Eternity III - Sklavenhändler und Drachentöter von Purple_Moon (Dieser Drache ist unverkäuflich!) ================================================================================ Prolog: Die Drachenfalle ------------------------ Hallo Leute, Ich schlepp dieses Kapitel schon ne Weile mit mir rum und jetzt lade ich das einfach mal hoch. Aber ich warne euch, ich hab noch keine Ahnung, wann, wie und wie lange das weitergeht! Die Prozentangaben bei den Kapiteln sind noch nicht sicher, ich hab halt mal was hingeschrieben... Viel Spaß! Für Desde, meine Seelenschwester. Für alle Fans, die mich immer wieder dazu auffordern, weiter zu schreiben.^^ Prolog: Die Drachenfalle "Der Allmagier Eikyuu und sein Schüler, der Allmeister-Anwärter Valerian, begleitet von ihrem Elementarkreis: Die Windmagierin Nimburia mit ihrer Tochter Annemone; der Wassermagier Undan, Lehrer der kleinen Annemone; die Feuermagierin Patrizia in Begleitung ihres Gefährten Fabulas und ihres Sohnes Patric; die Erdmagierin Elizabetha mit ihrer Tochter Shisei; der Lichtmagier Cyrus und seine Verlobte Stella sowie der Schattenmagier Noctivagus mit seinem Großneffen und Schüler Kaji." //"Kyuu, ist dir mal aufgefallen, dass unsere Abenteuer immer mit einem königlichen Empfang beginnen?"// //"Deine vielleicht, ich war beim letzten Mal jedenfalls auf keinem Empfang. Außerdem, wer sagt dir, dass wir hiernach ein Abenteuer erleben?"// //"Nur so eine Ahnung."// Eikyuu und Valerian traten vor das Königspaar, ihre Begleiter hinter ihnen. Sie hatten Veruscha, Lauron und ihre Kinder seit einem knappen Jahr nicht mehr gesehen - damals leider aus dem traurigen Anlass, dass die Königin ihr Baby verloren hatte, zwei Monate nach Shiseis Geburt. Selbstverständlich hatte es da keinen Empfang gegeben, aber Valerian war zu ihr gereist, um ihr beizustehen. Auf dem Rücken seines Drachen natürlich. Und nun hatte Veruscha bereits wieder eine neugeborene Tochter. Das Paar war wirklich fruchtbar. Wie immer missachtete die Monarchin jegliche Etikette und stand von ihrem Thron auf, um ihrem Bruder um den Hals zu fallen. Sie tat es vorsichtig. "Lieber Bruder! Was ist mit deinem Arm?" Valerian trug den linken Arm in einer Schlinge. Er grinste verlegen. "Nur ein bisschen gezerrt, keine Sorge. Ich wollte vor dir angeben und meine Allmeisterprüfung machen, ehe wir herkommen, aber Eikyuu ist ein wirklich strenger Meister..." "Dann hast du alle Einzelelemente gemeistert?" staunte sie. Er nickte. "Ja, für Schatten habe ich am längsten gebraucht." Sie trat zurück, um ihn genauer zu betrachten. Er und Eikyuu traten heute in der gleichen Kleidung und mit der gleichen Magierfrisur auf: ein Nackenzopf für die Feuermagie, zwei seitliche, dünne Zöpfe, die für das Element Wind mit Federn verziert waren. Sie hatten als Lichtmagier silberne Augen und trugen als Zeichen ihrer Schattenmeisterschaft schwarze Umhänge mit entsprechenden Runen am Saum. Nur bei Erde und Wasser unterschieden sich ihre Symbole, denn Valerian hatte den Opalanhänger seiner Mutter, während Eikyuu ein Edelsteinarmband trug, dagegen schmückte sich der Allmeister mit einer ledernen Halskette, an der Muscheln befestigt waren, aber sein Schüler trug so etwas ums linke Handgelenk. Und natürlich zierte sich Eikyuu mit dem silbernen Stirnreif, der das Unendlichkeitssymbol zeigte, etwas, das Valerian noch nicht zustand. Die Königin wandte sich nun den anderen zu. "Willkommen, ich freue mich, Euch wieder zu sehen, Eikyuu. Das gilt natürlich auch für Eure Begleiter. Bitte habt Spaß heute, esst, soviel Ihr wollt, und probiert den Wein, es ist ein besonders guter Jahrgang." Eikyuu nickte ihr höflich zu. "Vielen Dank, Majestät." Die Gruppe trat zur Seite, um dem nächsten Gast Platz zu machen. Valerian fand die Vorstellung der einzelnen Gäste totlangweilig, aber selber ein Gast zu sein war immerhin besser, als da vorne zu stehen und jeden mit netten Floskeln einzuwickeln. Als Magier blieb es ihm zudem erspart, dem Königspaar die Hand zu küssen oder auch nur auf den Knien herumzurutschen. Patric fing an zu quengeln, und Patrizia übergab ihn einem Kindermädchen, das ihn in ein Spielzimmer brachte. Es war extra eingerichtet worden für den Fall, dass Gäste mit Kindern kamen. Annemone ging mit der Frau mit, sie hoffte, Valeria und Liranda wieder zu sehen. Shisei war, wenn sie wollte, ein sehr geduldiges Kind und verfolgte das Zeremoniell mit Interesse. Sie sah nicht aus, als wäre sie nur ein Jahr alt. Wiedergeborene Drachen wuchsen schneller als andere Kinder, wie Eliza und ihre Kollegen wussten. Shisei hatte es offenbar besonders eilig. Sie konnte schon sehr gut sprechen und war begierig, die Schattenmagie zu erlernen, wie Noctivagus es ihr versprochen hatte, doch er war vorsichtig. Viele der Zauber bargen Gefahren, also lehrte er sie, wie viele Meister, erst einmal die Grundlagen der Erdmagie, damit sie sich mit Heilkräutern auskannte. Wenn sie spielte, dann wie ein Junge. Typische Mädchensachen interessierten sie nicht, und sie hatte eigentlich nur Unsinn im Kopf. Bloß gut, dass sie noch so klein war. Allerdings ließ Shisei sich von niemandem anfassen, den sie nicht kannte, schon als Baby hatte sie geschrieen, wenn Fremde sie auf den Arm nehmen wollten. Das war ja nicht wirklich verwunderlich. Im Moment wurde sie ungeduldig, da die Vorstellung der Gäste sich lange hinzog. Eliza ließ sie runter. Die Kleine rannte begeistert los, um sich das Schloss anzusehen, wobei Noctivagus sich an ihre Fersen heftete. Alle anderen mussten noch ein wenig warten, bis endlich alle Gäste begrüßt waren und das Buffet eröffnet wurde. Hungrige Menschen eilten so schnell, wie die Etikette es erlaubte, zu den reich gedeckten Tischen, um sich zu bedienen. "Es ist viel besser, wenn es etwas ist, was mir zu Ehren stattfindet," bemerkte Eikyuu schmunzelnd. "Dann kann ich als Letzter kommen und das Essen fängt trotzdem nicht ohne mich an!" Valerian lachte. "Da hast du allerdings Recht, Kyuu!" "Majestät, Prinz Valerian!" Der Schwarzhaarige blieb stehen und seufzte innerlich. Diese Stimme kannte er, aber musste das jetzt sein? Er wandte sich um. "Äh... Chitatsu, nicht wahr?" Der rothaarige Junge nickte eifrig. "Ich freue mich, dass Ihr Euch an mich erinnert! Ich mache jetzt eine Lehre bei einem Schmied!" Er war größer geworden, musste jetzt vielleicht 16 sein. "Und Ihr seid Eikyuu!" freute er sich, den Allmeister ansprechend. "Ich war etwas enttäuscht, weil Ihr beim letzten Mal nicht dabei wart, aber endlich lerne ich Euch kennen...!" Valerian fand den Jungen recht lästig, aber ihm fiel nichts ein, um ihn loszuwerden. Gerade stieß Noctivagus mit Shisei auf dem Arm zu ihnen. "Hey, steht hier nicht rum, sonst kriegt ihr nichts zu essen mehr ab." "Was für ein süßes Kind!" rief Chitatsu. "Eures, Noctivagus?" Er streckte die Hand nach Shisei aus. Eikyuu packte hart das Gelenk. "Fass sie nicht an!" Valerian hob eine Augenbraue. "Stimmt etwas nicht?" Eikyuu griff an Chitatsus Hals und zog ein kleines Amulett an einem Lederband unter der Kleidung des Jungen hervor. Es zeigte ein Familienwappen, zwei längliche, schlanke Schwerter, die vor einer Flamme gekreuzt waren. "Ich weiß nicht, was du hier zu suchen hast, aber ich habe so meine Vermutung, Ignesius. Lass mich raten, der Schmied, bei dem du lernst, stellt Schwerter her?" Er betrachtete Chitatsus Hand, die von Schwielen übersäht war. Ein paar Brandnarben, typisch für einen Schmied, waren auch dabei. "Anscheinend kannst du auch ein Schwert führen, behaupte nicht, die kämen nur vom Schmiedehammer." Der Rothaarige riss sich von ihm los. "Pass lieber auf, dass du mir nicht allein begegnest, Drache!" Und er drehte sich schwungvoll um und schritt davon. "Was war das denn?" wunderte Noctivagus sich. "Er ist ein Ignesius, ein Mitglied jener Drachentöterfamilie, die seit Jahrzehnten hinter meinem Vater her ist," erklärte Eikyuu. "Er hat zweifellos gesehen, dass Shisei spitze Ohren hat, und dass du ein Draconer bist, ist seit dem Sieg über Claudius auch stadtbekannt. Es lohnt sich zwar nicht, ein Kind wegen seiner Hörner zu töten, aber viele Drachentöter fangen auch junge Drachen und verkaufen sie nach Slarivestos." "Ach du Schande, ich fand den einfach nur lästig!" rief Valerian aus. "Der ist mir schon beim letzten Mal auf die Nerven gegangen, also ich meine, als Veruscha ihren Sohn bekommen hatte. Wahrscheinlich hat er versucht, über mich an dich ranzukommen..." "Ja, dass ich ein Drache bin, muss sich auch inzwischen rumgesprochen haben. Er ist jung, vielleicht will er jemanden beeindrucken. Viele Familien haben die Tradition, dass erst ein prächtiger Drache erlegt werden muss, ehe der Erbe als solcher akzeptiert wird." "Dann ist er der älteste Sohn des amtierenden Ignesius-Drachentöters?" "Wahrscheinlich. Aber es muss nicht immer ein Sohn sein, der erbt, also fühlt euch bei Frauen nicht zu sicher. Und lasst Shisei nicht aus den Augen." "Na, da kannst du aber Gift drauf nehmen," versicherte Noctivagus. Sie machten sich auf den Weg zum Buffet, das so reichlich war, dass sie keine Probleme hatten, satt zu werden, zumal jeder zweite Adlige auf seine Linie achtete, nicht nur die Frauen. Valerian hatte das ein wenig vermisst, denn solche Festessen gab es auf seiner Insel nicht, also schlug er sich regelrecht den Wanst voll. Anschließend fing das Unterhaltungsprogramm an. Ein paar Gaukler führten ihre Tricks vor, und als man sich weitgehend vom Essen erholt hatte, wurde Musik gespielt und das Königspaar eröffnete den Tanz. Mehrere andere Paare begannen kurz darauf ebenfalls zu tanzen. Danach wurde ein Gruppentanz angekündigt, jedoch einer von der langsamen Sorte. Normalerweise folgte darauf ein schneller. Da Noctivagus das wusste, gab er Shisei seinen Umhang zur Aufbewahrung. Die Verantwortung machte die Kleine richtig stolz. Eikyuu nahm sie auf den Arm, damit sie den Tanz besser verfolgen konnte. Noctivagus krempelte seine Ärmel ein wenig hoch und strich sein Haar glatt. "So, nun zeige ich euch mal, wie das geht." Valerian grinste, als er ihm hinterher blickte und zusah, wie der finstere Magier sich erdreistete, die Königin selbst aufzufordern. "Dem jucken wahrscheinlich schon die Füße!" Eikyuu nickte. "Vielleicht hätte deine Schwester die Flammentänzer als Unterhaltung einladen sollen." Sie sahen zu, wie Noctivagus professionell mit der Gruppe tanzte, als hätte er nie etwas anderes getan. Valerian fand es etwas schade, dass er immer seinen Schattenzauber aufrecht erhielt, der seine wahre Schönheit verschleierte. Veruscha schien der Tanz mit ihm zu gefallen. Als Königin beherrschte sie natürlich alle gängigen Tänze, was sie zu einer sehr passenden Partnerin machte. Im Anschluss wurde die Musik in der Tat schneller, und es folgte eine etwas fetzigere Variante des ersten Tanzes. Dabei hatte der Magier wirklich seinen Spaß. "Das ist doch mal ein relativ entspannender Empfang," seufzte Valerian. "Wir sind nicht die Ehrengäste und müssen uns deshalb nicht dauernd irgendwelchen Fragen stellen." "Lass uns nachher zu dem See gehen. Du weißt schon, welchen ich meine," flüsterte Eikyuu ihm zu. Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Prinzen. "Dort war ich schon ewig nicht mehr." Doch es dauerte noch eine Weile, ehe sie sich zurückziehen konnten. Das Zimmer, das Eikyuu vor Jahren bewohnt hatte, war gewissermaßen ihr Stammquartier geworden. Müde suchten sie es gegen Mitternacht auf, um sich rasch etwas Bequemeres anzuziehen. Sie hatten sich von dem Empfang so früh wie möglich verdrückt - also nicht allzu früh, denn Veruscha hatte ihren Bruder immer wieder aufgehalten. Valerian griff mit der gesunden Hand nach dem Türknauf. Als er das Zimmer betreten wollte, zuckte er zurück. "Kyuu, Achtung!" Eine magische Entladung warf den Schwarzhaarigen zu Boden, verpuffte ansonsten aber wirkungslos. Eikyuu war zur Seite getreten. "Kariat, bist du verletzt?" Valerian rappelte sich hoch. "Schon gut. Was war denn das?" Sie betraten vorsichtig den Raum und entdeckten innen an der Tür und an allen Wänden mehrere Symbole und Bannsprüche, die mit roter Farbe - vielleicht auch Blut - dorthin gekritzelt waren. "Eine Drachenfalle," stellte Eikyuu fest. "Der Täter wusste offenbar, wo wir wohnen. Wie kann er das erfahren haben?" "Vielleicht hat er sich bei jemandem vom Personal eingeschmeichelt, das ist nicht besonders schwer," überlegte der andere Magier. "Aber warum habe ich sie ausgelöst, wenn es sich um eine Falle für Drachen handelt?" "Bestimmt, weil du ein Bannbrecher bist." "Ah. Was wäre passiert, wenn es dich erwischt hätte?" Eikyuu sah sich um, versuchte die Zeichen zu entziffern. "Ich bin nicht sicher. Aber zweifellos wäre irgendetwas geschehen, das mich kampfunfähig gemacht hätte. Dagegen hätte ich mit meiner Magie nichts ausrichten können, wenn die Falle erst zugeschnappt hätte." "So gefährlich?" "Wie gesagt, wenn ich die Falle ausgelöst hätte. Ich hätte sie entschärfen können, wenn ich gewusst hätte, dass sie da ist, aber wer ahnt sowas an einem Ort wie diesem..." "Ich hole die Wachen," entschied Valerian. "Der Angreifer hat die Wände beschmiert, ungeheuerlich!" Das war es, und Eikyuu ließ seinen Partner nur zu gerne gewähren. Sie bekamen ein anderes Zimmer zugeteilt, wobei sie mehrmals versichern mussten, dass sie mit einem einfachen zufrieden waren, denn da alle großen Zimmer besetzt waren, wollte das Königspaar ihnen schon das eigene anbieten. Schließlich bekamen sie eins, das immer noch größer war als der Innenraum beider Stockwerke ihres Baumhauses. Nach der ganzen Aufregung beschlossen sie, erst am Morgen zum See zu reiten. Wer konnte schon wissen, was oder wer ihnen bei Nacht dort auflauerte? Veruscha war untröstlich, dass ihnen im Schloss Gefahr drohte, und wies die Wachen an, besser aufzupassen und keinen Unbefugten zu den Zimmern zu lassen. Jeder, der dort wohnte, sollte stets zu seinen Räumen begleitet werden, und sie postierte einige Männer vor den Türen, angeblich zum Schutz ihrer Gäste, aber in Wahrheit vermutete sie, dass einer von denen vielleicht der Täter war. Chitatsu allerdings, der ebenfalls zu den Verdächtigen zählte, übernachtete nicht im Schloss, da er ja im Dorf bei seinem Meister wohnte. Natürlich wurde der Elementarkreis ganz besonders gewarnt, damit sie auf Shisei und Noctivagus aufpassten, und zwar nicht nur in der Nacht. "Der junge Ignesius kann's nicht allein gewesen sein," teilte Eikyuu seinem Kariat mit, als sie nebeneinander unter der Bettdecke lagen. "Diese Art von Magie beherrscht man nicht in seinem Alter. Überhaupt wäre es ungewöhnlich, wenn auch nicht ausgeschlossen für einen Drachentöter, mit Drachenfallen zu arbeiten. Sie stellen ihre Opfer normalerweise draußen, zwingen sie in ihre Drachengestalt und töten sie dann mit ihren Schwertern, um die Hörner zu erbeuten. Es würde ihnen gar nichts nützen, einen Drachen in Menschengestalt zu fangen." "Aber er hätte dich später dazu bringen können, dich zu verwandeln," meinte Valerian. Eikyuu schüttelte den Kopf. "Das ist einfach nicht der Stil eines Drachentöters. Verstehst du? Sie leben für den Kampf mit dem Drachen und sterben dafür. Sie sind grausam und kennen keine Gnade, aber sie töten den Drachen im Kampf, weil es ihre Ehre so verlangt." "Könnte es nicht sein, dass sie nicht hinter dir her waren?" überlegte der Prinz. "Die Ignesius-Familie jagt doch deinen Vater. Gäbe es einen besseren Köder für ein wildes Tier als sein Junges?" "Ich glaube nicht, dass sie wissen, dass ich Kyuujos Sohn bin. Vielleicht wissen sie nicht einmal, dass ich ein Seelenleser bin. Die Leute, die mich gesehen haben, kennen sich doch gar nicht mit Drachenrassen aus." "Aber sicher sein kannst du dir da nicht." "Natürlich nicht." "Und wenn er dich nun nicht töten wollte? Vielleicht bringt der Sklavenhandel heutzutage mehr ein." "Zu gefährlich. Niemand würde einen Drachen kaufen, der ein Allmagier ist, selbst wenn dieser ein Banneisen trägt," versicherte Eikyuu. "Aber wenn sie Interesse daran hätten, diesen Allmagier zu beseitigen?" spekulierte Valerian. "Sie könnten ihn... wie nennt man es... ausbrennen. Und dann als williges Betthäschen oder so verwenden." "Sag es nicht zu laut. Solche Dinge sind schon getan worden," warnte Eikyuu. Der Prinz spürte die Fingernägel seines Meisters an seiner Schulter, als sich die Hände verkrampften, Drachenkrallen. "Wir haben einen solchen Drachen aus Slarivestos befreit, vor langer Zeit," fuhr Eikyuu fort. Mit *wir* meinte er all jene, die zu der geheimen Verbindung gehörten, die gegen die Sklaverei in Slarivestos ankämpfte, jedoch leider viel zu wenig Erfolg hatte. "Er war ein Traumwandler. Aber er war nur noch eine Hülle, tat alles, was man ihm sagte. Er hätte sich ins Meer gestürzt und ertränkt, wenn man es von ihm verlangt hätte. Bei seiner Gefangennahme hatten sie seine Magie, Feuer und Wind, vernichtet. Er war am Ende." Valerian hatte von solchen Fällen gehört, durch Kyuujo, die anderen Magier, Eikyuus Bücher... Aber es kam ihm auch so vor, als wäre da eine verborgene Erinnerung, gerade an den Grenzen seiner Wahrnehmung. Hatte er einen Magier gekannt, dem ein anderer Magier mit Magie so starke Schmerzen zugefügt hatte, dass er seine eigene Magie in dem Versuch, den Schmerz enden zu lassen, komplett ruiniert hatte? Dass so etwas überhaupt möglich war, konnte er sich kaum vorstellen. Doch Magier, die diese Erfahrung hinter sich hatten, assoziierten den Gebrauch ihrer Macht für immer mit dem Schmerz und konnten es deshalb nicht mehr über sich bringen, sie zu benutzen. Das war der ganze Trick dabei, selbst wenn die Magie ihnen noch blieb. "Kariat, pass bitte gut auf mich auf," murmelte Eikyuu im Halbschlaf. "Sie werden das nicht leicht mit mir machen können, denn meine Schmerzgrenze ist sehr hoch. Aber ich möchte nie erfahren, wie hoch sie wirklich ist." "Das wirst du nicht, Towa," versicherte Valerian. "Denn wenn sie dich nur schief ansehen, werden sie es bereuen." Eikyuu kuschelte sich etwas dichter an ihn. "Hm... eigentlich sollte ich als dein Meister ja dich beschützen." "Ich beschütze dich als dein Kariat." Valerian strich ihm sanft übers Haar. "Ha, gerade ein Kariat sollte von seinem Drachen beschützt werden." "Aber nicht, wenn es um Drachentöter geht, die bedrohen nun einmal dich. Beschützen wir uns einfach gegenseitig." "Ja. Wie immer also." Doch Valerian konnte vor Sorge um seinen Drachen erst spät einschlafen, als er schon lange Eikyuus regelmäßigen Atemzügen gelauscht hatte. *** Fortsetzung folgt. Kapitel 1: Blut und Wasser -------------------------- Kapitel 1: Blut und Wasser Eikyuu nahm sich am folgenden Tag die Frechheit heraus, den Schmied der Stadt zu besuchen. Frechheit deshalb, weil er als Drache in das Reich der Drachentöter vordrang. Oder zumindest war die Schmiede ein Stützpunkt. Er gab sich keine Mühe, seine spitzen Ohren zu verbergen, während er interessiert die langen, schlanken Schwerter musterte, die hier entstanden waren und nun zum Verkauf standen. Valerian hielt sich wachsam in seiner Nähe. "Kann ich Euch helfen, Prinz Valerian?" fragte der Schmiedemeister den Schwarzhaarigen. Eikyuu ignorierte er geflissentlich. "Ich suche Euren Lehrling, Chitatsu Ignesius," sagte der Allmeister. Der Schmied tat so, als hätte er ihn nicht gehört. Valerian verschränkte die Arme vor der Brust. "Mein Meister hat das Wort an Euch gerichtet," bemerkte er. Der Mann sah sich um. "Ich sehe niemanden, nur einen Drachen, der sich einbildet, unseresgleichen zu sein." Eikyuu nahm ein Schwert von der Wand und betrachtete es. Dabei brach es mitten entzwei. "Ups... das tut mir Leid, anscheinend ist Eure Arbeit nicht so gut, wie alle meinen... Erinnert Ihr Euch zufällig daran, dass jemand im Palast eine Drachenfalle aufstellen wollte?" Er nahm viel sagend ein neues Schwert zur Hand. "Das war meine Idee," vernahmen sie eine Stimme aus dem hinteren Teil der Schmiede. Chitatsu betrat den Verkaufsbereich. "Scheint dich nicht erwischt zu haben." "Willst du mich beleidigen? Solche billigen Tricks rieche ich zehn Meilen gegen den Wind," log Eikyuu. "Allerdings muss ich zugeben, dass es mich überrascht hat, dass du in unser Zimmer gekommen bist. Oder wer auch immer die Falle gestellt hat." "Zu schade," grinste der rothaarige Jüngling. "Ich hab mir solche Mühe gemacht, sogar echtes Drachenblut besorgt." Er hob ein Schwert auf, das in seiner Nähe an der Wand lehnte, und wirbelte es drohend herum. "Wie wäre es mit einem Duell, Mann gegen Drache? Oder bist du zu feige?" Valerian verspannte sich, doch Eikyuu nahm es locker. "Kleiner, das ist noch nichts für dich. Ich würde dich innerhalb kürzester Zeit zertreten haben." "Kommt auf einen Versuch an," beharrte Chitatsu. "Warum nicht Mann gegen Mann?" mischte sich Valerian ein. "Weil er kein Mann ist, sondern ein Drache, auch wenn er in dieser Gestalt rumlaufen kann," teilte Chitatsu ihm mit. "Es ist für seinen Clan nicht ruhmreich genug, einen Drachen in Menschengestalt zu töten," erklärte Eikyuu seinem Geliebten. "Ich nehm' die Herausforderung trotzdem nicht an. Kann meine Zeit auch sinnvoller verschwenden." Chitatsu lief zornrot an. "Du wagst es...!" Doch sein Meister legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. "Mach dir nicht die Mühe, mit einem Drachen zu verhandeln, Junge. Sie sind nicht mehr als etwas intelligentere Tiere." "Ich nehm gleich deine Schmiede auseinander, wenn du das nicht zurücknimmst!" brauste Valerian auf. "Kariat, das ist Energieverschwendung," schritt Eikyuu ein. Chitatsu runzelte die Stirn. "Kariat? Herrje, Ihr seid tief gesunken, mein Prinz! Ich hab Euch einst so bewundert..." "Eben, wenn Ihr auf Drachen steht, hättet Ihr nur etwas sagen müssen, wir können Euch eine große Auswahl besorgen, gezähmt und gedrillt, versteht sich..." warf der Meister ein. "Ich verstehe, was Euch reizt, aber wie gesagt, das hättet Ihr bequemer haben können..." Valerian wollte heftig widersprechen, doch in diesem Moment betrat ein weiterer Kunde das Geschäft, ein großer, schlanker Mann mit langen, hellblonden Haaren, die er zu einem Nackenzopf zusammengebunden hatte. Er war jung und hübsch und trug die etwas egozentrische Kleidung eines Barden, hauptsächlich in Blautönen. "Verzeihung, störe ich?" Der Meister nahm sich seiner an. "Aber nein, die Herrschaften wollten gerade gehen. Wie kann ich helfen?" "Ich habe mich gefragt, ob Ihr eine Scheide für mein Schwert herstellen könntet. Es ist seit ewigen Zeiten in Familienbesitz, deshalb muss hin und wieder mal was erneuert werden..." Er zeigte ihnen ein Bündel, länger als sein Arm, das offenbar ein Schwert enthielt. Dieses legte er auf den Verkaufstresen und packte es aus. Eikyuu entfuhr ein keuchender Laut bei dem Anblick. //"Ein Rächerhorn! Und was für ein großes! Sie sterben meistens, ehe es so lang wird!"// //"Du hast Recht! Kann das wirklich ein Familienerbstück sein?"// Der Schmied und Chitatsu hatten ganz große Augen bekommen. Der Seelenleser konnte ihre Gier förmlich riechen. Das Horn befand sich in einer sehr abgenutzten Scheide aus Metall und Leder. Es war elfenbeinfarben und schimmerte golden, ganz anders als Shitais. Helle Farben waren bei den Rächern eher selten. "Ihr seid offenbar ein Barde, wäre nicht ein Dolch oder ein kleineres Schwert besser für Euch? Ich würde einen guten Preis für dieses hier zahlen," bot der Meister an. Der Blonde hob fragend eine Augenbraue und schwieg. Der Schmied nannte eine hohe Summe, doch Eikyuu hätte fast gelacht, der Preis war ein Witz. Der Fremde schickte sich an, das Schwert wieder einzupacken. "So wartet doch! Ich biete Euch das Doppelte!" rief der Schmied. "Ich bin hergekommen, um zu kaufen," stellte der Barde klar. "Könnt Ihr mir verkaufen, was ich haben will?" "Lasst das Schwert heute hier, bis morgen habt Ihr eine maßgeschneiderte Scheide dafür," ereiferte sich Chitatsu. "Ja, und von dem Schwert sind dann vermutlich zwei da," entfuhr es Valerian. Der Fremde lachte auf. "Ja, das kann wohl sein! Aber vielleicht sollte ich einfach aufhören, das Schwert mit mir herumzuschleppen, dann würde das Zubehör sich nicht so abnutzen. Andererseits war ich schon oft froh, dass ich es schleppe..." Er deutete auf ein paar Kerben in der Scheide. Das Schwert selbst hatte keinen Kratzer. Das war ungewöhnlich für ein Drachenhorn, dessen Besitzer tot war, auch wenn das Material sehr stabil war. Valerian legte unbewusst seine Hand auf den Griff seines eigenen Schwertes, das er an der Seite trug, so dass es halb von seinem Magierumhang verdeckt wurde. Es schien unter seinen Fingern zu vibrieren. "Ihr könnt ja die alte Scheide als Muster benutzen," schlug der Barde dem Schmied vor. "Ich komme dann morgen wieder." Er wickelte sein Schwert in das Tuch ein, in dem es vorher gewesen war. Dann legte er etwas Silber auf den Tisch. "Eine Anzahlung." Der Schmied und Chitatsu betrachteten die Münzen. Sie zeigten auf einer Seite das Gesicht eines Königs, auf der anderen war eine schöne Frau dargestellt, die die Sonne über ihrem Kopf hielt, anscheinend eine Göttin. "Was sind das für welche? Die hab ich noch nie gesehen," bemerkte der Junge. Valerian warf einen Blick darauf. "Athryanische Silberstücke aus dem vorletzten Jahrhundert... Hm, Barden haben sowas manchmal..." Er begegnete dem Blick des Blonden und verlor sich in einem unendlichen, tiefblauen Meer, bis Eikyuu ihn an der Schulter berührte und aus seinen Gedanken weckte. Der Barde hielt ihnen die Hand hin. "Ihr seid Valerian uns Eikyuu, nicht wahr? Man nennt mich Maris." "Äh... hallo." Valerian schüttelte die Hand überrascht, dann auch Eikyuu. "Ihr scheint ja nichts gegen Drachen zu haben," stellte der Seelenleser fest. Maris warf einen Seitenblick auf den etwas verdatterten Schmied und dessen Lehrling. "Warum sollte ich? Meine ganze Familie besteht aus Drachen und Draconern. Und ich kenne Menschen, die die Seele eines Drachen haben..." Valerian fragte sich unwillkürlich, ob das wohl eine Anspielung war. Wieviel wusste der Barde wirklich? Maris wandte sich wieder dem Schmied zu und lächelte dabei übertrieben freundlich. "Bedient ihr mich noch, wenn ich euch verrate, dass schon vor langer Zeit mein wahres Ich dieses Horn getragen hat?" Die Menschen waren momentan ratlos. Der Schmied erinnerte sich schließlich wieder an die Silberstücke auf seinem Tresen. "Äh, gewiss, ich weiß gar nicht, was Ihr meint..." "Ich komme dann also morgen wieder," teilte der Barde ihm mit. Er schulterte sein Bündel, begann, eine Melodie zu summen, und schritt hinaus. Valerian folgte dem Mann, während Eikyuu noch einen Blick zurück warf. Chitatsu und sein Meister sahen ihn abweisend an. Hier erfuhr er wohl nichts über die Drachenfalle, aber er konnte sich seinen Teil denken. "Maris, wartet bitte!" rief Valerian dem Barden nach, der freundlicherweise stehen blieb. "Wie kommt es, dass Ihr ein Rächerhorn besitzt?" Der Mann hob eine Schulter in einer Geste der Unwissenheit. "Nun, es gehört halt mir. Wurde immer mal von Angehörigen aufbewahrt und wird vielleicht wieder von Angehörigen aufbewahrt werden, wenn ich nicht mehr bin." "Was habt Ihr gemeint damit, dass Ihr es einst getragen habt? Seid Ihr ein als Mensch wiedergeborener Rächer, der sich erinnert?" "Ihr seid neugierig, Magier. Doch Ihr werdet vorerst auf die Antwort verzichten müssen, bis ein wahrer Rächer mich das fragt." "Aber die Rächer sind..." "Ausgestorben? Nicht doch. Ich werde auf sie warten." Er verneigte sich höflich und verschwand in der Menge der Menschen, die um diese Zeit umherhasteten. Valerian drehte sich zu Eikyuu um. "Was ist das denn für ein komischer Vogel?" "Einer, der zuviel weiß. Ich frage mich, woher," murmelte Eikyuu. "Und vor allem, woher hat er das Horn... ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Rächer von so heller Farbe gesehen zu haben, und gewiss keinen, der alt genug war, um solch ein prächtiges Horn zu haben." *** Eikyuu und Valerian konnten den Barden nicht mehr finden, obwohl sie in jedem Gasthaus nach ihm fragten. Sie gaben es auf und sagten sich, dass er ihnen schon wieder über den Weg laufen würde, wenn es denn so sein sollte. Doch vorerst... Eikyuu landete elegant im königlichen Jagdrevier, nicht weit entfernt von einem gewissen See. Valerian sprang von seinem Rücken und sah zu, wie der Drache seine Menschengestalt annahm. Der Magier schritt lüstern lächelnd an ihm vorbei zum See. "Wollen wir ein Verbot übertreten?" Und er gelangte ans Wasser, trat hinein und begann bald darauf zu schwimmen. Valerian grinste. "Ich werde dich dafür bestrafen." "Hoffe ich doch," neckte Eikyuu ihn. "Möchtest du es im Wasser tun?" Auch Valerian näherte sich dem See, was etwas länger dauerte, weil er immer wieder ein Stück seiner Kleidung fallen ließ. "Nicht lieber am Ufer? Um der Erinnerung willen?" "Wenn du mich willst, musst du mich dir schon holen," forderte der Drache ihn heraus. "Immerhin bist du nicht mehr der Kronprinz." "Als ob das einen Unterschied machen würde," grummelte Valerian gespielt beleidigt. "Du bist mir doch eh verfallen." "Deshalb muss ich es dir ja nicht einfach machen." Eikyuu schwamm gemütlich auf dem Rücken. Sein Haar fächerte sich um ihn herum, eine Szene, die Valerian sehr an ihre erste Begegnung erinnerte. Valerian wollte erst ins Wasser gehen, um seinen Geliebten zu jagen, entschied dann aber, ihm die Genugtuung nicht zu gönnen. So setzte er sich im Schneidersitz ans Ufer und begann, sich selbst zu berühren. Er streichelte seinen eigenen Hals, spielte mit seinen Brustwarzen, ließ schließlich eine Hand weiter hinab gleiten... Er wusste, dass Eikyuu es mit seinen Seelenlesersinnen mitbekam. Und wirklich, der Magier wandte ihm wieder den Blick zu und schwamm ein Stück auf ihn zu, bis er stehen konnte. Neugierig sah er Valerian zu. Dieser kraulte sich selbst zwischen den Schenkeln, genüsslich den Kopf zurücklehnend, und spielte hin und wieder mit seinen Hoden. Seine Männlichkeit reagierte entsprechend, vor allem, weil er sich der Blicke seines Partners bewusst war. Er hörte das Plätschern von Wasser. Kurz darauf tropfte es kalt auf seinen heißen Körper. Eikyuu war über ihm, drängte ihn in eine Rückenlage. "Wie hinterhältig von dir, Kariat." Er küsste ihn, ehe er eine Antwort bekommen konnte. //"Ergib dich mir!"// verlangte Valerian. Er war gespannt auf die Reaktion. Eikyuu ließ von ihm ab. //"Sag mir, wie."