte ich dir ein bisschen die Stadt zeigen. Zumindest das, was ich bis jetzt kenne. Die Einkaufsstraße also." Sie grinste, fuhr aber schnell fort: "Oder wir könnten etwas trinken gehen. Oh, warte, da fällt mir was ein! Wir könnten auch abends in einen Club gehen oder so, ich kenn da ein paar." Zoey horchte auf und ihre Augen blitzten begeistert. "Ja, eine super Idee! Ich habe schon befürchtet, ich werde jeden Abend daheim bleiben und die Decke fällt mir irgendwann auf den Kopf." Sie lachte erleichtert. Nathalie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schob die Schale von sich weg, die sie leergegessen hatte. "Nee, das wird dir sicherlich nicht passieren. Wir werden uns bestimmt amüsieren. Was hältst du von Freitag Abend? Da ist immer am meisten los. Die Bar heißt 'Black Out'", und es gibt dort tolle Cocktails. Ähh, natürlich auch nichtalkoholische Getränke, wenn du irgendwie Abstinenzlerin bist oder so", fügte sie schnell hinzu und bedachte Zoey mit einem neugierig-skeptischen Blick. "Nein", schüttelte diese den Kopf. "Nein, das bin ich ganz sicher nicht." Nat grinste. "Dann werden wir bestimmt viel Spaß zusammen haben! Und was hältst du von einem kleinen Stadtrundgang heute Nachmittag? Hier hat ein neues Starbucks eröffnet, gleich um die Ecke. Da trifft man immer die Hälfte der Kollegen an." Sie verdrehte gekünstelt die Augen. Zoey nickte zustimmend. Das passte ihr wunderbar in den Kram, sie hatte sowieso noch nichts vor, und mit Nathalie an ihrer Seite versprach es, ein interessanter und lustiger Abend zu werden. Aber mehr noch freute sie sich über die Einladung in die Bar – „Black Out“. Sie hatte nicht gedacht, dass sie so schnell auf neue Freunde und Freizeitaktivitäten treffen würde, aber anscheinend hatte sie, was das anging, ein glückliches Händchen. Möge es auch weiterhin so bleiben, dachte sie erfreut. Ihr soziales Leben würde also doch nicht brach liegen in der ersten Zeit, wie sie anfangs befürchtet hatte. Der Starbucks war, wie Nathalie gesagt hatte, gerappelt voll, doch konnte Zoey’s neue Freundin einer Gruppe halbwüchsiger Mädchen, die sie daraufhin mit einem bösen Blick bedacht hatten, einen kleinen, runden Zweiertisch am Fenster mit schönem Ausblick auf ein altes, heruntergekommenes Fabrikgebäude und dessen Innenhof, den große, graue Müllcontainer zierten. Die Mädelsclique zog lästernd von dannen, während Nat feixend frohlockte und Zoey, die sich angestellt hatte, um zwei Kaffee zu besorgen, siegesgewiss den Daumen in die Höhe streckte. Zoey wusste nicht so richtig, was sie von ihrer neuen Freundin halten sollte. Nathalie schien ein lebensfroher Mensch zu sein, dem gar nichts peinlich war. Zoey hingegen war immer darauf bedacht gewesen, so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit aufzufallen. Im Mittelpunkt zu stehen, wenn alle Augen auf sie gerichtet waren, das lag ihr nicht. Nicht, dass sie ungesellig war, aber inmitten lauter fremder Menschen war sie sich schon immer ein wenig deplaziert vorgekommen. Die Schlange vor ihr wurde langsam, aber stetig kürzer, während sich hinter ihr immer mehr Personen drängten und Zoey war froh, endlich bald an die Reihe zu kommen. Die Klimaanlage funktionierte zwar, jedoch schien sie die Menge an Ausdünstungen nicht bewältigen zu können, und Zoey bereute mittlerweile ihre Kleiderwahl an diesem Morgen: eine schwarze Stoffhose und eine weiße Bluse mit lila Querstreifen. Sie wollte einen guten Eindruck machen, aber wenn sie Nathalie so anschaute, in ihrem Rock, einem handelsüblichen Mädchenshirt und den Riemchensandalen, merkte sie, dass sie sich diese Mühe gar nicht hätte machen brauchen. Überhaupt hatten die meisten der Aushilfsjobber Jeans und andere legere Klamotten getragen, während all die Neuen ähnlich gekleidet waren wie sie. Nun, jetzt wusste sie es ja besser, und morgen würde sie diesen Fehler bestimmt nicht noch einmal begehen, es sei denn, über Nacht würde sie das plötzliche Verlangen überkommen, sich doch zu Tode schwitzen zu wollen. "Ja, bitte?", holte die Verkäuferin, eine junge Frau in unverkennbarer Starbucksuniform - der grünen Schürze - Zoey aus ihren Gedanken und sah sie erwartungsvoll an. "Äh, ich nehme..." Schnell warf sie noch einen kurzen Blick auf die Getränketafel hinter der grünen Schürzenfrau. Sie konnte sich einfach nie die Namen der ganzen Köstlichkeiten merken. Kaffee war schließlich immer Kaffee, oder etwa nicht? "Einen... Caramel Frappuccino und einen Iced Caffè Latte, bitte." Gleichzeitig fragte sie sich, was das überhaupt alles sein sollte. Aber Karamell klang gut und kalt war das Getränk