Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 3: Ein Rest Hoffnung ---------------------------- Crimson brachte Lily in sein Büro, wo sie ungestört reden konnten. Die Fee wehrte sich anfangs noch gegen ihn, gab dann aber nach. „Crimson, nun rede doch schon,“ drängte sie, während sie sich auf die Sessel setzten. „Lily, es geht Sorc gut... zumindest glaube ich das, er verhält sich den Umständen entsprechend gefasst,“ begann der Schlossherr. Lilys tränchenbenetzte Augen vergrößerten sich entsetzt. „Bitte nicht... bitte sag nicht... werden sie ihn hinrichten? Bleiben ihm nur noch ein paar Tage Gnadenfrist? Das darf nicht sein! Ich... ich bin schwanger, Crimson!“ Jetzt war es an ihm, große Augen zu machen. „Sch-schwanger? Von...“ Sie nickte hektisch. „Weiß er es?“ „Ich habe es ihm noch nicht gesagt, aber er weiß solche Dinge... sieht die Auraveränderung oder so... vielleicht weiß er es. Er darf nicht sterben!“ „Nein, das ist es nicht. Der Zirkel hat auf die Todesstrafe verzichtet, weil er sich ergeben hat. Vielleicht auch, weil sie glauben, dass er jemanden schützt, und das kommt bei ihnen gut an.“ Er ließ den Blick über ihren Körper gleiten, doch sie trug ein locker sitzendes Kleidchen, so dass Ihr Bauch nur zu erahnen war – falls es überhaupt schon etwas zu sehen gab. „Aber was ist es dann?“ wollte sie wissen. „Ich kenne Sorc... er sieht schrecklich aus!“ „Vermutlich fühlt er sich auch schrecklich,“ rutschte es Crimson heraus. „Aber du weißt, wie er ist... er will es nicht zeigen.“ Lily nickte zögernd und sah ihn weiterhin erwartungsvoll an. „Sie haben seine Magie ausgebrannt,“ eröffnete Crimson ihr, denn er wusste nicht, wie er das schonend verpacken sollte. „Sie... haben das Urteil gefällt und sofort vollstreckt.“ Lily reagierte erst gar nicht. Als Crimson sich schon fragte, ob sie ihn verstanden hatte, begann sie langsam, den Kopf zu schütteln. „Nein... nein, das darf nicht sein...“ flüsterte sie voller Entsetzen. Dann schrie sie ihn an: „Warum hast du das nicht verhindert? Du warst doch da! Warum hast du es zugelassen? Warum hast du es zugelassen!“ Sie schlug wild mit den Armen um sich, trommelte mit den Fäusten auf ihn ein, traf aber auch die Sessel und sich selbst. Crimson packte Lily und hielt sie fest an sich gedrückt. „Bleib ruhig! Lily...!“ Sie schrie und weinte verzweifelt, als wäre es ihr widerfahren. So als weinte sie für Sorc, weil er selbst es nicht konnte. Sorc war ein bisschen überrumpelt, als er sich auf einmal allein mit Vindictus wiederfand. Der Alte ging ihm voraus zu seiner angestammten Behandlungsliege hinter dem Vorhang und zog sich einen Stuhl heran. „Ausziehen. Hinlegen.“ Sorc entledigte sich kommentarlos seiner Robe und mit Mühe auch der Stiefel. Als er lag, wickelte Vindictus die Verbände an Händen und Füßen ab und seufzte dabei theatralisch. „Stümperhaft... aber bemüht hat er sich...“ Er untersuchte die Verletzungen und kam schließlich auch zu dem geröteten Fleck auf der Brust. Als er den mit einer Hand berührte, verspannte Sorc sich und musste sich sehr beherrschen, um ihn nicht wegzustoßen. „War der Ausbrennzauber heiß oder kalt?“ Sorc runzelte verwundert die Stirn. „Die Hand der Frau war warm, aber der Mann hatte ganz kalte Hände. Hat das was zu bedeuten?“ Vindictus nickte. „Ja, es wird gerne zu zweit gemacht. Meistens von der Kombination kalt und warm. Es ist ein kleiner Unterschied in der Technik der Ausführung. Der Zauber brennt sich in beiden Fällen durch jede Zelle deines Körpers, weil in ihnen allen die Magie ist. Zeig mir den Ort, wo sie wohnt.“ Sorc verstand – er war heute schon mehrmals dort gewesen. Doch es widerstrebte ihm, noch jemanden dahin zu führen. „Zier dich nicht,“ meinte Vindictus streng. „Ich bin dein Heiler, schon vergessen? Hast du irgendwas zu verlieren?“ Sorc sah ihm fest in die Augen. „Kannst du Magie ausbrennen?