Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 21: Risiken und Nebenwirkungen -------------------------------------- Der Schlossherr wunderte sich einen Augenblick, wo er sich befand, als er die Augen aufschlug und in ein dunkles Zimmer blickte. In der nächsten Sekunde erschloss sich ihm sein Aufenthaltsort aber auch schon, und dann begriff er, was ihn geweckt hatte. Er zog seine Robe über, denn ein Nachthemd hatte er hier nicht, und ging zu dem kleinen Bad, das Soach zu benutzen pflegte. Aus dem Raum erklangen herzhafte Flüche. Crimson machte sich über seine telepathische Verbindung bemerkbar und betrat den Raum, ohne anzuklopfen. Der sich ihm bietende Anblick bewirkte... Erheiterung. „Aha, das hat Fawarius also für dich gekocht.“ Er hielt sich eine Hand fest vor den Mund. Soach seufzte und wandte sich zu ihm um. Er stand an der Waschschüssel, wo auch ein Spiegel an der Wand hing. Er trug lediglich eine dünne Stoffhose, die ein Mann zum Schlafen oder unter einer richtigen Hose tragen konnte. In der rechten Hand hielt er einen Dolch, an dem Spuren des gleichen Seifenschaumes zu sehen waren, der auch sein Gesicht bedeckte – genau genommen, den Vollbart, der dort wuchs. An manchen Stellen färbte der Schaum sich rötlich, weil Soach sich geschnitten hatte. Sein Kopfhaar hing bis über das Gesäß. Soach hatte es grob zusammengebunden, vermutlich, um es aus dem Weg zu halten. Es wirkte ungekämmt. „Ich bat Fawarius um ein Haarwuchsmittel, um wenigstens meine Haare wieder in ihren früheren Zustand versetzen zu können,“ sagte Soach in einem genervten Tonfall. „Jedoch sind sämtliche Haare an meinem Körper gewachsen. Sieh dir das an!“ Er deutete auf einige Härchen auf seinem Arm, die dunkler wirkten als sonst, und einen leichten Flaum auf seiner Brust, der Crimson nie aufgefallen war. „Ganz zu schweigen von... anderen Stellen.“ „Wahahahahaaah!“ Crimson konnte nicht länger an sich halten, prustete und krümmte sich vor Lachen. Er musste sich mühsam am Türrahmen festhalten, während sein bester Freund ihn anstarrte und darauf wartete, dass er sich beruhigte. Ab und zu zuckten Soachs Mundwinkel, aber er schien sich nicht ganz dazu durchringen zu können, der Situation etwas Lustiges abzugewinnen. „Warum... warum hast du vorher keinen Bart gehabt?“ kicherte Crimson. „Als ob du jemals in die Verlegenheit kommst, dich rasieren zu müssen,“ meinte Soach. Da traf er einen Punkt. Crimson benutzte einen Zauber, der verhinderte, dass ihm ein Bart wuchs. Schlimmstenfalls musste er sich einmal im Monat kleine Stoppeln entfernen – was er dann auch mit Magie erledigte. Es gelang ihm, etwas ernster zu fragen: „Hättest du das Problem dann nicht schon gestern oder vorgestern haben müssen?“ Soach zuckte die Achseln. „Der Zauber, den ich verwendet habe, muss nicht ständig aufrechterhalten werden, sondern wirkt, bis er entfernt wird. Aber das Haarwuchsmittel hat die Wirkung offenbar aufgehoben.“ „Scheint so. Vielleicht sollten wir jemanden um Rat fragen, der einen Bart hat, zum Beispiel Ujat oder Fawarius,“ überlegte Crimson. Soach blickte unschlüssig in den Spiegel. „Kannst du nicht... mit Magie...?“ „Hm, na gut, ich kann's ja mal versuchen,“ lenkte Crimson ein. „Wasch mal die Seife raus.“ Das tat Soach, und Crimson kamen erneut fast die Tränen vor Lachen. „War der Bart noch länger?“ gluckste er und betrachtete das unregelmäßig gestutzte Haarwunder. Soach verdrehte die Augen. „Sicher... Ich hab erst einmal alles abgeschnitten, so gut ich konnte. Drüben in meinem Zimmer habe ich eine Schere.“ „Naja, es... lässt dich irgendwie... hihihi... verrucht aussehen!“ „Möchtest du mir vielleicht als nächstes eine passende Karriere vorschlagen, vielleicht als Waffen schwingender Krieger?“ Der leicht verletzte Tonfall ernüchterte Crimson. „Entschuldige,“ murmelte er. „Setz dich auf den Wäschekorb...“ Besagter Korb erfüllte auch den Zweck eines Stuhls in diesem Raum oder wurde zumindest so benutzt. Soach setzte sich, und Crimson berührte zögernd die schwarzen Haare in seinem Gesicht. „Ich mache das normalerweise nur bei mir selbst...“ gab er zu bedenken. „Nicht zweifeln, Crimson. Mach.“ *** „Das ist nicht euer Ernst.“ Vindictus fasste sich an den Kopf, während er die Informationen verdaute. Er war eigentlich gerade aufgestanden, um sein morgendliches Training zu absolvieren, statt dessen trieb er sich auf der Krankenstation herum, wo sein Dienst erst in zwei Stunden anfing. Er wollte sich einen Stuhl holen, um an ein bestimmtes Regal heran zu kommen, besann sich dann aber eines besseren. „Jungchen, komm gefälligst her und hol mir die Goldblattsalbe herunter.“ Crimson gab sie ihm, dann kehrten sie hinter den Vorhang zurück, wo Soach auf einer Behandlungsliege saß. „Es ist völlig unverantwortlich, was du getan hast!