Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 17: Winterkönigin ------------------------- Ujat händigte Crimson den Rest Schleimborke aus, den er mitgebracht hatte. „Ich habe mich auf eine kleine Menge beschränkt, weil es schnell gehen sollte.“ „Sieht aus wie ganz normale Rinde...“ staunte der Magier. „Und das kann man kauen?“ „Ja, aber es dauert mindestens zwei Stunden, bis der Speichel die Struktur ausreichend aufgeweicht hat und der Saft austreten kann. Im Grunde muss man weitermachen, bis man sie, nun, in die passende Form bringen kann für den Zweck. Allerdings ist Borke nur der tote Teil der Rinde, müsst Ihr wissen. Es schadet dem Baum nicht, wenn ich etwas davon entferne, anders als wenn es die ganze Rinde wäre,“ belehrte Ujat ihn. „Dies hier ist Netzborke, seht Ihr... die Oberfläche ist grob mit netzförmigen Rissen übersät. Sie gehört zu einer Achatesche. Die graugrünen Flecken sind Reste von Thaumasflechten. Die Wirkung der Borke kommt nur zustande, wenn sie auf ihr wachsen – was im Silbergebirge jedoch meistens der Fall ist.“ „Warum hat das nicht jeder Heiler in seinem Medizinschrank?“ wunderte Crimson sich. Auch darüber wusste Ujat genau Bescheid. „Die Wirkung vergeht durch zu lange Lagerung. Die Borke trocknet aus oder schimmelt leicht. Allerdings kann man sie in gemahlenem Zustand hervorragend als Gesichtsmaske einsetzen. Und das ist nur eine der vielen Verwendungsmöglichkeiten.“ Crimson fühlte sich bei seiner Alchemistenehre gepackt. Vielleicht konnte er einen Weg finden, das Wundermittel zu konservieren? „Ich will alles darüber wissen, aber jetzt nicht... Ihr braucht Schlaf.“ Ujat hatte Ränder unter den Augen und seine Falten wirkten tiefer als sonst. Er war seit gut fünf Stunden hier und konnte seit einer halben Stunde wieder richtig sprechen. Falls dieser Schleimborkensaft ihn wach gehalten hatte, musste auch das schon nachlassen. Soach jedenfalls schlief... aber das ließ sich vielleicht nicht vergleichen. Er war kurz hellwach gewesen und dann in einen so tiefen Schlaf gefallen, dass nicht einmal Fire, der in sein Zimmer stürzte und lauthals Fragen stellte, ihn wecken konnte. „Ich habe kein Verlangen nach Schlaf in einem Haus, in dem kürzlich jemand zu Tode gekommen ist, ganz zu schweigen von all den anderen gewaltsamen Dingen,“ lächelte Ujat. „Oh,“ machte Crimson, der nicht daran gedacht hatte, wie solch ein Ort auf einen Hellseher wirken musste. „Vielleicht... hat Fawarius ein Mittelchen, das Träume verhindert.“ „Nein, hat er nicht.“ „Ach, dann habt Ihr ihn schon gesprochen?“ „Nein.“ „Ah... ja.“ „Aber Ihr solltet etwas schlafen, damit Ihr das Schauspiel morgen früh nicht verpasst, Direktor, nein, besser Lord Crimson.“ „Schauspiel?“ „Oh... ich sage lieber nichts mehr dazu. Aber ich will einen Abstecher ins Dorf machen und ihnen raten, das Vieh in den Stall zu bringen und dort zu lassen.“ „Äh... in Ordnung.“ Crimson blickte Ujat nach, als dieser seine Hände in den Ärmeln seiner Robe faltete und würdevoll davonschritt. Seit er ihn wie einen Betrunkenen hatte sprechen hören, fühlte er sich irgendwie nicht mehr so... distanziert von ihm. Er überlegte, ob er die Borke probekauen sollte, aber er brauchte seine Zunge vermutlich und wollte sich die Peinlichkeit ersparen. Daher steckte er sie in eine Innentasche seiner Robe und suchte sich ein Schlafzimmer. Die meisten aus seiner Truppe hatten sich bereits zurückgezogen. Ishzarks Soldaten wechselten sich mit Wachdienst ab, und Black Luster, der zunächst die Einäscherung der Leiche beaufsichtigt hatte, stand derzeit vor Soachs Tür, während Malice irgendwo ein Nickerchen machte. Ishzark und Fire hatten ein Schlaflager in Soachs Zimmer aufgeschlagen und Blacky schlief vermutlich noch nicht, falls Darks Abwesenheit etwas zu bedeuten hatte. Ray vollzog möglicherweise gerade seinen neuen Bund, er war jedenfalls schon seit einer Weile verschwunden. Anders Vindictus: Er überprüfte immer wieder Soachs Zustand, vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war und verzog sich dann wieder ins Nebenzimmer, wo er stundenweise schlief. Crimson entschied sich für den anderen Nebenraum, den zwischen Soachs Zimmer und dem Aufenthaltsraum. So blieb er in der Nähe seines Freundes, was ihm richtig erschien. Schließlich brauchte dieser vielleicht seine Hilfe... Oder ich hänge einfach nur an ihm. Nach all der Aufregung konnte Crimson nicht einfach so einschlafen. Die Ereignisse des Tages gingen ihm durch den Kopf. Dann die fremde Umgebung... Er belegte das Zimmer mit mehreren Sicherheitszaubern, was ihn beruhigte. Immerhin war er jetzt hier der