“ „Ja, ich weiß, wie es gemacht wird,“ gab Vindictus unumwunden zu. „Ich habe es zwei- oder dreimal in meinem Leben getan. Eigentlich ist das jedem Heiler zuwider, aber als Necromant denkst du anders darüber. Meiner Meinung nach sollte in den Heilerunterricht viel mehr Wissen über die Zerstörung der Gesundheit eingefügt werden, damit die Schüler besser verstehen, wie man sie repariert. Nun ist freilich das Ausbrennen der Magie ein Vorgang, der recht endgültig ist. Also lass mich sehen, viel schlimmer kann es nicht werden. Oder soll ich mir den Weg selber suchen?“ Sorc warf misstrauisch noch einen Blick auf die Hand. „Nein... schon OK.“ Ehe er sich versah, befand er sich schon wieder vor seinem ausgebrannten Haus. Er saß auf dem Boden davor, ein Ackerboden mit Aschespuren bedeckt, und hielt sich die linke Hand. „So... das Haus steht ja noch,“ stellte eine andere Stimme fest. „Ich hab mich schon gefragt, ob du überhaupt eins hast, oder vielleicht nur ein Zelt, eine Hütte...“ Sorc blickte auf und sah einen anderen Jungen – vielleicht sechzehn Jahre alt. Der kam ihm vage bekannt vor. „Guck nicht so blöd,“ meinte der Typ. „In unserer Astralgestalt altern wir nur, wenn wir es wollen.“ „Vindictus?“ „Tja...“ Der Neuankömmling ging zum Haus und betrachtete es von außen, warf einen Blick hinein. Er betrat es allerdings nicht. „Die Bausubstanz ist beschädigt. Aber im Prinzip kann keiner dein Haus zerstören, wenn du es nicht zulässt. Dadurch wird der Ausbrennvorgang allerdings in die Länge gezogen und umso qualvoller. Naja, von dir habe ich nichts anderes erwartet. Es ist nun einmal die idiotischste Handlungsweise.“ Sorc bewegte sich nicht vom Fleck. „Kann man es reparieren?“ „Unwahrscheinlich. Weiß irgendwer, dass dieses Haus noch steht?“ „Uhm... ich wüsste nicht, wie... Oh... Genesis hat mich gebissen! Ich glaube, er weiß es!“ „Genesis hat dich gebissen?“ Sorc erzählte es ihm. Er berichtete auch von dem Traum oder der Vision, die er dabei erlebt hatte. Von den scheinbar gut gemeinten Ratschlägen und dem verbrannten Zettel... aber er verschwieg, dass er die Reste verschluckt hatte. Diese Information erschien ihm zu privat, als dass er sie jemandem verraten wollte, der ausbrennen konnte – noch dazu einem Heiler, der vielleicht dafür sorgen konnte, dass er ein Objekt wieder hochwürgte. „Kannst du Lord Genesis vertrauen, oder könnte er jemandem davon erzählen?“ hakte Vindictus' junges Selbst nach. „Mir war, als wäre das... etwas Geheimes zwischen uns beiden... er hat alle weggeschickt, bevor er mich gebissen hat, und er ist ja auch Crimsons Freund, also warum sollte er es erzählen?“ „Ja, warum. Aber vielleicht denkt er sich auch gar nichts dabei. Vielleicht war es nicht Genesis, den du gesehen hast.“ „Was macht das für einen Unterschied?“ „Hör zu... es könnte sein, dass in ein, zwei Tagen jemand kommt, um dich nochmal zu untersuchen. Sie werden irgendeinen Vorwand finden. Das dient dazu, um sicher zu gehen, dass sie deine Magie völlig zerstört haben. So wie das aussieht, hast du dich heftig gewehrt...“ Er deutete auf die verletzten Handgelenke. „Irgendwann ist das Opfer so erschöpft, dass es ein Risiko ist, mit dem Ritual fortzufahren, und dann kann auch niemand mehr wirklich sehen, ob nicht noch ein bisschen Magie da ist. Nun... die Zerstörung sah bei dir ziemlich gründlich aus. Aber für gewöhnlich wird auch das Haus eingerissen. Wenn du eine Chance haben willst, lass niemanden mehr an dich heran, der die Ausbrennung beherrscht.