“ schimpfte der Heiler den Prinzen aus. „Gerade erst hast du dich von einer fast tödlichen Vergiftung erholt, dein Körper hat die Anstrengung noch nicht ganz verkraftet, und schon säuft du wieder magisches Zeugs! Denkst du denn überhaupt nicht nach? Deine Haare hätten auch noch ein paar Tage warten können, wenn du es schon nicht erwarten kannst, dass sie von selbst nachwachsen! Meine Güte, und sowas hatte eine Eins in Heilkunde auf der Eisigen Universität! Ich muss wohl mal ein ernstes Wörtchen mit den Kollegen reden und fragen, ob sie euch da nicht auf die Gefahren von übermäßigem Trankgebrauch hinweisen!“ Er drückte Soach die Salbe in die Hand und wandte sich Crimson zu. „Und du Held... große Klappe und alles, aber kannst nichtmal Haare aus jemandes Gesicht entfernen? Naja, in Heilkunde hast du ja nie wirklich aufgepasst!“ Soach verteilte schweigend die Salbe in seinem lädierten Gesicht, das ein deutliches Beispiel dafür darstellte, wie man es nicht machen sollte. Die linke Wange zierten zwei Schnitte, die er sich mit dem Dolch selber zugefügt hatte beim Versuch, sich damit zu rasieren. Die andere Seite sah hingegen aus, als hätte sie jemand mit einer heißen Klinge berührt. Von der Wange bis zum Ohr erstreckte sich ein breiter, geröteter Streifen, und weiter unten, fast schon am Kinn, leuchtete ein weiterer, dieser sogar mit einem leicht blutenden Rand. Crimson hatte die Hände hinter dem Rücken ineinander gelegt, stand mit gesenktem Blick da und ließ die Schimpftirade über sich ergehen. Wenigstens sah er seinen Fehler ein, was schonmal eine Verbesserung zu früheren Zeiten darstellte. „Und jetzt wird einer von euch dem Schlossherz sagen, dass es Ujat herzitieren soll, falls der nicht schon unterwegs ist, damit er dich vernünftig und auf althergebrachte Weise rasiert!“ fuhr Vindictus fort und fuchtelte dabei mit dem Finger in Soachs Richtung. „Wie kann man nur so eitel sein! Ich an deiner Stelle hätte mir die Haare ordentlich schneiden lassen und basta, wachsen tun sie von alleine wieder! So, ich gehe jetzt schwimmen!“ „Warte mal!“ rief Soach. „Was ist mit, äh... Ich meine, kannst du einen Zauber auf mein Gesicht legen, damit das nicht wieder nachwächst?“ Vindictus setzte seinen allerstrengsten Blick auf, und seine Hoheit hatte den Anstand, eingeschüchtert zu tun. „Oh, du würdest dich wundern, was ich alles kann, Soach. Aber vielleicht wird es mal Zeit, dass du lernst, dass man nicht immer alle Probleme mit Magie lösen sollte!“ Der verbale Hieb traf direkt in die offene Wunde, das sah er ihm an. Aber er schonte den ehemaligen Magier nicht. Je eher Soach aufhörte, sich einzureden, dass er seine Magie zurückbekommen konnte, desto besser für ihn. Immerhin, eins musste er ihm zugute halten. Er hatte keine Angst vor Magie, etwas, das sonst bei ausgebrannten Magiern häufig zu beobachten war, nachdem die Magie ihnen so große Schmerzen bereitet hatte. Aber was das anging, hatte Vindictus sich geirrt. Als er die Krankenstation verließ, gab er Ujat praktisch die Klinke in die Hand. „Ich nehme an, du weißt, um was es geht, aus welchem Grund auch immer,“ sagte er zu ihm. „Ich habe alles dabei,“ antwortete sein Sohn und zeigte ihm eine kleine Holzschachtel. „Fein,“ grummelte Vindictus. „Erklär dem Kerl, wie man es ohne Magie richtig macht.“ Damit war die Sache für ihn erst einmal erledigt. Er rieb sich unbewusst das Kinn, wo schon seit langem kein Bart mehr wuchs, denn für solchen Unsinn hatte er keine Zeit. Demnach gab er sich auch nicht damit ab. Allerdings, so musste er zugeben, hätte Soach sicherlich ein sorgsam gestutzter Bart gestanden. Schulterzuckend vertrieb er den Gedanken und widmete sich ganz seinem Frühsport, der zu seinem Ärger heute ein wenig zu kurz kam. Als es Zeit für das Frühstück wurde, hatte Ujat nicht nur Soachs restlichen Bart entfernt, sondern auch dessen Kopfhaare oberhalb der Gürtellinie abgeschnitten, so dass ihre Länge in etwa dem ursprünglichen Zustand entsprach. Soach band sie sich im Nacken zusammen und stellte sich dabei ungefähr so geschickt an wie Kayos, wenn man den bei ihm stets heraushängenden Strähnen irgendeine Bedeutung beimessen wollte. Er hatte auf Pflasterchen für sein Gesicht verzichtet, da die Salbe die verletzten Stellen grob heilte, und außerdem konnte er eh nicht verbergen, dass er bezüglich der Haare nachgeholfen hatte. Ein Gesprächsthema war demnach vorprogrammiert. Ujat packte sein Rasierzeug zusammen. „Ich zeige Euch morgen noch einmal, wie es gemacht wird. Vielleicht könnt Ihr in der Zwischenzeit ein eigenes Rasiermesser auftreiben.“ Soach seufzte. „Habt Ihr nicht einen Zauber dafür?