Die Monochroniken von Dels (01 :: Die Reise zum Südstern) ================================================================================ Kapitel 4: Donnerschläge ------------------------ Donnerschläge Seit dem Vorfall am Fluß sind nur ein paar Tage vergangen. Bisher hat niemand mehr ein Wort mit mir gewechselt. Einige haben Furcht, dass Filc Recht haben könnte und ich innerlich vom Fluß "vergiftet" wäre und mich irgendwann rächen würde. Der Rest hat den Vorfall bald verdrängt. Auch Kaleb, der schließlich geahnt hat, was passieren wird und mir nichts davon gesagt hat. Barthel hat aber noch schwer damit zu kämpfen, immerhin hat er Filc geholfen, den scheinbar "wahnsinnig Gewordenen" unschädlich zu machen. Jedes Mal, wenn Barthel in meine Richtung sieht, fühlt er sich schuldig. Seine Sanftheit ist für mich zum Witz geworden, denn ich habe zu spüren bekommen, dass er nicht zögert, für diese Reise Opfer zu bringen. Ein Opfer, mit dem er schon geplant hat, als er sagte, wir gingen durch die Schlucht und nicht drum herum. Vielleicht aber wollte er wirklich nur durch die Schlucht gehen und nicht auch noch durch das Tor. Ein Sprungtor. Es gibt nur wenige Tore, die Menschen bereisen können und der Wegzoll für das Beschreiten eines Tores ist sehr unterschiedlich. Einmal reicht ein "Tor auf!", doch meist ist der Preis für den Einlass höher. Ein Flußtor, das sein "Opfer" fordert. Natürlich hat sich Filc gefreut, dass ein Lämmchen dabei gewesen ist, so haben sie fast zwei Wochen gespart und alle verlorene Zeit wieder aufgehlt. Aber.. es erschüttert mich, dass sie so weit gehen, einen Menschen gegen ein Stück Weg einzutauschen. Das letzte Mal hatte Barthel einen Bruder verloren. Als Nichtmagischer hatte Flam wohl auch keine Chance gehabt, sich dem Fluß zu entziehen. Aber wieso ist er verrückt geworden, als er in das Wasser geschaut hat? Was wäre gewesen, wenn sie Flam nicht umgebracht hätten? Hätte er sich erholt? Hätte er vielleicht genau das gesehen, was ich erlebt habe? Barthel schmerzt der Verlust seines Bruders sehr. Ich kann seine Trauer sehr klar fühlen, wenn er sieht, wie ich mit Kaleb rede. Die anderen jedoch haben sich schnell von ihrem schlechten Gewissen erholt. Wohl gefühlt habe ich mich in dieser Runde noch nie. Aber jetzt habe ich Angst. Ihre Gedanken sprechen Bände, ich bin ihnen nicht geheuer, ihnen wäre es lieber gewesen, ich wäre wirklich verrückt geworden wie die anderen vor mir - und dann tot aufgrund ihrer berechtigten Sorge. Aber so müssen sie wieder mit mir reisen und ich mit ihnen. Ich habe Angst, dass sie mir wirklich etwas antun könnten. Durch das Tor haben wir viel Zeit gespart und der Marsch ist nicht mehr so streng wie vorher, man hat viel Zeit nachzudenken. Es ist beinahe angenehm. Ich lasse mich jedesmal ein gutes Stück zurückfallen, um ihre Gedanken nicht ertragen zu müssen. Kaleb ist der einzige, der sich öfter nach mir umdreht, um zu sehen, ob ich noch da bin. Fast tut er mir leid. Er hat schreckliche Schuldgefühle und versucht mir abends zu erklären, was diese Menschen dazu treibt, scheinbar so gefühllos zu agieren und selbst ein Todesopfer in Kauf nehmen, um rechtzeitig am Ziel zu sein. Und wenn ich nicht dabei gewesen wäre, hätte der Fluß sicher das nächstschwächste Opfer gefunden, wahrscheinlich Filc. Deshalb war dieser auch so nervös gewesen und hätte überreagiert. Sie müssten aufpassen, dass niemandem in ihrer Gruppe etwas passiert, sonst wäre alle Mühe der Reise umsonst. Das Warum darf er nicht verraten und so fällt die Erklärung kurz und nichtssagend aus. Den Tod eines Freundes verkraften, um ein Ziel zu erreichen? Aber gut - ich bin ja nicht ihr Freund und werde es nie sein. Es ist mir auch egal. Es mögen Kalebs Freunde sein, die meinen sind sie nicht. Mir ist es jetzt endgültig gleich, ob sie mich hassen oder nicht. Eher ein gutes Zeichen, denn das hieße, ich bin nicht so wie sie. Von mir haben sie nichts mehr zu erwarten. Kürzlich, als wir durch Dörfer gezogen sind, dachte ich daran, einfach stehenzubleiben. Sollten sie nur weiterziehen, froh mich loszuhaben und würden glückseelig ihr heiliges Ziel erreichen. Und ich müsste keine Angst um mein Leben haben, nicht mehr diese negativen Gefühle um mich herum ertragen. Die allgegenwärtige Ablehnung macht mich müde und würde ich noch wie früher um ihre Akzeptanz kämpfen, wäre ich längst depressiv geworden. Aber so ist es nur unangenehm. Ich sollte mir das nicht antun und dieses unerwünschte Dasein aufgeben. Vielleicht würde ich zurück zum Fluß gehen. Ich wollte Kaleb vom Fluß erzählen, ihm begreiflich machen, was ich gespürt hatte und was das bedeutete, aber er hat mich nicht verstanden. Er hat mich nur seltsam angeschaut, versucht, etwas zu begreifen, was ich ihm da erzähle. Ich hatte es aber nicht in menschlichen Worten beschreiben können, was passiert war. Obwohl es das natürlichste Gefühl überhaupt ist, ist niemand fähig, es zu beschreiben. Ich dachte früher immer, dass Leben an sich wäre mit dem Gefühl "Freude" gleichzusetzen. Man spricht ja auch von der Lebensfreude und wenn Pflanzen wachsen, Blumen erblühen ist das ja ein wunderschöner Anblick, der einem Freude bereitet. In Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil der Fall. Naja fast, wie gesagt, man kann es nicht beschreiben. Eine Trauer, die keinen Grund und keine Absicht hat - fern jegliches Bedauerns. Eigentlich ist das garkeine Trauer mehr. Das Gefühl kann man einfach nicht in Worte fassen, nur spüren. Und es ist überall, ich fühle es Tag und Nacht als wäre es mein ureigenes Gefühl. Und trotzdem macht es mich nicht traurig, als gäbe es etwas zu bereuen. Es ist einfach nur herrlich. Kaleb versteht mich nicht, für ihn ist das alles ein Widerspruch. Wenn ich sage Trauer, kommt es dem Lebensgefühl am nächsten, obwohl es etwas ganz anderes ist. Und es stimmt ihn seltsam, dass ich mich an einem Gefühl erfreue, mit dem er reelle Traurigkeit verbindet. Ach.. wie gerne würde ich ihm zeigen, was ich spüre. Nur dieses eine Mal. Er würde das alles sofort verstehen. Aber so versteht er nichts. Das größte Rätsel für Kaleb ist nach wie vor, dass ich noch ich selbst bin. Er rätselt noch immer, wie ich dem Fluß "entwischt" bin. Je länger ich mit ihm rede, desto sicherer werde ich auch, dass Kaleb Recht hatte. Vielleicht stürzt der Fluß wirklich alle Menschen in den Wahnsinn. Wenn wirklich jeder mit dieser ganz speziellen Darbietung des Lebens konfrontiert wird wie ich, kann es gutsein, dass die meisten menschlichen Denkweisen damit einfach nicht zurechtkommen. Nehmen wir an, ein Mensch gerät in den Bann des Flußes und wird diesem Gefühl ausgesetzt, das er nicht versteht, nicht einordnen kann, weil es so überhaupt nicht menschlich ist und seine ganze Weltsicht über den Haufen wirft. Je nachdem gerät er wirklich