Fremde Welten Spezial: Es gibt keine Zufälle (#3 1/2) von Purple_Moon (oder: "Fremde Welten" kommt auf den Hund!) ================================================================================ Kapitel 5: Hundeperspektive --------------------------- „War das wirklich richtig von uns?“ Yugi hatte seine Zweifel… und irgendwie war das mal wieder typisch für ihn, schalt er sich selbst, dabei hatte er sich doch vorgenommen, weniger über alles nachzudenken. Er sprach seine Bedenken aber erst aus, als Marik das Haus zu Fuß verlassen hatte. Und natürlich mit dem Hund. „Wheeler wird sich bestimmt wohlfühlen bei Ishtar… da wird er umsorgt und gestreichelt.“ Seto grinste fies. „Du wolltest ihn also nur ärgern,“ stellte Yugi fest. Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern. „Ich habe mir eigentlich nichts Besonderes dabei gedacht.“ „Du hast alle anderen angestiftet,“ beharrte sein Partner. „Ihr fandet es doch auch alle lustig,“ verteidigte Seto sich und grinste breit. „Naja, wir konnten deine Argumentation irgendwie nachvollziehen… auch wenn ich jetzt nicht mehr weiß, warum,“ mischte sich nun auch Yami in das Gespräch ein. „Es war schon gemein, Joey nicht einzuweihen,“ meinte Kuro. „Er hat sich Sorgen gemacht, weil ich gar nichts mehr weitergegeben habe, was er sagen wollte.“ Großvater rieb sich den Bart. „Vielleicht hätten wir Joey doch sagen sollen, dass... ähm...“ Yugi runzelte die Stirn. „Geht es euch auch so, dass ihr euch nicht mehr so richtig erinnern könnt, was wir uns dabei gedacht haben? Wir fanden es nur irre lustig, Joey mit Marik zu schicken, ohne dass wir Marik sagen, wer der Hund ist.“ Sie saßen alle wieder in der Sofaecke und unterhielten sich, bis auf Gandora, der es stets vorzog stehenzubleiben. Er hatte nur beim Essen auf einem Stuhl gesessen, allerdings kaum auf ihn gepasst. „Naja... kann ja nicht schaden, oder?“ überlegte Yami. „Sag mal, Kuro, hast du daran gedacht zu versuchen, ob du Joey zurückverwandeln kannst?“ „Nein... hab ich ganz vergessen...“ Nun rieb sich auch der Magier das stoppelige Kinn und sah dabei Großvater sehr ähnlich. Was ging hier vor? Yugi war froh, dass er nicht der Einzige war, dem etwas auffiel. Als ob irgendeine Macht versuchte… ja… was eigentlich zu tun? „Mein Prinz, hast du nicht irgendeine Erklärung dafür?“ wandte sich Kuro an seinen Begleiter. Soach blickte zum Fenster, obwohl man dort gar nichts mehr sah, weil es schon dunkel war. „Können wir irgendwo hingehen, wo man die Sterne sehen kann?“ „Hey, hast du zugehört?“ beschwerte der Finsternismagier sich. „Nein. Wie war die Frage nochmal?“ „Wir wundern uns, warum wir Joey mit Marik mitgeschickt haben. Vorhin war das ne tolle Idee, aber irgendwie finden wir es jetzt alle nicht mehr allzu logisch, keiner kann sich an die wirkliche Motivation erinnern,“ fasste Kuro für ihn zusammen. Soach winkte ab, als wäre das kein Anlass zur Besorgnis. „Alles passiert aus einem bestimmten Grund, aber wir müssen ihn nicht verstehen. Was ist nun mit den Sternen?