Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 29: Honigsüß -------------------- Soach besuchte Crimson oben im Alchemieturm, obgleich das Spektakel am Strand noch andauerte. Aber er musste jetzt erstmal sein Gespräch mit Lily verdauen. Um die Arbeit nicht zu unterbrechen, trat er leise ein und an den Tisch heran. Im Raum hing der Geruch von gekochten Kräutern. Der Schlossherr hatte den Inhalt des Teebeutels, den Lilys Eltern mitgebracht hatten, auf dem Arbeitstisch ausgebreitet und so gut es ging auseinander sortiert. Manche Bestandteile ließen sich nur schlecht identifizieren, weil die Blätter nicht im Ganzen vorkamen. Crimson brühte sie auf und gab ein weißes Pulver hinzu, worauf sich der Aufguss orange verfärbte und Auskunft darüber gab, um was es sich handelte. Er notierte das Ergebnis. „Lily hat mir erzählt, dass sie misstrauisch ist wegen des Tees,“ sprach Soach seinen Freund an. „Sie scheint sich geirrt zu haben,“ entgegnete dieser. „Meines Wissens sind all diese Kräuter und Beeren nicht gefährlich, ich habe Cathy schon um Informationen gebeten und sogar selber nochmal nachgeschlagen, obwohl Cathy jedes Buch kennt, das ich je gelesen habe.“ „Könnte eine Gefahr für ihr Baby bestehen?“ „Ich glaube nicht, aber da frage ich lieber Dsasheera... das heißt, ich lasse Lily Dsasheera fragen, mir antwortet sie möglicherweise gar nicht.“ Crimson blickte von seiner Arbeit auf. „Wie lief es bei dir? Deinem Gesicht nach zu urteilen, nicht so gut.“ Soach setzte sich auf den Sessel, den Crimson seit etwa einem Jahr hier hatte, obwohl solche Möbel eigentlich nichts in einem Alchemielabor zu suchen hatten. Aber er erwies sich immer wieder als praktisch. „Stimmt. Lily hat immer noch Bedenken, eine Blutfee großzuziehen. Ich musste ihr versprechen, keinen Blutspatron zu organisieren, aber sie will es sich zu überlegen. Vielleicht wird sie anders entscheiden, wenn es dem Baby schlecht geht, weil es Blut braucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich das lange ansehen kann. Es... muss grausam sein, eine Blutfee ihrer wahren Bestimmung zu berauben. Was, wenn das tödlich enden kann?“ „Ich dachte, es sei Gang und Gäbe, dass Blutfeen nicht wissen, was sie sind, weil die Eltern es entweder auch nicht wussten oder absichtlich dafür sorgen, dass diese Gabe nicht hervorkommt. Anscheinend überleben die Kinder das, sind aber anfangs krank.“ „Ja, oder so sieht es aus. Wie kann man das absichtlich zulassen? Und ich bin sicher, dass Kinder daran sterben können, es wird nur nicht dokumentiert, weil es dann einfach heißt, es sei an einer Krankheit gestorben.“ Soach fuhr sich seufzend durch die Haare. „Dies ist ein echtes Streitthema bei uns. Nicht wegen Lavender und Petunia, sondern weil Lily sich darum sorgt, dass eine Blutfee meistens ein schlimmes Ende nimmt, wenn sie ihre Kräfte entfaltet.“ „Aber das liegt an all den Vorurteilen,“ meinte Crimson. Soach nickte. „Ja, das habe ich ihr auch immer wieder gesagt, aber Lily findet, dass wir dagegen nichts tun können, schließlich können wir die Meinung der Leute nicht ändern. Ich hingegen würde gerne beweisen, dass eine Blutfee gut sein kann, denn dann ändert sich vielleicht der schlechte Ruf, den sie haben. Es ist natürlich ein gewisses Risiko, schließlich kann das auch anders laufen, also... dass es wirklich eine böse Blutfee wird...“ Crimson lächelte. „Zweifelst du, mein Chaosmagier?“ Soachs linke Augenbraue zuckte. „Mach dich nicht über mich lustig. Ich bin nicht... ich kann nicht mehr... ich meine...“ „Du kannst es nicht aussprechen,“ bemerkte Crimson. „Also hast du noch Hoffnung.“ „Ich weiß nicht. Eher weigere ich mich einfach nur, mein Schicksal zu akzeptieren. Hoffnung hätte ich das jetzt nicht genannt.“ „Kommt auf‘s gleiche raus.“ Crimson ließ seine Arbeit erst einmal ruhen und setzte sich auf die Fußbank, die zu dem Sessel gehörte. „Weißt du... zeitweise denke ich, dass du dich damit abfinden solltest, aber dann wieder... nun ja. Es ist jetzt erst gut eine Woche her. Vielleicht muss du dich noch etwas erholen, und dann kannst du, ich weiß nicht, nach einer Lösung suchen... Ich meine, wenn dieser ganze Trubel vorbei ist, die Leute vom Zirkel weg sind und geklärt ist, dass du als Rehabilitand bei mir bleibst.“ Soach seufzte. „Da erinnerst du mich an was. Die Amazonen sind ja wahrscheinlich nur der Anfang. Vielleicht wollen mich einige von den anderen ja auch noch umbringen.“ „So ist das, wenn man deine Vergangenheit hat, mein Lieber.“ Der Prinz der Eisigen Inseln schwieg dazu. Wenn er sich in die Lage der Geschädigten versetzte, konnte er es sogar verstehen. „Habe ich es verdient?“ fragte er Crimson leise. „Ich empfinde keine echte Reue für meine Taten, sondern übernahm lediglich vor dem Gericht des Zirkels die Verantwortung dafür – in dem Wissen, dass die mich vielleicht hinrichten.