auch, das war alles, was sie wissen musste. Es schmeckte, ihrer Meinung nach, sowieso alles gleich. Sie bezahlte und wurde gebeten, "bei der Lampe" zu warten - einem roten, von der Decke über einem hohen Tisch hängenden Leuchter. Nach etlichen Minuten - die Wartezeit war wirklich nicht weiterzuempfehlen -, in denen sie sich gedankenverloren umgesehen hatte und Nathalie gelangweilt am Tisch ihr Handy auf neue Nachrichten überprüfte, bekam Zoey endlich ihre Getränke und balancierte sie zu ihrem Tisch, wobei sie noch einen kurzen Zwischenstopp am Zucker- und Geschirrständer machte, um sich zwei lange Löffel zu holen. Sie stellte die Kaffees auf dem dunklen Holztisch ab, was Nathalie dazu veranlasste, aufzublicken, und wollte sich gerade setzen, als ihre Freundin die Augen weit aufriss und auf etwas starrte, was sich hinter Zoey befand. "Da ist wieder einer der Typen aus der IT-Abteilung!", zischte sie ihr aufgeregt zu und Zoey fühlte sich augenblicklich wieder in die Situation beim Mittagessen in der Kantine zurückversetzt, wo Nat genau dieselben Worte benutzt hatte, um ihre Aufregung kundzutun. Entweder stand sie wirklich auf diese Typen, oder sie war einfach nur über alle Maßen begeisterungsfähig, egal, um wen es sich handelte. "Es ist der Eine, der zusammen mit Liam heute unten war", flüsterte sie ihr weiterhin zu, ohne den Blick von den Objekten der Begierde abzuwenden. "Erinnerst du dich?" Nun auch interessiert, was an den Kerlen denn so besonders sein sollte, drehte sich Zoey auch um. "Nein, du hast mich ja nicht gucken lassen", erinnerte sie Nat abwesend und suchte mit den Augen die anstehende Menschenschlange ab, nach jemanden, der es wert wäre, ihn minutenlang anzugaffen. Diesen Jemand fand sie nicht, stattdessen sah sie etwas Anderes. Einen jungen Mann, der ihr mehr als nur allzu bekannt vorkam. Einen jungen Mann mit kurzen, dunkelbraunen, sich im Nacken wellenden Haaren, einer Jeans, einem dunkelgrauen T-Shirt und diesem unverkennbaren Grübchen in der linken Wange, wenn er lachte. Und er lachte, während er irgendetwas zu seinem Freund sagte, der neben ihm stand. Dann jedoch drehte er sich aber um, genau in Zoey's Richtung, und für den kürzesten aller Augenblicke begegneten sich ihre Blicke. Noch bevor sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck der Überraschung abbilden konnte, wandte sie sich abrupt um, starrte fassungslos die Tischplatte an, alles Blut wich aus ihrem Gesicht. "Ach du Scheiße", fluchte sie leise, während ihre Nervenbahnen heißliefen, um irgendeine rationale Erklärung für diese, wie sie hoffte, Fata Morgana zu finden. Erfolglos. Nathalie runzelte verwundert die Stirn, schaute erst Zoey an, dann die Typen hinter ihr, dann wieder Zoey. "Was ist?", wollte sie dann besorgt wissen und spähte wieder, ein bisschen unauffälliger, zu den Jungs. "Was hast du? Warum starrt er die ganze Zeit hier rüber?" Es war also doch keine Fata Morgana. "Kennst du ihn?", wisperte Zoey, während sie in ihrem Stuhl zu versinken schien. Je weniger man von ihr sehen konnte, desto besser. Hätte sie eine Kapuze oder eine Mütze, hätte sie sie sich auf der Stelle über den Kopf gestülpt. "Ja, das ist einer von den Typen, die ich meinte", erklärte Nat, noch immer irritiert, aber zum Glück hatte sie die Stimme gesenkt, da sie wohl merkte, dass die Situation es erforderte. "Aber ich weiß nicht, wie er heißt. Ich kenne nur Liam mit Namen." Zoey stöhnte und spürte seinen Blick im Rücken. "Was macht er? Er macht doch nicht etwa Anstalten, hierher zu kommen, oder?" Nat warf ihr einen befremdeten Blick zu, antwortete aber trotzdem. "Sie stehen da und überlegen anscheinend, was sie trinken wollen. Der eine, der eben so geguckt hat, sagt irgendwas zu dem anderen“, erstattete sie brav Bericht. "Der sieht echt gut aus... Und... oh! OH! Ich glaube, sie kommen! Sie kommen!", zischte sie vollkommen aufgeregt, rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und starrte den beiden entgegen, überhaupt nicht in den Bewusstsein, dass das auch sie das mitbekamen. "Oh nein", seufzte Zoey, und als sie merkte, dass jemand hinter ihr stehen blieb, hob sie schicksalsergeben den Kopf und starrte unglücklich in ein braunes Augenpaar, das sie musterte. "Josh." Er grinste zu ihr herunter. "Zo", sagte er gutgelaunt. "Dachte ich mir doch, dass ich dich heute morgen gesehen habe." Fassungslos starrte Nat von Josh zu Zoey und wieder zurück. "Ihr... ihr kennt euch?", krächzte sie aufgebracht. "Äh..." Eigentlich nicht, wollte Zoey schon sagen, aber das wäre eine glatte Lüge gewesen und Josh hatte die Frage bereits mit einem