“ *** Marik ging nicht auf direktem Wege nach Hause. Das wunderte Joey, bis er begriff, dass der Blonde darauf wartete, dass der Hund sein Geschäft erledigte. Wie peinlich war das denn! Vielleicht war es doch ganz gut, dass Marik seine wahre Identität nicht kannte. Joey konnte viel besser hören und riechen als sonst. Als Mensch hätte er gedacht, es wäre ganz ruhig in der nächtlichen Umgebung, aber in seiner jetzigen Gestalt vernahm er überall Geräusche – im Gebüsch, in der Luft, auf Dächern oder aus offenen Fenstern. Es war sehr interessant, und es verging eine Weile, bis er merkte, dass Marik sich amüsierte. „Du bist ja ganz aufgeregt, Joey, warst du noch nie in dieser Gegend?“ Joey schaute zu ihm hoch und produzierte eine Mischung aus Jaulen und Knurren. Marik interpretierte das anscheinend als Skepsis und lachte. „Tja, ist vielleicht nicht die Supergegend, aber ganz OK. Hast du auf dem Land gelebt? Jedenfalls scheint dich dein richtiger Besitzer ja gut zu pflegen.“ Die gebräunte Hand streichelte ihn mit dem richtigen Maß an Druck und ging dazu über, den Hals und dann die Ohren zu kraulen. Dabei blieben Mensch und Hund kurz stehen. Joey erwischte sich dabei, dass er wohlig grummelte. Schnell ging er weiter und zog auch Marik mit. Nicht dass er sich noch daran gewöhnte! An einer Häuserecke kam ihm ein Geruch in die Nase. Es roch nach Urin… allerdings nicht wie in von Menschen zweckentfremdeten Unterführungen, sondern irgendwie anders. Joey schnüffelte an der Stelle und stellte fest, dass der Geruch Assoziationen statt Ekel weckte, aber er konnte diese noch nicht deuten. Letztendlich hob er an der Stelle das Bein und pinkelte auf die anderen Duftmarken. „So ist’s brav, guter Junge,“ sagte Marik, während sie weitergingen. Erst da wurde Joey klar, was eben passiert war! Wäre das Fell nicht gewesen, hätte er wohl jetzt ein ganz rotes Gesicht gehabt. Mutierte er etwa zu einem von Instinkten gesteuerten Tier? Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass er vergaß, wer er war! Am Ende fraß er noch Hundekuchen und gab Pfötchen! So weit durfte er es nicht kommen lassen, schon allein, weil Kaiba sich dann totlachen würde. Zumindest war Marik jetzt wohl mit dem Ergebnis zufrieden und ging mit ihm nach Hause. Joey war ab und zu bei einem DVD-Abend in der Wohnung gewesen, nichts Besonderes, aber einigermaßen groß. Marik hatte damals erzählt, dass er es liebte, in der zweiten Etage zu wohnen, was vielleicht nicht verwunderlich war, wenn jemand sein Leben in Kellergeschossen verbracht hatte. „Ich bin froh, dass du schon Abendessen hattest, ich habe nämlich gar nicht viel da,“ schwatzte der Blonde. „Rein mit dir, Joey… mein Haus ist dein Haus.“ Aus der Hundeperspektive sah die Wohnung anders aus und roch viel intensiver. Manche Geräusche musste Joey erst zuordnen, weil er sie nie wahrgenommen hatte. Marik machte ihm das Halsband ab und ließ ihn alles erkunden. Da es inzwischen schon spät war, zog er die Schuhe aus und ging ins Bad. „Bis später Joey… bell, wenn was ist…“ Bald darauf war laufendes Wasser zu hören. Joey, nun allein zurückgeblieben, schaute sich im Wohnzimmer um. Mariks Gewinne von mehreren kleineren Motorradrallys hingen an den Wänden oder standen in den Regalen – es waren größtenteils Plaketten oder Urkunden. Auch Mariks Konsolenspiele waren von den Rennspielen beherrscht. Schnelles Fortkommen, die Kontrolle über das Fahrzeug, das war für den jungen Ägypter wichtig. Es gab ein gerahmtes Foto vom Eröffnungstag seines Antiquitätenladens, eins im Kreis seiner Freunde, wo auch Joey drauf war, und eins zeigte ihn mit Blacky ein