Balance von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Aois Hände zitterten noch immer als er die Türe öffnete und einen Schritt zur Seite tat, damit Reita an ihm vorbei in die Wohnung treten konnte. Das Bild war noch immer in seinem Kopf, es hatte sich wieder ein Stück tiefer in sein Gedächtnis gebrannt. Jedes Mal zeigte ihm Mana diesen Alptraum, jedes mal aufs neue um ihn daran zu erinnern was geschah wenn er sich seinem Willen widersetzte. "Denk nicht daran." "Das ist leicht gesagt..." "Ich weiß." "Reita...warum hast du so seltsam geschaut als Mana uns die Akte gezeigt hat?" Eine Weile lang schwieg Reita. Sollte er Aoi das wirklich sagen? Er hatte schon genug Sorgen, mehr als gut für ihn waren. Aber er wollte keine Geheimnisse vor ihm haben, das würde Aoi sicher mehr zusetzen als alles andere, das Gefühl dass er ihm nicht vertraute. "Mein Bruder..." "Was? Dein Bruder? Aber ich dachte... bist du ganz sicher?" Eine unendlich dumme Frage, das wusste Aoi auch. Als würde Reita seinen eigenen Bruder nicht erkennen, wenn er ihn sah. "Ja...er ist es." Langsam ging Reita durch das Zimmer, auf das große Fenster zu. Mit langsamen, monotonen Bewegungen setzte er sich auf das Fensterbrett und lehnte die Stirn an die Glasschreibe, sah hinaus auf das Lichtermeer der ewig dunklen Stadt. Ein gewohnter Anblick, der Aoi irgendwann in den Wahnsinn treiben würde. Wie lange hatte Reita schon nicht mehr gelächelt oder gelacht? Wie lange war es her, dass sie einfach so miteinander geredet hatten? Ewigkeiten... und das Schlimme war, es war seine Schuld. Es war alles seine Schuld. Er hatte ihn in diese Situation gebracht, durch seinen arroganten Egoismus. Trotzdem... auch wenn er wusste, dass Reita litt, er würde in der selben Situation wieder die selbe Entscheidung treffen. Er hasste sich dafür, aber er würde es wieder ganz genau so machen wenn es bedeutete, Reita nicht verlieren zu müssen. Oder hatte er ihn genau dadurch verloren? War Reita nur noch bei ihm weil es sonst sein Leben kosten würde? Hasste er ihn vielleicht? Diese Gedanken kamen immer wieder, ganz egal wie oft er sich einredete, dass Reita aus Freundschaft bei ihm blieb und ihn verstand. Die Gedanken waren immer da, sie wurden nur leider immer und immer stärker. "Ich will diesen Auftrag nicht annehmen..." "Wir müssen aber..." "Nein, ich will nicht. Ich will, dass endlich Schluss ist... Ich kann nicht mehr, hörst du? Ich bin nicht dazu gemacht solche Dinge zu tun. Zu morden und für Mana zu arbeiten, ich bin nicht..." "Ich etwa? Ich bin auch nicht dafür geboren, aber es muss nun mal sein." "Nein, muss es nicht... ich lasse mich nicht mehr von Mana erpressen." Eine Weile stand Aoi einfach da, sah seinen Freund aus traurigen Augen an. "...ich aber... bis in alle Ewigkeit wenn es sein muss. Das ist mir lieber als... der Preis ist zu hoch." "Aber es ist mein Leben, ich kann damit machen was ich will. Du hast es damals nicht gekauft, du hast es verschenkt." In seiner Stimme lag kein Vorwurf, nur sanfte Sachlichkeit. Langsam drehte er sich um und sah Aoi an. Sein Freund hatte den Kopf gesenkt und die Hände zu Fäusten geballt. Er litt noch mehr als er selbst, er würde das nicht mehr lange durchhalten. Aoi war nicht so stark. "Du hasst mich dafür oder?" "Nein, das habe ich dir schon so oft gesagt, glaub es mir doch endlich." "Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, es tut mir nicht leid." "Ich