Nicken beantwortet. Es war so seltsam. Nun stand er hier und grinste, nachdem er ihr jahrelang das Leben zur Hölle gemacht hatte. Nachdem sie ihn seit über sechs Jahren nicht mehr gesehen und etwa seit ihrem elften Lebensjahr kein Wort mehr mit ihm gesprochen hatte - oder eher er mit ihr. Das war nun elf Jahre her und wenn Zoey an ihre Kindheit dachte, dann verdrängte sie für gewöhnlich die Teile, in denen Josh eine Rolle gespielt hatte - und leider waren das ziemlich viele. "Ich... ich bin Nathalie", piepste Nat nach einer kurzen Stille, in der Zoey diverse Gedanken über den miesen Josh, wie sie ihn als Kind immer genannt hatte - sie hatte auch noch hundert andere, schlimmere Namen für ihn gehabt -, durch den Kopf gingen und sie unbewusst eine Abwehrhaltung einnahm. Was wollte er? Das hier war das Schlimmste, was ihr hätte passieren können, und es traf sie ausgerechnet dann, als sie dachte, dass alles besser nicht laufen könnte! Das war so typisch. War es nicht immer so im Leben? "Josh", stellte er sich selber vor und lächelte Nat, wie Zoey fand, widerlich freundlich an. Freundlich und Josh - die beiden Wörter konnten einfach nicht zusammen in einem Satz existieren, geschweige denn in der Realität! Nathalie wurde rot und nickte. Es stand ihr praktisch auf der Stirn geschrieben, wie sehr sie ihn anhimmelte. "Hi, und ich bin Sam", meldete sich eine neue Stimme zu Wort und der andere junge Mann, augenscheinlich ein Freund von Josh, drängte sich an diesem vorbei und grinste erst Nathalie breit an, schnappte sich unaufgefordert ihre Hand und schüttelte sie, und wiederholte dieselbe Prozedur mit der verdatterten Zoey. Erst jetzt nahm sie ihn bewusst wahr. Er war groß, schlank, hatte blonde Haare und trug ein braunes Poloshirt mit aufgestelltem Kragen und weißen, dünnen Querstreifen. Er sah ziemlich gut aus, befand sie. Nathalie schien anscheinend dasselbe zu denken, denn sie verlegte ihre Schwärmerei auf Sam und klimperte auffällig mit den Wimpern, als sie mit ihrem Stuhl zur Seite rutschte und den beiden anbot, sich doch dazuzusetzen. "Zu gern, Mädels, aber heute nicht", lehnte Sam dankend ab und lächelte. Bei ihm sah das viel natürlicher aus als die schmierige Grimasse von Josh. "Ich wollte mir nur was zum Mitnehmen holen und dann müssen wir los." Er blickte fragend zu Josh, als müsste er das bestätigt haben, und dieser nickte. "Geh und hol dir doch was", forderte er ihn auf. "Ich warte solange hier." "Dich wird man wohl nie los", murmelte Zoey missmutig. Sie würde bestimmt nicht so tun, als sei nie etwas gewesen und als sei sie nett und freundlich. Josh war ein Narr, wenn er dachte, dass er damit durchkommen könnte, nachdem er ihr doch elf Jahre ihres Lebens versaut hatte. Er musterte sie schweigend, verschränkte dann die Arme und lehnte sich mit dem Rücken lässig gegen das Fenster mit der tollen Aussicht. Dann grinste er wieder. "Immer noch die Alte, was, Zo?" "Nenn mich nicht so. Du weißt, dass ich das schon immer gehasst habe!", fuhr sie ihn an, während sie merkte, dass sich eine alte Wut in ihr wieder regte und sich Stück für Stück aufbaute. Sie erinnerte sich, wie es früher war, als sie noch Kinder waren - da konnte sie auch nie ruhig bleiben mit Josh in ihrer Nähe. Er war immer der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er neigte den Kopf zur Seite, ohne sie aus den Augen zu lassen. "Ich weiß", sagte er, und fügte hinzu: "Zo." Sein süffisantes Lächeln zeugte von dem Vergnügen, das er verspüren musste, sie so zu ärgern. Zoey schwieg. Es regte sie weniger auf, dass er sie 'Zo' nannte, sondern vielmehr die Tatsache, dass er meinte, er könnte sie weiterhin bewusst triezen, so wie früher, nur dass er mittlerweile - wie alt musste er jetzt sein? 24? - ja, 24 Jahre alt war. "Komm schon, sei nicht gleich so eingeschnappt", versuchte er es wieder freundlicher, als sie gar nichts daraufhin sagte, aber der Schalk saß ihm noch deutlich im Nacken, das konnte sie schon an seinen Augen erkennen. "Ja, Zoey", bettelte Nat und sah sie flehend an, "sei doch nicht gleich beleidigt. Er macht nur Spaß." Es war glasklar, dass Nathalie sich Vorteile von dieser Verbindung erhoffte - und Zoey glaubte auch schon zu wissen, welche Vorteile das genau waren. "Woher kennt ihr euch eigentlich?", hakte sie dann im Plauderton nach, wahrscheinlich, um die Stimmung etwas aufzulockern. Josh war sogar so gütig, ihr zu antworten. "Wir sind im selben Dorf aufgewachsen. Zoey hat mir das Leben zur Hölle gemacht." Er lachte und sein Grübchen kam wieder zum Vorschein. "Wohl eher du mir!", beschuldigte sie ihn und sah ihn