Flüstern im Morgenwind von Amunet ================================================================================ Kapitel 7: Seelensplitter ------------------------- Als der Tag zur Neige ging und die Erde vom Licht der untergehenden Sonne rot-gold gefärbt wurde, machten wir uns bereit. Ohne Hast packten wir unsere Sachen zusammen und für einige Minuten ging jeder von uns seinen eigenen Gedanken nach. Ron und Hermine zogen sich für eine Weile in die obere Etage der Heulenden Hütte zurück. Wenn ich angestrengt lauschte, konnte ich das eindringliche Wispern ihrer Stimme hören und ahnte, worum es hierbei ging. Die Stimmung, welche von uns Besitz ergriffen hatte war düster, beklemmend und voll Ungewissheit. Es ging um den letzten Horkrux. Den letzten Seelensplitter und das Werkzeug, mit dem wir Voldemorts unnatürliches Dasein beenden konnten. Der finale Kampf war angebrochen. Doch auch ich hing meinen Gedanken nach. Ich stand neben der Couch, auf der Draco und ich uns Stunden zuvor noch geliebt hatten, und blickte vorbei an den zugenagelten Holzbrettern ins Freie. Die Wiese, der Wald vor unserer Tür waren so friedlich. Vögel glitten spielerisch und neckend durch die Lüfte, wirbelten sich gegenseitig in einem unschuldigen Tanz lockend umher und verschwanden mit der Sonne. Aber auch die aufkommende Nacht, die tiefe, dunkle Schatten mit sich brachte, zeigte eine gütige Stille. Wo waren die ersten Anzeichen des aufkommenden Sturmes? Oder war dieser scheinbare Frieden die Ruhe vor dem Sturm? Seufzend drehte ich mich um. Den Blick auf die zerknüllten Laken gerichtet. Erinnerungen flammten in mir auf und plötzlich schmeckte ich Dracos Süße auf meinen Lippen. Spürte seine Hände zärtlich meinen Körper erkunden, während ich ihn überall küsste. Sah den Ausdruck in seinen Augen, als ich vorsichtig in ihn eindrang. Ihn liebte mit jeder Faser meines Körpers, meines Herzens. Erkannte die Liebe für mich darin und ertrank fast in dem Silber seiner Augen. Spürte mein Herz, das sich nie zuvor jemandem so nahe gefühlt hatte und wie uns die Lust davon trug. Für einen Moment schloss ich meine Lider, atmete tief ein und verinnerlichte die bittersüßen Bilder ein weiteres Mal in mir. Als ich sie wieder öffnete, stand Draco vor mir, der sich unbemerkt in den Raum begeben hatte. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte er mich mit sanftem, traurigem Blick. „Ich denke schon“, nickte ich, doch entging mir ebenso wenig wie ihm, wie belegt meine Stimme klang. „Harry, dir ist noch bewusst, was ich dir gesagt habe? Über deine Seele?“ Langsam schritt Draco auf mich zu, nahm meine Hände in seine und legte sie auf seinen Brustkorb. „Erinnerst du dich noch an meine Worte?“ „Ja.“ „Dann weißt du auch, dass du diesen Tag vielleicht nicht überleben wirst?“ Ich nickte. „Hast du es Ron und Hermine gesagt?“ „Nein“, meine Stimme war rau, „sie machen sich so schon Sorgen genug. Wenn es so kommt, können wir es nicht ändern. Aber ich werde mein Bestes geben, diesen Mistkerl mitzunehmen.“ „Danke“, flüsterte Draco, küsste mich zaghaft und ich konnte die Tränen schmecken, die seine Lippen benetzten. „Danke, Harry.“ „Was ist mit dir, Draco? Wirst du es akzeptieren können? Wirst du mich loslassen können, wenn der Augenblick gekommen ist?