weiß...mir auch nicht. Ich hätte sterben müssen, aber ich wollte es ja auch nicht. Ich wollte... dich nicht allein lassen..." Schweigen hüllte sie eine Weile ein, beruhigte aufgelöste Herzen und ruhelose Seelen für einen Moment und gab ihnen beiden etwas von der Kraft wieder, die sie heute an Mana verloren hatten. "Wenn das wahr ist... dann... dann müsstest du doch auch diesen Auftrag erledigen wollen...um mich nicht alleine zu lassen..." "Ja, das ist der einzige Grund. Ich hoffe nur, es wird das letzte Mal sein...Ich bin kein Mörder. Genau so wenig wie du..." Reitas Blick veränderte sich für einen kurzen Moment, nur so kurz dass Aoi einen flüchtigen Blick in seine Seele werfen konnte. Und wieder keimte diese Schuld in ihm auf, er hatte dieses strahlende Wesen dazu gezwungen ein Leben in Finsternis zu führen. Würde er dies irgendwie wieder gut machen können? Er wollte das Lächeln zurück auf sein Gesicht zaubern, wollte Reita wieder glücklich sehen. Er wusste nicht wie er dies schaffen sollte, aber er würde alles dafür tun. Alles. ~ Langsam öffnete Aiji die Augen. Sein ganzer Körper schmerzte, er konnte spüren dass seine Wunden zwar versorgt waren, aber einige bluteten noch leicht. Mühsam setzte er sich auf, seine Haut brannte an den Stellen an denen das schwarze Zeug geklebt hatte. "Bleib liegen..." Kohtas Stimme drang durch den Nebel der ihn noch immer umgab dumpf an sein Ohr und erschreckte ihn leicht. Er hatte nicht gesehen dass er nicht allein war. "Leg dich wieder hin... hier, trink was." "Danke... wie... wie lange..." "Nicht lange, ein paar Stunden... wie fühlst du dich?" "Nicht gut..." "Denk ich mir... schlaf noch eine Weile, deine Verletzungen sind nicht schwer, aber du warst von oben bis unten mit diesem Teerzeug beschmiert." "Danke..." "Schon gut..." "Kohta, es tut mir leid, ich habe... ich habe mal wieder..." "Aiji-kun, ist schon gut. Ich mach dir wegen nichts Vorwürfe, es ist okay. Ich lass dich noch eine Weile schlafen..." Bevor er etwas sagen konnte verschwand Kohta aus dem Zimmer und schloss die Türe leise. Erst jetzt fiel Aiji auf, dass er in Kohtas Bett lag. Was war geschehen nachdem Miyavi ihn so hart erwischt hatte? Er erinnerte sich an nichts... nur an eine Stimme... Eine sanfte, leise Stimme, die er in seinem Kopf gehört hatte. 'Aiji...deine Kraft ist da... lass mich dir helfen sie zu befreien...' Er wusste nicht ob er diese Worte beängstigend oder beruhigend finden sollte. Was war das für eine Stimme gewesen? Er hatte sie noch nie zuvor gehört... Einen Moment überlegte er ob er Kirito oder den anderen davon erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. ~ Yoshiki schreckte auf. Verdammt, er war eingeschlafen. Er hatte das Klopfen an der Türe nicht gehört und nun stand Toshi vor ihm. Mit einem ernsten Ausdruck, der so gar nicht zu ihm passte... "Yoshiki... jemand möchte dich sprechen..." "wer?" "...das...das Elitecorps ist hier..." Es gab kaum eine Nachricht, die so erschreckend und so beruhigend zugleich sein konnte. Wenn das Elitecorps in der Nähe war, war man vor allem sicher. Sie waren die größten fünf Meister die es je gegeben hatte, unschlagbar und ohne Schwachstellen. Sie unterstanden jedoch keinem Befehl, sie tauchten da auf, wo sie es für sinnvoll erachteten, wo die Gefahr am größten und ihre Kräfte am ehesten gebraucht wurden. "Schick sie rein..." Er würde nur zwei, vielleicht drei Minuten haben um sich auf sie