Bienenwachs von abgemeldet ================================================================================ Vom ersten bis zum letzten Türchen ---------------------------------- Vom ersten bis zum letzten Türchen Es ist der erste Dezember. Der erste Advent ist schon vorbei und wohl überall auf der Welt ist längst die besinnliche Weihnachtsstimmung in die Gemüter der Menschen eingezogen. Noch glitzert kein watteweicher Schnee in den Vorgärten, doch liegt schon der feine Geruch von baldigem, dickflockigem Schneegestöber in der eisklaren Winterluft. Jedes Gesicht das man auf der Straße erblickt zaubert ein seliges Lächeln für sein Gegenüber auf seine Lippen und überall blinken leuchtend bunte Lichterketten, die sich anmutig um Hausfassaden und sogar zwischen den kahlen Ästen von entlaubten Bäumen ranken. Sterne strahlen ihr mildes Licht von Fenstern zu den Vorübergehenden als wollten sie deren Weg erleuchten und wohin man geht, immer duftet es nach frischgebackenen Plätzchen, aromatischem Zimt und köstlichen Lebkuchen. Seto ließ die Zeitung mit einem verächtlichen Lächeln in den Mülleimer fallen. Der Autor musste vor dem Schreiben dieses Artikels eine beachtliche Menge Drogen konsumiert haben, wenn er diesen Schwachsinn tatsächlich selbst glaubte. Besinnliche Stimmung hieß wohl nichts anderes als sich so zudröhnen, dass man tatsächlich nur noch mit einem dummdreisten Grinsen im Gesicht herumlief. Es blinkte und leuchtete tatsächlich überall in den buntesten Farben, sobald man einen Schritt vor die Tür machte, aber das kreischend bunte Geflacker und Geblinke verursachte eher epileptische Anfälle als besinnliche Ruhe. Und den Duft musste sich der Autor wohl allenfalls eingebildet haben, denn seit wann dufteten gekaufte Gebäckstücke einer Billigladenkette, die im Doppelpack um 100 Yen billiger waren als einzeln, wie "frischgebacken"? Ruhe und Harmonie brachte die Weihnachtszeit höchstens Rentnern, der Rest der Welt hetzte doch gestresst von Geschäft zu Geschäft um einfallslose und außerdem überflüssige Geschenke für Wucherpreise zu erstehen, mit denen sowieso nie jemand zufrieden war, so dass das Kreischen und Heulen nerviger Kleinkinder die doch nicht die HiFi Anlage bekommen hatten, die sie wollten, groß werden würde, wie immer. Und außerdem musste man sich, Weihnachtszeit hin oder her, doch jeden Morgen in die Arbeit stürzen, die zu dieser "friedlichen" Zeit fast überall in unübersichtlichen Mengen anstieg. Genauso erging es ihm wie jedes Jahr wieder. Kaum heimgekommen verkroch er sich zwangsweise in seinem Büro hinter den Schreibtisch und begann auf die Tastatur seines Notebooks einzuhämmern. Doch kaum hatte er sich in seine Aufgabe vertieft, wurden seine Denkprozesse durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Unwillig blickte er auf, machte aber keinerlei Anstalten verbal auf das Zeichen zu reagieren. Doch das war gar nicht nötig, denn die Tür öffnete sich auch ohne Aufforderung einen Spalt. Schon verfinsterte sich der berechnende Blick des Geschäftsmannes, da kam ein schwarzer Wuschelkopf zum Vorschein als Mokuba seinen Kopf durch den Spalt streckte und vorsichtig hinein spähte. "Seto?" Der Angesprochene war gar nicht in der Stimmung für eine Störung selbst wenn sie nur von Mokuba ausging. Beinahe war es ihm im Moment besonders unangenehm auf seinen Bruder zu treffen, der trotz seines Alters noch immer die gleiche rosarote Weihnachtsbrille zu tragen schien, wie jener stümperhafte Zeitungsautor. "Was gibt's, Mokuba?", fragte er ohne seine Ungeduld zu verhehlen. "Mach es kurz, ich habe zutun." Mokuba schluckte und trat dann wortlos ein. Sein Gespür für Setos Gemütszustand ließ ihn sein weiteres Handeln genauestens überdenken und behutsam vorgehen, obwohl er ja gar nichts Negatives im Sinne hatte, doch wenn Seto arbeiten wollte, wäre selbst eine Lobesrede auf ihn Fehl am Platz. Vorsichtig schob sich der Junge gänzlich in den Raum und trat an den großen Buchenholzschreibtisch heran. Sein Blick schweifte über die beladene Oberfläche auf der für gewöhnlich peinliche Ordnung herrschte. Doch in der letzten Woche hatte Seto sich jeden Tag zusätzliche Arbeit in Form von dicken Aktenordnern, losen Blättern und unzähligen CDs und Disketten mitgebracht, allesamt höchstwahrscheinlich vollgestopft mit wer weiß was für Informationsfluten. Diese vollgestopften Datenträger überschwemmten nun geradezu die Arbeitsoberfläche von Seto und selbst wenn man sämtliche Daten auf winzig kleine USB-Sticks gepackt hätte, würden diese wohl jetzt haufenweise neben dem Notebook liegen. So aber war nicht nur der Schreibtisch betroffen, sondern auch die unmittelbare Umgebung dessen, denn die Aktenordner für die kein Platz mehr war türmten sich auf dem Boden. Dennoch wirkte alles seltsam systematisch und Seto hatte ohnehin selbst über heilloses Chaos den Überblick, wenn es ihm auch nicht lieb war. Aber aufgrund des Platzmangels war Mokubas Anliegen doppelt schwer vorzubringen, wenn man dann noch beachtete, dass Seto seit Mitte November in ein Stimmungsloch gefallen war, das mit den Massen an zusätzlicher Arbeit, aber auch mit dem bevorstehenden Fest und der damit verbundenen allgemeinen Stimmung um ihn herum zutun hatte. Als überzeugter Realist mit wenig Sinn für Feierlichkeiten ohne jeden ersichtlichen praktischen Wert schnitt ihm diese illusionistische Weltfriedenfröhlichkeitsstimmung jedes Jahr wieder so tief ins Herz, dass es kein Wunder war, dass er milde ausgedrückt dauerhaft mürrisch war. Dieses Jahr hatte Mokuba dieser Umstand besonders