// Valerian grinste. "Hinlegen." Der Magier machte es sich bereitwillig auf dem Rücken im Ufergras bequem. Sofern man einen Zustand erhöhter sexueller Erregung noch bequem finden konnte. Valerian nahm seine Hände und drückte sie über seinem Kopf auf die Erde. Auf seinen Befehl kam eine Anzahl feiner Wurzeln aus dem Boden, die die Gelenke fesselten. "Erinnerst du dich noch daran?" fragte der Schwarzhaarige mit vor Lust heiserer Stimme. "Ich werde mich in dich rammen, so wie damals..." Eikyuu stöhnte unterdrückt. Die Worte machten ihn an. Doch noch ließ sein Partner keine Taten folgen. Statt dessen leckte er Wasser von dem nassen Körper... "Val... bitte... ich will nicht warten..." stammelte der Allmeister. Sein Partner grinste ihn an. "Wo bliebe da der Spaß? Sei nicht so ungeduldig." Er beugte sich zu den Brustwarzen hinunter und neckte sie geschickt mit der Zunge. Eikyuu jammerte mitleiderregend. Natürlich hätte er sich von seinen Fesseln befreien oder generell wehren können, aber er fuhr viel zu sehr darauf ab, seinem Geliebten ausgeliefert zu sein, das wussten sie beide. Valerian gab ihm gerne, worauf er abfuhr. Er für seinen Teil liebte es, wenn Eikyuu bettelte. Der Drache wand sich keuchend unter seinen Zuwendungen. "Ich will dich in mir haben," säuselte er flehend. "Kariat...!" "Ich gebe dir deinen Willen, aber nur, weil ich es selber kaum noch aushalte," erbarmte sich Valerian. Er saugte kurz am Bauchnabel seines Geliebten, doch dann ließ er von ihm ab, positionierte sich zwischen seinen Beinen und sah ihn fragend an. Eikyuu hob eine Augenbraue. "Brauchst du etwa ne Extraeinladung?" "Ich mag diesen Blick von dir, so voller Erwartung, kurz bevor ich dich nehme..." "Kaaariiaaaat!!!" Valerian gab seinem eigenen Verlangen nach und trieb sich recht unzeremoniell in ihn. Eikyuu warf aufschreiend den Kopf zurück, doch der angehende Allmeister erkannte den Laut als Lustschrei. Er hatte sich nur schwer daran gewöhnen können, dass sein Partner einen gewissen Schmerz beim Liebesakt zu genießen wusste, und noch schwerer war es ihm anfangs gefallen, ihm wirklich wissentlich wehzutun. Doch Eikyuu hatte ihn gelehrt, Gefallen an seiner Rolle zu finden. Es konnte wirklich Spaß machen, den anderen auf diese Art zu beherrschen - und genug Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, dass dieser es mit sich machen ließ, war ein sehr erhebendes Gefühl. Er kostete für einen Moment nur das Gefühl der Vereinigung aus, wie so oft. Dann zog er sich ein wenig zurück, nur um erneut zuzustoßen, und wiederholte den Vorgang. Er wusste, dass er brutal war, aber auch, dass es Eikyuu gefiel. Die erregten Schreie bestätigten das. Leider kamen sie auf diese Art beide sehr schnell, so auch dieses Mal. Eikyuu gab sich keine Mühe, sich zurückzuhalten, und da er stets Valerians Emotionen mitbekam, erreichte er zuerst seinen Höhepunkt und riss seinen Partner mit. Der Schwarzhaarige ließ sich keuchend auf die Brust des anderen sinken und bat die Wurzeln, ihn wieder freizugeben, was dann auch umgehend geschah. Eikyuu schlang die Arme um ihn, als hätte er ihn seit Monaten vermisst. Es hätte der Beginn einer wundervollen Kuschelrunde werden können, doch ihnen näherten sich zwei Reiter. Valerian streckte die Hand aus und ließ all seine Sachen einschließlich des Schwertes herbeischweben. Als die Reiter den See erreichten, hatte er sich seine Hose und das Hemd angezogen und Eikyuu seinen Umhang ausgeliehen. Chitatsu und der Schmied zügelten ihre Pferde. Der Meister trug jetzt auch das Wappen der Ignesiusfamilie auf einem Medaillon sichtbar um den Hals. Beide hatten eine Rüstung aus einigen leichten Metallteilen an, die nicht zu hinderlich zu sein schien. Die Arbeitskleidung von Drachentötern. Dazu gehörten je zwei lange, schlanke Schwerter. Valerian baute sich automatisch vor Eikyuu auf. "Sieht aus, als hätten wir Euch unterbrochen, Hoheit," stellte Chitatsu in spöttischem Tonfall fest. "Ich war in der Tat noch nicht fertig mit ihm, aber mir fällt beim besten Willen nicht ein, was euch das angehen könnte," entgegnete der Prinz. "Im Übrigen ist hier das königliche Jagdrevier, verbotenes Gelände für euch." "Wir wildern ja nichts, was andere vermissen würden," meinte Chitatsu. "Ich will den Drachen erlegen. Wie sieht es aus, stellt er sich oder ist er zu feige?" "Ich muss dir nichts beweisen," mischte sich Eikyuu in das Gespräch. "Allerdings könnte dir ein kleiner Dämpfer nicht schaden, du Kind." Er war neben seinen völlig entsetzten Geliebten getreten. "Towa, nicht!" zischte Valerian. "Du bist ein geschickter Schwertkämpfer, aber er will dich als Drachen bekämpfen, du solltest ihn nicht unterschätzen! Außerdem werden sie hinterher wissen, was für ein Drache du bist!" "Ein Seelenleser, das wissen wir. Sohn von Kyuujo, den wir sein Jahrzehnten jagen," teilte der Schmied ihnen mit. Eikyuus Augen verengten sich. "Woher wisst ihr das denn so genau?" "Wir haben unsere Quellen," war die einzige Antwort. "Warte hier, Kariat. Das wird nicht lange dauern," sagte der Seelenleser zu seinem Geliebten und ging ein Stück von den Menschen weg, um genug Platz für seine Verwandlung zu haben - und um Abstand zwischen sich und die Drachentöter zu bringen. Indessen stieg Chitatsu von seinem Pferd ab. Als Eikyuu seine Drachengestalt annahm, zog er seine beiden Schwerter. Der Schmied blieb zurück, und Valerian sah voller Angst zu. Er hatte erlebt, wie Eikyuu einen Drachen erledigt hatte, und es auch schon selber getan. Zweifellos war der Drachentöter genauso gut. Eikyuu beobachtete seinen Feind wachsam. Es kam selten genug vor, dass er in der Rolle des vermeintlichen Opfers war, aber es war auch nicht das erste Mal. Und was viele nicht wussten... er hatte vom Besten gelernt. Seine Sinne nahmen Valerians Verspanntheit war, aber ein Teil des Prinzen wurde von kalter Gelassenheit und Berechnung beherrscht, möglicherweise unbewusst. Der Rächer in ihm wusste, dass sein Geliebter dieser Herausforderung standhalten konnte. Chitatsu näherte sich von vorne. Da Drachen ihre Augen seitlich am Kopf hatten, konnten sie zwar fast ihre ganze Umgebung beobachten, aber schlecht sehen, was sich genau vor ihnen befand, ähnlich wie zum Beispiel Pferde. Der Junge schirmte seine Gedanken recht wirkungsvoll ab, und Eikyuu fragte sich erneut, wer ihm zu dieser Vorsichtsmaßnahme geraten hatte. Die Kräfte der Seelenleser waren nicht allgemein bekannt, in weiten Teilen von Slarivestos wurden sie deshalb einfach *Zweihörner* genannt. Eikyuu wartete gefährlich lange ab, bis Chitatsu auf ihn losging, um ihm die Schwerter hinter den Kiefer zu rammen. Viele Drachen verließen sich zu sehr auf ihre Zähne und Krallen. Doch Eikyuu sprang zur Seite, gewand wie eine Katze. Er schlug mit den Flügeln, so dass der Feind vom Wind aufgehalten wurde, und drehte sich, so dass er ihn mit einem Schlag seines Schwanzes niederstrecken konnte. Schon war er wieder über ihm. Valerian und der Schmied starrten auf die Szene. Der Drache hätte Chitatsu zertreten können, konnte es immer noch. Der Junge lag am Boden, hatte aber seine Schwerter vor seinem Gesicht gekreuzt. Beide Klingen steckten in der großen Pranke, ihre Spitzen ragten auf der Oberseite heraus. Diese Tatsache schien ihm erst einmal das Leben zu retten, doch für Eikyuu wäre es kein Problem gewesen, ihn trotzdem zu zerquetschen. Der Drache konnte jetzt deutlich spüren, dass sein Feind in Panik war, anscheinend wusste er um seine bedrohliche Lage. Valerian griff ein. Er ging auf die beiden Gegner zu, um in Chitatsus Hörweite zu kommen. "Lass die Schwerter los, dann wird er dich gehen lassen." "Ich bin doch nicht blöd!" keuchte Chitatsu. Eikyuu senkte seine Krallen drohend ein Stückchen weiter, obwohl sich dadurch die Klingen tiefer in sein Fleisch bohrten. "Er wird dich auf jeden Fall töten, wenn du nicht aufgibst," gab Valerian dem Jungen zu verstehen. "Aber er legt nicht wirklich Wert auf dein Ende, also gib auf und rette dein Leben. Entscheide schnell, er möchte langsam das stechende Gefühl in seiner Pranke loswerden." "Chitatsu! Du hast versagt, also gestehe deine Niederlage ein und versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal," ließ sich der Schmied nun vernehmen. Sein Lehrling war etwas überrascht, gehorchte jedoch und ließ zögernd die Schwerter los. Eikyuu gewährte ihm etwas Freiraum und ließ ihn davon kriechen. Chitatsu sah noch einmal auf seine verlorenen Schwerter, dann stand er auf und rannte zu den Pferden. Die beiden Drachentöter ritten unverrichteter Dinge davon. Valerian eilte hinzu und zog die Klingen heraus. Eikyuu stieß lediglich einen leisen Schmerzlaut aus. Er verwandelte sich zurück, während Valerian sein Hemd zerfetzte, um die Wunde zu verarzten. Sie blutete stark, somit verband er sie erst einmal und suchte dann am Ufer des Sees nach Heilkräutern. Schweigend und gewissenhaft ging er seiner Arbeit nach, zerkaute bittere Pflanzenteile und legte sie auf die Wunde, verband diese anschließend neu. Erst dann schloss er den Allmagier erleichtert in die Arme. "Das war echt gut, Kyuu. Aber musste das sein?" "Ich wollte ihm eine Lektion erteilen." "Eine gefährliche Lektion." "Für ihn, ja." Eikyuu grinste frech. Er lehnte sich bequem an seinen Partner. "Wir müssen wohl zurück laufen, ich will nicht, dass du dich wieder verwandelst," bemerkte Valerian. "Das ist ein weiter Weg," wandte der Seelenleser ein. "Wir werden erst heute Abend zurück sein." "Aber deine Wunde würde wieder bluten, also hör auf, mit mir zu diskutieren." Valerian packte ihn in seinen Umhang ein, denn sie hatten keine Kleidung für Eikyuu mitgenommen - immerhin hatten sie angenommen, auf dem gleichen Weg wieder zurückzukehren. "Noctivagus weiß doch, wohin wir wollten, vielleicht kommt er uns suchen." "Da kommt schon jemand." Eikyuu deutete nach vorn, von wo sich ein Reiter auf einem grauweißen Pferd näherte. Es war Maris. Der Barde war überrascht, als er die beiden erkannte. "Oh, so ein Zufall, was macht Ihr denn hier?" Könnten wir Euch auch fragen, dachte Valerian, verkniff sich die Bemerkung jedoch. "Wir hatten ein Scharmützel mit diesem Chitatsu. Eikyuu soll sich jetzt nicht verwandeln, damit die Wunde nicht wieder aufgeht." Er musterte interessiert das Pferd. "Ein schönes Tier... würdet Ihr es mir ausleihen, damit ich meinen Drachen heimbringen kann?" "Ich trenne mich nur ungern von ihm. Warum lasst Ihr Eikyuu nicht mit mir zurück reiten? Sagt mir nur, wohin ich ihn bringen soll." Eikyuu räusperte sich. "Vielleicht darf ich dazu auch was sagen? Ich könnte allein reiten und Euch sozusagen meinen Kariat als Sicherheit dalassen. Dann werde ich jemanden mit Eurem Pferd zurückschicken. So wäre ich schneller." Die beiden anderen Männer tauschten fragende Blicke aus. Schließlich stieg Maris ab. "Seid Ihr sicher, dass Ihr das schafft? Vielleicht werdet Ihr wieder angegriffen." "Nicht mehr heute, der Junge muss sich erstmal von seinem Schrecken erholen. Darüber hinaus haben die Drachentöter so etwas wie einen Ehrenkodex. Sie betrachten Drachen zwar nur als Tiere, aber sie erweisen ihnen den Respekt des Jägers gegenüber seiner Beute. Sie greifen denselben Drachen nicht zweimal am selben Tag an, sondern geben ihm Gelegenheit, seine Wunden zu lecken, während sie entscheiden, wer von ihnen es als Nächster versuchen darf." Eikyuu verwandelte nebenbei den Umhang in eine Hose und ein Oberteil und stieg auf das Pferd. "Ich danke Euch." Der Barde nickte ihm wohlwollend zu. "Passt auf Euch auf, Ihr seid ein bisschen blass." Eikyuu trieb das Pferd an. Es trug ihn gehorsam und schnell zum Palast zurück. Valerian und Maris indessen spazierten langsam zurück. "Eigentlich wollte ich einen kleinen Ausflug machen. Ich kenne diesen See hier. Scheint jetzt eher ein Spaziergang zu werden," bemerkte der Blonde. Er trug im Moment eher unauffällige Kleidung, also war er offenbar nicht beruflich unterwegs gewesen. "Wollt Ihr nicht für meine Schwester singen? Ihr könntet eine Unterkunft im Schloss haben," bot Valerian ihm an. "Aber Prinz, Ihr wisst doch gar nicht, ob ich gut bin," gab Maris zu bedenken. "Ihr könnt Euch ein edles Pferd leisten." "Erwischt." Beide lachten vergnügt. "Vermisst Ihr das Fliegen?" fragte der Barde plötzlich. Valerian sah ihn überrascht an. "Wie bitte? Was meint Ihr?" "Euer Schwert. Euer anderes Ich." Maris lächelte milde. "Kein normaler Mensch würde ein Rächerhorn als Schwert benutzen." "Nun, ich bin Eikyuus Kariat. Alles andere... die Erinnerung... ist eher unbewusst. Dicht unter der Oberfläche. Es gefällt mir ganz gut so." Der Blonde nahm es zur Kenntnis und hakte nicht weiter nach. Valerian jedoch hatte noch eine Frage, die ihm auf der Zunge brannte: "Ihr sagtet, dass eure Familie aus Drachen und Draconern besteht. Das können keine Rächer sein, aber Ihr besitzt ein Rächerhorn, wie ist das möglich?" Maris schien die Antwort sorgfältig abzuwägen. "Wie schon erwähnt, es ist seit langer Zeit in der Familie. Und meine Angehörigen sind ein bunter Haufen. Oft heiraten Draconer verschiedenster Rassen in die Familie ein, manchmal auch Drachen. Ich kenne zwei Draconer - die Frau ist eine entfernte Cousine - die sind verheiratet, obwohl sie nicht derselben Rasse angehören. Er ist ein Windsegler und sie eine Lichtsängerin. Ihre Kinder sind alle vier Draconer. Drei Lichtsänger und ein Windsegler. Sie haben Glück, dass kein Mischling oder Mensch entstanden ist, der würde vielleicht mit Spott zu kämpfen haben." "Stimmt es, das Mischlinge unfruchtbar sind?" wollte Valerian wissen. Der Barde hob die Schultern. "Naja, das wird allgemein angenommen." "Es ist seltsam, nicht?" fand der Prinz. "Menschen können sich ja auch untereinander fortpflanzen, wenn sie verschiedenen Völkern angehören und vielleicht andere Hautfarben haben. Die Kinder sind, was das betrifft, ganz normal." "Das kann man nicht vergleichen," meinte Maris. "Drachen sind nicht wie Menschen. Sie sind magische Geschöpfe, wie Einhörner, Zentauren und all die anderen. Ihre Kräfte vertragen sich nicht immer miteinander. Mischlinge können sehr mächtig sein, wenn sie die Aspekte beider Eltern vereinen können, aber es wäre gefährlich, wenn sie sich ausbreiten würden. Ihre große Macht lässt sie unfruchtbar sein, gerade so, als hätte die Natur einen Riegel vorgeschoben. Ich habe aber Gerüchte gehört, dass solche Mischlinge sich mit Menschen paaren können, also praktisch Draconer hervorbringen, die keiner eindeutigen Rasse angehören. In Slarivestos soll es entsprechende Zuchtexperimente..." Der Mann hielt sich die Hand vor den Mund, als hätte er zuviel gesagt. Valerian hielt ihn an der Schulter fest und blieb stehen. "Was habt Ihr mit Slarivestos zu tun? Sagt jetzt nicht, Ihr stammt von da!" Er blickte seinem Gegenüber in die seltsamen Augen und musste blinzeln, weil er glaubte, in die Tiefe des Universums zu stürzen. "Ich, ähm... Ich gehe manchmal dorthin und versuche, die Zustände für die Drachen zu verbessern. Als Barde ist man fast überall willkommen. Ab und zu kaufe ich jemanden frei..." gab Maris zu. Valerian war erleichtert, er hatte schon befürchtet, sich mit dem Falschen angefreundet zu haben. "Eikyuu und ich wollen uns auch für diese Drachen einsetzen," eröffnete er ihm. "Wir sind leider noch nicht so sehr dazu gekommen, weil wir... eine andere Mission hatten. Aber wir haben Kontakte..." Maris rieb sich nachdenklich das Kinn. "Nun... Ich denke, ich habe doch Zeit, um für Eure Schwester zu singen..." *** Fortsetzung folgt. Kapitel 2: Rächerseelen ----------------------- Kapitel 2: Rächerseelen Valerian und Maris landeten auf Noctivagus vor dem Schloss. Kaji erwartete sie dort mit Kleidung für seinen Großonkel. Das edle Pferd des Barden stand ebenfalls bereit. Es war mit Wasser versorgt worden, aber da die Freunde nicht gewusst hatten, ob Maris noch bleiben wollte, hatten sie das Tier nicht in den Stall gebracht. "Ich werde in die Stadt reiten und meine Sachen holen," bot der Blonde an. "Wenn Ihr Euch wie versprochen um ein Zimmer für mich kümmern könntet, mein Prinz..." "Ich bin Zauberlehrling," verbesserte Valerian ihn. "Aber ich werde mich darum kümmern, Veruscha wird sich sicher freuen." Maris stieg auf sein Pferd und ritt Richtung Stadt davon. Indessen trat Noctivagus an den Prinzen heran. "Du trägst den Verband schon wieder nicht mehr," klagte er ihn an. "Der wäre mir nur hinderlich gewesen, deshalb habe ich ihn heute früh weggelassen. Tut gar nicht mehr weh," verteidigte dieser sich. "Das war eine ernste Verstauchung, du solltest es wieder verbinden," beharrte der Magier. Valerian seufzte. "Ja, ist gut. Wo ist Eikyuu?" "In eurem Zimmer vermutlich. Sieh zu, dass du wenigstens ihn richtig verarztest, wenn du dich schon um dich selbst nicht kümmerst." "Na klar," versicherte Valerian und marschierte ins Schloss. Er fand einen Diener und bat ihn, die Königin um eine Audienz für ihn zu bitten. Normalerweise hatte er das nicht nötig, aber er wusste nicht, wo sie gerade war. Inzwischen begab er sich zu seinem Drachen. Dieser befand sich in der Tat in ihrem gemeinsamen Zimmer, wo er gerade dabei war, seine Frisur neu zu richten. Sein gewohntes Magiergewand trug er bereits. "Bist du gut angekommen?" erkundigte Valerian sich. Eikyuu nickte. "Na klar, tu nicht so, als wäre ich schwer verletzt." "Deine rechte Hand ist durchbohrt!" erinnerte sein Schüler ihn. "Damit ist nicht zu spaßen! Ich sollte mal zur singenden Nixe reiten, um ein paar Zutaten zu holen..." "Mach dich nicht lächerlich, dieses Kraut reicht doch. Wechsle einfach den Verband, dann können wir die Sache bald vergessen." "Zumindest bis zum nächsten Angriff," wandte Valerian ein. "Nimm nicht immer alles so auf die leichte Schulter." "Was ist mit dem Barden?" wechselte der Seelenleser das Thema. "Maris? Er ist anscheinend an einer Aktion gegen die Zustände in Slarivestos beteiligt, allerdings kann es auch sein, dass er allein arbeitet. Ich hab ihn eingeladen, uns zu helfen," erzählte der Schwarzhaarige. "Gut, ich glaube, dass er ein ehrlicher Mensch ist. Oder was auch immer. Glaubst du, er hat eine Rächerseele?" "Es kommt mir so vor. Wir hatten ein recht aufschlussreiches Gespräch," murmelte Valerian. "Leider kam dieses Thema etwas zu kurz, das war mir aber auch ganz recht. Ich mag nicht ausgefragt werden, schon gar nicht über meine früheren Leben. Was ich war, mag uns ab und zu helfen. Aber für mich zählt nur, was ich bin. Der Kariat des schönsten Drachen weit und breit." Eikyuu lächelte und kam zu ihm. "Du neigtest auch in deinem früheren Leben schon zur Übertreibung. Aber du sollst wissen, dass ich dich für das liebe, was du bist, und nicht für das, was du warst. Obwohl beides natürlich eine perfekte Kombination ist." "Vielleicht eine schicksalhafte," überlegte Valerian. "Vielleicht haben wir beide es unbewusst gespürt..." "Ja, vielleicht." Eikyuu schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Ein Teil seiner Haare war noch nicht geflochten und hing lose herunter. "Darf ich dich heute Nacht bewusstlos vögeln?" Valerian lachte, er liebte diese offene Art. Witzigerweise war es Shitai, von dem der Seelenleser das ursprünglich hatte. Shitai hatte Eikyuu zu dem gemacht, was er heute war. Somit hatte er sich praktisch selbst ein Geschenk gemacht. "Ich betrachte das als Zustimmung," säuselte der Drache. Valerian hielt ihn, bis der Diener erschien und verkündete, seine Schwester erwarte ihn in ihren Gemächern. "Ich muss mit ihr was besprechen," entschuldigte der Prinz sich. "Bin aber gleich wieder da." Er trennte sich widerstrebend von seinem Geliebten und suchte Veruschas Räume auf. Kurz nachdem Valerian weg war, klopfte Noctivagus an Eikyuus Tür. "Ich wollte nur nachsehen, wie es dir geht." Der Allmagier seufzte. "Hey, ihr macht euch alle zu viele Sorgen. Ich hab einen Drachentöter besiegt und mich dabei verletzt, das ist alles. Es war ein kalkuliertes Opfer und der Schmerz ließ sich aushalten." "Bist du sicher, dass er dich nicht ernsthaft verletzt hat? Kannst du alle Finger bewegen? Tut es noch weh?" Eikyuu verdrehte genervt die Augen. "Ja, ja, und nein, Noctivagus." Er nahm wieder seinen Kamm zur Hand, flocht den ersten seitlichen Zopf und steckte einige Falkenfedern daran fest. "Wir essen heute mit dem Königspaar. Du solltest dich umziehen, mein Freund." Der Schattenmagier trug nur die leichte Robe, die er sich nach seinem Flug übergezogen hatte. Er hob die Schultern in einer Geste der Hilflosigkeit. Wenn Eikyuu nicht auf ihn hören wollte, konnte man ihn nicht dazu zwingen. Er suchte sein eigenes Zimmer auf, um sich für den Abend herzurichten. Bald darauf kam Valerian zurück. Auch er musste sich noch umziehen, aber es scherte ihn nicht besonders, dass er ohne Hemd im Schloss herumgelaufen war, immerhin waren die Bediensteten aus früheren Zeiten Schlimmeres von ihm gewohnt. "Maris wird im Palast wohnen und uns dann zur Insel begleiten, um die Organisation kennen zu lernen. Er möchte uns helfen, und zwar aktiver als bisher. Hey, Kyuu... du bist wirklich blass..." Eikyuu verschränkte die Arme. "Das bildest du dir ein, Kariat. Zieh dich um." "Erst lege ich dir einen vernünftigen Verband an, das da ist ja nur mein zerfetztes Hemd..." Davon ließ Valerian sich nicht abbringen, und so musste der Magier sich wohl oder übel gedulden. Erst viel später waren alle bereit, zum Essen zu gehen, und mussten sich bei der Königin für die Verspätung entschuldigen. Der größte Teil des Elementarkreises wartete schon, Shisei quengelte vor Hunger. Eikyuu lächelte in sich hinein. Irgendwie ließ er immer die Leute mit dem Essen warten... Er hatte allerdings keinen großen Appetit und aß daher nicht viel, eigentlich aß er überhaupt nur, weil er merkte, dass alle besorgte Blicke auf seinen Teller warfen. In der Zwischenzeit war Maris zurückgekehrt und hatte sich in ein edles Bardenkostüm in Violett und Rot geworfen. Er spielte während der Mahlzeit eine leise Melodie im Hintergrund, später unterhielt er die Anwesenden mit ein paar bekannten Volksliedern. Er war gut. Die allseits viel gesungenen Stücke klangen aus seinem Mund ganz neu, und die Saiten seiner Laute verliehen der Musik einen besonderen Charme. Eikyuu drängte seinen Kariat schon früh, sich zurückzuziehen. Gemeinsam verließen sie die Tafel, gefolgt von amüsierten Blicken. Diese Nacht wurde es allerdings nichts mit bewusstlos vögeln. Der Seelenleser fühlte sich schon nach der ersten Runde so müde, dass er eine kuschelige Nacht mit viel Schlaf vorzog. Konnte er sich am Tage so angestrengt haben? Der Kampf war doch ein Witz gewesen... Die Rückreise war für den nächsten Tag geplant. Es war besser, wenn er ausreichend schlief, sagte er sich. Zwar spürte er Valerians Sorgen, aber wenigstens belästigte dieser ihn nicht mehr mit Fragen. Dafür bestand sein Kariat aber darauf, dass er nicht selbst flog, sondern auf Noctivagus oder Kaji ritt. Da es durchaus stimmte, dass die Wunde sich durch die Verwandlung wieder öffnen konnte, stimmte Eikyuu zu. Und er bestand im Gegenzug darauf, dass Valerian seinen verstauchten Arm wieder ruhigstellte, eigentlich nur, um ihn zu ärgern. *** Am Mittag trafen sie auf ihrer angestammten Insel ein. Kaji und Noctivagus mussten noch einmal zurückfliegen, weil sie es zu zweit nicht geschafft hatten, die ganze Gruppe mitzunehmen. Maris war schon früh aufgestanden, um seine Bestellung beim Schmied abzuholen. Er war mit den ersten gereist. Valerian hatte nichts Eiligeres zu tun, als Kyuujo von dem Vorfall mit Chitatsu zu berichten. "Das musste nicht sein," kommentierte Eikyuu. Sein Vater besah sich die Verletzung. "Du bist wie immer leichtsinnig, Junge," meinte er. "Drachentöter greifen zu allen Tricks! Zwar wollen sie einen Drachen gerne im Kampf erlegen, aber manchmal benutzen sie auch Gift!" "Sie wussten, dass Eikyuu dein Sohn ist," bemerkte Valerian. Kyuujo sah überrascht auf. "Wirklich? Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, das vor ihnen zu verheimlichen..." "Dann kann ich jetzt wohl damit rechnen, dass sie mich auch auf dem Kieker haben," meinte Eikyuu leichthin. "Naja, musste ja irgendwann so kommen. Ich hoffe nur, ich muss Chitatsu nicht irgendwann töten..." "Ich bin überrascht, dass du ihn so schnell erledigt hast," bemerkte Kyuujo. "Die meisten Drachen nehmen Menschen entweder nicht ernst und kommen dabei um, oder sie gehen der Konfrontation aus dem Weg." "Du weißt, dass ich nicht der Typ bin, der ewig einem Kampf ausweicht, Vater. Wenn du einen Rächer geliebt hast, siehst du einige Dinge etwas anders." "Ja, leider. Ich werde dir für deine Hand eine Salbe machen und eine Medizin brauen, die du zu trinken hast." "Aber wenn es ein Gift wäre..." "Keine Widerrede!" "Ja, Vater." Der ältere Drache machte sich sofort an die Arbeit und scheuchte dabei Valerian herum, der ihm bereitwillig Kräuter suchte und zerkleinerte. Eikyuu saß daneben und ließ es geschehen. Inzwischen kehrten Noctivagus und Kaji mit dem Rest ihrer Gruppe zurück. Auch Shisei war dabei. Maris ging vor ihr auf die Knie, um auf ihre Höhe zu kommen. "Hey, du bist ja eine Süße!" Sie strahlte und steckte verlegen zwei Finger in den Mund. "Bist du auch ein Zauberer?" "Nee, ich bin doch nur ein Barde. Ich mache Musik!" Valerian, der gerade Levitawurz gesammelt hatte - obwohl man auch Mondscheinsprossen benutzen konnte - sah erstaunt, wie sie den Mann ansah, gar nicht ängstlich wie sonst bei Fremden. Sie ging sogar noch vertrauensvoll auf ihn zu! Maris nahm sie auf den Arm. Das Mädchen lachte vergnügt! Valerian war nicht der Einzige, dem das auffiel. Eliza stand mit offenem Mund daneben, Cyrus und Patrizia trauten ihren Augen kaum. Und Noctivagus, der vergessen hatte, sich anzuziehen, trat völlig verwirrt neben die beiden, konnte aber nicht feststellen, was der Blonde an sich haben mochte. Abgesehen von seinem Schwert vielleicht. "Ihr werdet euch noch erkälten, Noctivagus," bemerkte Maris. Der Magier, der sich dank seines allgegenwärtigen Schattenzaubers selbst nackt keine Blöße gab, griff geistesabwesend nach einer Robe, die Undan ihm reichte. "Was seid Ihr?" entfuhr es ihm. Des Barden unergründliche Augen ruhten auf ihm. "Nur ein Freund, der seine Hilfe anbietet. Ich kann nur meine Bekanntheit in den meisten Ländern anbieten - ein Barde kommt viel herum... er wird überall gern gesehen und verdient auch ganz gut dabei." Valerian kam hinzu, da er zufällig mitgehört hatte. "Dann muss es wohl stimmen. Ihr habt eine Rächerseele. Vielleicht eine sehr alte. Und Ihr wisst es." "Das mag sein," räumte Maris ein. "Aber ich kann Euch nicht helfen außer durch mein Wissen über andere Länder. Naja... und vielleicht weiß ich etwas über die ein oder andere weitere Sache. Ich gehe ganz gut mit einem Schwert um..." Kyuujo stand an der Tür des Baumhauses und beobachtete die Konversation aus einiger Entfernung. "Wer ist dieser Maris? Ich habe nicht das Gefühl, dass er gefährlich oder unehrlich ist, aber ich kann ihn nicht wirklich lesen." "Wir glauben, dass er ein wiedergeborener Rächer ist," gab Eikyuu von drinnen Auskunft. "Er hat ein Rächerhorn, dass er nach eigenen Angaben einst getragen hat. Es ist ziemlich groß und stammt vielleicht aus einer Zeit, als Rächer noch älter wurden, weil es genug von ihnen gab." Kyuujo runzelte die Stirn. "Nun ja... dafür sollten wir wohl dem Schicksal danken. Rächer können starke Verbündete sein, wenn sie nicht gegen einen sind." Etwas lauter rief er: "Hey, Val, wo bleibt das Kraut?" Der Schwarzhaarige riss sich aus der Unterhaltung los und kehrte zum Baumhaus und seinem Kessel zurück. Als er Kyuujo den Levitawurz überreichte, konnte sich dieser ein Grinsen nicht verkneifen, während Eikyuu ergeben seufzte und sich in sein Schicksal fügte. Gegen Abend waren dann alle Zaubermittelchen fertig. Eikyuu ließ seine Hand mit Salbe einreiben und dick bandagieren, damit sein Vater zufrieden war. Dann trank er den Tee, den sie für ihn gebraut hatten, wohl wissend, dass er am nächsten Morgen ein Lustbündel sein würde. Er legte vorsorglich schon mal einen Stillezauber auf die untere Etage des Baumhauses, da er nicht sicher war, ob er später so logisch denken würde. Maris hatte sein eigenes Zelt mitgebracht und in der Nähe der anderen aufgebaut, nur dass es im Vergleich zu den permanenten Wohnzelten der Elementarkreismitglieder recht bescheiden wirkte. Er saß noch eine ganze Weile mit ihnen am Feuer und sang seine Lieder. Die Stimmung war heiter, es wurde sogar getanzt. Shisei und die anderen Kinder waren entzückt von dem Barden. Aber er musste ja auch von Berufs wegen Leute glücklich machen können, oder er bekam kein Geld. Wenn er eine Pause machte, zeigte er seine verschiedenen Münzen, was ein Großteil der Gruppe sehr interessant fand. Irgendwann am späten Abend stimmte er eine Ballade an, die man seit ewigen Zeiten nicht mehr gehört hatte - oder zumindest seit einem Vierteljahrhundert nicht. Es war ein Lied über einen grausamen König, zu dem ein Rächer kam, um ihn zu richten, da zahlreiche Seelen ihm ihr Leid geklagt hatten. Kyuujo und Eikyuu kannten das Lied von früher und sangen mit, die übrigen bemühten sich, es zu lernen. Erstaunlicherweise schien auch Shisei es zu kennen. Und Valerian. Dieser runzelte die Stirn, als der letzte Takt verklungen war. Die Erinnerung war nicht wirklich greifbar, kam aber offensichtlich bei Bedarf in ihm hoch. Dann wagte Maris sich noch weiter vor. Er spielte eine schnelle Melodie an, entlockte seinem Instrument die brutalsten Töne, zu denen es fähig war. Und dann sang er in der alten Sprache der Drachen, bediente sich dabei einer altmodische Form, wie sie normalerweise nicht einmal in den überlieferten Liedern der Rächer benutzt wurde. Aber es war ein Rächerlied, das von seiner vielseitigen Stimme in dunklen Tönen interpretiert wurde. Den Zuhörern wurde auf einmal kalt. Sie hatten das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, als ob plötzlich die Geister der Toten unter ihnen waren. Denn Maris sang das *Klagelied der Gemeuchelten,* das die ruhelosen Seelen von Ermordeten und Umgekommenen herbeirufen sollte, wenn es einen Rächer gab, der bereit war, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. "Wer im Namen des Erlösers ist er, dass er das wagt?" murmelte Kyuujo. "Du solltest lieber fragen, wer er *war*," meinte Eikyuu. "Offenbar hat er es nicht vergessen. Der Rächer ist stark in ihm, und er macht keinen Hehl daraus. Aber ich frage mich, ob Shisei schon damit konfrontiert werden sollte." Sie blickten zu dem Mädchen hinüber, das andächtig dem Gesang lauschte. Maris wechselte die Tonlage und sang das Lied noch einmal etwas höher. Dieses Mal sang Shisei mit, und alle starrten sie an. Ein kleines Kind, dass so etwas vortrug, hatte etwas Unheimliches an sich. "Es muss von einem wahren Rächer gesungen werden, um seine volle Wirkung zu entfalten," flüsterte Eikyuu. "Hoffentlich werden wir die Geister, die sie rufen, auch wieder los." "Falls es klappt," meinte Kyuujo. "Davon bin ich überzeugt. Dieser Barde hat einen starken Willen und strotzt vor Selbstsicherheit. Sie sind hier. Ich kann sie spüren wie damals Shiseis Geist." "Ja, jetzt wo du es sagst..." Shiseis Augen hatten einen ganz abwesenden Ausdruck bekommen, während sie sang. Sie schien zu sehen, was den anderen verborgen blieb. Aber sie