Boss... Lord Crimson. Wer wusste schon, ob ihm nicht jemand Böses wollte? Nun gut... vielleicht hätte Ujat ihn gewarnt. Crimson beschloss, sich am nächsten Tag zu erkundigen, was eigentlich alles zu seinem neuen Besitz gehörte, und er musste entscheiden, was damit geschehen sollte. Am besten fragte er Ray, ob er Besitzansprüche von der Familie des Verstorbenen zu erwarten hatte, aber im Prinzip erloschen diese im Falle einer feindlichen Übernahme. Wichtiger war, ob Soach wohl zurechtkam, denn sie hatten zwar sein Leben gerettet, aber seine Magie kam davon nicht zurück. Vielleicht konnte Fawarius mit nach Schloss Lotusblüte kommen und ihm Kampfalchemie beibringen. Crimson interessierte sich dafür auch, aber er gab sich nicht der Illusion hin, dass er die Zeit hatte, das zu lernen. Noch stand auch gar nicht fest, ob der Zirkel des Bösen Soach zu einer anderen Rehabilitationsstelle schicken wollte. Oder ob es Ärger vom Zirkel gab, weil eins seiner Mitglieder umgekommen war... Crimson grübelte, so dass seine Gedanken in wirre Träume übergingen, in denen er Bäume mit Flechten auf der Rinde in seinem Garten anpflanzte und versuchte, Saft daraus zu destillieren. Ein schwarzes Tier huschte durch die Baumkronen, aber er konnte es nie lange genug sehen, um zu erkennen, was es war. Das störte ihn nicht, im Traum nahm er einfach hin, dass es einen Wächter des Waldes gab. Meras kam zu ihm und trug etwas im Maul, das verdächtig nach einem Jungen aussah. Schüler von seiner Schule liefen mit klappernden Spielzeugen umher. Das Geklapper störte die friedliche Szene, aber Crimson wollte sich nicht beschweren, schließlich waren es Kinder. Er hörte Wind, obwohl nur ein laues Lüftchen wehte, dann brüllte ein Drache... … und Crimson fuhr im Bett hoch, um festzustellen, dass vor dem Fenster ein Sturm tobte, der Regen gegen die Scheibe trieb. Das Klappern kam davon, dass das Fenster nicht fest verschlossen, sondern auf Lüftung eingestellt war. Die schweren Vorhänge bewegten sich träge in einem Luftstrom, der durch den schmalen Spalt gepresst wurde. Crimson sprang auf und fröstelte, denn er trug eins der Nachthemden aus dem Schrank. Ein Morgenmantel gehörte auch zum Inventar. Er war ihm zu groß, aber er zog ihn hastig über und begab sich zum Fenster, um es zu schließen. Vorher jedoch öffnete er einen der Fensterflügel – und bereute seine Neugier sogleich, denn ein eisiger Wind blies ihm entgegen, wirbelte seine Haare und die Vorhänge herum und trug scharfkantige Schneeflocken herein, die in seine Wangen zu schneiden schienen. Mit einiger Mühe drückte er das Fenster wieder zu. In der folgenden Stille – wenn man das Getöse draußen nicht zählte – fiel ihm der Lärm auf dem Flur auf, wahrscheinlich Ishzarks Soldaten. Crimson band den Morgenmantel fest zu und rannte zur Zimmertür. Tatsächlich ließ der Held gerade seine Leute antreten. Zwei von ihnen zogen noch ein paar Riemen an ihrer Rüstung fest und rückten die Helme zurecht. Black Luster, selbst nur mit einer Tunika bekleidet, half Ishzark, seine Armschienen anzulegen. Der Vater von Soach musste bis eben noch geschlafen haben. Alle machten einen professionellen, ruhigen Eindruck, doch Crimson fand das zunehmend schwieriger, denn die Temperatur im Haus schien sich dem Gefrierpunkt von Wasser zu nähern und er trug keine Schuhe. Insofern huschte er schnell ins Zimmer zurück und zog sich seine leicht lädierte Kleidung vom Vortag wieder an. Der nächste Weg führte selbstredend zu Soach, wo Crimson Vindictus bereits vorfand. Der Alte hatte sich eine kleinere Wolldecke umgebunden, wie sie auf manchen Sesseln lagen. Sie war grün mit einem eleganten Muster. Fire dagegen saß mit klappernden Zähnen auf einem Sessel, eingepackt in die Tagesdecke, die auf das Bett gehörte. „Was'n Mistwetter! Und das inner Gegend, wo's später Sommer is und nie so kalt wird!“ Das erklärte, warum die Temperatur im Inneren gleich so sehr sank. Man rechnete hier einfach nicht mit solchem Kälteeinbruch, sonst hätte wohl ein Kamin zur Standardausstattung der Zimmer gehört. Dennoch konnte man bei einem Haus wie diesem eine vernünftige Wärmedämmung erwarten... da ging etwas nicht mit rechten Dingen zu. Mehrere Drachen brüllten zugleich. Der Effekt ließ Crimson erschaudern. „Was sind denn bei diesem Wetter für Drachen unterwegs? Ich frage mich, ob das das Schauspiel ist, von dem Ujat spach!“ „Ganz genau,“ kam die Stimme des Hellsehers von der Tür her. Und mit ihr der Geruch von heißer Brühe. Er verteilte sie in Tassen, die er auf einem Tablett trug. Vindictus nahm eine für sich entgegen und stellte eine auf Soachs Nachttisch. „Was ist das mit dir und deiner Hellseherei in letzter Zeit? Sonst schwafelst du immer von Teetassen, Pendeln und Runensteinen. Und jetzt?