vorwurfsvoll an. Er lachte wieder, als sei das alles ein riesengroßer Witz, und wandte sich an Nathalie. "Wir uns beide", erklärte er, seine gute Laune hatte durch den kurzen Wortwechsel anscheinend keinerlei Schaden davongetragen. "Ah. Cool." Nathalie war ungewöhnlich wortkarg, aber Zoey merkte, als sie sich umwandte und ihrem Blick folgte, auch, woran es lag. Ihre Freundin schmachtete immer noch Sam an, der mittlerweile an der Theke angekommen war und seine Bestellung aufgab. Die Kellnerin flirtete heftig mit ihm, trotz ihrer grünen Schürze. "Vergesst es, Mädels." Josh ließ seine Hände in den Jeantaschen verschwinden und nickte mit dem Kopf in Richtung Sam. "Der ist nichts für euch, glaubt mir." Nathalie machte große Augen. "Warum nicht?" "Na schau ihn dir doch mal an", riet der junge Mann ihr und bedachte die Rückansicht seines Freundes mit einem fast bedauernswerten Blick. Sam hielt nun zwar seinen Coffee-to-go in der Hand, plauderte aber munter mit der Kellnerin, die in regelmäßigen Abständen laut auflachte und sich dann die Hand vor den Mund hielt. Die Leute hinter Sam wurden langsam ungeduldig. "Glaubst du, es ist Zufall, dass er so viele weibliche Freunde hat?" Nathalie's Stimme klang fast weinerlich, als sie ihren nächsten Gedanken laut aussprach: "Ich dachte, er wäre einfach nur charmant?" Langsam schüttelte Josh den Kopf. "Er ist wirklich... wie sagt man? Vom anderen Ufer." Einen Moment lang waren alle still und betrachteten Sam's Rücken. Er, der immer noch von der Kellnerin becirct wurde, bekam davon nichts mit, doch Zoey runzelte skeptisch die Stirn. "Er sieht aber gar nicht so aus", stellte sie fest. Josh grinste sie von der Seite an. "Wie muss man denn aussehen? Außerdem... du siehst auf den ersten Blick auch nicht aus wie eine wildgewordene Furie, und trotzdem bist du's." Bei dieser Ansage blieb Zoey fast der Mund offen stehen. Sie war es nicht mehr gewohnt, tagtäglich mit anderen zu streiten und im ersten Moment fiel ihr keine passende Antwort ein. Im zweiten auch nicht. Zumindest keine, die seine Behauptung nicht sofort bestätigte. Nathalie bekam gar nichts davon mit; sie schien sich darauf einzustellen, in den nächsten Sekunden tief tief in ihr Selbstmitleid einzutauchen und sich erst einmal ein wenig darin zu suhlen. "Aber hey." Jetzt redete Josh wieder mit Nat. "Wenn du willst, stell ich dir ein paar anderen Jungs vor. Was macht ihr am Wochenende?" Zoey wollte gerade protestieren - sie sah, worauf das hinauslief, und das war ganz sicher nicht die Art von Abend, die sie sich vorstellte! -, aber Nat’s Augen nahmen wieder diesen entrückten Glanz an, als sie Josh begierig alles über den Freitagabend und die "Black Out"-Bar erzählte, die sie mit Zoey besuchen wollte. Josh nickte, warf einen Blick zu Sam und gab ihm ein Handzeichen, dass er sofort kommen würde. "Alles klar. Wir sehen uns dann, Mädels." Dann konnte er es doch nicht unterlassen: "Bis Freitag, Zo." Kapitel 4: Anger ---------------- "Was ist?", wollte Nathalie wissen. "Du guckst wie ein begossener Pudel." Zoey konnte es noch immer nicht fassen. Sie hoffte, dass Josh nur eine Erscheinung gewesen war, aber instinktiv ahnte sie, dass das nicht stimmen konnte. Leider. Aber, verdammt noch mal, wie hoch standen die Chancen, im großen, weiten England ausgerechnet auf ihren ungeliebten Kindheitsfeind zu treffen? Doch langsam begannen die Puzzleteile, sich zusammenzufügen, wenn auch nur widerwillig. Josh's Mutter mit der Zeitung von Norwich, Josh's Mutter mit dem Hinweis auf diesen Job... es war wie verhext, und dabei so simpel, dass sie fast laut auflachen könnte, wenn... ja, wenn es nicht gleichzeitig so schrecklich verärgert gewesen wäre. Von allen Menschen, die sie kannte, war Josh der letzte, den sie treffen wollte. Und damit nicht genug: ihre Heimatstadt war jetzt auch seine Heimatstadt, genauso wie vorher. Sie schien ihn nie loswerden zu können. "Das war Josh", sagte sie deshalb ganz verwirrt zu Nat, um ihr "pudelhaftes" Aussehen, wie diese es genannt hatte, zu erklären. Nathalie nickte begeistert. "Ja! Und ich kann's nicht fassen, dass du ihn tatsächlich kennst!" Stumm starrte Zoey ihre neue Freundin an. "Weißt du was, Zoey?! Du bist ein echter Glücksgriff! Ich wusste es vom ersten Moment an." Nat lachte fröhlich und hob ihren Kaffeebecher, um Zoey zuzuprosten. Glücksgriff, dachte Zoey bitter. Sie konnte das von sich selbst nicht gerade behaupten. Als erstes - und wahrscheinlich auch letztes - würde Melissa daran glauben müssen. Josh's Schwester. Sie musste doch eingeweiht sein! Doch sie hatte ihn ihr gegenüber kein einziges