vorzubereiten. Langsam stand er auf, ordnete ein paar Akten und spielte nervös mit dem Kugelschreiber herum. Das Elitecorps war hier... er hatte ihre Kräfte gar nicht wahr genommen. So mächtig waren sie also, dass sie selbst ihre eigene Aura verbergen konnten. Es herrschte absolute Stille, beinahe unheimlich. Nach einer Weile vernahm Yoshiki Schritte von draußen, aber es klang nur wie eine einzige Person. Was bedeutete das? Die Meister trennten sich niemals, nicht einmal für ein paar Sekunden. Toshi öffnete die Türe, und hinter ihm traten die Fünf ein. Vollkommen lautlos und in perfekter Anordnung. Augen und Ohren vorne, Gefühl und Wahrnehmung hinten, das Medium gut behütet in der Mitte. In dem Moment, indem sie eintraten, überkam Yoshiki wieder dieses Gefühl, das Gefühl das er immer hatte wenn er ihnen gegenüber stand. Es fühlte sich an als wäre er komplett durchsichtig. Jeder Herzschlag, jeder Atemzug, selbst das Pulsieren seines Blutes waren für Shinya hörbar, so leise man auch zu flüstern vermochte, man konnte kein Geheimnis vor ihm haben. Unmöglich. Er hörte alles, selbst den Windzug zwischen zwei Grashalmen oder den Regen, wenn er noch in großer Höhe fiel, ohne den Boden zu berühren. Shinya verkörperte die Ohren der Fünf, Die stellte die Augen dar. Es gab nichts was seinem Blick entging. Ein Schauer lief Yoshiki den Rücken hinab, er wollte sich gar nicht vorstellen, was Die alles sehen konnte... er wusste, dass der hochgewachsene Rotschopf durch Wände zu sehen vermochte, er wusste bis ins kleinste Detail was sich in Yoshikis Schreibtisch befand. Wie tief er wohl noch sehen konnte... Die und Shinya schwiegen in permanenter, lautloser Kommunikation miteinander. Ihre Gedanken waren so fest miteinander verbunden, dass sie zur selben Zeit blinzelten, im selben Rhythmus atmeten und mit Sicherheit schlug Ihr Herz auch im selben Takt. Von grund auf verschieden, aber unzertrennbar. Genau wie Kyo und Toshiya. Kyo brauchte einen nicht einmal anzusehen, er spürte sofort welche Kräfte man besaß, wie stark man war, ob man Rechtshänder war, welche Fähigkeiten und Talente man hatte. Toshiya spürte diese Kräfte nicht, er nahm die Absicht die dahinter steckte wahr. Er konnte in die Seele eines Menschen blicken, seine Gefühle und Ängste, Wünsche und Träume, alles über diesen Menschen lesen. Er und Kyo befanden sich in einer ähnlichen Symbiose wie Shinya und Die. Unzertrennlich und aufeinander angewiesen, zusammen eine unglaubliche Kraft. Und in der Mitte war Kaoru, das Medium. Der stechende Blick der Stimme der Fünf ruhte permanent auf Yoshiki, als dieser den Kopf leicht senkte um sie zu begrüßen. "Seid gegrüßt... es ist lange her, dass mir die Ehre zuteil wurde Euch hier willkommen zu heißen." "Es ist lange her, dass die Umstände es erforderten, Yoshiki-sama." Kaorus dunkle sanfte Stimme schaffte es, Yoshiki ein wenig zu beruhigen. Mit Sicherheit hatte Toshiya ihm gesagt, wie Yoshiki sich fühlte... "Welchen Umständen ist unser unverhofftes Aufeinandertreffen zu verdanken?" "Es geraten Dinge ins rollen, die schwer zu erfassen sind... es besteht große Gefahr für dich, für die reine Seele und für deine Wächter. Mana hat an Kraft gewonnen und seine Entschlossenheit lässt keine Verzögerungen mehr zu." "Ja, das weiß ich, ich erwarte seinen ersten Angriff jeden Tag." "Yoshiki... sein erster Angriff ist bereits erfolgt. Wir halten uns noch zurück, es ist wichtig dass die Ereignisse