“ „Normalerweise würde ich meine Hilfsmittel benutzen, aber gestern Nacht wusste ich, dass ich mich nicht damit aufhalten darf.“ Ujat warf einen Blick auf den Schlafenden im Bett und wandte sich dann Crimson zu. „Kurz nach Soachs Ausbrennung wurden meine Visionen, Vorahnungen und Träume viel stärker. Ich habe das Gefühl, es wäre Magie übrig, die er normalerweise benutzt. Sie wollte, dass ich Soach rette, weil sie ihn zurückhaben will.“ „Seit wann redest du solchen sentimentalen Quatsch?“ grummelte Vindictus. Ujat schien widersprechen zu wollen, ließ die dafür vorgesehene Luft dann aber wortlos wieder entweichen. „Glaubst du, dass er wieder ein Magier werden kann?“ fragte Crimson. „Sein Meras ist vernichtet und wird sich nicht regenerieren. Also wird er damit auch nicht mehr zaubern,“ antwortete Vindictus anstelle seines Sohnes. „Deshalb brennt man Magier aus, anstatt sie zu bannen: Sie sollen bestraft werden für den Rest ihres Lebens.“ „Ähm... kann er uns nicht hören?“ gab Crimson zu bedenken. „Soach dürfte noch eine Weile wie ein Stein schlafen,“ winkte der Heiler ab. „Sterben belastet den Körper. Er muss sich erst richtig erholen.“ „Dafür wirst du schon sorgen,“ grinste Ujat. „Aber sollte er sich nicht etwas stärken? Schließlich kriegt er bald Besuch.“ Crimson und Vindictus hoben gleichzeitig eine Augenbraue. „So?“ „Sag Crimson, dass ich mich darum kümmere,“ bat Blacky Black Luster, der vor der Tür des Krankenzimmers, wie er es in Gedanken nannte, Wache hielt. Möglicherweise verhinderte die Anwesenheit der Soldaten einen anzüglichen Kommentar des Kriegers, jedenfalls nickte dieser nur. Der Magier begleitete Ishzark und seine Leute. Er hatte keinen Mantel dabei, aber er schützte sich durch Magie vor der Kälte. „Du bist ganz sicher?“ fragte er seinen Großvater. Dieser nickte. „Ja, das ist ihre Art, ihren Unwillen zu zeigen und den Feind einzuschüchtern.“ Sie traten aus dem Haupteingang und vor die Tür. Der Wind peitschte ihnen kleine Eiskristalle ins Gesicht, aber Blackys Zauber ließ sie rasch schmelzen und trocknen. Der Schnee fiel so dicht, dass er wie Nebel wirkte, den das Auge nicht durchdringen konnte. Dann hörte der Lärm auf einmal auf. Der Wind erstarb plötzlich, die letzten Flocken landeten mit feinen Geräuschen auf ihren Vorgängern, und der Himmel klarte auf. Die Stille schockierte geradezu. Blacky sah sich fasziniert in einem Winterwunderland um, das bis vor einer halben Stunde nicht existiert hatte. Er hatte recht gute Laune, denn er war frisch gef--- massiert. Insofern konnte er sich ganz seiner selbst auferlegte Aufgabe widmen, Soach als Crimsons Chaosmagier zu vertreten. Aber er wäre lieber im Bett geblieben, wo Dark für Wärme sorgte, als sich hier draußen magisch warmhalten zu müssen. In einiger Entfernung konnte er mehrere Drachen sehen, die vom Wetter völlig unbehelligt geblieben waren. Ihre Reiter schritten bereits auf das Gebäude zu. Fünf hochgewachsene Gestalten, mit wehenden Umhängen und Schwertern an den Seiten. Eine ging vor den anderen, das musste dann wohl die Anführerin sein. Blacky breitete die Arme aus und ging durch knöchelhohen Schnee auf die Gruppe zu. „Oma! Wie schön, dass du kommen konntest!“ Die vordere Kriegerin hob eine Hand, damit ihre Begleiter stehen blieben, und näherte sich selbst noch ein paar Schritte, wobei eine Hand auf dem Schwertgriff ruhte und die andere ihr Visir hochklappte. Sie trug eine silberne Rüstung der Eisigen Inseln mit blauem Umhang. Lady Charoselles Gesicht wurde sichtbar. „Kayos. Was machst du denn hier?“ Er blieb außerhalb ihrer Schwertreichweite stehen und hielt die Hände weiterhin so, dass sie sie sehen konnte. „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass wir alles unter Kontrolle haben. Du musst niemanden abschlachten, das... ist schon erledigt.“ Die Frau blieb wachsam. „Kayos... wirst du gezwungen, mir das zu sagen? Gib mir irgendein Zeichen, und ich...“ „Nein. Ich werde nicht gezwungen. Crimson hat dieses Gebäude unter seiner Kontrolle. Ich bin derzeit sein Chaosmagier, bis Soach diesen Posten wieder annehmen kann. Wir haben---“ Sie stürmte vor und packte ihn plötzlich am Kragen. „Dann ist er noch am Leben? Bring mich zu ihm! Es ist meine Pflicht als Mutter, seine Hand zu halten, wenn er sterben muss!“ Ehe er antworten konnte, ließ sie ihn genauso plötzlich wieder los und marschierte zum Eingang. „Rilly!“ rief Ishzark, der mit seinen Soldaten zurückgeblieben war. „Beruhige dich, du kannst später...