in eine extenzielle Verzweiflung und gebärdet sich wie "irre". Vielleicht bin ich nur nicht in dem Sinne verrückt geworden, weil ich es gewohnt bin, Gefühle anderer in mich einzulassen und versuche zu verstehen. Der Fluß ist wie ein kleines Mädchen, das in ihrer kindlichen Sprache einem Erwachsenen etwas erklären will und nicht verstanden wird, weil sie einfach nicht zuhören und verstehen wollen. Seit der Zeit am Flußufer, höre ich das Wispern der Pflanzen, der Erde und des Windes von Tag zu Tag deutlicher. Ich kann es alles verstehen! Sie sprechen nicht wie Menschen, sie sagen mir nichts über ihren Zustand oder geben irgendwelche Hinweise. Sie singen nur, jedes in einer anderen Tonlage, jedes eine andere Melodie, die doch immer gleich ist und einfach nur Leben bedeutet: "Mich gibt es, ich bin hier" Und es gibt nichts, das nicht lebt. Steine leben, selbst von Menschenhand geformter Stahl summt sein Dasein, jede Handvoll Erde, die Luft selbst spielt unablässig ihr Lied. Und es ist wunderschön ihnen zuzuhören. Aber sie sind immer nur so laut, wie ich es will, niemals stören sie meine eigenen Gedanken oder werden zu zahlreich. Sie sind einfach nur da und beruhigen mich durch ihre Anwesenheit. Bin ich verärgert oder zornig, suche ich die Natur, lehne mich an einen Baum und fühle, wie seine Ruhe, sein kräftiges, warmes Leben meinen Zorn einfach verstummen lässt. Dieses Lied trage ich immer in mir, denn es erinnert mich immer wieder daran, wer ich bin und dass ich lebe. Was hält mich noch in der Gruppe? Von den sechs Leuten würde mich keiner vermissen. Nicht einmal Kaleb würde sich sorgen, wenn ich ihm erklärte, dass ich hier auf sie warten wollte, bis sie wieder auf dem Rückweg hier vorbeikämen. Aber ich will in seiner Nähe bleiben. Vielleicht braucht er mich irgendwann. Vielleicht würde ich ihn nie wieder sehen, würde ich ihn jetzt alleine weitergehen lassen. Ich habe ihm noch nicht verziehen, dass er mich seinen Freunden praktisch zum Fraß vorgeworfen hat, indem er mich mitgenommen hat. Er hätte es doch wissen müssen, was sie vorhaben. Aber er leidet doch noch unter seinem Gewissen und ich denke er versteht erst jetzt, dass er mich fast verloren hätte. Ich könnte niemals zulassen, dass ihm etwas passiert. Er ist mein Bruder. Der immer für mich da war, der mich immer verstanden hat, mein bester Freund, der jedes meiner Geheimnisse kennt. Das könnte ich mir nie verzeihen. Ich werde ihn niemals im Stich lassen - und wenn er mich dreimal verraten hätte. Ich denke nicht oft an zuhause zurück. Was meine Eltern oder meine Geschwister wohl machen, was sie denken. Viel öfter schweifen meine Gedanken ab in den Himmel. Wenn ich meterweit hinter den anderen her gehe, alles Störende um mich weggewischt ist, dann fliegt mein Geist und kommt erst wieder zurück, wenn sich die Gruppe zu einer Rast sammelt. Am Liebsten wäre ich unsichtbar. Für niemanden zu sehen, nicht einmal für meinen Bruder. Ich wollte ihn nur aus der Ferne beobachten und für ihn da sein, wenn er mich braucht. Aber auf mich achtet zum Glück kaum noch jemand. Das mit dem Fluß liegt schon fast zwei Wochen zurück und ich habe bisher niemandem mehr einen Grund gegeben, ausfällig zu werden. Zumeist störe ich nicht einmal durch meine Anwesenheit. [ # ] Heute, wie auch den ganzen vorigen Tag hat es geregnet wie aus Kübeln. An Weiterlaufen war nicht zu denken und so sitzen wir in einer großen Höhle fest, die mitten in einem Wald von irgendjemandem in den Stein gehauen wurde. Es sind Spuren von Feuerstellen zu sehen und einige Felle und Strohsäcke hatten wir im hinteren Bereich der Höhle gefunden. Scheinbar eine Zuflucht für Jäger oder Wanderer. Langeweile macht sich breit, denn nach draussen zu gehen ist eine nasskalte Angelegenheit und hier drinnen ist es zwar warm, aber es gibt kaum Beschäftigung. Die Zwillinge schnitzen und basteln den ganzen Tag über an irgendwelchen hölzernen Konstruktionen, Barthel kocht, Kaleb hält das Feuer am Brennen und muss alle paar Stunden durch den Regen in eine Nebenhöhle laufen, wo ein ganzer Berg Feuerholz aufgeschichtet liegt. Ich sitze schon seit Stunden am Eingang und schaue dem Regen zu. Das Prasseln des Feuers und des Regens ist wirklich angenehm, wenn nur nicht die quiekende Stimme von Filc alles zunichte machen würde. Er ist auch noch der einzige, der mir mit vollem Mißtrauen begegnet. Dass ich mich bewußt absondere, um die anderen nicht zu reizen, schmiert er mir extra noch aufs Brot. Wenn ihm langweilig ist, kommt er zu mir rüber und stänkert. Nicht, dass ich mich darüber noch aufregen würde, aber es ist einfach nur lästig, wie er jedes Mal nachdenkt, was ihm jetzt wieder nicht an mir passen könnte. "Na du Held?" Was wird er diesmal zur Sprache bringen, um mich zu ärgern? "Immernoch der Unnahbare, was?" Auf so etwas reagiere ich garnicht. Langsam müsste er mich kennen und wissen, dass ich ihm auf sowas nicht antworte. "Du lässt deinen Bruder ja ganz schön zappeln. Pass lieber mal auf, dass er nicht die Schnauze voll kriegt von deinem Beleidigtsein, er hat ganz schön..." "Lass Kaleb in Ruhe." "Oh, der Herr Lass-Mich-Allein-Du-Unwürdiger kann ja doch sprechen! Scheinst deinen Bruder ja wirklich zu mögen, wenn du ihn selbst jetzt noch verteidigst.." "Ich sagte, du sollst.." "Wenn mein Bruder mich guten Gewissens dem Teufel verkaufte,.. also ich würde mir mal Gedanken machen, ob er mich genauso schätzt wie ich ihn!" "Was willst du damit sagen?" Dieser Ton gefällt mir ganz und gar nicht. Filc zieht die Nase hoch und schüttelt nur den Kopf. Er lugt kurz über die Schulter, aber die anderen sind zu weit weg, um unser Gespräch mitzubekommen. "Weißt du Vates, manchmal könntest du einem richtig leid tun. Aber dann denke ich wieder, du bist nur blind, naiv und schlicht und einfach blöd! Du hast keine Ahnung, wo wir hingehen! Du weißt überhaupt nichts über uns! Und du weißt genau, dass dich hier keiner leiden kann und uns scheissegal ist, ob du auf der Reise draufgehst. Aber dir ist doch alles gleich - hauptsache, dein blöder Bruder ist dabei. Ich kann das nicht mehr sehen, echt! Wie kann man nur so verblödet sein? Und wenn Kaleb in die Hölle geht, rennst du auch noch hinterher!" "Richtig" pflichte ich ihm bei und hoffe, dass dieser Mistkerl bald die Klappe hält. Filc verschlägt es wirklich kurzzeitig die Sprache. Eine ungeahnte Emotion streift mich, fast so etwas wie aufrichtiges Mitleid. Am Besten ich höre gar nicht mehr hin. Filc ist mir ebenso egal wie ich ihm, daher frage ich mich, wieso er jetzt mit sowas kommt. "Soetwas wie dich nennt man gemeinhin hörig! Kennst du den Ausdruck? Total abhängig! Seelisch verfallen, ha! Du degradierst dich selber noch zum Sklaven, ha! Das ist ja erbärmlich, mit Treue hat das ja nichts mehr zu tun! Wenn er sagt: ,Spring von der