“ Er wich meinem Blick aus, weinte stumm, tränenreich und zitterte am ganzen Körper. Mein Herz war wie zugeschnürt, doch ich konnte ihm diesen Schmerz nicht nehmen, denn ich hatte gelogen. Wochenlang hatte ich nicht mehr an unser Gespräch gedacht, hatte verdrängt, dass ich möglicherweise auch ein Horkrux war und welche Folgen es haben könnte, sollte Snape mit seiner Vermutung Recht behalten. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte hier bei Draco bleiben. „Draco?“ „Ich… Harry… Ich kann das nicht.“ „Du wirst müssen! Egal, wie schwer es dir fallen wird, versprich mir, wenn es soweit kommt, dass du mich gehen lässt. Ich… Es hängt so viel davon ab.“ „Ich weiß“, schluchzte Draco, „aber ich liebe dich so sehr.“ „Sch…“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „Ich liebe dich auch und am allerliebsten würde ich für immer bei dir bleiben. Wir hatten so wenig Zeit… Das Leben ist aber nicht immer fair und… Bitte versprich es mir, denn sonst weiß ich nicht, ob ich den Mut haben werde. Bitte, Draco.“ „Okay“, ächzte er. „Okay.“ Wir umarmten uns. Hielten uns fest umschlungen, bis Dracos Tränen versiegten. Ein letzter verlegener Blick, ein letzter Kuss und wir nahmen unsere Zauberstäbe und gingen die Treppe hinunter. Ron und Hermine warteten schon. Ihre Gesichter von der gleichen Anspannung und Furcht gezeichnet, wie die unseren. Doch der grimmige Ausdruck in ihren Augen, diese Entschlossenheit, welche wir gegenseitig bei uns lesen konnten, gab uns Mut. Wir würden den letzten Horkrux finden, wir würden den Basiliskenzahn aus der Kammer des Schreckens entwenden und wir würden Voldemort seine Sterblichkeit zurückgeben. Wir konnten es schaffen! Gemeinsam konnten wir es schaffen! Und gemeinsam verließen wir die Heulende Hütte, bereit, alles zu geben, um dieses Monster zu vernichten. oooOOOooo Hogwarts lag vor uns. Groß, stolz und mächtig. Die Lichter in den Türmen waren erloschen. Nur die Außenmauern waren beleuchtet. Es sah wunderschön aus und einmal mehr fühlte ich den Zauber, den Hogwarts schon seit jeher auf mich hatte. Das Schloss schien mich willkommen zu heißen. Es war so verlockend und ich wünschte, es könnte alles wieder so sein wie vor sechs Jahren, als ich zum ersten Mal meine Füße auf den Grund und Boden von Hogwarts gestellt hatte. Dass ich ein elfjähriger Junge wäre, der sich über die neuen Abenteuer freuen, der sich über ein wahres Zuhause freuen konnte. Doch hier, wo mein Herz Liebe kennengelernt hatte, würde alles enden. Vielleicht war dies auch der richtige Ort dafür. Hier, wo alles begonnen hatte. „Wie kommen wir rein?“, fragte Ron neben mir. „Durch den Geheimgang der Weinenden Berta. Er liegt an einer unbeleuchteten Stelle und laut Draco kennt Flich diesen Gang nicht“, sagte Hermine. „Und was ist, wenn Snape dort auf uns wartet?“, hakte Ron nach. „Das wird er nicht“, sagte Draco. „Auf Snape ist Verlass. Er wird uns helfen.“ „Und wenn du dich irrst?“, fragte ich. Draco sah mich intensiv an. „Das wird er nicht. Ich vertraue ihm.