“ „Bringt mich zu meinem Sohn!“ kreischte Charoselle hysterisch. Schon drängelte sie sich an ihm vorbei und stürmte ins Haus. Ishzark eilte ihr nach. „Dort entlang, Rilly... so warte doch...“ In Ermangelung anderer Möglichkeiten wandte sich Blacky den vier Kriegerinnen zu, die die Lady mitgebracht hatte. Zumindest vermutete er, dass kein Mann dabei war. Eine von ihnen gab einen schimmernden Orb einer anderen und trat dann auf Blacky zu, ihr Visier öffnend. „Kayos. Wie geht es Soach? Wir dachten eigentlich, wir kämen, um seine Mörder zu bestrafen, alles einzuebnen und nur seine Leiche mitzunehmen. Mit irgendwelchen Verbündeten haben wir hier nicht gerechnet. Schon gar nicht nicht mit Ishzark und Raiho.“ „Hallo, Tante Iquenee. Es gab eine Leiche, die des Hausherrn. Er wurde ersetzt. Soach ist außer Lebensgefahr.“ Endlich konnte er die Information jemandem mitteilen. Seufzend stemmte er die Hände in die Hüften. „Die Lady ist etwas... aufgebracht, scheint mir.“ „Nun ja... ein Bote brachte Soachs Haare und einen Fetzen Haut mit dem Zeichen seines früheren Schlossherzes und teilte uns mit, dass er nur noch einige Stunden zu leben hätte und dass sie sich beeilen müsse, um ihn noch einmal sehen zu können,“ bemerkte Iquenee. „Mutter reagiert allergisch auf solche Bedrohungen. Sie kam, um ihren Sohn mit Gewalt zu befreien und die Schuldigen zu bestrafen.“ „Oje. Hoffentlich kann Opa dafür sorgen, dass sie niemanden verletzt.“ Blacky deutete auf den Orb. „Ich nehme an, das ist ein Feldzauber? Ich schlage vor, du lässt ihn abschalten. Drinnen ist es schon ganz kalt.“ Iquenee wandte sich halb um und nickte, worauf die Kriegerin, die den Orb hielt, eine Hand darüber gleiten ließ, so dass er zu schimmern aufhörte. So sah er nur noch aus wie ein großer, oval geschliffener Klumpen Eis. „Also dann,“ sagte sie sachlich. „Bring mich zu meinem Bruder, und erzähl mir unterwegs, was du über den Vorfall weißt.“ Blacky drückte sich kurz und sachlich aus, als erstattete er dem General der Eisigen Inseln Bericht. Er fing mit der Ausbrennung an, da sie Folge des Komplotts war, das letztendlich fast Soachs Leben gekostet hatte. Zum Glück hatte Crimson ihm alles berichtet, als sie zusammen im Alchemielabor gearbeitet hatten, und ein bisschen wusste er auch von seinem Vater selbst. Doch in den letzten Stunden an Soachs Bett hatten sie über andere Themen gesprochen, erfreulichere Themen... bis zu dem Zeitpunkt, als der Sterbende sie hinaus geschickt hatte. „Also lebt Soach, doch seine Magie ist vernichtet,“ fasste Iquenee zusammen. Sie schloss kurz die Augen und ließ die Information sacken. „Das ist unvorstellbar. Ich wünschte, ich könnte mit ihm tauschen... meine Magie bedeutet mir nicht ganz so viel wie seine ihm. Im Prinzip fühle ich mich mehr als Kriegerin.“ „Aber du kämpfst auch mit Magie, nicht wahr?“ „Uhm... sicher, aber somit ist Magie für mich eine Waffe. Für Soach hingegen...“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wie soll ich es beschreiben... Magie ist... seine Freude, seine Leidenschaft, alles an ihm. Manchmal redet er über sie wie über ein Familienmitglied.“ Blacky musste lächeln. „Ja, das kann ich nachvollziehen. Wir Chaosmagier versuchen nicht, die Magie zu beherrschen, sondern lassen uns von ihr beherrschen. Wir zwingen ihr keine Schranken auf, sondern fordern sie heraus. Und wir haben keine Angst vor ihr.“ Iquenee nickte knapp. „Ja. Soach sieht sich als Werkzeug der Magie, nicht umgekehrt. Er sagte einmal, dass er ihr ermöglicht, sich zu entfalten.“ „Und indem er das tut, erlebt er all ihre Wunder,“ fügte Blacky hinzu. „Aber diese Einstellung wird für gewöhnlich als unvernünftig angesehen. Schließlich würde man ja einem Kind auch keinen Drachen als Haustier geben.“ Sie tauschten einen Blick aus und verkniffen sich das Lachen, zumal sie gerade in den Zielkorridor einbogen. Fire sprang ihnen entgegen. Er hielt eine große Decke um seinen Hals fest, dass sie wie ein Winterumhang aussah. „Ey! Tante Ikke! Haste noch alle, so'n Wetter anzuschleppen?“ „Das ist die übliche taktische Vorgehensweise der Eisigen Inseln, wenn wir nur mit fünf Personen im Eilverfahren anrücken,“ erklärte Iquenee ruhig. „Und nenn mich nicht Ikke!“ Die Tür zum Aufenthaltsraum stand offen, Soachs Tür hingegen nicht. „Ist Oma bei ihm drin?“ fragte Blacky. „Darauf kannste wetten,“ entgegnete sein Halbbruder finster. „Ließ nich mit sich reden, völlich vonna Rolle. Hat sogar Oppa die Tür vor'a Nase zugeknallt. Naja, sollse noch ne Weile schmoren.