Klippe' machst du das dann auch?" "Er sagt es aber nicht" "Vielleicht wird er es einmal sagen. Und dann? Springst du, oder nicht?" "Verzieh dich endlich!" Mh. Das war ein Fehler. Er freut sich, weil ich mich aufrege. Langsam geht er mir aber wirklich, wirklich auf die Nerven! Es gefällt mir nicht, wenn er Kaleb in so eine Schublade steckt. Er hat doch keine Ahnung. Vertrauen und Unterstützung ist für ihn doch ein Fremdwort, was bildet er sich eigentlich ein, über unsere Beziehungen zueinander zu urteilen? "Geh jemand anderen nerven" sage ich nur kurz angebunden und sehe demonstrativ in den Regen hinaus. Ich ärgere mich, dass ich mich wirklich habe provozieren lassen von diesem Mistkäfer. "Soso! Da hab ich wohl einen wunden Punkt getroffen, was? Wenn's ums Eingemachte geht, zieht der feige Hund den Schwanz ein, hehe. Aber du hast natürlich Recht... dein Kaleb würde doch von seinem geliebten Brüderchen niiiiemals soetwas verlangen! Dafür habt ihr euch viel zu lieb! Hat man ja gesehen." "Hör endlich auf damit, er.." "..hatte wohl seine Gründe, was? Mann, bist du so bekloppt oder tust du nur so? Du bist blind wie ne liebeskranke Pudeldame! Bah, verknallt in den eigenen Bruder, was? Ganz schön pfui, würd ich sagen.." Jetzt reicht es! Dieser verdammte Mistkerl!! "Lass mich endlich damit ihn Ruhe!! Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, wenn ein Mensch deine Sorgen teilt, immer für dich da ist und dein Vertrauen erwidert! Alles an dir ist Neid und Mißtrauen, weil du keinen einzigen richtigen Freund hast!! Ich habe wenigstens meinen Bruder, aber vielleicht hast du mal darüber nachgedacht, warum dich hier wirklich niemand leiden kann!" höre ich mich schreien und es ist mir in dem Moment egal, ob die ganze Höhle unseren Streit mitanhört. Mit jedem Wort fühle ich mich besser, weil ich endlich das gesagt habe, was ich schon bei der ersten Begegnung in ihm gespürt hatte. Neid auf alle, die einen wichtigen Menschen haben, die glücklich sind mit ihren Freunden oder Verwandten. Selbst Barthel duldet ihn nur wegen der Verwandschaft, eine geistige Verbundenheit fehlt hier gänzlich. Er boxt täglich um Aufmerksamkeit und geht damit allen nur auf die Nerven. Die letzten Worte verhallen an den Steinwänden der Höhle. Filc hat die Fäuste geballt und starrt mich zitternd an. Jeden Moment warte ich darauf, dass er ausholen wird und auf mich einschlägt - aber nichts passiert. "Vermutlich hast du recht.." presst er mühsam heraus und verzieht den Mund zu einem grässlichen Grinsen. "Ich habe niemanden, der mir so wichtig wäre, dass ich mich für ihn aufgebe. Jaa, vielleicht habe ich nicht einmal normale Freunde! Aber alles hat seine Vorteile! Wer keine Freunde hat, der muss nicht um sie weinen, wenn ihnen etwas passiert! Klingt das hart für dich? Wir hier - alle die du hier siehst - können sich im Grunde nicht riechen! Die Zwillinge mögen sich nicht besonders, Barthel und ich leben auch nur in einer Zweckgemeinschaft nebeneinander und den Glatzkopf da hinten kennt sowieso keiner. Und deinen Bruder kann ich ebenso wenig leiden wie dich! Du siehst - keiner hier weint irgendjemandem eine Träne nach, wenn etwas passiert! Außer du und dein Bruder, das Herz und seine Seele! Ich habe kein Problem damit, als Einziger wieder den Heimweg anzutreten! Und was ist mit dir? Du klebst an deinem Bruder wie ein Kleinkind am Rockzipfel seiner Mama! Du tust mir leid! Nicht ich sollte dir leid tun! Bemitleide dich selbst und deinen Bruder noch dazu, dessen Klotz am Bein du bist, bis er irgendwann über dich stolpert!" dann fügte er sehr leise hinzu "Und ich bezweifle, dass er dir lange nachweinen wird. Der Zweck heiligt alle Mittel." [ # ] Es ist Nacht, ich sitze noch immer am Eingang. Der Regen prasselt und mischt sich mit dem Knistern des Feuers. Kein Baum und kein Stein kann mich jetzt beruhigen. Ich weiß genau, dass ich auf Filcs Geschwätz keinen Deut geben sollte. Aber es geht mir einfach nicht aus dem Kopf. In der Höhle ist es still, aber es schlafen lange nicht alle. Auch Filc liegt wach. Er denkt genauso nach wie ich und diese Tatsache allein reicht schon wieder, mich zu ärgern. Natürlich hat er Recht. Der Schmerz, wenn Kaleb etwas passierte, wäre unerträglich für mich. Unerträglich ist garkein Ausdruck. Ich wüsste wirklich nicht, was ich machen sollte.. Ich bin so versunken in Gedanken, dass ich garnicht merke, wie sich jemand hinter mir bewegt und mir einen Mantel um die Schultern legt. Ich erschrecke etwas, vermute Kaleb, aber es ist einer der Zwillinge, der sich neben mich setzt. "Du erkältest dich noch. Das Feuer ist fast aus.." sagt er leise. "Danke" Er hat etwas auf dem Herzen. Es ist mir völlig unbegreiflich, warum er damit ausgerechnet zu mir kommt, aber ich mache nichts, um ihn zu ermuntern zu reden. Ich will alleine nachdenken. Aber er rührt sich nicht. "Ich.. habe vorhin euer.. naja, Gespräch mitbekommen.." "Mh.Tut mir leid, es war wohl etwas laut.." "Ja, ich war ganz erstaunt.. wusste garnicht, dass du auch mal laut werden kannst! Endlich hat ihm mal jemand die Meinung gesagt.." Er schmunzelt und reibt sich die Wade. Was will er von mir? "Nun.. weißt du.. also Filc hat nicht ganz Unrecht. Ich meine, das mit der Reise und so. Wir sechs, wir wissen, worauf wir uns eingelassen haben, verstehst du? Wenn etwas passiert, meine ich. Natürlich wäre ein Todesfall äußerst bedauerlich, aber wir wissen, in welche Gefahr wir uns begeben und es war schliesslich unser aller freie Entscheidung mitzukommen. Wir dürfen hier nicht sentimental sein!" "Willst du mich überreden, heimzugehen?" "Nein nein, versteh mich nicht falsch! Aber es wäre schlimm, wenn dir etwas passierte! Du hast im Grunde nichts mit uns zu tun, du bist zufällig in diese Sache mit reingerutscht,.. wie auch immer.. Und du hast schliesslich gesehen, was passieren kann! Dem Schicksal ist es egal, ob du dir der Gefahr bewusst bist und dich ihr stellst, oder ob du nur unbeteiligtes Anhängsel bist. Du kannst dich nicht einmal wehren oder schützen, so wie wir! Und dein Bruder ist nicht immer da, um dich zu beschützen.." Natürlich habe ich daran schon oft gedacht. Für alle hier bin ich nur eine Last, ein kleiner Schmarotzer. Aber solange ich bei Kaleb bin, ist mir das auch egal. "Und Kaleb.. ist ganz besonders wichtig für uns.." fügte Gabriel kleinlaut hinzu. "Ich verstehe. Ihr habt Angst, Kaleb könnte sich wegen mir in Gefahr begeben, so dass ihr auf ihn verzichten müsstet." Sichtlich verlegen kratzt sich Gabriel im Nacken und murmelt undeutlich vor sich hin. Dann lächelt er entschuldigend und nickt etwas zaghaft. "Filc hat es ein bisschen harsch ausgedrückt, aber im Grunde hat er schon recht. Vielleicht bist du irgendwann sein Stolperstein. Ah, ich sehe du verstehst mich.. und deshalb.." "..werde ich bei Kaleb