hatte kein bisschen Angst davor. Das war faszinierend, aber auch etwas beängstigend. Ein Kind, das so ganz selbstverständlich in einer Macht schwelgte, die es noch gar nicht kennen sollte. Aber Rächer waren eben anders. Jeder von ihnen hatte eine alte Seele, auch wenn der Körper jung war. Valerian setzte sich neben Eikyuu und legte einen Arm um ihn. "Lass uns schlafen gehen. Vielleicht hat Shisei morgen einen Auftrag für uns. Sie kann ja schlecht selber Rache für jemanden nehmen." Eikyuu sah ihn entsetzt an. "Kariat! Ich will nicht, dass du..." Doch Valerian hielt ihm einen Finger vor den Mund und brachte ihn zum Schweigen. "Mach dir keine Sorgen. Timarios ist auch ein Rächer, und ich wette, gerade jetzt sieht er uns zu. Er wird schon ein Auge auf uns haben, schließlich dürfte er daran interessiert sein, dass seine Art erhalten bleibt." Der Seelenleser erhob sich zögernd und folgte ihm zu ihrem Baumhaus. Es war ihm ganz recht, vom Lagerfeuer wegzukommen, denn seine Sinne nahmen mehrere unruhige Präsenzen wahr. Da er wusste, was sie waren, konnte er damit fertig werden, aber das hieß nicht, dass es ihm gefiel, in ihrer Nähe zu sein. Seltsamerweise schien es Kyuujo nicht so sehr zu stören. Vielleicht konnte er sich besser gegen seine Gabe sperren. Kurz vor dem Ziel blickte Valerian sich noch einmal um. Was er sah, ließ ihn fast an seinem Verstand zweifeln, aber nur fast, denn der Teil von ihm, der älter war als der Rest, wunderte sich über gar nichts. Da standen bestimmt zehn Gestalten um das Feuer herum, die eigentlich gar nicht da sein konnten. Sie waren leicht durchscheinend, und sie sangen leise mit Maris mit. Der Barde sah auf und begegnete Valerians Blick. Vielleicht war es eine Täuschung durch die Schatten der Nacht im Schein des Feuers, aber es schien, als würden in seinen Augen entfernte Sterne leuchten und als hätte er einen roten Fleck auf der Stirn, wie jeder Rächer, der vor kurzem noch in seiner Drachengestalt sein Horn getragen hatte. Kyuujo war früh am nächsten Morgen auf den Beinen, denn er wollte nicht in die Liebesakte seines Sohnes hineinplatzen, wenn er aufstand. Er ging zum Strand und traf dort Shisei, ihre Mutter Eliza und Maris. Die drei blickten auf das Meer hinaus, über dem in dieser Himmelsrichtung gerade die Sonne aufging. "Ihr Rächer habt eins gemeinsam," stellte der Seelenleser fest. "Ihr seht euch gerne Naturschauspiele an, immer so, als könnte es das letzte Mal sein. "Hat Euch Euer Sohn das gesagt?" hakte Maris lächelnd nach. Kyuujo machte eine unbestimmte Kopfbewegung, die weder ja noch nein hieß. "Ich war mal mit einem befreundet, der Shikaku hieß. Leider kam er bei einer Racheaktion um. Es war immer ein Risiko, so eine Freundschaft. Man musste damit rechnen, dass man eines Tages darum trauern würde. Am Tag vor seinem Tod hat Shikaku während eines Gewitters im Regen getanzt." "Shikaku ist wiedergeboren worden," sagte Maris einfach. "Du würdest dich wundern, du kennst ihn nämlich. Aber er erinnert sich nicht, und so sollte es bleiben." Kyuujo nickte. "Wahrscheinlich. Er muss ja wohl ein Mensch sein." Der Barde sah ihn mit blauen Augen an, in denen sich die Weite des Meeres zu spiegeln schien. "Er hat in seinem Leben nichts bereut und hatte keinen Grund, ruhelos zu sein. Seine letzte Rache hat er erfolgreich ausgeführt, wenn auch um den Preis seines eigenen Lebens. Wenn sein Leben endet, kann er wieder ein Rächer werden." Er deutete mit dem Kopf auf Shisei, die unter Elizas wachsamen Augen in den Wellen spielte. "Bis dahin dürfte sie alt genug sein, um Kinder zu haben." Kyuujo runzelte missbilligend die Stirn. Es passte ihm nicht, dass Shiseis Existenz der Vermehrung ihrer Rasse dienen sollte, aber so würde es nun einmal sein, weil es nötig war. "Und Ihr, wollt auch Ihr sie eines Tages Mutter nennen?" erkundigte er sich. "Wer weiß, aber dazu kommt es sicher nicht," meinte Maris. Der Seelenleser konnte die Eindrücke, die er empfing, nicht ganz deuten. Aber er vermutete... "Oh nein, habt Ihr es etwa darauf abgesehen, der Vater ihrer Kinder zu werden?" Der Blonde hob die Augenbrauen. "Welch interessante Idee. Aber noch längst nicht aktuell. Obwohl ich nicht zu alt wäre, wenn sie soweit ist. Dürfte ja schnell gehen. Schaut nicht so, das war nur ein Scherz." "Sie ist der letzte Rächer. In ihrem früheren Leben hat sie viel durchgemacht. Passt lieber auf, was Ihr Euch vornehmt." "Timarios hält eine schützende Hand über all seine Kinder, sorgt Euch nicht, Kyuujo." "Als Vater eines sehr leichtsinnigen Sohnes komme ich nicht umhin, mir Sorgen zu machen. Auch um Leute, die mich eigentlich nichts angehen. Aber für Shisei fühle ich mich verantwortlich, also merkt Euch meine Worte. Wenn ihr etwas geschieht, werde ich Rächertendenzen entwickeln!" "Ihr traut mir nicht." "Ich bin vorsichtig. Nach über sechstausend Jahren hat man gelernt, vorsichtig zu sein, oder man ist tot." Maris lachte. "Oh ja, das weiß ich wohl. Schließlich bin ich schon mehr als einmal gestorben!" Kyuujo verzog das Gesicht. "Ihr wisst das noch?" "Natürlich. Gut, so natürlich nun auch wieder nicht, mit diesen Erinnerungen trotz meiner Menschenhülle bin ich wohl eher ein Einzelfall..." "Ich stelle es mir schwierig vor, ein sterbliches Leben zu führen, wenn man unsterblich war," bemerkte der Seelenleser. "Ich bin auf meine Art unsterblich," entgegnete Maris. "Ich werde geboren und sterbe und werde wieder geboren. Mein Tod ist niemals umsonst und niemals ein natürlicher. Aber es gefällt mir so, denn meine Existenz hat einen Sinn. Und ich glaube, dass es auch einen Sinn hat, dass ich Eikyuu getroffen habe. Vielleicht kann mein nächster Tod ihm helfen." Kyuujo fasste sich an den Kopf. "Redet nicht so, das Leben ist doch kein Kleid, das man jemandem schenken oder für jemanden in Stücke schneiden kann!" Der Barde antwortete nicht darauf, aber der Drache hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihm dazu eine Entgegnung auf der Zunge lag, die er zurückhielt. Ihre Unterhaltung wurde dann aber auch durch Shisei unterbrochen, die zu Kyuujo gerannt kam. "Jo, die Geister wollen, dass ihr den Sklavenhändlern das Handwerk legt!" "Ich weiß, wir wollen das auch," sagte er ruhig. "Aber man kommt nicht einfach gegen ein ganzes Land an." "Wieso nicht?" fragte sie ungläubig. Kyuujo seufzte. Kindliche Logik... Seine Gefährtin Choukyuu war sehr aktiv im Bündnis gegen Slarivestos, aber sie war ein Drache und musste sich deshalb zurückhalten. Also beschäftigte sie sich hauptsächlich damit, diejenigen zu betreuen, die sie befreit hatten. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, dass viele von diesen in Sklaverei geboren worden waren und gar nicht wussten, was sie für Talente hatten. Eikyuu und Valerian hatten sich dem Bündnis angeschlossen, hatten sich aber erst einmal um Shisei gekümmert. Doch nun, nachdem Eikyuu auch noch einen Nachfolger als Hüter des Schokoladenkelches gefunden hatte und Valerian mit seiner Ausbildung zum Magier fast fertig war, konnten die beiden mehr tun... was Kyuujo nicht unbedingt gefiel, sein Sohn lebte schon gefährlich genug. "Jemand von uns könnte sich als Sklavenhändler ausgeben, zum Beispiel Valerian," schlug Maris vor. "Mit Eikyuu als seinem Drachen..." "Auf keinen Fall!" protestierte Kyuujo. "Eikyuu hat viel Energie auf das Studium der Magie verwendet und ist somit offen für alle Elemente, was dazu führt, dass er sich nicht ausreichend gegen seine Umwelt abschirmt. Für einen Allmagier wäre das nämlich, als wäre er blind und taub. Aber er ist gleichzeitig ein Seelenleser. Er geht mit offenen Sinnen durch die Welt, und in einem Land wie Slarivestos würde ihn das verrückt machen. Aus diesem Grund wollte ich nie, dass er ein Magier wird. Choukyuu beherrscht ein, zwei Elemente, und sie hat schon Probleme. Magier brauchen den Kontakt zu ihrer Umwelt zu sehr. Aber hat er jemals auf mich gehört?" "Ihr liebt ihn wirklich sehr," stellte Maris fest. "Natürlich, er ist mein Sohn!" Kyuujo wurde nicht rot bei den Worten, obwohl er nicht oft über seine Gefühle sprach. "Ich wünschte sehr, dass er auch Kinder hätte. Aber ich habe mich inzwischen mit Valerian abgefunden. Er hat den traditionellen Kampf um mein Kind gegen mich geführt, etwas mehr als ein Jahr nach dem letzten Treffen. Er war ja verletzt, deshalb gab ich ihm etwas mehr Zeit. Dann fand ich einen Vorwand, um Eikyuu eine Tracht Prügel zu verpassen. War ziemlich an den Haaren herbeigezogen, aber wir wussten ja alle drei, warum ich es tat. Ich dachte, ich könnte Valerian besiegen. Aber nur einer hat mich jemals so fertig gemacht wie er an dem Tag: Shitai." "Wisst Ihr, dass Valerian Shitais Seele besitzt?" fragte Maris. Kyuujo hob eine Augenbraue. "Mich wundert, dass Ihr es wisst! Aber das sollte es vielleicht nicht. Ja, er sagte es mir nach unserem Kampf. Ich hatte es fast schon geahnt, denn der Junge kann das Horn dieses Rächers anfassen. Sagt mir doch... wer wart Ihr, Maris?" Doch der Barde lächelte nur geheimnisvoll und schwieg. Shisei klammerte sich strahlend an ihn. "Das ist unser Geheimnis, nicht wahr, Maris?" Eliza, die sich aus allem herausgehalten hatte, stand in der Nähe und hoffte, dass ihre Tochter nicht allzu bald zu dem Rächer ihrer früheren Leben wurde. *** Fortsetzung folgt. Namensbedeutung: Shikaku: Japanisch. Heißt "toter Winkel". Etwas seltsamer Name, aber ich hab ihn eigentlich nur ausgesucht, weil man ihn mit dem Zeichen für "Tod" schreibt. Man kann es dann so interpretieren, dass Shikaku immer aus einem toten Winkel heraus angegriffen hat.^^ Maris: Ihr werdet euch vielleicht gewundert haben, weil ich diesen Namen noch nicht erklärt habe. Ich gedenke das auch jetzt nicht zu tun. Vielleicht kommt ihr drauf. Kapitel 3: Absturz in die Sklaverei ----------------------------------- Kapitel 3: Absturz in die Sklaverei "Natürlich ist meine Hand in Ordnung, schließlich hast du das Zeug gebraut," beharrte Eikyuu und hielt Kyuujo seine Rechte hin, auf der nun noch eine gerötete Stelle zu sehen war, nichts weiter. "Ich kann die Mission übernehmen." "Ihr habt ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt!" klagte der Drachenheiler den Barden an. Maris hob abwehrend die Hände. "Aber nein, er hat es von selbst mitbekommen! Ich habe heute noch gar nicht mit ihm gesprochen!" Eikyuu und Valerian trugen beide nur je ein Handtuch um die Hüften, da sie gerade vom Baden im Meer kamen. Sie sahen sehr zufrieden aus, kein Wunder, wenn Livitawurz in dem Trank gewesen war... "Ich will mit nach Slarivestos!" kreischte Shisei aufgeregt. Eliza packte sie entsetzt und drückte sie an sich. "Dafür bist du viel zu klein!" "Aber ich kann die Geister sehen!" beharrte das Mädchen. "Ich muss ihnen doch helfen!" "Wir haben jahrelang, sogar jahrzehntelang im Verborgenen gegen die Sklaverei gekämpft, wieso habt ihr es euch jetzt alle in den Kopf gesetzt, dass innerhalb von drei Tagen eine Lösung gefunden werden muss?" regte Kyuujo sich auf. "Ihr könnt nicht einfach eine ganze Regierungsform umstürzen!" "Aber das ist schon gemacht worden," wandte Maris ein. "Man muss nur die Unterdrückten dazu bringen, dass sie auf die Barrikaden gehen..." "Diese Drachen wissen gar nicht, was Barrikaden sind, wenn Ihr versteht, was ich meine!" widersprach der ältere Seelenleser. "Ich muss jetzt nicht mehr den Kelch bewachen, und nur auf der Insel rumzuhängen ist auf die Dauer langweilig," meinte Eikyuu. "Valerian muss mal raus und seine Kräfte erproben. Es ist der ideale Zeitpunkt. Valerian wird sich als reicher Schnösel verkleiden und sich bei den Leuten einschmeicheln! Und ich bin sein ergebener Sklave!" Er kuschelte sich demonstrativ unterwürfig an seinen Kariat. Kyuujo verzog missbilligend das Gesicht. "Junge, das ist kein Spiel! Für einen Seelenleser ist es schwierig in Slarivestos, glaub es mir! Du weißt doch, dass sie ungern *Zweihörner* halten, weil sie als labil und schwierig gelten, was meinst du wohl, woran das liegt? Seelenleser werden verrückt mit all dem Elend, in dem sie leben sollen!" "Es ist nicht so, dass sie alle wie Vieh gehalten werden, viele werden gut gepflegt und wie kostbares Eigentum geschätzt," wagte Maris zu bemerken. Als Barde war er natürlich schon öfter dort gewesen. "Ich kann nicht hier versauern, wenn ich weiß, dass ich an diesen Zuständen etwas ändern könnte," meldete sich Valerian zu Wort. "Als Prinz kann ich es nicht mit ansehen. Als Magier muss ich handeln. Als Kariat eines Drachen dreht sich mir der Magen um bei der bloßen Vorstellung, dass es ein Land gibt, in dem Eikyuu keine Rechte hat. Und meine Seele... meine Seele sehnt sich danach, dieses Unrecht endlich zu beenden. Die Rächer haben schon immer Rache für die Sklaven genommen, die in Slarivestos umkamen, weil sie nicht gut genug behandelt wurden oder einfach einer Laune ihres Herren zum Opfer fielen!" Eikyuu klammerte sich immer noch an ihn. "Ich werde nicht noch einmal meinen Geliebten an sein eigenes Schicksal verlieren, dafür sorge ich." Er befürchtete allmählich, dass Valerian doch zu sehr der Rächer war, der in ihm schlief. "Ich werde Euch begleiten," setzte Maris fest. "Ich kenne mich einigermaßen in Slarivestos aus, weiß über die Bräuche und Gesetze bescheid und spreche die Sprache." "Nehmt mich mit!" verlangte Shisei erneut. "Ich kann nicht hier bleiben und warten, wenn ihr sowas macht!" Alle starrten sie an. Eliza hielt sie immer noch fest. "Du kannst nicht mit, Kleines, sie werden dich einsperren und vielleicht..." Sie wollte gar nicht daran denken, was einem Drachenkind dort alles passieren konnte. "Ich glaube, dass wir sie mitnehmen sollten," meinte Maris. "Es könnte sich herausstellen, dass..." "Dass Ihr ein Sklavenhändler seid, oder was?" unterbrach Noctivagus ihn. "... ihre Anwesenheit vom Schicksal gewollt ist," beendete der Barde unbeirrt seinen Satz. Er wandte sich dem Schattenmagier zu. "Ich weiß, dass Ihr Euch für das Kind verantwortlich fühlt. Warum kommt Ihr nicht auch mit? Ich habe schon eine Idee für eine Story, die wir den Leuten auftischen können. Und ich habe einen Bekannten dort, bei dem wir unterkommen könnten." "Ich erlaube das nicht!" protestierte Eliza mit Tränen in den Augen. "Bevor ich Euch mit meinem Sohn und dem Kind gehen lasse, verlange ich einen Beweis, dass wir Euch vertrauen können," teilte Kyuujo dem Barden mit. "Öffnet mir Euren Geist! Hört auf, Euch zu sperren! Wenn ich sehe, dass Ihr nichts Böses wollt, werde ich dem Plan eventuell zustimmen." "Ich kann Euch nicht erlauben, in meinem Geist herumzuschnüffeln," antwortete Maris sofort. "Reicht es Euch nicht, dass das Mädchen mir vertraut? Und behauptet nicht, sie sei nur ein Kind, das man leicht täuschen könne." "Er ist nicht böse!" rief Shisei. "Wirklich nicht," fügte Maris hinzu, sie freundlich anlächelnd. Er wandte sich wieder den anderen zu. "Wenn alle Stricke reißen, können wir Slarivestos doch wieder verlassen. Lasst mich mit Shisei, Eikyuu, Valerian und Noctivagus gehen. Gebt uns eine bestimmte Zeit, und wenn ihr nichts von uns hört, holt uns zurück." Kyuujo atmete tief durch, versuchte, sich zu beherrschen. "Mein Sohn macht eh, was er will. Aber Shisei ist zu klein... sie kann sich ja nicht einmal an ihr früheres Leben erinnern! Naja, ist vielleicht auch besser so..." "Ich kann die Geister sehen! Sie bitten um Hilfe!" wiederholte das Kind. "Wir verlieren wertvolle Zeit. Ziehen wir uns an," meinte Valerian und verschwand, um seine Kleidertruhe nach etwas Geeignetem zu durchsuchen. "Pack was Einfaches für mich ein," rief Eikyuu ihm nach. Noctivagus verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ich soll dann wohl Euer Sklave sein, oder was?" hakte er nach. "Nun ja..." Maris grinste schief. "Wie gesagt, ich hab schon eine Geschichte auf Lager, die ich Euch unterwegs erzählen könnte. Gehen wir uns auch umziehen?" "Ich auch!" quäkte Shisei ungeduldig. Eliza ließ sie zögernd los. "Bitte... passt auf sie auf! Sie ist nicht von meinem Blut, aber ich habe sie geboren und sie ist wie eine echte Tochter für mich! Ich kann sie wohl nicht aufhalten, ohne sie unglücklich zu machen..." Die Magierin schlug weinend die Hände vor dem Gesicht zusammen. Kyuujo nahm sie tröstend in die Arme. "Mein Sohn geht mit. Es wird sicher alles gut," meinte er und versuchte dabei, überzeugend zu klingen. "Mami... bitte sei nicht böse," bat Shisei. "Geh," schluchzte Eliza. "Sei vorsichtig und komm gesund wieder. Mach immer, was die Erwachsenen sagen." Die Kleine nickte und folgte Maris und Noctivagus. Eikyuu packte ein paar Vorräte für die Reise zusammen, während er auf die anderen wartete. Er selbst zog sich nicht an, schließlich sollte er fliegen. "Bring deinen Schüler in einem Stück wieder, sonst haben wir all die Jahre umsonst auf der Insel verbracht," bat Patrizia ernst. Auch die übrigen Magier hatten Teile der Unterhaltung mitbekommen, hielten sich jedoch weitgehend heraus. "Wir werden vielleicht einen Monat wegbleiben, schätze ich," sagte Eikyuu. "In der Zeit werden wir keine Wunder wirken, aber wir tun, was wir können." Valerian kam bald darauf aus dem Baumhaus, gekleidet in etwas vornehmere Reisekleidung, die jedoch nicht erkennen ließ, dass er ein Magier war. Sein Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Sein brauner Umhang hatte keine Runen am Saum. Er hatte ein Bündel Gepäck dabei, und Eikyuu gab ihm das Vorratspacket dazu. Nicht lange, und die restlichen Mitreisenden waren ebenfalls bereit. Noctivagus übergab sein Gepäck an Maris, der in einer eher unauffälligen Bardenkluft zu reisen gedachte, aber einen Haufen andere Klamotten und sein Instrument dabei hatte. Das Rächerhorn in der neuen Scheide trug er über der Schulter, Valerian das seine wie immer an der Seite. Da Noctivagus auch als Drache größer war als Eikyuu, flog Shisei bei ihm und Maris mit. Das Gepäck trugen die Drachen jeweils an einem Seil um den Hals. Eliza gab ihnen noch ein Bündel mit Kleidung für ihre Tochter und verabschiedete sich unter Tränen von ihr. "Schaffen wir es in einem Stück?" wollte Valerian wissen. "Wenn die beiden fit sind, müsste es gehen," meinte Maris. Eikyuu und Noctivagus stießen sich vom Boden ab. //"Vergiss nicht, deinen Schattenzauber abzulegen, wenn wir ankommen,"// erinnerte der Seelenleser seinen Freund. "Au ja, dann sehen wir Taika wieder," freute sich Valerian. Kyuujo und der Elementarkreis sowie die Familien der Mitglieder standen am Strand und winkten ihnen, dass man meinen könnte, es sei ein Abschied für immer. Die Abreisenden fanden das leicht übertrieben. Die beiden Drachen hatten natürlich Spaß an ihrem Flug. Und ihre Reiter genossen die Reise ebenso. Sie stellten fest, dass Maris die Telepathie beherrschte - was aber für einen in Menschengestalt wiedergeborenen Drachen nicht wirklich verwunderlich war. //"Ich dachte mir, dass Valerian ein verwöhnter Sohn eines reichen Kaufmanns oder sowas sein könnte, der unbedingt mal mit mir nach Slarivestos kommen wollte, weil ich da ja schon so oft war und weil wir uns ja schon aus unserer Kindheit kennen,"// schlug der Barde vor. //"Ich habe bereits ein paar Drachen freigekauft, aber das weiß keiner, also kann ich behaupten, dass ich mit deinem Vater gute Geschäfte mache, Val. Noctivagus habe ich für mich behalten. Du musst dir was ausdenken, woher du Eikyuu hast. Und denk dir einen anderen Namen für ihn aus."// //"Eien. Das hat die gleiche Bedeutung wie sein richtiger Name und eine der alten Runen ist gleich,"// beschloss Valerian sofort. //"Was ist mit Shisei?" wollte Noctivagus wissen.// //"Ich sage einfach, dass ich sie von einem Reisenden gekauft habe, als sie ein Baby war, so dass keiner weiß, was für ein Drache sie ist."// //"Wer ist dieser Freund, von dem du erzählt hast?"// //"Ein Magier, der Halseisen für die Drachenhändler herstellt. Er hat keine Ahnung, was meine wirklichen Motive sind. Wir können bei ihm Eisen für euch erwerben.// //"Du machst wohl Witze!"// empörte sich Noctivagus. //"Willst du einen Rückzieher machen?"// hakte der Barde nach. //"Es wird schon gehen,"// meinte Eikyuu. //"Aber Shisei können wir das nicht zumuten."// //"Kein Problem, sie ist ja noch ein Kind,"// beruhigte Maris die anderen. Die Landschaft, über die sie hinweg flogen, kam Valerian vage bekannt vor von ihrer Reise zum Drachentreffen, nur dass sie dieses Mal bewusst auf das Land der Sklavenhändler zuhielten, anstatt ihm auszuweichen. Eikyuu fiel ein wenig hinter Noctivagus zurück. Seine Flügel kamen kurz aus dem Takt, als er zu ihm aufschloss. Der Prinz musste sich gut festhalten. //"Alles in Ordnung, Kyuu?"// //"Klar, wieso nicht? Bin höchstens etwas nervös."// //"Ich weiß nicht, ob ich das schaffe... deinen Herrn zu spielen und dich wie einen Sklaven zu behandeln, meine ich,"// gab Valerian zu. //"Es ist schließlich nicht nur eins unserer Spielchen um Dominanz..."// //"Du wirst es schon hinkriegen,"// antwortete Maris statt des Drachen. //"Denk daran, dass du überzeugend sein musst. Die Slarivester sind sehr streng und herrisch zu ihren Drachen. Müssen sie auch, damit die Drachen nicht merken, dass sie eigentlich die Stärkeren sind. Fast wie mit Pferden..."// //"Was für ein Vergleich,"// stöhnte Valerian. Unter ihnen zog die Landschaft von Silvania dahin. Sie würden dieses Mal nicht Slarivestos ausweichen. Daher lohnte es sich auch nicht, in Silvania Rast zu machen, obwohl sie gerne ihre Bekannten dort wieder gesehen hätten. Als natürliche Grenze zwischen den beiden Ländern diente das Gerfisgebirge. Von Lacuris trennte Slarivestos ein breiter Fluss, fast schon ein Strom, der Arnet. Wenn man als Sklave aus Slarivestos zu den Nachbarn entkommen wollte, galt es, diesen Fluss oder das Gebirge zu überwinden. Beides war nicht einfach und hatte schon viele Leben gekostet, aber die Zahl der Flüchtlinge hatte in den letzten Jahrzehnten auffällig abgenommen, nämlich seit es keine Rächer mehr gab. Eikyuu strauchelte über Gerfmag, dem größten Berg des Gerfis-Gebirgszugs. Er fing sich wieder, aber nun war deutlich, dass es ihm nicht gut ging. Valerian merkte, dass der Drache schnell atmete, ja geradezu keuchte. Er warf einen Blick zu Noctivagus und seinen Reitern hinüber. Sie hatten es auch bemerkt. //"Geh runter!"// schrie der angehende Allmeister dem Seelenleser in Gedanken zu. Eikyuu sank rasch tiefer, fast zu schnell. Er hatte Mühe, sich gerade in der Luft zu halten. Sie konnten noch nicht landen, denn sie waren noch über den Ausläufern der Berge, aber wenigstens sank er so tief wie möglich, um einen eventuellen Absturz nach Möglichkeit abzuschwächen. Valerian sah sich schon an einer Felswand zerschellen, als sie endlich offenes Gelände erreichten. Eine Anzahl Schafe stob aus dem Weg, als Eikyuu mit einem heiseren Aufschrei zu landen versuchte. Kurz vor dem Boden nahm er seine Menschengestalt an, so dass Valerian von seinem Rücken geschleudert wurde, statt unter ihm begraben zu werden. Der Seelenleser spürte einen scharfen Schmerz von seinem Partner, seinen eigenen ignorierend, dann wurde es schwarz um ihn. *** Das nächste bewusste Gefühl, zu dem Eikyuu fähig war, bestand wiederum aus Schmerzen. Sie waren in all seinem Muskeln, und jeder Knochen schien zersplittert zu sein, jede Sehne gerissen und die Haut verbrannt. Aber er wusste es besser. Gift. Sein Vater hatte doch Recht behalten. Er hätte damit rechnen müssen: Es gab Gifte, die bei Menschen nicht wirkten, auch nicht bei Drachen, wenn sie Menschengestalt annahmen. Aber das Gift blieb im Körper und wirkte nach der Verwandlung. Früher hatten manche Menschenvölker bewusst solche Substanzen eingenommen, damit die Drachen sie nicht fraßen. Oder jedenfalls nicht mehr als einen von ihnen. Aber Drachentöter? Ein anderer hätte sich wieder in den friedlichen Nebel der Bewusstlosigkeit geflüchtet, aber nicht Eikyuu. Er öffnete mühsam die Augen und versuchte festzustellen, wie schlimm er verletzt war. Den Absturz konnte er nicht heil überstanden haben. Und Valerian? Hoffentlich war ihm nichts Ernstes passiert. Es roch nach Kräuterzubereitungen, als ob Kyuujo etwas zusammengerührt hatte. Aber der Raum war kein bekannter. Und Eikyuu merkte schon bald, dass seine Füße mit schweren Ketten gefesselt waren. Seine Hände waren jeweils an eine Seite des Bettgestells gekettet, das ebenfalls aus Eisen bestand und nur mit dem Kopfende an der steinernen Wand stand, zu beiden Seiten war etwas Platz. Das Fenster war vergittert. Jedoch war die Einrichtung ansonsten befriedigend, wie ein Ort, an dem man Gefangene festhielt, denen man keinen Schaden wünschte. Also mussten sie wohl Slarivestos erreicht haben. Dafür sprach auch das Halseisen. Ihm war bekannt, dass die Slarivester solche Eisen verwendeten, um Sklaven als solche zu markieren, aber sie bewirkten auch, dass man nicht seine Drachengestalt annehmen konnten. Als hätte er sein Erwachen bemerkt, betrat ein kleiner, gebeugter Greis mit schütterem Haar das Zimmer. Er stellte einen Kerzenhalter mit drei brennenden Kerzen auf einen Steinblock neben dem Bett. Eikyuu hatte das Licht mit seinen Magieraugen nicht gebraucht. Erleichtert stellte er fest, dass ein Schattenzauber auf ihm lag, der seine Silberaugen grau aussehen ließ. War Noctivagus in der Nähe? Der kleine Mann betrachtete ihn im Kerzenschein. "Der Drache ist wach!" schrie er schrill, dass es Eikyuu in den Ohren schmerzte. Kurz darauf wurde es voll in dem kleinen Raum. Drei Kinder, etwa acht bis vierzehn Jahre alt, stürmten herein, um ihn zu begaffen wie einen seltenen Fisch an der Angel. Die Mutter folgte, gebot ihnen aber nicht, etwas leiser zu sein, was Eikyuu sehr begrüßt hätte. Sie trug Gewänder aus Wolle, so gewebt, dass sie bunte Muster zeigten. Mit einer geübten Bewegung zog sie ihm die Decke weg und entblößte zu seinem Entsetzen seinen nackten Leib. Vor Schreck sog er scharf die Luft ein, und seine Lungen dankten es ihm mit einem heftigen Stechen und Brennen. Die Frau betastete fachmännisch seinen Körper an zahlreichen Stellen, an denen kleine Wunden oder blaue Flecken waren. An seinem rechten Knie war ein dicker, fester Verband, an seinem linken Oberarm ebenfalls. Also war er wohl rein medizinisch gesehen in guten Händen, aber ansonsten ließen die Berührungen kalte Schauer über seinen Körper jagen. Die Frau tat ihre Arbeit, nichts weiter. Sie tat es etwa so, wie man das Dach eines Hauses repariert, mit kalter Sachlichkeit. Ohne mehr für ihn zu empfinden als etwa für ein wertvolles Möbelstück, wechselte sie seine Verbände und rieb ihn mit Salbe ein. Schließlich schloss sie die Kette an seinem linken Handgelenk auf. "Verstehst du meine Sprache?" Slarivestisch. Er nickte schwach. "Ich werde dich auf die Seite drehen, um deinen Rücken zu untersuchen. Verhalt dich ruhig, auch wenn es schmerzt." Sie wuchtete ihn halb herum, schließlich war er nicht schwer. Er gab ihr die Genugtuung eines leisen Wimmerns, aber es entsprang eher geistiger Qual als körperlicher. Offenbar hatte er eine Verletzung am linken Schulterblatt. Sie entfernte ein festgekrustetes Stück Stoff, rieb Salbe auf die Stelle und drückte ein neues, sauberes Stoffstück darauf. Bevor sie ihn wieder auf den Rücken drehte, legte sie eine andere Unterlage unter seinen Unterleib. Hatte man sich um seine körperlichen Bedürfnisse kümmern müssen, während er bewusstlos gewesen war? Wie peinlich. Er hasste den Gedanken, dass fremde Hände ihn gewaschen und verarztet hatten. Wie lange war das her? Letztendlich lag er wieder so wie vorher, und sie fesselte ihn erneut. Als ob er flüchten konnte! Das Gift benebelte ihn noch zu sehr, als dass er seine Magie hätte einsetzen können. Sie flößte ihm Wasser ein, das er gierig trank. Aber sie deckte ihn nicht wieder zu, sondern holte ihren Mann. Dieser war ein großer, kräftiger Kerl mit einem Schnauzbart. Sein Haar leuchtete rot im Kerzenschein. Freundlicherweise scheuchte er die Kinder hinaus, die aufgeregt plappernd dabeigestanden hatten, und auch den anderen Mann. Aber der Blick, mit dem er den Patienten musterte, gefiel selbigem überhaupt nicht. "Ein Menschgeborener, ganz klar. Solche werden nur als Lustknaben gehalten, sind sonst einfach zu schwach, als dass es sich lohnt. Der hier ist aber auch ein hübscher, das muss man zugeben." Er griff Eikyuu zwischen die Beine, als wäre das ganz normal. "Nein, nicht!" entfuhr es dem Drachen, ehe er sich erinnerte, wo er war. Der Mann schlug ihn mit der flachen Hand hart ins Gesicht. Eine weitere Ermahnung hielt er nicht für nötig. Eikyuu verkrampfte sich, während der Fremde ihn mit rauer Hand massierte. Es war eine Überprüfung seiner Tauglichkeit, sonst nichts, und er schluchzte, wo er sonst lustvoll gestöhnt hätte. Das Paar beobachtete ernst seine körperliche Reaktion. Die schien soweit in Ordnung zu sein, auch wenn es ihm nicht gefiel. Der Mann rieb gekonnt weiter, ohne dass er selbst dabei Erregung empfand. Kurz vor dem Höhepunkt nahm die Frau ein Tuch zur Hand, um den Erguss aufzufangen. "Der Herr wird erfreut sein, dass seinem Drachen nichts passiert ist, jedenfalls nichts Dauerhaftes," murmelte der Mann. Eikyuu fühlte sich zutiefst erniedrigt. Ansätze von Tränen glitzerten in seinen Augen. Er wollte fragen, wie es Valerian ging und wo er war, aber einem Sklaven stand es nicht zu, Informationen zu verlangen. Dennoch konnte er sich nicht zurückhalten, er musste es einfach wissen. "Verzeiht... geht es meinem Herrn gut?" Die Frau wandte sich ihm überrascht zu. Sie streichelte etwas spöttisch sein Gesicht. "Interessiert dich das?" "Du bist offenbar geflogen, obwohl du dich vergiftet hattest. Wenn ich dein Herr wäre, würdest du dafür ordentlich Prügel kassieren," drohte der Mann. Seine Partnerin deckte ihren Patienten wieder zu. Sie antworteten ihm beide nicht, sondern verließen ihn einfach und nahmen auch die Kerzen mit. Noctivagus war zutiefst erschüttert von den Zuständen, obwohl er sie nicht zum ersten Mal sah. Aber er hatte noch nie unter Sklaven gehaust. Wenigstens musste er das nicht die ganze Zeit tun. Er nahm seine Mahlzeiten bei den anderen Sklaven der Familie ein, die sie aufgenommen hatte. Tagsüber half er ihnen bei ihren Arbeiten und horchte sich bei der Gelegenheit ein wenig um. Die Familie hatte vier Sklaven, einen Mann und drei Frauen. Noctivagus hatte nicht herausfinden können, was für Drachen sie waren, denn das war kein beliebtes Gesprächsthema. Er wusste aber bereits, dass jede der Frauen ein oder zwei Kinder gehabt hatte, die verkauft worden waren. Drachen wurden normalerweise nicht im Lesen und Schreiben unterrichtet, nur in Ausnahmefällen. Wenn man ein Volk unterdrücken wollte, tat man das am besten, indem man es dumm bleiben ließ. Davon abgesehen sprachen manche Slarivester ihrem Pferd mehr Intelligenz zu als ihrem Drachen. Sie waren Arbeiter und Reittiere, im Falle eines Krieges im Kampf einsetzbar. Dementsprechend war ihre Unterkunft kaum besser als ein Stall, aber wenigstens war es ein guter, sauberer Stall. Sie mussten auf dem Boden auf Decken und Stroh schlafen und hatten nur das nötigste an Kleidung, andererseits jedoch alles, was sie brauchten. Abends und Nachts war Noctivagus bei Maris, der ihm den Namen Vagas gegeben hatte. Natürlich schlief er auf dem Boden und nicht etwa im Bett des Barden. Aber der Blonde gab sich sehr exzentrisch und bestand darauf, dass er seinen Sklaven in seiner Nähe brauchte, weil dieser sich mit seinem Gepäck und allen anderen Angelegenheiten auskannte, und er fand Halseisen unästhetisch, weil sie nicht zu der etwas extravaganten Kleidung passten, mit der er auch seinen Sklaven versah, passend zu seiner eigenen. Außerdem musste Noctivagus auf Shisei aufpassen. Sie folgte ihm immer wie ein Schatten, und das war gut so, denn Jungdrachen waren begehrte Handelsware, wie er ja schon erfahren hatte. Sie trug Maris' Laute oder andere Kleinigkeiten und schwieg meistens, wie ein braves Sklavenkind. Die Familie war recht wohlhabend. Sie hatten den Barden herzlich aufgenommen und den besten Arzt für Valerian kommen lassen. Zufällig waren die Eheleute Kendra und Tronet von Beruf Drachenheiler. Sie kannten sich auch mit Zucht und Züchtigung von Drachen aus. Der Vater von Tronet hatte einen Betrieb, der allerhand Fesselmaterial und magisches Gerät für diesen Zweck herstellte. Dessen Frau verstand sich auf Zauber, um Magie von Drachen zu zerstören, falls sie jemals in ihnen erwachte. Unausgesprochen blieb die Möglichkeit, dass ein Drache zu ihr gebracht wurde, der erwachsen gefangen und davor als Magier ausgebildet worden war... Noctivagus hatte - dank seiner Schattenmagie - mitbekommen, wie sie Eikyuu behandelten. Sie hatten sich gut um ihn gekümmert, das musste man zugeben, und sie verstanden ihr Handwerk, auch wenn sie es anders ausübten als Kyuujo, obgleich es denselben Namen hatte. Es fehlte dabei nicht an Sorgfalt, denn es war ja von Interesse, einen Drachen gesund zu pflegen, den der Besitzer schätzte, wie Maris ihnen versichert hatte. Aber wie sie mit Eikyuu umgingen, war einfach gefühllos. Sie sorgten für seinen Körper, aber nicht für seine Seele. Der Flammentänzer hatte noch ein ganz anderes Problem: Wenn die Frau ihre Mittelchen braute, wollte er ihr zu gerne Verbesserungsvorschläge machen oder seine Erfahrungen mit ihr austauschen, denn manches machte sie anders als er, aber es schien gut zu klappen, anderes war längst überholt. Noctivagus konnte sich nur schwer zurückhalten. Als Maris das merkte, hatte er sogleich eine Lösung. Er begann ein entsprechendes Gespräch und erzählte dann, er habe es anderswo so und so gesehen, wobei er Worte benutzte, die Noctivagus ihm telepatisch übermittelte. Die Leute zeigten sich interessiert und gaben auch gern Auskunft. Sie waren auf ihre Art nett, aber typische Slarivester. Als solche versuchten sie auch, sich bei den Gästen einzuschmeicheln, auch wenn zumindest Valerian es zunächst nicht merkte, denn er war am Kopf verletzt und kam lange nicht zu sich. Sie konnten ihm Nahrung einflößen, aber er bekam es nicht wirklich mit. Als Eikyuu erstmals erwachte, waren sie bereits vier Tage in Slarivestos. Die Nachricht erreichte Maris am nächsten Morgen. "Der Drache Eures Freundes ist zu sich gekommen. Er ist soweit in Ordnung, muss sich nur noch von seinen Verletzungen erholen," sagte Kendra ihm. Der Barde drückte Noctivagus seine Laute in die Hand, auf die er eine neue Saite aufgezogen hatte. "Darf ich nach ihm sehen? Val hängt wirklich sehr an ihm. Wenn er aufwacht, will ich ihm antworten können, denn seine erste Frage wird sein, wo sein Lieblingssklave ist." "Natürlich." Sie führte ihn zu einem kleinen Nebengebäude, das aus einigen Lagerräumen, Vorratskammern und Krankenzimmern für Drachen bestand, denn sie beherbergten manchmal die kranken Sklaven ihrer Kunden, wenn diese nicht zu Hause behandelt werden konnten. Maris ahnte Schlimmes, und tatsächlich fand er Eikyuu in einem Bett vor, an das er gefesselt war. Der Seelenleser sah ihm geradezu ängstlich entgegen. //"Maris! Wo ist Valerian? Ist er in Ordnung?"