“ Crimson schaute grübelnd an die Wand. „Nun... du weißt, dass du Schuld auf dich geladen hast, deshalb warst du bereit, dafür zu sterben, oder? Das könnte eine Form der Reue sein, auch wenn sie sich nicht in Form von Gewissensbissen auswirkt.“ „Vielleicht hast du Recht,“ stimmte Soach zu. „Vielleicht ist es bei Chaosmagiern so.“ Er seufzte und lehnte sich tiefer in den Sessel. „Damals wollte ich lieber sterben, als ausgebrannt zu werden. Vielleicht habe ich aber genau das verdient, weil es mich härter trifft als der Tod, und deshalb kam es so. Das Schicksal wartete, bis ich bereit war, mich einem solchen Urteil zu stellen...“ „Trifft dich die Ausbrennung wirklich härter als eine Hinrichting?“ hakte Crimson nach. „Du hast doch um dein Leben gekämpft, als du die Chance hattest zu sterben.“ „Das war reiner Trotz,“ redete Soach sich heraus. „Ich habe es Arae nicht gegönnt.“ Sie saßen eine Weile schweigend da, bis es an der Tür klopfte. „Das wird Fawarius sein,“ sagte Crimson. „Cathy hat ihn herbestellt, weil ich seine Meinung hören will. Soll ich ihn lieber auf später vertrösten?“ Soach winkte schnell ab. „Ach was... doch nicht wegen mir! Außerdem will ich ja auch, dass dieser Tee untersucht wird.“ „Nun gut.“ Crimson wandte sich zur Tür und rief: „Herein!“ Tatsächlich trat der ältere Alchemist ein. „Ihr habt mich rufen lassen, Lord Crimson.“ „Au weia, nicht so förmlich!“ Crimson stand auf und ging zurück an seinen Arbeitsplatz. „Bitte kommt mal her und seht Euch das an. Ich habe diese Teemischung untersucht. Hier sind meine Ergebnisse. Aber ich hätte gerne Eure Meinung gehört.“ Fawarius betrachtete die Versuchsanordnungen, untersuchte die Kräuterhaufen und überflog die Aufzeichnungen. „Zu welchem Zweck tut Ihr das?“ „Lily hat diesen Tee von ihren Eltern erhalten. Sie befürchtet, dass etwas darin sein könnte, das dem ungeborenen Kind schadet.“ „Das könnte man meinen, wenn Süßdorn drin ist, das wird gerne benutzt, um verräterische Gerüche zu verbergen,“ nickte Fawarius. „Ich persönlich habe es immer verwendet, damit mein Sohn seine Medizin nimmt, als er noch klein war.“ „Bitte überprüft meine Arbeit und schaut, ob Ihr vielleicht mehr herausfinden könnt. Möglicherweise regen wir uns umsonst auf, aber ich gehe lieber auf Nummer sicher,“ bat Crimson. Der stolze Crimson suchte die Hilfe eines Kollegen, um Lily zu helfen! Soach wurde es ganz warm ums Herz. Doch dies wurde bald wieder übertüncht von düsteren Gedanken. Wenn es nun tatsächlich sein Schicksal war, seine Magie zu verlieren, als Strafe für seine Untaten? Er hatte der Magie versprochen, nach einem Weg zu ihr zurück zu suchen, aber verschwendete er nicht sein Leben, wenn er darauf bestand, ein Magier zu sein? Vielleicht sollte er lieber akzeptieren, dass es aus war damit, und statt dessen ein guter Familienvater sein. Immerhin bekam er wahrscheinlich eine Blutfee mit Lily. Das allein war als Problem groß genug. Er beobachtete die beiden Alchemisten bei der Arbeit. Genau genommen arbeitete jetzt Fawarius, und Crimson brachte ihm manchmal Substanzen, die er verwenden wollte. Zwischendurch fachsimpelten sie über Themen, bei denen Soachs Aufmerksamkeit abdriftete, weil er davon nicht genug verstand. Somit grübelte er wieder einmal über sein Schicksal nach. Ein Chaosmagier fragt nicht warum, es sei denn, die Suche nach dem Grund löst das Problem. Aber in diesem Fall gilt es wohl einfach, eine Entscheidung zu treffen... Soll ich mich gegen die Magie entscheiden? Um dann was zu werden? Krieger? „Dann kommt Ihr zum gleichen Ergebnis,“ drang Crimsons Stimme in sein Bewusstsein. „Ich kann Lily also Entwarnung geben.“ „Warum kam sie eigentlich darauf, dass ihre Eltern dem Baby etwas antun wollen?“ fragte Fawarius. „Sollten sich Eltern nicht alles Gute für ihr Kind wünschen?“ „Ja, sollte man meinen. Ihr hättet diese Leute erleben sollen! Es gefällt ihnen nicht, wer der Vater ist,“ antwortete Crimson. „Befürchten sie eine Blutfee?“ „Ihr... wisst von Blutfeen?“ „Sicher. Ich habe für einen Unterweltler gearbeitet. Die alte Lady Arae, Edehs Mutter, war sogar Blutspatronin einer Blutfee.“ Bei diesen Worten sprang Soach auf. „Was sagt Ihr da? Kanntet Ihr diese Frau? Und die Blutfee?“ „Ja, ich kannte die verstorbene Lady,“ bestätigte Fawarius. „Ich traf auch einmal ihren Schützling. Wenn man es nicht weiß, sieht man es einer Blutfee nicht an. Es ist nicht so, als hätten sie Vampirzähne oder dergleichen. Bestenfalls eine etwas unheimliche Aura für eine Fee.“ „Dann könnte mein Kind auch als Blutfee ganz einfach unerkannt bleiben?“ „Davon könnt Ihr ausgehen.“ Diese Enthüllung war ein Lichtblick. „Was für Kräfte haben Blutfeen denn?“ Fawarius hob abwehrend die Hände. „Tut mir Leid, aber das weiß ich nicht. Nur hat es wohl mit Blut zu tun. Deshalb ja auch der Name. Naja... und weil sie als Baby Blut trinken müssen. Aber später fallen sie überhaupt nicht auf, wenn sie ihre Kräfte nicht einsetzen.