ihren eigenen Lauf nehmen. Wir sind nur hier um dich zu warnen. Wir werden keine Zeit haben dich zu schützen..." "Ich weiß. Meine Zeit neigt sich ohnehin dem Ende zu." "Darüber können wir keine Aussage treffen." Ein Lächeln stahl sich auf Yoshikis Lippen und er trat hinter dem Schreibtisch hervor, die Hände locker gefaltet. "Es gibt ein paar Dinge, von denen wir wissen, die für dich von großem Interesse sein könnten. Aber es ist von unabdingbarer Wichtigkeit, dass du dem Schicksal genügend Vertrauen entgegenbringst. Alles muss zur richtigen Zeit geschehen." "Zeit ist ein Luxus den ich mir nicht leisten kann, deswegen bin ich darauf angewiesen dass die Dinge ihren Zeitpunkt selbst wählen." "Du weißt, dass Reita in die Sache verwickelt ist?" "Ich dachte mir, dass er früher oder später wieder auftauchen würde..." "Seine Interaktionen erfüllen uns mit einer nicht zu unterschätzenden Besorgnis. Der Zeitpunkt seines Ablebens ist längst überschritten. Es bringt nichts gutes wenn Seelen länger wandeln als natürlich." "Sagtest du nicht eben, ich solle dem Schicksal vertrauen? Vielleicht solltest du dich an deine eigenen Worte halten? Vielleicht hat das Schicksal ja zum ersten mal Gnade mit uns... vielleicht ist er ein Werkzeug des Schicksals." "Deine plötzlich zu Tage tretende Fähigkeit, jemanden mit eigenen Worten zu entwaffnen führt uns zu dem Schluss, dass du öfter Kontakt zu Juka gehabt hast?" "Ja... ich dachte ihr wüsstet das." "Wir nehmen nur wahr, was mit Augen, Ohren und Empfindungen zu erfassen ist. Juka entzieht sich den meisten unserer Wahrnehmungskräften. Wir spüren seine Gegenwart nicht." "Wie dem auch sei... ihr meint also, Reita könnte zur Gefahr werden?" "Es ist noch nicht möglich, dies genau zu bestimmen. Seine Absichten und seine Pflichten stehen im Widerspruch zueinander, es gibt mehrere instabile Faktoren die seine endgültige Entscheidung zu welcher Seite er gehören wird, unvorhersehbar beeinflussen können." Einen Moment herrschte Stille. Zwischen den Fünf fand stille Konversation statt, dann richteten sich wachsame Augen wieder auf Yoshiki und Kaoru sprach wieder in seiner beruhigenden Stimme. "Wir werden uns nun zurückziehen. Bis unser Eingreifen wieder erforderlich ist, wird nicht mehr viel Zeit verstreichen und wir müssen unsere Kräfte regenerieren. Wir hoffen dich entgegen aller Vorahnungen wieder zu sehen." Yoshiki ignorierte die hoffnungsraubenden Worte gekonnt und begleitete die Fünf noch bis zu seiner Bürotüre, das Gefühl des gläsernen Ausgeliefertseins verflog sobald er die Türe geschlossen hatte. Toshi sah eine Weile zu Boden, dann hob er unsicher den Blick. "Yoshiki... was meinen sie damit, deine Zeit ist abgelaufen und all das?" Leise seufzte er. Es war ihm nicht gerade recht dass sein Freund dies mit angehört hatte. Wie sollte er ihm erklären, was er selbst nicht wahr haben wollte? "Du wirst nicht sterben oder so was, oder?" "Jeder wird einmal sterben, Toshi..." "Du weißt wie ich das meine." "Ich werde dir diese Frage nicht beantworten können... ich weiß es selbst nicht. Aber ich werde mich an den Rat der Fünf halten. Das Schicksal weiß schon ,was es tut..." Er konnte an seinem Gesichtsausdruck sehen, dass er mit diesen Worten ganz und gar nicht zufrieden war, doch es war alles was er mit gutem Gewissen auf diese Frage sagen konnte. ~ Noch nie war ihm der Weg so lang vor gekommen... Közi half ihm nicht, stützte ihn nicht, brachte