tief getroffen, wünschte er sich doch nichts sehnlicher, als dass auch Seto einmal Freude in diesen Tagen empfinden könnte, doch stattdessen war das Gegenteil eingetreten und der kühle Geschäftsmann zog sich auch vor Mokuba extrem zurück und vertiefte sich so sehr in seine Arbeit, dass Mokuba sich nicht entsinnen konnte wann sie zuletzt zu zweit etwas unternommen hatten, das nur der Zerstreuung und dem Zusammensein diente. Seto schien Mokuba in der Zeit der Begegnung, in der die Menschen doch angeblich alle näher zusammenrückten, so fremd und unerreichbar wie nie. "Ich hab nur was für dich, damit du mal was anderes als Arbeit vor dir siehst.", brachte der Junge mit einem kindlichen Lächeln vor und zog etwas hinter seinem Rücken Verborgenes hervor um es Seto entgegenzustrecken. Es war eine Kerze. Keine dieser dicken, roten Kugelkerzen die so typisch für Weihnachten sind, auch keine dieser gertenschlanken Exemplare, die ohne Halterung nicht aufrecht stehen können, nein es war eine ganz schlichte, zylinderförmige Bienenwachskerze. Die honiggelbe Oberfläche mit wabenförmigen Vertiefungen versehen, aber sonst von jedem Gold- oder Silberglimmerkitsch verschont. Sie wirkte beinahe so simpel und unscheinbar, dass es merkwürdig war, dass Mokuba sie überhaupt in der heutigen Luxusauswahl an bunten, duftenden Kerzen aller Arten und Formen gefunden hatte. Verständnislos starrte Seto auf die schlichte Gabe und runzelte die Stirn. Er war kurz davor seinen Bruder aus dem Zimmer zu werfen. Hatte er etwa den Verstand verloren, ihn mit so etwas von den minütlich weiter anwachsenden Bergen von zu erledigenden Arbeiten abzuhalten? Oder vernebelte ihm dieser ganze Weihnachtssmog auch schon alle Sinne? Mit zusammengepressten Zähnen brachte er etwas Unverständliches über die Lippen und deutete dann auf ein Wandregal seitlich seines Schreibtisches auf dem zwischen der dort stehenden und nie auch nur beachteten Trivialliteratur, noch Platz für die Kerze war. Als hätte Seto mit Freudentränen reagiert begann Mokuba zu strahlen und postierte das Geschenk auf dem Regal, nuschelte ein fröhliches "Bis später" und verschwand aus dem Zimmer. Merkwürdig, dass er sich freute, dass Seto das Geschenk überhaupt angenommen hatte, früher wäre er über das distanzierte, ja abweisende Verhalten seines Bruders entsetzt gewesen. Waren sie sich wirklich schon so fremd? Das Lächeln erstarb auf seinem Gesicht und mit hängenden Schultern zog sich der Junge frustrierter denn je in sein Zimmer zurück. Seto indessen hatte keinerlei Zeit mehr verschwendet um seinem Bruder hinterher zu schauen oder gar sich die Gabe genauer anzusehen und sich sofort und zielstrebig in sein scheinbares Akten- und Datenchaos vertieft. Bienenwachs musterte aufmerksam die ungewohnte Umgebung. Seine Sicht war merklich begrenzt, da auf der einen Seite Bücher, auf der anderen eine Stütze des Regals sein Blickfeld eingrenzten. Doch das hielt ihn nicht davon ab, seinen zylinderförmigen Körper ein Stück nach vorne zu beugen um seinen neuen Mensch in Augenschein zu nehmen. Was ein Mensch war, wusste er von einigen Nachbarn in der Auslage in der er erst kurz gelegen hatte. Manche von ihnen lagen seit einer kleinen Ewigkeit dort herum und hatten daher schon viel gesehen und erfahren, was sie gerne weitergaben. Doch nichts was sie Bienenwachs, der seinen Namen nicht von ungefähr hatte, erzählt hatten, ließ ihn das verstehen was er nun vor sich sah. Der Riese der sich als einziges weiteres, lebendiges Wesen in diesem Raum befand starrte unentwegt auf eine hell leuchtende, viereckige Fläche und drückte auf einem Miniaturklavier herum, das ganz offensichtlich kaputt war, denn statt einer Melodie kam nur derselbe Klickton heraus, welche Taste er auch betätigte. Ein komischer Kauz. Bienenwachs hatte sofort einen Namen für ihn: Starrfels. Ja, das passte hervorragend, aber umso unpassender erschien im die Tatsache, dass Starrfels und Löwenmähne verwandt sein sollten, Brüder wenn er recht verstanden hatte. Was hatte der Junge gemurmelt, irgendwas über Arbeit, Entfremdung und über Aufmuntern. Hatte das alles mit Starrfels zutun? Er vermutete es, aber weitere Beobachtungen würden es beweisen oder widerlegen. Also tat Bienenwachs das, was Kerzen am zweitliebsten tun, er beobachtete. Tagein, tagaus stand er auf dem Regal ohne beachtet, aber immerhin auch ohne entzündet zu werden. Er lehnte sich nach vorn und schaute Starrfels, den die Menschen Seto oder Kaiba nannten, bei seinem Tun in diesem Raum zu. Genauso merkwürdig wie die Angewohnheit jemandem gleich zwei Namen zu geben, die auch noch überhaupt gar nichts mit dem Namentragenden zutun zu haben schienen, war Starrfels' Leben. Bienenwachs wusste nicht ob alle Menschen in einem Raum lebten, schließlich bauten sie doch riesige Gebäude, aber Seto "Starrfels" Kaiba schien es zutun. Und bald fand die kleine Kerze auch heraus wieso er das tat, das Schlüsselwort lautete "Arbeit". Mokuba, der Bruder, nur Löwenmähne genannt, fragte den Bruder oft, ja täglich danach und dieser erklärte stets er habe zuviel davon. Es hatte wohl auch etwas mit dem stimmlosen Klavier und den vielen beschriebenen Blättern um den jungen Mann herum zutun. Irgendwann, eine Woche war vergangen, blieben die zahlreichen Besuche von Löwenmähne im Zimmer der Arbeit, wie Bienenwachs es fortwährend nannte, ganz aus und die Kerze musste feststellen, dass er ihn vermisste. Nun gab es scheinbar gar nichts Fröhliches mehr, denn Starrfels wurde von Tag zu Tag launischer. Bienenwachs fand dies merkwürdig, schließlich