“ „Ich wüsste allerdings gerne mal, was das für Kräfte sind,“ beharrte Soach. „Immer ist nur von speziellen Fähigkeiten einer Blutfee die Rede, aber es scheint niemanden zu geben, der darüber genauer Auskunft geben kann – etwa, ob diese Feen sich in Raubtiere verwandeln können oder so.“ „Naja, vermutlich ist das auch individuell verschieden, könnte ich mir vorstellen,“ warf Crimson ein. „Allerdings ist anzunehmen, dass es ein paar Sachen gibt, die jede kann, und dann einige persönliche Fähigkeiten... wie wenn man Magier ist.“ „Ich wünschte nur, es gäbe ein Buch, das diese Sachen auflistet,“ meinte Soach. „Dann könnten wir uns schonmal darauf einstellen.“ „Nun ja... ich schlage vor, dass wir Lily das Ergebnis mitteilen gehen. Sie wird erleichtert sein,“ beschloss Crimson. Soach ging zur Tür, hielt dort jedoch inne. „Fawarius... könntet Ihr mir Kampfalchemie beibringen?“ Der Alchemist hob die Augenbraue über dem verbliebenen Auge. „Sicher... aber ich hatte eigentlich erwartet, dass Lord Crimson sich dafür interessiert.“ „Ich habe gar nicht mehr darüber nachgedacht,“ fiel es Crimson auf. „Ich kann auch zwei Personen unterrichten, wenn Ihr das wünscht,“ schlug Fawarius vor. „Dann muss ich nicht alles zweimal erklären. Und es wäre besser, wenn Ihr es jeweils von mir hört, als wenn einer von Euch es dann dem anderen zeigt. Bei mir habt Ihr, wenn ich das sagen darf, eine erfahrenere Quelle.“ Soach tauschte einen Blick mit Crimson aus. „Gut... machen wir es so. Ich bin nicht sicher, ob das meine Sache ist, aber ich möchte es ausprobieren.“ „Gut, dann findet bitte einen Zeitraum, den wir drei dafür nutzen können.“ Er zögerte einen Moment. „Ich finde auch... wenn es Euch recht ist, können wir die förmliche Anrede weglassen. Aber ich bin hier nur Gast, also entscheidet Ihr...“ „Ihr seid der Älteste... insofern soll es uns recht sein,“ nickte Crimson. Zusammen gingen die drei Männer die Treppen hinunter und suchten Lily. Die Fee hielt sich draußen etwas abseits vom Lagerfeuer auf und kaute auf etwas Gemüse herum. Sie gingen zu ihr und berichteten, was sie herausgefunden hatten. Crimson gab ihr seine Aufzeichnungen, damit sie sich zusätzlich ein eigenes Bild machen konnte. „Am besten fragst du Dsasheera, ob vielleicht was dabei ist, das deinem Kind schaden könnte, sie weiß das wahrscheinlich besser als wir. Uns ist jedenfalls nichts Verdächtiges aufgefallen.“ Lily steckte die Notizen erst einmal ein, denn es war für sie ohnehin zu dunkel zum Lesen. „Ich sehe mir das in Ruhe an, jetzt ist es gerade ungünstig... danke für eure Nachricht. Hm, seltsam. Ich benutzte einen Becher, den mir Ujat gegeben hat. Er soll die magische Eigenschaft haben, dass er mich vor Schaden bewahrt.“ „Also war das der Grund, warum du dachtest, mit dem Tee wäre etwas nicht in Ordnung?“ horchte Soach auf. „Nun ja... ich fand den Tee viel zu heiß, aber meine Eltern anscheinend nicht. Ich dachte, das sei ein Zeichen gewesen. Vielleicht aber auch nur Zufall,“ überlegte sie. „Ich habe die Mischung oben gelassen, aber ich bin dafür, dass wir den Tee mal in den Becher füllen und nachprüfen, ob sich das Ergebnis wiederholt,“ sagte Crimson. „Wenn das ein Artefakt von Ujat ist, sollten wir dies nicht ignorieren.“ „Dann sollten wir uns morgen vor dem Frühstück auf der Krankenstation treffen, wenn die Nachtschicht zu Ende ist. Dann kommt auch Dsasheera und kann uns vielleicht helfen,“ entschied Lily. Die Männer nickten zustimmend. Während sie sich unterhielten, kam eine Amazone der Gruppe nahe. Es war die rotblonde. Sie schlich um die Männer herum und sah sich jeden genau an. Schließlich drängelte sie sich zwischen Soach und Fawarius in den Kreis. „Hallo Crimson!“ rief sie. Dann sprach sie Lily an. „Deiner?“ Sie deutete auf Soach. An dieser Stelle war Soach froh, dass er mit der Fee gesprochen und den Streit geklärt hatte. Allerdings zögerte sie dennoch und warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Ich würde sagen, ja,“ antwortete sie schließlich. Soach atmete auf und zog sie enger an sich. Die junge Kriegerin nahm das schulterzuckend zur Kenntnis. „Dann ist dieser aber frei!“ Sie klemmte sich an Fawarius‘ Arm. „Hallo. Ich bin Ellaira!“ „Ähm... freut mich.“ Der grün gekleidete Magier wusste anscheinend nicht so recht, auf was er sich gerade einließ. Crimson verschränkte die Arme vor der Brust. „Bring sie ja nicht zum Weinen, sonst mach ich dir Feuer unterm Hintern. Sie ist nämlich meine Schwester!“ Während Fawarius‘ Mine zu einem verwirrten Ausdruck wechselte, setzte Ellaira ein spöttisches Grinsen auf. „Du benimmst dich schon so richtig wie ein großer Bruder.“ „Dir ist klar, dass sie eine Amazone ist?“ gab Soach dem Magier einen Hinweis. „Oh, ähm... bin ich dafür nicht zu alt?