bleiben." "Hör mal Vates.." beginnt Gabriel streng, aber er hat schon verloren. "Ich will euch nichts vormachen, so wie ihr mir nichts vormachen könnt. Ihr mögt mich nicht und ich mag euch nicht. Und deshalb ist es mir egal, ob es von euerem Interesse ist, ob ich hier bin oder nicht. Ich bleibe bei Kaleb, solange ich das Gefühl habe, dass er mich in seiner Nähe duldet. Ich wäre schon lange nicht mehr hier, wenn es um euch ginge. Mich interessiert eure Reise nicht, ich will garnicht wissen, was ihr vorhabt und wohin ihr geht. Aber Kaleb ist mein Bruder und der einzige Mensch, der mir etwas bedeutet. Und deshalb werde ich gehen, wohin er geht. Und über das Risiko bin ich mir seit dem Fluß sehr wohl bewußt." Der letzte Satz war ehrlich gemeint, doch ich sehe Gabriel an, dass er ihn für ironisch hält. Auch er hatte sich kurzzeitig schlecht gefühlt, als sich der ganze Irrtum herausstellte und fühlt sich jetzt an ihre Fehlentscheidung erinnert. "Du bist ziemlich egoistisch" stellt er knapp fest und runzelt die Stirn. "Du denkst vielleicht, dein Bruder bewundert dich dafür, dass du trotz allem an seiner Seite bleibst. Aber denk daran, dass du ihm ebenso ein Hindernis bist. Wenn nicht sogar seine Archillesferse. Wenn deinem Bruder wegen dir etwas passiert, musst du auch das verantworten können! Auch vor uns!" Diese Drohungen sind ein Witz. Gabriel ist ja nicht der Erste, der versucht mir ein schlechtes Gewissen einzureden und Angst zu machen. Ich weiß, dass ich Kaleb vielleicht auch störe - aber noch überwiegt das positive Gefühl in ihm, wenn ich in seiner Nähe bin. Naja, nennt es egoistisch. Ich versuche nur mein Leben lebenswert zu erhalten, und das kann ich schliesslich nur hier. Und wenn er wegen mir doch einmal in Schwierigkeiten kommen sollte, werde ich schon dafür sorgen, dass ich nicht seine Archillesferse werde. [ # ] Der nächste Morgen beginnt wie der Abend zuvor aufgehört hat. Strömender Regen draußen, dicke Luft drinnen. Selbst ohne die Gefühle spüren zu können, hätte ich bemerkt, dass die Atmosphäre hier drin angespannt ist. Meine Knochen sind ganz steif und schmerzen von der unbequemen Schlafhaltung am Höhleneingang. Aber niemand kann mich hier verscheuchen und sie scheinen auch froh darüber zu sein, dass ich nicht zwischen ihnen sitzen will beim Frühstück. Mir fällt auf, dass die Portion ziemlich mickrig ist, als gerade Kaleb fragt, was das denn soll. "Tja, die Vorräte gehen zuende. Ich dachte nicht, dass wir so lange hier festsitzen. Wir müssen heute etwas zu Essen besorgen!" "In dem Regen? Dann können wir auch gleich weiterlaufen. So werden wenigstens alle gleichmässig nass.." "Unmöglich. Ohne Sonne und Sterne kann ich mich nicht orientieren. In dem Regen ist der Himmel nicht zu sehen. Nicht einmal Wege kann man in den Bindfäden erkennen!" widerspricht Barthel und klopft den kleinen Kessel leer. "Ich werde gehen! Ich habe schon oft gejagt.. ich hoffe nur, dass ich in dem Regen was sehe!" schlägt mein Bruder vor und erntet freudige Zustimmung. "Ich werde mitgehen! Zwei Augenpaare sehen schliesslich mehr als eins!" Zwischen all den Gedanken um die Jagd, blitzt für einen kurzen Moment etwas auf, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Aber was das war und vor allem von wem.. das bleibt auch mir verborgen. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Es ist sogar fast greifbar in der Luft, aber ich kann es nicht definieren. Kaleb und Barthel machen sich fertig zur Jagd. Viel haben sie nicht, um ein Tier zu erlegen, aber sie hoffen darauf, dass die Tiere sich wegen dem vielen Regen nicht schnell fortbewegen und sie nicht wittern können. Mein Bruder hat ausgesprochen gute Laune. Jagen macht ihm großen Spaß, auch wenn es nun unter erschwerten Bedingungen ist. Egal - mit den Ansprüchen steigt die Leistung - ist sein Motto. "Und du bleib schön hier und leg dich mit keinem von denen an! Diese Szene von gestern steht dir garnicht. Naja, die Zwillinge werden schon aufpassen, dass dir Filc keinen bösen Streich spielt." "Und wenn schon, ich merk es sowieso vorher.. Pass du lieber auf dich auf! Ich.. hab ein komisches Gefühl.." Aber Kaleb wischt mir nur durch die Haare. "Keine Angst, ich kann schon gut auf mich aufpassen. Halt die Stellung! Bis später!" Ich will nicht, dass er weg geht. Selten habe ich mich so unwohl bei dem Gedanken gefühlt, ohne ihn zu sein. Vielleicht passiert etwas? Und wenn ich nur überreagiere wegen gestern abend? Ich habe regelrecht Angst, von Kaleb getrennt zu werden. Ich würde am Liebsten mitgehen, aber dann wäre ich wirklich nur eine Fußangel, denn von Jagen habe ich keine Ahnung. Und er würde mich womöglich auslachen, weil ich vor Angst schon zur Klette werde. Hänge ich wirklich schon zu sehr an meinem Bruder, dass ich jetzt nicht einmal mehr einen halben Tag allein sein will? Filc hat mich ganz durcheinander gebracht. "Bis später. Viel Glück.." Und weg sind sie. Sofort hat sie der Vorhang aus herabstützendem Wasser verschluckt. Die Zwillinge schnitzen. Der Kapuzenmann lehnt an einer Wand und scheint zu dösen. Filc ist verschwunden, sicher ist er Holz holen gegangen. Vor was habe ich also Angst? Ich werde hier wirklich noch paranoid. Ich drehe mich wieder zum Ausgang und beobachte den Regen. Das Schnitzgeräusch der Zwillinge ist beruhigend und langsam werde ich wirklich etwas ruhiger. Fast eine Stunde lang passiert garnichts, es bleibt still, Filc war kurz hier und ist wieder verschwunden, ohne jemanden zu nerven, ein langweiliger Nachmittag. Nach einiger Zeit habe ich Durst und ich laufe weiter vor zu einer Stelle, wo der Regen sich in einer Mulde sammelt. Das Wasser schmeckt herrlich. Der Quell allen Lebens. Nicht weit her geholt, wirklich. Am Liebsten würde ich jetzt baden.. in einem See oder einfach nur im Regen stehen. Aber da ich weiß, dass ich danach dann furchtbar durchgefroren wäre und mir eine Erkältung holen kann, werde ich das lassen. Als ich zu meinem Platz zurückgehe, finde ich ihn besetzt vor. Gabriel sitzt dort, wo ich zuvor war und winkt mir zu. Er hat ein Fell ausgebreitet und erwartet wohl, dass ich mich neben ihm niederlasse. Da ich aber nicht die geringste Lust habe, die Unterhaltung von gestern fortzusetzen, weiche ich aus und gehe zu Kalebs Schlafplatz, um sein Messer zu suchen, das er nicht mitgenommen hat. Vielleicht werde ich auch etwas schnitzen um die Zeit zu vertreiben. Früher habe ich das oft gemacht. Zuhause. Wenn Kaleb über Wochen hinweg auf Reisen war, habe ich mir unzählige Dinge geschnitzt. Tiere, Häuser, Menschen oder einfach nur Formen. Das ist besonders entspannend. Man muss nicht darüber nachdenken, wie es später einmal aussehen soll. Man schnitzt einfach drauflos und das Ergebnis gewinnt erst mit dem letzten Schnitzer seine endgültige Form. Yens sitzt ebenfalls auf dem Boden und schnitzt irgendwas, das nach einer Flöte aussieht. Daran macht er schon die ganze Zeit herum, vielleicht funktioniert sie ja irgendwann. Das wäre schön, ich mag Musik. Aus meinem Stück Holz wächst wieder einmal nichts Bestimmtes. Die Form ist weich, länglich, wie eine Welle mit einem ovalen Loch an einem Ende. "Sieht schön aus. Was ist das?" will Gabriel wissen, der wie ein Geist neben mir aufgetaucht ist. Er muss blind sein, wenn er nicht bemerkt, dass ich ihm eigentlich aus dem Weg gehe. Aber er lässt nicht locker. "Ich weiß nicht. Irgendwas eben.." "Sieht aus wie eine Welle.. oder Rauch, ja, wie Rauch!" "Du kannst es haben" sage ich. Wenn er dann geht soll es mir recht sein. "Wirklich? Danke! Kann ich dir etwas dafür geben?" "Nein danke" "Warte..." Er kramt in seinen Taschen und fördert eine kleine Dose zutage. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Yens herüberschaut zu uns. "Mach mal die Hand auf. Na los?" "Ich will nichts, danke!" beteure ich noch einmal, aber Gabriel lässt sich nicht abschütteln, nimmt meine Hand und schüttet hellbraunes Pulver in meine Handfläche. Aber weniger das Pulver irritiert mich, als die Berührung. In Gabriel herrscht Chaos. Viel Angst. Hitze. Er hat Angst vor sich selbst. Und zugleich drängt er sich. Ein ekelhaftes Gefühl dringt in meinen Kopf, etwas so Abscheuliches, dass ich gerade noch einen Brechreiz unterdrücken kann. "Lass mich in Ruhe!" Sofort springe ich auf und schüttle das Zeug von der Hand, gehe ein paar Schritte zurück. Entsetzt sehe ich zu Gabriel, der nicht versteht, wieder Angst bekommt. Die Reaktion gerade eben ist wie ein natürlicher Reflex gewesen und jetzt stehe ich da und muss überlegen, was ich jetzt tun soll. Ich bin eindeutig in Gefahr. Gabrielkommt einen Schritt näher, noch unschlüssig, doch seine Entschlossenheit gewinnt an Macht. Die Vorstellung beginnt ihm zu gefallen, er lächelt. Mir wird so schlecht, dass ich mich am liebsten übergeben würde. Ich muss weg hier! Wo soll ich hin? Kaleb ist nicht da, Barthel auch nicht, sie hätten sowas nie zugelassen! Aber der Kapuzenmann schläft oder interessiert sich nicht dafür, Yens schnitzt verkrampft weiter, tut so, als wäre er blind und taub, damit will er nichts zu tun haben. Und Filc ist immer noch verschwunden. Gabriel kommt näher, fragt unschuldig lächelnd, was denn los sei mit mir, aber sehe hinter seine Maske. Es scheint ihn etwas zu verwirren, dass ich ihn durchschaut habe, dann ändert er seine Taktik. Viel zu schnell setzt er seine Gedanken in die Tat um und wirft sich auf mich, ich springe noch zur Seite, aber er erwischt meinen Fuß und reisst mich zu Boden. Ich fange an zu rufen er soll mich in Ruhe lassen, aber er setzt sich auf meinen Bauch und drückt mir einen Ellbogen in die Kehle. "Halt die Klappe! Wer nicht hören kann, muss fühlen! Ich habe hier ein nettes kleines Pülverchen, dass dich für eine ganze Weile ins Reich der Träume schickt. Die Frage ist - willst du es vorher oder hinterher?" "Gabriel, was soll das? Du hast gesagt du willst ihn nur loswerden, nicht.." "Lass mich doch! Weißt du, wielange wir schon unterwegs sind?! Ich halt das jedenfalls nicht mehr aus! Ausserdem.. ist er doch niedlich.. Wär doch ne Verschwendung, wenn das nicht genutzt wird!" Das Grinsen ist breit, die Begierde hat ihn gepackt. Nicht nur das. Seine Gedanken bereiten mir schon körperliche Schmerzen, er genießt es zu sehen, wie ich in Panik ausbreche, nach Luft ringe, mein Herz zum Zerreißen schlägt. Aber ich bringe keinen einzigen Ton heraus. "Nimm es nicht persönlich.. aber du gefährdest unsere ganze Reise. Ich hab es dir ja im Guten gesagt, aber willst ja nur bei deinem Bruder bleiben, den du ja so liebst. Und weißt du was? Ich denke auch du bist jemand, den man sehr lieb haben kann!.. Ich gebe dir jetzt ein bisschen davon, damit du mir nicht die Ohren abschreist und hübsch brav liegenbleibst. Danach werde ich dich von dieser misslichen Lage erlösen, okay?" Nichts kann ich machen. Garnichts! Mein Körper ist vor Entsetzen wie gelähmt, ich spüre eine zerstörerische Lust, die noch größer wird, als ich versuche mich dagegen zu wehren. Er streitet sich noch mit seinem Bruder, der verstört verschwindet. Warum hilft er mir denn nicht?! Gabriels Aufmerksamkeit ist wieder bei mir. Der nackte Angstschweiß bricht mir aus, als er seinen Blick über mir kreisen lässt. Ich schmecke Puder auf meinen Lippen, in seiner Erregung hat er es verschüttet. Er wird mich umbringen! Er will es so sehr, dass alles in ihm danach schreit.. ich.. ich kann diese grauenhaften Gedanken nicht mehr ertragen! Blut sehen.. warmes Fleisch berühren, dieser Geruch nach süss und Metall, das Schreien hören und die aufgerissenen Augen sehen, die vor Schmerz nicht einmal mehr weinen können! Zerhacken! Zerfetzen! Zerreissen! Er holt sich Überwindung, noch hat er vage Hemmungen, mich anzufassen, seine Gier gewinnt haushoch. Aber bevor er nur einen einzigen Finger an mich legen kann, höre ich einen dumpfen Knall, Gabriel verdreht die Augen und kippt auf mich herunter. "Verschwinde, bevor er aufwacht!" zischt Filc und wirft den Holzklotz ins Feuer, mit dem er Gabriel niedergeschlagen hat. Diese Situation ist völlig absurd, ich verstehe jetzt überhaupt nichts mehr. Fahrig versuche ich sofort, mich unter Gabriel hervor zu schieben, der keinen Mucks macht. Alle Gefühle sind weg. Mein Körper bebt, mein Kopf dröhnt. "Hau endlich ab, oder willst du warten, bis er wieder wach ist und nochmal über dich herfällt?" Aus seinen Augen blitzt es, ich verstehe seine Gefühle nicht, sie sind schrecklich durcheinander. Er hat Angst, er fürchtet sich, die Situation versetzt ihn in ein Grauen, das größer ist als der Zorn auf Gabriel oder mich. "Danke Filc" sage ich automatisch, aber Filc reagiert nicht, er starrt nur auf Gabriel, der leise stöhnt, sich aber noch nicht bewegt. "Du bist ja immer noch hier!!" keift er plötzlich und will schon auf mich losgehen, als ich mich bücke und mein Päckchen aufhebe. Filc bekommt große Augen, Wut wallt in ihm auf und er will es mir wegreissen, aber ich ergreife die Flucht. Raus aus der Höhle, in den Regen, noch von Weitem kann ich Filc toben hören, er läuft mir nach, jedoch nicht lange - im Gegensatz zu mir hat er keine angeborene gute Kondition. Ich laufe weiter und weiter, bis ich sicher sein kann, dass mir niemand mehr nachlaufen kann. Keuchend mache ich unter einem Baum Halt. Sofort verkrampfen sich meine Glieder, die Finger krallen sich in die nasse Rinde des Baumes. Was kann nicht wahr sein! Das ist nicht passiert! Schon der Gedanke an die letzten Minuten dreht mir den Magen herum und ich muss mich übergeben, bis nur noch scharfe Galle meinen Hals hinaufätzt. Ich laufe wieder weiter, aus Angst, Gabriel könnte mich doch noch einholen und seine Absichten