Zum Teufel mit dem Leitmotiv von winterspross (Sallust Inc. Teil Vier) ================================================================================ Kapitel 2: Zwei --------------- Zwei ~für Miss Jazzman~ Es ist erbärmlich heiß. Ich hasse die Wüste, bin ich doch am Meer aufgewachsen. Und doch, meine schlechte Stimmung wird besser, denn schon kann ich in der Ferne die ersten Menschen sehen, die mit ihren Eseln, Pferden und Kamelen eine Karawane bilden. Vielleicht sind es Händler, vielleicht aber auch Menschen, die eingesehen haben, dass es hier für sie keine Zukunft gibt. Für mich gibt es sie jedoch, denn ich kann nicht an Hitze oder Hunger sterben, und auch nicht an Einsamkeit, obwohl ich schon oft gedacht habe, dass ich es könnte. Die Einsamkeit ist das Schlimmste, wenn man so ist wie ich. Schon damals, lange Zeit vor dem Doktor und unserem Zusammensein, war ich anders. Zwar wusste das niemand außer mir, doch es war so. Ich bemerkte Dinge, die sonst niemandem auffielen. Gebäude, die von heute auf morgen zusammenfielen und es so schien, als wären sie niemals da gewesen. Vögel, die von den Häusern fielen und sich im Nichts auflösten, bevor sie am Boden aufschlugen. Menschen, die von Tag zu Tag immer durchsichtiger wurden, bis sie irgendwann verschwanden. Die Welt, die immer grauer wurde. Natürlich sprach ich mit niemandem über diese Dinge. Es war nicht gut, anders zu sein und ich wollte keine Probleme bekommen. Meine Arbeit im Büro gefiel mir zwar nicht, aber sie brachte mir Geld ein und ich konnte davon gut leben. Glücklich war ich nicht, aber ich musste wenigstens nicht verhungern wie so viele andere Menschen. Also beobachtete ich still, wie sich die Welt veränderte und hoffte darauf, dass mich niemand beachten würde. Irgendjemand bekam mein erschrockenes Staunen über diese seltsamen Wunder trotzdem mit und verriet mich. Eines Tages holten sie mich von meiner Schreibtischarbeit weg, brachten mich in ein riesiges Gebäude und erklärten mir, der ich mich hysterisch kreischend in den Armen meiner viel zu starken Häscher wand, dass sie mich jetzt umwandeln würden. "Du bist stark genug, das alles zu verstehen", murmelte jemand und dann spritzten sie mir ein Schlafmittel. Damals hörte ich zum letzten Mal den Schlag meines menschlichen Herzens. Als ich wieder aufwachte, war ich kein Mensch mehr. Ich war zu etwas Maschinellem, aber doch auf eine verquere Art und Weise Lebendem geworden, einem Cyborg. Diese Tatsache erschreckte mich zutiefst. Ich hatte einen steinharten Maschinenkörper, ein ewig gleichmäßig pumpendes unmenschliches Herz und ungeheuer geschärfte Sinne für meine Sterblichkeit bekommen. Auf ihre Frage "Bist du jetzt glücklich?" konnte ich nicht antworten, lange nicht. Verstehen? Ich? Oh nein, ich verstand gar nichts. Ich wurde auf die Straße geworfen wie ein Stück Vieh. Ich wurde mir selbst überlassen. Lange Zeit wanderte ich ziellos durch die Welt, die mir jetzt noch grauer und trostloser erschien als je zuvor. Cyborgs waren damals wie heute noch eine richtige Besonderheit und ich, der ich diese gottverdammten blauen Augen habe, wurde verfolgt. Man hielt mich für ein Werk des Teufels. Irgendwie glaube ich fast, die Menschen, die mich damals in den Maschinenkörper gesteckt haben, sind die Teufel, nicht ich. Was konnte ich für meine Sicht der Dinge? Ich war doch so jung. Nichts habe ich verstanden, gar nichts. Ich lebte vor mich hin, stellte erschrocken fest, dass ich nichts mehr essen oder trinken musste, um zu existieren und begann dahinzuvegetieren, denn Leben konnte man das, was ich führte, nicht mehr nennen. Oft lag ich tagelang auf einem Dach herum und ließ mich von der Sonne bescheinen. In dieser Zeit dachte ich viel nach. Eine Zeitlang suchte ich auch nach einem Weg, mich umzubringen, doch diese Gedanken verwarf ich gleich wieder. Egal, wie trostlos mein Leben auch war, ich war zu feige, um Selbstmord zu begehen. Außerdem hätte ich sowieso nicht gewusst, wie ich das hätte anstellen sollen. Eines Tages hörte ich die Hilfeschreie eines Kindes. Ich rettete das zarte Menschenwesen aus den Klauen seiner Verfolger und nahm es mit mir. Weißes Haar, rote Augen, ein Albino. Fremd in dieser Welt, genau wie ich. Ich fühlte mich sofort mit dem kleinen Jungen verbunden. Er riss mich aus meinen düsteren Gedanken und gab mir eine neue Aufgabe, nämlich die, ihn zu beschützen. Also blieb ich bei ihm. Ich blieb bei ihm, als er hungrig und durstig war. Ich blieb bei ihm, als er fast an den Windpocken starb und ihm niemand helfen wollte. Ich blieb auch bei ihm, als ihn die Seelen der Verstorbenen, die ich nur fühlen, er aber sehen und hören konnte, fast um den Verstand brachten. Natürlich finanzierte ich seine medizinische Ausbildung. Dann, als wir in das Haus mit dem verwilderten Rosengarten einzogen, war ich der Meinung, ich würde ewig mit ihm zusammenbleiben. Welch ein Unsinn. Menschen leben nicht ewig, so wie ich es tue. Er starb, er hat mich allein gelassen... Und