“ „Ich möchte mir nicht den Zorn meines Vaters zuziehen,“ entgegnete Ujat, und diese Argumentation konnte Soach ohne weiteres nachvollziehen. Er beschloss, sich das Frühstück und die damit verbundenen Fragen zu ersparen und statt dessen einen Spaziergang ins Dorf zu unternehmen, um sich eine neue Garderobe zuzulegen. Damit Lily später nicht schmollte, fragte er sie, ob sie mitkommen wollte, und so machten sie sich kurz darauf auf den Weg. Soach benutzte noch einmal die Kleidungsstücke aus dem Hause Arae, denn ansonsten besaß er nur Magierroben oder Lederkombinationen im Chaos-Stil. „Ich bin überrascht,“ sagte Lily, als sie sich in gemütlich langsamem Schritt vom Schloss entfernten. „Ich habe gedacht, du würdest trotzdem weiter deine Roben tragen.“ „Das würde möglicherweise einen falschen Eindruck erwecken,“ entgegnete Soach ausweichend. Tatsächlich hatte er darüber nachgedacht, aber wie ein Magier gekleidet zu sein bedeutete, dass die Leute dann auch erwarteten, dass er zauberte, und diese Erwartung konnte er derzeit nicht erfüllen. Er achtete sehr darauf, in all seine diesbezüglichen Äußerungen, auch die gedanklichen, immer Worte einzubauen, die die Vergänglichkeit seiner Lage betonten, da er sich weigerte, an eine Endgültigkeit zu glauben. Lilys Anwesenheit erwies sich als praktisch, denn sie konnte einfach besser Kleidung aussuchen. Allzu viel Auswahl gab es freilich nicht. Der Schneider in dem Hundertseelendorf, das zu Crimsons Schloss gehörte, stellte hauptsächlich praktische Stücke aus naturfarbenen Materialien her, also quasi etwas Ähnliches wie das, was Soach bereits trug. Sonderwünsche machte der Schneider auch, aber das dauerte ein paar Tage oder noch länger, wenn er die benötigten Stoffe erst besorgen musste. „Du könntest ein paar helle Hemden kaufen und einfärben,“ schlug Lily vor. „Crimson kann doch Farbstoffe herstellen.“ „Ich habe nichts gegen Brauntöne,“ meinte Soach. „Vor allem harmonieren die Hemden dann mit den Hosen.“ „Willst du welche aus Leder?“ fragte Lily. „Hier, sie haben auch Stoffhosen. Die reichen, wenn du nicht außerhalb des Schlosses unterwegs bist.“ „Ja, vermutlich. Ich bräuchte auch Stiefel, fällt mir ein, meine gehören eigentlich Malice.“ „Dann gehen wir zum Schuster, wenn wir hier fertig sind.“ „Oh... und ein Rasiermesser. Kriegt man das beim Schmied?“ „Wir fragen einfach.“ Soach wählte Hosen in dunklen Farben und kombinierte diese mit verschiedenen hellen Hemden. Lily drängte ihn dazu, welche mit dezenten Rüschen am Kragen oder den Ärmeln auszusuchen. Sie fand, dass er es sich erlauben konnte, schließlich war er ja bald im Zirkel des Bösen – falls nicht der unwahrscheinliche Fall eintrat, dass diese Leute es sich anders überlegten. Mit Bündeln von neuer Kleidung sowie einem Paar Stiefel und einem nagelneuen Rasiermesser beladen kehrte das Paar zum Schloss zurück. Soach stand vor ganz neuen Problemen, denn er war es gewohnt, so kleine Dinge wie ein Messer einfach magisch in der Luft verschwinden zu lassen. Das Konzept der Hosentasche kannte er bisher nicht. Sie benutzten einen seitlichen Dienstboteneingang, nicht das Haupttor. So kamen sie leicht zu seinem Zimmer, ohne jemandem zu begegnen. Soach öffnete seine Kleidertruhe und starrte unschlüssig auf den Inhalt. Vielleicht passten seine Neuerwerbungen hinein, ohne dass er die älteren Sachen heraus nahm. Er wollte die Magierkleidung auf jeden Fall behalten. Bestimmt konnte er sie doch eines Tages noch gebrauchen. Er stapelte die Hemden und Hosen auf Roben und Lederkostümen und schloss mit etwas Nachdruck den Deckel. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe jetzt Hunger,“ sagte Lily. „Der Hauptandrang ist bestimmt schon vorbei, kommst du mit?“ Soach konzentrierte sich einen Moment auf den Speisesaal und stellte fest, dass nur ein paar Schüler da waren. „Na gut.“ Lily trat auf den Flur, wartete, bis er sie an der Hand nahm und ging dann dicht neben ihm her. Er forschte nach, wo seine Familie sich aufhielt. Aber er fand nur seine Eltern – sie saßen mit Crimson in dessen Büro bei einer Tasse Tee und unterhielten sich über die Politik der Eisigen Inseln, vermutlich auch über die Thronfolge. Iquenee und die Soldaten mussten das Gelände verlassen haben, jedoch hielten sich die Drachen noch in der Nähe auf. [Sie sind zu einem kleinen Geländelauf aufgebrochen,] teilte Catherine ihm mit. [Neo haben sie auch mitgenommen. Er schien nicht begeistert zu sein, möglicherweise ist er aus der Übung.] „Ich finde es gruselig, wenn du das machst... mit dem Schloss reden, meine ich,“ murmelte Lily. „Stört es dich?“ frage er. „Ich dachte, ich könnte es relativ unauffällig.“ „Es fällt auch nicht besonders auf, aber mir schon. Du bekommst so einen nach innen gekehrten Blick. Aber daran werde ich mich wohl gewöhnen.“ „Könntest du dich auch daran gewöhnen, wenn ich König der Eisigen Inseln wäre?