“ Sorc war sich gar nicht sicher, wann sie die Traumwelt verlassen hatten, jedenfalls fiel ihm gerade bewusst auf, dass der Alte neue Verbände besorgt hatte und eine andere Salbe bereitmachte. Er ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Gab es eine Chance? „Ich habe mich mal im Rahmen eines Unterrichtsprojekts mit dem Thema beschäftigt, aber keine Information gefunden, dass man sich davon erholen kann,“ gab er zu bedenken. „Papperlapap,“ winkte Vindictus ab und lächelte selbstgefällig. „Schulbücher. Glaubst du wirklich, dass sowas in Schulbüchern steht? Erholen kannst du dich von allem. Nur wahrscheinlich nicht ganz, nicht von heute auf morgen, nicht ohne Wehwehchen und nicht ohne einen starken Willen. Und natürlich bedeutet Heilung manchmal auch, dass der Patient zurechtkommt, obwohl etwas verloren geht.“ „Wie zum Beispiel... ein Bein oder ein Arm?“ hakte Sorc nach. Vindictus nickte. „Manchmal gibt es keinen anderen Weg. Sei dir im klaren darüber, dass deine Magie nie wieder so wie früher werden kann, wenn überhaupt.“ Er wischte die alte Salbe ab und trug eine neue auf. „Ich verbinde dich neu, und dann legst du dich schlafen und ruhst dich aus. Mach keine Experimente – ob du noch Lichtfünkchen kannst oder so. Das kannst du nicht. Da ist eine Wunde in dir, die du erstmal in Ruhe heilen lassen musst. Wenn du versuchst, Magie zu benutzen, reißt sie wieder auf.“ Obwohl er aussah wie ein Tattergreis, bewegten sich Vindictus' Finger flink und sicher, während er die Verbände erneuerte. Er wischte über den Fleck auf Sorcs Brust, um die alten Salbenreste zu entfernen, trug dort aber wiederum ein anderes Produkt auf. Dieses Mal konnte Sorc seine Berührung an dieser Stelle ertragen, ohne zurückzuschrecken. „Diese Salben sind rein pflanzlich und eigentlich nicht magisch,“ erläuterte der Heiler. „In nächster Zeit ist es besser, wenn du nicht mit Zaubermittelchen behandelt wirst. Erstmal verbrauchen die deine Energie, die du für Wichtigeres brauchst, und außerdem reagiert dein Körper eventuell allergisch gegen Magie, die auf ihn wirken will. Das liegt daran, dass du in Zukunft den Einfluss von Magie mit Schmerz assoziieren wirst.“ „Wie bitte? Niemals...“ „Glaub mir, das wirst du. Unterbewusst, und das reicht.“ Sorc diskutierte nicht weiter darüber. Vindictus stieg von seinem Stuhl, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und warf ihm einen Krankenkittel zu. „Zieh die Hose aus und das über, dann leg dich in ein Bett. Du hast die freie Auswahl. Vielleicht das hier vorne, wo Lily dich im Auge behalten kann. Ich bin sicher, das wird ihr gefallen. Ich mache dir einen Beruhigungstee, damit sie dich heute nicht mehr nervt.“ „Aber sie nervt mich nicht...“ „So wie ich diese Fee kenne, wird sie das. Sie wird dich mit Fragen löchern, dir Vorwürfe machen und sich beklagen. Du brauchst deinen Schlaf. Der Tee wird auch deinem rauen Hals helfen. Du bist ja ganz heiser. Es ist also besser, wenn du nicht mit Lily diskutieren musst.“ Sorc seufzte und zog sich um, dann ging er vorsichtigen Schrittes zu dem nächsten Bett – dem, das Lily zuerst sah, wenn sie nach den Patienten schaute. Er hatte noch gar keine Zeit gehabt, über seine Lage nachzudenken, und er fürchtete sich davor, die Zeit zu haben. Aber schlafen klang sehr gut. Als er es sich bequem gemacht hatte, kam Vindictus mit dem Tee. Er hatte ihn so temperiert, dass er gleich getrunken werden konnte. Mit dem Vorsatz, sich fürs erste keine Sorgen mehr zu machen, schloss Sorc die Augen. Lily hatte sich soweit beruhigt, dass sie nicht mehr schrie. Tränen kamen noch nach, doch sie konnte zusammenhängende Sätze formulieren. Crimson kam sich hilflos vor – er konnte nichts machen als zu warten und sie mit seiner Gegenwart zu trösten. „Sorc wird verkümmern ohne seine Magie,“ jammerte sie. „Du solltest hören, wie er über Magie redet... sie ist sein Lebenselixier. Nein, manchmal denke ich, er ist Magie. Eine Personifikation... Er kann nicht ohne sie sein. Und er liebt das Schloss! Wie soll er es aber ertragen, jeden Tag Magie zu sehen und selber keine zu haben?