// Doch er kam nicht dazu zu antworten, denn in dem Moment zog die Frau die Decke weg und präsentierte den Sklaven in seiner ganzen Pracht, sofern man das mit den verbliebenen Verletzungen so nennen konnte. "Wie Ihr seht, ist er bald wieder geheilt." Eikyuu biss sich auf die Lippe und starrte an die Decke. Maris gelang es, sachlich zu bleiben, man merkte ihm nichts an. Er betrachtete die Verletzungen. "Was ist mit seinem Knie und dem Arm?" "Die Stellen sind stark geprellt und haben geblutet, nichts weiter. Er hatte Glück." Maris nickte, nahm die Information zur Kenntnis. "Valerian ist ja noch nicht zu sich gekommen, aber bis es soweit ist, werde ich mich um den Sklaven kümmern. Schickt ihn zu mir, sobald man es verantworten kann. Wenn er zu lange gefesselt ist, liegt er sich wund und seine Muskeln erschlaffen." Damit hatte er heimlich ein paar Informationen übermittelt. //"Er ist verletzt, aber auf bestem Wege,"// fügte er für Eikyuu hinzu. //"Halte noch etwas durch. Es ist in Slarivestos nicht üblich, kranke Sklaven in seine Räume zu lassen."// Der Seelenleser schloss schicksalsergeben die Augen. //"Na gut..."// //"Medizinisch gesehen bist du in guten Händen,"// versicherte der Barde ihm. Er wandte sich an die Frau. "Ist es nötig, ihn die ganze Zeit ans Bett zu fesseln? Er ist das nicht gewohnt, es macht ihn nervös." Nebenbei deckte er Eikyuu wieder zu. "Nun, wenn Ihr meint, dass er dann nicht abhaut? Euer Risiko," lenkte sie ein. Maris nickte und löste die Fesseln mit einem Schlüssel, den sie ihm reichte. Der Drache fühlte sich gleich besser. Aber das war alles kein guter Start für ihre Mission... *** Fortsetzung folgt. Anmerkung: Die Namen der Slarivester habe ich willkürlich kreiert. Allerdings hatte ich mal eine Dozentin, die Kendra hieß. Kapitel 4: Valerian Z'Unluhrd ----------------------------- Kapitel 4: Valerian Z'Unluhrd Eikyuu hielt es im Bett nicht aus. Seit er wusste, dass es Valerian nicht wirklich gut ging, aber immerhin auch nicht schlecht, war er etwas beruhigt. Doch er vermisste ihn mit jeder Faser seiner Existenz, zumal er von den Slarivestern nicht die Liebe erhielt, die er gewohnt war. Also stand er etwas unbeholfen auf, wobei das verbundene Knie ihn behinderte, und schlich aus dem Raum, indem er das Schloss an der Tür mit etwas Magie aufbrach. Das Gift war noch in ihm und ließ ihn taumeln und straucheln, die Schmerzen waren beachtlich, aber er konnte sie aus seinen Gedanken verdrängen, wenn er nur fest genug an Valerian dachte. Dabei kümmerte es ihn auch nicht, dass er, abgesehen von den Verbänden, nackt war. Eine magische Variation des Lichtes in seiner unmittelbaren Umgebung ließ ihn gleich ganz unsichtbar werden. Er hatte die nächste Nacht abgewartet. Auf dem Hof war alles ruhig, bis auf den großen Wachhund, der auf dem Grundstück frei herumstromerte. Eikyuu ließ ihn kommen. Das Tier entdeckte ihn, obwohl er unsichtbar war, doch er zeigte keine Angst und wurde als überlegen anerkannt. Nachdem er den wuscheligen Rüden etwas gestreichelt hatte, setzte er seinen Weg fort. Das Haus war von außen eine Villa und von innen sehr wohnlich. Eikyuu entdeckte ein paar Gemälde von Männern und Frauen mit Drachen, die ihre Köpfe demütig und furchtsam zu ihren Besitzern gesenkt hatten, eingeschüchterte Haustiere. Was fanden die Leute daran? Waren nicht alle Tiere interessanter, wenn sie etwas aufmüpfig waren? Sollte eine Beziehung nicht eher auf Vertrauen beruhen als auf Angst? Er wandte sich angewidert ab. Sein Instinkt trieb ihn zielstrebig durch die Gänge und Flure, eine Treppe hinauf. Schließlich stand er vor einer mit Ornamenten verzierten, dunklen Holztür und legte eine zitternde Hand auf die Klinke. Dahinter musste Valerian sein, er wusste es. Ein bisschen fürchtete er sich vor dem, was er vorfinden würde. Aber die Sehnsucht war stärker. Er drückte die Tür auf - und wurde fast erschlagen von einer Wolke aus Kräutergeruch und kaltem Rauch. Leise fluchend eilte Eikyuu zum Fenster, zerrte etwas unbeholfen die Vorhänge auf und riss dann die Buntglasscheiben nach innen. Sie quietschten ein bisschen in den Angeln. Die kühle Nachtluft war kein Vergleich zu dem Mief, der sich nun seinen Weg nach draußen bahnte. Viele Menschenärzte glaubten immer noch, dass eine solche Atmosphäre heilsam war, während Frischluft krank machte. Was für Idioten. Oder war das am Ende noch Absicht? Man konnte es nie wissen. Endlich konnte er sich dem Bett und seinem Geliebten zuwenden. Dieser war, was ja nicht überraschte, bewusstlos, aber Eikyuu hoffte, dass er bald zu sich kommen würde, wenn sich die Gerüche verzogen hatten. Er fand ein ausgebranntes Räuchergefäß und identifizierte die Reste als narkotisierendes Rauschmittel. Auch die Salbe, mit der Valerian offenbar großzügig eingerieben worden war, war nicht frei von Zusätzen. Die Droge war für Menschen geruchsneutral, er jedoch erkannte auch in seiner momentanen Gestalt das so genannte Schwarze Schlangenkraut am mild-würzigen Aroma. Auf Drachen wirkte es nicht, wohl aber auf Draconer und Menschen. Manchmal wurde es in Slarivestos benutzt, um Drachen von Draconern zu unterscheiden. Wieso hatten sie es Valerian gegeben? Um ihn ruhig zu stellen? Zu seinem eigenen Wohl oder um mehr Geld für seine Behandlung herauszuschlagen, indem sie die Krankheit verlängerten? Wer hatte das veranlasst? Eikyuu setzte sich auf den Bettrand und merkte erst jetzt, dass er vor Erschöpfung zitterte und schwitzte. Er betrachtete Valerian, dessen Kopf in dicken Verbänden verschwand. Er zog vorsichtig die Decke zurück und stellte fest, dass auch die Arme und Beine verbunden waren, aber nicht sehr dick, vermutlich nur Prellungen und Hautabschürfungen. Gnädigerweise trug der Prinz ein kurzes, weißes Leinenhemdchen, anders als sein Sklave. Eikyuu sah sich um und fand in einem großen, luxuriösen Schrank ein weiteres, das er sich selbst überzog. Erschöpft kehrte er zum Bett zurück und legte sich eng an seinen Geliebten, die Decke über beide ausbreitend. Das würde Ärger geben, wenn sie ihn am nächsten Tag fanden. Doch er hätte sich nicht weniger darum scheren können. Seine Wut über die Rauschmittel verdrängte alle Vorsicht, die ihn vielleicht zur Rückkehr in sein zellenähnliches Zimmer bewogen hätte, wie er es eigentlich geplant hatte. Er fühlte sich schwach durch das Gift und die Verletzungen des Sturzes, aber Zorn stachelte ihn an. Eikyuu war leicht eingedöst, als er eine zaghafte Berührung in seinen Gedanken spürte. //"To...wa..."// Er fuhr so plötzlich hoch, dass ihm schwindlig wurde. Es ging rasch vorbei, und als er sah, dass Valerian ihn anblinzelte, war sowieso alles vergessen. "Kariat!" Der Schwarzhaarige konnte kaum die Augen offen halten, aber im Vergleich zu vorher war das ein Fortschritt. //"Hab... Kopfweh,"// murmelte er telepatisch. //"Streng dich nicht an!"// ermahnte Eikyuu ihn. Er fragte sich, ob die Kopfschmerzen wohl von einem Sturz auf den Kopf kamen oder vielleicht doch eher von den Drogen. Konnte es sein... Er griff nach dem Ende des dicken Verbandes, das mit einer Nadel festgesteckt war, und löste es, um seinen Geliebten davon zu befreien. Darunter kam strähniges Haar zum Vorschein und eine kleine Schramme an der Stirn, aber nichts wies auf eine schlimmere Verletzung hin. Keine Prellung, keine verdickte Stelle, keine Platzwunde. Vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung, aber lange nicht so etwas Schweres, wie behauptet worden war. Anscheinend hatten die Ärzte ihn für einen reichen, ausländischen Jungen gehalten und versucht, möglichst viel Geld rauszuschlagen, indem sie ihn langwierig heilten. Unerhört. War das das Werk des Paares, dass sich um den vermeintlichen Sklaven gekümmert hatte, oder wussten sie nichts davon? Eikyuu war entschlossen, das herauszufinden, auch wenn er nicht unbedingt in der passenden Position dafür war. Der Ärger ließ nicht lange auf sich warten. Eikyuu erwachte früh, als er Unruhe im Haus spürte. Hektische Schritte waren zu hören und aufgeregte Rufe, dazwischen ab und zu Maris' Stimme, die versuchte, jemanden zu beruhigen. Der Seelenleser verließ das Bett lieber. Wenn man ihn darin erwischte, war er vermutlich reif für eine Tracht Prügel. Naja, das war er wohl sowieso. Er zog Valerians Bettzeug ein wenig zurecht und kauerte sich auf dem Boden zusammen, wo ein weicher Teppich lag. Das Zimmer war anscheinend nur mit dem Besten ausgestattet. Doch dafür hatte er keinen Blick. Seine Sinne nahmen Zorn und Verwunderung wahr. Sicher fragten die Leute sich, wie er entkommen war, und waren wütend darüber. Valerian murmelte im Schlaf, blinzelte schließlich, als er den warmen Körper an seiner Seite vermisste. In diesem Moment flog auch schon die Tür auf. Erstaunlicherweise schaffte es Tronet, fast lautlos in den Raum zu stürmen. Wortlos packte er den Drachen an den Nackenhaaren und zerrte ihn hinaus, die Treppe hinunter und auf den Hof, wo er ihn grob zu Boden warf. Erst dort begann er zu schimpfen. "Ist das der Dank für unsere Fürsorge? Du bringst das ganze Haus in Aufruhr, dringst unerlaubt in das Zimmer ein! Und wer hat gesagt, dass du das Hemd anziehen darfst?!" Er hatte so schnell seinen Gürtel in der Hand und holte zum Schlag aus, dass man meinen konnte, er übte das jeden Tag. Eikyuus erster Instinkt war Flucht vor der Wut des Mannes. Fast zeitgleich musste er sich beherrschen, um ihn nicht mit Magie zurück zu schlagen. Das Gift saß ihm noch immer in den Knochen und verhinderte, dass er schnell genug ausweichen konnte. Also drehte er sich herum und sah Tronet fest in die Augen. Offenbar war das das Letzte, womit dieser gerechnet hatte, denn er hielt in der Bewegung inne, und sein Schlag erreichte das Ziel nicht. Unbeweglich starrten die beiden sich an. Hinter dem Hausbesitzer tauchten Kendra und die Kinder auf, dann auch Maris. Der Barde erfasste die Situation schnell. Er eilte hinzu und griff nach Tronets Arm. "Nicht! Er ist ein Zweihorn, Ihr wisst doch, wie sensibel die sind! Er ist seit Generationen in Valerians Familie und hat Angst, wenn er nicht bei ihm sein kann!" Der Rothaarige ließ zögernd den Arm sinken. "Ein Zweihorn? Wer hält sich denn schon so einen? Die halten ja nichts aus! Dann noch ein Menschgeborener!" "Nichts würde ich das nicht nennen," entgegnete Maris. "Immerhin ist er zu seinem Meister gelangt, obwohl er noch das Gift spüren muss. Wenn es um Valerian geht, kennt dieser Drache keine Grenzen. Ihr solltet Euch das gut merken, damit es nicht zu einem Missverständnis kommt..." "Sie haben meinen Herrn betäubt!" nutzte Eikyuu den Moment. Er sprang auf und suchte Schutz hinter Maris. "In der Salbe war Schwarzes Schlangenkraut und in dem Räuchermittel eine Droge!" "Wovon spricht er da?" wollte Kendra wissen. Maris hob eine Augenbraue. "Wisst Ihr das nicht? Menschen können Schwarzes Schlangenkraut nicht riechen, aber Drachen. Warum wurde es bei Valerian angewendet, ich dachte, er sei durch seine Verletzungen bewusstlos?" Die beiden Slarivester tauschten erstaunte Blicke. "Das wüssten wir auch gern. Dr. Kortin hat gesagt, der Junge sei schwer angeschlagen und der Rauch solle ihm angenehme Träume bringen. Naja... das haben wir allerdings nicht so verstanden, dass er ihn betäubt." "Der Arzt wird dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er nachher kommt, immerhin haben wir ihn teuer bezahlt! Dennoch ist der Sklave zu bestrafen!" beharrte Tronet. //"Kann der mich schlagen? Ich gehöre doch nicht ihm,"// fragte Eikyuu. Maris nickte. "Natürlich, aber lasst das Valerian selbst machen, wenn er dazu in der Lage ist. Bei uns ist es nicht üblich, dass man die Sklaven von Besuchern straft." //"Du hast wirklich ein Talent dafür, mir zu antworten, ohne mir zu antworten,"// stellte Eikyuu fest und fügte die gedankliche Entsprechung eines Grinsens hinzu. //"Sie erwarten nun aber auch, dass Valerian dich bestraft,"// warnte Maris den Seelenleser vor. //"Er ist hier Gast, sein Sklave hat Ärger gemacht, also wollen sie Wiedergutmachung. Er wird es vor der Familie tun müssen, am besten gleich hier. Und da du, weil du ja ein Menschgeborener bist, als Lustsklave giltst..."// //"Oh. Valerian soll mich vor allen Leuten hier durchnehmen?"// Die Frage klang fast hoffnungsvoll. //"Wirst du ja dann sehen,"// blockte Maris. //"Aber ich mache mir keine Sorgen um dich, du stehst doch drauf!"// //"Woher weißt *du* das denn?"// //"Tjaaa..."// "Ich muss darauf bestehen, dass der Sklave vorerst wieder in seine Zelle eingesperrt wird," unterbrach Tronet das gedankliche Gespräch. "In der Zwischenzeit werden wir uns um seinen Herrn kümmern und..." "Schon gut. Ich bin... ganz in Ordnung," ließ sich Valerian vernehmen, der in dem Moment, gestützt von Noctivagus, zu ihnen gehumpelt kam. Er hatte sich eilig eine Hose, Hemd und Schuhe angezogen, aber er sah noch nicht gesund aus. Sein Haar war strähnig und sein Gesicht blass. Er machte sich von Noctivagus los und ging die restlichen paar Schritte allein. Shisei war wie immer an Noctivagus' Rockzipfel. Eikyuu stürzte auf den Prinzen zu, fiel vor ihm auf die Knie und schlang die Arme um seine Hüften. "Mein Gebieter! Ihr seid wieder auf den Beinen!" Valerian konnte einen leichten Schrecken nicht verbergen. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet, obwohl er wusste, was sie für Rollen zu spielen hatten. Was folgen sollte, fiel ihm besonders schwer. "Was muss ich erfahren, Eien? Du warst ungezogen?" Der Drache blickte furchtsam zu ihm auf. Es sah so verdammt echt aus. "Ich wollte nur bei Euch sein! Sie haben Euch betäubt!" Valerian schlug ihn mit dem Handrücken ins Gesicht, dass er von ihm abließ und sich wie ein getretener Hund zusammenkauerte. "Das alles wäre nicht passiert, wenn du dich nicht vergiftet hättest! Du hättest diesem Drachentöter aus dem Weg gehen sollen!" Der Schlag hatte Eikyuu überraschend getroffen. Wäre er nicht ein Seelenleser gewesen, hätte er glauben müssen, dass Valerian es wirklich so meinte. "V-Vergebt mir bitte!" stammelte er. //"Du bist es, der mir vergeben muss,"// entgegnete sein Geliebter telepathisch. //"Aber ich muss tun, was ein Slarivester tun würde."// Er hielt Tronet die offene Hand entgegen. "Leiht mir bitte Euren Gürtel." Das tat der Mann nur zu gerne. Die Kinder versammelten sich erwartungsvoll bei ihren Eltern. Aus einiger Entfernung sahen die Sklaven ängstlich zu, auch der gebeugte, alte Mann tauchte auf und grinste seltsam. Maris zog vorsichtshalber Noctivagus und Shisei ein Stück weg und gebot ihnen, sich nicht einzumischen. Valerian bückte sich, um das Hemd zu zerfetzen, das Eikyuu trug. "Ich bezahle es nachher," kommentierte er, an Kendra gewand. Dann baute er sich so auf, dass er hinter dem am Boden kauernden Drachen stand. Er hatte freie Sicht auf dessen Rücken und wünschte sich, es wäre anders. //"Towa... ich muss hart genug zuschlagen, dass man hinterher etwas sieht..."// //"Bist du denn schon wieder stark genug dafür?"// Eikyuu ballte bebend seine Hände zu Fäusten und kratzte dabei mit den Nägeln über den Lehmboden. Die Umstehenden waren überzeugt, dass er sich fürchtete, das konnte er spüren, selbst Noctivagus war nicht sicher, was er davon halten sollte. Von Maris empfing er mal wieder nichts Klares, aber dafür von Valerian. Dem würden die Schläge vermutlich mehr wehtun als ihm selbst. Der angehende Allmeister zögerte. //"Verdammt, ich kann das einfach nicht tun..."// Seine Hand zitterte. //"Du musst, wenn wir überzeugend auftreten wollen. Mach dir um mich keine Sorgen, das ist ein Klacks. Ich werde allerdings so tun, als würde ich leiden."// Valerian hatte trotzdem nicht die Kraft, seinen Geliebten einfach so zu schlagen. Zum Glück konnte er es immer auf seine Verletzungen schieben. Maris trat an ihn heran. "Val, soll ich es für dich tun?" Der Prinz riss sich zusammen. "Nein, er ist mein Sklave, und wenn er sich daneben benommen hat, bin ich dafür verantwortlich, ihn zu bestrafen. Mir war nur etwas unwohl." Der Barde nickte und zog sich wieder zurück. //"Warte nicht mehr zu lange, es wirkt sonst verdächtig,"// warnte er. Valerian konzentrierte sich auf den Teil von sich selbst, der von Vernunft beherrscht wurde und machte sich klar, dass sie dafür sorgen mussten, dass ihre Tarnung nicht aufflog. Seltsamerweise wusste er genau, was von ihm erwartet wurde. Dabei war er doch nie in Slarivestos gewesen! Er packte die Gürtelschnalle fester, holte entschlossen mit dem Riemen aus und schlug zu. Das Geräusch des Leders, als es auf Haut traf, war grauenvoll in seinen Ohren. Er spürte den Treffer in der Hand, als er zuschlug. Aber am schlimmsten war, dass Eikyuu Mitleid erregend aufheulte. Natürlich war es nur Show, das wusste er. Eikyuu hatte schon ganz andere Sachen schweigend erduldet. Aber Valerian war kein Seelenleser, der spüren konnte, dass es nicht doch echt war. Und es sah echt aus, so furchtbar echt. Trotzdem zögerte er nun nicht mehr, erneut zuzuschlagen, und dann noch einmal und immer wieder. Etwas in ihm führte seine Hand, und es machte ihm Angst. Bald ließ Eikyuu sich aus seiner knienden Stellung ganz zu Boden fallen und kauerte sich schützend zusammen, mittlerweile um Vergebung bettelnd. Doch Valerian machte noch weiter, bis schließlich Maris einschritt. //"Es reicht jetzt, Valerian. Sie sind alle überzeugt,"// übermittelte er ihm. Der Schwarzhaarige hörte augenblicklich auf, blickte schwer atmend auf seinen wimmernden Sklaven hinab. Er war verwirrt über sich selbst. Was war passiert? Etwas in ihm wusste, wie man Sklaven behandeln musste. Und er hatte es nach anfänglichem Zögern getan, wie es sich gehörte, ohne noch weiter darüber nachzudenken. Diese Erkenntnis war erschütternd. Wieso? War er nicht ein Mensch mit einer Rächerseele? Warum wusste er Dinge über Slarivestos, die er gar nicht wissen konnte? "Hör endlich auf zu jammern, sondern geh und zieh dich an," fauchte er den Seelenleser an. "Ich werde mich nachher noch um dich kümmern." Eikyuu sah zu ihm auf mit einem Blick, der Valerian durch Mark und Bein ging. Der Drache spielte das nicht länger. Er fürchtete sich wirklich. Was ging hier vor? Während Eikyuu sich aus dem Staub machte, um das Gepäck zu suchen, bei dem sich auch ein Gewand für ihn befinden musste, drehte sich Valerian zu Tronet und Kendra um. "Verzeihung, ich konnte mich noch gar nicht vorstellen... Ich bin Valerian Z'Unluhrd." Erst jetzt fiel ihm auf, dass er die ganze Zeit Slarivestisch gesprochen hatte. Aber er hatte die Sprache nie gelernt, nur in Ansätzen. Und er wusste auch nicht, wo der Name herkam, mit dem er sich gerade betitelt hatte, er war ihm einfach eingefallen. Das Paar war sehr angetan von ihm. "Kein Problem, Ihr wart ja krank. Es ist uns sehr unangenehm, dass der Arzt gepfuscht hat..." Sie tauschten ein paar slarivestische Höflichkeitsfloskeln aus. Indessen verzog sich Maris mit Noctivagus angeblich in sein Zimmer, um sein Instrument zu holen. Shisei folgte ihnen schweigend. //"Es ist in Slarivestos nicht unüblich, erst seinen Sklaven zu bestrafen und sich dann erst vorzustellen, wenn die Situation es erlaubt oder gar erfordert, wie in diesem Fall,"// erklärte Maris den beiden. //"Der Hausherr war nämlich erzürnt und musste erst besänftigt werden. Da er Valerian handlungsunfähig glaubte, hatte er sogar das Recht, den Sklaven seines Gastes zu schlagen, da dieser durch sein Verhalten seinen Haushalt gestört hat."// Sei gingen natürlich nicht in sein Zimmer, sondern suchten Valerians auf. Dort hatte Eikyuu die Gepäckstücke und seine Kleidung inzwischen gefunden und wollte sich gerade umziehen. Seine Hände zitterten dabei, und er wirkte völlig verwirrt. "Warte," rief Noctivagus. "Lass mich die Striemen behandeln, ehe du dir was überziehst." Er hatte ein paar Kleinigkeiten für den Notfall in einer Tasche an seinem Gürtel und holte daraus ein kleines Gefäß mit der Salbe hervor, die sie auch für Eikyuus Hand benutzt hatten. Der Seelenleser beschwerte sich mit keinem Laut, während das Mittel sich in seine Wunden brannte und sie provisorisch verschloss. "Er ist ein anderer geworden, während er mich schlug," murmelte Eikyuu schließlich. "Auf einmal fiel es ihm nicht mehr schwer, sondern war normal für ihn. Ich konnte es spüren. Aber ich glaube, er versteht es selbst nicht... Und Valerian kann gar kein Slarivestisch!" "Kann er das nicht mit Magie erreicht haben?" wandte Maris ein. Eikyuu schüttelte den Kopf. "Das war kein Zauber. Selbst Magie kann dich eine Sprache nicht so natürlich sprechen lassen, es würde sich für einen Einheimischen immer etwas fremd anhören. Und ich konnte die Gefühle der Familie lesen, sie haben keinen Moment daran gezweifelt, dass Valerian ein Slarivester ist." "Die Z'Unluhrd sind ein einflussreiches und bekanntes slarivestisches Adelsgeschlecht, das für seine außergewöhnlichen Sklaven bekannt ist, die es wie Pferde züchtet und verkauft," sagte Shisei. Alle starrten sie überrascht an. Sie deutete auf die Luft neben sich. "Zarah hat es mir erzählt. Sie wurde vor gut hundert Jahren von Jerimal Z'Unluhrd an Tronets Urgroßvater verkauft. Der hat sie in einem Wutanfall zu Tode geprügelt." Noctivagus und Eikyuu waren schockiert, obwohl sie in diesem Land mit solchen Dingen rechnen mussten. Auch mussten sie sich erst daran gewöhnen, dass die kleine Rächerin einfach so mit Geistern sprach. Maris schien das weniger zu überraschen. "Zarah, wir werden uns darum kümmern, die Zustände hier zu ändern. Du solltest jetzt in Frieden gehen. Lange genug hast du hier gewartet." Er hob die Hand, um die unsichtbare Frau an der Stirn zu berühren, und seine Fingerspitzen leuchteten sanft, so dass Zarah kurz auch für Noctivagus und Eikyuu zu sehen war. "Timarios und seine Kinder werden dich rächen," versprach der Barde. Alle hörten so etwas wie ein erleichtertes Seufzen, aber vielleicht war es auch nur der Wind am Fenster... Ehe noch jemand einen Kommentar dazu formulieren konnte, kam Valerian zu ihnen. Er blieb unsicher in der Tür stehen und blickte von einem zum anderen. Maris komplimentierte seine beiden "Sklaven" hinaus, um das Liebespaar allein zu lassen. Eikyuu war nicht ganz überzeugt, dass er diese Zweisamkeit so begrüßte. Allerdings wirkte sein Kariat jetzt wieder normal, wenn man davon absah, dass er noch nicht wieder ganz gesund war. Der Schwarzhaarige schloss die Tür hinter sich. "Towa, vergib mir... ich war nicht ich selbst da draußen..." Er wankte zu Eikyuu, um sich dessen Rücken anzusehen. "Heiliger Erlöser der Seelen... was habe ich nur getan? Warum... warum habe ich nicht früher aufgehört?!" "Du warst wirklich irgendwie ein anderer," sagte Eikyuu leise. "Wie kann das sein? Bist du nicht Shitais Wiedergeburt? Aber..." Er wandte sich um und sah in die von einem Schattenzauber grauen Augen seines geliebten Prinzen. "Vielleicht warst du auch..." Valerian war noch blasser geworden. "Ein Slarivester? Nein! Ein Rächer würde doch nie..." Doch er hielt mitten im Satz inne, als sich eine Erinnerung regte wie ein Fisch unter der Wasseroberfläche, sichtbar, aber doch nicht greifbar. Er sprach noch immer Slarivestisch, als wäre es seine Muttersprache, während Eikyuu einen leichten Akzent hatte. Voller Entsetzen presste er eine Hand vor seinen Mund, um nicht laut aufzuschluchzen. Doch Eikyuu war nun, da die Sache einigermaßen geklärt war, wieder ganz er selbst. Aufrecht trat er noch näher an ihn heran. "Es gibt keine Zufälle. Wenn du ein Leben in diesem Land hattest, zahlt es sich jetzt aus. Es wird dir helfen, dich richtig zu verhalten, auch wenn es uns beiden nicht gefällt." Valerian blickte sich um. "Ich weiß nicht, woher ich es weiß... Slarivestische Gästezimmer haben oft ein verborgenes Spionloch... Ich wette, dass sie uns heute Abend beobachten werden, um zu sehen, ob du den zweiten Teil deiner Strafe erhältst, wie man es mit einem menschgeborenen Lustsklaven normalerweise macht..." Eikyuu zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn leidenschaftlich. //"Da freue ich mich ja direkt schon drauf..."// *** Fortsetzung folgt Kapitel 5: Hab ich dich verloren, Kariat? ----------------------------------------- Hallo! Diese Folge hatte ich noch vorrätig, aber das ist im moment die letzte. Es geht erst im November weiter, sorry. Aber ich hoffe, dass ich bis dann meine Zwischenprüfung bestanden habe. Ich überlege, ein RPG zu Eternity anzulegen. Es könnte beispielsweise beim nächsten Drachentreffen spielen, so dass auch Shisei schon erwachsen ist (auch wenn sie tatsächlich erst 9 wäre). Dazu möchte ich erstmal gerne wissen, ob generell Interesse besteht. Bitte meldet euch per ENS. Grüße PM Kapitel 5: Hab ich dich verloren, Kariat? Tronet und Kendra nahmen sich den Arzt vor, als dieser am Nachmittag wieder erschien. Er leugnete, dass Schwarzes Schlangenkraut in der Salbe gewesen sei, aber die Sklaven der Familie konnten es auch riechen. "Er ist so schuldig, wie man nur sein kann," murmelte Eikyuu, der an der Seite seines vermeintlichen Herrn der Auseinandersetzung beiwohnte. Ein kleines Aufflackern seiner Magie genügte, und die Tasche des Pfuschers gab an sämtlichen Nähten nach, wodurch sich neben medizinischen Substanzen allerhand Betäubungsmittel, die er sicher nicht oft brauchte, auf dem Boden verteilten. Während alle anderen Anwesenden darüber lachten und Tronet triumphierend das Schwarze Schlangenkraut aufhob, fühlte Eikyuu, wie sich Kendras Blick auf ihn richtete. Er sah über das Spektakel hinweg zu ihr auf und erkannte, dass sie ihn durchschaut hatte. "Hey, was ist?" sprach Valerian ihn an. Der Magier riss sich von den Augen der Frau los und nahm seinen Kariat beiseite. "Sie hat gemerkt, dass ich das gemacht habe. Jetzt wird sie sich fragen, warum ein Drache Magie einsetzt." Er hatte Recht. Kendra ließ nichts anbrennen. Sie achtete nicht auf ihren Mann, der gerade den Arzt schimpfend davonjagte, sondern kam auf Valerian und Eikyuu zu, um sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihnen aufzubauen. "Euer Sklave ist ein Magier, wusstet Ihr das?" fragte sie geradeheraus. Valerian tat überrascht und runzelte die Stirn. "Ein Magier? Unsinn. Ich meine... er ist schon lange in Familienbesitz, und wir haben Magier in der Familie, vielleicht hat er sich im Laufe der Zeit was abgeguckt, aber das werden höchstens ein paar Tricks sein." "Ist das so?" hakte die Frau nach. "Das mit der Tasche war ein sehr gezielter Trick, wenn auch nicht jeder das erkennen würde... Aber ein Laie der Magie hätte es nicht so sauber hingekriegt!" //"Ups! Das hab ich nun von meiner perfekten Kunst!"// //"Die Sache ist ernst, Kyuu. Lass dir schnell was einfallen!"