“ Lilys Flügel flatterten kurz, vermutlich völlig unbewusst. Soach fand das süß. „Oh, das wäre bestimmt interessant,“ überlegte die Fee. „Würden wir dann im Schloss deiner Mutter wohnen? Ich meine, geht das denn?“ „So weit habe ich mir das noch nicht überlegt,“ gestand Soach. „Aber zumindest habe ich meiner Mutter versprochen, dass ich ihr Erbe sein werde, wenn sie das wünscht.“ Nebenbei fiel ihm auf, dass sie automatisch davon ausging, dass sie an seiner Seite sein würde. Er drehte diese Erkenntnis in Gedanken hin und her und erprobte sie wie einen neuen Geschmack. Eine seiner Beziehungen war gescheitert, als die Frau von seiner adligen Herkunft erfuhr. Das zumindest schied bei Lily aus, und es würde sie auch nicht stören, dass er ein Magier war... Er seufzte innerlich. Vielleicht würde es sie stören, dass er darauf beharrte, seine Magie wiederfinden zu müssen, dass er die Ausbrennung wie eine Krankheit betrachtete und ruhelos sein würde, bis er Heilung fand. „Hey, du bist schon wieder so geistesabwesend.“ Sie stieß ihn sanft mit dem Ellenbogen an. „Worüber schweigst du jetzt schon wieder?“ Soach fühlte sich ertappt. „Ich... denke nur im Moment viel nach. Wie es weitergeht und so.“ „Naja, klar tust du das,“ meinte sie. „Aber hör mal, wenn du schon mit deinen Sorgen nicht zu mir kommen willst, dann geh zu Crimson, ja? Versprich mir das.“ Er lächelte. „In Ordnung, das verspreche ich.“ So fühlte er sich zumindest nicht mehr verpflichtet, ihr alles zu sagen, und musste sie nicht unnötig beunruhigen. Beim Speisesaal stießen sie fast mit Gorz zusammen, der auch gerade hinein wollte. „Hey! Genau der Mann, den ich suche. Ich brauche einen Trainingspartner!“ rief der Unterweltler. „Sonst roste ich noch völlig ein.“ Soach hob eine Augenbraue. „Hat dich Crimson auf mich angesetzt?“ „Nee, Vindictus. Er meint, körperliche Betätigung würde dir guttun und dein Selbstbewusstsein steigern.“ Gorz log niemals. Eher schwieg er. „Ich stimme Vindictus zu,“ warf Lily ein. „Er hat bestimmt auch an Kampftraining gedacht.“ „Ja, aber nicht in den nächsten drei Tagen,“ nickte Gorz. „Wir treffen uns in einer Stunde am Strand.“ Damit marschierte er in den Saal und widmete sich dem Essensangebot. Im Laufe des Tages fragte sich Soach, ob alle sich verabredet hatten, um ihn von seinen Grübeleien abzulenken. Erst hetzte ihn Gorz am Strand entlang und ließ ihn dann meditative Bewegungsübungen machen. Die Folge war eine angenehme Erschöpfung, die tatsächlich den Geist für eine Weile erfrischte. Gorz verpflichtete Soach auch für den nächsten Tag. Als sie ins Schloss zurückkehrten, gab Crimson ihm eine Liste mit Tränken und bat ihn, diese im Alchemieturm zuzubereiten. Keiner davon war neu für Soach, sie dienten dem Auffüllen der Bestände, von denen Soach genau wusste, dass sie es keinesfalls nötig hatten, aber er widersprach nicht. Die Tätigkeit erforderte keine Magiebenutzung. Während er Zutaten für einen Heiltrank zerkleinerte und zugleich das kochende Schlafmittel im Auge behielt, überlegte er, sich von Fawarius zeigen zu lassen, wie die Kampfalchemie funktionierte. Bei der Zubereitung einiger Gebräue für diese Kunst brauchte er Magie, aber die konnte er über das Schloss benutzen. Generell konnte er einiges durch seine Verbundenheit mit dem Schloss erreichen, er hatte seine Möglichkeiten noch gar nicht ausgelotet. Allerdings wusste er jetzt schon, dass es nicht das war, was er wollte. Kaum hatte er seine Arbeit beendet, meldete Catherine, dass aufgrund des unerwarteten Besuchs Hilfe in der Küche benötigt wurde, und so schälte und zerstückelte er noch ein wenig mehr Zutaten, nur für einen anderen Zweck. Dann half er, die Speisen aufzutischen, ließ einige besorgte Fragen der Schüler zu seinem lädierten Gesicht über sich ergehen und aß selber eine Portion. Bei dieser Gelegenheit traf er auch wieder seine Eltern. Möglicherweise hatte Crimson sie vorgewarnt, jedenfalls kommentierten sie sein Erscheinungsbild nicht, als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzten. „Wir haben beschlossen, dass wir bleiben werden, bis der Zirkel des Bösen entschieden hat, wohin du geschickt werden sollst,“ teilte Charoselle ihm mit. „Die sollen sich nicht einfallen lassen, dich von hier zu entfernen!“ „Wenn ich Glück habe, machen sie auch gar keine Schwierigkeiten,“ sagte Soach. „Aber ich bin trotzdem erleichtert, euch da zu haben, nur für den Fall.“ Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er das Ergebnis erfuhr, immerhin gehörte das noch zur Ausbrennung und verzögerte sich wahrscheinlich nur durch die Umstände. Der Zirkel diskutierte möglicherweise noch, ob Crimson wirklich aufgenommen werden sollte oder nicht. „Iquenee wird schonmal mit den Soldaten abreisen. Dann kann sie am Hof die Stellung halten,“ sagte Ishzark. „Nur General Raiho wird noch bleiben. Die Hofetikette verlangt, dass jemand zu unserem Schutz dabei ist.