Zum Teufel mit dem Leitmotiv von winterspross (Sallust Inc. Teil Vier) ================================================================================ Kapitel 3: Drei --------------- Drei ~für Miss Jazzman~ Wo sind denn meine ganzen Leser hin? Danke an zoechan für das Beta und für den einzigen Kommi zum letzten Teil. Viel Spaß beim Lesen. Ich sitze auf einem sonnigen Hinterhofbalkon. Hier ist es angenehm warm, jedoch nicht so heiß, dass es mir unangenehm wäre. Unten im Haus höre ich Mansells Kreissäge knirschen. Anscheinend versorgt er gerade einen seiner künstlichen Patienten. Die Arztpraxis ist jeden Tag zum Bersten voll, schließlich ist er der einzige noch praktizierende Arzt in Rovereto. Und ganz im Vertrauen, er ist auch der Einzige, der bereit ist, beide Teile der Bevölkerung zu behandeln. Cyborgs, von denen es in der Stadt gar nicht so wenige gibt und Menschen werden in zwei verschiedenen Räumen behandelt und wissen gar nicht, dass die jeweils andere Gruppe auch im Haus ist. Trotzdem können es die Bewohner der Stadt nicht lassen, untereinander zu streiten. Ich kann ihre lauten Gespräche gut mitverfolgen. In nicht wenigen geht es um mich. Schon seltsam, schließlich versteckt mich Mansell nicht erst seit gestern, sondern seit einigen Wochen. Seit meinem Unfall ist es still in meinem Kopf. Keine Symphonie reißt mich aus dem Schlaf, kein Fortissimo wechselt schnell mit einem Piano und treibt mich so zur Weißglut. Ich habe meine Ruhe. Ganz Rovereto war auf den Beinen, um mich, den unerwünschten Eindringling, zu finden, doch man hat mich nicht entdeckt. Gut für mich... Ich will gar nicht wissen, was passieren würde, bekäme mich jemand in die Finger. Doch Mansell gewährt mir nicht nur Unterschlupf, nein, er hat mich auch repariert. Nun weiß er, wie mein Innerstes aussieht, er hat sogar die Metallknochen mit dem eingebrannten ,S' der Sallust Inc. gesehen. Nach meiner Kollision mit den Ziegelsteinen hat er meinen Körper wieder funktionstüchtig gemacht und die zerstörte Haut durch neue, menschenähnlichere ersetzt. Auch die Lippen hat er mit den Worten "Die sind ja noch aus dem vorigen Jahrhundert, C.!", neu modelliert und somit restauriert. Vorsichtig streiche ich mit den Fingern über mein Gesicht. Hübsch fühlt es sich an. Ich lasse mich zu einem für mich völlig untypischen Anfall menschlicher Verzückung hinreißen, als ich spüre, wie die weichen Wangen unter den Fingerspitzen nachgeben. Müde lehne ich mich zurück an die aufgewärmte Steinmauer und genieße die Sonnenstrahlen. "Aber Alice, jetzt stell dich doch nicht so an." Mansell hat auch viele Kinder in seiner Praxis. Die Kleine dort unten, die er gerade dazu bringen will, ihre tägliche Dosis Medizin zu nehmen, ist fast jeden Tag da. Sie hat Asthma und eine große Anzahl an verschiedenen Allergien, die ihr das Leben schwer machen. Wieso sich auch die Kinder von Mansell täuschen lassen, verstehe ich nicht. Erwachsenen fehlt oft die Gabe der Kinder, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Sie bemerken Mansells viel zu kalte Haut und seine überdurchschnittlich geschmeidigen Bewegungen, die er als Cyborg einfach haben muss, nicht. Aber die Kinder? Er wohnt schon seit Jahren in Rovereto, ist allgemein beliebt und geachtet. Dass bis jetzt noch niemandem sein Doppelleben aufgefallen ist, grenzt an ein Wunder. Ich höre Schritte. Jemand quält sich die Stiege zu dem Balkon herauf. Irgendwie weiß ich, dass es Mansell ist. Woher, das kann ich nicht genau sagen. Wäre ich eine Frau, würde ich es weibliche Intuition nennen, eine andere Erklärung ist natürlich, dass ich ihn sehr gerne habe und deshalb die Schwingungen seiner Aura spüre. So hat es mir der Doktor einst erklärt. Nun tue ich das, was mir eingeschärft wurde: Ich verstecke mich hinter einem Stapel alter Kisten, damit mich dieser Jemand nicht sieht. Niemand darf mich zu Gesicht bekommen, niemand außer Mansell selbst. "C.?", schleicht sich seine sanfte Stimme in mein Ohr. "Ich bin es nur." Wie schade, dass ich ihn nicht sehen kann. Ich habe ihn noch nicht gefragt, ob ich ihn berühren darf, um ihn zu ,sehen'. Vielleicht ist es dafür noch zu früh, vielleicht bin ich auch einfach nur ein gottverdammter Feigling. Langsam krieche ich aus meinem Versteck. Ich versuche, in Mansells Richtung zu lächeln und verabscheue meine Blindheit, als er mich mit einem leisen Lachen in die richtige Richtung korrigiert. "Jetzt mach dich nicht lustig über mich", murre ich, was ihn nur noch veranlasst, mir bedauernd den Kopf zu tätscheln. Vorsichtig taste ich mich wieder an meinen alten Sitzplatz. Hier gefällt es mir, zwischen dem Unrat und der aufgewärmten Wand. "Ach, dann interessiert des dich gar nicht, was ich dir zu sagen habe?" Ich zögere kurz. "Nein, jetzt nicht." Schweigend setzt er sich zu mir. Sofort hüllt mich ein vertrauter Geruch ein, alte Medikamente und frisch gepflückte Heilkräuter vermischen sich zu einem Parfum, in das nur jemand wie er sich hüllen kann. Ich lehne mich unbewusst an ihn. Da wir beide kühle Haut haben, ist das ein willkommener Gegensatz zu der Wärme auf dem Balkon. Wir sind beide gleich, das macht mich glücklich. Ich habe so wenige wie mich getroffen in all den Jahren, und diese wenigen waren mir nicht so ähnlich, wie Mansell es ist. Er scheint mir wie ein Bruder, ein Freund, an den man sich lehnen kann, wenn es Probleme und Sorgen gibt. Wir schweigen. Vorsichtig drückt er meine Hand. Ich lächle und freue mich über die Stille. Wir müssen nicht sprechen, um uns zu verstehen und das finde ich schön. Plötzlich zucke ich fast unmerklich zusammen. War da nicht ein Pianissimo, ganz tief drinnen in meinem Kopf? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)