“ „Dann wollen wir hoffen, dass du Recht hast“, meinte Ron. Der Weg war lang und wir waren angespannt. Bereit, auf einen Angriff zu reagieren, doch es folgte kein Angriff. Ohne Probleme erreichten wir den Geheimgang. Ich ahnte, dass etwas nicht stimmte. Alles lief zu glatt, zu einfach. Aber wir alle wussten, wir mussten diesem Weg folgen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wir konnten nur hoffen, dass wir uns der Falle befreien konnten, in welche wir unweigerlich tappen würden. Aber selbst, als wir im Schloss ankamen, war niemand da, der uns auflauerte. Leise regte sich in mir die Vermutung, dass Snape seine Finger mit im Spiel hatte. Möglicherweise hatte er uns den Eintritt in Hogwarts arrangiert. Das ungute Gefühl in meinem Magen blieb weiterhin bestehen. Es kribbelte und ließ meine Nackenhärchen stehen. Intuitiv langte ich nach Dracos Hand und für einen Sekundenbruchteil sah er mich an, bevor er mir bekräftigend zunickte. Wir schlichen zu viert weiter, die Bilder in den Gängen beobachteten uns neugierig, aber stumm. Scheinbar erkannten sie, dass wir eine wichtige Mission zu erfüllen hatten und wollten uns unterstützen. Die Karte der Rumtreiber in Händen, schlängelten wir uns durch Geheimgänge und Korridore, ohne jemanden zu begegnen. Erst, als wir im Pokalzimmer angelangt waren, zogen wir uns in eine dunkle Nische zurück. „Wir müssen uns trennen“, flüsterte Hermine. „Ron und ich gehen runter in die Kammer des Schreckens und du und Draco holt den letzten Horkrux.“ „In Ordnung“, raunte ich. Kurz sahen wir uns abwechselnd in die Augen und dann, ohne, dass einer von uns ein Startsignal gegeben hätte, raunten wir uns alle ein „Viel Glück“ zu und verschwanden nacheinander in entgegengesetzte Richtungen. Draco hielt sich dicht in meinem Rücken, während wir weitere Korridore und Geheimgänge passierten, um den Punkt mit dem Namen Nagini zu erreichen. Voldemorts Schlange hielt sich auf dem südlichen Astronomieturm auf und ich fragte mich unwillkürlich, weshalb er seine Schlange dort oben alleine ließ. Er selbst wurde von der Karte der Rumtreiber nicht angezeigt. Obwohl er also nicht in Hogwarts sein konnte, konnte ich seine Gegenwart überdeutlich spüren. Die Verbindung zwischen ihm und mir, meine Narbe, pochte immer heftiger. Den Schmerz blinzelte ich weg, konzentrierte mich ganz auf die Aufgabe, welche vor Draco und mir lag. Dreimal wären wir beinahe von patrouillierenden Todessern aufgespürt worden, aber wieder einmal erfüllte der Tarnumhang meines Vaters seinen Zweck. Wenngleich Draco und ich kaum gemeinsam unter den Stoff passten, so konnte er uns, in eine Ecke gekauert, so bedecken, dass die Schatten ihr übriges taten. Als wir endlich am Zielort angelangt waren, schlug mein Herz heftig. Um einen besseren Überblick zu erhalten, bezogen Draco und ich unterschiedliche Posten. Nagini lag zusammengerollt auf den kalten Quadern. Ihre Schlangenhaut glänzte im Schein des Mondes. Sie war alleine. Zumindest dachte ich es, bis sich ihr großer Kopf hob und in die Richtung der Ländereien zischte. Für einen Moment traute ich dem, was meine Augen sahen, nicht. Voldemort flog – ohne Besen – durch die Lüfte. Er saß nicht, sondern stand. Es wirkte, als würde er auf einem unsichtbaren Brett stehend durch die Lüfte gleiten. Kurz linste ich zu Draco hinüber, welcher ebenso überrascht schien wie ich. Auf eine unheimliche Art elegant landete Voldemort neben Nagini. Meine Narbe brannte fürchterlich. Ich konnte kaum noch sehen vor Schmerz. „Nagini, meine treue Dienerin“, begrüßte Voldemort die riesige Schlange auf Parsel. Zischend glitt sie um ihn herum. Wie nur, fragte ich mich, sollten wir Voldemort seine Schlange entreißen, wenn er doch hier war? Noch war der Dunkle Lord unsterblich. Erst, nachdem er seine Sterblichkeit wiedererlangte, würde ich in einem offenen Kampf mit ihm eine Chance haben. Meine Gedanken schweiften zu Ron und Hermine. Ob sie die Kammer des Schreckens unbeschadet erreicht hatten? Sie beide führten die gefundenen Horkruxe mit sich. Der Plan verlangte, dass sie die Horkruxe zerstörten, sobald sie den Basiliskenzahn in Händen hielten. „Was sagst du? Wir haben Besuch. Harry Potter ist hier!