“ Soach prustete in sein Essen. „Zu Eurem Schutz. Sicher. Das ist nötig.“ Hoffentlich kamen sie nicht auf die Idee, auch ihm einen Aufpasser zuzuteilen. Noch während Soach mit dem Nachtisch beschäftigt war, meldete sich Catherine in seinem Kopf. [Die Tanks sind lange nicht mehr überprüft worden, kannst du das heute noch machen?] [Ich kümmere mich darum,] versprach Soach. [Ihr wollt mich heute alle beschäftigt halten, was?] [Denk daran, dass niemand alleine da runter gehen soll,] ermahnte das Schlossherz ihn, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. [Ich könnte Gorz mitnehmen,] schlug Soach vor. [Ich sage ihm Bescheid.] Cathys unmittelbare Gegenwart verschwand vorerst. „... und dann dachte ich an einen Fackelzug durch die Stadt,“ hörte Soach seine Mutter sagen. „Äh, was ist mit einem Fackelzug?“ „Junge, sprich doch nicht immer mit deinem Schloss, wenn ich mit dir rede!“ beschwerte Charoselle sich. „Ich habe gerade erklärt, wie man bei meiner Jubiläumsfeier den Kronprinzen präsentieren kann.“ „Oh... ich dachte, alle versammeln sich im Saal, und du sagst sowas wie 'als meinen Nachfolger bestimme ich diesen', und fertig? Vielleicht ein Buffet für die Gäste...“ „Wo wir gerade dabei sind,“ fiel es der Herrscherin ein, „Wie stellst du dir deine und Lilys Feier zu eurem Bund vor?“ „Wie bitte?“ Irgendwie hatte Soach eine andere Frage erwartet. „Na du willst doch mit ihr den Bund schließen, oder etwa nicht? Sie wohnt immerhin bei dir hier im Schloss, da kannst du nicht einfach weiterziehen, wenn du verstehst, was ich meine...“ „Deine Mutter möchte nur nicht, dass du es so machst wie Ray, ohne dass sie ein Fest organisieren kann,“ erklärte Ishzark. Soach rieb sich nachdenklich das Kinn. Fühlte er da etwa schon wieder Stoppeln? „Aber du kannst immer noch ein Fest organisieren, um seinen Bund mit Fuma zu feiern.“ „Ich werde mich hüten!“ empörte Charoselle sich. „Aber erwarten das die Araes nicht?“ gab Soach zu bedenken. „Fuma ist ja keine Blutsverwandte, sie war nur Edeh Araes Frau. Außerdem schickt es sich nicht, dass man die Feier so viel später macht.“ „Wenn du meinst...“ „Du hast aber den Bund noch nicht mit ihr geschlossen, oder?“ hakte Charoselle in lauerndem Tonfall nach. Soach schüttelte eilig den Kopf. „Ich, äh... habe Lily noch gar nicht gefragt.“ „Für einen Kronprinzen ist es auf jeden Fall besser, eine Frau an seiner Seite zu haben,“ sagte Charoselle. „Und solange ich keinen anderen bestimme, ist das immer noch deine Rolle! Schließlich bist du der älteste.“ „Ja, Mutter.“ Soach nahm sein Geschirr und stellte es auf den dafür vorgesehenen Tisch an der Seite. Dann ging er noch einmal bei seinen Eltern vorbei. „Ich muss die Energietanks überprüfen. Das sollte regelmäßig gemacht werden.“ „Du willst uns aber nicht aus dem Weg gehen, oder?“ fragte Ishzark mit einem Schmunzeln. Soach schenkte beiden ein ehrliches Lächeln. „Tut mir Leid, wenn es den Eindruck macht. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen.“ Das Paar sah sich kurz an. „Gut, das interessiert uns,“ sagte Charoselle. Zu dritt spazierten sie zu den Stufen, die in den Keller führten. Gorz erwartete Soach schon. Er lehnte lässig an der Wand. „Wen hast du denn da dabei, traust du dich etwa nicht alleine?“ neckte der Unterweltler ihn. Dann erkannte er die Personen. Schleunigst gab er seine lümmelnde Haltung auf und stand mehr oder weniger stramm. „Äh, Lord Ishzark, Sir! Und Lady Charoselle, es äh, ist mir eine Ehre, Hoheiten!“ „Das sind doch nur meine Eltern,“ winkte Soach ab. „Nicht etwa hohe Tiere oder gar... naja doch, aber sie sind ganz harmlos, wenn man sie nicht reizt.“ Gorz verzog gequält das Gesicht. „Wissen sie... ich meine... was damals passiert ist?“ „Ach, dass dein Schwert in meiner Lunge steckte und auf der Brust wieder rauskam?“ half Soach ihm auf die Sprünge. „Argh!“ Gorz schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Willst du mich umbringen?“ „Dir scheint es wirklich an Training zu fehlen, wenn er dich so verletzen konnte,“ kommentierte Ishzark. „Vielleicht sollte ich das persönlich übernehmen.“ „Ganz so ein Held wie du wird aus mir eh nicht. Davon abgesehen passierte das nur, weil ich abgelenkt war.“ „Ablenkung ist...“ „Tödlich, ja, ich weiß.“ Soach erzähle lieber keine weiteren Einzelheiten mehr. Als sie das dunkle Kellergewölbe betraten, wollte er ein Licht erschaffen und wurde mit einem leeren Gefühl im Bauch belohnt. Innerlich seufzend ließ er seine Finger an der Wand entlang gleiten, worauf die Seelenschrift neben ihnen matt zu leuchten begann. Der Effekt breitete sich drei Meter vor und drei Meter hinter ihnen aus und folgte ihnen, als sie sich in Bewegung setzten. „Aha, das funktioniert also noch,“ kommentierte Gorz. „Bist du jetzt eigentlich ein Unterweltler, Soach?