diesmal in die Tat umsetzen. Nach einer Weile lässt die Angst nach und mein Herz schlägt wieder im normalen Takt. Vorsichtig lasse ich mir alles noch einmal sehr sachlich durch den Kopf gehen. Aber ich wusste es! Mein Bauchgefühl hat mich nicht angelogen! Aber jetzt ist es zu spät. Das Bündel, das zum Glück in wasserdichtes Leder gewickelt ist, halte ich noch immer fest an mich gepresst. Warum habe ich es mitgenommen? Es war reiner Reflex, jetzt weiß ich nicht, was ich damit machen soll. Aber Filc ist deshalb ungeheuer wütend geworden. Es ist ein Buch. Eigentlich mein Buch. Unser Buch. Mein Bruder hat es mir anvertraut, als wir auf die Reise gingen. Ich hoffe nicht, dass es das letzte Andenken an ihn darstellt... [ # ] Der Regen ist kalt und hat mich bis auf die Haut durchnässt. Zögernd gehe ich weiter, aber ich weiss nicht, wo ich hingehen soll. Kaleb finden. Oder Barthel. Aber ich habe keine Ahnung in welche Richtung sie sich gewandt haben zum Jagen. Und ob ich sie in diesem strömenden Regen wiederfinde, ist zu bezweifeln. Ich sehe ja kaum die Hand vor Augen. Also suche ich meinen Bruder, laufe rufend durch den lichten Wald, stelle mich ab und an unter einen dichten Baum, der den Regen abhält. Stunde um Stunde. Und jede Minute steigt meine Angst, dass ich ihn nie wiederfinden werde. Fein gemacht! Wenn der kleine Bruder nicht von alleine gehen will, jagen wir ihn einfach weg. Ich hätte nie geglaubt, dass sie mich so skrupellos aus dem Weg räumen würden. Selbst Yens. Er hat zwar nicht mitgemacht, aber seinen Bruder auch nicht aufgehalten. Und selbst wenn sie es nicht geschafft haben, mich zu beseitigen sind die neuen Bedingungen ideal: Zur Höhle zurück will ich nicht und kann ich auch nicht mehr selbst wenn ich wollte, denn den Weg zurück finde ich nicht mehr. Meinen Bruder kann ich auch nicht erreichen, da es so gut wie hoffnungslos ist in diesem Regen, der Gestalt und Laute verschluckt, jemanden zu suchen. Das heißt, ich werde nicht zurück finden, mich wird niemand finden - also werde ich hier draußen verhungern. Und vermissen wird mich in der Gruppe sowieso nur einer. Vielleicht. Die letzten Tage haben mich so verwirrt, ich weiß nicht mehr was ich glauben soll und was nicht. Ich gebe normalerweise nie etwas auf Gerüchte oder irgendwelche Andeutungen.. aber habe ich nicht schon länger ein ganz seltsames Gefühl, das ich verdränge? Müde lasse ich mich an einem Baumstamm nieder und lausche seinem leisen Lied, um wenigstens etwas Trost zu finden. Aber der Regen bringt mich fast zum Verzweifeln. Ich will weg von hier, mehr denn je. In der Gruppe gibt es jetzt keine Sicherheit mehr für mich, sie würden bei der nächsten Gelegenheit wieder versuchen, mich loszuwerden. Und Filc hat Recht - Kaleb wird nicht immer da sein, um mich in Schutz zu nehmen. So wie heute. Ich will auf garkeinen Fall mehr zurück! Aber ich kann Kaleb nicht allein lassen.. Wenn er.. wenn er nur sagen würde, ich solle hier auf ihn warten.. Der Weg ist doch nicht mehr lange! Und irgendwann käme er von seiner Reise zurück und würde mich wieder mitnehmen. Nur wir beide. Falls er mich finden sollte, wird er ganz sicher sagen, dass ich warten kann. Schliesslich braucht er mich nicht wirklich. Alle werden froh sein, dass ich nicht mehr mitreise. Und ich wäre sicher. Vor Gabriel, vor Filc, vor ihnen allen. Wie könnte ich denn jetzt noch eine einzige Nacht durchschlafen? Warum sollte ich mich denn noch weiter quälen? Ich werde mit Kaleb reden, er wird es nicht zulassen, dass soetwas nochmal passiert. Im nächsten Dorf werde ich bleiben. Und dann werde ich auf ihn warten. Wenn es sein muss, Jahre. Er wird mich verstehen. Das heißt.. wenn ich ihn wiederfinden sollte.. [ # ] Dumpfer Donnergroll weckt mich, es ist dunkel. Der Regen prasselt wie Nadeln auf meine Beine, die fast taub sind vor Kälte. Ich muss eingenickt sein, es ist nahezu stockfinster und ich ziehe mich am Stamm in die Höhe. Das Gras macht matschige Geäusche unter meinen Schuhen und ich muss sehr aufpassen, nicht darauf auszurutschen. Ja... nur, wohin soll ich jetzt gehen? Die Chance, dass ich Kaleb jetzt noch finde, ist verschwindend - sicher ist er schon längst wieder in der Höhle mit seiner Beute. Und Filc wird schon irgendwas zusammenlügen. Ich hätte die Schnauze voll und sei weggelaufen oder sowas. Nun eigentlich hat er ja recht, aber Kaleb würde ich nie verraten und einfach weglaufen ohne ihm etwas zu sagen. Das muss er doch wissen. Ohne Hast laufe ich weiter durch den Regen, der unverändert die Erde unter meinen Füßen aufweicht. Nun habe ich meinen Spaziergang im Regen und wer weiß, ob ich mir nicht schon etwas eingefangen habe. Was mache ich, wenn ich Kaleb nicht finde? Wo würde er mich suchen, wenn der Regen aufgehört hat? Würde er mich am Flußufer suchen? Ich träume oft davon, wieder im Schluchtgraben zu sein, am Fluß zu sitzen und in den Wiesen zu liegen, Suantis zu essen, die Sonne zu geniessen. Es war für mich der schönste Platz, den ich je gesehen habe und ich wünsche mich oft dorthin zurück. Ich könnte in den Fluß hineinsehen, so oft ich wollte und mir würde nichts passieren. Natürlich, wieso sollte auch? Ein kleines Kind hat mir sein Geheimnis zugeflüstert und wir beide können jetzt darüber kichern. Und zu dem kleinen Kind zieht es mich wieder hin. Stattdessen laufe ich im kalten Regen. Wenn ich wenigstens etwas sehen könnte. Oder hören! vates VATES Was war das? War das eine Stimme, oder spielt mir der Regen einen Streich? Es hörte sich an wie ein weit entferntes Rufen. Noch einmal! Ich erkenne die Stimme! Kaleb! Das ist Kaleb!! Er sucht mich! Er ist in meiner Nähe! Vor Freude vergesse ich beinahe, ihm zu antworten, bevor er ausser Hörweite ist. "Hier bin ich! Kaleb!! Hier!" brülle ich so laut ich kann und die Antwort darauf ist schon viel weniger weit weg. Ich laufe so schnell, dass ich pausenlos auf dem nassen Gras herumrutsche, aber die Stimme kommt immer näher. "Vates!" Rutschend falle ich meinem Bruder in die Arme, der mir ebenso entgegenschlittert und zusammen kippen wir ins matschige Gras. "Mein Gott, Vates! Geht's dir gut?" Kaleb kann kaum reden vor Atemlosigkeit, Barthel ist direkt hinter ihm und zieht uns beide wieder hoch. "Bist du verletzt?" Barthel sieht mich unsicher an, ich schüttle den Kopf. "Mir geht's gut.. wie habt ihr..?" Kaleb schaut düster, als ich dieses Thema anspreche. Keine Frage, er hat Gabriel und Filc zur Rede gestellt. Ich bin so unglaublich froh ihn zu sehen! Jetzt wird alles gut! "Hast du das Buch?" Irritiert zeige ich ihm das Bündel unter meinem Hemd, er reißt es mir fast aus der Hand. Er seufzt erleichtert und klatscht mir auf die nassen Haare. "Du machst mir Sachen.." Dumpf betrachte ich meine Füsse und schäme mich, das Buch einfach mitgenommen zu haben. Was nur, wenn er mich