“ Voldemorts Stimmte holte mich abrupt aus meiner kurzen Überlegung zurück. Mein Herz schlug plötzlich so heftig, dass das Blut in meinen Ohren rauschte. „Komm raus, Harry“, lockte er mich, mit dieser schrecklichen Stimme, die mir seit Jahren Albträume bescherte. „Komm raus. Komm raus.“ Ich atmete ein und aus, sah zu Draco hinüber, erleichtert darüber, dass Nagini seine Anwesenheit entweder nicht bemerkt oder einfach für unwichtig gehalten hatte. Draco erwiderte meinen Blick jedoch nicht. Im Gegenteil, er hielt seinen Blick weiterhin starr auf Voldemort gerichtet. So als wollte er sich jede Geste des Dunklen Lords einprägen. Erneut rief Voldemort nach mir. Meine Lider schlossen sich für eine Sekunde, um Mut zu sammeln. Gerade, als ich im Begriff war, aufzustehen, mein Versteck zu verlassen, um meinem Schicksal entgegen zu treten, kam Bewegung in Draco. Entsetzt musste ich mit ansehen, wie Draco direkt auf Voldemort zuging. „Welch eine Überraschung“, hauchte Voldemort verblüfft. „Mein Lord.“ Fasziniert betrachtete ich die Szenerie, die sich mir bot. Draco vor dem Dunklen Lord kniend, der ganze Körper Ergebenheit ausstrahlend. Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass Draco ganz leicht zitterte. Ich ahnte, angesichts der Gräueltaten, die ihm durch Voldemort und seinen Schergen angetan worden waren, wie schwer die Konfrontation für ihn sein musste. Wie viel Mut es ihn gekostet haben musste, seine sichere Deckung zu verlassen. Ich selbst wollte nur zu gerne meine Position mit Draco tauschen, doch allein der Fakt, dass Draco mich mit seinem Verhalten schützen wollte, hielt mich zurück. „Wo ist der junge Potter?“ „Ich bin alleine, mein Lord.“ „Nagini hat ihn gerochen.“ „Sie irrt, mein Lord. Es ist sein Geruch, der an mir haftet.“ Ein Gemisch unterschiedlichster Emotionen huschte über Voldemorts Fratze. Wut, obgleich der Impertinenz, ihn auf einen Fehler hinzuweisen, und Neugier, über das, was Draco ihm nun berichten würde. „Die letzten Wochen habe ich an der Seite von Harry Potter verbracht, Sire. Nach meiner…“ Draco schluckte kurz, „Flucht aus Euren Reihen, fasste ich einen Plan, um Euer Vertrauen zurückzugewinnen, mein Lord.“ „Wie soll mir dein verräterisches Verhalten nutzen? Du hast schon einmal deine Unfähigkeit bewiesen.“ „Ich habe… ich habe dazu gelernt… durch die Lektion, welche Ihr mir habt zuteil werden lassen. Mir ist es gelungen, Potters Vertrauen zu erlangen. Mein Zustand… hat in ihm Mitgefühl geweckt.“ Ein Lachen, so lächerlich und grausam zugleich, hallte durch die Luft und mir wurde schlecht. Draco so leidend vor mir zu sehen, den Sinn hinter seinen Worten verstehend, da ich von der Folter, der Vergewaltigung wusste, ließen meinen Magen rebellieren. Es war bestialisch, was man Draco angetan hatte und nun Voldemort über dieses Leid lachen zu sehen, bestärkte mich in meinem Kampf gegen ihn. „Wirklich?