“ Das kam überraschend. „Wie bitte? Nein... man nennt das ausgebrannter Magier.“ Die Worte kamen ihm recht einfach über die Lippen, weil sie in seiner Vorstellung nicht automatisch implizierten, dass er nie mehr ein Magier sein konnte. „Deine Aura ist wie ein Unterweltler,“ meinte Gorz schulterzuckend. „Ich dachte, das kommt jetzt vielleicht durch, weil du ja eh halb einer bist.“ „Uhm... wer weiß,“ murmelte Soach. „Merkst du nicht, dass er eine ganz und gar seltsame Aura hat?“ brachte sich seine Mutter in das Gespräch ein. „Es ist die Aura von jemandem, der keine Seele in sich trägt.“ Gorz machte eine Bewegung, als würde er etwas über seine Schulter werfen. „Macht mir nichts aus, ich kenne ihn nur so. Daher kann ich den Unterschied zu vorher nicht beurteilen, außer dass er vorher für mich ein Magier war und jetzt wie ein Unterweltler wirkt.“ „Du bist unsensibel,“ meinte Charoselle. „Aber vielleicht bin ich als seine Mutter einfach empfänglicher für solche Dinge...“ Sie gingen durch die Gänge weiter und schwiegen für eine Weile. Diese Aufgabe war nichts für jemandem mit Platzangst. Es gab zwar genug Raum, dass zwei Personen nebeneinander her gehen konnten, und die Höhe ließ sich nicht bemängeln, aber das änderte nichts daran, dass rundherum Mauern waren. Schließlich gelangten sie an eine Sicherheitstür aus Metall, die sich erst öffnete, als Gorz sie fest nach innen drückte. Dahinter befand sich ein erster Tankbehälter. Soach trat an ihn heran und schob das Sichtfenster auf. Das Glas war gelb gefärbt, um den Betrachter weniger zu blenden. Diese Neuerung hatte Crimson bei der letzten Wartung hinzufügen lassen, weil Soachs Augen empfindlicher für den Anblick waren als andere. Die gelbe Schicht ließ sich aber auch wegschieben, sollte es jemand wünschen. „Möchtet ihr mal schauen?“ Soach trat beiseite und ließ seine Eltern einen Blick auf das leuchtende Meras werfen, das sich in dem Tank befand. Charoselle schien es milde interessant zu finden, während Ishzark sich gar nicht sattsehen konnte. „Ich habe noch nie pure Magie gesehen!“ staunte der Krieger. „Ja, verblüffend, nicht wahr...“ Soach kontrollierte die Zuleitung am Container, überprüfte alle Verschlussklappen und stelle sicher, dass die Türen leicht auf und zu gingen. Im Prinzip konnte jeder diese Tätigkeit ausführen, aber Crimson überließ das generell gerne ihm, weil er die Magie sah und leicht erkennen konnte, wenn etwas nicht stimmte. „Selbst hier unten,“ flüsterte Charoselle halb zu sich selbst. Ihr Blick behielt die Seelenschrift im Auge. „Überall in diesem Schloss fühle ich meinen Sohn um mich... aber wenn er vor mir steht, ist es, als wäre er nur eine leere Hülle.“ Soach sah von seiner Arbeit auf. „Du hast nie erwähnt, dass du es so schlimm findest...“ „Als wir in Araes Haus waren, konnte ich mir einreden, dass du einfach deine Aura unterdrückst, obwohl ich wusste, dass es davon kam, dass deine Seele nicht bei dir ist, wenn du Lotusblüte verlässt,“ sprach die Herrscherin der Eisigen Inseln. „Aber hier... es ist sehr seltsam. Nicht direkt schlimm, nur seltsam.“ Soach nahm das so zur Kenntnis und versuchte, für seine Mutter aufmunternd zu lächeln. Sie gingen durch eine Tür an der gegenüberliegenden Seite zu einem anderen Tankraum und wiederholten den Vorgang dort. Da nicht alle dieser Räume miteinander verbunden waren, mussten sie anschließend zurückkehren und einen anderen Weg einschlagen. Die Aufgabe zog sich insgesamt eine Weile hin. Seine Eltern wurden dennoch nicht müde, ihm zu folgen, und Gorz schlenderte pflichtschuldig mit. Die Worte des Rothaarigen gingen Soach im Kopf herum. Was, wenn er wirklich zu einem Unterweltler mutierte? Brachte das nicht auch gewisse Kräfte mit sich, die nichts mit Meras zu tun hatten? Soweit er wusste, benutzten Unterweltler Kapall statt Meras, ebenso wie Feen. Soach fühlte, wie Aufregung von ihm Besitz ergriff. Er konnte es kaum erwarten, seine Arbeit zu beenden, denn er wollte mit jemandem reden, der ausbrennen konnte. Vielleicht gab es eine winzig kleine Hoffnung. Nach der Wanderung durch die unterirdischen Pfade des Schlosses gelüstete es der Gruppe erst einmal nach etwas zu trinken und einer kleinen Zwischenmahlzeit. Dafür kehrten sie in den Speisesaal zurück, wo sich immer Karaffen mit Wasser und Becher befanden. Außerdem gab es heute Kekse. Sie waren ein wenig verkohlt. „Die sind seit einigen Tagen nicht ganz wie sonst,“ kommentierte Gorz, stopfte sich aber nichts desto trotz eine Handvoll in den Mund. Soach dachte sich seinen Teil und schwieg dazu. Sein Zustand beeinflusste generell die Stimmung im Schloss, warum dann nicht auch die Küchenleistung? „Ich fand dunkle Kekse eigentlich schon immer ganz nett,“ meinte Ishzark. „Obwohl... hmpf... diese sind etwas zu dunkel...