Mal erwähnt, so, wie es eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre. Zoey fühlte sich schrecklich hintergegangen. Viel schlimmer, dass Josh auch in Norwich verweilte - und sogar in derselben Firma angestellt war wie sie auch! -, fand sie die Tatsache, dass eine ihrer besten Freundinnen ihr diese unbedeutende Kleinigkeit verschwiegen hatte. Die Wut über Josh und seinen Auftritt verwandelte sich in die Wut über Melissa, und obwohl Zoey wusste, dass man wichtige Sachen nie im Zorn klärte, konnte sie gar nicht anders, als die Nummer ihrer Freundin zu wählen. Nach dem unglücksseligen Aufeinandertreffen mit Josh war das Gespräch zwischen ihr und Nat eher einseitig verlaufen. Nathalie schwärmte die meiste Zeit darüber, dass Zoey solch "coole Typen" kannte und Zoey war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Gedanken zu ordnen. Jetzt, zu Hause, waren ihre Gedanken zwar noch immer nicht geordnet, aber dafür ziemlich aufgebracht. "Rate mal, wen ich heute in der Stadt getroffen habe", verkündete sie ohne große Vorrede, als Melissa den Hörer abnahm. Am anderen Ende der Leitung war es zunächst still, dann: "Zoey?" "Genau, Zoey", meckerte sie, "die Zoey, der niemand gesagt hat, dass sie mit dem gemeinsten Typen der Welt fortan in einer Stadt leben wird!" Zoey wusste, dass es nicht in Ordnung war, Melissa gegenüber so über ihren Brüder zu reden, aber sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. Außerdem, so rechtfertigte sie sich, hätte sie auch noch viel unschönere Ausdrücke benutzen können, um die vielen widerwärtigen Charakterzüge dieses Kerls zu beschreiben. Melissa schwieg. "Oh." "Oh? Eine kleine Warnung wäre äußerst nett gewesen!" Vor lauter Wut kritzelte Zoey ihren ganzen Block voll mit einem schwarzen Kugelschreiber, der neben ihr auf dem Tisch lag. "Ich weiß." Melissa zögerte. "Aber..." "Aber?" "Weißt du, ich hatte Angst, dass du dann nicht nach Norwich gehst... und du wolltest doch so gerne..." Das nahm Zoey ein wenig den Wind aus den Segeln. Außerdem war es unmöglich, auf jemanden wie Melissa lange böse zu sein. Sie gab immer sofort klein bei und erweckte bei anderen den Eindruck, immer nett zu ihr sein zu müssen. Nicht nur ihr Aussehen - sie war klein und zierlich -, sondern auch ihre leiste, ruhige Stimme und ihre Art an sich trugen dazu bei. Zoey seufzte resigniert. Diese Frage hatte sie sich bis dahin noch nicht gestellt, und es war eigentlich eindeutig, dass sie, auch wenn sie gewusst hätte, dass in Norwich der Feind residiert, trotzdem hingezogen wäre. Nur hätte sie vielleicht diesen vermaledeiten Job nicht angenommen, um jeden einzelnen Tag der Sommerferien mit einem Jungen im selben Gebäude zu sitzen, der ihr einmal ein Glas voller Ameisen - zusammen mit einem großen Teil des Ameisenhaufens -, über den Kopf geschüttet hatte. "Natürlich wäre ich gegangen", brummte Zoey, unwillig, ihrer Wut bereits so schnell nachzugeben, obwohl diese schon fast verklungen war. "Und du wolltest so gerne über die Sommerferien arbeiten", fuhr Melissa fort, als müsste sie sich weiterhin verteidigen. "Deine Mum war hier und hat das erzählt, als Josh auch zufällig da war. Na ja, er hat das gehört und er war so nett, eine Zeitung zu schicken, in der diese Angebote inseriert waren. Du weißt schon", fügte sie verlegen an, als wollte sie das Offensichtliche nicht aussprechen: Den Höllenbetrieb! "Und weil du ihn doch immer so verabscheut hast, dachte ich, es wäre besser, nichts zu sagen. Er sollte dem nicht im Wege stehen, was du willst, weißt du." Zoey seufzte erneut. Noch etwas hatte sie an Melissa unterschätzt: Nicht nur, dass diese sich praktisch nie den Zorn eines gerechneten Mann einfing, nein, sie war zudem noch furchtbar vernünftig, was es gleich doppelt so schwierig machte, seiner völlig unvernünftigen Wut weiter zu frönen. Sie gab auf. "Eine Warnung wäre trotzdem nett gewesen", beklagte sie sich. "Ich hab' heute einen echten Schrecken bekommen." Sie stellte sich vor, wie Melissa nachsichtig lächelte, als sie verständnisvoll sagte: "Das kann ich mir gut vorstellen. Und war er nett zu dir?" "Nicht netter als üblich", log Zoey, obwohl Josh sie dieses Mal nicht in einen Strauch voller Brennnesseln geschubst, sondern sich 'nur' ein wenig über sie lustig gemacht hatte. "Aha", kommentierte Melissa. Es klang ein wenig skeptisch, aber ansonsten ließ sie sich keinerlei Details darüber entlocken, wie sie das Ganze beurteilte. Und auch Zoey wollte nicht mehr darüber reden und erzählte stattdessen von ihrem ersten Arbeitstag und von der fröhlichen Nathalie, die über alles, vom Pudding