“ „Der Zirkel des Bösen will ihn an eine Stelle schicken, wo er gemeinnützige Arbeit verrichten kann,“ eröffnete Crimson ihr und beeilte sich, hinzuzufügen: „Aber ich habe gesagt, ich kann ihn hier gebrauchen. Ich weiß auch, dass er hier nicht weg will... das kann er gar nicht.“ „Er hat doch nichts getan... warum haben sie ihn überhaupt verhaftet? Wofür hat er diese grausame Strafe verdient?“ Lily hatte schon ihre ganze Frisur ruiniert, so oft hatte sie verzweifelt ihre Hände darin verkrallt. „Das hat er mir auch noch nicht erklärt,“ bedauerte Crimson. „Aber es hat was mit diesem jungen Burschen zu tun, der hier auftauchte... wo ist der eigentlich?“ „Wir haben ihn in eins der Schülerzimmer einquartiert.“ „Der Junge hat irgendein Artefakt gestohlen, und Sorc behauptete, das sei in seinem Auftrag geschehen, doch er hatte die Mission für gescheitert gehalten und längst vergessen, deshalb hat er es bei der letzten Verhandlung nicht erwähnt. Seine Aussage war aber nicht glaubwürdig. Der Zirkel des Bösen unterstellt, dass er sich in Wahrheit eine Möglichkeit bewahren wollte, doch noch an die Macht zu kommen.“ „So ein Unsinn... er hat keine derartigen Pläne mehr!“ widersprach Lily heftig. Crimson hob beschwichtigend die Hände. „Jaaa, natürlich, davon bin ich auch überzeugt. Lord Genesis glaubt eh, dass Sorc gelogen hat. Aber das nützte ja nichts, weil Sorc seine Aussage nicht geändert hat. Also haben sie den Fall mit seiner Verurteilung abgeschlossen.“ „Ich... ich möchte zu ihm.“ Crimson nickte bedächtig und ließ Cathy nach Sorc sehen. „Er schläft jetzt... Warte, bis er selbst bereit ist, uns alles zu erklären,“ riet er Lily. „Vorwürfe kann er jetzt nicht gebrauchen. Meinst du, wir sollten seine Familie benachrichtigen?“ „Ich schreibe Lady Charoselle einen Brief,“ schniefte die Fee. „Ob Sorc das nun will oder nicht.“ „Ja, mach das. Danke, dass du dich darum kümmerst.“ Sie gingen zusammen zur Krankenstation zurück, wo sie Sorc so vorfanden, wie Crimson es durch Cathy schon wusste: Er schlief in einem der Betten. Lily sank auf einen Stuhl daneben und streichelte Sorcs rechte Hand, die ihr zugewandt war. Sie bemühte sich aber, ihn nicht zu wecken. Crimson bemerkte ein Ziehen an seiner Robe und entdeckte Vindictus neben sich, der ihn mit Handzeichen aufforderte, ihm vor die Tür zu folgen. Der alte Heiler schloss fest die Tür, ehe er etwas sagte. „Hör gut zu, Jungchen. Die Magier, die Sorcs Magie ausgebrannt haben, haben ganze Arbeit geleistet. Jeder Magier hat einen Ort in seinem Bewusstsein, wo seine Magie untergebracht ist. Der Ort manifestiert sich als ein Gebäude, ein Haus oder so, und da drin ist etwas, das die Magie repräsentiert. Sie haben Sorcs Inneneinrichtung völlig vernichtet, aber ich habe ihm erzählt, dass es noch Hoffnung gibt, solange das Haus steht.“ „Dann hast du gelogen, um ihn zu schützen?“ „Jaaaa... damit er keine Dummheiten macht. Tatsächlich aber ist seine einzige Hoffnung, die Asche wegzufegen und sich etwas Neues zuzulegen. Vielleicht eine Waffensammlung. Sorc ist körperlich topfit, er kann sicher noch ein Krieger werden. Oder ein Gelehrter. Etwas in der Art. Er wird das erkennen im Laufe der Zeit. Aber erstmal ist es besser, dass er noch Hoffnung hat.“ Crimson fuhr sich seufzend mit den Fingern durchs Haar. „Ehrlich gesagt hatte auch ich die Hoffnung, dass er seine Magie irgendwie zurückbekommt.“ „Du kannst nichts zurückbekommen, das zerstört ist, Jungchen. Und es nützt nichts, dem Verlorenen nachzutrauern.“ „Also sagst du mir das, damit ich Sorc nicht zu sehr ermutige?“ „Damit du dir keine Illusionen machst. Allerdings... wenn es einen Weg gibt, dann traue ich Sorc zu, dass er ihn findet.“ „Hm... und wenn nicht, erschafft er einen. Ich glaube, er ist nicht auf existierende Wege angewiesen.“ „Wahrscheinlich nicht. Bei der Magie hängt vieles vom Glauben an die eigenen Fähigkeiten ab. Ich bin neugierig, was wir mit ihm noch erleben.