“ Soach verschlang ebenfalls einige Kekse und spülte sie rücksichtslos mit Wasser hinunter, Hauptsache, es beruhigte seinen Magen. „Ich möchte Vindictus etwas fragen,“ kündigte er an, als er wieder Platz im Mund hatte. „Wir sehen uns beim Abendessen... in etwa einer Stunde.“ Da niemand widersprach – nicht dass er ihnen viel Gelegenheit dazu bot –, machte er sich auf in den Krankenflügel. Er schob die große Flügeltür leise auf und sich selbst durch den Spalt. „Nein, das ist nicht meine Aufgabe,“ hörte er eine Frau in befehlsgewohntem Ton sagen. Das musste die neue Heilerin sein, Dsasheera. Soach hatte sie noch nicht persönlich getroffen. Sein Blick folgte unwillkürlich den Stimmen. „Ich habe dich zwar hergebeten, weil die Fee sich nicht selbst untersuchen kann, aber du kannst es nicht ablehnen, dich auch um andere zu kümmern!“ Vindictus stand vor einem der Vorhänge, hinter dem sich vermutlich ein Patient aufhielt, und lieferte sich ein Wortgefecht mit der Mutter seines Sohnes, die sich ihm gegenüber aufgebaut hatte, die Hände in die Seiten gestemmt. „Das schwangere Mädchen, gerne,“ sagte Dsasheera. „Aber der Lümmel da geht mich nun wirklich nichts an!“ „Wo ist das Problem?“ verlangte Vindictus zu erfahren. „Du wirst doch wohl einen Schnitt im Finger verbinden können!“ „Dazu braucht er doch wohl mich nicht!“ „Soweit ich weiß, hast du Saambells aufgeschlagenes Knie ohne weiteres behandelt!“ beharrte Vindictus. „Was soll... oh. Es liegt daran, dass wir hier einen Mann haben, nicht wahr?“ „Ich bin eine Amazonenshamanin. Ich behandle nur Männer, die Partner oder Söhne meiner Schwestern sind!“ setzte die Frau mit erhobenem Kinn fest. „Du bist hier in einem Schloss mit vermischten Geschlechtern. Selbstredend wirst du jeden behandeln, der darum bittet, auch Männer!“ verlangte der Alte. „Das werde ich nicht!“ widersprach sie. „Ich verstehe...“ Vindictus schien sich abwenden zu wollen, doch auf einmal wirbelte er herum und verpasste Dsasheera einen brutalen Fausthieb gegen den Kiefer, der sie taumeln ließ. Soach staunte. Er hatte auf die Schnelle nicht erkannt, wie das gelingen konnte, denn Dsasheera war zwar relativ klein, doch Vindictus hatte aus seiner Perspektive lediglich einen guten Blick auf ihre Brüste, was sicher nicht das Schlechteste war. „Du wirst auch die Männer behandeln, verstanden?“ befahl er barsch. Sie atmete hörbar ein und aus. „Nun gut...“ Damit verschwand sie hinter dem Vorhang, wenn auch nicht übermäßig schnell. Vindictus wandte sich Soach zu. „Anscheinend siehst du uns schon eine Weile zu,“ meinte er in ruhigem Tonfall, die Hände hinter dem Rücken faltend. „Versuch das ja nicht bei ihr. Ich habe das Privileg, der Vater ihres Sohnes zu sein. Wenn du sie schlägst, könnte sie das als Anmache auffassen. Entweder das, oder sie macht dich platt. Was kann ich für dich tun?“ „Ich habe über etwas nachgedacht,“ begann Soach. „Gorz wollte wissen, ob ich jetzt ein Unterweltler bin, und das brachte mich darauf, dass ich ja noch Kapall haben müsste, nachdem das Meras ausgebrannt wurde...“ Vindictus nickte geduldig und mit ernstem Blick. „Kann ich nicht auch Kapall benutzen, um Magie zu wirken?“ fragte Soach geradeheraus. Vindictus hob eine Augenbraue, rieb sich den nicht vorhandenen Bart (Soach beneidete ihn darum) und seufzte schließlich. „Ich hätte mir ja denken können, dass du auf solche Ideen kommst.“ Er winkte den Prinzen, ihm zu folgen, und ging zu den Tischen mit der alchemistischen Ausrüstung. Dort stieg er auf einen Stuhl und nahm eine fast volle Wasserkaraffe zur Hand. „Du kennst das sicher aus dem Unterricht deiner Kindertage... Ich drücke mich mal sehr vereinfacht aus: Jeder von uns bekommt bei seiner Zeugung eine gewisse Menge Magie und zwei Becher, von denen einer Meras und einer Kapall heißt. Das Individuum kann den Inhalt der Karaffe in die beiden Becher aufteilen...“ Vindictus nahm zwei Teebecher und füllte sie unterschiedlich hoch mit Wasser. „Stellen wir uns einfach vor, dass die Becher groß genug sind, um den gesamten Inhalt zu fassen, ohne zu berücksichtigen, dass vielleicht manch einer kleinere Becher hat oder keine ganz so volle Kanne. So. Der rechte Becher ist voller als der linke. Wenn das Kapall ist, wird der Besitzer ein Unterweltler oder eine Fee, ist es Meras, dann ein Magier oder Krieger. Ich lasse der Einfachheit halber andere Typen weg, mit denen ein Mensch sich paaren könnte.“ Soach nickte. „Ja, soweit ist mir das klar. Das lernt jeder Magier in der Schule oder von seinem Meister.“ „Das reicht ja kleinen Kindern auch, um das Thema zu verstehen.