bis hin zu coolen Jungs, absolut begeistert war. Melissa freute sich für sie, wie nicht anders erwartet, und sie versprachen sich, am Wochenende wieder miteinander zu telefonieren. Nachdem sie aufgelegt hatte, betrachtete Zoey ihre noch unfertige Wohnung. Die wichtigsten Sachen, Kleidung, Bücher und all so was, waren schon an ihren Plätzen, jedoch wirkten die Wände noch ein wenig kahl, und da es noch nicht zu spät war, um Hammer und Nägel rauszuholen, beschloss sie, sich dieser Sache anzunehmen. In einer Ecke stand der Karton mit Fotos, Bilderrahmen und Bildern. Darin befand sich auch ihre Pinnwand, der Kalender von diesem Jahr und eine Lichterkette, die sie sich über das Bett hängen wollte, oder über ein Fenster, so genau wusste sie das noch nicht. Außerdem würde es sicher gut tun, jetzt auf etwas einzuschlagen und sich vorzustellen, es wäre Josh's Kopf... Kapitel 5: Black Out -------------------- Als Zoey mit gemischten Gefühlen das "Black Out" erreichte - eine typische Mischung aus Diskothek und Bar, die populäre Musik spielte -, dachte sie zunächst, dass sie viel zu früh aufgetaucht war, da sie Nathalie auf den ersten Blick nirgends ausfindig machen konnte. Sie fühlte sich unwohl, so allein inmitten einer so belebten Bar herumzustehen und nicht zu wissen, wohin mit sich. Einerseits war sie froh, abends etwas unternehmen zu können, andererseits waren Josh und seine Freunde - vor allem aber Josh -, nicht gerade ihre Wunschbesetzung. Aber nun war sie schon einmal hier, und vielleicht würde es ihr ja gelingen, ihren Groll für einen Moment zu vergessen und tatsächlich ein wenig Spaß zu haben. Sie betrachtete eine Weile ihre Umgebung. Dem Namen angemessen war es eine verhältnismäßig schummrige Bar, in der die Farbe schwarz dominierte. Sogar die ledernden Polstersitze waren schwarz. In der Mitte der Bar befand sich die Theke, links davon die gemütlich aussehenden Sitzecken, mit niedrigen Couchtischen, Sofas und Sesseln, rechts davon die Tanzfläche, von der die Musik herüberschallte. Nichts Besonderes also, aber ganz nach dem Geschmack junger Leute. Es gab noch ein weiteres Stockwerk, denn eine Treppe führte nach oben, und Zoey vermutete, dass es sich dort oben um weitere Sitzplätze handelte, doch der Zugang war durch ein rotes, dickes Seil versperrt, wahrscheinlich, weil heute nicht allzu viel Betrieb herrschte. Da entdeckte sie Nathalie. Ihre neue Freundin saß, wie eine Königin, inmitten von vier Kerlen in einer hufeisenförmigen Sofanische und amüsierte sich blendend, in einer Hand ihr Cocktailglas schwenkend, mit der anderen wild gestikulierend. Zoey erkannte, dass es sich bei zwei von ihnen um Josh und Sam handeln musste. Die zwei anderen kannte sie nicht. Vorsichtig kam sie näher und besah sich das Grüppchen erst einmal von weitem, um eine erste Einschätzung zu bekommen. Sam lauschte mit einem höflichen Lächeln Nathalie Geplapper, Josh warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sein Cocktail stand vor ihm auf dem niedrigen Couchtisch und ganz offensichtlich hatte er ihn noch nicht angefasst. Der dritte im Bunde hatte kurze schwarze Haare und eine Brille auf der Nase. Angestrengt beugte er sich vornüber und tippte wild auf etwas Kleines in seinen Händen ein, das möglicherweise sein Handy sein könnte. Aus der Nähe kam ihr auch der letzte der Jungs bekannt vor, der gelangweilt seinen Blick im Raum schweifen ließ, und dann erinnerte sie sich wieder! Es war der blonde Typ, der ihr an ihrem ersten Arbeitstag in der Cafeteria so dämlich zugezwinkert hatte. Den musste Nathalie gemeint haben, als sie über die "IT-Kerle" gesprochen hatte. Zoey wappnete sich innerlich. Sie musste sich wohl oder übel der Gruppe anschließen, wenn sie nicht den Rest des Abends allein und verloren in dieser Bar herumstehen wollte. Als sie ein paar Schritte auf Nat und die Jungs zumachte, hob Josh den Kopf und starrte ihr geradewegs verständnislos ins Gesicht. In diesem Moment fiel auch der Blick des blonden Cafeteria-Zwinkerers auf sie und, sich innerlich windend, ließ sie es geschehen, dass er sie von oben bis unten taxierte, wobei er an einigen Stellen ihres Körpers länger verweilte, als an anderen. Zoey hätte am liebsten auf der Stelle umgedreht, aber da wurden auch schon Nat und Sam auf sie aufmerksam und Nathalie winkte sie fröhlich herbei. "Hi, Zoey! Da bist du ja. Wir haben dich schon vermisst", grinste sie und rutschte zur Seite, ein Stückchen näher an den Zwinkertyp heran, sodass Sam und Josh ebenfalls gezwungen waren, aufzurutschen, damit Zoey sich dazusetzten konnte. "Hi, Leute", murmelte Zoey und