“ Ishzark lehnte an der Wand außerhalb des Zimmers und schickte gerade Black Luster zur Pause. „Ihr habt ja seit unserer Anreise noch gar nicht geschlafen,“ hörte Blacky ihn sagen. „Lasst es mich wissen, wenn Ihr mich braucht,“ sagte Luster mit einer Verbeugung seines Kopfes und schritt in die andere Richtung davon. Blacky achtete nicht weiter auf ihn. „Gehen wir solange zu den anderen...“ Dark, Crimson, Vindictus und Ujat saßen um den Tisch herum und bauten ein Spiel auf. Es bestand aus einem Spielbrett, das Dark gerade aufklappte, und mehreren Figuren in unterschiedlichen Farben in Vierergruppen. „Dies scheint eine Replik eines Spiels zu sein, das ich in der Welt des Blauen Lichts gespielt habe. Jeder der vier Mitspieler wählt eine Farbe und stellt die Männchen auf das gleichfarbige Startfeld. Dann würfeln wir reihum, und bei einer Sechs darf ein Männchen raus. Ziel ist es, hier herum zu laufen und am schnellsten alle Männchen auf diese Felder in der Mitte zu bringen.“ „Das erscheint mir aber sehr einfach,“ meinte Crimson. „Gibt es keine Fallen oder so?“ „Nein. Warte es ab, dieses Spiel besticht durch seine Einfachheit,“ grinste Dark. Als Iquenee, Fire und Blacky eintraten, winkte er sie heran. „Hey, schön euch zu sehen. Hallo, Iquenee. Wollt ihr mitspielen? Auf der Rückseite sind sechs Farben.“ „Ich schaue erstmal zu,“ entschied Iquenee. Fire beschwerte sich lauthals darüber, wie sie jetzt an Spiele denken konnten, aber keiner schenkte ihm viel Beachtung. Blacky verzichtete auch, also fingen sie zu viert an. „Ich frage mich, wie ein Spiel aus Yugis Welt hierher kommt,“ murmelte der Chaosmagier. „Sicherlich hat Lord Genesis es herstellen lassen, soweit ich weiß, war er ja ein Kollege von Arae, wenn nicht sogar ein Freund,“ vermutete Crimson. Nach und nach kamen die Spielfigürchen auf das Spielfeld. Es waren eigentlich nur Kegel mit einer Kugel darauf, also sehr vereinfachte menschliche Formen. Als Vindictus dran war, passierte es zum ersten Mal. „Auf dem Feld steht schon einer, aber es ist zu klein für zwei. Soll ich meinen trotzdem daneben stellen?“ „Nein, Crimsons Figur kommt zurück zum Start,“ erklärte Dark. „Was?“ Der Weißhaarige sah entgeistert zu, wie der Alte seine Figur vom Feld nahm und dabei hähmisch grinste. „Da, Jungchen. Bis später dann!“ „Na warte!“ „Ich sehe, du hast das Prinzip begriffen,“ lachte Dark. „Übrigens seid ihr verpflichtet, jemanden rauszuschmeißen, wenn ihr könnt, egal, ob ihr lieber mit einer anderen Figur ziehen würdet.“ „Da mach dir mal keine Sorgen!“ grummelte Crimson. „Du wirst anders darüber denken, wenn du knapp vor dem Ziel stehst und das Männchen da nicht wegbewegen kannst,“ prophezeite Ujat. „Ist das nicht total langweilig für Euch, Ujat? Ihr könnt doch alles vorhersagen,“ mischte sich Fire ein – plötzlich in völlig korrekter Sprechweise. „Oh, nein, nein,“ freute Ujat sich. „Ich kann zwar vieles vorausahnen, aber wenn ich daraufhin meine Taktik ändere, ändert sich ja wieder das, was die Mitspieler tun, somit bleibt immer alles offen. Oder zumindest kann ich nicht wirklich schummeln.“ „Du könntest sicherlich, wenn du wolltest,“ behauptete Vindictus. Ujat tat so, als hätte er das nicht gehört. Als Soach aus seinem erholsamen Schlaf allmählich in den Wachzustand überging, fragte er sich unwillkürlich, ob er noch immer starb, ob er vielleicht sogar schon tot war oder ob es stimmte, dass Ujat ein Wundermittel gebracht hatte. Er konnte seinen Körper noch spüren, das Bett, die Wärme... Schmerzen hingegen nicht, abgesehen von solchen, die durch Überbeanspruchung eines geschwächten Bewegungsapparates entstehen oder durch einen übermäßigen Konsum von alchemistischen Substanzen. Sein Kreuz protestierte wohltuend, als er ein wenig die Muskeln anspannte, und der Kopf dröhnte beruhigend. Der Raum verhielt sich, wie er sollte: Er schwankte nicht. Soach fand eine intakte telepathische Verbindung zu seinem Schlossherrn und dem Schlossherz, sogar zu allen verbundenen Schlossherzen. Onyxenia und Turmalinda jammerten darüber, dass sie immer alleingelassen wurden, denn Shiro befand sich auf Lotusblüte und Kuro bei Burg Drachenfels, wo er mit Draconiel Recherchearbeiten durchführte, aus denen er ein großes Geheimnis machte. Soach forschte nicht weiter nach. Jemand befand sich im Raum, genau genommen an seinem Bett. Die weinerliche Stimme einer Frau drang allmählich in sein Bewusstsein: „… du nun wirklich nicht der Thronerbe sein willst, würde ich mich schon damit abfinden, wenn du nur bei mir bleiben könntest... Ich wollte doch immer nur das Beste für dich, auch wenn es manchmal so aussah, als ginge mir das Reich über die Familie. Es ist... ein hartes Los, eine Herrscherin zu sein. Das Volk muss vorgehen, aber... es ist nicht immer zu schaffen... Ray ist... er ist zu sanft dafür, er könnte niemals hart genug durchgreifen, hingegen Iquenee... sie würde vermutlich zu hart durchgreifen. Es... es war falsch von mir, all meine Hoffnung nur auf dich zu setzen und dich damit zu belasten, ich hätte... ach, ich hätte die beiden mehr auf die Möglichkeit vorbereiten sollen...