“ stammelte Fawarius. Ellaira kuschelte sich an seine Brust und fuhr mit dem Zeigefinger ein imaginäres Muster auf seiner Robe nach. „Ein erfahrener Mann ist für den Anfang gar nicht schlecht.“ „Wie viele hast du heute eigentlich schon angegraben?“ neckte Crimson sie. „Ich kann mich erinnern, dass du hinter Mava hergelaufen bist.“ „Oh, ja.“ Ihr Tonfall wechselte zu sehr neutral. „Er ist mir entkommen. Ganz fieser Trick.“ „Du hast uns nie gesagt, ob du eine feste Frau hast, Fawarius“ bemerkte Soach. „Äh, Nizahrs Mutter und ich, wir sehen uns ab und zu, sind aber nicht mehr zusammen,“ gab der Alchemist zögerlich Auskunft, was sicherlich nicht dazu beitrug, Ellaira loszuwerden. So eilig schien er es damit aber auch nicht zu haben. Da inzwischen die Nacht fortgeschritten war, hielten sich nicht mehr so viele feiernde Personen draußen auf. Die älteren Schüler, ein paar Lehrer und Lord Genesis liefen noch herum. Sie fütterten ab und zu das Legerfeuer, damit es noch eine Weile brannte, aber es flackerte nicht mehr so hoch wie zu Anfang. Nur gelegentlich grillte sich noch jemand etwas über den Flammen. „Ich glaube, ich hatte gar kein Abendessen,“ bemerkte Soach. „Ich auch nicht,“ schloss sich Crimson an. „Kümmern wir uns um die Reste?“ Sie suchten die Tische nach ein paar letzten Stücken des Bratens ab aßen sie kalt. Ein paar Obstbeilagen fanden sich auch noch, nicht zu vergessen der Wein. Fawarius und Ellaira setzten sich bald ab, aber Crimson, Soach und Lily hockten noch eine Weile im Sand und starrten ins Feuer. Insgesamt hing eine sehr positive Stimmung in der Luft. Die Schlossbewohner hatten den Tag genossen, und die letzten ließen ihn langsam ausklingen. Soach wunderte sich, weil er Fire gar nicht mehr sah. Er verzichtete darauf, ihn im Schloss von Cathy suchen zu lassen, denn vielleicht erwischte er ihn dann in einer privaten Situation. Als Seele des Schlosses musste er auch nicht immer alles wissen. Nach etwa einer Stunde gesellten sich Dark und Kayos zu ihnen. Soweit Soach wusste, hatten sich die beiden in ihrem Zimmer verschanzt, um den Amazonen zu entgehen, aber jetzt hielt sich die Gefahr in Grenzen. Amazonen respektierten leider keine schwulen Partnerschaften. In der Nähe hatten sich weitere Gruppen gebildet, die sich leise unterhielten. Ab und zu stand jemand auf und warf Holz vom Reservestapel ins Feuer, doch als es am Horizont über dem Meer hell wurde, hörten sie damit auf. „Ihr seid ja immanoch wach, oda was?“ riss Fire Soach und die anderen aus ihrer konzentrierten Betrachtung der letzten Glut. Soach sah ihn links von seiner Gruppe stehen, und zwar mit ordentlich zusammengebundenen Zöpfchen und Kleidung, die nicht ganz so abgewetzt aussah wie sonst. „Bist du schon auf oder hast du auch nicht geschlafen?“ fragte er seinen Sohn. „Ich hab mich früh aufs Ohr gehaun, weilich jetz trainiern geh. Wette, der olle Thaumator rechnet nich damit.“ „Trainieren. Mit Thaumator,“ fasste Soach zusammen. Er hakte sich bei Lily aus und stand auf. „Genau! Bevorde dich aufregst, ich will den als Lehrer habm. Bald habich en Kind, da mussich ordntlich was drauf ham. Dassde dich nicht sorgst, Vadder.“ Fire baute sich besonders gerade auf und straffte die Schultern. „Ich möcht‘ dasser hier wohnt!“ „Nein.“ Soachs Antwort kam schneller, als sein Gehirn logisch darüber nachdenken konnte. „Ist er denn überhaupt damit einverstanden? Das kann ich mir irgendwie nicht denken! Ich hab ihm nämlich zu verstehen gegeben, dass er hier nicht willkommen ist! Außerdem wohnen Schüler eigentlich bei ihren Meistern!“ „Deshalb musser ja hier sein, da kannich bei Eri bleibm!“ erwiderte Fire. „Ich muss weg, er is villeicht auch schon da, soll nich denkn, dassich kneif.“ Er hastete Richtung Haupttor davon. Soach sah seinem Jungen nach und beobachtete, wie eine dunkelrot gekleidete Gestalt zu ihm stieß, worauf sie zusammen weggingen. Sein Körper erbebte. War es Wut? Abscheu? Oder vielleicht Panik? Schwer zu sagen. Jedenfalls wollte er diesen Magier nicht unter seinem Dach wissen. Ein paar Tage konnte er ihn tolerieren, aber nicht auf Dauer. Wann immer er ihn sah, kamen die Erinnerungen hoch... Soach stellte fest, dass seine Fingernägel sich in seine Handballen bohrten, so fest hatte er die Fäuste geballt. Er zwang sich, ein wenig lockerer zu werden. „Alles in Ordnung, Papa?“ Kayos legte ihm eine Hand auf die Schulter, was ihn vor Schreck zusammenzucken ließ. „Nicht wirklich,“ murmelte Soach. „Kann sich Fire keinen anderen Lehrer suchen? Braucht er überhaupt noch einen?“ Kayos zuckte mit den Schultern. „Man lernt nie aus. Ich glaube auch nicht, dass er es aus purer Sympathie für Thaumator tut, sondern wie er sagte: Er denkt an seine Familie, will sie verteidigen können, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein.“ „Das... geht einfach nicht!“ presste Soach hervor. „Ich will es nicht!“ Er wusste, dass die anderen ihn wahrscheinlich für engstirnig oder rechthaberisch hielten , aber niemand versuchte, seine Meinung zu ändern. „Wie wär‘s mit einem heißen Tee?