“ Crimson nickte. „Ja, da bin ich auch gespannt. Und jetzt werde ich es den anderen beibringen müssen... es hat schließlich keinen Zweck, es ihnen zu verheimlichen, im Gegenteil. Es ist besser, wenn sie es wissen, damit es nicht zu unangenehmen Situationen kommt.“ „Darum kümmere ich mich. Du solltest jetzt selber etwas zur Ruhe kommen, Crimson. Wie ich dich kenne, hast du nicht mehr richtig geschlafen, seit du ihm zum Zirkel gefolgt bist.“ „Nein... und ich glaube auch nicht, dass ich das diese Nacht kann.“ „Versuch es mit einem Schlaftrunk. Du wirst deine Kraft brauchen.“ Das konnte Crimson sich vorstellen. Er überließ es Vindictus, die Schüler und Kollegen zu informieren, und machte sich dann erst einmal auf den Weg in die Tiefen seines Schlosses. Er schaute bei Catherine vorbei, also in der Kammer, in der sich der Kristallkern des Schlossherzes befand. Selbst hier gab es die Schriftzeichen von Sorcs Seelenzauber. Wenn er an den Tag der Beseelung dachte, den Tag, an dem der Chaoshexer seine eigene Seele an das Schloss gebunden und es zu einem beseelten Schloss gemacht hatte, verspürte er tiefe Trauer, weil er so etwas Großes nie wieder von ihm sehen würde. Seiner Meinung nach war es ein Verlust für die Magierwelt, dass Sorc ihr nun nicht mehr zur Verfügung stand. „Crimson...“ Cathy materialisierte sich zwar nicht, aber in diesem Raum konnte er seine Stimme auch so hören. Vielleicht war sie auch einfach besonders laut in seinem Kopf. Er legte eine Hand an den Kristallkern. Außer ihm konnte nur Sorc das tun, ohne Schaden zu nehmen. „Cathy. Ist alles in Ordnung? Wurdest du irgendwie beschädigt?“ „Nein. Sorc hätte nicht zugelassen, dass ihm etwas angetan wird, das mir ebenfalls schadet. Seine Seele wurde nicht verletzt, doch sie leidet... ich mag dieses Gefühl nicht, es ist... uhm... ich habe so etwas noch nie gefühlt!“ „So ist das, eine Seele zu besitzen, Cathy. Es hat Nachteile, denn wie der Körper kann auch sie Schmerzen empfinden.“ „Wie lange wird das anhalten?“ „Schwer zu sagen. So geht es uns Menschen immer, wenn wir etwas verlieren, das uns wichtig war. Das weißt du doch sicher.“ „Ja, aber ich hatte nie selbst dieses Gefühl. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.“ Das konnte Crimson auch nur schwer beantworten. Aber er war der Schlossherr. Sein Schlossherz brauchte eine Antwort. „Die Schlossbewohner spüren es, wenn du Kummer hast,“ sagte er. „Aber es ist nicht ihr Kummer, und sie wissen nicht, was sie fühlen. Du musst für sie so tun, als wäre alles in Ordnung. Sie sehen zu dir auf und verlassen sich auf dich. Du darfst nicht wanken.“ Die Worte kamen aus Crimson hervor, ehe ihm klar war, was er sagte. Er hörte sich selbst zu und begriff, dass auch er seinen eigenen Rat beherzigen musste. Zu seinen Füßen leuchtete der Seelenzauber, als wollte er ihm Recht geben. Oder waren die Worte von dort gekommen? Es war teilweise ziemlich verwirrend, wenn die Grenzen der eigenen Identität verschwammen, aber Crimson hatte sich damit arrangiert. Er wusste, was Sorc tun würde. Allerdings bekam er auch mit, wie es wirklich in ihm aussah, wenn er sich so wie jetzt damit befasste. Demnach musste er selbst jetzt der Starke sein und sowohl sein Schlossherz als auch seinen Freund unterstützen. Hoffentlich bekam er das hin. Sorc erwachte erst in der Nacht wieder. Manchmal konnte er mit seinem Bewusstsein zu seiner Seele und damit zu Cathy gehen, wenn er schlief, aber diesmal hatte er wohl so fest geschlafen, dass dies nicht geschehen war. Vielleicht lag es an dem Tee, dabei hatte doch Vindictus betont, dass nichts Magisches daran war. Er schloss die Augen wieder und versuchte festzustellen, wie spät es war. Cathy teilte ihm mit, dass es bald hell werden würde. Also konnte er noch ein bisschen liegen bleiben und auf den Tag warten. [Bist du in Ordnung, Cathy?] erkundigte er sich. Er fühlte sich mental getreten. [Das sollte ich lieber dich