war bald "Weihnachten". Natürlich, er hatte letztlich gar keine Ahnung was Weihnachten war, doch soviel wusste er: Es war ein Grund sich darauf zu freuen und sämtliche Personen die der Lichtspender bisher kennen gelernt und die dieses Wort benutzt hatten, schienen ausnahmslos mit Fröhlichkeit und Begeisterung auf dieses "Etwas" zuzugehen. Nicht so jedoch Starrfels. Seto Kaiba verengte die klaren blauen Augen bei der Erwähnung dieses Wortes zu Schlitzen und seine ganze Haltung spannte sich und an dem Tag an dem Löwenmähne zuletzt in das Zimmer der Arbeit kam hinterließ für Bienenwachs eine schreckliche Erkenntnis. Mokuba bat seinen Bruder zurückhaltend um eine kurze Pause um ihn nach draußen zu begleiten, denn es war Schnee gefallen in der vorangegangenen Nacht und als der Größere ablehnte, ließ sich Mokuba das Argument nicht nehmen, dass doch bald Weihnachten sei und er sich nicht zu sehr stressen sollte. Die letzten Worte die zwischen ihnen fielen war Starrfels' Antwort darauf und Bienenwachs erkannte an seinem müden und erschöpften Gesicht, dass es die Wahrheit war: "Weihnachten bedeutet nichts weiter als Arbeit, Mokuba. Arbeit, Stress und Illusionen, nichts weiter ist Weihnachten." Als sein Bruder den Raum sichtlich geknickt verlassen hatte, ballte der große hagere Mann seine Hände zu Fäusten und wandte sich dem großen Fenster zu, das hinter dem Schreibtisch lag. Die unbeugsame Härte in seinem Gesicht, mit der er seine Erschöpfung und Anspannung gewöhnlich zu überdecken versuchte, spiegelte sich in der Glasscheibe hinter der nur Finsternis lag, wider und begann dann plötzlich zu weichen. Er wirkte älter als er war, ausgelaugt und entkräftet. Bienenwachs zuckte regelrecht zusammen als er die Veränderung gewahrte und als er die geflüsterten Worte hörte, begann er zu zittern. "Ich hasse Weihnachten." Ja das tat er, er hasste das sogenannte Fest der Liebe. Liebe, ha, dass er nicht lachte, falls es dieses ominöse Gefühl, um das alle Welt einen Wirbel machte, wirklich existierte, so sicher nicht an Weihnachten. Weihnachten brachte all das Schlechte im Menschen hervor, das Seto schon seit seiner Kindheit kannte. Er selbst behauptete als letztes ein guter Mensch zu sein, das wollte er auch gar nicht, aber er heuchelte sich auch nicht vor, ein Tag im Jahr würde das ändern. Weihnachten war seiner Meinung nach ein Fluch, den die Menschheit aus der üblichen Feigheit die Wahrheit zu erkennen heraus als Fest getarnt hatte. Ein Grund sich mal wieder voll zu stopfen, Geld aus dem Fenster zu werfen und die Geschäfte anzukurbeln, nichts weiter. Elende Heuchler, Illusionisten. Wem spielten sie alle denn etwas vor, sich selbst und gegenseitig, aber nicht ihm. Nein, er durchschaute dieses teuflische Spiel, das unter christlichem Deckmantel ein Fest des Abschaums der Menschheit war. Er würde sich nicht diesem Schwachsinn anschließen, sondern produktiv bleiben, rational und all das zu seinem Vorteil nutzen, aber er würde niemals mitmachen. Er hasste Weihnachten. Drei Tage lang voller Arbeit, voller Stress und stummen Beschimpfungen des "Festes der Arbeit" glitten an Bienenwachs vorbei ohne Änderungen zu versprechen. Mit jedem Tag wurde er trauriger, im gleichen Maße wie Setos Anspannung zunahm. Dann, ob es Zufall oder Schicksal war, sei dem Leser überlassen, kam der Tag der etwas änderte. Nicht viel und nichts Positives, denn die Veränderung bestand eigentlich nur aus einem Unfall. Bienenwachs war die ganze Nacht wach gewesen weil das kaputte Arbeitsklavier, welches wohl gar kein Klavier war, die ganze Nacht geklackert hatte weil Starrfels darauf herumtippte. Aber auch das Beobachten dieses immer gleichbleibenden, monotonen Vorgangs ermüdete den Lichtspender irgendwann. Noch immer, der besseren Sicht wegen nach vorn gelehnt blickte Bienenwachs hinunter auf den Menschen und bemerkte gar nicht wie er langsam einschlief. Der Aufprall auf dem harten Boden weckte ihn schmerzhaft. Schande über ihn, er war tatsächlich ungewollt eingeschlafen und dabei wohl vornüber umgekippt um dann in die Tiefe zu stürzen. Verzweifelt versuchte er sich aufzurappeln was natürlich ohne Hände und Füße und bei der abgerundeten Oberfläche seines Körpers unmöglich war, das einzige was er zustande brachte, war ein paar Zentimeter weit zu rollen. Da erklangen plötzlich Schritte. Bienenwachs zuckte merklich zusammen und spannte sich nervös an. Ein Paar Stiefel gelangte in seinen Sichtbereich und verharrte dann kurz vor ihm. Gleich darauf schloss sich eine kühle Hand um seinen Körper und hob ihn hoch, um ihn wieder auf seinen Platz zu stellen. Erstarrt ließ die kleine Kerze alles über sich ergehen und war trotz des eingedellten Wabenmusters froh, den Sturz glimpflich überstanden zu haben, doch als er, wieder im Regal stehend das Gesicht seines Retters gewahrte, kehrte die Angst zurück, die sein stets schmelzgefährdetes Herz jedes Mal heimsuchte, wenn er diesen Ausdruck seines Menschen wahrnahm. Die Kälte, die Leere waren schlimmer als jede noch so grauenerregende Emotion gewesen wäre. Bienenwachs kniff die Augen zusammen und wartete bange darauf, dass sich entfernende Schritte und dann wieder das unmusikalische Getippe zu hören wären, doch nichts dergleichen drang an sein Gehörsinn. Mit klopfendem Herzen öffnete er ein Auge und spähte geradeaus. Verwundert blinzelte er, wobei natürlich auch das andere Augen nicht länger geschlossen blieb und starrte direkt in die tintenblauen Augen. Keine Leere mehr, er blickte in ein tiefes Meer ohne Horizont und ohne Grund, das