“ höhnte er und ging auf Draco zu. „Solltest du tatsächlich zu etwas gut gewesen sein? Lucius würde sich darüber freuen.“ Bei der Nennung seines Vaters, zuckte Dracos Kopf nach oben. „Ah, dein Vater… Er glaubte, er könnte dem Zorn des Dunklen Lords entkommen, doch niemand entkommt mir! Jetzt, in diesem Augenblick, befindet er sich mit deiner Mutter in den Kerkern Hogwarts'.“ Draco zog scharf die Luft ein. „Sie büßen für die Feigheit ihres Sohnes. Soll ich Gnade gewähren lassen? Deine Eltern sind sofort frei – mit aller Ehre – wenn du deinen Platz wieder einnimmst. Geh in die Kerker, leg dir selbst die Ketten an und deine Eltern sind frei!“ Dracos Gesicht wurde weiß. Sämtliches Blut schien ihm entwichen zu sein. Ich wollte zu ihm, ihn vor Voldemort schützen. Wollte Voldemort meinen Hass entgegen schleudern, doch dann sprach Draco und erschütterte mich auf ein Neues. „Wenn dies der Wunsch seiner Lordschaft ist, werde ich ihm entsprechen, doch zuvor gestattet mir, Bericht zu erstatten.“ Voldemort wirkte ebenso verblüfft, wie ich es war. Was nur forderte Draco von sich? Welche Pläne verfolgte er? Sein Verhalten war mir schleierhaft, dennoch war ich mir sicher, dass alles, was Draco bezwecken wollte, im Einklang mit unserem Vorhaben stand. Ich zweifelte nicht an ihm, doch verfluchte ich meine erzwungene Untätigkeit. Die Parallelen zur Nacht von Dumbledores Tod waren mir zu deutlich bewusst. „Du sollst sprechen“, sagte Voldemort, „wenn deine Informationen uninteressant sind oder sich nicht Bewahrheiten, wird es dein Ende sein.“ „Ich versichere Euch, meine Informationen sind von großem Wert, jedoch…“ Draco zauderte einen Augenblick. „Sie sind von solch sensibler Präsenz, dass sie nur für die Ohren Eurer Lordschaft bestimmt sind.“ Gleichwohl noch misstrauisch nickte Voldemort. Aus der Dunkelheit schälten sich überraschend fünf Gestalten. Todesser. Nagini war keineswegs alleine gewesen. Die Karte der Herumtreiber hatte sich geirrt, oder aber die Wächter waren erst nach meinem letzten Blick darauf angekommen. Wie hatte ich so töricht sein können, zu glauben, dass Voldemort diesen tierischen Horkrux unbewacht ließ? Selbst Voldemort musste inzwischen begriffen haben, dass wir auf der Jagd nach seinen Seelensplittern waren. Die Horkruxe, welche Ron, Hermine und Draco erobert hatten – sie mussten Todesser dafür austricksen, in Verliese eindringen. Doch musste Voldemort dadurch nicht auch wissen, dass Draco ihn verraten hatte? Schließlich war Draco gesehen worden? Sein Leben stand auf Messers Schneide! Nach einer weiteren kurzen Anweisung Voldemorts verließen die Todesser den Astronomieturm. Kühler Wind fegte über den Turm. Mich fröstelte. Alles wirkte so surreal. Die Realität konnte keinesfalls so hart und voller Gefahr sein, oder doch? Draco war Voldemort ausgeliefert, um mich zu schützen. Ich, hier, in vermeintlicher Sicherheit, der nichts tat, als zuzusehen. „Mein Lord“, setzte Draco an, „ich weiß, dass Harry Potter auf der Suche nach Euren…“ Dramaturgisch brach Draco ab und obwohl es so offensichtlich war, fiel Voldemort wundersamer Weise darauf herein. „Sprich!“ „Harry Potter, Sir, ist auf der Suche nach Euren Horkruxen.