“ Die Stimme brach ab und wich einem Schluchzen. Soach runzelte die Stirn und zwang seine Augen einen Spalt auf. Anscheinend kniete die Frau vor dem Bett. Sie barg trauernd das Gesicht in den Händen. „Mutter?“ Er bekam nur ein heiseres Flüstern heraus, aber sie schreckte hoch und starrte ihn an. „Soach! Oh... mein Junge... Ich werde bei dir sein, bis es vorbei ist, fürchte dich nicht... Mami passt auf, dass du es nicht unnötig schwer hast...“ Soach sah sich nach einem Glas Wasser um, damit er sich zumindest verständlich machen konnte. Charoselle erkannte seine Absicht und hielt ihm eines an die Lippen, das auf dem Nachttisch gestanden hatte. Sein ganzer Körper saugte die Flüssigkeit gierig auf. „Mutter... verschone das Kind,“ bat Soach dann. Es schien nicht das zu sein, womit Lady Charoselle gerechnet hatte, und sie wirkte verwirrt. „Welches... oh.“ Sie schluckte und schloss die Augen, als müsse sie mit sich ringen. „Wenn du es wünschst, mein Junge... Ich werde keinem Kind hier etwas antun. Darauf hast du das Wort von Charoselle, Herrscherin der Eisigen Inseln.“ Soach überlegte, ob er noch mehr rausschlagen sollte, fand das dann aber doch zu fies. Statt dessen sagte er: „Wenn du noch immer möchtest, dass ich dein Nachfolger werde, dann soll es so sein. Das verspreche ich dir als dein ältester Sohn.“ Er würde einen Weg finden. Seine Mutter schluchzte auf, aber es sah so aus, als müsse sie gleichzeitig gerührt lachen. „Soach, das... bedeutet mir viel...“ „Aber du musst mir noch etwas versprechen.“ „Alles, was in meiner Macht steht!“ Soach lächelte amüsiert. „Du musst unbedingt lernen, auch mal jemandem zuzuhören, wenn du sehr... aufgeregt bist. Sie wollten dir sagen, dass alles gut wird.“ Zwei Zimmer weiter berichtete Crimson den Freunden von dieser Unterhaltung, was alle mit einem breiten Grinsen quittierten. Soach schloss daraus, dass es stimmte und er wirklich überleben würde. Falls er den nächsten Wutausbruch seiner Mutter überstand. Doch sie wurde nicht wütend. Sie packte seine ihr zugewandte Hand und drückte sie mit der Macht einer Frau, die schon Tyrannen erledigt hatte. „Heißt das... du bist geheilt? Aber wie...“ „Der Hellseher unseres Schlosses hat es schon vorher geahnt... aber ich habe nicht auf ihn gehört. Also zog er los, um etwas zu besorgen, das geholfen hat. Es kam... ziemlich überraschend.“ „Dieser Mann hätte... Ach nein, ich will mich nicht beschweren...“ Sie zog Soach in eine Umarmung, die ihn wünschen ließ, bewusstlos zu sein, aber er lachte, weil er das erleben durfte. „Hilf mir,“ ächzte er, versuchte, sich aus ihrer Umklammerung zu befreien. „Ich will mich hinsetzen. Riecht es hier nach Brühe?“ Charoselle zog an seinem Arm und drückte gegen seinen Rücken, so dass er zum Sitzen kam, dann schlug er die Decke zur Seite, ließ seine Unterschenkel aus dem Bett fallen und blieb auf der Kante sitzen. Seine Mutter reichte ihm die Tasse. Er konnte sehen, dass sie mit einem Wärmezauber versehen war, etwas, das Vindictus gerne tat, wenn sein Patient etwas zu sich nehmen sollte, sobald er erwachte. Soach trank brav. Die Brühe tat gut, wärmte seinen Körper von innen und regte seinen Kreislauf an. Charoselle strich über sein kurzes Haar und streichelte mütterlich sein Gesicht. „Oh, was haben sie dir nur angetan... gibt es noch jemanden, den ich dafür zur Rechenschaft ziehen soll?“ „Nein, das habe ich schon selber erledigt. Er wollte dich töten... deshalb das alles... Lord Arae war der Sohn des Tyrannen, dem du den Thron abgejagt hast.“ „Ja, ich weiß,“ seufzte die Lady. „Wenn ich ihn damals doch nur... Moment. Das Kind, das ich verschonen soll...“ Ihre Stimme bekam einen lauernden Unterton. Jemand wählte diesen Moment, um leise die Tür zu öffnen und Edin herein zu lassen. Der Junge rannte an Charoselle vorbei, ohne ihr mehr als einen kurzen Blick zu gönnen, und krabbelte aufs Bett. „Soach! Dir geht es besser! Das ist ja toll! Und du wirst wieder ganz gesund!“ Er hängte sich von hinten um Soachs Hals und sah über dessen Schulter Charoselle an. „Und wer bist du?