Geheimnisse barg, die niemand je bergen können würde. Bienenwachs schluckte. Starrfels starrte ihn scheinbar direkt an, doch sein Blick ging durch ihn hindurch. Jetzt erst gewahrte das Wachskind, dass noch immer die rechte Hand Setos leicht an seiner gewölbten Oberfläche lag, denn just in diesem Moment zog der junge Mann sie zurück, sein nachdenklich Blick aber blieb. "Mokuba.", murmelte er und schüttelte dann beinahe resignierend den Kopf. Bienenwachs blickte ihn verständnislos an. "Wieso Mokuba, ich bin Bienenwachs.", wollte er sagen, doch der Mensch hätte ihn ohnehin nicht verstanden und so beobachtete er schweigend, wie Starrfels zurück zu seinem Schreibtisch ging und sich mit einem, wieder vertraut hart und entschlossen wirkendem Ausdruck auf dem aristokratischen Gesicht, setzen wollte, wohl um mit der Weihnachtsvorbereitung, die ja "Arbeit" hieß, wie Bienenwachs wusste, fortzufahren. Plötzlich klingelte es und der junge Mann hielt in seiner Bewegung inne. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm offenbar, wer dort unten nach Einlass begehrte und die Härte minderte sich ein wenig. Entschlossenheit und Anspannung jedoch blieben, als er mit einer ruckartigen Bewegung herumfuhr, beinahe gewaltsam das leuchtende Teil des Klaviers herunterdrückte und schon durch die Zimmertür geeilt war. Ja so konnte man die schnelle Gangart nennen, die jedoch noch immer irgendwie beherrscht wirkte. Bienenwachs wurde aus dem Verhalten einfach nicht schlau und schob sich erneut an die vorderste Kante des Regals um zum Fenster hinüberzuspähen. Ein noch völlig zugeschneiter Weg, gleich einer Allee, gesäumt von hohen Tannen zeigte sich ihm und an dessen Ende ein großes schmiedeeisernes Tor, dessen verschlungene Streben verspielt wirkten, obwohl die zuoberst zu Spitzen zulaufenden Metallstäbe sicher nur dazu dienten andere vom Hereinkommen abzuhalten. Bienenwachs runzelte den oberen Bereich seines honiggelben Kerzenkörpers und wollte sich schon zu einem lang ersehnten Schläfchen zurückziehen, als zwei Personen in den Fensterausschnitt traten. Sofort war er wieder hellwach und schaute angestrengt nach draußen. Löwenmähne sprang mehr als dass er ging den Weg entlang und griff ab und an mit seinen behandschuhten Händen in die weiße Pracht um einen Schneeball zu formen und ihn dann in Richtung der zweiten Person, niemand anderes als sein großer Bruder Starrfels, loszuschleudern. Letzterer startete nicht einen Gegenangriff, wich den Geschossen jedoch geschickt aus, während er nicht einmal innehielt, sondern weiter auf die lebende Schneeballschleudermaschine zusteuerte. Bienenwachs' Miene wirkte immer erstaunter. Als Seto den mutigen Schützen erreicht hatte, hob er nur dessen heruntergefallene Mütze auf um sie dem wehrhaften Zwerg mit vorwurfsvollem Blick wieder aufzusetzen. Mokuba wehte sich tapfer gegen diesen Ausdruck von Vormundschaft, den jedes Kind in seinem Alter genervt hätte und spurtete fluchtartig vom Weg ab in Richtung Garten wie die Kerze vermutete, denn das entzog sich seinen Blicken. Starrfels, die Mütze noch immer in der Hand, schüttelte den Kopf und zog sich den langen Mantel enger um die Schultern, bevor er sich auf den unkonventionellen Weg querfeldein durch die Bäume machte um seinem flinken Bruder zu folgen. Ungläubig schüttelte sich Bienenwachs. Was sollte nun dieses Verhalten wieder bedeuten? Waren Starrfels und Löwenmähne nun vollends durchgeknallt? Über diese Fragen grübelnd zog er sich zurück und merkte gar nicht wie er wegdämmerte. Schwungvoll wurde die Tür aufgerissen und herein trat Seto Kaiba. Sein lautstarker Auftritt riss die Kerze auf dem Regal brutal aus ihren Träumen, so dass sie etliche Male blinzeln musste um wieder zu wissen wo sie eigentlich war. Die braunen, wirren Strähnen seines Haares waren noch feucht vom Schnee, kein Mantel ließ seine Schultern breiter erscheinen, ein schneeweißer Rollkragenpullover hatte das schwarze Oberteil ersetzt und in seiner Hand hielt er eine Tasse mit einer dampfenden, braunen Flüssigkeit, die nicht gerade lecker aussah. Besonders interessant war aber der Umstand, dass sich die Haltung des Mannes gänzlich verändert hatte. Als er sich setzte, lehnte er sich locker zurück, nippte an seinem Getränk und schloss scheinbar entspannt die Augen, dessen Farbe heller, kräftiger wirkte als es Bienenwachs bisher aufgefallen war. Doch seine Züge schienen noch immer die Botschaft von Müdigkeit und Erschöpfung zu übermitteln und sobald er die Augen wieder öffnete und sein Blick auf den beladenen Tisch vor ihm fiel, verblasste der Eindruck, dass Starrfels einen anderen Namen benötigte. Die Tasse wurde abgestellt, die angestrengten Augen auf den wieder hell flimmernden Bildschirm gerichtet. Beinahe steif wanderten die langgliedrigen Finger zu den Tasten und es begann wieder von vorn "Klack, klack, klack..." Doch für einen kleinen Moment war das in seinen Augen gewesen, was Löwenmähne angehaftet hatte, als er vor einiger Zeit Bienenwachs ausgesucht und ausgepackt hatte, während er sich ausmalte seinem Bruder damit eine Freude machen zu können. Freude, Glück und Liebe? Abstrakte Begriffe, aber mit denen konnten Kerzen schon immer mehr anfangen als mit berührbaren Gegenständen. Und, ob Weihnachten das Fest der Arbeit war oder nicht, Bienenwachs gefiel dieses eben entdeckte Gesicht von Starrfels viel besser, als das Weihnachtsgesicht. Er sah nicht mehr aus wie Starrfels, nein, eher wie, wie... Klarsicht. Meine Güte, Bienenwachs bemerkte, dass es vielleicht doch sinnvoll war mehrere