“ Für einen Moment flackerte unbeschreiblicher Zorn in Voldemorts Fratze auf. Es war diese Hundertstelsekunde, in der ich dachte, er würde Draco töten. Doch dann besann er sich eines anderen. Seine Züge wurden wieder glatt und leichenblass. „Meine Spione haben mich längst davon in Kenntnis gesetzt. Ihm wird es nicht gelingen, sie alle zu finden.“ „Mein Lord, er hat sie bereits gefunden.“ „Er denkt, dass er sie gefunden hat. Es gibt noch einen, der sich genau dort befindet, wo er sein sollte.“ Ein seliges Lächeln, sofern man es so nennen konnte, strahlte aus Voldemorts Gesicht. „Sind das alle deine Informationen? Denn wenn ja, hast du mir nichts Neues gebracht.“ Drohend hob Voldemort seinen Zauberstab. Draco erschreckte, zuckte mit ängstlich geweiteten Augen zurück. Das Diabolische trat erneut auf die Züge des selbsternannten Lords. „Sire, Moment! Ich… Ich kann auch Potter bringen!“ „Das soll ich dir glauben? Vertraut dir dieses lästige Balg so sehr?“ „Sire, er… er sagte, dass er mich liebt.“ „Du bist ein größerer Narr, als ich dachte, denkst du, mit diesem Märchen kannst du mich hereinlegen?“ Draco sagte nichts mehr. Jeglicher Muskel in seinem Gesicht erschlaffte mit einem Mal. Mir war, als würde er in diesem Augenblick aufgeben. Was auch immer er geplant, gehofft hatte, Voldemort hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wieder erhob der Dunkle Lord seinen Zauberstab, doch nun langsam, leicht schwingend. Draco schien wie hypnotisiert diesen Bewegungen mit den Augen zu folgen und dann kamen die Worte, vor denen ich mich so fürchtete. „Avada Ke…“ Mein Herz stand still. Meine Lungen verweigerten ihren Dienst. Entsetzen lähmte all meine Glieder, doch meine Ohren hörten, verstanden alles. Die grausame Stimme aus meinen Albträumen sprach. Setzte zu jenen Worten an, dich mich bereits mein ganzes Leben verfolgten. Die all jene ausgelöscht hatten, die ich liebte und mochte. Vater, Mutter, Sirius, Cedric. „Stupor!“ Ich wusste nicht, wie, doch plötzlich stand ich vor Voldemort. Alles in mir drängte mich, Draco zu schützen und ich tat es, indem ich wild Flüche auf Voldemort abfeuerte, die Voldemort mit lässigen Schlenkern seines Zauberstabes von sich schleuderte. Doch in all der schlagartig aufgekeimten Hektik war es Draco geglückt, auf die Seite zu rollen. Aus dem Augenwinkel, während ich den Cruciatus des hämisch lachenden Voldemorts auswich, sah ich, wie Draco sich aufrappelte. Er stand auf beiden Beinen, als Nagini sich auf ihn stürzte. Draco fiel unter der Last der riesigen Schlange erneut zu Boden, doch ich konnte nicht helfen. Voldemort raubte mir meine ganze Aufmerksamkeit. „Harry, mein Freund!“, hieß er mich willkommen. „Was für eine Begrüßung ist das denn? So aus dem Hinterhalt? Hat dich Dumbledore nicht mehr Mut gelehrt?“ Ich weigerte mich, darauf zu antworten, stattdessen versuchte ich, nochmals nach Draco zu sehen. Alles, was ich jedoch erkennen konnte, war ein Knäuel aus Dracos Beinen und Naginis glänzendem Körper. „Du machst dir Sorgen um den kleinen Malfoy?“, frage er mich. „Dann ist es wahr, was er gesagt hat? Du liebst ihn?“ Voldemorts Stimme hatte einen Ton angenommen, der zwischen Verachtung, Abscheu und Unverständnis lag. Ich wollte widersprechen. Wollte meine Gefühle zu Dracos Schutz verleugnen, doch über meine Lippen kamen gänzlich andere Worte. „Was interessiert es dich, was ich fühle oder nicht?