// Eikyuu fiel theatralisch auf die Knie. "Verzeiht, mein Gebieter! Eure Großmutter, Barina Z'Unluhrd, war eine ängstliche Frau. Sie hat darauf bestanden, dass ich etwas Magie lerne, damit ich sie besser verteidigen kann, obwohl ich ein schwacher Menschgeborener bin..." Valerian nahm eine passende, strenge Pose ein. "Warum hast du mir das nie gesagt, Eien?" "I-ich hatte Angst, dass Ihr..." Der Drache warf einen verängstigten Blick auf Kendra. "...dass Ihr mir meine Magie wieder wegnehmen würdet! Ich hab gehört, dass es... eine sehr schmerzhafte Prozedur ist! Bitte macht das nicht mit mir!" Er krallte sich sehr überzeugend panisch an Valerians Hosenbein und sah flehend zu ihm auf. "Hör endlich auf damit, Eien!" zischte der Schwarzhaarige ihn an. "Was soll ich bloß mit dir machen? Dauernd bringst du mich in peinliche Situationen! Geh in mein Zimmer und bleib da, bis ich dich rufe!" Der Drache sprang auf und rannte nach oben. //"Halt mir das Weib bloß vom Leib, Val! Sie muss auch eine Magierin sein, dass sie mich so leicht durchschaut! Und du hast ja gehört, dass sie auch jemanden in der Verwandtschaft haben, der Magie ausbrennen kann..."// //"Höre ich da etwa echte Besorgnis in deiner Stimme, Kyuu? Keine Sorge, ich überzeuge sie schon."// Valerian musste erst einmal tief durchatmen. Es fiel ihm schwer, dieses Spielchen zu spielen, denn Eikyuu war viel zu überzeugend für seinen Geschmack. Den stolzen Allmagier als Sklaven am Boden zu sehen, gefiel ihm gar nicht. Schließlich sprach er Kendra wieder an. "Ich muss mich für ihn entschuldigen, er benimmt sich unmöglich. Aber wenn meine Großmutter ihm etwas beigebracht hat, muss sie ihre Gründe gehabt haben, das wird mir sicher auch nützen können." "Er hat gezaubert, ohne Euch zu fragen. Es erklärt auch, wie er aus seiner Zelle kam. Das sollte Euch zu denken geben. Wenn ihr ihm das durchgehen lasst, wird er Euch eines Tages in den Rücken fallen, egal wie lange er Euch schon treu gedient hat. Lasst ihn lieber ausbrennen," riet Kendra ihm. "Meine Schwiegermutter versteht sich bestens darauf. Sie kann schon morgen früh hier sein." "Er ist sehr sensibel, ein Zweihorn eben. Ich glaube, die Angst davor wird ihn ausreichend gefügig machen," lehnte Valerian höflich ab. "Wenn ich ihm das wirklich antue, wird ihn das ruinieren, fürchte ich. Aber er wurde mir von meinem Vater vererbt, und ich will ihn noch heile an meinen Sohn weitergeben können." "Drachen mit Magie sind gefährlich!" warnte Kendra ein letztes Mal und begab sich dann in die Küche, wo sie das Abendessen für ihre Familie und die Gäste zubereitete oder zumindest überwachte, wie ihre Sklaven es taten. Oben in Valerians Zimmer ließ sich Eikyuu aufatmend auf das Bett sinken. Er hatte die Slarivester wohl doch unterschätzt. Vielleicht waren sie ein rassistisches Volk, aber sie lebten nicht hinterm Mond. Er musste sich unbedingt angewöhnen, die Gefahren etwas ernster zu nehmen. Am besten reisten sie noch heute ab, aber soweit er informiert war, wäre es unhöflich gewesen, sich gesund pflegen zu lassen und dann gleich zu verschwinden. Maris, Noctivagus und Shisei waren unterwegs, um erst einmal herauszufinden, wo genau sie waren. Bisher hatten sie sich immer im Haus aufgehalten, um darauf zu achten, dass ihren verletzten Freunden nichts geschah. Wenn sie eine Taverne fanden, konnte der Barde bei der Gelegenheit vielleicht noch etwas Kleingeld verdienen, damit sie der Familie etwas geben konnten, selbst wenn diese es vielleicht nicht annehmen würden. Die Tür öffnete sich lautlos, doch er spürte die Gegenwart des anderen und wandte sich um. Es war nicht Valerian, sondern der gebeugte, alte Mann. Er grinste zahnlos. Wer war das eigentlich, der Großvater von Kendra oder Tronet? Er hatte sich nicht einmal vorgestellt, jedenfalls ihm nicht. "Kleiner Drache, bist du wieder gesund? Ha! Er denkt, er könnte mich täuschen, aber in Wahrheit täusche ich ihn!" murmelte der Typ vor sich hin, während er auf den Angesprochenen zukam. Eikyuu runzelte die Stirn. "Seid Ihr auch ein Sklave?" wagte er zu fragen. Der Greis lachte. "Nicht doch. Ich diene nur mir selbst. Du solltest besser nach Hause fliegen. Komm nie wieder zurück nach Slarivestos. Sonst wirst du nicht der Einzige sein, der leidet." "Was soll das heißen?" "Ha! Hüte deine Zunge, Sklave, oder ich schneide sie dir ab! Du wirst schon sehen, was ich meine! Ich bin in diesem Spiel nämlich besser als er!" Kichernd verließ ihn der seltsame Fremde wieder. Eikyuu war reichlich verwirrt. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Er konnte den Mann auch kaum lesen, lediglich seine Anwesenheit wahrnehmen. Entweder spielten ihm seine Kräfte einen Streich oder... Ja, was eigentlich? Hatten sie einen unbekannten Feind? Und wen genau hatte der Alte mit *er* gemeint? Er grübelte noch, als Valerian zu ihm stieß. "Stimmt etwas nicht?" "Oh, Kariat... dieser alte Mann war hier und hat komische Sachen gesagt... das erzähle ich am besten, wenn die anderen wieder da sind..." "Hm, ja. Wir sollten schnell abreisen, aber die Tradition verlangt, dass wir noch mindestens vier Tage bleiben - also so lange, wie wir krank waren. Wir müssen sozusagen unsere Schulden abarbeiten, indem wir Geschichten erzählen, Kenntnisse austauschen und bei Arbeiten helfen, die hier so anfallen," teilte Valerian ihm mit. Eikyuu zögerte. "Ich... habe ein bisschen Angst hier, Val. Wenn Kendra nun doch jemanden kommen lässt?" "Ich hoffe doch, dass ich ihr das ausreden konnte. Heute Abend werde ich dich gebührend bestrafen." Der Prinz grinste. "Sollen sie nur zusehen durch ihre Spionlöcher. Vielleicht sind sie ja dann zufrieden." Eikyuu hob eine Augenbraue. "Magst du es mit Zuschauern? Na dann..." "Das Essen wird bald fertig sein, also gedulde dich noch ein bisschen. Ich hoffe, Maris, Noctivagus und Shisei sind bald wieder zurück, es macht mich ganz nervös, mit all den Slarivestern allein zu sein... auch wenn ich selber manchmal wie einer denke..." Valerian erbebte bei der Erinnerung. "Wieso hatte ich ein Leben in diesem Land?" "Auf jeden Fall scheint es doch seine Vorteile für uns zu haben, weil du jetzt über das Wissen verfügst, das du brauchst," meinte Eikyuu. Das ließ sich nicht abstreiten. Aber der Prinz war trotzdem nicht glücklich damit. Er nutzte die verbleibende Zeit, um sich auf dem Grundstück umzusehen, während Eikyuu im Zimmer blieb und tat, als würde er sich vor dem Zorn seines Meisters fürchten. Das Haus war ziemlich einsam gelegen, das nächste Gebäude nicht in Sichtweite. Aus irgendeinem Grund wusste Valerian, dass es viele solche Familiensiedlungen in Slarivestos gab, denn die Leute konnten ja auf ihren Drachen bequem überall hinfliegen. Kendra und Tronet hielten Schafe, die auf den umliegenden Wiesen weideten, wenn das Wetter es zuließ, im Winter kamen sie in einen Stall. Wenigstens nicht in denselben wie die Sklaven. Der große Hund lief tagsüber herum und wirkte ganz harmlos. Und es gab ein paar Pferde. Valerian beobachtete zwei der Sklaven - den Mann und eine Frau - bei der Arbeit. Sie machten den Viehstall sauber, striegelten die Pferde, kümmerten sich um das Sattelzeug und vieles mehr. Heute war auf einer Wiese Heu eingeholt worden, und sie luden es vom Wagen in die Scheune. Die beiden anderen Sklavinnen waren mit Kendra in der Küche. Valerian überlegte, dass zumindest diese beiden Draconer sein mussten, denn kein Slarivester würde einen Volldrachen mit seinem giftigen Blut das Essen kochen lassen. "Geht es Euch besser, Valerian?" erkundigte sich Tronet, der nun neben ihn trat. "Oh ja, die frische Luft tut mir gut," versicherte der Prinz schnell. "Offensichtlich machen Eure Sklaven gute Arbeit." Der Mann lächelte berechnend. "Ja, sie wissen, was gut für sie ist. Den Mann hab ich von meinem Vater übernommen, ein vollblütiger Luftgleiter. Diese Art kann schnell fliegen, deshalb habe ich mich auf sie spezialisiert. Die Frau, die mit ihm arbeitet, habe ich selbst gefangen, vor etwa zwanzig Jahren. In verschiedenen Wäldern und Gebirgen gibt es noch wilde Drachen, wisst Ihr. Die beiden anderen sind Halbblüter, die eine ist ein Blitzer. Hab sie beim Kartenspiel gewonnen." Valerian wurde schlecht, als er den Mann über Drachen reden hörte, als wären sie Pferde oder Kühe. Immerhin wusste er, dass sie so gut wie menschlich sein konnten. "Eien ist von meinem Vater an mich weitergegeben worden, das sagte ich ja schon," trug nun auch er seinen Teil zu der Unterhaltung bei. "Aber er handelt mit allen Arten, züchten tut er sie nicht. Dafür bringt er oft welche von seinen Reisen mit... Ihr versteht..." Tronet grinste verschwörerisch. Und ob er verstand. Nicht alle Sklaven waren in Slarivestos gefangen worden... "Dieses kleine Kind, das eurem Freund gehört, würde mich interessieren," deutete er an. "Oh, er verkauft sie nicht," wehrte Valerian sofort ab. "Er ist neugierig, welcher Art sie angehört, und außerdem meint er, dass sie besonders fügsam wird, wenn sie bei ihm aufwächst und von klein auf gedrillt wird." "Ja, da ist was dran," bestätigte der Slarivester. "Kommt doch wieder mit rein, ich werde einen Wein für uns aufmachen. Ich war übrigens sehr beeindruckt davon, wie Ihr euren Sklaven gezüchtigt habt. Viele gehen zu lasch mit ihnen um." "Oh, ich bin noch nicht fertig mit ihm. Heute Nacht kriegt er noch einmal sein Fett weg," entgegnete Valerian mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen. Er erwischte sich bei dem Gedanken, welches Vergnügen es sein würde, sich den Drachen zu unterwerfen und gefügig zu machen, ihn zu nehmen, bis er wusste, wo sein Platz war... Schnell verdrängte er diese Idee. Was war nur los mit ihm? Hatte er es nicht immer verabscheut, Eikyuu wehzutun, bis dieser ihm endlich beigebracht hatte, dass er das mochte? Wieso verspürte er auf einmal verstärkt das Bedürfnis, ihn zu beherrschen? Eikyuu wartete die ganze Zeit in Valerians Zimmer auf die Rückkehr seines angeblichen Meisters. Die Sklaven des Hauses nahmen ihn zwischendurch in die Küche mit und gaben ihm zu essen, ihm versichernd, dass der Meister noch mit ihrem Herrn und der Herrin am Tisch saß. Sie gaben ihm wohlriechende Öle für die Nacht mit - und eine Salbe für danach. Eikyuu war es ein bisschen unangenehm, dass sie so genau wussten, was ihn erwartete. Aber die Regeln der Bestrafung waren vermutlich im ganzen Land bestens bekannt. Valerian aß und trank mit dem Slarivesterpärchen. Eikyuu erwartete ihn mit nichts als einem dünnen Morgenmantel bekleidet. Er fragte sich, wie lange Maris wohl noch mit Noctivagus und Shisei wegbleiben würde. Nächte in Kneipen konnten für einen Barden sehr lang werden, vielleicht nahm er sich ja ein Zimmer. Shisei brauchte schließlich ihren Schlaf. Als schließlich sein "Herr" die Treppe hinauf kam, erkannte Eikyuu ihn fast nicht wieder. Der Kerl, der da mit einem berechnenden Grinsen im Türrahmen lehnte, war ziemlich betrunken und blockte ab, als er versuchte, ihn telepatisch anzusprechen. Es war wie am Morgen, als Valerian ihn geschlagen hatte. Er war ein anderer, hatte die Identität eines Slarivesters angenommen. Aber im Gegensatz zum letzten Mal schien er nicht wieder zu sich zu kommen. Eikyuu fühlte sich wie mit kaltem Wasser übergossen. Und er saß in der Falle. Er konnte nicht versuchen, den wahren Valerian, Shitais Wiedergeburt, zurückzuholen, ohne dass die Hausbesitzer Wind davon bekamen, dass sie ihnen etwas vorgespielt hatten. Er konnte erwartungsvolle Augenpaare spüren, die ihn aus dem Verborgenen beobachteten. Konnte er seine Magie benutzen? Aber seine drei Freunde waren nicht zu Hause. Wenn etwas passierte, während sie fort waren, er vielleicht sogar fliehen musste, brachte er sie womöglich auch in Gefahr. Also blieb ihm nur zu erdulden, was immer mit ihm geschehen sollte. Valerian trat weiter in den Raum. "Ausziehen und hinlegen, Eien." Eikyuu gehorchte stoisch. Er hatte sich ein hübsches Theater ausgemalt, hatte Gegenwehr vortäuschen wollen, wie er es schon oft spielerisch getan hatte. So etwas machte ihn an, aber nicht in diesem Fall. In dieser Situation war ihm klar, dass Valerian ihn tatsächlich vergewaltigen würde, wenn er sich sträubte. Das durfte nicht geschehen, oder es würde ewig zwischen ihnen stehen. Also legte er sich nackt aufs Bett, die Beine leicht gespreizt, und wartete auf das Unvermeidliche. Es war das erste Mal, dass er sich vor Valerian fürchtete. Wo war sein Kariat hinter dem Slarivester, zu dem der Prinz mutiert war? Valerian trat neben das Bett und strich mit kalten Fingern über seinen Arm, dass sein Drache fröstelnd erbebte. "Na, du wehrst dich ja gar nicht," grinste er. "Ich bin... bereit für meine Strafe, Meister," zwang Eikyuu sich zu sagen. "Bitte seid nicht zu grob..." Und lass es schnell vorbei sein, fügte er in Gedanken hinzu. Valerian zog sich lässig und in aller Ruhe aus. Dabei beobachtete er den entblößten Körper, der wie eine Opfergabe auf ihn wartete. Eikyuu spürte, wie es den Schwarzhaarigen erregte, sich die Furcht des anderen auszumalen. Er versuchte noch einmal, telepatisch mit ihm zu sprechen, stieß jedoch auf taube Ohren, im übertragenden Sinne. Viele Slarivester beherrschten die Kunst nicht, so mit ihren Drachen zu sprechen, andere ignorierten die Möglichkeit oder die Drachen versuchten es gar nicht. Die meisten aber hielten es für eine Legende, dass so etwas überhaupt möglich war. Für einen Moment dachte er daran, es mit seiner Seelenlesergabe zu versuchen, entschied sich aber dagegen. Wenn Valerian im Moment nicht wusste, was er tat, wie würde er dann reagieren, wenn er etwas merkte? Und das würde er sicher. Es war besser, wenn niemand erfuhr, was ein *Zweihorn* tun konnte. Leider konnte er zwar seine Kräfte vor anderen verbergen, aber nicht vor sich selbst. Er war liebevolle Behandlung und Respekt von Valerian gewohnt, und nun sah der Prinz ihn nur noch als einen Besitz. Wie konnte er sich nur in so kurzer Zeit so sehr verändert haben? Ihm stiegen die Tränen in die Augen. Er griff mit den Händen an die Stangen des Bettgestells, um sich davon abzuhalten, seinen eigenen Kariat von sich zu stoßen. Dieser weidete sich noch immer an seinem Anblick, berührte ihn, um sich in Stimmung zu bringen. Das dauerte nicht lange, sicher war er schon mit lüsternen Gedanken hier hinauf gekommen. Eikyuu dagegen konnte der Situation nichts abgewinnen. Er gab sich Mühe, sich nicht zu verkrampfen. Zu seiner Überraschung bemerkte Valerian das Öl und benutzte es, aber vermutlich nicht zum Wohl seines *Sklaven*. Valerian beugte sich über ihn, bereit, in ihn einzudringen. Auf einmal konnte Eikyuu den bloßen Gedanken nicht mehr ertragen, und seine Seelenlesergabe machte sich selbstständig. Sie schoss in Valerians Gehirn und direkt zu dem Teil, der die Libido kontrollierte. Doch selbst in seinem jetzigen Zustand erkannte sein Geliebter den Vorgang. "Lass das!" zischte Valerian und schlug den Drachen brutal ins Gesicht. Eikyuus Kopf wurde dadurch zur Seite gestoßen. Fassungslos starrte er an die Wand, wo der Schrank stand. Wie durch einen dichten Nebel registrierte er, dass die Ornamente an den Holztüren Drachen mit Reitern zeigten. Aufwändiges Zaumzeug machte deutlich, dass die Drachen etwa den gleichen Stellenwert hatten wie Pferde. Doch sein Blick verschwamm, als sein Herz endlich den Verlust bemerkte. Würde Valerian nun für immer so bleiben oder irgendwann wieder zu sich kommen? Eikyuu schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Sein Körper erschlaffte, als wäre er bewusstlos geworden, nur seine Hände umklammerten noch das Bettgestell. Er hätte sich wehren können, aber es gab so viel zu bedenken in seiner momentanen Lage... das Risiko war zu groß. Er vergewaltigt mich nicht. Ich lasse es zu, also vergewaltigt er mich nicht, sagte Eikyuu sich selbst. Valerian trieb sich in ihn, ohne in irgendeiner Form Rücksicht zu nehmen. Ganz im Gegenteil, er wusste, dass er Zuschauer hatte, und hätte ihnen gerne eine nette Vorstellung geliefert. Aber sein Drache schwieg, so fest er auch zustieß. Es war, als würde er es mit einem Toten treiben. Ein Teil von Eikyuu war tatsächlich gestorben. Die körperlichen Schmerzen waren nebensächlich. Sein Herz hoffte noch immer, dass Valerian noch irgendwo hinter dieser anderen Persönlichkeit existierte, aber es blutete unter Qualen. Er vergewaltigt mich nicht. Er vergewaltigt mich nicht... *** Eikyuu konnte nur hoffen, dass Valerian wieder er selbst war, wenn er ausgeschlafen hatte. Nach dem Akt hatte sein "Meister" ihn aus dem Bett gescheucht und war eingeschlafen. Der Drache ging auf den Hof, um sich am Brunnen zu waschen. Er tat es, als wäre er in eine Jauchegrube gefallen. Danach brach er zusammen und schluchzte lange leise vor sich hin. Später schlief er in dem Gewand, das er auch am Tage trug, auf dem Teppich neben Valerians Bett. Aber lange dauerte dieser Zustand nicht an, denn das nächste Unheil war über die Gruppe aus Athrya hereingebrochen. Valerian und Eikyuu wurden von Kendra geweckt. "Kommt schnell, Euer Freund ist schwer verletzt!" Der Prinz sprang aus dem Bett, zog sich eilig eine Robe über. Der vermeintliche Sklave folgte ihm in gebührendem Abstand zu Maris' Zimmer. Beide sahen schockiert, was geschehen war: Der Barde lag wimmernd auf seinem Bett, denn sein ganzer Körper war voller großflächiger Brandwunden. Eine Menge fremder Leute standen um ihn herum, anscheinend Helfer, die ihn hergebracht hatten. Aus den Gesprächen wurde deutlich, dass in der Kneipe, in der Maris gesungen hatte, der Flammentänzer eines Schmieds durchgedreht hatte. Noctivagus hatte ihn besiegen können, aber zu diesem Zeitpunkt hatte schon das Gebäude in Flammen gestanden. Der Draconer konnte sich nicht erklären, wieso Maris so schwer verletzt worden war, es hätte ein leichtes für ihn sein müssen zu entkommen. Kendra war mit dem seltsamen kleinen Mann in ihrem Labor verschwunden, wo sie sich sogleich an die Herstellung von geeigneter Medizin machte. Eikyuu indessen hielt Noctivagus zurück, als dieser sich an Valerian wenden wollte. In gedanklichen Bildern schilderte er ihm kurz, was sich zwischen ihnen zugetragen hatte, denn die passenden Worte konnte er im Moment nicht finden. Sein Freund starrte ihn ungläubig an, doch Eikyuu hielt den Blick auf den Boden gesenkt. Auf einmal zupfte Shisei an Eikyuus Kleidung. "Muss Maris jetzt sterben?" Den Gedanken hatten sie alle verdrängt. "Ich hoffe, dass Kendra ihm helfen kann. Aber sie ist eine Drachenheilerin, wahrscheinlich muss erst ein Arzt kommen. Und das könnte zu lange dauern..." Shisei fing an zu weinen. Eikyuu nahm sie auf den Arm und wiegte sie hin und her, damit sie nicht zu laut wurde. Tatsache war, dass bestimmt die Hälfte von Maris' Haut verbrannt war, vor allem seine Arme , Teile des Gesichts und der Oberkörper, als hätte ihn dort ein Angriff getroffen. Auch sein Rücken war betroffen, und dass er auf den Wunden liegen musste, war nicht gerade ideal. Der Seelenleser konnte seine Schmerzen teilweise spüren, und selbst er hätte Schwierigkeiten gehabt, sie zu ertragen. Tronet gab Maris einen lindernden Trank, den er immer vorrätig hatte, doch viel brachte das nicht. Eikyuu versuchte es mit seiner Gabe, doch der Mann ließ ihn nicht in seine Gedanken, obwohl diese von Schmerzen beherrscht wurden. Bald kehrte Kendra zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren alle nicht zum Haushalt gehörenden Personen wieder gegangen. Sie stellte einen dampfenden Kessel ab, in dem sie rührte, damit der Inhalt schneller abkühlte. Noctivagus erkannte den Geruch, doch er war zum Schweigen verdammt. Dafür sprach Valerian, der ebenfalls wusste, um was es sich handelte: "Ist das nicht ein Mittel für schwere Brandwunden, das nur bei Drachen hilft?" Ehe die Frau antworten konnte, ergriff der noch immer namenlose, gebeugte Mann das Wort, der mal wieder auf mysteriöse Weise erschienen war, ohne dass man ihn bewusst bemerkt hatte. "Es wird schon wirken, keine Sorge, verlasst euch auf mich!" Und er kicherte schadenfroh. Eikyuu und Noctivagus tauschten besorgte Blicke aus. //"Was soll das bringen, außer dass es ihn quält?"// fragte der Seelenleser telepatisch. //"Wissen wir denn mit Sicherheit, dass er ein Mensch ist?"// hakte der Flammentänzer nach. //"Wenn nicht, sollten wir uns schon mal eine gute Ausrede einfallen lassen. Und am besten gleich einen Fluchtplan."// //"Val wird uns nicht helfen, solange er diese andere Persönlichkeit hat!"// befürchtete Eikyuu. //"Aber ich kann ihn nicht zurücklassen."// //"Ich fürchte... es wird wirken,"// vernahmen beide die schwache Stimme des Barden in ihren Gedanken. //"Und... ich fürchte... ich bin recht wehleidig..."// Aber zu weiteren Erklärungen fehlte ihm die Kraft, und er kam auch nicht mehr dazu, denn Kendra befand, dass ihr Gebräu genug abgekühlt war. "Ihr müsst ihn festhalten," ordnete sie an. "Das Mittel ist stark desinfizierend und brennt zusätzlich zu den vorhandenen Schmerzen in den Wunden." Valerian und Tronet packten je ein Bein von Maris und drückten es nach unten. Eikyuu setzte Shisei ab und nahm einen Arm, Noctivagus den anderen. Sie mussten darauf achten, nicht die verbrannten Stellen zu berühren. Der männliche Sklave wurde gerufen, damit er den Kopf festhielt. Kendra gab dem Barden ein Stück Stoff, auf das er beißen sollte. Maris wehrte sich nicht, aber er hatte panische Angst, wie Eikyuu nicht entging. Schmerzen schien er nicht gerade gewohnt zu sein. Kendra vergewisserte sich, dass die Brandwunden inzwischen gut gereinigt worden waren, dann nahm sie eine Portion ihres zähen Mittels auf die Fingerspitzen und trug es großzügig auf den verbrannten Flächen auf. Maris biss fest auf den Stoff, doch aus seiner Kehle kam immer noch ein unterdrückter Schrei. Er bäumte sich unbewusst auf, und es war gut, dass sie ihn festhielten. Die Heilerin tat unbeirrt ihr Werk, bis sie auch die Wunden im Gesicht behandelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie Maris auf ein jammerndes Häufchen Elend reduziert. Und den Rücken musste sie sich noch für später aufheben... Der kleine Mann lachte leise vor sich hin. Eikyuu fand ihn unsympathisch. *** Fortsetzung folgt. Kapitel 6: Machtkämpfe ---------------------- Ooookay, ich danke all jenen, die mich in letzter Zeit dazu aufgefordert oder gebeten haben, Eternity fortzusetzen. Da das alles erst seit einigen Wochen läuft, kommt es mir vor, als wäre da irgendwo ein Nest. Aber ich freu mich, dass ihr euch solche Mühe macht, ihr müsst die Story ja sehr mögen. Insofern bin ich mal so frei und fühl mich geehrt. XD Manchmal braucht man einfach nen Tritt, damit man sich bewegt... Im Moment kommt es mir echt so vor, als verginge mein Leben zu schnell. Mann, wir haben schon 2007! Wann ist das passiert?! Ich hab lange überlegt, ob ich das mit dem Kampf machen soll... naja ich hoffe ihr mögt es. Das Wort "Chimäre" kommt in der Mythologie vor, hier benutze ich es aber in seiner generellen Bedeutung für "Mischwesen". Kapitel 6: Machtkämpfe Während der Nacht blieben sie abwechselnd bei dem Patienten. Eikyuu war überrascht, dass auch die Sklaven mit einer Wache betraut wurden. Aber so schonten sich die Herrschaften, insofern war es noch nachvollziehbar. Maris durfte sich nicht allzu sehr bewegen, damit das Mittel eine Kruste bilden konnte, unter der bei Drachen anschließend Schuppen hervorkamen. Noctivagus packte heimlich schon einmal alle Sachen zusammen. Leider konnte er das schöne Schwert des Barden nicht finden. Im Laufe der restlichen Nacht wurde Maris’ Wimmern leiser und hörte schließlich auf. Er fiel irgendwann in einen unruhigen Schlaf. Seine Freunde sahen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Wenn das Mittel wirkte, konnten sie einerseits aufatmen, andererseits hatten sie dann ein neues Problem am Hals. Und so kam es, dass am Morgen Tronet die hart gewordene Kruste zerschlug, die sich aus der Heilpaste gebildet hatte. Valerian stand genauso staunend dabei wie das Slarivesterpaar. Eikyuu, Noctivagus und Shisei hielten sich zurück, aber auch sie sahen es. Maris hatte schimmernde, elfenbeinfarbene Schuppen. „Ich glaube, du bist uns eine Erklärung schuldig,“ stellte Kendra fest. „Die möchte ich auch gern hören,“ fügte Valerian hinzu. Doch Maris schwieg natürlich und blickte trotzig zur Seite. „Kümmern wir uns erst einmal um den Rest,“ meinte die Slarivesterin. Tronet und Valerian drehten Maris für sie auf den Bauch, so dass sie die Wunden auf dem Rücken ebenfalls behandeln konnte, während die anderen ihn wieder festhielten. Noch während sie ihr Werk taten, begann unter den Nicht-Drachen eine Diskussion, wem Maris rechtlich gesehen gehörte und was aus seinen Sklaven werden sollte. Valerian hätte sich eine Geschichte ausdenken können, indem er zum Beispiel behauptete, er habe seinen eigenen Sklaven als Barden verkleidet, damit er Informationen sammeln konnte. Aber in dieser Situation wäre dies ungültig gewesen, selbst wenn es wahr gewesen wäre. „Nach slarivestischem Recht hat der Hausherr, in dessen Haus der Drache gefangen wird, das Vorrecht,“ bestimmte Tronet. „Aber ich will Euch ein faires Angebot machen, Valerian. Es sind insgesamt drei, also sucht Euch einen aus, und Kendra und ich nehmen die anderen beiden.“ „Ich brauche kein Kleinkind,“ entschied Valerian sofort. „Vagas wäre brauchbar, aber ich will lieber Maris haben, der mich so wirkungsvoll getäuscht hat… ich werde ihm klarmachen, dass er so etwas lieber nicht noch einmal versuchen sollte.“ „Ich bin damit zufrieden, das Kind hat mich ja eh interessiert,“ grinste Tronet. „Aber etwas schade ist es schon, Euer Freund hat eine seltene Farbe. Zu welcher Art gehört er wohl?“ „Das weiß ich natürlich auch nicht, aber wir können ihn in seine Drachengestalt zwingen, sobald er wieder laufen kann,“ schlug der Prinz vor. „Ich habe gestern doch noch Baltron zu meinen Schwiegereltern geschickt, was sich als Glück erweist, sie werden bald hier sein,“ warf Kendra ein. Baltron musste demnach der seltsame kleine Mann sein, denn der grinste bei der Nennung des Namens breit. Offenbar hatte er keinen weiten Weg gehabt. „Meine Mutter kann diesen Drachen ausbrennen, nur für den Fall,“ fügte Tronet hinzu. „Wenn wir es machen, solange er geschwächt ist…“ „Aber das wird ihn umbringen!“ rief Eikyuu entsetzt. Valerian warf ihm einen scharfen Blick zu. „Willst du wieder Schläge, Eien? Oder vielleicht sollte die Frau mit dir anfangen?“ Der Seelenleser wäre vor der Kälte in Valerians Stimme zurückgewichen, wenn er nicht Maris festgehalten hätte. Kendra war noch nicht damit fertig, ihre Medizin zu verteilen. „V-verzeiht,“ murmelte er deshalb nur. Erinnerte sich sein Kariat denn nicht mehr an die eigentliche Mission? Oder daran, was sie füreinander empfunden hatten? //„Eikyuu! Wir müssen weg von hier!“// teilte Maris dem Seelenleser mit. //„Wir müssen uns selbst retten… und den Flammentänzer, der die Kneipe in Brand gesetzt hat. Sonst wird er heute Abend getötet wie ein tollwütiger Hund!“// //„Aber du bist am Ende deiner Kräfte! Und was ist mit Valerian?“// //„Nimm ihn mit, egal wie. Und ich werde es schon schaffen. Ich habe mich ein bisschen erholt, seit es passiert ist…“// //„Das Mittel wird dich weiter schwächen, denn Heilmittel zehren immer an der Kraft des Verletzten.“// //„Das ist nicht zu ändern. Wir müssen warten, bis es gewirkt hat.“// //„Warum lässt du mich nicht mit meiner Gabe deine Schmerzen lindern?“// //„Das geht bei mir nicht.“// Maris vergrub sein geschupptes Gesicht in seinem Kissen. //„Lass sie mich nicht versklaven… bitte…“// Eikyuu erkannte erschüttert, dass dies für Maris offenbar ein gänzlich unerträglicher Gedanke war. Schon seine momentane Lage kratzte extrem an seinem Selbstwertgefühl. Dann schon lieber tot als versklavt. Aber soweit würde es nicht kommen, nahm der Seelenleser sich vor. Während nun die Heilpaste auf dem Rücken des neu entlarvten Drachen trocknete, erschien ein weiteres slarivestisches Paar auf der Bildfläche: Tronata und Danon, die Eltern von Tronet. Beide waren rothaarig. Der Mann sah Tronet sehr ähnlich; dessen Mutter trug einen strengen Dutt. Er hatte eine große Tasche voll mit Halseisen, Handschellen und allerhand anderem Gerät zum Festhalten und Markieren von Sklaven dabei, sie einen Beutel mit unbekanntem Inhalt magischer Art. Die Magier konnten genau erkennen, dass diese Frau sich auskannte. Zweifellos hatte sie selbst eine entsprechende Ausbildung genossen, sonst wäre sie auch nicht in der Lage, einem anderen Magier die Kräfte zu nehmen. Tronata wartete einige Stunden, bis auch Maris’ Rücken geheilt war und Schuppen darauf glänzten. Dann nahm sie ihn interessiert in Augenschein. Sie griff mit einer Hand in sein Haar und hielt ihn so fest, die andere legte sie auf seine Stirn und schloss konzentriert die Augen. Eikyuu, der mit Noctivagus und Shisei in einer Ecke kauerte, vermutete, dass sie über gewisse hellseherische oder telepathische Kräfte verfügte. Valerian und die anderen Slarivester standen in der Nähe und warteten gespannt auf den Befund, bereit zum Eingreifen, falls Maris sich wehrte. Das tat er noch nicht, aber er atmete hektisch und hatte deutlich einen Anflug von Panik angesichts seiner eigenen Hilflosigkeit. Falls er irgendwelche Kräfte hatte, war er im Moment kaum stark genug, sie wirkungsvoll einzusetzen. „Er blockiert mich,“ stellte Tronata fest. „Das zeugt von großer geistiger Kraft. Sehr wahrscheinlich besitzt er auch Magie, aber ich kann nicht sagen, wie stark sie ist. Normalerweise würde ich dazu raten, dass er sich erst erholen soll, aber in diesem Fall denke ich, dass wir ihn sofort ausbrennen müssen. Er könnte sonst fliehen, wenn er seine Kräfte zurückerlangt.“ Sie blickte in die Runde und sprach schließlich Valerian an. „Er gehört Euch, nicht wahr? Seid Ihr einverstanden?“ Zu Eikyuus Entsetzen zögerte Valerian nicht einmal, sondern nickte sofort. „Ich bin auch ein bisschen magisch geschult, sagt mir, wenn Ihr Hilfe braucht,“ bot er auch noch an. Der Seelenleser war nicht der Einzige, dem das einen Stich ins Herz versetzte. Maris sah den Prinzen flehend an. „Val... das kann nicht dein Ernst sein! Erinnere dich doch an dich selbst! Shitai!“ Valerian runzelte die Stirn, als suche er die Bedeutung des Namens, aber dann überwog wieder die Person, zu der er mutiert war. „Sollen wir ihn fesseln?“ Irgendwo im Hintergrund war Baltrons Kichern zu hören. „Das hast du nun davon, deine genialen Pläne gehen nach hinten los,“ flüsterte der Typ. Eikyuu wurde es zu dumm. Er fällte eine Entscheidung, und sie fiel nicht zu Valerians Gunsten aus. „Finger weg von ihm!“ verlangte er. „Ich werde nicht zulassen, dass ihr so etwas Grausames mit meinem Freund macht!“ „Eien! Du hältst dich da raus! Ab in mein Zimmer!“ befahl Valerian, doch sein angeblicher Sklave hörte nicht auf ihn. „Ich hatte gehofft, dass du von selbst wieder zu dir kommst, Kariat. Aber anscheinend muss ich es aus dir rausprügeln!