“ Vindictus trank den volleren Becher aus und stellte ihn zur Seite. „Die Ausbrennung zerstört den Merasbehälter. Dadurch verlierst du die Fähigkeit, Magie einzusetzen, und für eine Weile kann dein Körper nicht gut auf Zaubertränke oder Heilmagie reagieren. Doch es ist wie mit den Sinnen. Fällt einer weg, übernehmen die anderen so gut wie möglich seine Aufgaben. Blinde können besonders gut hören, riechen und fühlen, wie du sicher weißt. Wenn du nun kein Meras mehr hast, werden bestimmte biomagische Funktionen deines Körpers allmählich von deinem Kapallbestand übernommen. Zum Beispiel müsstest du deinen Effekt weiterhin benutzen können, und in einigen Wochen dürftest du kein Problem mehr mit Tränken und auf dich wirkende Magie haben. Allerdings...“ Vindictus sah Soach sehr ernst an. „... kann es sein, dass der Anpassungsvorgang bei dir länger dauert und nicht ganz so reibungslos abläuft wie bei anderen ausgebrannten Magiern, die ich kenne.“ Er stellte den Merasbecher wieder dazu und kippte das Wasser aus dem Kapallbecher zurück in die Kanne. „Stell dir vor, das wäre deine Kanne. In deinem besonderen Fall lief es vermutlich so ab...“ Vindictus füllte den Merasbecher fast mit zum Überlaufen und der Kapallbecher bekam nur ein paar Tropfen. „Meiner Einschätzung nach hast du all dein Potential in Meras investiert und das Kapall nur mit der Mindestmenge bedacht, so dass du ein mächtigerer Magier sein konntest. Bildlich gesprochen natürlich... im Prinzip hat man darauf keinen Einfluss. Sonst hättest du vermutlich versucht, überhaupt kein Kapall zu haben.“ Der Alte grinste. „Ja, das... kann gut sein,“ musste Soach zugeben. Vindictus nickte und fuhr fort: „Ohne wenigstens eins von beiden kannst du nicht leben. Es ist dementsprechend nicht möglich, jemandem Meras und Kapall auszubrennen, ohne die Person zu töten. Also musst du zumindest ein bisschen Kapall haben. Aber selbst wenn es eine anerkannte Wissenschaft wäre, damit zu zaubern, kämst du damit nicht weiter, denn es ist viel zu wenig. Was du hast, brauchst du für deinen Effekt und was der Körper sonst noch an biomagischen Vorgängen ausführt. Davon abgesehen ist Kapall ganz anders beschaffen als Meras, was auch der Grund ist, dass Feen und Unterweltler ganz andere Fähigkeiten haben als Magier und manche Krieger. Und Gorz irrt sich, du wirst kein Unterweltler, wenn du kein Meras mehr hast. Ich gestehe ihm aber durchaus zu, dass es ihm so vorkommen könnte.“ Soach starrte auf den Boden. „Bist du sicher? Ich meine... nur weil es noch nie vorgekommen ist...“ „Ich bin sicher, Soach. Glaub mir, ich würde es dir wünschen. Aber Kapall ist nicht mit Meras zu vergleichen und kann es demnach nicht einfach ersetzen.“ „Warum ist es nicht zu vergleichen?“ beharrte Soach. „Es ist doch beides... Magie!“ „Ja, und gängigen Theorien zufolge waren wir alle früher mal Fische, was aber nicht heißt, dass wir uns heute noch mit Fischen paaren können.“ Vindictus tätschelte verständnisvoll Soachs Arm. „Klammere dich nicht an falsche Hoffnungen, Soach. Es geht nicht. Stell dich der Realität.“ Doch Soach wollte sich keiner Realität stellen, in der es keine Magie mehr für ihn gab. Genau dies wollte er dem alten Heiler ins Gesicht schreien, aber sein Respekt vor Vindictus hielt ihn zurück. Und die Tatsache, dass Dsasheera hinter dem Vorhang hervorkam und nachsah, was vor sich ging. Sein Verhalten warf vermutlich jetzt schon kein gutes Bild auf das männliche Geschlecht. In den Regalen fing Alchemistengeschirr an zu klappern. Soach wusste, dass es seine Schuld war, aber er konnte es nicht verhindern. Ein leeres Glas mit einem Rührstab darin fiel herunter. Vindictus fing es auf, doch er musste es in der Luft schweben lassen, weil sein Arm nicht reichte. Das war fast zuviel. Es schnürte Soach die Kehle zu, und Druck entstand hinter seinen Augen. „Stimmt hier etwas nicht?“ fragte Dsasheera scharf. Soach hörte ihre Stimme wie durch Wasser. Wage war er sich Vindictus' warnender Blicke bewusst. Er hielt den Atem an und schloss die Augen, doch es nützte nichts. Im Gemäuer breitete sich ein energetisches Summen aus... und dann... Hörte es plötzlich auf. „Ah, hier bist du...“ Soach blickte auf und sah Crimson hereinkommen. Der Schlossherr lächelte, aber seine Augen trugen einen konzentrierten Ausdruck. „Ich habe etwas mit dir zu besprechen wegen der Beseelungsfeier,“ sagte Crimson. „Können wir in mein Büro gehen?“ „Uhm... natürlich.“ Soach wandte sich kurz zu Vindictus um. „Danke für deine fachkundige Meinung,“ presste er hervor. Im Vorbeigehen nickte er noch Dsasheera höflich zu. Crimson und er traten auf den Flur, doch sie gingen nicht zum Büro. Soach hielt es für besser, das Schlossgelände für eine Weile zu verlassen, um weiteren Schaden zu vermeiden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)