paar Tage, nachdem sie das schicksalhafte Duell gegen Malice und Sorc gewonnen hatten. Mariks Dueldisk und Schachteln mit Karten befanden sich auf dem Couchtisch. Er schien vor kurzem sein derzeitiges Deck überarbeitet zu haben. Hm, müsste es nicht möglich sein, Kuro anzurufen, indem sie seine Karte auf die Disk legten? Joey wusste, dass er ein Exemplar hatte. Aber diese Idee konnte er ihm wohl nicht übermitteln. Er stellte auch fest, dass die Entfernung zu groß war, um telepathischen Kontakt zu Gandora aufzunehmen, jedenfalls, wenn der Kontakt von Joey ausging. Der Drache konnte es vielleicht schaffen. Es gab noch mehrere Bücher, für die er sich aber nicht im Einzelnen interessierte, dann schon eher für die DVDs, aber er kannte die Sammlung von seinen früheren Besuchen. Joey stieß einen Hundeseufzer aus und ging ins bisher unbekannte Schlafzimmer. Hier war es ziemlich unaufgeräumt, aber er war nicht in der Position, sich zu beschweren. Die Wände hingen voll mit Postern von individuell getunten Motorrädern. Die Zeitschriften, aus denen sie stammten, lagen auf dem Bett, dem Nachttisch und dem Boden herum. Eine Schublade in einer Kommode stand offen. Mehr Motorradmagazine. Mariks schmutzige Kleidung stapelte sich im Wäschekorb, ein paar Shirts und Hosen hingen in keiner erkennbaren Ordnung über einem Stuhl. Einen Korb mit sauberer Wäsche gab es auch, aber es sah ganz so aus, als würde der Besitzer sich den Zwischenschritt des Wegsortierens sparen. Dagegen war nichts einzuwenden, fast alle alleinstehenden jungen Männer lebten so. Ähem. Vielleicht mal die Küche besichtigen? Joey machte sich gerade auf den Weg, als ihm die plötzliche Stille auffiel. Warum war es so still? Oh ja... das laufende Wasser war verstummt. Der Hund blieb auf dem Flur stehen und starrte die Badezimmertür an. Seine feinen Ohren konnten hören, dass Marik sich in dem Raum bewegte und leise stöhnte. Ach herrje... hoffentlich war er nicht gestürzt! Er bellte einmal fragend. „Oh... Joey...“ kam es von drinnen. „Uh... ooooh...“ Es klang seltsam gequält. Joey kratzte an der Tür und versuchte, mit den Pfoten die Klinke herunter zu drücken. Es war nicht abgeschlossen, folglich schwang die Tür sogleich nach innen auf, und ihm kam eine Wolke aus Wasserdampf und der Geruch von Duschgel und Shampoo entgegen. Besorgt winselnd wagte er sich hinein. Die Wohnung war modern eingerichtet und verfügte über eine Dusche. Die Plexiglasverkleidung der Kabine war durch ein eingearbeitetes Tropfenmuster etwas undurchsichtig und außerdem von innen beschlagen, aber Joey konnte erkennen, dass Marik sich an der Wand abstützte und leicht vornüber gebeugt war. Er atmete hektisch und bewegte die andere Hand im gleichen Takt... Oh. Ach du Kacke. Joey wich etwas zurück. Offensichtlich war Marik nicht in Gefahr. Er hätte sich wohl abwenden und voller Verlegenheit das Bad verlassen sollen... aber er tat es nicht, sondern starrte auf das beschlagene Plexiglas und sah zu. Allmählich wurde die Sicht dann auch klarer... und Joey erwischte sich bei dem Gedanken, dass es eine einmalige Gelegenheit war, einen Mann auf diese Art zu bespannen, ohne dafür gerügt zu werden. Denn wer konnte es einem Hund verübeln? Sogar in seiner jetzigen Gestalt verzogen sich seine Lippen zu einem Grinsen. Erst Sekunden später ging