“ „Was erlaubst du dir! Am besten, wir kümmern uns doch zuerst um dich!“ Valerian stapfte auf ihn zu und baute sich bedrohlich vor ihm auf, dabei war er nicht viel größer. Eikyuu wich keinen Millimeter und war auch von der Drohgebärde nicht sonderlich beeindruckt. Seine Augen glühten silbern. „Meine Kräfte auszubrennen, dürfte sich schwierig gestalten, immerhin bin ich der Allmeister von Athrya. Oder willst du es mit mir aufnehmen? Das hast du noch nicht drauf, Prinz!“ „Ich weiß alles über deine Magie! Du kannst mich nicht einschüchtern!“ zischte Valerian. „Lass uns auf den Hof gehen,“ schlug Eikyuu vor. „Sonst wird noch jemand verletzt.“ Tronata bekam den Mund nicht mehr zu. „Du behauptest, ein Magier zu sein? Aber es gibt nur noch einen lebenden Allmagier. Eikyuu.“ „Was Ihr nicht sagt.“ Der Magier ging zum Bett und half Maris beim Aufstehen. Tronata wich vor seiner aus dieser Nähe deutlich spürbaren Macht zurück. „Wusstet ihr nicht, das Eikyuu ein Drache ist?“ Er lächelte selbstgefällig. Maris stützte sich auf Eikyuu. Er war schwächer, als er gedacht hatte. Noctivagus eilte ebenfalls zu Hilfe, während Shisei nicht von seiner Seite wich. Der Schattenmagier hatte seine Zauber ebenfalls fallenlassen, so dass man auch bei ihm die Silberaugen sah. Gemeinsam halfen sie Maris in ein Sklavengewand aus Leinenstoff, das bereits für ihn bereitgelegen hatte, denn seine alte Kleidung - oder die Reste davon - trug er natürlich längst nicht mehr. „Was ist das hier, ein Sklavenaufstand?“ wollte Tronet wissen. „Ich kümmere mich darum. Eien überschätzt sich, würde ich sagen,“ versicherte Valerian. Er begab sich mit den Drachen auf den Hof, wo sich kurz darauf auch alle Mitglieder des Haushaltes versammelt hatten. Die drei Kinder hielten sich auf Anweisung ihrer Eltern im Hintergrund, jedoch nicht ohne zu maulen. Indessen zeigten die Sklaven sich schüchtern in der Nähe der Scheune. Der Wachhund war bei ihnen. Eikyuu ließ Maris los, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Noctivagus ihn allein stützen konnte. Er hatte lange nicht mehr als Allmeister gekämpft. „Ich frage mich, warum sich Val an die Magie erinnert, wenn er doch alles andere vergessen hat...“ seufzte er traurig. „Kannst du in deinem Zustand mit ihm fertig werden? Diese Sache muss dich doch seelisch mitnehmen!“ gab Noctivagus zu bedenken. Eikyuu lächelte schief. „Für solche Bedenken ist es zu spät. Flieh mit Maris und Shisei, wenn du musst. Vielleicht kannst du auch die Sklaven mitnehmen.“ Es interessierte ihn nicht besonders, dass Kendra ihn gehört hatte und wütend in seine Richtung blickte. Die drei bauten sich etwas entfernt von den Slarivestern auf. Maris entdeckte Baltron ganz in der Nähe, wie er Eikyuu und Valerian beobachtete. „Pass auf den Buckligen auf,“ flüsterte er Noctivagus zu. „Er könnte uns arge Probleme bereiten. Naja. Eigentlich hat er das schon.“ Der Schattenmagier runzelte die Stirn. „Heißt das, er hat etwas damit zu tun, dass du verletzt wurdest? Hat er den Brand verursacht?“ „Er ist böse!“ kommentierte Shisei. „Und er kann auch zaubern, aber anders als du.“ „So wie ich,“ fügte Maris hinzu. Noctivagus sah ihn verwirrt an, aber der Blonde gab keine weitere Erklärung ab. „Macht Euch keine Sorgen, ich bin selbst ein Allmagier,“ sagte Valerian zu Tronet und Kendra. „Ich werde ihn besiegen. Er ist ein Zweihorn, die sind zu sensibel.“ Eikyuu hatte ihn gehört. „Wie kannst du eigentlich die Tatsache, dass du das alles von mir gelernt hast, mit deiner jetzigen Persönlichkeit in Einklang bringen? Davon abgesehen solltest du wissen, dass ich wie ein Rächer kämpfen kann. Außerdem bist du nur beinahe ein Allmagier, während ich es schon seit Jahrhunderten bin.“ „Wenn du verlierst, wirst du gar nichts mehr sein, denn dann wird Tronata dich zu einer leeren Hülle von einem Magier machen.“ „Einverstanden.“ Gemurmel ging nach diesem Austausch durch die Reihe der Zuschauer. Baltron kicherte, wie fast immer. „Halt dich da raus!“ zischte Maris dem Kleineren zu. Das Männchen schaute ihn von unten schief an. „Was willst du dagegen tun, hm? Im Moment kannst du mir gar nichts, sei froh, dass du stehen kannst!“ Maris enthielt sich vorerst eines weiteren Kommentars und beschloss abzuwarten, was Eikyuu erreichen würde. Letzterer stand nun Valerian gegenüber, und beide sahen sich lauernd an. Gab es sowas wie ein Startzeichen? Die Anwesenden konnten keines erkennen, aber auf einmal vibrierte förmlich die Luft. Es war, als wäre sie plötzlich zu geladen zum Atmen. Selbst der unsensibelste unter den Zuschauern merkte den Unterschied, als die beiden Allmeister aufeinander losgingen. Allerdings passierte rein gar nichts. Valerian machte eine Geste, als wolle er einen Angriff starten, schaffte es aber nicht. Man hatte den Eindruck, er würde sich angestrengt gegen einen unsichtbaren Widerstand stemmen. Eikyuu bewegte sich überhaupt nicht. Er stand ruhig da, wobei er leicht angespannt wirkte und entschlossen blickte. Alle warteten gespannt auf irgendeine Aktion. Niemand hatte diese Art von Duell jemals miterlebt. Nach einigen Minuten begann Eikyuu, gelassen auf und ab zu schreiten. Er sah selbst in dem einfachen Hemdchen eines Sklaven würdevoll aus. „Na was ist nun, zeigst du es mir heute noch?“ Valerian lief rot an vor Wut. „Was soll das? Du hast mich verhext!“ „Nicht doch,“ wies Eikyuu die Anschuldigung von sich. „Das hast du selbst getan, indem du zu dieser anderen Person mutiert bist. Diese Person war kein Magier. Wie willst du also auf Kräfte zugreifen, die nicht deine sind? Aber du bemühst dich ganz gut, das muss ich zugeben.“ „Ich bin ein Allmagier wie du, wie kannst du es wagen…!“ regte der Schwarzhaarige sich auf. „Ich merke doch, dass du alles blockierst, was ich versuche! Das ist die Kampftechnik eines Feiglings!“ Eikyuu hielt einen ermahnenden Zeigefinger hoch. „Nein, nein, du bist kein Allmagier, Valerian. Ein Allmeister, ja. Lass mich dir den Unterschied erklären.“ Er sprach laut genug für alle. „Heutzutage machen die meisten Leute keinen Unterschied mehr zwischen diesen beiden Begriffen, weil sie es nicht besser wissen und die Worte sich ja auch wirklich ähneln. Aber: Jemand, der wie du jedes einzelne Element gemeistert hat, darf sich Allmeister nennen. Ein Meister aller Elementarmagien. Ein Allmagier dagegen unterscheidet gar nicht mehr wirklich zwischen den Elementen. Für ihn ist alles eine einzige große Magie, derer er sich beliebig bedienen kann, denn sie gehorcht ihm willig. Elementarmagie ist nichts weiter als die Spezialisierung auf ein Thema, im Prinzip könnte man auch alles beliebig durcheinander lernen. Früher wurde das tatsächlich so gemacht, bevor sich jemand ein sinnvolles System dafür ausgedacht hat. Vergleich es mit einem Künstler: Er spezialisiert sich zum Beispiel auf Gesang, Tanz, Lyrik, Poesie, die Malerei oder Bildhauerei. Man ist besser auf seinem Gebiet, wenn man sich spezialisiert. Bei Magiern ist es nicht viel anders. Einige von uns haben besonders großes Talent. Sie können Allmeister und Allmagier werden. Jeder Allmagier ist ein Allmeister, aber nicht jeder Allmeister ist ein Allmagier.“ Valerian starrte Eikyuu geradezu hasserfüllt an, aber der Seelenleser schaffte es, ihn im Moment nicht als seinen Geliebten zu betrachten, sondern als einen Slarivester. Auch das gehörte zur Ausbildung: Mann musste in der Lage sein, sich einem Freund zu stellen und ihn sogar zu vernichten, sollte dieser sich plötzlich als Feind erweisen. „Ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann gegen einen Magier kämpfen muss, der mir viel bedeutet,“ sagte er etwas leiser. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass das mein eigener Kariat sein würde. Er ließ die Sperre fallen, mit der er Valerians Magie blockiert hatte. Der Allmeister merkte es sofort und erschuf eine Feuerkugel, die er voller Zorn in Eikyuus Richtung warf. Sie wurde jedoch einfach nach oben umgelenkt, wo sie wirkungslos verpuffte. „Na was ist, war das schon alles?“ provozierte der Ältere seinen Schüler weiter. „Um mich zu besiegen, musst du dich schon etwas mehr anstrengen.“ Valerian zeigte grimmig die Zähne. Er versuchte es noch einmal mit einem Feuerangriff, ließ aber gleich darauf einen Blitz niedergehen. Eikyuu lud ein Stück entfernt ein Fleckchen Luft elektrisch auf, so dass der Blitz dorthin gezogen wurde. Die Feuerkugel jedoch fing er auf, indem er sie zwischen den Händen fixierte, ohne sie direkt zu berühren. „Schon besser, Valerian. Aber Feuer verbraucht viel Energie, wenn du es aufrecht erhalten willst.“ Tatsächlich verglühte das Geschoss kurz darauf, da sein Erschaffer es nicht weiter speiste. Solche Dinge waren dazu da, einen schnellen, effektiven Angriff auszuführen, darüber hinaus lohnte es sich nicht, Energie dafür zu investieren. Eikyuu ließ Valerian noch ein bisschen herumprobieren. Der Schwarzhaarige war nicht richtig in Form, denn er konnte ihm nicht wirklich etwas entgegensetzen. Zwar hätte sein Meister ihn wohl immer besiegen können, aber etwas mehr Gegenwehr hatte er schon erwartet. Er wusste, dass Valerian das nicht spielte. Dessen Angriffe waren unüberlegt und voller Zorn. Offensichtlich konnte er in seiner jetzigen Persönlichkeit nicht so gut mit der Magie umgehen wie als Prinz. Als der Schwarzhaarige sich ein bisschen ausgetobt hatte, schien er sich etwas zu besinnen, denn er hörte auf, wild um sich zu schießen. „Na endlich… du hast mir in unseren Übungsgefechten mehr entgegenzusetzen gehabt,“ neckte der Seelenleser ihn. „Ich kenne deine Magie besser als du selbst. Du dagegen irrst dich, wenn du meinst, dass du alles über meine weißt. Kein Lehrer verrät seinem Schüler alles.“ Und Eikyuus Gesicht verfinsterte sich plötzlich, genau wie der Himmel. Die Sonne war noch zu sehen, und die Zuschauer konnten auch noch ihre Umgebung erkennen, trotzdem war es finster wie in der Nacht. Es war eine Methode, um Licht und Schatten zu kombinieren. Doch noch aus einem anderen Grund verfinsterte sich der Himmel. Es wurde windig und kühl, während sich ein schwerer Sturm zusammenbraute. Nach kürzester Zeit entluden Wolken, die vorher gar nicht vorhanden gewesen waren, ihre Fracht. Alle Anwesenden wurden bis auf die Haut durchnässt, was bei Eikyuus Hemdchen interessante Einblicke ermöglichte, aber das kümmerte ihn nicht weiter. Ein Blitz schlug heftig donnernd dicht neben Valerian ein. Dieser wich aus, doch unter ihm tat sich in diesem Moment eine Erdspalte auf. Er konnte sich gerade noch mit einem Windstoß selbst davon wegschubsen. Der Vorgang erschütterte die ganze Umgebung, doch das Wohnhaus blieb verschont. Dafür verzog sich die Holzkonstruktion des Stallgebäudes, als der Boden darunter sich bewegte. Pferde wieherten und flohen, als der Sturm das große Tor aufriss. Eikyuu peitschte das Wasser, das sich nun in Pfützen sammelte, gegen seinen Gegner auf. Es wurde zu Eisstücken und bombardierte ihn regelrecht. Valerian riss schützend die Arme hoch und wehrte sich mit etwas Feuer. //„Bei Areth! Selbst bei allen Prüfungen, die ich nicht bestanden habe, hat er nicht so tief in die Trickkiste gegriffen! Das ist ja alles auf einmal!“// Unbewusst sandte er es telepathisch. //„Dann erinnerst du dich an deine missglückten Allmagierprüfungen?“// antwortete Eikyuu ihm hoffnungsvoll. Er erreichte Valerian, das allein war schon ein gutes Zeichen. Sein Schüler starrte auf einen Fleck in der Luft und schien das Inferno, das um ihn herum tobte, gar nicht mehr zu bemerken. „Towa… was… was machen wir hier? Warum bekämpfen wir uns so? Ich… hab so seltsame Erinnerungen im Kopf…“ Eikyuu merkte, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Er riss sich zusammen, um nicht die Kontrolle über seine entfesselten Kräfte zu verlieren. „Kariat… ich hab dich wieder!“ „Ja, wieso, wo war ich denn?“ fragte Valerian verständnislos. Eikyuu beruhigte seinen Sturm allmählich. Auch die künstliche Nacht verging. „Du warst etwas… verwirrt, könnte man sagen, und—“ Eine Bewegung zu seiner Linken ließ ihn stocken. Etwas erschien auf einmal dort und sprang mit gefletschten Zähnen auf ihn zu. Er sah es wie in Zeitlupe: Ein Wesen wie ein übermannsgroßer Hund oder Wolf, nur mit rauen Schuppen statt Fell. An Hinterkopf und Nacken trug es jedoch eine strubbelige Mähne, sein Schwanz war der eines gigantischen Skorpions, und seine Krallen ähnelten stark denen eines Drachen. Der Seelenleser dachte nicht nach, sondern ließ instinktiv seine beiden Schwerter erscheinen, seine Hörner. „Nicht, Eikyuu! Mit ihm wirst du nicht fertig!“ hörte er Maris’ Stimme, doch er stürzte sich bereits in Todesverachtung auf die Chimäre, ganz wie er es vor langer Zeit von Shitai gelernt hatte. Doch seine Klingen prallten vom Hals des Wesens einfach ab, als er versuchte, dort zuzustoßen. Eikyuu wurde von der Wucht des springenden Geschöpfes zu Boden geworfen, rollte sich jedoch gleich wieder ab und stellte sich ihm. Wo in aller Welt kam das her? Und was war das überhaupt? Die Slarivesterfamilie floh, um die Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie rannten nicht ins Haus, sondern brachten soviel Entfernung wie möglich zwischen sich und das fremde Monster. Noctivagus scheuchte Shisei in die entgegengesetzte Richtung weg, doch sie lief nur einige Schritte, traute sich anscheinend ohne ihn nicht. Der Schattenmagier wollte Maris stützen und mit ihm flüchten, doch dieser stand auf wackeligen Beinen da und blickte zu dem Ungeheuer. Wo war eigentlich Baltron hin? „Shisei, geh mit Noctivagus,“ sagte der Barde ernst, während er zusah, wie Eikyuu Magie gegen den Feind benutzte und diese einfach absorbiert wurde. Der Magier versuchte es daraufhin nicht noch einmal. Maris blickte sich kurz mit seinen unergründlichen Augen zu seinen beiden Begleitern um. „Dieses Geschöpf ist nicht von dieser Welt. Es wurde ursprünglich erschaffen, damit die unsterblichen Drachen sich nicht zu sehr ausbreiteten. Ein Geschöpf, das Drachen besiegen kann, aber nicht immer gewinnt. Dieses spezielle jedoch muss ich mir vornehmen.“ „Nein, du bist zu schwach!“ protestierte Noctivagus. Maris lächelte nur, als wüsste er das selbst. Er schloss die Augen, und seine Gestalt veränderte sich. Der Flammentänzer war unfähig, sich von dem Anblick loszureißen. Ein elfenbeinfarbener Drache erschien vor seinen Augen, mit gefiederten Flügeln und einem Kopf, der mit einem stattlichen, senkrechten Horn mitten auf der Stirn geschmückt war. So einen hatte er noch nie gesehen. Aber er wusste, welcher Art er angehörte, und deshalb konnte es ihn eigentlich gar nicht geben. Ein weiterer heimlicher Überlebender vielleicht? Der Rächer stürmte auf das Mischwesen zu, wobei er Eikyuu fast umrannte. Der Magier starrte ihn ungläubig an, sprang aber reaktionsschnell aus dem Weg. Der geschuppte Riesenwolf, oder wie immer das Geschöpf auch hieß, wandte sich dem Drachen zu. Es war etwas kleiner, aber sehr schnell und wendig. Zwischen beiden entbrannte ein blutiger Kampf. Eikyuu indessen fand Valerian noch immer an der Stelle, wo er während des Magierduells gestanden hatte. Der Erdspalte ausweichend, eilte er an die Seite seines Kariat. „Alles klar mit dir? Schnell, lass uns machen, dass wir hier wegkommen. Dieses… Ding… widersteht anscheinend allen Angriffen…“ Er war verwirrt, wie es einen weiteren Rächer außer Shisei geben konnte, aber es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sich darüber zu wundern. Sein Geliebter musterte ihn seltsam. „Was hast du denn da an? Waaah, ich bin ganz durcheinander!“ Erstmal brachten sie sich in Sicherheit. Aus der Entfernung beobachteten sie, wie der Drache ganz nach Rächerart auf seinen Gegner einschlug, ohne dabei darauf zu achten, ob er selbst zu Schaden kam, Hauptsache, der andere wurde erledigt. Er wurde von dem giftigen Stachel am Schwanz der Chimäre erwischt, merkte es aber anscheinend gar nicht. Eikyuu wusste, dass Rächer im Eifer des Gefechts kaum Schmerz spürten, aber hinterher... Noctivagus und Shisei stießen zu ihnen. „Ihr werdet es kaum glauben,“ keuchte der Schattenmagier. „Aber das da ist...“ „Maris...“ begriff Valerian. „Deshalb hatte er das Horn... das war tatsächlich seins...“ Shisei sah sehr zufrieden aus, als wäre das alles keine Überraschung für sie. Nun, im Prinzip hatten sie ja alle damit gerechnet, dass Maris zumindest ein Draconer war, aber ein Rächer? Das war doch sehr erstaunlich. „Wie kann das sein, waren sie nicht alle tot? Oder gibt es vielleicht noch mehr, die irgendwo versteckt leben?“ fragte Noctivagus. Sie hörten den Drachen ohrenbetäubend brüllen. Er hatte einen fatalen Treffer landen können und schleuderte seinen Gegner brutal zu Boden. Sofort war er über ihm und biss Stück für Stück Schuppen und Fleisch von den Knochen des noch lebenden Mischwesens, das unter Schmerzen kreischte, aber schon bald still wurde und sich dann in einer Rauchwolke auflöste. Es war ein schlimmes, blutiges Schauspiel, aber sie konnten nicht anders, als gebannt hinzustarren. Shisei schien von allen am wenigsten entsetzt, trotz ihrer Jugend. Nach einer Weile erwachten sie aus ihrer Starre und gingen zögernd zurück. Alle vier waren schlammbedeckt und durchnässt von Eikyuus Machtdemonstration. Eikyuu war so gut wie nackt, da seine im nassen Zustand durchsichtige Kleidung an ihm klebte und alles zeigte. Aber das interessierte jetzt niemanden. Vor ihren Augen verwandelte sich Maris in seine Menschengestalt zurück, nun wieder ohne Schuppen – und ohne Kleider. Dass er dazu noch in der Lage war, erstaunte alle. Er taumelte, sah die Freunde kurz an und brach dann zusammen. Sie waren fast sofort bei ihm, drehten ihn auf den Rücken und umringten ihn besorgt. Valerian nahm den blonden Kopf auf seine Knie. Maris war auch in dieser Gestalt von Blut bedeckt, und es war wohl zu einem großen Teil sein eigenes. Sein Körper war übersäht von Kratzern, und das Gift der Chimäre wirkte jetzt. Die erste Untersuchung endete nicht sehr erfreulich. „Wir verlieren ihn, fürchte ich,“ murmelte Valerian. Er strich dem Rächer eine Strähne aus dem verschwitzten Gesicht, dass sich bereits fiebrig anfühlte. „Er hat einen Kampf gewonnen... aber ein weiterer steht ihm erst noch bevor...“ Eikyuu war stehengeblieben und sah sich zum Haus um. Die Familie näherte sich der Gruppe. Alle sahen etwas... verwundert aus. Der männliche Sklave des Hauses eilte herbei und bot an, Maris hinein zu tragen, während die Frauen versprachen, ihn zu waschen und zu versorgen. Valerian ließ sie gewähren und schloss sich ihnen an, blieb dann aber vor Tronet und den anderen stehen. „Ich bin Prinz Valerian von Athrya, Meisterschüler Eikyuus und Meister der Drachenheilkunst. Mit Eurer Erlaubnis werde ich mich in Eurem Labor bedienen.“ Tronet nickte nur, ebenso seine Frau. Das ältere Paar wirkte etwas grimmig, hielt sich aber raus, während der Schwarzhaarige im Haus verschwand. Die Kinder wurden auf ihre Zimmer geschickt. Nun trat Eikyuu auf sie zu, wobei er entschuldigend, aber doch irgendwie leicht hochmütig lächelte. „Eikyuu, Allmagier Athryas, ehemaliger Hüter des Schokoladenkelches und reinblütiger Drache der Art, die Ihr *Zweihorn* nennt.“ Er ging ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbei. Noctivagus verneigte sich halb spöttisch. „Noctivagus, der Schattenmagier, oder Taika, Halbblut der... ach ich hab vergessen, wie Ihr meine Art nennt.“ Auch er folgte den anderen nach drinnen, wartete aber noch auf Shisei. Diese trat nun mit ernstem Gesicht auf die Hausbesitzer zu. „Ich bin Shisei, die letzte einer Art, die Ihr wahrscheinlich gar nicht mehr kennt. Wir waren niemals Sklaven von Euch. Aber wir werden alle rächen, die in Eurem Land jeden Tag umkommen, und hier fange ich an. Ich verlange eines Eurer Kinder. Es soll mit uns kommen und von uns lernen. Vielleicht wird es dann aufgeschlossener als Ihr.“ „Nein!“ schrie Kendra auf. „Du bekommst weder Sohn noch Tochter von mir!“ Danon hielt sie fest. „Ruhig bleiben, es wird sich noch zeigen, wen die mitnehmen und ob überhaupt.“ Ohne weiter darauf einzugehen, trat Shisei an Noctivagus’ Seite und folgte ihm ins Haus. Er war von ihrem Auftritt ziemlich erstaunt. Konnten sie wirklich ein fremdes Kind bei sich gebrauchen? Und was genau war da eigentlich gerade passiert? Wo war die Chimäre hergekommen? Warum hatte sich Shisei als Letzte ihrer Art bezeichnet, obwohl Maris doch auch ein Rächer war? Und... war Baltron jetzt weg? Es gab immer mehr Fragen statt Antworten... *** Fortsetzung folgt. Kapitel 7: Der Beginn des Widerstandes -------------------------------------- Danke an alle, die Kapitel 6 kommentiert haben! Macht schön weiter so, damit ich meine momentane Motivation behalte. Euer Gedrängel hat mich inspiriert, und die Inspiration hält bestimmt auch noch für Kapitel 8 (in Arbeit) und eventuell 9 an... Achtet auf mein Weblog, da werde ich über die neuesten Fortschritte berichten. Hm, ich frage mich, ob das mit der Befreiungsaktion in diesem Kapitel nicht zu leicht geht, aber es wird schon noch schwieriger, wenn sich das erst rumspricht... also macht euch auf ein paar fiese Slarivester gefasst und wer weiß, wer noch hinter der ganzen Sache steckt... Kapitel 7: Der Beginn des Widerstandes „Sowas nennt man dann wohl feindliche Übernahme,“ murmelte Tronata, während sie und Danon am Tisch saßen und schmollten. Die Sklaven ihres Sohnes hatten etwas gekocht, das für alle reichte, und Eikyuu mit anständiger Kleidung versorgt. Der Seelenleser bewegte sich in dem Haus, als gehörte es ihm. Gleiches galt für seine Mitverschwörer. Als Magierin hatte Tronata eine gewisse Achtung vor ihm, aber sie verachtete ihn wiederum als Drachen. Das kleine Mädchen benahm sich ganz und gar nicht seinem Alter entsprechend. Es war eine Unverschämtheit, dass sie verlangte, dass Kendra und Tronet eins ihrer Kinder hergeben sollten. Das würde man noch sehen! Besorgniserregend fand das Paar, dass Kendra zwar um die Sicherheit ihrer Kinder fürchtete, andererseits aber fasziniert war, wie Noctivagus mit den Zutaten in ihrem medizinischen Vorratslager umging. Prinz Valerian kannte sich fast noch besser damit aus, und beide waren ständig in Fachgespräche vertieft, die sie in einer fremden Sprache führten, während sie die Sachen zerrieben, hackten oder sonst wie vorbereiteten, um sie dann zusammen zu rühren. Tronet indessen beobachtete alle Vorgänge mit grimmigem Gesichtsausdruck. Er hatte sich eine Weile damit beschäftigt, die Pferde wieder einzufangen, was seine Laune nicht gebessert hatte. Baltron war verschwunden – wenn es tatsächlich er gewesen war, der sich in diese wild gewordene Bestie verwandelt hatte, war das wohl auch besser so... Der Barde, der sich als Angehöriger einer in Slarivestos unbekannten Drachenrasse herausgestellt hatte, lag wieder in seinem Bett. Er war sehr geschwächt von den Verletzungen und Heilungsvorgängen, die er vorher schon erlitten hatte, und nun sah es so aus, als sei er nicht stark genug, um das Fieber zu überstehen. Selbiges war offenbar die Folge einer Vergiftung. Diese wurde zwar behandelt, aber bisher war keine Besserung zu erkennen. Unter normalen Umständen wären Tronata und Danon begierig gewesen, diesen Drachen zu besitzen, aber sie kamen kaum mit der Situation zurecht. Schließlich waren sie praktisch Gefangene. Tronets und Kendras Sklavengruppe hatte angekündigt, dass sie den Hof verlassen würden, sobald alles geregelt war. Was immer das zu bedeuten hatte... So viele Fragen waren noch unbeantwortet... Eikyuu fühlte sich besser, nachdem er seine Sklavenrolle abgelegt hatte. Inzwischen hatten die Freunde sich zusammengereimt, dass Baltron, was immer er gewesen war, etwas mit dem Brand zu tun hatte, bei dem Maris so schwer verletzt worden war. Ihn verband anscheinend eine gewisse Feindschaft mit dem Rächer, aber warum, das hatte dieser ihnen noch nicht sagen können. Es war fraglich, ob Maris überhaupt jemals wieder etwas sagen würde. Sein geschwächter Körper konnte die Medizin nur bedingt verwerten. Sie flößten ihm auch Brühe ein, aber ob es etwas half, konnte man noch nicht absehen. Regelmäßig frischte einer von ihnen das Tuch auf seiner Stirn auf. Irgendwann kam ein Zeitpunkt, an dem Valerian sich seufzend auf einen Stuhl neben dem Bett fallen ließ und sagte: „Das ist alles, was wir tun können... nun liegt es an ihm.“ „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Der Schwarzhaarige blickte sich verwirrt um, und auch Eikyuu, der in der Nähe des Fensters stand, hatte es gehört. „Ich bin ein Geist,“ sagte die Stimme. „Aber ich kann mich euch nicht zeigen, dazu fehlt mir die Kraft. Allerdings ist es ganz entspannend, mal die Last des Körpers los zu sein...“ „Maris!“ rief Valerian überrascht. „Lass deinen Körper nicht zu lange alleine, du musst mit deinem Willen um dein Leben kämpfen!“ „Muss ich das? Ja, wahrscheinlich hast du Recht...“ Ein langgezogenes Seufzen war zu hören, geradezu schauderhaft. „Aber für einen Rächer bin ich wohl ein ziemliches Weichei, sobald es um Verletzungen geht...“ Eikyuu musste grinsen. „Naja, ihr seid alle nicht gerade gute Patienten. Shitai wollte immer gleich aus dem Bett flüchten, ob er nun laufen konnte oder nicht. Ist euch das so peinlich?“ „Ganz extrem,“ antwortete Maris ernst. „Wir sind harte Gegner im Kampf, aber bei der Vorstellung, dass uns jemand schwach und krank sieht, wird uns ganz anders... naja und wir hassen es, auf Hilfe angewiesen zu sein.“ Den beiden Zuhörern war klar, dass er sich demnach mit der momentanen Situation überhaupt nicht anfreunden konnte. Aber da musste Maris eben zusehen, dass er schnell gesund wurde. Für die Mission bedeutete es, dass sie warten mussten... aber das ließ sich eben nicht ändern. Vielleicht wäre es das beste, erst einmal unverrichteter Dinge zurück zu kehren. „Denkt daran, den Flammentänzer zu retten,“ ergriff Maris erneut das Wort. „Er saß direkt neben mir, und aus unerfindlichen Gründen ließ er seine Kräfte los... ich vermute, dass Baltron dort war und ihn angestachelt hat... der Arme weiß wahrscheinlich selber nicht, was er tat... Wenn ihr es nicht verhindert, wird er heute Abend getötet. Wahrscheinlich werden sie ihn ertränken... das ist eine beliebte Methode für Flammentänzer... man kettet sie an etwas Schwerem fest und setzt sie in ein Boot, das ein Leck hat...“ Valerian starrte entsetzt zu der Stelle, an der er Maris’ Geist vermutete. „Stimmt, ich... ich erinnere mich...“ Er sprang auf und schnappte sich den unbenutzten Nachttopf, der unter dem Bett stand, um sich in diesen zu übergeben. Eikyuu wurde blass. Mutierte Valerian etwa wieder zu dem Slarivester? „Kariat... alles in Ordnung?“ „Jaja,“ antwortete Valerian schnell, dann war wieder sein Würgen zu hören. „Du hattest ein früheres Leben in diesem Land,“ erklärte Maris ihm fast beiläufig. „Aber auf diese Weise hast du nun ein Wissen, das du für eure Mission benutzen kannst.“ „Wie praktisch... deshalb kann er wohl auch die Landessprache...“ murmelte Eikyuu, während er wartete, dass sein Geliebter wieder auftauchte. „Aber wie kannst du das wissen, Maris?“ „Kleines Rächergeheimnis,“ entgegnete der Geist. Der Seelenleser nahm das etwas grummelig hin. „Und wie kommt es, dass es dich noch gibt? Es hieß doch, alle Rächer wären tot... wie konntest du dich bis jetzt verbergen, ohne vor Rachegelüsten durchzudrehen? Das muss dich doch wahnsinnig gemacht haben...“ Es wunderte ihn wirklich, denn jeder überlebende Rächer hätte alles getan, um seine Art zu rächen, oder er hätte dafür gesorgt, dass sie wieder auflebte, indem er möglichst viele Kinder in die Welt setzte... „Die Rache muss dieses Mal etwas größer angelegt werden. Ein Einzelner kann das nicht schaffen,“ erklärte Maris. „Ihr müsst dieses Land ins Chaos stürzen, indem ihr die Sklaven aufwiegelt und denjenigen findet, der die Rächer auf dem Gewissen hat.“ Eikyuu starrte Maris’ Körper an, obwohl der sich natürlich nicht regte. „Aber... Kyuunan hat die Rächer getötet... oder töten lassen... wir können das nur nicht beweisen...“ „Hast du dich nie gefragt, warum er das getan hat?“ erkundigte Maris sich. Seine Stimme klang schwächer, dann war seine geisterhafte Präsenz fort. Offensichtlich war der Geist in den Körper zurückgekehrt. „Was weißt du denn darüber?“ fragte Eikyuu noch, aber er bekam keine Antwort mehr. Valerian musste erstmal auf den Hof gehen und Luft schnappen. Oh ja, er hatte als Slarivester gelebt... vor einer ganzen Weile, aber viel hatte sich seither nicht verändert. Deshalb wusste er auch, dass Hinrichtungen von Sklaven immer eine Volksbelustigung waren, zu der sich viele Leute einfanden, und manchmal wurde sowas auch nur zum Spaß gemacht. Der Rächer in ihm wurde stärker in dem Wunsch, es ihnen allen heimzuzahlen. So etwas gab es in seinem Land nicht... wie konnte man die Unterdrückung einer anderen Art so als gegeben hinnehmen? Gut, man konnte argumentieren, dass auch Schweine und Rinder zum Wohl des Menschen gehalten wurden. Aber Drachen waren ja fast schon ein Teil der Menschen. Sie konnte ihre Gestalt annehmen und sich sogar mit ihnen paaren. Außerdem wurden Tiere meistens besser behandelt als Sklaven. Er dachte über Maris’ Worte nach, und irgendwie kamen sie ihm bekannt vor... die Erinnerung war direkt unter der Oberfläche. Dass Maris ein Rächer war, sollte ihn wohl überraschen, aber seine Anwesenheit schien so sein zu müssen... Valerian hatte den Eindruck, dass er ihn kannte, wahrscheinlich aus einem Leben als Rächer. Er wusste, dass er mehrere geführt hatte, aber er konnte sich zum Glück nicht an jedes erinnern. Ihm schwirrte ja jetzt schon der Kopf. Gut, erstmal einen Sklaven vor der Hinrichtung retten... danach konnte man weitersehen. Er überlegte, wie sie es am besten anstellten. Jemand musste hinfliegen, und das am besten nicht allein. Auch durfte Maris nicht schutzlos bei den Slarivestern bleiben, immerhin war zumindest Tronata eine ernstzunehmende Magierin. Sie wussten nicht, ob Noctivagus mit ihr fertig werden konnte, also war es vielleicht das Beste, wenn entweder Eikyuu oder er selbst hier blieb. Andererseits musste ein Heiler zurückbleiben. Letztendlich entschied Valerian, dass es wohl am besten war, wenn Noctivagus mit Eikyuu auf diese Mission ging, denn der Flammentänzer kannte den Ort... nein, er kannte den Ort, wo die Kneipe abgebrannt war, nicht aber den der Hinrichtung. Es war zum Haare Raufen, er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Zumal er sehr gerne selber gehen wollte, um Rache zu üben... Während er noch so grübelte, kam Shisei zu ihm. „Shitai.“ Valerian fuhr herum. „Was? Warum nennst du mich bei diesen Namen?“ Sie lächelte irgendwie seltsam, auch ihr Blick war anders. „Shisei war so freundlich, mir ihren Körper zu überlassen, und passt solange auf meinen auf.