fragen!] Er konnte nicht anders, als darüber zu lächeln. [Tut mir Leid, dass ihr euch alle Sorgen macht.] [Crimson wartet schon auf deine Erklärung, darauf bin ich auch gespannt!] [Reg dich nicht auf, Cathy, das beunruhigt noch die Bewohner.] [Klappe.] Sorc nahm erfreut zur Kenntnis, dass zumindest seine Kontaktaufnahme mit dem Schlossherz ohne Komplikationen funktionierte. Eigentlich hätte es ihn auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Ebenso war es mit Gandora. Der Drache war sozusagen ein Kindheitsfreund, sowas verging nicht einfach. Ob Telepathie generell eine magische Fähigkeit war, darüber stritten sich die Geister. Er kannte Krieger, die das gut konnten, allerdings waren das solche, die in Magierschlössern lebten oder auf diese Art mit Magiern kommunizierten. Eigentlich hatte er nie gefragt, ob Krieger auch untereinander mit Telepathie reden konnten. Oder ob zum Beispiel Unterweltler mit anderen Unterweltlern gedanklichen Kontakt aufnehmen konnten. Auf der anderen Seite hatte er das aber auch nie in Frage gestellt. Schließlich konnten Drachen es auch. Und Feen vermutlich... In dem Moment regte sich etwas im Raum. Er schaute nach links und entdeckte Lily, die im Bett neben seinem schlief. Wie süß von ihr... Sorc beobachtete sie immer gern im Schlaf. Jetzt jedoch fürchtete er ihr Erwachen, denn er wusste nicht, wie er ihr begegnen sollte. Er wandte sein Gesicht wieder der Zimmerdecke zu und schloss die Augen. Ein paar Minuten vergingen. „Gib's auf, Unwürdiger. Mich kannst du nicht täuschen.“ Sorc zog in Erwägung, nicht zu reagieren, verwarf die Idee jedoch. „Oh... du bist wach. Ich wollte dich bloß nicht wecken,“ redete er sich heraus. Seine Stimme klang besser als gestern. Nicht mehr so heiser. Lily kroch aus dem Bett und tapste im Nachthemd zu ihm. Ihr Haar war in niedlicher Unordnung. „Ich... möchte es verstehen... erklär es mir so, dass ich es verstehe.“ Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und sah ihn flehend an. Sorc griff nach ihrer Rechten und schmiegte seine Wange daran. „Nicht jetzt. Andere haben die gleiche Frage. Ich werde es euch allen erklären. Oh, nicht doch...“ Sie hatte von einer Sekunde auf die andere das Gesicht voller Tränen. „Du Mistkerl... ich habe auf einen romantischen Moment gewartet, weil ich dir etwas sagen muss... und dann erschreckst du mich so! Was soll ich denn jetzt mit dir machen? Muss ich zusehen, wie du zugrunde gehst? Ich kann das nicht... ich bin extra hergekommen, an eine Schule, weil ich dachte, da ist es nicht so schlimm mit den Verletzungen, die die Leute haben...“ Sorc hob eine Augenbraue. „Ich dachte immer, du liebst deinen Job.“ „Schon. Ich hab das Heilen gelernt, um Leben retten zu können. Aber ich konnte schon viele nicht retten! Und ich bin nicht stark genug dafür. Es war der falsche Weg für mich.“ „Den Eindruck hat man normalerweise nicht...“ „Ich schimpfe nur, damit die Leute mich ernst nehmen.“ „Sehr wirkungsvoll.“ Lily schniefte und versuchte, sich zu beruhigen, aber dann brach es wieder aus ihr heraus. Sorc hätte normalerweise ein paar tröstende Worte für sie gehabt, aber im Moment brauchte er all seine Kraft für sich selbst. Er ließ sich noch nicht einmal zu einem anzüglichen Spruch hinreißen, und das fand er schon alarmierend. Sie kroch zu ihm ins Bett und unter seine Decke, wo sie geradezu verzweifelt seine Nähe suchte. „Was war es, was du mir in einem romantischen Moment sagen wolltest?“ erkundigte er sich schließlich. Dieser Moment war romantisch genug. „Wir... wir bekommen ein Kind,“ sagte sie. „Es ist schon eine paar Wochen unterwegs...“ Das überraschte Sorc nicht, er hatte die Veränderung an ihrer Aura bemerkt, sie aber nicht darauf angesprochen. Seiner Erfahrung nach wollten Frauen die frohe Botschaft gerne selbst verkünden. „Das ist großartig!