“ Soach sah Ray im Türrahmen stehen. Sein Bruder nickte ihm zu und gab ihm mit einem Wink seiner Hand zu verstehen, dass er ruhig reden durfte. Jemand hatte seine Kleidung geflickt und gereinigt, er trug aber derzeit nur das Untergewand. „Edin... das ist deine neue Oma,“ eröffnete Soach dem Jungen. Charoselle hob eine Augenbraue. „Du hast... ihn adoptiert?“ Das kannte sie ja von ihm, schließlich war fast die Hälfte seiner Kinder adoptiert. „Nein. Ray hat ihn adoptiert. Und die Mutter zur Frau genommen.“ Er beobachtete, wie die Information von seiner Mutter verarbeitet wurde. Ihr Mund öffnete sich und sie holte tief Luft, nur um sie dann schweigend wieder auszustoßen. Vermutlich nahm sie Rücksicht auf den Gesundheitszustand ihres Ältesten. Der blonde Prinz kam näher, worauf sie sich rasch auf die Füße erhob und in der Bewegung mit fliegenden Haaren zu ihm herumfuhr. „Duuuu!“ zischte sie. „Wie ich sehe, hast du meinen Jungen schon kennen gelernt,“ stellte Ray ruhig fest. Lady Charoselle schloss ihre Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder, sah zu Soach und dem Kind, dann wieder zu Ray. „Wir besprechen das später!“ beschloss sie, an ihren jüngeren Sohn gewandt. Soach verkniff sich ein Lachen. Ray hatte, soweit er wusste, seinem Vater den Segen zu seinem Bund mit Fuma abgerungen, indem er ihn vor allen Angestellten dazu aufgefordert hatte. Und nun konfrontierte er seine Mutter in einer kampfberuhigten Zone. Er musste sich auf ein kommendes Donnerwetter vorbereiten, aber zumindest konnte sie ihren Zorn nicht sofort über ihn ergießen. „Hast du... das getan... damit ich denselben Fehler wie damals wiederhole?“ presste sie hervor. Die Luft schien sich um sie zu verdichten und zu knistern. „Nein. Ich erspare dir eine Entscheidung, die dir sehr schwerfallen würde,“ sagte Ray. „Ganz zu schweigen von einer Tat, die moralisch höchst fragwürdig wäre.“ Soach vermutete, dass etwas mehr dahintersteckte als pure Nächstenliebe, denn sein Bruder hätte die Witwe und das Kind auch anders schützen können. Aber er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm allein zu sprechen. „Edin,“ wandte Ray sich an das Kind. „Erzähle deiner Oma, was ich dir erklärt habe.“ Edin fand das anscheinend etwas unangenehm, denn er druckste eine Weile herum. „Uhm... Mein Vater hat Soach mit Absicht krank gemacht und wollte, dass er stirbt und dann die Oma ganz traurig ist, deshalb hat Soach gegen ihn gekämpft und Vater ist davon gestorben.“ „Du weißt ja, dass Soach das nicht getan hätte, wenn dein Vater ihm nicht so viel Angst gemacht hätte, nicht wahr? Er wollte nicht absichtlich, dass du keinen Vater mehr hast,“ fuhr Ray fort. „Soach, ist das so richtig?“ Eine gute Vorlage, stellte Soach dankbar fest. Er zog Edin hinter sich hervor, bis der Junge neben ihm saß, und sah ihn an, während er sagte: „Ray hat Recht. Ich musste dir den Vater wegnehmen, um zu verhindern, dass er auch meiner Mutter und meinen Kindern wehtut.“ Edin nickte langsam und runzelte die Stirn. „Aber Mama hat gesagt, dass jetzt Ray mein Papa ist. Jetzt habe ich sogar eine Oma und du bist doch dann mein Onkel, oder?“ „Ja, genau,“ lächelte Soach erfreut. „Ist das dir recht?“ „Naja... Ray hat heute schon ganz viel mit mir gespielt, mehr als Vater das je gemacht hat. Er hatte immer keine Zeit, weil er verreisen musste und ganz viel Arbeit hatte. Manchmal war er ganz komisch...“ Edin blickte unsicher zwischen den anwesenden Personen hin und her. Charoselle verschränkte die Arme. „Das kommt schon alles in Ordnung,“ meinte sie steif. „Aber Soach braucht jetzt erst noch Ruhe, Edin.“ Das Kind verstand den Wink und stand vom Bett auf. „Mach's gut, Soach!“ Ray hielt ihm die Tür auf. „Geh schonmal vor, Edin. Ich komme gleich nach.“ Es ließ sich erahnen, dass draußen jemand stand und auf den Jungen wartete, aber diese Person hielt sich außer Sichtweite. Die sich ausbreitende Stille erstreckte sich unkomfortabel durch den Raum. Soach sah Ray unter den strengen Blicken seiner Mutter erbeben, aber er hielt sich wacker. „Also... ich weiß, dass du das immer als Unsinn abgetan hast, aber ich habe schon in meiner frühen Jugend von einem rothaarigen Mädchen geträumt...“ begann der Blonde. „Ach, das wieder,“ seufzte Charoselle. „Viele Jungen träumen von rothaarigen Mädchen, das glaub mal!“ „Mutter, du weißt genau, wie ich es meine. Ich spürte, dass sie meine Frau sein soll. Aber ich gab es auf, nach ihr zu suchen, weil damals viele Leute dasselbe sagten wie du jetzt. Dass es nur Jungenfantasien waren, die jeder in diesem Alter hat. Und ich tat es ab als einen normalen Traum.“ Charoselle schüttelte genervt den Kopf. „Du willst doch nicht sagen, dass du es nur deswegen gemacht hast! Was ist denn mit der Mutter deiner Kinder? Ich dachte, sie wollte den Bund nicht schließen, hast du etwa gelogen und in Wahrheit wolltest du nicht?