Namen an ein und dieselbe Person zu vergeben, zumindest für Menschen. Und nach einer Weile, Kerzen brauchten ja immer etwas Zeit, da reifte langsam eine Idee in Bienenwachs' Köpfchen und nahm schließlich eine verschwommene Gestalt an. Doch schließlich wusste er, was es für ihn zutun galt. Die Tage vergingen, Weihnachten rückte näher, es war der 19te Dezember. Seto ärgerte sich. Wie immer, möge man meinen, doch nein, so war es nicht. Ärger bereitete dem Geschäftsmann das Eigenleben gewisser Gegenstände, die dieses immer dann zu entwickeln schienen, wenn er gerade begann sich richtig einzuarbeiten, das trat für gewöhnlich ,schon' nach wenigen Stunden ein. Schon sieben Mal war diese gottverdammte Kerze mit einem dumpfen ,Plumps' zu Boden gefallen und quer durch das Zimmer gerollt. Und jedes Mal schien sie ihm wie ein nervendes Mahnmal, nur, dass er dies selbstverständlich einer Kerze nicht zutrauen konnte. Es war nur eine Kerze, Wachs und in der Mitte ein Docht eingepflanzt, brannte leicht, wenn er in Berührung mit Feuer kam, schmolz dann langsam und sollte Licht und heimelige Atmosphäre verbreiten, mehr nicht. Wachs und Docht. Da er nicht an Schicksal glaubte, waren es nerventötende Zufälle. Signifikant viele, aber egal. Dennoch regte sich bei jedem der Zufälle etwas in seinem Gedächtnis. Mokuba. Er hatte ihm dieses Ding geschenkt, vielleicht verband er sie unbewusst deshalb so eng mit ihm, weil er dieses Geschenk so überhaupt nicht wollte, brauchte und gleichzeitig auch nicht loswerden konnte. Jedes Mal aufs Neue ärgerte sich der junge Geschäftsmann wenn die Kerze zu Boden plumpste, aber nur solange seine Gedanken darauf gerichtet waren, dass seine Arbeit gestört wurde. Dann entsann er sich plötzlich dem Geber des unglückseligen Gegenstandes und Nachdenklichkeit überkam ihn. Ja, es hatte ihm gefallen mit Mokuba zusammen zu sein, auch wenn er Schnee rein gar nichts abgewinnen konnte, besonders nicht, wenn er in Kugelform gegen seinen Kopf klatschte. Auch Weihnachtseinkäufe, Schneemannbauen und Kaminabende waren eher in die Kategorie ,nervend' einzuordnen, aber das simple Gefühl mit Mokuba zusammen zu sein, mit ihm Zeit zu verbringen, hatte ihn beinahe vor Sehnsucht erdrückt. Schauderlich war es von einem so starken Gefühl befallen zu werden, aber selbstverständlich hatte er es unter Kontrolle gebracht. Doch seither pulsierte diese Sehnsucht nach der vertrauten Stimme, dem fröhlichen Lächeln das sein eigenes überflüssig machte und den strahlenden Augen, die voller Wärme für ihn waren, nur für ihn allein, kompromisslos. Pah. Oder verbal ausgedrückt: "Hmpf." wären Setos Kommentare zu diesen Gedanken gewesen, die er sich nicht machte um deren Wahrheit er jedoch wusste, wenn sie auch tief in ihm vergraben lagen. Klar war jedoch seit dem ersten Tag der Weihnachtszeit mit Mokuba, er durfte seinen Bruder nicht vergessen, auch wenn er das ganze Weihnachtsverblödungsprogramm nicht mitmachen würde. Und die Abscheu letzterem gegenüber sorgte dafür, dass er entgegen seines guten Wissens regelmäßig in Arbeit versank und freiwillig darin untertauchte. Und auch wenn es im ersten Moment mehr nervte als es der Hundefreund Yugi und sein Kläffer Joey je gekonnt hätten (was durchaus was heißen will), die einzige Sache die ihn veranlasste des öfteren zum Luftschnappen an die Oberfläche zu tauchen war diese verdammte Kerze! Wachs und Docht, nichts weiter, aber es rettete ihn davor ohne es zu bemerken plötzlich zu ertrinken. Doch heute war wieder alles anders, natürlich jeder Tag ist anders, aber an diesem 19ten passierte auf dem Regal nichts. Als Seto irgendwann am Nachmittag aufblickte und misstrauisch zu hinüberblickte stand die mittlerweile ziemlich in Mitleidenschaft gezogene Kerze an ihrem Platz, wie es sich für einen leblosen Gegenstand eben gehörte. Verwunderlich. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Mokuba längst zuhause sein musste, er hatte nichts mitbekommen. Weil die Kerze heute nicht gefallen war? Ein absurder, wenn nicht gar hirnverbrannter Gedanke, aber er musste sich eingestehen, dass eine innere Uhr sich offenbar schon auf diesen ,weckenden' Vorfall eingestellt war. Aber eingetreten oder nicht, auch so stand er auf, schüttelte kurz verächtlich den Kopf und verließ sein Büro. Es sah nicht viel besser aus als eine Woche zuvor, aber immerhin die Aktenordner waren verschwunden und der noch immer geöffnete Bildschirm flimmerte fröhlich vor sich hin. Bienenwachs öffnete verschlafen die Augen als die Tür hinter Starrfels zuschlug, eigentlich hinter Klarsicht, ach oder hinter Seto, alles war eins und er war alles. Verwundert und erschrocken riss der Lichtspender die Augen auf, als er den leeren Schreibtisch bemerkte. Wo war er denn? Oh du heiliges Streichholz, er hatte verschlafen, wollte er doch heute wieder einen Sturz wagen. Zwar tat ihm schon jeder Zentimeter seines Wachsleibes weh, das gleichmäßige Wabenmuster war größtenteils zerdrückt, und bei seinem dritten Fall war der Docht durchgeknickt und drohte ganz abzubrechen, außerdem hatte er eine große Delle an der Unterkante seines Körpers, so dass er immer zu dieser Seite hinkippte, statt gerade zu stehen. Aber das war alles halb so tragisch, wenn Bienenwachs bedachte, was seine Opfer bewirkten, die Schmerzen wirkten neben Glück oder zumindest dem Ansatz dazu, so unwichtig wie ein Grashalm neben einem Weihnachtsbaum. Was war ein Weihnachtsbaum noch mal? Ach richtig, dieses vollbeladene Tannenirgendwas, das glitzerte und funkelte. Bienenwachs wollte sich an den Kopf