ihm keinen Stuhl als er es geschafft hatte, den Gang entlang in das Büro von Mana zu hinken. Sein Bein war verdreht und am Knie war die Haut bis auf den Knochen weggeschmolzen. Doch das würde nachwachsen, genau wie seine linke Hand. Die Schmerzen waren schlimm, aber die Verletzung seines Stolzes war viel schwerwiegender. Mana betrat den Raum kurz nach Miyavi, er sah ihn stumm an und setzte sich auf den einzigen Sessel in dem Zimmer. "Hey, ich kann das erklären... also halbwegs... ich mein, ich hab mir echt total Mühe gegeben, aber die sind echt ziemlich stark und ich... ey, nächstes Mal wird's besser! Echt, ich versprechs! Ich bin in null Komma nix wieder auf den Beinen und dann mach ich die alle..." "Das wird nicht nötig sein." Közi tauchte neben Mana auf und beugte sich kurz zu ihm, Mana flüsterte etwas in sein Ohr, das Miyavi nicht klar verstand. "Ah, also hab ich's gut gemacht ja? Bekomm ich meine Belohnung? Cool... wie viel?" "Exakt das, was Ihnen zusteht." Mit diesen Worten hob Mana die Hand. In seiner Handfläche glaubte Miyavi ein bläuliches Schimmern zu sehen, doch vielleicht spielte sein geschwollenes Auge ihm auf einen dummen Streich... "Also, ich will nich dreist sein aber ich denk ich habe scho...." Weiter kam er nicht. Mana bewegte die Hand nur minimal, so als wolle er nur kurz seine Finger bewegen, oder sehen wie sich das Licht in dem funkelnden Stein auf seinem Ring brach, wenn er die Hand leicht bewegte. Ein leises Zischen war zu hören, dann schnellte ein heller Blitz durch das Zimmer und ein ersticktes Keuchen von Miyavi war zu vernehmen. Keine Sekunde später schwebten die aschenen Reste des Unterdämonen lautlos zu Boden und bildeten eine feine Staubschicht auf dem Teppich. "Reine Kraftverschwendung, er war sich sicher nicht einmal Bewusst, was es für eine Ehre bedeutet von dir ausgelöscht zu werden. Du hättest es mir überlassen sollen, den Müll hinaus zu tragen." "Das überlasse ich dir doch. Ich möchte hier keinen Staub haben." Közi nickte und wollte den Raum bereits verlassen um sich darum zu kümmern, als Mana weiter sprach. "Heute Nacht wird es soweit sein. Sorg dafür, dass er allein ist... Einsamkeit ist ein mächtiger Verbündeter, und seine Angst vor der Einsamkeit öffnet uns jede Türe. Es dauert nicht mehr lange..." Er wusste dass Mana dies nicht verlangte, aber irgendetwas in ihm trieb ihn dazu, sich vor seinem Herrn zu verneigen. Eine dunkle, perfekt geschwungene Augenbraue hob sich minimal an. "Verfällst du in alte Gewohnheiten?" "Nein, ich bezeuge meinen tiefsten Respekt und meine unendliche Loyalität." "Dafür habe ich keine Zeit. Du hast deine Befehle..." Közi nickte, ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Endlich war es soweit... Er würde seine Treue Mana gegenüber mal wieder unter Beweis stellen können. Der Gedanke daran erfüllte den Diener mit erregter Vorfreude. ~ Der Redeschwall, der über Aiji zusammenschwappte drohte ihn zu erdrücken. Kiritos Stimme war zwar leise und beherrscht, seine Worte aber nichts desto trotz verletzend und unglaublich wütend. "...und du schaffst es nicht für eine Sekunde, dein Gehirn einzuschalten! Um ein Haar hätte er dich umgebracht, ist dir das klar? Ist dir klar, dass du uns beiden im Weg gestanden hast? Dass du Takeo in eine ziemlich unangenehme Situation gebracht hast? Er muss Jun irgendwie erklären dass du einfach abgehauen bist! Und was wäre gewesen wenn...." der hilfesuchende