bemerkte mit zunehmender Besorgnis, dass Zwinkerjoe schon den nächsten Hintern musterte, der eben am Tisch vorbeigelaufen war. "Zo, das sind Andy-" Josh nickte mit dem Kopf Richtung Handynerd, "und Liam." Der Typ mit den Augenzuckungen. "Wir arbeiten alle in einer Abteilung", erklärte er und klang dabei ein bisschen pflichtbewusst, da sich niemand sonst anschickte, sich vorzustellen. "Hey, Zo." Liam - oder, wie Nat ihn nennen würde: Lee M. -, grinste, wackelte mit den Augenbrauen und es fehlte nur noch, dass er sich die Lippen leckte. "Wie geht's?" Er war Zoey jetzt schon unsympathisch, obwohl er richtig gut aussah. Wahrscheinlich lag es auch genau daran, dass er ihr schon nach nur vier Wörtern wie ein Arschloch vorkam. "Ich heiße Zoey", erwiderte sie verdrossen. Liam hob amüsiert eine Augenbraue. "Hallo Zoey. Andrew", stellte sich nun auch der Handytyp vor, der anscheinend nicht mitbekommen hatte, dass Josh sie bereits bekannt gemacht hatte. Er schob sich die Brille auf die Nase, die ein wenig heruntergerutscht war, und hielt ihr zu ihrem Erstaunen die Hand hin. Überrascht schüttelte Zoey über dem Tisch und über Josh's Cocktail seine Hand, und kaum hatten sie sich losgelassen, versank Andy wieder in seinem mobilen Telefon, das so viel interessanter zu sein schien. Sam fing ihren verwirrten Blick auf und lächelte ihr zu, und Zoey war froh, wenigstens jemanden zu haben, den sie, mal abgesehen von Nathalie, sympathisch fand. Auch, wenn Sam, wie Josh es ausgedrückt hatte, "vom anderen Ufer" war. Sie saß Liam nun gegenüber, doch dieser stand schnell auf und entschwand sang- und klanglos, wahrscheinlich angezogen von einem weiteren vorbeischwebenden Hintern. "Zoey", ereiferte sich Nat begeistert, "was willst du trinken? Stell dir vor, Sammy kennt den Barkeeper und wir kriegen alles billiger!" Nathalie quietschte vor Vergnügen und strahlte übers ganze Gesicht, sodass Zoey gar nicht anders konnte und auch grinsen musste. "Ist egal, irgendwas, ich-" "Wir bringen dir was Tolles!" Sofort sprang Nat auf, und mit dem gutmütigen Sam im Schlepptau drängelte sie sich an Andrew vorbei, um Zoey mit Getränken zu beliefern. Nun war Zoey allein mit Andy, der sich lediglich seinem Handy widmete, und Josh, dem letzten Typen auf der Welt, mit dem sie allein sein wollte. Mit einem mulmigen Gefühl drehte sie sich zu ihm um. Viel schlimmer, als sich mit ihm zu unterhalten war es, die ganze Zeit zu schweigen. Das wäre peinlich. "Sammy?", fragte sie deshalb leicht irritiert. Josh grinste. "Ja, diese Nathalie ist schon lustig, nicht?" Er sagte es nicht verächtlich, sondern im Gegenteil ganz so, als fände er sie tatsächlich lustig und sogar irgendwie sympathisch. "Äh... ja", stimmte Zoey zu. Aber andererseits brauchte sie sich nicht zu wundern. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte Nat es geschafft, sich Zoey’s Freundschaft zu verdienen, sie mit ihrem Kindheitsfeind zu vereinen und mit diesem sogar ein Treffen auszumachen, also was machte es schon, wenn sie jemandem einen Kosenamen gab. Das war ja noch gar nichts! Josh's Stimme holte sie aus ihren Gedanken zurück. "Du hast mit Melissa geredet?" Es war vielmehr eine Feststellung als eine Frage. Zoey dachte missmutig an das Telefon und daran, was sie erfahren hatte, zurück. "Ja." "Du warst ganz schön sauer, was?", lachte Josh und nahm einen Schluck von seinem Cocktail. Er trank ihn nicht durch den Trinkhalm, sondern direkt aus dem Glas, wie Wasser. "Bin", präzisierte Zoey. "Außerdem ist das gar nicht witzig." "Ich finde, schon", widersprach Josh ihr. "Wer hätte gedacht, dass die Welt so klein ist?" "Nur dank deiner Hilfe ist sie es", murmelte Zoey. Josh zuckte gleichgültig mit den Schultern und lehnte sich entspannt zurück. Das alles schien ihn nicht im Geringsten zu stören, ganz im Gegensatz zu Zoey, die noch immer nicht darüber hinwegkommen konnte, dass sie ausgerechnet bei ihrem Kindheitsfeind gelandet war! "Ich wollte nur behilflich sein. Das war nichts Persönliches, Zo", sagte er kühl. "Glaub bloß nicht, dass ich scharf drauf war, dich hier zu haben." Obwohl sie genauso empfand, fühlte sie sich ein wenig gekränkt von seinen Worten, was Zoey noch mehr dazu brachte, in die Defensive zu gehen. "Schön", fauchte sie, "dann sind wir uns ja einig." "Sind wir", bestätigte er ungerührt, und fügte dann mit einem berechnenden Lächeln hinzu: "Wie geht es eigentlich Janie?" Zoey hätte sich fast an ihrer eigenen Spucke verschluckt und ihre nächsten Worte blieben ihr im Halse stecken. "Janie?!" Seit wann redete Josh so vertraut über ihre beste Freundin - und wieso redete er