“ freute er sich. „Aber ich muss dich warnen. Es wird bestimmt ein mächtiger Magier. Ist es okay für dich, wenn ich, nun... wenn ich keiner mehr bin?“ Die Frage löste eine neue Tränenflut bei ihr aus. „Was machst du denn, kleine Fee?“ beschwerte er sich. „Willst du mit deinem Gejammer an meiner sorgfältig aufgebauten Mauer kratzen, bis mir auch die Tränen kommen, sobald ich an meine ausgebrannte Magie denke?“ Da war es – ein stechendes Gefühl in seinem Herzen, als er das so offen aussprach. Er hatte sich mehr vor diesem Gefühl gefürchtet als vor der Tatsache selbst. Vor dem Moment, in dem der Verlust ihn schwach machen würde und an seinen Überzeugungen rüttelte, seine Prinzipien untergrub und seinen festen Glauben an die eigene Kraft erschütterte. Seine Kraft bestand darin, dass er niemals zweifelte. Chaosmagier zu sein hieß, an alle Möglichkeiten zu glauben. Doch jetzt fragte er sich unwillkürlich, ob das noch für ihn galt. War es vielleicht besser, den Verlust hinzunehmen und nach vorne zu schauen, anstatt sich starr an die Hoffnung zu klammern, dass seine Magie nicht ganz verloren war? Lily wischte sich über die Augen. „Ich... es tut mir Leid... Aber ich... ich kann das nicht heilen! Wie soll ich dir denn nur helfen? Da bin ich Heilerin und kann nichts machen...“ „Aber das ist nicht deine Schuld!“ Sorc strich ihr übers Haar. „Niemand kann das heilen. Aber es bringt mich nicht um.“ Sie schien von dieser Aussage überrascht zu sein, denn sie schaute ihn ganz groß an. „Ich dachte... ich dachte, die Magie bedeutet dir so viel...“ „Ja, das tut sie,“ gab er zu. Das Kind in seinem Inneren starrte immer noch voller Schrecken auf die Trümmer seines Lebens. Vindictus hatte von einer Wunde in ihm gesprochen. Die konnte er ganz deutlich spüren. Es waren jetzt wohl tröstende Worte angebracht... in dem Stil, dass seine Familie ihm viel wichtiger war und dergleichen. Aber das hätte bedeutet, seinen Verlust zu leugnen oder zumindest herunterzuspielen. Und er war nicht der Typ für sentimentale Heucheleien. „Du musst mir nicht helfen,“ sagte er statt dessen. „Behandle mich einfach wie immer... naja, nur frag mich nicht, ob ich dir mal ein Licht zaubern kann oder so.“ Lily brachte ein etwas verunglücktes Lachen zustande. „Na gut...“ Er hatte das Gefühl, dass sie noch mehr sagen wollte, es sich aber ihm zuliebe verkniff. Vielleicht eine halbe Stunde später erschien Vindictus auf der Bildfläche. Er trug einen Bademantel und hatte ein Handtuch dabei. Um diese Uhrzeit hatte er noch keinen Dienst, aber er wollte vor seinem Morgentraining nach dem Patienten sehen. Letzterem ging es anscheinend ganz gut, man konnte ja direkt neidisch werden. „Lily! Das ist nicht die gewünschte Arbeitsmoral!“ Er hatte ja Verständnis für die jungen Leute, aber er neckte sie ganz gerne mal. Die Fee war dann auch so anständig, verlegen zu tun und von dem Chaoshexer runterzusteigen. Vindictus betitelte Sorc in seinen Gedanken noch immer wie früher... er hatte sich in der kurzen Zeit nicht umgewöhnen können, und außerdem wollte er da erstmal abwarten. „Mach ihm einen Tee, Lily. Der Mann muss viel trinken, und vergiss sein Frühstück nicht. Dann wechsle die Verbände,“ ordnete Vindictus an. „Machst du nicht etwas viel Wind wegen dieser Verbände?“ erkundigte Sorc sich, als Lily sich entfernte, um die Anweisungen auszuführen. „Die Salbenreste müssen entfernt werden,“ sagte der Alte. „Aber mal davon abgesehen, Sorc... wie fühlst du dich?“ Mit dieser Frage hatte er wohl nicht gerechnet, denn er druckste ein wenig herum. „Nun ja... wie man sich eben fühlt...“ „Etwas genauer. Hast du Schmerzen? Fühlst du dich geschwächt? Ist dir übel?“ „Äh... etwas matt. Die Schmerzen haben nachgelassen. Der Hals tut nicht mehr weh.“ „Und weiter?“ „Wie weiter?“ Vindictus nutzte Lilys Abwesenheit und sagte unverblümt: „Sie haben dir die Magie ausgebrannt. Jeder, dem das passiert, reagiert eigentlich mit Panik, Wut, Trauer oder variablen Mischungen von allem.