Blick zu Kohta, der schweigend in der Türe stand, brachte ihm leider auch nichts. Kohta wusste es besser, als seinem Bruder in dieser Stimmung in den Rücken zu fallen. Er teilte seine Meinung nicht, aber er würde nichts sagen. Aiji konnte auch zur Abwechslung mal selbst für sich einstehen, Kohta verstand nicht warum er dieses Donnerwetter immer relativ kommentarlos über sich ergehen lies. Warum wehrte er sich nicht mal richtig? "...verantwortungslos. Solange du so handelst, kann ich dich nicht als Wächter ansehen, unabhängig von deinen Kräften! Du bist kein Schutz für Jun, du bist eine Gefahr für ihn und uns alle! Das ist kein Spiel! Das ist alles andere als ein Spiel, das scheinst du nur nicht zu verstehen oder? Geht das nicht in deinen Kopf rein, wie wichtig das alles ist?" Aiji hatte längst aufgehört Kiritos Worten zu folgen. Im Grunde waren es alles nur Umschreibungen für ein einziges Wort: Versager. "Du hörst mir nicht einmal zu! Lass dir das eine gesagt sein! Bis du nicht endlich Verantwortung übernehmen kannst wirst du dich Jun nicht einmal mehr auf hundert Meter nähern!" Mit diesen vernichtenden Worten, die Aijis Herz wie Pfeile durchbohrten, verließ Kirito das Zimmer. Sich Jun nicht mehr nähern? Was? "Bruder, meinst du nicht dass das etwas zu hart war?" Kohta gab sich Mühe ruhig zu reden, er wollte seinen Bruder nicht noch mehr auf die Palme bringen. "Nein. Das hätte ich ihm schon viel früher androhen sollen..." "Ich glaube nicht dass er das als eine Drohung aufgefasst hat... er klang eher nach einem feststehenden Entschluss." "Dann eben so... es tut mir wirklich für ihn leid aber... er ist eine Gefahr." "Vielleicht solltest du ihm einfach endlich mal eine Chance geben, sich zu beweisen... wenn er keine Möglichkeit hat sich sein Siegel zu verdienen dann.." "Das Thema hatten wir schon." "Ja... aber vielleicht hast du bisher immer die falsche Entscheidung getroffen?" "Zweifelst du jetzt an mir, Bruder?" "Nein, ich würde niemals an dir zweifeln. Nur an deiner Sicht der Dinge... zumindest was Aiji angeht." "Ich will nicht mehr darüber reden. Ich bin noch müde..." "Ich habe dir gesagt dass du noch liegen bleiben sollst, das Gift ist noch immer..." "Ist gut ist gut, ich leg mich wieder hin. Übernimmst du meine Schicht?" "Natürlich. Ruh dich aus... und sei nicht so gemein zu Aiji." Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen als er zum Schrank ging um sich etwas wärmeres anzuziehen. Die Nacht war kühl... "Also... bis später." "Kohta..... pass auf dich auf." Er antwortete auf diese Worte nicht, es war ihm sicher schon schwer genug gefallen sie auszusprechen. Kirito war eben so... Langsam und in Gedanken versunken verließ Kohta das Haus, auf ihn wartete eine lange, kalte Nacht vor Juns Haus. In welcher Gestalt würde er entscheiden wenn er da war. ~ Er war zu spät, er war bereits da. Der grinsende Unterdämon feuerte Energiestrahl um Energiestrahl ab, jeder Schuss traf sein Ziel. Reita schrie erstickt auf und ging zu Boden, noch ein Schlag und er würde sterben. Aoi rannte... achtete nicht auf die Gestalt die versuchte mit ihm Schritt zu halten. Er musste zu ihnen, musste ihnen helfen! Von weitem konnte er verbranntes Fleisch und Blut riechen. "Reita! Reita... ich ko... Ruki!!! Nein!!!" Es war zu spät. Der letzte Energieschuss, der unaufhaltsam auf Reita zuschnellte und ihn sicher töten würde, wurde zwei Meter vor seinem eigentlichen Ziel