nicht gefunden hätte? Dann wäre es für ihn verloren gewesen und ich weiß, dass er es irgendwann bestimmt noch einmal brauchen wird. Gedankenlos. "Tut mir leid Kaleb.." "Schon gut.. und jetzt komm, schnell! Sonst holst du dir noch eine Krankheit!" Geduckt laufen wir los durch den Regen, man sieht keine paar Meter weit, trotzdem sind die beiden Männer zielstrebig. Das Tempo ist nicht zu schnell, ich könnte gut mit Kaleb reden, aber ich will nicht, dass Barthel mithört. Es soll nicht jeder wissen, warum ich lieber hierbleiben möchte, wenn sie weiterziehen. Und je näher wir der Höhle kommen, desto mulmiger wird mir. Ich will dort nicht mehr hin. Ich muss andauernd an Gabriel denken. Ich muss unmerklich zusammengezuckt sein, denn Kaleb dreht sich zu mir und runzelt die Stirn. "Du hast Angst, zurückzugehen, nicht wahr?" Ich schüttle den Kopf. Natürlich habe ich Angst. Ich weiß nicht, ob ich wieder überreagiert habe und mir Gabriels Gedanken als Wirklichkeit ausgemalt habe.. aber Angst habe ich so oder so. Er wollte mich loswerden! "Schon gut, ich verstehe das doch, mir würde es nicht anders gehen. Aber einen Streit muss man auch schlichten können, nicht einfach nur weglaufen.." Was für ein Streit? Streit? Von was redet er eigentlich? "Ich habe mich nicht gestritten" murmle ich. Barthel läuft voraus und scheint nichts zu hören von unserem Gespräch. Der Regen ist wohl zu stark. "Filc meinte, du wärst nach einem Streit weggelaufen" erklärt mein Bruder. "So. Hat er das.." Also hat er doch nicht die Wahrheit erzählt. "Was ist los gewesen, Vates? Das sähe dir garnicht ähnlich!" "Ich.. ach egal. Ich wollte dich fragen.." "Keine Sorge, ich pass schon auf, dass keiner handgreiflich dir gegenüber wird!" Ich beiße mir auf die Lippe und verkneife mir jeden Kommentar. "Er hat dich doch hoffentlich nicht wirklich angegriffen?!" schnaubt Kaleb, als er mein Schweigen interpretiert, aber ich schüttle wieder den Kopf. "Ich würde .. also ich will nicht mehr mit euch mitgehen.. kannst du mich nicht irgendwo absetzen und später auf dem Rückweg wieder abholen? Im nächsten Dorf vielleicht?" Jetzt wird er wirklich stutzig und ich fühle, wie sich eine dunkle Ahnung in ihm seinen Weg bahnt. Seine Wut steigt wie ein Thermometer in der Sonne. "Okay Vates! Wer hat dir etwas getan?! Ich schwöre dir, ich prügel ihn so windelweich, bis er dich auf Knien um Verzeihung bittet! Ich dachte gleich, dass du dich nicht so verhältst! Hat dich jemand verletzt? Zeig her, ich.." "Nein, ich.. mir wird das alles nur zu viel! Ich behindere euch doch sowieso nur! Wenn du versprichst, mich wieder abzuholen, werde ich warten.. ich will nicht, dass du wegen mir in Schwierigkeiten kommst, und.." "Ach so.. na schön, wenn du wirklich willst?" Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.. aber nicht das. Fast wäre ich vor Schreck stehengeblieben, aber ich laufe weiter. Gut, schön, kein Problem, das wollte ich doch hören. Aber im Grunde hatte ich wohl doch auf mindestens einen Widerspruch gehofft. "Vates, wir sind doch schon fast da", oder "Das schaffst du schon noch, ich bin ja auch noch da", oder sowas ähnliches. Aber er akzeptiert meinen Entschluß, meine Bitte, einfach so. Werde ich dir nicht fehlen? Bist du im Geheimen sogar froh, mich nicht mehr wie ein Blutegel an dir zu wissen? Keine Spur von Bedauern? "Weißt du, Vates.. ich wollte es dir eigentlich selbst vorschlagen.. seit dem Fluß habe ich gemerkt, wie furchtbar es ist, dich in Gefahr zu sehen. Ich will nicht, dass dir etwas passiert und ein nicht ungefährlicher Teil der Reise liegt noch vor uns. Ich würde mich wirklich wohler fühlen, wenn du hier in Sicherheit bleibst!" Meine Augen brennen, ich weiß nicht, ob es nur der Regen ist. Natürlich hat er Recht. Alle haben Recht. Selbst ich wäre glücklicher über diese Lösung. Aber was ist, wenn er nie wieder von dieser Reise zurückkommt? Nur, weil ich mir heute das angenehmere Leben ausgesucht habe? Mein Bruder läuft schweigend neben mir und seine Erleichterung kann ich fast schon riechen. Er will mich nicht mehr in seiner Nähe haben. Ich falle ihm nur noch zur Last. Kann ich ihm nichts mehr geben, dass ihm Freude bereitet, wenn ich da bin? Nur Sorge und Anstrengung? "Dann bleibe ich hier.. Sobald der Regen.." "Da, dort hinten ist die Höhle!" ruft Barthel von vorn. Gerade, als in der Ferne schon das Licht des Feuers in der Höhle zu erkennen ist, schiebt sich etwas Riesiges vor den Schein und brüllt ohrenbetäubend! Ein Bär! Ein gewaltiger Bär, hoch aufgerichtet versperrt er uns den Weg und reckt seine Pranken in die Höhe! Barthel keucht auf vor Schreck und hebt den improvisierten Speer, den sie sich zur Jagd gebastelt hatten. Sofort geht der Bär auf Barthel los, unter Brüllen und Fauchen, Schreien und dem Rauschen des Regens gehen die beiden zu Boden. Kaleb schubst mich zur Seite und schreit, ich solle einen Baum hochklettern. Ich mache, dass ich sofort wegkomme, denn ich weiß, wann ich störe. Hinter einem dichten Baum finde ich Deckung und spähe durch die Zweige. Weisse Funken tanzen um den Bär und er schreit in grausamer Pein auf, lässt ab von Barthel, der sich mühsam seiner Haut gewehrt hat und wieder auf die Beine zu kommen versucht. Aber der Bär ist stark, der Angriff nur kurz und mit einer klauenbepackten Tatze reißt er Barthel von den Füßen, geht dann sofort auf Kaleb los, der ihm eine weitere Salve Funken entgegenschleudert, worauf der Bär in ein grauenhaftes Gebrüll verfällt. Er schüttelt sich, versucht die Schmerzen aus seinem Kopf zu verbannen, doch je mehr er sich bewegt, desto rasender werden sie, bis er vor Schmerzen blind herumtrampelt, Barthel dabei fast unter seinen Füssen zermalmt, in meine Richtung stürmt. Vor Schreck bringe ich nicht einmal einen Schrei heraus, das Monstrum rennt genau auf den Baum zu, hinter dem ich stehe, in dem Moment hat er mich gesehen und zieht die Lefzen hoch. Ich stolpere nach hinten, rutsche auf der glitschigen Erde aus, der Bär sprintet los in purer Wut, brüllt vor Schmerzen auf, als ihn Kalebs Magie ein weiteres mal streift - er schlägt einen Haken nach rechts und rutscht auf dem aufgequollenen Boden aus. Heulend zieht er seinen massigen Körper hoch und wittert in meine Richtung, er steht keine drei Meter neben mir und übersieht mich, seine Augen sind wie blind. Wieder lässt er den Blick kreisen und dieser gleitet einfach an mir vorbei, als wäre ich ein Stück Holz. Auch seine Nase gehorcht ihm nicht mehr, er wittert weder mich noch meinen Bruder. Dieser kommt gerade heran gelaufen, der Bär zuckt herum von dem Geräusch, wird von einer letzten, magischen Attacke getroffen, heult auf und verschwindet wie ein schwarzer Blitz im Wald. "Vates!!" "Okay, mir ist nichts passiert, bist du..?!" "Barthel ist tot!" schreit er mich an und mir bleibt das Wort