schlagen, vergaß dabei aber, dass er weder Arme noch einen Kopf besaß. Wie hatte er nur einschlafen können, ausgerechnet heute, er hatte doch gesehen wie Starrfels, nein Klarsicht, ach zum Kamin mit all den Namen, Seto "Klarsicht, Starrfels" Kaiba hatte noch wenige Tage zuvor für diesen Tag in seinem Kalender vermerkt "Geschenk -> Mokuba" und so wenig ausführlich dies auch formuliert war, die Bedeutung war klar. Und da man sich nicht auf Dinge wie beschriftete Blätter verlassen konnte, hatte sich Bienenwachs das Datum ebenfalls vorgemerkt, er wusste was ein Geschenk war und er wusste wie wichtig diese Angelegenheit sein würde und nun hatte er es vergessen, nein schlimmer noch, verschlafen. Beschämend. Doch halt. Noch war nichts verloren, schließlich saß Starrfels nicht auf seinem Platz, sondern war weg. Hoffnung keimte in Bienenwachs auf. Vielleicht nützten beschriebenen Stücke von Zellulose doch etwas, er konnte es nur hoffen, hoffen und abwarten. Beides tat er für die zwei Menschen die unterschiedlicher nicht sein konnten, die ihm aber nichtsdestotrotz am Herzen lagen. Schließlich war es soweit, der Kalender zeigte den 24ten des Monats Dezember. Alles war gut. Bis auf die Tatsache, dass dies eine grobe Lüge war. Zwar war Starrfels nach seiner Wiederkehr an jenem Geschenketag mit einem flachen Päckchen zurückgekommen, dass er neben der Kerze, zwischen die unberührten Bücher geschoben hatte, nicht ohne Bienenwachs einen misstrauischen Blick zuzuwerfen, als könne er jeden Moment über ihn herfallen. Aber nein, Wachs und Doch, nichts als Wachs und Docht. Das dachte Starrfels jedenfalls über ihn, wie die Kerze mittlerweile wusste. Aber gut war dennoch nichts. Die letzten drei Tage war Bienenwachs mehr als dreimal von seinem Platz "gefallen", bis Seto ihn schließlich hatte liegen lassen, unbeachtet und in seine Arbeit vergraben. Es schien also alles nur schlimmer, selbst zum Essen hatte sich dieser sture Mensch nicht vom Fleck gerührt und schlafen tat er wohl nur sehr wenig und jetzt war Weihnachten, ja den Tag wusste Bienenwachs jetzt, draußen wurde es dunkler und die Zeit der Bescherung kam näher. Allerdings hatte diese sogenannte Bescherung nichts mit Scheren zutun, sondern mit beschenken. Typisch Menschen, warum nennen sie die Dinge nicht nach ihrer Bedeutung? Es tickte zwar keine Uhr im Raum, doch der kleine Lichtspender zählte dennoch die Sekunden. Ordnung war auf der hölzernen Arbeitsoberfläche seines Besitzers eingekehrt, zumindest waren Akten und Blätter verschwunden, einige CDs und nun tatsächlich auch eine Reihe USB-Sticks lagen immer noch sorgfältig gestapelt neben dem Klavier, das übrigens Notebook genannt wurde und auch wenn das eigentliche Tun Setos der Kerze ein Rätsel blieb, war ihm doch bewusst was ihre Anwesenheit darstellte: Arbeit. Offenbar war Weihnachten wirklich das Fest der Arbeit und Löwenmähne hatte mit Schnee, Geschenken und Fröhlichkeit etwas missverstanden. Bienenwachs war ebenfalls nicht zum Freuen zumute, ganz im Gegenteil. All sein Bemühen war umsonst gewesen und es tat weh, dass eine bisher genährte Hoffnung so enttäuscht und rücksichtslos zunichte gemacht wurde. Er hatte es sich so sehr gewünscht, nicht für sich etwas, sondern, dass dieser Tag doch Glück bedeuten würde, auch für Starrfels, doch dieser Glaube war von einem dicken Aktenordner einfach zertrümmert worden. Der Schüler sah jetzt ein, dass Weihnachten nichts Gutes war, ganz und gar nicht. Starrfels würde arbeiten und kalt und hart wie immer sein, Löwenmähne würde traurig und unglücklich werden, weil sein Bruder sich verschloss und er selbst, ja Bienenwachs war ebenfalls unglücklich, weil einfach alles um ihn herum düster wirkte und wo etwas Licht das Dunkel zu durchbrechen schien, war es nur der Schein von elektrischen Kerzen, kalt und künstlich, und nicht echt. Mitten in seinen trüben Gedanken wurde Bienenwachs unterbrochen, als eine helle Stimme durch das Haus klang und sogar durch die geschlossene Tür zu hören war. "Seto! Bist du endlich fertig? Komm runter!" Erwartung, Vorfreude und Hoffnung klang aus Mokubas Stimme. Bienenwachs musste blinzeln, damit ihm nicht eine Wachsträne über das Wabenmuster lief, gleich würde dieser letzte Rest an Gefühlen auch noch enttäuscht werden. Doch auch wenn kein sofortiges Wunder einsetzte, irrte sich der Lichtspender. Starrfels stand nach wenigen Minuten auf, klappte sein Notenbuch-Klavier zusammen und schnappte sich einen Zettel mit komischen Zahlen und Wortmustern von seinem Tisch, bevor er das Büro verließ. Er war zur Beschenkung gegangen? Am liebsten wäre Bienenwachs quer über das Regal getanzt, aber da fiel ihm etwas auf und seine Freude gefror. Das Geschenk! Was auch immer es war, Superhirn Starrfels hatte es doch tatsächlich vergessen! Noch immer stand es unberührt zwischen den Bücher, direkt neben ihm. Kurz davor in Ohnmacht zu fallen, hüpfte Bienenwachs hin und her und fragte sich fieberhaft, was er tun sollte, aber keine glorreiche Idee wollte ihn mit ihrer Anwesenheit erfreuen. Während die Unruhe immer mehr Macht über Bienenwachs gewann, legte sich äußerlich eine angenehme Ruhe über den Raum. Kein Tippen, kein Ticken, nichts, nur Stille. Trotzdem schien ein stiller Countdown vor sich hin zu zählen, wann er bei Null ankam und was dann geschehen würde lag jedoch im Ungewissen. Ob Stunden oder Minuten vergangen waren konnte die Kerze beim besten Willen nicht sagen, doch letzteres schien ihm wahrscheinlicher, als ohne Vorwarnung die Tür schlagartig aufgerissen wurde und jemand hineinraste. Ein