“ Schlug Crimson vor. „Ich hole den aus meinem Turm, den Lilys Eltern mitgebracht haben, und dann verkosten wir ihn mal zusammen.“ „Ich geh schonmal Wasser kochen,“ rief Lily und ging voraus. „Kommst du, Soach?“ „Ja... sicher.“ Soach folgte Lily zur Krankenstation. *** „Hey, steht auf, ihr Knallköpfe! Oder habt ihr ein gesundheitliches Problem zu beklagen?“ Dsasheera zog den beiden Männern die Decke weg. „Sei still, Weib, ich hab Kopfschmerzen,“ grummelte Vindictus. Er konnte sich in wenigen Sekunden selbst heilen, aber das sagte er ihr nicht. Ujat kroch aus dem Bett und wankte zur Tür. „Zimmer...“ murmelte er. „Schlaf...“ „Letzte Nacht scheint ihn richtig mitgenommen zu haben,“ stellte sein Vater fest. Während er seine Kleidung zurecht zog und in seine Schuhe schlüpfte, sah er sich nach Thaumator um – der anscheinend schon aufgestanden war. Sein Bett wirkte fast unbenutzt. Kurz nach Dsasheeras Ankunft tauchten auch Soach, Lily, Dark und Blacky auf. Lily ließ ihre männlichen Begleiter mit in die hintere Ecke kommen. Die Gruppe begrüßte die beiden älteren Heiler höflich, und Lily wandte sich an Dsasheera. Sie las dabei etwas von ein paar handgeschriebenen Notizen ab. Vindictus hörte nicht genau hin, denn er versuchte noch, richtig wach zu werden. Es schien aber um den Tee ihrer Eltern zu gehen. Ein paar Minuten später kam auch Crimson dazu – mit besagtem Tee. In der Ecke wurde eine Kanne voll davon gekocht. Vindictus gesellte sich dazu. Vielleicht konnte er ja auch einen Becher voll abgreifen. Lily nahm wieder den Becher an sich, den sie von Ujat bekommen hatte. „Das ist er,“ sagte sie und zeigte ihn herum. „Ich dachte, er hätte mich vor einer Gefahr gewarnt, aber vielleicht war der Tee wirklich nur zu heiß...“ „Mach es einfach mal so wie vorher,“ forderte Soach sie auf. Sie warteten, bis der Aufguss gut durchgezogen war, dann füllte Lily etwas in verschiedene Becher ab, wobei sie ihren für sich behielt. Auch Dsasheera und Vindictus bekamen einen. „Schmeckt sehr krautig,“ stellte Blacky fest. „Etwas bitter.“ „Dabei ist schon Süßdorn drin,“ ergänzte Crimson. Lily trank einen Schluck, ohne dass sie sich verbrühte oder sonst etwas geschah. „Oh... ich habe ihn noch nie pur getrunken, meine Eltern hatten Recht... am besten tut man Honig rein.“ Sie fing an, den Honig in den Regalen zu suchen. „Scheint aber harmlos zu sein,“ verkündete Dsasheera, die auch von dem Getränk kostete. „Den Zutaten nach fiel mir schon nichts Besonderes auf, aber ich kann auch nichts Beunruhigendes sehen. Die gute Wirkung auf die Nerven möchte ich mal nicht ausschließen.“ Lily wirkte fast enttäuscht. „Kein Kraut, das ungeborene Kinder tötet?“ Sie stellte das Honigfass mit dem Honig, der zum Verzehr bestimmt war, auf den Tisch. Die alte Amazone schüttelte den Kopf. „Definitiv nicht.“ Alle nahmen sich Honig. Es dauerte ein bisschen, bis alle damit versorgt waren. Vindictus rieb sich das Kinn. „Sagt mal... wenn es nun am Honig liegt?“ „Was?“ Lily hatte ihren Becher fast schon wieder an den Lippen, senkte ihn jetzt aber eilig wieder. „Wie meinst du das?“ „Honig enthält Stoffe, die durch die Verarbeitung im Bienenstock hinein gelangen. Darunter sind einige Enzyme, die andere Stoffe aufspalten können. Dadurch kann sich die Beschaffenheit einer Medizin verändern,“ erklärte Vindictus. „Zum Beispiel darf man den Gualos-Hustentrank nicht mit Honig vermischen, sonst wirkt er nicht.“ „Wenn das der Fall ist, müsste ich mir ja wieder die Lippen verbrühen!“ die Fee trank den halben Becher leer, ganz ohne Probleme. „Ich sehe keine Gefahr,“ sagte Dsasheera, nachdem sie das gleiche getan hatte. „Der Honig scheint ein reiner Geschmacksverbesserer zu sein. Das überrascht mich ehrlich gesagt ein bisschen, aber vielleicht haben wir Petunia und Lavender Unrecht getan, indem wir sie verdächtigten.“ „Ich habe diese Zutaten alle noch einmal ganz genau überprüft und keinen Hinweis gefunden, dass es Probleme mit Honig geben könnte,“ ließ Crimson sich vernehmen. „Auch Fawarius konnte nichts Verdächtiges finden.“ Die Amazone ignorierte ihn. „Es scheint, Kindchen, deine Eltern wollten wirklich Frieden mit dir schließen, aber du hast richtig gehandelt, sie zu verdächtigen. Ich habe im Gefühl, dass du auf keinen Fall mit ihnen nach Hause gehen solltest.“ Lily starrte in ihren Tee. „Nun... vielleicht hoffen sie immer noch, dass ich mitgehe, wenn sie nett zu mir sind. Aber das tue ich nicht.“ „Und ich werde ihnen kein bequemeres Zimmer zuweisen, nur weil sie aufgehört haben zu wettern,“ teilte Soach der Gruppe mit. Seine Bemerkung sorgte für allgemeines Gelächter. Vindictus jedoch beschlich das Gefühl, dass er etwas übersah, aber vielleicht bildete er es sich auch bloß ein – immerhin verfügte er nicht über eine hellseherische Begabung. „Wir sollten alle noch etwas schlafen,“ sagte Dark. „Ich denke mal, dass die meisten von uns nur wenig Schlaf hatten diese Nacht...