“ „Maris?! Sag mal, spinnst du? Sie ist ein Kind, wie kannst du ihr das zumuten! Außerdem solltest du dich lieber schonen, statt Energie für solche Spielchen zu verbrauchen!“ Das Kind lachte leise. „Du redest wie ein Prinz, Shitai. Sei ein Rächer!“ „Gerade deshalb wollte ich ein Mensch sein... damit ich nicht mehr den Tod eines Rächers sterben muss,“ bemerkte Valerian. „Davon abgesehen, dass ich als Rächer eh nicht mehr geboren werden konnte, außer vielleicht, indem du mich zeugst. Warum hast du das eigentlich nicht getan, sondern dich statt dessen versteckt?“ „Aber das habe ich nicht, Shitai. Ich kann mich nur nicht nach Belieben zeigen und erst recht nicht einfach Kinder in die Welt setzen, obwohl ich das gerne täte. Allerdings würde das das Gleichgewicht der Mächte erheblich ins Schwanken bringen.“ Maris’ Worte hörten sich seltsam mit Shiseis Stimme gesprochen an. Valerian konnte sich irgendwie nicht daran gewöhnen. Das Kind schritt umher wie ein Mann, der selbstbewusst seine Weisheiten verteilte. Und auf einmal kam dem Prinzen etwas an dieser Art wirklich sehr bekannt vor... „Ich sehe, langsam dämmert dir die Erkenntnis, mein Lieber,“ sagte Maris, der den anderen aufmerksam beobachtete. „Umso peinlicher, dass ich mich von dir verarzten lassen muss...“ Er lachte ironisch. „Und jetzt stehe ich vor dir in Gestalt eines Kindes. Ich fühle mich total klein...“ Valerian setzte einen leicht sarkastischen Gesichtsausdruck auf und nahm Shisei auf den Arm. „Tja... das geht uns allen mal so,“ meinte er. „Jetzt sei ein braves Mädchen und geh schön wieder rein in dein Bettchen...“ Maris kniff ihn in die Nase. „Was erlaubst du dir! Ich habe lediglich die *Gestalt* eines Kindes, und das gleiche gilt für Shisei. Ihre Seele ist schon alt.“ „Na gut, alter Mann. Geh ins Bett.“ Valerian musste allerdings dabei grinsen. Er trug ‚Maris’ ins Haus, um sich mit den anderen zu beraten. Er musste diese Entscheidung ja nicht alleine treffen. Und irgendwie tröstete es ihn, einen weiteren Rächer dabei zu haben... einen, um dessen Identität Shisei wahrscheinlich schon längst gewusst hatte. *** Hätte Valerian sich in einen Drachen verwandeln können, wäre er geflogen, so aber blieb er im Haus und kümmerte sich zusammen mit Noctivagus um Maris, oder besser, dessen Körper. Eikyuu war mit Shisei, in deren Körper sich Maris’ Geist befand, unterwegs. Seine Drachengestalt hatte bei den Slarivestern für Staunen gesorgt, das hatte er gespürt. Anscheinend sah man in Slarivestos nur selten einen Seelenleser mit so großen Hörnern, der dann auch noch gesund aussah. Die meisten starben, bevor sie so alt wurden, weil sie seelisch verkümmerten. Maris wusste, wohin sie sich wenden mussten. Eykyuu fragte nicht, sondern folgte einfach seinen Anweisungen. Irgendetwas wurde ihm verheimlicht, aber das kannte er ja von den Rächern. Irgendwie war es schön, ihre Gesellschaft wieder spüren zu können, auch wenn er es mit drei sehr außergewöhnlichen Exemplaren zu tun hatte, von denen einer ja auch noch ein Mensch war. Valerian hatte nicht alle Kräfte eines Rächers, aber das war ihnen beiden auch ganz recht. So lebte es sich gesünder. Die Flugroute führte zu einem Fluss, wo sich bereits eine Menschenmasse versammelt hatte. Man konnte meinen, es sei ein Volksfest. Einige Gruppen hatten Picknicksdecken ausgebreitet wie bei einem Familienausflug. Aus der Luft konnte Eikyuu hier und da halbnackte Gestalten sehen, offenbar Sklaven, auf denen die Herrschaften hergeflogen waren. Sie kauerten meistens etwas abseits von ihren Herren am Boden oder standen mit gesenktem Haupt da. Jenseits des Flusses senkte sich die Sonne ihrem Untergang entgegen. //„Sieh mal!“// rief Maris telepathisch, um den Wind besser zu übertönen. //„Da in den Käfigen! Da sind sogar mehrere drin!“// Eikyuu schaute hin. Seine Drachenaugen ließen ihn gut erkennen, dass in der Mitte des Spektakels mehrere Käfige aufgebaut waren. Sie bestanden aus Holzbrettern und Eisenstangen und wurden noch zusätzlich bewacht. Ob diese Sklaven wohl wussten, dass sie sich befreien konnten, wenn sie nur wollten? Allerdings trugen sie wahrscheinlich alle irgendwelche Sicherungen, die sie daran hinderten, ohne Erlaubnis ihre Drachengestalt anzunehmen. Es war in Slarivestos ein begehrter Beruf, solche Dinge herzustellen, denn wer das konnte, hatte ein geregeltes Einkommen. //„Offensichtlich richten sie gleich ein paar andere mit hin, so eine Sauerei!“// empörte sich Eikyuu und brüllte laut. Einige Köpfe wurden nach oben gewand, aber im Grunde geriet bei seinem Anblick und dem Geräusch keiner in Panik. Wahrscheinlich dachten sie, der Drachenbesitzer wollte nur angeben und ließ ihn deshalb brüllen. Eikyuu landete unbehindert und ließ seinen Reiter absteigen. Als die Leute sahen, dass es sich um ein Kind handelte, wurden sie doch aufmerksam. Eine besonders mutige Frau näherte sich. „Hee, Kleine... wohl Papis Drachen ausgeliehen, was? Weiß er das?“ Maris drehte sich so, dass man Shiseis spitze Ohren sah. „Papi lebt nicht mehr.“ Er nahm ein Bündel von Eikyuus Rücken und holte eine einfache, dunkle Robe hervor, während der Seelenleser seine Menschengestalt annahm, und reichte sie ihm dann. Der Magier zog das Kleidungsstück über und musterte die Menschen auf gar nicht sklavenhafte Weise mit einem selbstbewussten Blick. Dann schritt er einfach mit dem Kind an seiner Seite auf die Mitte zu und ließ es so aussehen, als sei er auf einer Mission... oder so musste es zumindest wirken, denn niemand hielt ihn auf, obwohl ihn einige Leute verwundert ansahen. Sie nahmen es einfach als gegeben hin, dass ein Drache durch ihre Reihen ging, der offenbar etwas suchte – vermutlich seinen Meister. Allerdings nahm er nicht sehr viel Rücksicht. Er drängelte sich durch und schob zur Seite, was oder wer im Weg war. Amüsiert stellte er fest, dass einige entrüstet den Kopf schüttelten. Kurz vor dem Ziel, den Käfigen, packte ihn jedoch jemand am Arm. „He. Da kannst du nicht hin, es sei denn du willst auch auf den Grund des Flusses.“ Der Typ sah ihn ernst an, aber auch irgendwie leicht belustigt. Er war groß, wohl ein Aufpasser. Eikyuu funkelt ihn mit silbernen Augen an, vor denen der Mann etwas zurückzuckte, ihn aber nicht losließ. „Ich würde das nicht tun,“ warnte er ihn und ließ eines seiner Schwerter erscheinen. „Der Drache hat eine Waffe!“ schrie der Mann und ließ ihn los, aber zahlreiche andere sprangen auf und bewaffneten sich. Eikyuu erlaubte sich ein hochmütiges Lachen. „Falsch. Ich *bin* eine Waffe. Ein Drache! Und ich weiß, dass hier noch mehr Drachen sind! Erkennt, dass ihr euch befreien könnt, Freunde!“ Er blickte zu den Käfigen, die auf allen Seiten Gitter hatten, so dass jeder die Verurteilten sehen konnte. Die Schlösser an den Türen zersprangen durch seinen Willen, dann auch die Ketten, mit denen die Gefangenen gesichert waren. „Im Namen aller Drachen und Draconer, die in Slarivestos zu Tode gekommen sind!“ rief Maris mit Shiseis Stimme. „Wir werden diese Verurteilten befreien und mitnehmen!“ Er flüsterte ein paar unverständliche Worte vor sich hin, und Eikyuu spürte etwas ähnliches wie schon auf seiner Insel: Die Geister der rastlosen Toten kamen. „Erinnert euch an früher, Drachen... gewiss sind einige von euch gefangen und versklavt worden, statt in Gefangenschaft geboren zu sein,“ sprach der Seelenleser weiter. „Ich warne euch, Slarivester! Wagt es, uns aufzuhalten, und ich werde keine Gnade kennen. Lasst eure Sklaven gehen. Wenn ihr ihnen ein Haar krümmt, töte ich euch auch.“ Zur Warnung ließ er ein Schwert, das jemand gegen ihn erhoben hatte, heiß aufglühen. Es fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden. „Die Rächer kehren zurück. Höret meine Worte, Drachen!“ „Die Rächer!“ Eine weibliche Stimme aus der Menge. „Lasst mich los! Ich will mit euch kommen, Seelenleser!“ Also hatte sie seine Art erkannt, und anscheinend war sie auch eine eingefangene Sklavin, keine geborene. Eikyuu sah sich nach ihr um. Ihre Besitzer wollten sie festhalten, aber sie riss sich los. Andere folgten, während die Slarivester nur hilflos zusehen konnten. „Das können wir uns doch nicht gefallen lassen!“ rief ein Mensch. „Ergreift sie und weist sie in ihre Schranken!“ Doch einer derer, die aus den Käfigen befreit worden waren, nahm seine Drachengestalt an. Es war ein Windsegler. Er brüllte erleichtert und machte Wind mit den Flügeln. //„Kommt zu mir, Drachen. Ich trage euch von hier fort.“// Er schaute kurz zu Eikyuu. //„Wir werden auf den Seelenleser warten und ihm folgen.“// Der Mann, der protestiert hatte, wurde von einem seiner eigenen Sklaven niedergeschlagen. Dieser und sein Kollege eilten zu dem Windsegler. Die Frau, die zuerst gesprochen hatte, kämpfte sich durch die Menge, gefolgt von einer weiteren Frau mit einem Kind. Eikyuu behielt die Leute im Auge. Als die Sklaven an ihm vorbeiliefen, zerstörte er magisch ihre Ketten und Banneisen. Die erste Frau verwandelte sich in einen Lichtsänger und ließ andere aufsteigen. Es war fast zu einfach, aber Maris hatte die Geister unter die Menge geschickt, und alle Menschen konnten einen kalten Schauer auf der Haut spüren, einige sogar Eikyuus magische Kraft. Das machte ihnen Angst. Es kam zu überraschend, als dass viel Widerstand zu erwarten gewesen wäre. Aber nun waren sie gewarnt. Es würde nie wieder so schnell gehen. Aus der Menschenmenge waren bald alle Sklaven versammelt. Jene, die unschlüssig waren oder sich nicht trauten, wurden von anderen mitgezogen. Insgesamt fünf waren in den Käfigen gewesen, vierundzwanzig weitere kamen herbei. Einige verwandelten sich und trugen die restlichen weg. Eikyuu wartete, bis alle fort waren. Dann verwandelte er sich ebenfalls, ohne Rücksicht auf sein Kleidungsstück, und ließ Maris wieder aufsteigen. Der Rächer rief die Geister zurück, als alle in sicherer Entfernung waren. *** Sie führten alle befreiten Sklaven zum Haus der Slarivester, das sie *erobert* hatten. Die Familie war natürlich nicht sehr begeistert, bis auf die Kinder vielleicht, denn unter den Befreiten waren insgesamt acht, die jünger als fünfzehn waren, die Jüngste war sechs Jahre alt. Kendra musste mit ansehen, wie diese sich ganz nach Kinderart mit ihrem eigenen Nachwuchs zusammentaten und zögerlich zu spielen anfingen. Die vier erwachsenen Slarivester verhielten sich ruhig, wurden aber ständig beobachtet. Die Sklavenkinder waren anfangs sehr verunsichert, aber nachdem Eikyuu ihnen versichert hatte, dass sie nicht mehr einem Meister gehorchen mussten, wurden sie langsam lockerer. Ähnliches galt für die Erwachsenen. Viele verstanden sich auf Hausarbeiten und nahmen erst einmal die Küche in Beschlag. Drei Schafe aus Tronets und Kendras Bestand fielen ihnen zum Opfer und wurden schon bald lecker zubereitet und aufgetischt. Es war ein ziemliches Gedränge in dem Haus, als alle versuchten, irgendwo einen Platz für sich zu finden, und Eikyuu hatte alle Hände voll zu tun, das Durcheinander zusammen mit seinen Freunden zu ordnen. Da sie erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekehrt waren, wurde es bereits hell, als langsam Ruhe einkehrte. Die Gruppe aus Athrya hatte Maris’ Krankenzimmer für sich beansprucht. Als Shisei das nächste Mal auftauchte, war sie wieder sie selbst und Maris in seinem eigenen Körper. Der Rächer kämpfte noch immer gegen ein Fieber, das ihn nach und nach an den Rand der totalen Erschöpfung brachte. Er wachte aber im Morgengrauen auf, als er die Gegenwart eines Besuchers spürte, den Valerian hereingelassen hatte. Der Mann war fast noch ein Junge, vielleicht sechzehn Jahre alt. Er war von schmaler Statur und sah unterernährt aus. Seine Augenfarbe erinnerte an den Himmel, wenn es regnete. Maris erkannte ihn wieder und lächelte schwach. „Ah… du bist es… Yanis.“ Der schwarzhaarige Flammentänzer nickte schwach. „Ich… wollte Euch nichts tun, Herr… ich wusste nicht einmal, dass ich das kann. Plötzlich war es, als hätte jemand Kontrolle über mich…“ „Ja, ich weiß. Das war ein bösartiges Wesen, das mir schaden wollte. Seinetwegen bin ich jetzt in diesem Zustand…“ Maris atmete heftig, als hätten ihn die leise gesprochenen Worte sehr angestrengt. „Ich will Euch helfen, Herr,“ sagte Yanis eifrig. „Ihr und Eure Freunde habt mich nicht im Stich gelassen, deshalb will ich für Eure Sache leben oder sterben!“ Maris nickte nur, zu mehr hatte er keine Kraft. Valerian legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. „Komm, ich bringe dich zu Noctivagus, oder Taika, wie er als Flammentänzer heißt. Er wird dir erklären, was du eigentlich bist. Du wurdest in Gefangenschaft geboren, nicht wahr?“ Yanis bestätigte das. Valerian fragte sich, ob ein nicht ausgebildeter Flammentänzer ihnen nützlich sein konnte oder eher im Weg wäre. Aber erst einmal musste sowieso entschieden werden, was mit all den Befreiten geschehen sollte… Am Morgen sah Kendra sich in ihrem Haus um, das nun einem Obdachlosenheim glich. Die Drachen konnten hier nicht bleiben, oder ihre Familie bekam auch noch Schwierigkeiten. Überall schliefen Männer, Frauen und Kinder, einige in Betten, andere begnügten sich mit Decken oder dem blanken Fußboden. Manche hatten als Kleidung nur einen Fetzen an, die meisten aber hatten sich an den Sklavenhemden bedient, die es im Haus genug und in verschiedenen Größen gab. ‚Sie sind das so gewöhnt’, fiel es Kendra auf. ‚Sie kennen es teilweise nicht anders...’ Eine Frau lag im Bett eines Gästezimmers, ihr kleines Kind an sich gedrückt. ‚Normalerweise ist es bald groß genug, um verkauft zu werden,’ dachte Kendra. Dann hielt sie erschrocken inne, als sie sich erinnerte, dass man ihr angedroht hatte, ihr eines ihrer Kinder wegzunehmen. ‚Und wie nehmen ihnen die ihren ganz selbstverständlich weg...’ Beschämt wandte sie sich ab. Gerade sie konnte eigentlich von Glück reden, nicht auch versklavt zu sein... wenn sie das Erbe ihrer Mutter mitbekommen hätte, dann... Kendra blieb plötzlich stehen, als dieses kleine Mädchen, Shisei, vor ihr auftauchte. Das Kind sah sie an, als hätte sie noch nie einen Menschen gesehen. „Willst du nicht auch bei uns mitmachen, Tante?“ Die Rothaarige war überrascht. „Mitmachen?“ Shisei nickte eifrig. „Ja, und Tronet und die andern auch! Ihr könnt viele Leben retten und alle würden sich freuen, das ihr helft! Ist das nicht toll? Die Drachen denken alle eh schon, ihr wärt Helden!“ Das Mädchen hatte eine einleuchtende Logik. Zumal Kendra immer den Wunsch gehegt hatte, etwas ändern zu können... aber in letzter Zeit hatte sie es schon aufgegeben, daran zu glauben, dass das möglich war. Vielleicht... für ihre Mutter... Sie sah noch einmal zu der Drachenfrau mit dem Kind. Im Grunde waren sie doch alle schon zu tief drin in der Sache. Und wer weiß, vielleicht ließ sich ja auch Tronet überreden. Aber er wusste nichts von ihrer Herkunft... Seufzend und unentschlossen schob sie sich an Shisei vorbei, um sich etwas zu trinken zu besorgen. Unterwegs zur Küche kam sie an ihrem Labor vorbei. Der Halbblut-Drache mit den Silberaugen hantierte darin herum. Er war fast schon ein vertrauter Anblick für sie, nach so kurzer Zeit. Dass er auch ein Magier sein konnte, faszinierte sie. Zwar wusste sie, dass manche Drachen Magie hatten, aber sie hatte immer geglaubt, das wäre eine andere als die, die zum Beispiel Tronata beherrschte. „Schlaft Ihr denn nicht?“ fragte sie ihn und war überrascht, dass sie eine höfliche Anrede benutzte. Aber es kam ihr richtig vor. Er war offensichtlich nicht erstaunt von ihrer Anwesenheit. Lächelnd drehte er sich um. Sein offenes Haar glänzte rötlich im einfallenden Morgenlicht. „Ich bin ein Schattenmagier, im Dunkeln fühle ich mich wohl. Nachher werde ich mich etwas hinlegen. Aber erst braucht Maris noch seine Medizin.“ Sein Slarivestisch hatte einen deutlichen Akzent, aber sie verstand ihn gut. Neugierig trat sie näher, um sich anzusehen, was er zusammengerührt hatte. „Aber Ihr habt doch auch silberne Augen, wie die anderen beiden...“ „Ja, ich bin auch ein Lichtmeister, aber das wissen nicht viele. Mein Hauptelement ist Schatten. Wenn ich als Magier auftrete, benutze ich einen Schattenzauber...“ Er zeigte ihr, wie er seine Haare und Augen dunkel färbte. Es passte aber momentan nicht zu seiner Kleidung, die aus Maris’ Bestand stammte, da er ja anfangs dessen Diener gemimt hatte, daher ließ er den Zauber gleich wieder fallen. „Aber... das ist Magie, wie sie Magier benutzen, nicht wahr?“ hakte Kendra nach. Er nickte. „Mein Drachenelement ist Feuer. Ihr wisst ja sicher, dass jeder Drache und Draconer – so nennen wir die Halbsterblichen – eine bestimmte Gabe hat, die seiner Art zu Eigen ist. Viele von meiner Art tanzen gerne. Daher nennen wir uns passend dazu die Flammentänzer. Wahrscheinlich habt Ihr nie gesehen, wie wir tanzen, und auch nie einen Lichtsänger singen gehört... es ist Verschwendung, was hier gemacht wird. Aber vielleicht kann man das ja nachholen.“ Eine Idee dämmerte auf seinen Zügen. Aber er arbeitete weiter an dem, was er tat, und hatte schließlich ein Gebräu fertig, das Kendra nicht kannte. Er stellte es zum Abkühlen hin und füllte etwas davon in eine Tasse, bereit zur Verwendung. Sie wollte zu gerne wissen, was das für ein Zeug war, aber noch scheute sie sich davor, ihn zu fragen. Als sie schließlich doch noch in die Küche gelangte, waren dort schon drei unbekannte Frauen am Werk und stellten geschickt Brot fürs Frühstück her. Ein ausgemergelter Mann saß an einem Tisch und schlürfte etwas Suppe, er sah aus, als hätte er es nötig. Kendra nahm nur etwas Wasser und machte sich dann wieder aus dem Staub. Auf dem Gang wäre sie schon wieder fast mit jemandem zusammengestoßen. Diesmal war es aber kein Kind, sondern ihr Ehemann Tronet. Etwas erschrocken blickte sie zu ihm auf. „Bist du schon wach?“ fragte er unnötigerweise. „Du ja auch,“ stellte sie fest. „Du, ich... muss dir was sagen... es... geht um meine Mutter...“ *** Fortsetzung folgt. Kapitel 8: Der Haussegen hängt schief ------------------------------------- Hallo, endlich fertig mit 8! Hatte das schon eine Weile rumliegen, aber immer aufgeschoben oder vergessen, es zu korrigieren. *schäm* Irgendwie bin ich auch jetzt nicht ganz zufrieden, ich finde, Eikyuu wirkt in letzter Zeit etwas zu mächtig. Nun ja, er IST mächtig. Aber ich will es nicht übertreiben. Die Drachen haben in diesem Kapitel noch die Oberhand, aber das dürfte kaum so bleiben. Schließlich haben sie nicht immer das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Für nächstes Mal ist eine kleine Siegesfeier geplant und dann ein großer Dämpfer… Inhaltliche Anmerkung: Ich hab in irgendeiner Episode mal Kendra als rothaarig bezeichnet. Das ist ein Fehler. Tronet und seine Eltern haben rote Haare, sie aber nicht. Ich habe ihre Haarfarbe nie so genau definiert, was sehr nachlässig von mir ist. Also sie sind wahrscheinlich normal braun. Bitte beachtet in meinem Weblog den Eintrag „Eternity Fanfiction“. Eternity III Kapitel 8: Der Haussegen hängt schief Die morgendliche Ruhe in dem einsam gelegenen Haus in Sarivestos wurde jäh gestört, als... „Wie bitte? Sag, dass das nicht wahr ist!“ „Aber... ich dachte, du würdest es verstehen...“ Als nächstes war ein klatschendes Geräusch zu hören, ein Körper schien zu Boden zu fallen. „Geh mir aus den Augen!“ brüllte Tronet. „Jetzt wird mir auch klar, warum dein Vater so scharf drauf war, dich zu verheiraten! Sklavenbalg!“ Kendra heulte unter dem verbalen Schlag auf. Tronet stapfte davon, während sie im Flur lag und sich die gerötete Wange hielt. So fand sie Noctivagus, der den Radau vom Labor aus gehört hatte. „Sklavenbalg? Ah, verstehe. Eure Mutter war wohl eine Draconerin.“ Sie sah kurz zu ihm auf. „Ja. Ich habe den Drachenanteil nicht geerbt… solche Kinder werden nicht versklavt, denn es ist verboten, Menschen zu versklaven. Man kann sie entweder als die Kinder der eigenen Ehefrau ausgeben oder… sie nach der Geburt gleich aussetzen oder töten.“ „Da habt ihr ja noch Glück gehabt.“ Noctivagus half ihr hoch. „Welcher Art gehörte Eure Mutter an? Ihr könntet ihre Gabe geerbt haben. Kendra schüttelte heftig den Kopf. „Das will ich gar nicht! Mein Mann wird mich verstoßen… meine Schwiegereltern werden mich hassen und meine Kinder mich verachten, alle werden…“ Noctivagus packte sie bei den Schultern und unterbrach sie, indem er ihr kurz einen Ruck verpasste. „Nicht! Schämt Euch nicht. Seid stolz auf Euer Erbe! Drachen sind weder besser noch schlechter als Menschen, sie haben nur das Pech, dass sie in diesem Land systematisch unterdrückt werden. Aber das können wir ändern. Lasst nicht länger zu, dass Kinder sterben, nur weil sie von Halbdrachen geboren werden und keine Halbdrachen sind!“ Von dem Lärm waren mehrere ehemalige Sklaven erwacht und blickten neugierig in den Flur. Kendra nickte nur zu den Worten des Draconers. Sie stand mit gesenktem Blick da und wusste anscheinend nicht mehr, wohin sie gehörte. Nicht alle, die sie so sahen, hatten Mitleid mit ihr. Am Vormittag schlug Maris die Augen auf und war stark genug, etwas zu essen und zu trinken, einschließlich der Medizin. Diese machte ihn erneut schläfrig, und er schlief wieder ein. Aber sein Zustand war nun viel besser. Kendra hatte sich in sein Zimmer verzogen, da Tronet sie nicht mehr ins gemeinsame Schlafzimmer ließ. Auch Yanis hielt sich oft in der Nähe auf, wenn er sich nicht mit Noctivagus über die Kräfte der Flammentänzer unterhielt. Indessen hatte Valerian eine Liste erstellt, in die er die Befreiten eintrug und sortierte. Die Frau mit dem kleinen Kind wollte er zu Eikyuus Insel schicken, ebenso die meisten anderen. Einige hatten Familien, zu denen sie zurückkehren konnten. Er beschloss, einem der Befreiten eine Nachricht für Kyuujo mitzugeben. Der Seelenleser würde sich sicher darum kümmern, dass die Befreiten irgendwo unterkamen, so dass die Insel nicht überfüllt wurde. Hiatari, die Lichtsängerin, hatte sich als glühende Verehrerin der Rächer herausgestellt. Man hatte sie vor vielen Jahren heimtückisch in eine Falle gelockt und eingefangen, dafür wollte sie Rache, indem sie bei weiteren Befreiungsaktionen half. Außer ihr waren über ein Drittel der anderen ebenfalls gefangen worden. Offenbar gab es tatsächlich Drachentöter, die sich darauf spezialisiert hatten, Drachen lieber zu fangen und zu verkaufen, statt sie zu töten. In Slarivestos ließen sich damit gute Geschäfte machen. Allerdings fragten sich die Freunde doch, wie es sein konnte, dass das Geschäft so blühte – schließlich war es nicht ganz so einfach, einen Drachen zu fangen, und viele waren im erwachsenen Alter gefangen worden. Valerian überlegte sich, dass man das Problem an der Wurzel packen musste, und nahm sich vor, einen Sklavenhändler zu finden. Sein Gesicht war in Slarivestos noch nicht bekannt, er konnte mit einem der Entflohenen auftauchen und behaupten, ihn gefangen zu haben und verkaufen zu wollen. Er würde auch alle befragen, wie sie letztendlich bei ihrem letzten Besitzer gelandet waren. Vielleicht bestand ja eine Verbindung, irgendein Mittelsmann, der Sklaven aus anderen Ländern einführte. Natürlich konnte es davon auch mehrere geben, aber als Prinz war Valerian genötigt worden, sich mit Handelsbeziehungen abzugeben, daher wusste er, dass es auch in diesem Beruf erbitterte Feindschaften geben konnte, die dazu führten, dass die Händler manchmal ein Monopol auf bestimmte Waren hatten, das sie eifersüchtig hüteten. Valerian entwarf einige Fragen, die allen Sklaven gestellt werden sollten, und schnappte sich Yanis und Hiatari, damit sie ihm bei der Befragung halfen. Damit waren die drei erst einmal beschäftigt. Eikyuu sah sich kurz darauf die von Valerian angefertigten Listen der Drachenarten an, die sie befreit hatten. Neben Wasserbechern, Medizintöpfchen und persönlichen Habseligkeiten lagen die Zettel auf dem Tisch. Als Seelenleser hielt er sich weitgehend von den Sklaven und ihren Sorgen fern, da er zu empfänglich für ihr Leid war. Selbst in Maris’ Zimmer drangen die Emotionen der vielen Leute zu ihm. Kendra hatte nichts besseres zu tun und gesellte sich zu ihm. Sie stellten fest, dass von neunundzwanzig Drachen und Draconern acht Flammentänzer waren, eine sehr hohe Prozentzahl. Gut, zwei waren in Slarivestos geboren, dennoch waren es relativ viele. Sechs Lichtsänger, davon drei Eingefangene, waren auch ziemlich viel. Dann gab es den Windsegler, auch ihn hatte man gefangen. Zwei Donnerflügel, eine gefangene Frau und deren in Slarivestos geborener Sohn. Eine Steinbrecherin stammte aus einer Art Zucht, diese Rasse war nicht so beliebt, weil sie nicht fliegen konnten, aber man setzte sie gerne zu schweren Arbeiten ein. Schwimmer waren keine dabei, denn sie waren schwer zu fangen. Kendra konnte berichten, dass sie in manchen Gebieten sehr begehrt waren, wo in Gewässern nach bestimmten Muscheln oder anderen Waren getaucht wurde. Die Eisfänge wurden gerne von Lebensmittelhändlern gehalten, unter den Befreiten waren drei davon, alle in Slarivestos geboren und aus derselben Familie stammend, wo ihre im Ausland gefangene Mutter ständig von irgendwelchen Freunden des Besitzers schwanger gewesen war. Die Vorstellung erweckte nicht nur in Eikyuu Ekel, sondern vor allem in Kendra, die ja auch das Kind einer Sklavin war. „Meine Mutter hat sich nie in meiner Gegenwart verwandelt, und ich konnte sie nicht fragen, was sie war,“ sagte Kendra traurig. „Sie war eine Küchenmagd im Haus meines Vaters, der mich als das Kind seiner Frau ausgab, aber meine älteren Geschwister zogen mich mit meiner Abstammung auf. Ich sprach ab und zu mit meiner Mutter, aber sie wehrte meine Fragen immer ab und sagte, ich solle versuchen, ein besseres Leben zu finden als sie.“ „Ihr habt doch sicher noch Kontakt zu Eurer Familie, wir sollten das herausfinden,“ schlug Eikyuu vor. „Selbst wenn Eure Mutter nicht mehr lebt oder verkauft wurde, solltet Ihr Euer Erbe kennen.“ „Ich wünschte, Ihr wärt nicht hierher gekommen,“ murmelte Kendra. „Alles war so einfach... ich hatte einen guten Mann, die Kinder... alles lief gut...“ „Das meint Ihr nicht ernst. Ihr fühlt Euch nur momentan überfordert.“ „Vielleicht. Machen wir weiter.“ Sie zählten weiter die Anteile der verschiedenen Drachenarten. Seelenleser waren keine dabei, ansonsten von den meisten Arten ein oder zwei Vertreter. Nur die Flammentänzer und Lichtsänger waren auffällig viele. Das wunderte Eikyuu sehr. „Sind die in Slarivestos besonders beliebt?“ fragte er seine unfreiwillige Helferin. Kendra schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht... die Flammentänzer...“ Sie sprach das Wort vorsichtig aus, da es für sie noch ungewohnt war. „... sind beliebt, weil sie Feuer machen können, andererseits haben viele Leute Angst davor. Ich würde eher sagen, sie werden mit Vorsicht betrachtet. Die, die Ihr Lichtsänger nennt, werden meist wegen ihrer eleganten Schönheit gehalten, und es ist auch schon aufgefallen, dass sie leuchten können, wenn sie singen. Aber unter den hiesigen Bedingungen strahlen sie wohl nicht so, wie sie könnten, nehme ich an... folglich wird davon ausgegangen, dass es sich nicht lohnt, sich deshalb einen anzuschaffen. Sie gelten mancherorts sogar als ähnlich empfindlich wie die Zweihörner... ich meine, Seelenleser. Mir fällt auf Anhieb nicht ein, was sie so begehrt machen könnte. Allerdings stimmt es, dass diese beiden Arten sehr leicht zu bekommen sind, vielleicht liegt es einfach daran.“ „Vielleicht war es auch nur zufällig bei dieser Gruppe so, die ist ja wohl kaum repräsentativ,“ überlegte der Magier. „Naja, das werden nicht die letzten sein, warten wir es erstmal ab. Heute bleiben sie noch hier, aber morgen sollten einige stark und ausgeruht genug sein, um abfliegen zu können. Ihr müsst entscheiden, was aus Euren Kindern werden soll. Hier könnt Ihr nicht bleiben. Euer Mann und dessen Eltern werden das wohl nicht dulden.“ Kendra schüttelte frustriert den Kopf. „Nein, meine Schwiegereltern werden sich auf seine Seite schlagen. Ich weiß nicht, was ich mit den Kindern machen soll... Der älteste, Kasar, wollte immer Drachenfänger werden. Wenn ich ihn mitnehme, ändert er vielleicht seine Meinung, oder er verrät uns... Nie hätte ich gedacht, dass ich mal so etwas entscheiden müsste! Tondra ist erst sieben, sie interessiert sich für meine Heilerarbeit... und dazwischen ist noch Dania. Stellt Euch vor, sie will zum Zirkus und mit Drachen auftreten, seit sie einmal welche gesehen hat, die Kunststücke vorführten. Aber es sind Kinder, sie entscheiden sich vielleicht noch um...“ Eikyuu dachte darüber nach. „Habe ich Euch erzählt, was die Eigenschaft der Seelenleser ist? Nein? Wir sind empathisch, das heißt, wir sehen die Gefühle der Menschen, und wir sind auch mehr telepathisch veranlagt als andere Drachen. Das ist der Grund, warum wir hier nur schlecht überleben – zuviel Leid. Aber ich kann an Euren Kindern erkennen, ob wir sie mitnehmen sollten. Natürlich sollten wir auch berücksichtigen, was sie selbst wollen.“ Kendra nickte nur, froh, dass ihr jemand die Entscheidung abnahm. „Was ist Euer Freund der Barde für ein Drache? So einen hab ich noch nie gesehen...“ „Ein Rächer,“ antwortete Eikyuu unumwunden. „Sie rächen Verbrechen, die anders nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Und sie haben Kräfte, die keiner wirklich kennt... zumal sie 250 Jahre lang als ausgestorben galten. Shisei ist auch einer.“ Er verschwieg mal die Einzelheiten. Bevor sie zu weiteren Erörterungen kamen, wurde es wieder laut im Haus. Der Tumult kam aus der unteren Etage und dauerte eine Weile an. Tronets fluchende Stimme war herauszuhören. Eikyuu seufzte und ging nachsehen. Es war nicht nur Tronet, auch seine Eltern probten hier den Aufstand. Als Eikyuu hinzukam, hatten bereits einige ehemalige Sklaven die Männer im Griff, aber Tronata setzte sich mit Magie zur Wehr. Sie hatte sich eines der Drachenkinder geschnappt und bedrohte den Jungen mit einem Feuerball, den sie dicht an sein Gesicht hielt, während sie mit dem Rücken zur Wand stand. „Lasst meinen Mann und meinen Sohn einfach los und wir werden gehen!“ verlangte sie. „Ihr könnt uns hier nicht ewig festhalten! Das ist unser Haus!“ „Da seht ihr mal, wie das ist,“ rief ein junger Bursche. „Wir sollten Euch noch arbeiten lassen und uns selbst auf die faule Haut legen!“ „Ihr werdet uns nicht wieder zu Sklaven machen!“ meldete sich eine Frau aus dem Hintergrund. „Wir sollten euch am besten töten, aber wir sind ja nicht so wie ihr!“ Tronata bemerkte Eikyuu. Sie drehte sich mit einem gehässigen Gesichtsausdruck in seine Richtung. „Was machst du nun, du Allmagier? Willst du hier drin einen Sturm entfesseln? Mach nur! Dann gehen wir wenigstens alle drauf!