Wunder, dass diese Person vor dem Schreibtisch zum Stehen kam und nicht mit voller Wucht dagegen knallte. Mit der Situation mal wieder heillos überfordert verfolgte Bienenwachs das Geschehen kritisch und stellte daher fest, dass es sich bei dem zügellosen Eindringling um niemand anderen als Löwenmähne handelte, der nun stirnrunzelnd auf ein Blatt Papier starrte, auf dem komische Zahlen in Mustern und andere geometrische Formen und ein paar Wörter gedruckt waren. Kein Zweifel, er kannte den Zettel. In diesem Moment betrat auch Starrfels den Raum durch die noch immer offenstehende Tür, allerdings deutlich gemäßigteren Schrittes. Er trug eine schwarze Hose, die weiter geschnitten war als es sonst bei seiner Beinkleidung der Fall war und wirkte zusammen mit dem ebenfalls schwarzen, engen Wollpullover beinahe zu simpel für Seto Kaiba. Das einzig andersfarbige an seinem Körper war der kartenförmige Anhänger, der um seinen Hals an einem Lederband hing. Ja man konnte sagen er sah fast aus wie ein ganz gewöhnlicher Mensch. Und das konnte man auch von seiner Haltung sagen, die, wenn auch nicht völlige Entspannung, so jedoch wenigstens Gelassenheit ausdrückte, schon bevor er sich lässig, mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen lehnte. Ein Lächeln lag nicht auf seinen Lippen, doch wieder einmal konnte Bienenwachs Klarsicht in ihm erkennen, da er seine gleichgültige, arrogante Maske abgelegt hatte und mit leichtem Amüsement und sichtlicher Aufmerksamkeit seinen Bruder beobachtete. "Das ist total unfair! Da denkt man, endlich ist Schulfrei und dann so was.", nörgelte Mokuba gut gelaunt, während er abwechselnd seinen Bruder und die Zahlenkolonnen auf dem Blatt musterte. Starrfels ließ den Protest über sich ergehen und zeigte keine sichtbare Reaktion auf die Worte, so dass Löwenmähne sich bald wieder ausschließlich seinem Blatt widmete. Nach einigen Minuten hellte sich seine Miene ohne Vorzeichen auf, schleuderte das Blatt mit triumphalem Grinsen im Gesicht zur Seite und wandte sich zielgerichtet Bienenwachs zu. Dieser erschrak ein wenig und fühlte sich ertappt, obwohl natürlich klar war, dass niemand seine Observation bemerken konnte. Aber selbst wenn, es stellte sich sogleich heraus, dass er gar nicht das Zentrum Mokubas Interesse war, sondern vielmehr das silbern eingeschlagene Päckchen neben ihm. Nachdem er wusste, wo er suchen musste, wurde Löwenmähne auch gleich fündig und griff nach dem schmalen Geschenk. Ein Blick auf Starrfels verriet, dass er stolz auf den Erfolg seines Bruders war, offenbar hatte dieses komische Zahlen- und Buchstabengekritzel als Hinweis gedient und zu dem Geschenk geführt. Warum machten Menschen eigentlich alles so kompliziert? Eine nie zu klärende Frag im Normalfall, aber für Starrfels musste wohl selbst ein Geschenk verdient sein. Nun ja zugegeben, Mokuba schien dieser Vorgehensweise nicht abgeneigt, der Triumph die Lösung gefunden zu haben schien die Anstrengung aufzuwiegen. Doch diese Überlegungen schob Bienenwachs eilig beiseite um sich darauf zu konzentrieren genauestens zu verfolgen wie der Beschenkte die knisternde Silberhülle aufriss und achtlos auf den Schreibtisch warf, doch trotzdem schillerte der Gegenstand in seinen Händen immer noch silbrig wie kühles Mondlicht. Mit Erstaunen im Gesicht und beinahe ehrfürchtig strich Löwenmähne über das helle Metall. Im harten Licht der Deckenlampe, das bei jeder winzigen Bewegung über die Oberfläche zu tanzen schien und die filigrane Arbeit beinahe lebendig wirken ließ, betrachteten Kerze und Junge das Geschenk sprachlos. Es war eigentlich nur ein silberner Bilderrahmen. Jedoch mit der Besonderheit, dass er aus zwei imposanten Drachen bestand, die sich gegenseitig zu verfolgen schienen und so ein ungefähres Oval umschlossen. Die Flügel der Fabelwesen waren gespreizt, spitze Kralle bewehrten jede Tatze und fantastisch herausgearbeitete Zahnreihen, die spitzer nicht hätten sein können ließen die geöffneten Mäuler trotz der geringen Größe gefährlich wirken. Dennoch machten sie auf den Betrachter keinen bedrohlichen Eindruck, sondern waren allenfalls zwei stumme Wächter, die auf das rechte Wort hin zum Leben erwachen würden. Die kleinen Augen bestanden aus klaren blauen Edelsteinen und schienen jeden zu warnen ihren Schatz zu stehlen. Doch das was Mokuba offenbar viel mehr zu fesseln, ja zu berühren schien war jener "Schatz", den die Geflügelten in ihrer Mitte schützten. Selbstverständlich war es ein Bild, jedoch kein Foto, sondern ein gemaltes Bild, das auf eine gewisse Art sehr lebensecht wirkte, aber nicht den Charakter eines Gemäldes verlor, wenn es auch für diesen Begriff reichlich klein war. Wer immer es angefertigt hatte, verstand sein Handwerk. Zu sehen war ein weißer Drache mit eiskaltem Blick, der sich vor einem dunklen Nachthimmel elegant in die Lüfte wand und auf seinem Rücken saßen zwei Kinder. Löwenmähne schluckte und Bienenwachs fiel beinahe unbeabsichtigt vornüber. Trotz des Alterunterschiedes erkannte man Starrfels und Löwenmähne wieder, aber das waren ein anderer Starrfels und ein anderer Löwenmähne, anders und doch gleich. Während auf dem Gesicht des kleinen Jungen auf dem Bild ein fröhliches, geradezu begeistertes Lachen lag, hatte Seto seine Arme von hinten schützend um ihn gelegt und auch wenn er nicht lächelte, seine Augen taten es, doch war es ein beinahe trauriger Ausdruck. Konnten Augen lächeln? Konnte ein Lächeln echt und doch traurig sein? Bienenwachs blickte zu Seto hinüber. Auch er, hier und jetzt lächelte