“ „Da habt ihr selber Schuld,“ erwiderte Dsasheera. „Stellt euch nicht so an!“ Der Dunkle Magier lächelte, als sie sich umdrehte und an ihre Arbeit ging. „Ja, Madam.“ „Ich habe die Schicht am Nachmittag. Jetzt hab ich erstmal Hunger,“ ließ Vindictus die anderen wissen und machte sich auf den Weg zum Speisesaal. Er hatte auch gar nichts von dem ganzen gegrillten Zeug bekommen, dadurch, dass er eine Weile als Ratte zugebracht hatte. Wie zu erwarten zeigten sich zum Frühstück nur wenige Schüler, kaum Personal und lediglich Marquis Belial sowie die Finsterlords Asmodeus und Desire vom Zirkel. Das Frühstücksangebot fiel auch ein bisschen einseitig aus: Brot und verschiedene süße Aufstriche, alternativ etwas Käse. Bei den Aufstrichen war auch Honig dabei. Vindictus beschmierte sein Brot damit, aber die Erkenntnis kam ihm dadurch nicht. Ihm fiel lediglich auf, dass dieser Honig viel fester war als der, den sie auf der Krankenstation hatten, einfach weil dieser hier als Brotaufstrich diente und der andere als Süßungsmittel. Das Schloss bezog den Honig von einem reisenden Apotheker, der auch mit alchemistischen Zutaten handelte. Der alte Heiler grübelte noch immer und glaubte die Lösung zum Greifen nah, als auf einmal Cathy neben ihm sichtbar wurde. „Vindictus, bitte melde dich auf der Krankenstation. Es geht um leichte bis mittelschwere Brandverletzungen an zwei Personen,“ sage der Schlossgeist. „Brandverletzungen? Doch nicht etwa...“ Vindictus hastete zu seinem Arbeitsplatz und fand wie befürchtet Thaumator und Fire dort vor. Allerdings ging es den beiden ganz gut, dafür dass beide sich mit Feuermagie bekriegt hatten – das sah der Heiler auf den ersten Blick. Thaumator hielt seine Jacke in der Hand, und der rechte Ärmel seines Hemdes hing in Fetzen. Auf der Haut verteilten sich mehrere frische Brandwunden in unterschiedlichen Größen, die schon heftig Blasen schlugen. Fire hatte seine Lederweste ausgezogen. Sein Oberkörper war zu großen Teilen gerötet, auch das Gesicht hatte etwas abbekommen. Es sah aus, als hätte er sich verbrüht. Die beiden Männer standen im Eingangsbereich herum, da sich anscheinend niemand um sie kümmerte. Fire zeigte einen angespannten Gesichtsausdruck wie jemand, der sich das Jammern verkneift. Thaumator wirkte relativ gelassen. „Wo ist denn Dsasheera?“ fragte Vindictus. „Sie hätte ja wenigstens mal eine Brandsalbe heraussuchen können. Hinter den Vorhang, alle beide. Ich komme gleich wieder.“ Während der Alte nach der Amazone Ausschau hielt, ließ er seinen Ärger auf seinem Gesicht sichtbar werden. Was dachte sie sich, die Patienten einfach zu ignorieren? Dsasheera saß hinten im Arbeitsbereich und trank entspannt einen neu aufgebrühten Tee. Dabei kontrollierte sie in aller Ruhe das Inventar. „Hey, Weib!“ fuhr Vindictus sie an. „Hast du nicht gemerkt, dass Patienten da sind?“ Sie blickte mit gelangweilter Mine in seine Richtung. „Es sind Männer.“ „Wir haben darüber gesprochen!“ erinnerte Vindictus sie. „Solange du hier bist, hast du auch Männer zu behandeln! Jetzt schnapp dir eine Brandsalbe und komm mit!“ Auf ihrem Gesicht erschien ein spöttisches Grinsen. „Und wenn nicht?“ Vindictus schlug ihr seinen vernichtenden Effekt um die Ohren, dass sie mit einem Aufschrei vom Stuhl fiel. „Brandsalbe. Jetzt.“ Er kehrte zu den Patienten zurück, ohne zu kontrollieren, ob sie ihm folgte. Vor ihr durfte er niemals Schwäche zeigen, selbst wenn er wollte. Fire saß auf der Behandlungsliege, während Thaumator seitlich davon stand. Vindictus respektierte diese Situation stillschweigend und nicht sonderlich überrascht. Man konnte meinen, dass Thaumator Vorrang hatte, weil seine Verletzungen auf den ersten Blick schwerer wirkten, oder weil Fire ihm aus Respekt vor dem Alter den Vortritt ließ. Magier kümmerten sich jedoch grundsätzlich darum, dass zuerst ein Schüler behandelt wurde, ehe sie selbst Hilfe in Anspruch nahmen. Vindictus lächelte innerlich. Hatten sie sich schon geeinigt? Er zog sich den obligatorischen Stuhl heran und legte seine Hände um Fires leuchtend rosafarbenen Arm. Der Bursche zuckte ein wenig und biss die Zähne zusammen. „Was hast du denn gemacht? Ich dachte, du wärst gegen Feuer immun!“ „Bin ich auch,“ presste Fire hervor. „Aber nicht gegen Wasserdampf.“ „Oh? Wie ist das denn passiert?“ Fire warf einen kurzen Blick auf den älteren Feuermagier, berichtete dann: „Wir waren erst laufen, dann haben wir ein bisschen, äh... geübt. Thaumator beschwor einen Lavagolem. Ich konnte die Kontrolle übernehmen. Aber wir befanden uns in der Nähe des Strandes. Er ließ einen Schwall Wasser auf den Golem niedergehen, und das ganze Ding explodierte zu Dampf und halbflüssiger Lava.“ Vindictus hob überrascht die Augenbrauen. „Wasser?