überhaupt über sie? "Jane", korrigierte er ihr zuliebe. "Wie geht es ihr? Hab sie lang nicht mehr gesehen." Verstört starrte sie ihn an. "Was geht dich das an? Was hast du mit Jane zu schaffen?" "Oh." Josh grinste wie ein Honigkuchenpferd und warf ihr einen höchst unschuldigen, und gerade deshalb beunruhigenden, Blick zu. "Wir sind Freunde, wusstest du das nicht?" "Seit wann denn das?", höhnte Zoey, konnte aber einen misstrauischen Unterton nicht vermeiden. Josh warf ihr einen vielsagenden Blick zu, dann beugte er sich näher zu ihr hinüber, um ihr leise etwas anzuvertrauen: "Wir waren mal ein Paar, weißt du." Zoey schnappte nach Luft. "Du lügst", fauchte sie. So jemand wie Jane würde nie und nimmer mit so jemandem wie Josh... aber dann hielt sie inne. So jemand wie Jane würde mit so jemandem wie Josh...! Dieser zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Wie du meinst." "Wann?", verlangte sie grimmig zu wissen. Josh winkte ab. "Vor ein paar Jahren. Ähm-" Er bemerkte Zoey's wütenden Blick. "Sechs vielleicht? Sieben? Es waren nur zwei Wochen, keine Panik, Zo." Zoey wusste nicht, was sie mehr schockierte. Die Tatsache, dass Jane etwas mit Josh hatte, oder, dass sie es vor ihr verheimlicht hatte! "Wieso erfahr ich das jetzt erst?!" Josh grinste. "Janie hat mir gedroht, Dinge mit mir anzustellen, die ich im Beisein von Frauen lieber nicht erwähnen möchte, sollte ich auch nur ein einziges Wort zu dieser Sache an dich verlieren." Das klang ganz nach Jane. "Jetzt hast du es mir aber gesagt", stellte Zoey fest und musterte ihren Feind skeptisch. "Tja, Janie ist weit, weit weg, und wer weiß, ob ich sie je wiedersehe. Du verrätst ihr doch nichts, oder?" Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu, aber Zoey schüttelte angewidert den Kopf. "Du träumst wohl, Michaels. Nie im Leben würde ich mir die Chance entgehen lassen, dich auf der Folterbank zu sehen." Sie versuchte, sich ein zufriedenes Lächeln zu entlocken, aber innerlich war sie immer noch aufgewühlt und geschockt von dieser so unerwarteten Nachricht. Josh war kein bisschen beeindruckt. "Das glaub ich dir auf's Wort, Zo", erwiderte er trocken, und lächelte ihr dann wieder zu, ganz das Unschuldslamm. "Das war es trotzdem wert, um deinen entgleisten Gesichtsausdruck zu sehen." Zoey brodelte. Es war genauso wie damals, nur, dass sie sich nicht mehr mit materiellem Gut und Krabbelviechern bekämpften, sondern mit Worten. Josh wollte sie nur ärgern, das war schon immer so gewesen, und das würde auch immer so bleiben. "Zoey." Liam stand unerwarteterweise vor ihr und langte nach ihrem Handgelenk. "Lust zu tanzen?" Wie selbstverständlich zog er die irritierte Zoey hoch und presste sie nah an sich heran. "Igitt, nein!", entfuhr es ihr unwillkürlich und sie drückte ihn forsch von sich weg. Hinter ihr gluckste Josh belustigt. Liam fuhr sich ratlos durch die Haare, als würde ihn eine Abfuhr derart aus dem Konzept bringen, betrachtete sie skeptisch und lächelte dann schief. "Überleg's dir." Dann verschwand er. "Es ist so widerlich hier", murmelte Zoey zu sich selbst und ließ sich wieder auf ihrem Platz neben Josh nieder. Der war ihr sogar fast noch lieber als dieser schmierige Möchtegernmachoverschnitt. "Die Würfel sind gefallen", kommentierte Josh grinsend, und als sie ihm einen fragenden Blick zuwarf, erklärte er: "Du bist sein neues Opfer." Verständnislos schaute Zoey ihn an, und obwohl ihr langsam dämmerte, was Josh meinte, hakte sie nach, was er damit sagen wollte "Liam ist ein Schürzenjäger, Zo." "Was du nicht sagst", konterte sie. "Soviel habe ich auch schon gemerkt." "Dann weißt du ja", fuhr Josh sachlich fort, ohne sich von ihr provozieren zu lassen, "dass du dich besser nicht mit ihm einlassen solltest." "Oho!", spottete sie. "Ein guter Rat von dir? Womit hab ich das bloß verdient?" Josh's Miene verfinsterte sich. "Du hast das gar nicht verdient. Ich versuche nur, Liam vor deiner Kratzbürstigkeit zu bewahren, kapiert?", blaffte er sie unfreundlich an und erhob sich plötzlich, versuchte, sich grob an Zoey vorbeizudrängeln, um aus seiner Sitznische herauszukommen. Im Weggehen hörte sie ihn verärgert etwas murmeln, das verdächtig nach "undankbare Göre" klang. "Zoeeey", ertönte wieder die ihr mittlerweile sehr bekannte Stimme, noch bevor sie das Gespräch eben analysieren und verarbeiten konnte, und drei bunt gefüllte Cocktailgläser wurden vor ihr auf dem Tisch abgestellt. "Such dir eins aus." Zoey seufzte und schnappte sich wahllos ein grünliches Getränk. Das würde ein langer Abend werden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)