“ „Aha. Wie oft hast du das denn schon beobachten können?“ „Selber zweimal, aber ich habe Berichte von anderen gelesen und mich mit Kollegen darüber ausgetauscht. Ich möchte, dass du noch mindestens drei Tage zur Beobachtung hier bleibst.“ Sorc setzte sich empört auf. „Was? Drei Tage? Wieso denn das? Ich habe doch keine Krankheit!“ „Wie gesagt, zur Beobachtung. Und wegen des Vampirbisses. Vampire zählen zu den Wesen mit Magie. Und Magie verträgst du derzeit nicht, das habe ich dir gestern erklärt. Ein Biss direkt nach der Prozedur ist eigentlich unverantwortlich. Entweder wusste Genesis das nicht, oder sein Hunger war schlichtweg stärker.“ „Ich hab nichts! Und es ist langweilig hier, Vindictus.“ „Fürchtest du dich vor der Zeit, die du dann zum Nachdenken hast?“ Sorc schwieg. War da eine leichte Unsicherheit in seinem Blick? „Du kannst ein bisschen aufstehen und umhergehen, aber bleib hier. Falls hier jemand vom Zirkel des Bösen auftaucht, werde ich ihm erzählen, du hättest ein Fieber oder sowas. Spiel deine Rolle.“ Damit drehte er sich um und verließ das Schloss. Es war noch früh, da hatte er Ruhe für sein Training. Körperlicher Ausgleich zur Arbeit war immer wichtig. Crimson wartete schon am Strand. Vindictus konnte das Siegel auf seinem Rücken sehen und musste amüsiert daran denken, dass es schlimmer hätte kommen können für den Jungen... aber er hatte Sorc damals nicht verraten, dass er ausbrennen konnte. Dafür war die Bezahlung nicht gut genug gewesen. In letzter Zeit waren ihm noch andere Symbole an Crimson aufgefallen. Sie schienen manchmal auf seiner Haut zu schimmern... aber immer nur so kurz, dass Vindictus sie für Einbildung hielt. Aber auch Crimsons Aura hatte sich leicht verändert. Nun, es mochte daran liegen, dass jeder sich im Laufe der Zeit weiterentwickelte. Als Schlossherr mit der Verantwortung für mehrere junge Leute hatte er schon passable Fortschritte gemacht. Und letztendlich ließ sich vieles damit erklären, dass Sorcs Verbindung mit dem Schlossherz sich auch auf dessen Meister übertrug. Der Weißhaarige bemerkte ihn und wandte sich um. „Oh... da bist du ja endlich. Du hast mich warten lassen. Warst du bei Sorc?“ „Du hast nicht nachgesehen?“ neckte Vindictus ihn. „Ich mache das nicht immer. Eigentlich habe ich mir sogar abgewöhnt, alles und jeden überwachen zu wollen, davon kriegt man ja einen Kontrollfimmel!“ „Gute Einstellung, Jungchen.“ Vindictus legte sein Handtuch auf dem Sand ab. „Ich kenne Sorc als einen Mann, der stets beherrscht und sachlich ist, aber auch ein Magier mit Herz und Seele. Ich mache mir Sorgen, weil er gar nicht zu realisieren scheint, was mit ihm passiert ist.“ „Ich glaube, er spielt für uns den harten Kerl,“ meinte Crimson. „Wie immer.“ „Naja... oder es ist noch der Schock,“ überlegte Vindictus. „Gibt es jemanden, dem er sich anvertrauen würde, wenn er ein Problem hätte?“ „Naja... ich hoffe doch, mir!“ Crimsons Antwort kam ohne langes Nachdenken. Der alte Heiler sah überrascht zu ihm auf. „Tatsächlich? Ich hätte eher an seine Mutter oder den Bruder gedacht.“ „Wir vertrauen einander,“ versicherte der Schlossherr. „Wenn Sorc mit jemandem über seine Sorgen reden würde, dann mit mir. Vielleicht auch mit Ray. Für seine Mutter ist er der älteste Sohn, der mit gutem Beispiel voran gehen muss, und für seine Kinder der Vater, zu dem sie aufblicken. Lily möchte er nicht beunruhigen.“ „Du hast vielleicht Recht. Wenn Sorc zu dir kommt und Hilfe sucht, kriegst du das hin?“ „Ich tue zumindest mein Bestes. Wieso, willst du den Job?“ „Ich bin Necromant, kein Psychologe. Und jetzt rein mit dir ins Wasser, oder willst du den Tag vertrödeln?“ Vindictus legte den Bademantel auf seinem Handtuch ab und ging schonmal vor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)