im Halse stecken. Ich sehe an ihm vorbei und durch den dichten Regenschleier kann ich Barthel sehen, regungslos am Boden liegen wie ein Mehlsack. Barthel.. der gutmütige und doch so kaltblütige Barthel. Barthel der Bär - getötet von einem Bären. Kaleb packt mich am Arm und zieht mich weg von dem grausigen Anblick, lässt den Leichnam liegen. Er sagt nichts, aber in ihm brodelt eine bodenlose Wut. Doppelt so schnell wie vorhin laufen wir jetzt auf das Feuer zu, schon von Weitem sehen wir drei Männer am Eingang stehen, die uns entgegenstarren. Noch bevor irgend jemand etwas fragen oder sagen kann, schreit Kaleb ihnen entgegen, dass Barthel tot sei. Grabesstille - dann geht ein Geschrei los, das größte Chaos an Gefühlen bricht in meinen Kopf ein, alle fragen nach dem wieso und warum und wie, Filc schreit wie am Spieß und will nach draußen laufen, Yens hält ihn fest, Gabriel starrt in meine Richtung, Kaleb platzt fast vor Wut und würde am Liebsten jemandem den Hals herumdrehen. Ich bekomme furchtbare Kopfschmerzen. Angst wandelt sich in Trauer, Fassungslosigkeit in Zorn, Wut bleibt Wut und gewinnt an Macht. Mir wird schwindelig und ich greife nach einem Halt, als ich plötzlich von den Füßen gerissen werde. "Das ist alles deine Schuld!!" brüllt mich Gabriel an, dass mir fast Hören und Sehen vergeht. Mein Bruder flippt fast aus und schreit zurück, dass er die Finger von mir lassen soll, worauf der nur noch fester zupackt. "Der ist doch an allem schuld! Wenn Barthel nicht gegangen wäre um dieses Mistbalg zu suchen, würde er noch leben, verdammt!!" "Wenn du nicht deine perversen Triebe an ihm auslassen wolltest, wäre er garnicht erst weggelaufen und niemand hätte ihn suchen müssen!!" keift Filc, rot vor Zorn. "ER HAT WAS?!" Die neuerlichen Gefühlsausbrüche krachen wie Donnerschläge in meinen Kopf, Gabriel lässt mich los, weil er sich gegen Kaleb wehren muss, der jetzt wie ein Irrer auf ihn einschlägt, Yens hält nun Kaleb fest, Filc heult wie ein Schlosshund und der Kapuzenmann sitzt unbeteiligt am Feuer. Mein Kopf fühlt sich an, als würde jemand mit einem Schürhaken darin herumstochern, der Schmerz treibt mir die Tränen in die Augen. "Und was machen wir jetzt?!" "Wir gehen weiter! Gleich morgen!" "Aber Barthel..!" "Wir sind zu sechst!" schreit mein Bruder in die Runde und alle sind still. Sechs.. wieso sechs? Was soll das denn jetzt? "Wir gehen weiter. Wir sind immer noch sechs." "Ich.. ich bleibe hier.." erinnere ich Kaleb, um nichts in der Welt würde ich jetzt noch in dieser Gruppe sein wollen.. Sie sprühen vor Wut und Trauer. Filc umklammert sein Taschenmesser. Nein, niemals! Ich würde keinen halben Tag überleben! Dann lieber Bären und Regen. Ich habe furchtbare Angst, ich suche den Blick meines Bruders, doch er schenkt mir keinen Blick. "Wir brechen morgen früh auf! Ich kenne den Weg genauso gut wie Barthel und wir liegen immer noch gut in der Zeit! Packt heute noch eure Sachen, lasst nichts hier!" Hat er mich überhaupt gehört? Ich werde nicht mitgehen, ich will mit dieser verdammten Reise nichts mehr zu tun haben! Schon gar nicht mit diesen Leuten! "Kaleb, ich werde nicht mitgehen, du hast doch.." "Du wirst mitgehen! Die Dinge haben sich geändert. Keiner wird es mehr wagen eine Hand an dich zu legen, sonst breche ich ihm beide Arme, verstanden? Vates ist ab heute abend vollwertiges Mitglied! KAPIERT?!" Alle nicken unmerklich und ziehen sich zurück. Ungläubig starre ich Kaleb an. "Kaleb, ich will nicht mit! Du hast doch gehört, was.." "Ich hab es gehört, verdammt!" schnauzt er mich an "Das ist schlimm, aber es wird nicht mehr passieren! Reiß dich zusammen! Ich kann auch nicht ändern, dass Barthel tot ist! Ich kann dich jetzt nicht mehr hierlassen!" "Aber warum! Ich war doch die ganze Zeit entbehrlich, ich will nicht.." "Ich sagte bereits, die Dinge haben sich geändert!" "Dir ist es egal, ob mir etwas passiert?! Vorhin hattest du noch Angst um mich!" Er sieht mich einen Moment lang ausdruckslos an, dann seufzt er hörbar. "Es tut mir leid. Ich brauche dich jetzt. Und ich passe auch auf dich auf!" "So wie heute..?" Kaleb schaut gequält und ich senke den Kopf. Das war unfair, er konnte schliesslich nicht ahnen, dass seine Gefährten zu so etwas fähig sind. Trotzdem weiß er, dass meine Sorge berechtigt ist, es könnte wieder etwas passieren, wenn er mich nicht gerade auf seinen Rücken bindet. "Sieh mal.." Er setzt sich neben mich und fährt sich mit den Händen durch die nassen Haare. "Die anderen wissen, dass sie dir nichts mehr tun dürfen. Nicht nur wegen meiner Warnung. Verstehst du, wenn wir dort ankommen, müssen wir mindestens zu sechst dort ankommen. Jetzt sind wir nur noch zu sechst und deshalb wird niemand das Risiko eingehen, dich zu verletzen, weil wir dich brauchen." "Wozu?" "Das.. darf ich dir doch nicht.." "Ich dachte ich bin ein vollwertiges Mitglied?" Er seufzt wieder und schüttelt den Kopf. "Du bist nicht magiebegabt, Vates. Ich darf es dir nicht verraten. Du wirst es erfahren, wenn wir dort sind, es ist nichts Schlimmes, glaub mir!" "Aber.. ich will da nicht hin.. nicht mit ihnen! Vielleicht werden sie mich nicht verletzten, aber es gibt andere Wege mir zu.." Kaleb weiß, was ich meine. Die Sache mit Gabriel hat ihn schwer schockiert, aber verstehen kann er mich trotzdem nicht. Schlimmer noch. Er zuckt mit den Schultern und zwingt sich zu einem Lächeln. "Und wenn es gar nicht so schlimm wäre? Vielleicht darf man sich nur nicht davor verschliessen. Wie mit deinem Fluss, verstehst du?" Ich traue meinen Ohren nicht. Wie kann er das vergleichen?! Was ist das für eine Sache, für die sie über Leichen gehen, ihre besten Freunde verraten, ...lügen..? "Ihr findet doch sicher noch jemanden, der mit euch reisen will.. ich bin nur wegen dir bis hierhin mitgegangen! Hast du eine Ahnung, was ich die letzten Monate an negativen Gefühlen in mir tragen musste?" "Wenn du wegen mir bis hierher gekommen bist, dann komm auch wegen mir den restlichen Weg mit!" ereifert er sich. "Ich bin es schliesslich nicht gewesen, der gebettelt hat: ,Kaleb, bitte bitte nimm mich mit, ich werde auch niemals klagen!' Wegen mir hättest du zuhause bleiben können bei unseren Eltern! Aber ich habe dich mitgenommen und bis hierhin durchgeboxt und dich immer verteidigt! Du warst mir oft genug im Weg, die anderen haben mich auch spüren lassen, dass es keine gute Idee war, dich mitzunehmen! Aber habe ich dir jemals einen Vorwurf deshalb gemacht? Nein! Und warum? Weil ich dich gern habe und dir einen Gefallen tun wollte. So. Und jetzt kannst du deinem Bruder doch auch einen Gefallen tun, oder? Das bist du mir schuldig.. Ausserdem.. wärst du nicht dabei gewesen, wäre es zu Barthel's Tod nie gekommen. Es ist deine Pflicht mir zu helfen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)