ich bin wieder allein. Doch damit ist jetzt Schluss. Ich will keinen neuen Gefährten, ich will nur ihn. Also werde ich in dieser Stadt einen Körper für ihn finden. Das mächtige Tor taucht vor mir auf. Es ist alt, genau wie die Häuser und die Menschen, die an den Mauern betteln. Es tut mir Leid, aber ich habe kein Geld für sie. Die Stadtwache sieht mich schon von weitem misstrauisch an. Ich kann von Glück reden, dass es nicht Nacht ist, denn dann hätte mich dieses hübsche Mädchen sicher schon wieder fortgejagt. In der Finsternis leuchten meine Augen in einem glühenden Rot, einer Farbe, die alles und jeden erschreckt. Das Rot gibt mir das Aussehen eines wilden Tiers. Ich kann nicht erklären, warum das so ist, aber es ist eine Tatsache, dass niemand so ein Monster wie mich in der Stadt haben will. Schon oft wurde ich zu später Stunde aus einer Stadt vertrieben, nur weil ich meine Augen nicht gut genug versteckt habe. Doch in Rovereto ist es hell, hell genug, um mich als Mensch auszugeben, als mich die Wache fragt, wer ich bin. Cyborgs sind hier nicht erwünscht, wie sie mir nach kurzer Zeit unmissverständlich mitgeteilt hat. Wir sind zu stark und die ,Menschheit' glaubt doch tatsächlich, dass wir uns irgendwann über sie erheben werden. Eigentlich ist das widersinnig. Schließlich war ich auch einmal ein Mensch und nur, weil ich einen Metallkörper habe, hat sich doch nicht mein Gehirn und meine Art zu denken verändert. "Was willst du hier?" Einen Körper stehlen. "Ich suche meine Verwandten. Ich habe sie bei der Reise durch die öden Lande verloren", lächle ich sie an und hoffe, dass ich sie nicht töten muss. Noch nicht ganz überzeugt mustert sie mich und meine unnatürlich blauen Augen, dann nickt sie schließlich und öffnet eine kleine Luke im Tor für mich, durch die ich hindurch kriechen kann. Die Stadt ist gleich dreckig und heruntergekommen wie alle Städte, in denen ich schon war. Alles ist voller Sand und Schutt, den der Wind von den mehr als baufälligen Häusern trägt. Fast niemand kümmert sich um sie, wahrscheinlich werden die Bewohner der Stadt so lange darin leben, bis sie über ihnen zusammenbrechen. Nur einige Menschen versuchen ihre löchrigen Dächer mit Planen zu flicken, um sich vor den Sandstürmen zu schützen, die so oft über die Wüste hinwegfegen. Kinder spielen auf der Straße, sie jagen einem braun gefleckten Hund hinterher, der bellend vor ihnen flüchtet. Ich sehe ihnen nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden sind. Langsam gehe ich weiter, immer der Nase nach und in der Hoffnung, dass mich irgendetwas zu meinem - vielleicht gar nicht vorhandenen? - Ziel führt. In den Hinterhofgärten der Häuser, die eigentlich keine Häuser, sondern eher Schutthaufen sind, kann ich exotische Blumen riechen. Frauen kochen einfache Gerichte, Männer arbeiten. Normalerweise habe ich übermenschlich schnelle Reflexe, doch dieses Zentner Dachziegel, das sich vom Haus neben mir löst, mich niederreißt und mir im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter ausbläst, sehe ich nicht kommen. Mit einem metallischen Scheppern gehe ich zu Boden. Kinder beginnen hysterisch zu kreischen, ein Hund bellt. Es ist etwas mit meinen Augen passiert, ich kann nichts mehr erkennen. Alles ist schwarz. Menschen kommen mir zu Hilfe, warme, weiche Menschen. Wie schön... Jemand streicht mir eine Locke aus dem Gesicht und schreit auf. Was ist passiert? "Er ist ein Cyborg!", höre ich einen Mann wütend rufen. Gemurmel. "Wie ist der denn hier hereingekommen?" Okay, alles klar. Wahrscheinlich hat mir einer dieser verdammten Ziegel die künstliche Haut aus dem Gesicht gerissen und sämtliche Leute in der Umgebung haben volle Sicht auf meinen metallischen Schädelknochen. Ich rapple mich auf, stöhne, stolpere über etwas und bemerke, wie alles vor mir zurückweicht. Weg hier... Bevor sie mich lynchen. Plötzlich packt mich jemand mit stahlhartem Griff am Arm. Ich zucke zusammen, die Finger meines für mich unsichtbaren Gegenübers sind trotz der Hitze genauso kalt wie meine. Es muss ein Cyborg sein. "Lasst ihn in Ruhe." Die dunkle, angenehme Stimme strahlt eiskalte Autorität aus. Wie betäubt lasse ich mich von dem Fremden mitziehen und bekomme kaum mit, durch welche Straßen und Gassen er mich schleift. Die Menschen haben offenbar Respekt vor ihm und weichen ihm aus. Wer ist er, zum Teufel? Als hätte er meinen Gedanken aufgefangen, bleibt er plötzlich stehen. Ich rieche den vertrauten Geruch von alten, halbzerfallenen Medikamenten. Ist er Mediziner oder drogensüchtig? "Mein Name ist Mansell. Ich werde dir helfen." Das immerwährende Rauschen in meinen Ohren nimmt schmerzhafte Ausmaße an, der Doktor läuft in mir Amok. Ich, ich, ich, ich Was, ich? Ich will ihn. Erleichtert seufze ich auf. Ich bin anscheinend am Ziel meiner Reise angelangt... Es werde Licht, oh Herr. Ich will ihn schließlich vorher sehen, bevor ich ihm seinen Körper raube. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)