aufgehalten. Ruki schrie laut auf, warf den Kopf nach hinten und riss die Augen weit auf. Das helle Licht brannte ein Loch durch seinen Körper. Immer noch mit ausgestreckten Armen sank er zu Boden. Er war bereits tot bevor er aufschlug. Überall war Blut... Flammen... Schmerzen. Aoi konnte sie spüren, die Schmerzen die Reita durchschossen. Er spürte sie, als wären es seine eigenen. Das Lachen das an sein Ohr drang tat ebenfalls weh... das verhöhnende Lachen... dieser Dämon... er lachte.. er lachte... Auf ein Mal spürte Aoi, wie eine ungeheure Kraft in ihm aufkeimte. Er begann zu schreien. Diese Energie, sie war so unglaublich groß... ohne zu wissen was er eigentlich tat hob er seine Hände, die Handflächen in Richtung des immer noch lachenden Dämonen gerichtet. Sie fühlten sich heiß an, seine Haut verbrannte... nein, pure Energie sammelte sich in seinen Händen löste sich mit einem Ruck, schoss auf den lachenden Dämonen zu. Er verbrannte schreiend, in violetten grellen Flammen, die geradewegs aus Aois Händen zu kommen schienen. Und dann war es vorbei. Keuchend sank Aoi in die Knie, starrte seine Hände an, die unversehrt und ganz kühl in seinem Schoß lagen. Seine Kräfte... seine Kräfte waren endlich erwacht! Seine Wut auf den Dämonen weil er... "Reita! Reita!" Der geschundene Körper zuckte und bebte als Aoi ihn vorsichtig anhob und in den Armen hielt während die andere Gestalt weinend neben Ruki zusammenbrach. "Reita... halt durch, bitte... Reita...sieh mich an, das wird wieder, das..." Ein nie gekanntes Gefühl durchschoss ihn plötzlich. Kurz stand die Zeit still, ein Moment der vollkommenen Ruhe legte sich über ihn und er hatte das Gefühl Reita in sich und überall spüren zu können. Er schob dieses Gefühl bei Seite, es war gerade unwichtig. "Reita..." "Ruki...." "Ruki ist... er ist tot... er ist..." "Oh Nein...Ruki..." Das Licht begann aus Reitas Augen zu weichen, wie das Leben aus seinem Körper. Und da erkannte Aoi, was vor sich ging. "Oh nein... er... er war dein Siegel, nicht wahr? Er war dein Lebensspender!" Ein stummer Blick der mehr sagte als tausend Worte. Es war also die Wahrheit... der Wächter starb, wen das Siegel zerstört wurde. Reita würde auch sterben. "Nicht! Bitte... bitte... ich finde ein neues Siegel für dich! Bitte! Bitte! Lass mich nicht allein, bitte!" Reitas Augen wurden glasig, seine Lippen hatten jegliche Farbe verloren. Die andere Gestalt, die Ruki an sich presste und lauthals schluchzte nahm Aoi nicht mehr wahr. "Reita?" Keine Reaktion. Reitas Herz schlug schwach, Aoi konnte fühlen wie der Geist sich vom Körper zu lösen begann. "Reita!!!! Lass mich nicht alleine, bitte! Bitte lass mich nicht hier zurück! Reita!" Schweißgebadet schreckte Aoi hoch, die Decke war schon längst vom Bett gerutscht und ließ ihn in dieser unangenehmen Kälte zurück. Wieder der gleiche Traum wie fast jede Nacht... immer wieder das selbe. Ob Reita auch davon träumte? Aois Blick huschte zu seinem Gefährten, der reglos im Bett lag und ruhig schlief. Er bewegte sich kaum, nur das ruhige Heben und Senken seiner Brust zeigte, dass er überhaupt noch lebte. Er strahlte vollkommene Ruhe aus... wie immer. Seufzend ließ Aoi sich nach hinten fallen, er hob die Decke nicht auf. Die Gänsehaut die seinen Körper überzog, würde auch nicht weg gehen wenn er nicht mehr fror. Die Gedanken überschlugen sich in seinem kopf, die frischen Erinnerungen rasten wieder durch sein Gedächtnis und