nicht, weder mit den Lippen noch mit den Fenstern der Seele, aber dafür schimmerte etwas von der Traurigkeit, die doch keine war, durch das Blau seiner harte Augen. Doch bevor er sich dessen durch ein Blinzeln und zweimaliges Hinschauen versichern konnte, fiel Mokuba Seto um den Hals, eigentlich mehr um die Hüfte worauf der Größere wohl nicht gefasst gewesen war. Überrascht ging er in die Knie und löste dabei die kurzen Arme seines Bruders von sich, nur um ihn dann kniend eine Weile festzuhalten und wortlos anzuschauen. Schließlich schlang der Schwarzhaarige seine Arme erneut um sein Gegenüber, diesmal wirklich um den Hals. Erst zögerlich, dann überraschend heftig erwiderte Seto diese Umarmung und drückte den Jungen fest an sich. "Ich hab dich lieb, großer Bruder.", flüsterte Mokuba so nah an Setos Ohr, dass er es nicht überhören konnte und seiner Stimme war das Lächeln auf seinem Gesicht anzuhören. Bienenwachs spitzte die Ohren und nahm das Gehörte mehr beiläufig auf, denn der Anblick der sich ihm bot ließ seine ganze Oberfläche wohlig warm prickeln. Gleich darauf löste sich Starrfels von Löwenmähne und stand etwas steif auf. Er hatte sich wieder im Griff. Dennoch war nicht zu übersehen, dass dieser Moment seine Fassade gründlich erschüttert, wenn nicht gar vorübergehend ganz weggefegt hatte und es schien ihn nicht einmal zu stören, einzig langjährige Routine ließ den abweisenden Gesichtsausdruck zurückkehren, redete sich Bienenwachs ein. Mokuba hatte sich ebenfalls wieder gefasst, zumindest sein stürmischer Dankesausbruch schien bezähmt, aber Glück funkelte noch immer in seinen Augen, als er sagte: "Komm schnell mit runter, du musst doch auch dein Geschenk aufmachen!" Seto nickte und schaute dem Jungen hinterher, der, den Rahmen an sich gedrückt aus dem Zimmer hüpfte. Schon hatte Klarsicht, es passte im Moment besser, den Türknauf in der Hand und wandte sich zum Gehen, da hielt er inne und warf einen langen, nachdenklichen Blick in das leere Zimmer der Arbeit. Es fiel ihm nicht schwer zu gehen. Hatte er bisher regelrecht an diesem Raum geklebt, fühlte er nun nur Erleichterung bei dem Gedanken daran ihn nun verlassen zu können. Nicht, dass er sich freute nach unten zu dem Weihnachtsabend zu gehen, ganz im Gegenteil, aber er freute sich darauf zu Mokuba zu gehen. Ja, es hatte sich etwas geändert. Er hasste Weihnachten nicht mehr wie zuvor, er hasste das was die Menschen Weihnachten nannten mehr, viel mehr, seine kalte Abscheu war nun gefroren und beim Anblick von Weihnachtsdekoration oder anderen typischen Weihnachtsdingen zog sich eine harte Eisschicht um sein Herz. Doch Arbeit, Stress, Heuchelei und Illusionen waren zwar das was die Menschheit aus Weihnachten machte, aber nicht das echte Weihnachten, nicht so wie er soeben einen kleinen Einblick auf das hatte erhaschen können, was Weihnachten wirklich war, oder wenigstens sein sollte, für ihn sein sollte, wenn dies eine perfekte Welt wäre. Dieses Gefühl von Wärme und, ja war es Liebe? Egal, dieser Moment war wie ein klarer Sternenhimmel in sonst bewölkter Nacht und zeigte ihm das wahre Wesen von Weihnachten, das was für ihn wichtig sein sollte. Wie ein Brandzeichen würde dieser winzige Einblick in sein Herz gezeichnet sein und den Hass auf das was Weihnachten für die Allgemeinheit von kurzsichtigen Durchschnittsversagern war, schüren und ihn nie zur Ruhe kommen lassen. Er hasste Weihnachten und er sehnte sich danach. Sein Blick fiel auf die mehr oder weniger verstümmelte Kerze, die merkwürdigerweise noch immer auf dem Regal stand, statt wieder einmal auf dem Boden zu liegen. Eigentlich wollte er sie spätestens nach Weihnachten wegschmeißen, oder aber sie einfach abbrennen um die Gabe nicht völlig herabzuwürdigen, aber nun wusste er was er tun würde. Nichts von beiden genannten Möglichkeiten. Die Kerze würde genau dort bleiben wo sie war, allerdings mit einer Sicherheitsvorrichtung, so dass nicht einmal ein Erdbeben dieses Etwas vom Regal fegen könnte. Vielleicht aber nur bis zum nächsten ersten Dezember... Die Tür schloss sich beinahe lautlos hinter... hinter Seto Kaiba und Bienenwachs war sich nun mit unerschütterlicher Klarheit sicher, zu verstehen. Weihnachten. Er wusste was es bedeutete, es war so einfach. Ein Lächeln huschte über sein unsichtbares Gesicht. So einfach, so klar. Weihnachten bedeutete "Ich hab dich lieb..." ----------------------------- Diese Geschichte ist ... Für alle Seto Kaiba und Mokuba Fans. Für jeden der egal wie alt, von sprechenden Tieren, Toren zu anderen Welten und Fabelwesen magisch angezogen wird. Hier findet ihr eine eigene kleine Fantasiewelt innerhalb der unseren, die bisher kein Mensch wahrgenommen hat. Für die Leute die sich nicht von dem blenden lassen was die Welt aus Weihnachten macht, vom Kitsch, der geheuchelten Eintagsharmonie und der beinahe gierigen Beschenkerei. Aber gleichzeitig für die Menschen, die auf der anderen Seite der Einfachheit halber das andere Extrem wählen und dem Grundsatz nach "Aus Prinzip dagegen" Weihnachten als "total abartig, kitschig, heuchlerisch fromm und nur ne Geldmacherei" bezeichnen. Für die also, die alles was die Menschen um sie herum aus Weihnachten machen, ignorieren können und für sich erkennen, was wirklich wichtig für sie ist. Für die, die Weihnachten einen persönlichen Wert geben, indem sie in sich hineinlauschen... Die einzig wahre und unwiderlegbare Tatsache bezüglich Weihnachten ist nämlich: Weihnachten kann für jeden etwas anderes sein! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)