ihm auf, was er da tat. Sollte er nicht wenn dann lieber mit Mai...? Aber Mai hatte ihn abblitzen lassen, und Marik war auch ganz sexy, musste er zugeben. Zu seinem Erstaunen fand er diese Gedankengänge nicht einmal verwerflich, gerade so, als wäre seine Verwandlung ein Schutzschild gegen alles. Zum Beispiel gegen übertriebene Moralvorstellungen von Menschen. Warum nicht seine Vorteile daraus ziehen? Wie praktisch wäre es wohl gewesen, wenn Mai ihn mitgenommen hätte, zu sich nach Hause, mit ins Bad, während sie in der Wanne saß... In seiner Vorstellung wurde Mai automatisch durch Marik ersetzt, zumal jetzt ein Geruch an seine Nase driftete, den er kannte, aber als Mensch nicht so deutlich hatte wahrnehmen können. Marik seufzte erleichtert und drehte noch einmal kurz die Dusche auf. Schließlich öffnete sich die Tür der Kabine, und der Blonde griff nach einem kleineren bereitliegenden Handtuch, das er für seine Haare brauchte. Er trat auf den Duschvorleger, während er die Hände an seinem Kopf hatte, somit konnte Joey alles unterhalb des Kopfes in seiner ganzen Pracht betrachten. Und sie waren schließlich unter Männern... also warum sollte er nicht hinsehen? Zwar erinnerte er sich, vorhin noch anders darüber gedacht zu haben, aber jetzt fand er es gar nicht peinlich. Seine Skrupel waren verflogen. Der Ägypter würde ja nie erfahren, dass er es nicht mit einem echten Hund zu tun hatte. Als die frisch gewaschenen Haare nicht mehr trieften, hängte Marik das nasse Handtuch über eine Halterung an der Heizung und nahm sich ein Duschtuch, mit dem er kurz seinen Körper abrubbelte, bevor er es sich um die Hüften band. Er lächelte Joey an. „Oh, wann bist du denn reingekommen? Wolltest wohl nicht alleine bleiben, hm?“ Er ging breit lächelnd in die Hocke und streichelte den Hund am Kopf. „Weißt du was? Falls ich dich behalte, muss ich dich umbenennen. Es wäre zu seltsam, wenn du weiterhin Joey heißen würdest... Wirklich zu seltsam...“ Er schaute zur Seite und biss sich auf die Lippe. Wurde er etwa rot? Warum denn? Joey stupste ihn an und produzierte einen Ton, der fragend klingen sollte. Hoffentlich kam das auch so bei seinem Gegenüber an. „Joey ist Yugis bester Freund...“ philosophierte Marik. „Jemand, der sein Leben für ihn aufs Spiel setzt. Dabei braucht er Joey doch jetzt gar nicht mehr... jetzt wo er Seto hat.“ Da war Joey aber ganz anderer Meinung. Gerade weil Seto Yami und Yugi um den Finger wickelte, brauchten sie beide einen Freund wie ihn. Er dehnte seine Freundschaft stets auch auf Yami aus, weil die beiden für ihn lange nicht zu unterscheiden gewesen waren und dann ja immer noch einen Körper geteilt hatten, wobei Yami die Freundschaften seines Wirts ebenfalls gepflegt hatte. Argh, vielleicht bezog sich das ja auch auf Liebschaften, und das war der Grund für diese Dreieckskiste! Joey konnte sie jedenfalls nicht einfach mit Seto allein lassen und ging dem Schnösel daher so oft wie möglich auf den Sack. Marik putzte sich schnell die Zähne, kämmte einmal grob seine Haare und stellte in der Küche eine Schüssel mit Wasser auf den Boden. „Lass uns schlafen gehen, Joey, es sei denn, du musst nochmal raus?