“ „Man muss immer ein Ass im Ärmel haben,“ lächelte Thaumator. „Soso. Fire, sag mal, was ist mit deiner Sprache passiert? Hast du dir die Zunge auch verbrüht?“ „Der Kerl da hat gesagt, ich soll anständig reden, wenn ich sein Schüler sein will!“ motzte der Junge. „Ich mach alles, was er verlangt, aber er hat mich noch immer nicht angenommen!“ „Nun ja, wahrscheinlich testet er deine Entschlossenheit.“ Endlich kam Dsasheera mit der Brandsalbe. Ohne auf Anweisung zu warten, begann sie, Fire damit einzureiben. Na bitte. „Diese Salbe wird deine Haut beruhigen und in ein paar Stunden ist alles in Ordnung,“ versprach Vindictus ihm. „Du solltest dich gleich nach dem Frühstück etwas hinlegen, während sie wirkt. Komm heute Nachmittag wieder hier vorbei.“ Fire nickte und ließ sich geduldig von der Amazone behandeln. Ab und zu wies sie ihn an, sich umzudrehen oder etwas in der Art, doch zu mehr Konversation mit ihm ließ sie sich nicht herab. Inzwischen wandte Vindictus sich Thaumator zu, indem er ihn zum anderen Ende der Liege dirigierte und seinen Stuhl dorthin trug. „Seid Ihr verrückt, einen glühenden Lavagolem mit kaltem Wasser zu überschütten? War Euch das Risiko nicht bewusst?“ „Sicher war es das, aber ich weiß auch, dass Fire gegen Feuer immun ist. Die Frauen vom Flammenbrunnen-Hexenzirkel belegen ihre Kinder gleich nach der Geburt mit starken Schutzzaubern, die wirken, solange sie sie aufrechterhalten können... meistens, bis sie sterben.“ Fire horchte auf. „Woher wisst Ihr, dass meine Mutter im Flammenbrunnen-Hexenzirkel ist? Und dass sie Ihre Kinder mit Zaubern schützen?“ „Ich mache meine Hausaufgaben,“ antwortete Thaumator ausweichend. Fire grinste. „Seht Ihr, Ihr wollt mich als Schüler! Ihr erkundigt Euch sogar schon nach mir!“ „Du solltest dich auch nach mir erkundigen, vielleicht gefällt dir nicht, was du erfährst,“ merkte Thaumator an. Fire hob einen Arm, damit Dsasheera Salbe auftragen konnte. „Ha! Ich weiß, dass Eure Mutter Itrikaria war, eine Feuermagierin, die bis vor ungefähr dreißig Jahren das Schattenreich terrorisiert hat! Wie es aussieht, ist sie tot, denn Ihr seid nicht mehr gegen Feuer immun!“ Vindictus konnte für einige Sekunden ein ganz leichtes Ansteigen der Herzfrequenz bei seinem Patienten feststellen, während er die eitrige Brandblase, die der Hand am nächsten war, langsam im Inneren neue Haut bilden ließ. Er verkniff sich das Grinsen, schließlich hatte er selbst dem Jungen diese Information gegeben. Moment... „Heißt das, Itrikaria war auch eine Hexe dieses Zirkels?“ „Allerdings,“ verkündete Fire. „Sie wollte ihre Kolleginnen für ihre Pläne einspannen, und als diese das ablehnten, stahl sie das Buch von Incanta, des Zirkels heiliges Buch der Feuermagie, tötete auf ihrer Flucht zwei Hexen und einen anwesenden Magier, löste einen Vulkanausbruch des Infernogipfels aus und versetzte Jahre später das Schattenreich in Angst und Schrecken. Sie war schwanger, als sie den Zirkel verließ.“ „Wie zu erwarten von einem Sprössling des Flammenbrunnens. Weiß alles über Itrikaria,“ stellte Thaumator fest. „Vindictus, das juckt ganz schrecklich.“ „Seid tapfer, großer Feuermagier,“ spöttelte der Heiler und wandte sich einer weiteren Brandblase zu. Die Lava hatte zum Teil ältere Narben verbrannt. Eine gute Gelegenheit, narbenfreie Haut zu erschaffen. Dsasheera indessen hatte ihre Aufgabe erledigt und zog sich wieder in die Ecke zurück. „Bring mal einen Becher Tee zur Stärkung für die beiden!“ rief Vindictus ihr nach. Sie kam nach ein paar Minuten mit zwei Bechern wieder, die sie auf ein Beistelltischchen knallte. „Ich bin nicht dein Dienstmädchen!“ „Das ist Gastfreundschaft,“ teilte er ihr mit. „Pah!“ Dsasheera drehte sich um und ging weg. „Es sind schließlich nur Männer!“ „Denk dran, was wir besprochen haben!“ setzte Vindictus hinzu, darauf bedacht, das letzte Wort zu haben. „Was zofft ihr euch andauernd?“ wunderte Fire sich. „Die ist ja heute wieder übel gelaunt...“ Der Alte lächelte verschmitzt. „Sie fordert mich heraus. Ich bin der einzige ihrer Männer, der nie vor ihr zurückgewichen ist, nie nachgegeben hat. Nach den Regeln ihres Stammes bin ich ihr Partner. All ihre anderen Kerle sind illegale Nebenbuhler, die ich gnädig geduldet habe.“ Er erlebte die Befriedigung, dass beide Männer ihn erstaunt und beeindruckt anstarrten. „Muss ich Eria dann auch schlagen und im Streit immer gewinnen?“ Fire wirkte ganz entsetzt. „Sie ist von einem anderen Stamm, erkundige dich, was für Bräuche sie dort haben,“ schlug Vindictus vor. „Aber im Prinzip brauchst du dich gar nicht daran zu halten, schließlich ist sie nicht offiziell eine von ihnen. Sie ist Crimsons Schülerin.“ „Deine Frau hätte uns aber etwas mehr Honig gönnen können,“ befand Thaumator. „Ist das der Tee von gestern Abend?“ „Ja, Lily hat den dagelassen,“ bestätigte Vindictus. „Was hier herumliegt, wird auch verbraucht.