“ „Oh, Harry, du verkennst mich. Wie lange kennen wir uns schon? Dein ganzes erbärmliches Leben? Wenn ich dir ein Gefühl gönne, dann ist es Schmerz. Wie würde es dir gefallen, wenn ich Malfoy töte, und dann deine Freunde, dieses Schlammblut und eines dieser Weasley Bälger. Möchtest du dabei zusehen?“ Hass loderte in mir empor. Mein Blut rausche erbarmungslos in meinen Venen. Abermals brachen Flüche aus meinen Zauberstab hervor. Es gelang mir für einen Moment, den Dunklen Lord in die Defensive zu drängen, doch dann holte er zum Vergeltungsschlag aus. Seine Zauber ließen mich Schritt für Schritt zurückweichen und dann plötzlich, ohne mir Zeit für eine Reaktion zu lassen, hörte ich, wie Voldemort seinen Avada Kedavra aussprach. Wie in Zeitlupe betrachtete ich das grüne Licht, das durch die dunkle Nacht flog. Erinnerungen an den Tod meiner Mutter wurden wach, mein Leben rauschte an mir vorbei, aber der Fluch flog nicht in meine Richtung. Als ich bemerkte, dass der Fluch auf Draco zuflog, setzte mein Herz abermals für einen Moment aus, vor Entsetzen war ich gelähmt. Der Fluch kam bei seinem Ziel an - das sich bis dahin windende Knäuel von Draco und Nagini fiel in sich zusammen. Ich sank auf die Knie. Voldemorts Siegeslachen drang nur noch wie durch Watte zu mir hindurch. Es war vorbei. Draco war tot. Meine Liebe war tot. Ermordet, wie all die anderen, die mir am Herzen lagen. Von Voldemort. Ein Cruciatus traf mich, ich wand mich unter Schmerzen. Wieder und wieder folterte mich Voldemort mit dem Cruciatus und doch, einen Teil in mir berührte der Fluch nicht. Dort herrschte Leere, denn etwas in mir war mit Draco gestorben. Jäh brach die Folter ab. Der Schmerz, noch immer heftig in mir lodernd, klang allmählich ab. Blinzelnd erkannte ich weitere Gestalten, die auf den Astronomieturm gekommen waren. Die Umrisse wurden klarer und ich erkannte Ron und Hermine, verletzt und von Todessern gefangen. In dieser Sekunde wurde mir bewusst, dass ich weiterkämpfen musste. Ich hatte noch mehr zu schützen, als nur Draco. Das Leben meiner Freunde sollte nicht enden, nur weil die Liebe meines Lebens mich verlassen hatte. Mühsam quälte ich mich auf meine Beine, wankend und gänzlich unelegant. Voldemort ließ mich gewähren. Er sah sich bereits als Gewinner. Sein Lachen war pure, boshafte Belustigung. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie mir Hermine und Ron mit ihren Blicken etwas sagen wollten. Jedoch erst, als einer der Todesser zu Voldemort trat und ihm den Zahn des Basilisken und meinen alten Rucksack übergab, den ich Ron und Hermine mitgegeben hatte, begriff ich. Voldemort brauchte einen Augenblick länger. Sein Schrei, als er sah, dass die gefunden Horkruxe vernichtet waren, klang wie der eines verwundeten Tieres. Sein Blick taxierte mich, voller Hass. Ein Cruciatus nach dem anderen folgte. Ich hörte mich schreien, wand mich gepeinigt auf dem Fußboden, konnte nur noch Schmerz wahrnehmen. Als Voldemort von mir abließ, war ich kaum in der Lage, auch nur einen einigen Gedanken zu fassen. „Dafür werdet ihr bezahlen! Ihr alle!“, fauchte er und ich hörte, wie er auch Ron und Hermine mit dem Cruciatus quälte. Sein Lachen war grausamer denn je. „Mein Lord“, hörte ich die Stimme von Snape. Irgendwie war Snape auf den Astronomieturm gelangt. „Soll ich die Gefangenen für euch in die Kerker werfen?“ „Severus, mein Freund“, sagte Voldemort und seine Stimme nahm augenblicklich wieder etwas Schleimiges an. „Das ist nicht nötig. Harry Potter und seine Freunde werden heute Nacht noch sterben.