“ „Ich glaube, das war Schicksal,“ entgegnete Ray. „Aber gut, wenn du das nicht glauben willst... Ich weiß ja auch, dass du damals den jungen Edeh nicht getötet hast und das inzwischen bereust. Aber du wirst nicht seinen Sohn töten, nur weil er später wie sein Vater werden könnte. Ich sorge dafür, dass er eine Kindheit hat, die schön ist und nicht auf der Fluch stattfindet. Er wird wissen, dass Soach seinen richtigen Vater getötet hat, aber zufrieden sein mit mir. Und er mag Soach. Somit wird es keine Rache an unserer Familie dafür geben.“ Charoselle wirkte nicht überzeugt. „Und die Frau? Macht sie keinen Ärger?“ „Nun... Fuma hatte noch keine Gelegenheit, sich die Geschichte aus Soachs Sicht anzuhören,“ räumte Ray ein. „Aber das wird sie, sobald Soach wieder auf den Beinen ist.“ „Oh, das dauert nicht mehr lange,“ mischte sich der ältere Bruder nun wieder ein. Er wollte aufstehen, aber seine Knie unterstützten seine Pläne nicht und er fiel neben dem Bett auf eben jene. Charoselle war bei ihm, bevor seine Hände auf dem Boden aufkamen, und stützte ihn, so dass er sich wieder setzen konnte. „Ich bin sicher, das du dich erst noch weiter erholen musst,“ sagte sie streng. „Und Ray... du wirst mir diese Frau später vorstellen. Ich glaube nicht daran, dass dein Plan aufgeht, was wenn sie dem Kind Flausen in den Kopf setzt?“ „Sollte sie unsere Familie gefährden, werde ich tun, was nötig ist,“ versprach der Prinz mit ernster Miene. „Könnte ich vielleicht kurz mit Soach allein reden?“ Charoselle blickte zwischen den beiden hin und her. „Fein. Ich hole was zu essen. Bleib, wo du bist, Soach.“ „Ja, Mutter,“ antwortete Soach feierlich. „Es ist verdächtig, wenn du so brav bist, aber ich beschwere ich mich nicht.“ Sie umarmte ihn noch einmal auf ihre knochenbrecherische Art, küsste seine Stirn und marschierte dann aus dem Zimmer, ohne Ray noch eines Blickes zu würdigen. Die Tür fiel leise ins Schloss. Ray sah ihr nach und versuchte zu lächeln. „Entschuldige, Bruder, dass ich dich ausgenutzt hab. Aber ich wusste, dass sie in deiner Gegenwart nicht schimpfen würde... oder jedenfalls nicht nennenswert.“ „Glaubst du wirklich, dass sie Fuma und Edin getötet hätte?“ hakte Soach nach. Ray nickte. „Oh ja. Nicht gerne, aber ja. Doch inzwischen hat sie den Jungen schon bei seinem Namen genannt... es ist schwieriger, jemanden zu beseitigen, den man kennt.“ „Gute Strategie. Ich wusste immer, dass du es in dir hast, Kleiner.“ Beide Männer lachten, aber nur kurz. Ray setzte sich zu Soach auf die Bettkante, legte einen Arm um ihn und lehnte den Kopf gegen seinen. „Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen. Ich wusste, dass du es schaffst, aber zeitweise habe ich an meinem Wissen gezweifelt. Schließlich sind Visionen und Träume nicht immer zuverlässig, aber zur Zeit... ich sehe mehr als sonst. Besonders im Bezug auf dich.“ „Was siehst du denn noch so?“ wollte Soach wissen. „Och, du weißt, dass es nicht auf Abruf geht. Aber du wirst... nein, ich möchte das nicht sagen, aber es ist nichts Schlimmes.“ „Jetzt fängst du ja an wie Ujat!“ „Es ist eine sehr unwahrscheinliche Vision. Falls es eine war. Vielleicht eher ein Wunschtraum.“ „Sag es mir trotzdem.“ „Soach, ich glaube wirklich nicht...“ „Lichal!“ Ray seufzte. Wenn Soach seinen richtigen Namen benutzte, gab er meistens nach. „In einem meiner Träume sah ich dich. Du hast Magie benutzt, aber nicht wie sonst. Es war... ich kann es nicht recht beschreiben. Überwältigend. Atemberaubend. Beängstigend. Ich sah dich und war froh, dass ich nicht dein Feind bin, denn ich kam mir vergleichsweise machtlos vor. Dabei sah man dir fast nichts an, aber die Luft ließ sich kaum atmen. Es wirkte so echt...“ Soach bereute bereits, dass er ihn so bedrängt hatte. „Ich hätte auf dich hören und nicht weiter nachfragen sollen,“ murmelte er. „Aber vielleicht gibt es ja noch Hoffnung. Schließlich hast du auch gesehen, dass ich überlebe, nicht wahr?“ „Nun ja... schon. Ich möchte nur nicht, dass du dich an diese Hoffnung klammerst und dann enttäuscht wirst.“ „Das werde ich schon nicht, Ray. Einfach weil ich niemals aufgebe. Ich werde---“ Soach unterbrach sich, denn Crimson nahm telepathischen Kontakt zu ihm auf. [Was ist denn mit deiner Mutter los? Sie läuft fluchend den Flur auf und ab... und jetzt hat sie eine Vase zerdeppert!] „Es scheint, Mutter macht ihrer Anspannung Luft,“ stellte Soach fest. „Ich krieche dann mal wieder ins Bett...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)