“ Nein, Joey war gewiss nicht scharf auf einen weiteren Spaziergang, und Marik sicher auch nicht. Also gähnte er demonstrativ und schlenderte mit dem Blonden ins Schlafzimmer, wo er gleich aufs Bett sprang und ihm beim Anziehen zusah. Er hielt sich eine Pfote vor die Augen, ohne sie wirklich zu verdecken, und Marik lachte ausgelassen darüber. Joey gefiel der Anblick von Marik, wenn er lachte. Aber das lag natürlich daran, dass er es generell bevorzugte, wenn Leute lachen konnten. Der Ägypter zog nur ein Paar Shorts über und kroch dann in das ungemachte Bett, wobei er Joey nicht einmal wegschubsen musste. Der Hund fand einen Kompromiss zwischen Fußende und neben den Beinen, dort legte er sich gemütlich hin. „Schlaf schön, Joey... weck mich einfach, wenn du mal musst...“ Joey machte dieses Geräusch, das wohl einen ähnlichen Sinn hatte wie das Gurren von Gandora, und schloss erschöpft die Augen. Der Tag war doch anstrengender gewesen, als ihm bisher bewusst gewesen war, denn er schlief fast sofort ein. *** Die Sterne sahen am Meer besonders schön aus. Soach versuchte, weniger zu blinzeln, um sich länger an dem Anblick erfreuen zu können. Er stand bis zu den Waden im Wasser und starrte den Himmel an. Diese Nacht hatte keinen Mond. Das kam nur einmal in ungefähr dreißig Tagen vor, hatte Yugi ihm erklärt. Zu seinem Glück gab es auch keine Wolken. Eine Nacht wie für ihn gemacht. Alles, was jetzt noch gefehlt hätte, war ein Drache in Originalgröße, um ihn dort hinauf zu tragen. Das hatte er sich letztes Mal schon gewünscht. Aber es sollte wohl nicht sein. Sie waren weit aus der Stadt hinaus gefahren, bis sie nicht einmal mehr die Lichter in der Ferne sehen konnten. Die Scheinwerfer des Autos waren abgeschaltet, genau wie der Motor. Soach hatte sich weit entfernt, um diesen Moment voll auszunutzen. Durch das Licht der Sterne und den fehlenden Mond war die Nacht dunkel, aber nicht völlig schwarz. Ohnehin war Dunkelheit relativ. Soachs Augen sahen sie in all den Farben der Magie. Seine Ohren hörten das Lied der Sterne. Letzteres war natürlich eine eher poetische Aussage, aber das war nun einmal der Eindruck, den er hatte, auch wenn es wahrscheinlich eher so war, dass die Energien des Universums sich in einem akustischen Eindruck manifestierten, der von den Sternen zu kommen schien. Im Prinzip war ihm die wissenschaftliche Erklärung dahinter nicht so wichtig, so lange er dadurch ein schönes Erlebnis hatte. Jemand kam zu ihm, deutlich zu hören durch das Platschen im Wasser und dem schweren Klang nach wahrscheinlich Gandora. Soach hoffte inständig, dass er die Gedankenverbindung zu dem Drachen zurückbekam. Er vernahm das bekannte gurrende Geräusch. Gandora legte von hinten die Arme um ihn. Die Geste kam zögerlich, denn für ihn war sein neuer Körper noch gewöhnungsbedürftig und er probierte Dinge aus. Gleich darauf knabberte er an Soachs Ohr, so dass der Blauhäutige kichern musste. Gandora tat das manchmal, wenn er seine kleine Gestalt annahm, die gut auf seine Schulter passte, eine freundschaftliche, ja schon liebevolle Geste von einem Drachen. Manchmal brauchte es keine Worte, nicht einmal telepathische. Er zog tief die Luft in die Lungen und ließ sie seufzend wieder entweichen. In letzter Zeit ertappte er sich ab und zu beim Zweifeln. Sein fester Glaube, dass für ihn wieder alles in Ordnung kommen würde, geriet ins Wanken. Geduld gehörte nämlich nicht zu seinen Tugenden. Erst recht nicht bei