“ „Aber ich fand den Geruch gestern noch penetranter, was vielleicht auch nur an den, ähem, Umständen liegt. Jetzt hing das Aroma zwar auch in der Luft, das fiel mir beim Reinkommen gleich auf, aber es steigt mir nicht so zu Kopf.“ Der Feuermagier trank ein paar Schlucke und runzelte die Stirn. „Vielleicht liegt es auch am Honig. Manche sind aromatischer als andere, und der, den die Feen mit hatten, kam ganz deutlich im Geruch des Tees durch...“ Vindictus hielt in seiner Arbeit inne, als hätte ihn der Schlag getroffen. „Was sagt Ihr da?“ „Äh... Der Tee riecht heute nicht ganz so penetrant...“ „Das andere... der Honig... Natürlich! Die Feen haben ihn mitgebracht! Es war eine andere Sorte als unserer hier, und der Geruch war echt geradezu benebelnd!“ Vindictus vergaß vor Aufregung vollkommen Thaumators Brandblasen. „Catherine! Wo ist Lily?“ Der Schlossgeist materialisierte sich, kurz nachdem er den Namen gerufen hatte. „Hallo, Vindictus. Kannst du nicht etwas höflicher---“ „Wo ist sie! Keine Diskussion, Cathy!“ Cathy stemmte die Arme in die Hüften. „Ich bin nicht deine Amazone! Lily ist beim Frühstück mit ihren Eltern. Im Speisesaal. Soach ist auch bei ihnen und sie unterhalten sich nett, aber Soach findet das alles ziemlich nervig und...“ „Gut. Cathy, stell fest, ob sie Honig mitgebracht haben. Soach soll ihn an sich nehmen, wenn es so ist.“ Vindictus rannte bereits aus dem Krankenflügel Richtung Speisesaal, so schnell seine kurzen Beine es erlaubten. Thaumator und Fire blieben ihm dicht auf den Fersen. „Worum geht es denn eigentlich?“ wollte Fire wissen. „Nicht jetzt, das sieht nach einem Notfall aus,“ mahnte Thaumator. Er machte etwas mit seiner Kleidung, während er lief. Vermutlich zauberte er ein heiles Hemd herbei. Sie platzten ziemlich unzeremoniell in den Speisesaal. Nur zwei Tische waren besetzt, daher fanden sie die Gesuchten schnell. Soach stand da mit dem Honigfässchen in der Hand. „Lily! Hast du davon gegessen?“ rief Vindictus und deutete auf eine halbe Scheibe Brot mit Honig auf ihrem Teller. „Was soll das? Warum stört Ihr uns?“ protestierte Petunia. „Eine halbe Scheibe,“ antwortete Lily. „Wieso?“ Vindictus packte ihr Handgelenk und ließ seine Sinne einen Schnelltest ihres Körpers machen. „Tut mir Leid, aber das muss jetzt sein.“ Er gab ihrem Magen ein paar kurze Impulse, worauf sie sich auf den Tisch erbrach. Leider konnte er keine Rücksicht auf irgendwelche Anwesenden nehmen, denen er damit vielleicht den Appetit verdarb. Jedoch handelte es sich bei denen, die am anderen Tisch saßen, um Shiro und Mava. Als sie mitbekamen, was vor sich ging, kamen sie herüber. „Können wir helfen?“ fragte der Herr des Kristallschlosses. „Bringt Lily auf die Krankenstation, Dsasheera soll sie untersuchen,“ wies Vindictus den Mann an. Die junge Fee sah ihn unsicher und etwas blass um die Nase an. „Aber... ist das nötig?“ Shiro hob Lily auf seine Arme und trug sie hinaus. Sie widersprach nicht weiter. Mava blieb und verfolgte aufmerksam die weiteren Vorgänge. Soach blickte der Fee besorgt nach, schien aber lieber erst einmal den Sachverhalt aufklären zu wollen. „Lily ist vollkommen gesund!“ regte ihre Mutter sich auf. „Jedenfalls bis Ihr kamt! „Wir haben gerade ein familäres Frühstück genossen und uns sogar mit ihrem Geliebten unterhalten,“ ergänzte Lavender. „Warum zerstört Ihr das?“ Vindictus ließ sich von Soach den Honig aushändigen. Er schnüffelte, nahm den Portionierlöffel und kostete. Diese Sorte war eher flüssig und recht dunkel, sehr aromatisch, der Geschmack fast betörend süß. Doch er war kein Experte für Honig, daher konzentrierte er sich darauf, ob das Zeug etwas mit seinem Körper anstellte, das es nicht tun sollte. „Diesem speziellen Honig wird eine stimmungsaufhellende Wirkung zugeschrieben, was ist verkehrt daran?“ verlangte Petunia zu erfahren. „Darf ich?“ Thaumator nahm Vindictus den Löffel ab und probierte selber. Er drehte und wendete die Probe mit der Zunge im Mund hin und her, dann nahm er noch einen Löffel voll und wiederholte den Vorgang sorgfältig mit geschlossenen Augen. „Ja, kein Zweifel. Heldenglöckchen.“ „Helden... glöckchen?“ Soach bekam diesen leicht verträumten Gesichtsausdruck, der anzeigte, dass er mit dem Schlossherz kommunizierte. Konzentriert starrte er in die Luft. Erst weiteten sich die Augen wie vor Schreck, dann wurden sie ganz schmal und blickten geradezu bedrohlich, während sich die Kiefermuskeln deutlich anspannten. Im Zimmer breitete sich eine unheimliche Aura aus, die Vindictus, so ungern er es zugab, in Angst versetzte. Er kam sich plötzlich sehr klein und unbedeutend vor. Das Gefühl schien vom Gebäude selbst zu kommen. Soach mochte ein ausgebrannter Magier sein, aber er war immer noch die Seele des Schlosses. Keine gute Kombination für Leute, die sein Kind bedrohten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)