schmerzten dumpf. Wie jede Nacht. Jede Nacht zwangen ihn seine Träume diesen Moment nochmals zu durchleben, mit all den Schmerzen und Tränen die dazu gehörten. Der Verlust von Ruki, der ein sehr guter Freund und eine wirklich wunderschöne Seele gewesen war, verschwand dabei aber nach und nach immer mehr in den Hintergrund. Für ihn war Rukis Tod mit der Zeit immer mehr zur Nebensache geworden. Manchmal vergaß er sogar, dass in der schlimmsten Nacht seines Lebens noch etwas anderes passiert war als diese Sache mit Reita. Dabei hatte Ruki es mehr als verdient, dass er an ihn dachte und um ihn trauerte. Seufzend setzte Aoi sich wieder auf, heute Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden. Eine Weile starrte er einfach so ins Nichts, dann setzte er sich ganz nah zu Reita ans Bett. Wie friedlich er schlief... als wäre nichts von dieser schrecklichen Wirklichkeit real. Wieder schlugen die Schuldgefühle zu. Er war es, der die Realität für Reita zur Hölle gemacht hatte... mit einem Handel, den er niemals hätte abschließen dürfen. Damals... Er hatte immer und immer wieder Reitas Namen gerufen, doch sein Freund wachte nicht mehr auf. Er war bereits so weit im Schatten versunken dass sein Herz nur noch ab und an verzweifelt schlug, so als würde die Seele zurückkehren wenn der Körper noch halbwegs lebte. "Eine Verbindung zwischen einer reinen Seele und deren Wächter? Tragisch... So etwas nennt man doch einen Teufelskreis oder?" Aoi würde diese stimme niemals vergessen, die in seinem Kopf wiederhallte und in seine Seele zu blicken schien. Vor ihm, neben der leblosen Gestalt von Ruki, die Reitas Bruder fest umklammerte, stand Mana. Damals hatte er ihn zum ersten Mal gesehen, von Angesicht zu Angesicht. Er stand da, seelenruhig und irgendwie unwirklich, so als gehörte er nicht wirklich zu dieser Welt. Er strahlte pure Macht aus, er hatte die unendliche Kraft über Leben und Tod zu gebieten... Damals hatte Aoi zu Mana aufgeschaut, ihn bewundert. Er war immer der Gegner gewesen, von Anfang an wurde ihnen immer wieder gesagt, wie schlecht er war und dass er unbedingt bekämpft werden musste. Aber in diesem Moment vor vielen Jahren vergaß Aoi seine antrainierte Abneigung gegen diesen finsteren Mann. In diesem Moment war er die einzige und letzte Rettung gewesen... "Bitte... bitte lass ihn nicht sterben! Bitte!" in der Erinnerung kam es ihm vor als hätte er Stunden lang gebettelt. Und dann... der folgeschwere Satz, der Reita das Leben gerettet hatte. "Bitte... ich tue alles was du willst!" Mana hatte nicht gelächelt, aber der Ausdruck in seinen Augen hatte sich verändert. Aoi sah noch immer gut vor sich, mit welchen langsamen und überlegenen Schritten Mana immer näher gekommen war. Er hatte sich nicht bewegen können, genau wie Aiji, der noch immer Rukis Körper umklammerte war er von Mana still gestellt worden. So große Macht... Leise seufzte Aoi, er tat das oft in letzter Zeit. Ganz vorsichtig um ihn nicht zu wecken legte er sich neben Reita, lehnte die Stirn an dessen Schulter. Mana hatte in jener Nacht ein neues Siegel geschaffen, einen neuen Lebensspender für Reita. Ein Ring, ein schlichter Silberring mit einem keinen Saphir trug die Macht über Reitas Leben in sich, und dieser Ring befand sich in Manas Besitz. Und damit auch Reitas Leben. Die Garantie dafür, dass Aoi seinen Eid nicht brach. Niemals. Niemals. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)