diesem Thema. Und der Verlust der Gedankenverbindung zu seinem langjährigen Drachenfreund hatte ihn schwerer getroffen, als er sich eingestehen wollte. Dabei gab es dafür mehr als eine logische Erklärung, schließlich war er durch ein Weltentor gereist. „Gandora... ich habe mich gefragt, ob mich vielleicht ein unbewusster Wunsch hergebracht hat,“ murmelte er leise, damit es die anderen nicht hörten. „Ich hatte in letzter Zeit öfter mal die Idee, dass ich vielleicht in der Welt des Blauen Lichts leben könnte, falls... na du weißt schon.“ Der Drachenmann antwortete natürlich nicht, gab aber auch keinen Ton von sich. Allerdings spannte sich sein Körper kaum merklich ein wenig an. Soach legte seine Hände auf die starken Arme, die ihn umschlangen. „Du willst mir die Entscheidung wohl ganz allein überlassen, mein Freund? Von dir habe ich auch nichts anderes erwartet. Aber ich könnte das Schattenreich gar nicht für immer verlassen, das weiß du doch. Ich habe nur manchmal... mit dem Gedanken gespielt.“ Deshalb war er auch dankbar für die Fügung, dass er sich jetzt davon überzeugen konnte, ob diese Welt sein Wunsch war. Die Sterne wären ein Grund... aber sie reichten nicht aus. Hätte er unter diesen Sternen leben wollen, hätte er früher einen Weg gefunden, doch nun war er an Schloss Lotusblüte gebunden. Im Prinzip wusste Soach im Moment gar nicht, was er sich wünschte... außer einer Sache natürlich, aber davon abgesehen... hatte er nicht alles gehabt, was er brauchte? „Ich will, dass es wieder wie früher wird. Ich will der Chaoshexer von Schloss Lotusblüte sein, auf die kleinen Kinder aufpassen und Crimson mit allem unterstützen, was ich habe...“ Nachdem er es so formuliert hatte, fühlte Soach sich besser, denn er hatte sich entschieden. Kaum waren seine Worte verklungen, kam eine kühle Brise auf, die sich schnell zu einem frischen Wind entwickelte. Er schaute wieder nach oben, und seine Augen weiteten sich: Die magischen Ströme gerieten in Aufruhr und bildeten einen Wirbel, um sich dann in lauter kleine Punkte aufzulösen und überall zu verteilen, während am Boden der Wind zu einem Sturm anwuchs. Die Meereswellen schwappten höher gegen Soachs Beine. Schon zuckte der erste Blitz über den Himmel, und fast im selben Moment war das Krachen des Donners zu hören. „Soach! Komm ins Auto!“ rief Kuro. „Verdammt, was ist das für ein seltsamer Wetterumschwung? Da ist doch keine Wolke zu sehen!“ Der Finsternismagier kam keuchend neben ihm zum Stehen, nachdem er einige hundert Meter zu ihm gerannt war. Gandora ließ von ihm ab und hielt Kuro auf Abstand. Soach konnte sich nicht von dem Spektakel losreißen. Erst nach fast zehn Minuten ließ er sich dazu überreden, mit den anderen zum Spieleladen zurück zu fahren. Zu dieser Zeit hatte das Unwetter besorgniserregende Ausmaße angenommen, aber Soach war einfach nur fasziniert. Für ihn gab es keine Zufälle. Wenn also das Unwetter in dem Moment begonnen hatte, in dem er seinen Wunsch geäußert hatte, dann hatte die Magie auf ihn reagiert, so wie sie schon auf ihn reagiert hatte, um das Tor zu dieser Welt zu öffnen. Er ballte in einem Anflug von Entschlossenheit die Hände zu Fäusten, straffte die Schultern und hob das Kinn ein wenig. So. Fühlte sich gleich viel besser an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)