“ „Wie ihr wünscht, mein Lord. Soll ich dann den Leichnam des jungen Malfoys entsorgen?“ „Bring ihn hinunter. Sein Vater soll ihn sehen. Für seinen Verrat soll Lucius mit der verwesenden Leiche seines Sohnes belohnt werden.“ Sämtliche Todesser lachten. Mir schnürte es das Herz zu. Für Draco, dachte ich mir, für ihn muss ich stark sein. Meine Gedanken wurden langsam wieder klarer und ich umklammerte meinen Zauberstab, der einige Zentimeter von mir entfernt gelegen hatte, wieder mit meinen Fingern. Die Horkruxe waren zerstört, es fehlte nur noch Nagini. Ich musste die Schlange töten. Erst jetzt, wo Snape auf das Knäuel aus Draco und Nagini zuging, bemerkte ich, wie ungewöhnlich lange und ruhig die Schlange schon dort lag. War das nicht untypisch für sie? Sollte sie nicht längst begonnen haben, Draco auszufressen? Gerade hob Snape Dracos Körper vom Boden auf, als seine Augen unmittelbar die meinen trafen. Bilder und Gedanken huschten in Sekundenbruchteilen durch mein Bewusstsein und schlagartig wusste ich, dass alles gut werden würde. Schwerfällig kämpfte ich mich vom Boden hoch. Voldemort schenkte mir erneut seine Aufmerksamkeit. „Du überrascht mich, Harry. In dir steckt noch so viel Leben. Möchtest du dich denn nicht dem verdienten Tod hingeben? Ich hörte, er soll eine Erleichterung bedeuten. Nun, ich weiß es nicht, denn ich bin Unsterblich.“ Er und seine Todesser lachten über seinen Scherz. „Du irrst dich“, sagte ich. Meine Stimme klang seltsam rau. „Auch du kannst sterben. Wir haben all deine Horkruxe vernichtet.“ „Du meinst diesen nutzlosen Plunder?“, und deutete auf die zerstörten Horkruxe zu seinen Füßen. „Meine Intelligenz ist der euren weit überlegen. Glaubst du wirklich, das wäre meine einzige Absicherung?“ Nun war es an mir, zu grinsen, wenn auch schief. „Ich weiß, dass es noch einen weiteren Horkrux gibt. Nur hast du noch nicht gemerkt, dass auch dieser vernichtet wurde.“ Jetzt erst sah Voldemort zu Nagini hinüber. Er blickte von dem leblosen Körper seiner Schlange hinüber zu Draco, der noch immer vermeintlich tot in Snapes Armen lag. Er begriff sofort und sein Avada Kedavra traf sich mit meinem Stupor. Etwas merkwürdiges passierte. Unsere Zauber trafen aufeinander und verketteten sich zu einem einzigen Strahl. Grünes Licht aus Richtung Voldemort und rotes Licht aus der meinen. Ich legte meine ganze Energie in den Stab hinein. Im Hintergrund hörte ich Bewegung, doch ich konnte nicht dorthin sehen. Ich musste mich weiter auf den Zauber konzentrieren und dann hörte ich Dracos Stimme. „Harry! Harry, denk an meine Worte. Denk daran, was wir besprochen haben.“ Angst tauchte sofort in mir auf. Ja, ich erinnerte mich dran, was Draco sagte. An jedes einzelne Wort und nur, weil er noch lebte, konnte ich es tun. Wind wehte sanft über den Astronomieturm. Noch immer fochten unsere Zauber miteinander. Kurz sah ich zu Draco, sein Gesicht sah so sanft aus, als er mir zunickte. Seine Lippen formten ein „Ich liebe dich“ und ich wusste, es war an der Zeit. Ich war der letzte Horkrux. Mit einem letzten Flüstern des Morgenwindes im Ohr löste ich meinen Zauber auf. Nur Sekunden später wurde ich von Voldemorts Avada Kedavra getroffen. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)