“ Der Seelenleser ging ruhig auf sie zu, war aber innerlich erzürnt. Wie konnte sie es wagen, ein Kind zu bedrohen! Reichte es nicht, dass sie gewillt gewesen war, Maris’ Leben aufs Spiel zu setzen, um ihm seine Kräfte zu rauben? Ein offener Kreis bildete sich um sie und ihn, wie eine Arena. Dabei war der Flur, auf dem sich das abspielte, nicht so übergroß. Erwartungsvolle Stille trat ein. Da trat Noctivagus aus der Menge. „Der Junge ist ein Flammentänzer, Feuerzauber sind wirkungslos,“ sagte er in einem gelangweiten Tonfall. Eikyuu spürte, dass er log, aber Tronata war für einen Moment verunsichert. Er nutzte das sofort aus, indem er einen Schritt auf sie zu machte und ihren Feuerball mit seiner Hand erstickte. Dann riss er ihr den Jungen weg und sah ihr fest in die überraschten Augen. Seine Seelenlesergabe schlug gnadenlos zu. Sie bemerkte sein Eindringen, konnte aber nur ächzend dastehen und nichts unternehmen. Für die Umstehenden sah es so aus, als starrten sie sich nur an. Noctivagus kannte den Vorgang. Er zog den Jungen sachte von Eikyuu weg. Als Eikyuu schließlich blinzelte, sackte die Frau zu Boden und starrte ihn immer noch an. Er äußerte sich nicht dazu, was er gemacht hatte, dafür waren Tronet und Danon zu hören. Er wandte sich in die Richtung um. „Bringt sie her.“ Danon sträubte sich heftig, aber zwei Männer zerrten ihn vor den Seelenleser. „Du kannst noch froh sein, dass du so davonkommst,“ lächelte Eikyuu liebenswürdig und wiederholte den Vorgang bei dem Mann. Dieser wollte den Blick abwenden, wurde aber von einem dritten Drachen gezwungen, in die Richtung seines vermeintlichen Henkers zu blicken. Als er in die Silberaugen sah, konnte er sich nicht mehr von ihnen lösen. „Was stellt ihr mit meinen Eltern an?“ tobte Tronet im Hintergrund. „Keine Sorge, du kommst auch gleich dran,“ meinte Noctivagus gelassen. Da hatte er recht... nach endlos erscheinenden Minuten ließ Eikyuu von Danon ab und wandte sich dem Hausbesitzer zu. Ihn packte er selbst an den Haaren und brachte ihn so dazu, seinem Blick zu begegnen. Eikyuu brauchte auch bei ihm einige Minuten, obwohl es bei Tronata wesentlich schwerer gewesen war, weil sie eine Magierin war. Dann ordnete er an, die drei Slarivester in das Nebengebäude einzusperren. Noctivagus zeigte den ehemaligen Sklaven den Weg. „Was hast du mit ihnen gemacht?“ fragte Valerian, der sich zu ihm durchgekämpft hatte. „Sie sind nicht tot, oder?“ Eikyuu schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nur dafür gesorgt, dass sie niemandem von uns erzählen können.“ Er sprach etwas leiser weiter. „Finde die Kinder der Familie. Bei ihnen könnte es auch nötig sein, zumindest bei dem Jungen.“ Der Schwarzhaarige nickte und entfernte sich. Einen Moment lang war der Seelenleser etwas verwirrt, da sich seiner ein seltsames Gefühl bemächtigte. Erst nach einigen Sekunden begriff er, was es war: Befehlsgewalt. Er strahlte eine Autorität aus, die andere dazu brachte, ihm zu gehorchen. Die Umstehenden sahen ihn abwartend an, als wäre er ihr allwissender und allmächtiger Retter. Es gelang ihm, es sich nichts anmerken zu lassen, aber ganz so hatte er sich seine Rolle nicht vorgestellt. Er war zu hoch oben. Jetzt durfte er sich keinen Fehler erlauben, oder sie würden sich von ihm abwenden. „Wir bleiben heute noch hier, morgen wird dann entschieden, wer zu meiner Insel fliegt und wer bei uns bleibt. Lasst uns heute Abend unseren ersten Erfolg feiern!“ Sie jubelten ihm zu. Es war ein erhebendes Gefühl, zumal seine Seelenlesergabe ihm ihre Freude vermittelte, aber auch eine schwer wiegende Verantwortung. Da er nie eine solche Anführerrolle gehabt hatte, fragte er sich, ob er ihr gewachsen war, immerhin war das etwas anderes, als Leiter eines Elementarkreises zu sein, um einen zukünftigen Allmagier auszubilden... *** Tronet, Tronata und Danon wurden in dem Nebengebäude in jeweils eins der zellenähnlichen Krankenzimmer gesperrt. Darin war alles, was sie brauchten, nur kein Essen. In der Beziehung waren sie darauf angewiesen, dass man ihnen etwas brachte. Noctivagus erlaubte sich einen kleinen Scherz und legte Tronata eines ihrer eigenen Magie hemmenden Halseisen an, nicht ohne noch ein oder zwei seiner eigenen Zauberbanne darauf zu legen. Gut gelaunt ging er dann zum Haus zurück, begleitet von den Drachen, die die Slarivester für ihn dorthin geschafft hatten. Seine Hüften nahmen ganz von selbst einen rhythmischen Schwung an. Er hatte Eikyuus Aufruf zum Feiern noch vernommen und dachte daran, eine kleine Tanzeinlage zu bringen. Vielleicht konnte Hiatari etwas singen. Die Lichteffekte eines Lichtsängers waren auch immer sehr beeindruckend. Nun, das würde er schon organisieren. Unbewusst summte er eine Melodie vor sich hin und dachte sich aus, was er machen konnte. Seine Begleiter beobachteten ihn interessiert, aber das merkte er gar nicht. Zurück im Haus sah er erst einmal nach seinem Gebräu. Maris brauchte noch keine neue Portion, aber er musste sicherstellen, dass damit noch alles in Ordnung war. Manche Mittel hielten sich nicht lange. Als Noctivagus gegen Mittag das Zimmer des Barden betrat, sah er zu seiner Überraschung, dass dieser auf den Beinen stand und sich gerade eines seiner bunten Rüschenhemden anzog. An der Waschschüssel war zu erkennen, dass er sie gerade benutzt hatte. Sein Haar hatte er bereits gekämmt, und auf seiner Stirn war jetzt ein roter Fleck zu sehen, als hätte er sich vor kurzem gestoßen. Das war bei Rächern aber immer so, wenn sie gerade ihr Horn getragen hatten, und ging mit der Zeit weg. Dafür hatte er nach seiner Verwandlung jetzt keine Schuppen mehr. „Hey, du solltest noch liegen bleiben,“ protestierte der Schattenmagier. Eikyuu saß auf dem Bett und schaute zu, während von Kendra momentan nichts zu sehen war. „Lass ihn. Er ist ein Rächer, die hält eh nichts im Bett, wenn sie auch aufstehen können.“ Maris grinste. „Ich werd’s überleben. Stimmt es, dass ihr heute Abend feiern wollt? Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen, immerhin bin ich hier der Barde.“ „Du hast gerade eine Vergiftung hinter dir! Bleib doch wenigstens noch bis Mittag liegen und iss erstmal was!“ „Essen ist gut, aber liegenbleiben werde ich nicht.“ Noctivagus baute sich vor ihm auf, die Hände in die Hüften gestemmt. „Ab ins Bett, oder willst du dir hier den Tod holen?“ Maris funkelte ihn mit seinen tiefgründigen Augen amüsiert an. „Wohl kaum.“ „Dann trink wenigstens das!“ setzte Noctivagus fest und hielt ihm eine Tasse des Antigift-Trankes hin. Davon schien der Rächer nicht allzu begeistert zu sein. „Das ist ja wohl nicht mehr nötig. Ich hab’s überstanden, also kann ich mir den scheußlichen Geschmack ersparen!“ In dem Moment kam Valerian dazu. „Was ist denn hier los?“ „Der Rächer hat eine Diskussion mit seinem Heiler,“ informierte Eikyuu ihn. „Sag du dem Verrückten mal, dass er das trinken soll, wenn er schon nicht liegen bleiben will!“ verlangte Noctivagus gereizt. „Sag dem Besserwisser, dass ich meinen Zustand gut genug beurteilen kann, um zu wissen, dass ich nicht draufgehe!“ schoss Maris zurück. Eikyuu fasste sich an den Kopf. Das war echt albern. Valerian hob eine Augenbraue und blickte von einem zum anderen. „Als Rächer betrachte ich das ähnlich wie du, Tim, aber als Drachenheiler muss ich darauf bestehen, dass du das trinkst. Maris lief rot an. „Hey! Wie hast du mich da eben genannt?!“ Doch Valerian antwortete nicht darauf, sondern bugsierte den Barden zurück aufs Bett. „Wenn du nicht willst, dass ich mir das angewöhne, trinkst du jetzt das Zeug und wartest dann, bis du noch etwas zum Mittagessen hattest, ehe du aufstehst!“ „In deinem nächsten Leben wirst du eine Küchenschabe, glaub’s mir!“ zischte Maris, doch der Prinz zeigte sich unbeeindruckt und nötigte ihn, die Tasse leer zu trinken. „Es ist wichtig, dass wir die Behandlung noch etwas weiterführen, weil es sein kann, das das Gift noch in dir steckt und zur Zeit nur nicht wirkt,“ erklärte der Schwarzhaarige. „So mancher ist schon an einem Rückschlag gestorben, und wir wissen nicht mal genau, was das für ein Gift war.“ „Ihr Heiler immer…“ Maris war offensichtlich davon überzeugt, dass er es besser wusste, aber da Valerian sich nicht abwimmeln ließ, trank er das Gebräu. „Na also, warum nicht gleich so,“ nörgelte Noctivagus. Es nervte ihn ein wenig, dass er als Heiler nicht ernst genommen wurde, und er wollte sich gerade darüber beschweren, als Maris sich ihm noch einmal zuwandte. „Danke, ich weiß deine Mühen zu schätzen.“ Der Barde lächelte entschuldigend. „Ich kann halt nur nicht aus meiner Haut… Rächer hassen es, im Bett zu liegen und Medizin zu trinken. Und ich ganz besonders.“ „Na, da kann ich mich ja schon auf die Wiederauferstehung deiner Rasse freuen,“ entgegnete Noctivagus mit gespieltem Sarkasmus. „Bleib noch liegen bis zum Mittag, dann kannst du meinetwegen etwas üben… Kennst du das Lied des Kriegers, der lebend aus der Gefangenschaft entfliehen konnte?“ „Natürlich. Willst du danach tanzen? Es ist ein ziemlich schnelles Lied… Naja es handelt ja auch von jemandem, der auf der Flucht ist.“ „Und ich bin ein Flammentänzer, der Rhythmus kommt mir entgegen.“ Maris nickte. „Gut, ich werde es bis heute Abend noch etwas eingeübt haben. Schick auch die Lichtsänger zu mir, vielleicht möchten sie auch, dass ich etwas für sie spiele.“ „Gut, da wir das jetzt geklärt haben...“ Valerian wandte sich an Eikyuu. „Eigentlich kam ich ja her, um dir was zu sagen, Towa. Kendra ist oben in dem Zimmer, das wir hatten. Mit Shisei und den Kindern. Kommst du?“ Der Seelenleser nickte und erhob sich. Valerian wartete noch, bis Maris sich ordnungsgemäß ins Bett gelegt hatte, ehe er seinem Partner vorausging. Die Kinder waren bei ihrer Mutter, aber es sah aus, als wären sie ein bisschen verunsichert. Kendra weinte schon wieder. Sie saß etwas abseits auf dem Teppich, während sich die Kinder alle im Bett drängelten und wohl nicht wussten, was sie machen sollten. Als Eikyuu hinter Valerian den Raum betrat, konnte er ihre unterschiedlichen Emotionen spüren. Shisei hatte bei der Frau gesessen und sie getröstet, sprang aber jetzt auf und auf die beiden Neuankömmlinge zu. „Die drei sind gemein zu Kendra… Tronet hat böse Sachen über sie gesagt und sie haben es geglaubt…“ Der Älteste, der einzige Junge, legte schützend die Arme um die Mädchen. „Drachenpack! Und sowas ist unsere Mutter, du hast Schande über uns gebracht! Du hast zugelassen, dass diese Sklaven unser Haus einnehmen!“ Das musste wahrhaft schrecklich für die Mutter sein, den eigenen Sohn gegen sich zu haben. Kendra hatte die Knie angezogen und die Arme darum gelegt, nun beugte sie den Kopf nach unten und verbarg ihr trauerndes Gesicht. Eikyuu ignorierte den Jungen und blickte das ältere der Mädchen an. „Du bist Dania, nicht wahr? Ich hörte, du würdest gerne mit Drachen im Zirkus arbeiten?“ Er merkte, dass sie ängstlich, aber auch neugierig war. Als sie zu ihm aufblickte, sah er ihr in die Augen und beeinflusste sie ein bisschen dahingehend, dass ihre Neugierde gestärkt wurde und sie sich zu ihm traute. Der Junge wollte sie aufhalten, aber sie machte sich aus seinem Griff los und ging auf den Seelenleser zu. „Bist du nicht der Drache, der zaubern kann und uns das Haus gestohlen hat für seine Drachenfreunde?“ Eikyuu lächelte schief. „Äh… hat das dein Vater gesagt? Naja zaubern kann ich schon, das stimmt, aber euer Haus leihe ich mir nur aus.“ Er ging in die Hocke, um etwa auf ihre Höhe zu kommen. Sie sah ihn immer noch interessiert an, und er nutzte das, um in ihrem Geist die gleiche Sperre zu errichten wie bei den Erwachsenen. Er war vorsichtig bei ihr, da sie ein Kind war, und er tat es so, dass er es leicht rückgängig machen konnte. „Deine Mutter wird uns begleiten, weil dein Vater sie nicht mehr haben will. Geh mal zu ihr.“ Er schob die Kleine sachte in Kendras Richtung und erhob sich dann. „Kasar, nicht wahr?“ wandte er sich an den Jungen. „Stimmt es, dass du ein Drachenfänger oder Drachentöter werden willst?“ „Genau, und du bist mein erstes Opfer, du Missgeburt!“ zischte der Junge. Solche Worte aus dem Mund eines Kindes trafen wohl jeden hart. Eikyuu aber konnte auch noch den Hass dahinter spüren. Es war zweifellos eine Folge der Erziehung, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. „Das ist ein gefährlicher Beruf, Kasar. Manche sterben dabei, willst du das deinem Vater antun? Werde doch lieber Bauer oder Pferdezüchter oder so etwas.“ Er schickte die Information mit seiner Gabe an Kasars Geist, wo er die Idee, den Drachentöter-Plan aufzugeben, verfestigen wollte. Doch Kasar war so wütend, dass es schwer war, einfach so zu ihm durchzukommen, obwohl der Blickkontakt da war. „Ich werde dich jagen, bis ich deine Hörner abgehackt habe!“ erwiderte er. Eikyuu hätte einen stärkeren Versuch unternehmen können, wie bei Tronet und seinen Eltern, aber bei einem Kind tat er das ungern, zumal die kleineren Geschwister noch dabei waren. Tondra befand sich noch in Kasars eher besitzergreifenden als schützenden Umarmung. „Du kannst aber nicht für deine Schwester entscheiden,“ teilte Eikyuu ihm mit. „Lass sie zu ihrer Mutter, wenn sie will. Sie interessiert sich für die Heilkunst, die kann sie bei ihr lernen.“ „Das ist nicht mehr unsere Mutter!“ widersprach das Kind. „Dania, geh von ihr weg!“ Valerian trat auf Kendra zu. „Wollt Ihr nichts dazu sagen? Es sind Eure Kinder.“ Die Frau sah mit verweinten Augen zu ihm auf. „Aber… was soll ich denn…“ Shisei löste sich von seinem Rockzipfel. „Deine Mama war versklavt und man hat dich ihr einfach weggenommen. Findest du das nicht gemein? Wenn du dich nicht anstrengst, nimmt man dir deine Kinder auch weg!“ Das schien etwas in Kendra zu bewirken. Sie sah ihre ältere Tochter an, die sie schon im Arm hielt. „Ja… das stimmt wohl.“ Sie stand auf, nahm Dania auf den Arm und übergab sie an Valerian. „Bleib kurz bei dem Prinzen, Liebes.“ Und sie stellte sich dem zornigen Blick ihres Sohnes und trat neben Eikyuu. „Komm her, Tondra. Papa und ich haben uns zerstritten, und er ist genauso wütend wie Kasar. Wir gehen weg, an einen Ort, wo es friedlich ist. Du kannst eine Heilerin werden, wie du es wolltest.“ Doch Kasar hielt sie fest. „Wir bleiben hier! Papa ist im Recht! Diese Frau ist nicht unsere richtige Mutter, Tondra.“ Eikyuu merkte, dass seine Worte auch Dania verunsicherten. „Stimmt das, Mama?“ fragte die Kleine. Kendra wandte sich zu ihr um. „Natürlich nicht! Das sagt er nur, weil er erfahren hat, dass ich von Drachen abstamme.“ Erschüttert sah sie wieder Kasar an. Sie sah ein, dass der Junge für sie verloren war, oder zumindest hatten sie und die Drachen keine Zeit, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Entschlossen ging sie auf das Bett zu und nahm Tondra einfach an sich. Die sichere Geste ließ Kasar zögern, obwohl er das Mädchen festhalten wollte. Er wollte seiner Schwester auch nicht wehtun, deshalb ließ er sie los, als sie sich nicht gegen die Mutter wehrte. „Geht nicht mit denen mit!“ versuchte er es ein letztes Mal. „Tut mir Leid, mein Junge,“ sagte Kendra mit halb erstickter Stimme. „Wenn du nicht mitkommen willst, bleib hier. Bleib bei Papa.“ Sie wandte sich zögernd von ihm ab und ging zu Valerian, Dania und Shisei. Damit hatte Eikyuu freie Bahn. „Lass mich in Ruhe!“ zischte Kasar ihn an und wollte auf der anderen Seite aus dem Bett flüchten, doch der Seelenleser packte ihn am Arm. Der Junge wollte ihn mit der anderen Hand schlagen, doch er griff sich auch diese. Als die grauen Augen ihn erneut voller Hass ansahen, schlug er zu. Er wusste, dass Kasar merkte, dass er etwas mit ihm tat. Der Junge setzte sich zur Wehr, aber er hatte keine wirkliche Chance. Eikyuu überwand seinen Widerstand und sorgte dafür, dass auch er nicht über die Vorfälle reden konnte, und er pflanzte ihm ein, dass er niemals einen Drachen töten sollte. Zwar konnte er auf die Schnelle nicht all die Jahre der Erziehung rückgängig machen und das Kind in einen Drachenfreund verwandeln – so etwas hielt unter Umständen auch nicht ewig. Aber wenn er sich auf die eine Sache konzentrierte, war es sehr sicher, dass Kasar es nie über sich bringen würde, einen Drachen zu töten, selbst wenn er seinen Berufswunsch nicht aufgab. „Werde lieber kein Drachenfänger,“ sagte er ihm abschließend. „Das ist zu gefährlich.“ Der Junge griff sich mit beiden Händen an den Kopf. „Was hast du mit mir gemacht, du Scheusal?“ „Kleine Spezialität von mir,“ meinte Eikyuu leichthin und ging nicht weiter darauf ein. Am besten wenn er dachte, das wäre eine Magierfähigkeit. Es musste nicht bekannt werden, dass Seelenleser den Geist eines Menschen beeinflussen konnten. „Und jetzt benimm dich, oder wir müssen dich zu deinem Vater und deinen Großeltern in das Nebengebäude sperren.“ Da er fertig war, ließ er den Jungen los. Kasar verschränkte die Arme und setzte ein kindlich wirkendes Schmollgesicht auf. Er starrte in eine Ecke und blieb trotzig auf dem Bett sitzen. Indessen komplimentierte Valerian den Rest der Familie hinaus. Shisei ließ den Jungen ohne weitere Versuche zur Überredung zurück. Eikyuu schloss die Tür hinter der Gruppe. Vermutlich würde Kasar sich von ganz alleine in dem Zimmer verschanzen, jedenfalls schien er keine Lust zu haben, sich unter die Drachen und Draconer zu mischen. *** Fortsetzung folgt. Namensbedeutung Hiatari: Japanisch „Sonnenschein“ Die Namen der Slarivester oder Namen, die den Drachen von Slarivestern gegeben wurden (Yanis), haben keine mir bekannte Bedeutung. Ich denke sie mir einfach so aus, während ich die anderen meistens irgendwo nachschlage.^^° Kapitel 9: Slarivestische Geheimniskrämerei ------------------------------------------- Hallo Leser! Dies ist ein Kapitel mit Überlänge, das aber hauptsächlich aus einem Gespräch besteht. Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht, während ihr mit Infos überhäuft werdet. *g* In dem unteren Teil sind manchmal Zeilen freigelassen, obwohl eigentlich kein neues Ereignis stattfindet. Das dient einfach der Übersicht, denn es wird wirklich ziemlich viel am Stück geredet. Und trotzdem ist am Ende nicht alles geklärt… Leider hat diese Episode eine Woche Verspätung und ich bin in einem Internetcafe, also ich kann leider nicht jeden sofort anschreiben, der kommentiert hat... Vieleicht seht ihr es ja auch so.^^ Eternity III Kapitel 9: Slarivestische Geheimniskrämerei Fackeln und ein Lagerfeuer erhellten die Nacht. Es roch nach gebratenem Fleisch und frischem Brot. Auch war Obst im Angebot, und zu trinken gab es neben Wasser natürlich Wein, alles entwendet von den Slarivestern, die das Spektakel von ihrem Gefängnis aus lediglich hören konnten, weil die Fenster zur anderen Seite zeigten. Maris war wieder auf den Beinen – und er spornte sein Instrument zu Höchstleistungen an. Hiatari und zahlreiche andere Drachen und Draconer sangen zu seiner Musik oder klatschten den Takt, wenn sie den Text nicht kannten. Die meisten tanzten. Die Befreiungsparty fand seit dem Abend auf dem Hof statt, denn drinnen war nicht genug Platz für die teilweise spektakulären Darbietungen und ausgelassenen Tänze. Natürlich war es nicht vergleichbar mit den Vorführungen auf einem Drachentreffen, aber Hiatari zeigte ihre Lichteffekte, die sie beim Singen nach ihrem Willen formen konnte, und einige andere Lichtsänger machten so gut es ging mit. Aber der Höhepunkt war zweifellos der Auftritt von Noctivagus, der zu dieser Gelegenheit wieder zu Taika wurde. Er hatte sich Kleidung besorgt, die seiner traditionellen Clankleidung ähnelte, eine enge Lederhose und eine Weste. Sein langes Haar trug er offen, um wilder zu wirken. Valerian und Eikyuu genossen es, den verschlossenen Schattenmagier wieder einmal als den temperamentvollen Flammentänzer zu sehen, der sich hinter seiner kühlen Fassade verbarg. Die Feiernden bildeten einen großen Kreis als Bühne für ihn und Maris, der am Rand saß und eine schnelle, dröhnende Melodie spielte, die man seinem zerbrechlich wirkenden Saiteninstrument kaum zugetraut hätte. Dazu sang der Barde mit fester, lauter Stimme das Lied von einem, der aus dem Gefängnis entflieht und dabei viele Hindernisse überwinden und Verfolger abschütteln muss. Taikas Füße hielten mühelos mit dem schnellen Rhythmus mit. Er machte Gebrauch von dem Platz, den er zur Verfügung hatte, wirbelte förmlich von einer Seite zur anderen und untermalte alles mit Flammen, die er teilweise zu Figuren formte. Yanis war nicht der Einzige, den das begeisterte. Irgendwann im Laufe der Darbietung war Maris aufgestanden und hatte angefangen, auf und ab zu gehen, während er spielte. Manchmal mischte er sich in Taikas Tanz ein und stellte einen Verfolger dar, ohne eine Note zu verpassen. Als die Strophen gesungen waren, spielte er weiter, ohne zu singen, und verfolgte Taika durch den Kreis. Einige begriffen, was das sollte, aber Valerian war der Erste, der sich traute. Er sprang auf die *Tanzfläche* und nahm die Rolle eines Jägers an, der den Entflohenen verfolgte. Es überraschte ihn selbst ein bisschen, dass er sich für diese Seite entschied, andererseits musste es ja jemand machen. Er und Taika umtanzten sich spielerisch, untermalt von Taikas Feuereffekten, doch der Flammentänzer tat, als würde er müde werden und gleich dem Verfolger erliegen. Da schubste Eikyuu Yanis nach vorne. Der Junge hatte sich bisher nicht ganz entscheiden können, aber nun sprang er Taika zu Hilfe. Er konnte seine Feuerkräfte nicht gut kontrollieren, schaffte es aber, ein paar Flammen entstehen zu lassen. Dass Maris nicht vor ihm zurückschreckte, obwohl er den Barden in der Kneipe verletzt hatte, ermutigte ihn, und er wurde etwas risikofreudiger. Da begriffen auch die restlichen Anwesenden, was vorging. Einer nach dem anderen mischten sie sich in das Geschehen ein, bis keiner mehr wusste, wer welche Seite darstellte, und es war auch egal, denn alle tanzten ausgelassen zusammen und freuten sich seit langem einmal wieder ihres Lebens. Valerian sah Shisei, Tondra und Dania mittendrin. Er wertete es als gutes Zeichen. Auch Kendra ließ sich gehen und tanzte mit den ehemaligen Sklaven, die sie jetzt einfach integrierten. Jemand fand etwas, das als Trommel verwendet werden konnte, und eine Flöte wurde aus den häuslichen Beständen entwendet. Die Musik änderte sich etwas. Maris legte eine Pause ein, was Valerian sehr begrüßte. Er beobachtete den Blonden, wie er sich etwas aus dem Gedränge zurückzog und sich zu einer Gruppe von Leuten gesellte, die sich ebenfalls erst einmal ausgetobt hatten. Der Prinz begegnete dem tiefgründigen Blick des Barden, und im Schein des Feuers, des Mondes und der Sterne schien es ihm, als hätte der Mann auf einmal spitze Ohren, ein gewundenes Horn auf der Stirn und gefiederte Flügel auf dem Rücken. Er hätte schwören können, dass Maris keine Bardenkleidung trug, sondern das fürstlich anmutende, in Schwarz und Elfenbein gehaltene Gewand eines Gottes, verziert mit Schmuckfedern und gedrehten Ornamenten aus Silber. Als er das nächste Mal blinzelte, sah Maris wieder normal aus, bis auf das geheimnisvolle Lächeln in seinem Gesicht. Er zwinkerte Valerian zu und wandte sich dann zu den anderen um, die etwas über dem Feuer brieten, und bekam bereitwillig etwas davon ab. „Ist etwas?“ unterbrach Eikyuu seine Gedanken. Valerian hatte ihn gar nicht kommen hören. „Nein, nichts.“ Er legte einen Arm um ihn und zog ihn ein Stück vom Geschehen weg. „Ich habe nur etwas nachgedacht.“ „Ich auch,“ nickte Eikyuu. „Über unseren bisherigen Erfolg… es scheint so einfach zu sein, dass man sich fragt, warum es nicht schon früher getan wurde. Jetzt, wo ich keine Energie mehr für den Schutz des Schokoladenkelches aufbringen muss und meine volle Macht gut unter Kontrolle habe, scheint es ein leichtes zu sein, ganz Slarivestos einfach zu unterwerfen. Aber so wird es sicher nicht weitergehen. Wir konnten sie bisher überraschen, das ist alles.“ „Ich habe dich auch noch nicht deine Seelenleserkräfte in diesem Maße gebrauchen sehen,“ gab Valerian zu bedenken. „Pass auf, dass du dich nicht überforderst.“ Eikyuu lachte leise. „Aus dir spricht ganz deutlich der Heiler.“ „Tja, ich kann’s nicht ändern… aber mal im Ernst… Drachen sind viel stärker als Menschen, und ihr seid da gestern einfach hingegangen und habt die Sklaven alle mitgenommen. Warum gibt es überhaupt noch Sklaverei in Slarivestos? Ich verstehe es nicht… anscheinend reicht doch ein Magier mit seinen Drachenfreunden.“ Valerian blickte ratlos zum sternenklaren Himmel. „Es muss etwas geben, das den Slarivestern die Macht gibt, sie alle zu unterdrücken, ansonsten ergäbe das alles keinen Sinn.“ Eine Bewegung hinter ihnen ließ Eikyuu mit einer Antwort zögern. Maris hatte sie eingeholt, in der Hand hielt er einen duftenden Fleischspieß. „Natürlich gibt es das. Denk nach, Shitai.“ Valerian blickte verwundert zu der Feuerstelle, die sich eigentlich zu weit weg befand, als dass ihr Gespräch hätte belauscht werden können. Vielleicht hatte Maris nur den letzten Satz gehört. Andererseits… Valerian beschloss, es dabei bewenden zu lassen. „Ich? Was soll ich denn darüber wissen?“ Doch Maris berührte ihn mit einem Finger an der Stirn, dort, wo bei einem Rächer das Horn gewesen wäre – oder, in Menschengestalt, der rote Punkt, wie man bei ihm selbst einen sah. „Du warst in einem anderen Leben ein Slarivester. Streng dich an, du weißt es!“ Valerian hatte wirklich keine Lust, jetzt daran zu denken, allerdings war er ohnehin schon dabei, sich düsteren Gedanken hinzugeben. Er versuchte, sich zu erinnern. Sein slarivestisches Leben schien weit entfernt wie ein vergessener Traum, aber wenn er sich darauf konzentrierte, wurde es – zu seinem eigenen Entsetzen – ziemlich greifbar. „Ja, jetzt… fällt es mir ein. Slarivesterkinder lernen sehr früh die Geschichte ihres Landes… Es hat einen Versuch gegeben, die Sklaven zu befreien, vor langer Zeit…“ Er wollte gerade vorschlagen, Kendra dazu zu holen, als diese auch schon angelaufen kam. Sie sah sehr aufgeregt aus. „Eikyuu! Valerian! Maris! Kasar ist verschwunden! Ich wollte ihm gerade Essen bringen, aber er ist nicht in dem Zimmer, in dem wir ihn gelassen haben!“ Keuchend blieb sie bei ihnen stehen. „Er ist sicher irgendwo anders…“ begann Valerian mit einem Anflug von Vorahnung. „Nein, in seinem eigenen Zimmer ist er auch nicht. Er muss aus dem Fenster geklettert sein, an der Außenwand ist eine Weinranke… Ich habe auch schon im Nebengebäude nachgesehen, und als ich euch nicht fand, im Stall… es fehlt ein Pferd!“ Die Männer sahen sich alarmiert an. „Seid Ihr sicher?“ hakte Eikyuu nach. „Der Stall ist doch etwas ramponiert, vielleicht ist es auf einer Koppel…“ „Ich bin sicher, dass sie alle wieder eingefangen wurden oder von selbst zurückkamen,“ beharrte Kendra. „Ein Teil des Stalls war noch zu gebrauchen. Die kleinere Stute fehlt, auf der Kasar reiten gelernt hat. Ihr Zaumzeug und der Sattel sind auch nicht mehr da!“ „Kann er denn Hilfe holen? Er kann doch nicht über die Ereignisse reden, oder, Eikyuu?“ fragte Valerian seinen Partner. „Er kann vielleicht nichts Genaues berichten, aber es könnte reichen, um ein paar Helfer zu mobilisieren,“ gab Eikyuu zu bedenken. „Wir müssen sofort die befreiten Sklaven von hier wegschaffen. Hast du schon entschieden, wer wo hingeschickt wird?“ Der Schwarzhaarige nickte eilig. „Sie wissen auch schon bescheid, ich habe es mit ihnen besprochen und sie dazu angehalten, morgen Vormittag abreisefertig zu sein.“ „Das muss jetzt etwas schneller gehen,“ stellte Eikyuu unnötigerweise fest und war auch schon auf dem Weg zurück zu den Feiernden. Seine Begleiter folgten ihm und verteilten sich, um möglichst schnell viele zu informieren… Überraschenderweise ging alles eher ruhig vonstatten, niemand geriet in Panik. Vielleicht hatten sie mit so etwas gerechnet, oder sie waren es gewohnt, ihre Aufgaben schnell und still zu erledigen. Wer zu seinen Verwandten zurück wollte, reiste sofort dorthin ab, manche nahmen befreite Kollegen mit. Valerian hatte drei ausgewählt, die sich einigermaßen außerhalb von Slarivestos auskannten, und ihnen den Weg zu Eikyuus Insel beschrieben. Dort sollten sie die übrigen Befreiten absetzen. Er übergab ihnen auch eine mündliche Botschaft an Kyuujo. Nacheinander verwandelten sich Drachen und Draconer in ihre Drachenform, ließen einige Mitreisende aufsteigen, die Vorräte trugen, und verließen den Hof Richtung Sylvania. Während Valerian und Eikyuu die Abreise organisierten, packten Maris und Taika eilig ihr eigenes Gepäck zusammen, das sie bisher nicht irgendwo verstaut hatten. Zusätzlich nahmen sie Vorräte mit, und Kendra packte Kleidung für die Kinder ein. Shisei passte solange auf die beiden Mädchen auf – oder die Mädchen auf sie, man konnte es nicht genau sagen. Zusammen sahen sie zu, wie die Drachen wegflogen. Dania und Tondra waren ziemlich begeistert, weil sie noch nie so viele verschiedene gesehen hatten. Als es dann aber hieß, dass sie auch mitfliegen sollten, war ihnen das gar nicht so recht. „Ich will nicht weg von zu Hause!“ weinte die Kleinere. „Warum kommt Mami nicht mit?“ Kendra band gerade das Gepäck für die Kinder auf einem Flammentänzer fest, der auf sie wartete. Ein Lichtsänger in Menschengestalt saß auf ihm. „Ich werde Eikyuu und die anderen begleiten und ihnen Tipps geben,“ erklärte sie sachlich. „Und vielleicht finde ich ja Kasar noch. Seid brav, ich komme bald nach.“ „Warum können wir nicht bei dir bleiben?“ beharrte Dania. „Weil ich es so will,“ setzte Kendra fest. Natürlich war es auch viel zu gefährlich, und eigentlich wäre es der Gruppe lieber gewesen, auch Kendra wegzuschicken, aber sie konnte ihnen wirklich nützlich sein. Das Argument schien aber beide Mädchen ruhig zu stellen, wie die Gruppe aus Athrya feststellte. In Slarivestos erzogen Eltern ihre Kinder noch recht autoritär. Ihr Wort war Gesetz. Vielleicht färbte die Behandlung der Sklaven auf die Erziehung der Kinder ab. Beide ließen sich auf den Drachen heben, der daraufhin auch schon abflog. Kendra konnte nun hören, wie sie begeistert aufschrieen, sie hatten noch nie auf den hauseigenen Sklaven mitfliegen dürfen. Die Slarivesterin war etwas beruhigt, ganz langweilig würde es den beiden sicher nicht werden. Hiatari und Yanis blieben ebenfalls zurück, um bei weiteren Befreiungen zu helfen. Eikyuu, Taika und die Lichtsängerin nahmen ihre Drachengestalt an. Die übrigen verteilten sich auf den dreien. Als das Gepäck sicher befestigt war, ging die Reise los – wohin, wusste in diesem Moment keiner so genau. *** Es dämmerte schon, als sie den Hof verließen und weiter ins Land vordrangen. Kendra konnte ihnen sagen, von wo eventuelle Helfer am ehesten kommen würden, und sie flogen einen entsprechenden Umweg. Die Drachen hielten sich nahe am Boden, um in der Luft nicht so aufzufallen. Es war nicht auszuschließen, dass die Slarivester, die Kasar inzwischen wohl benachrichtigt hatte, auch Späher mit Drachen benutzten, aber ein hoch fliegender Drache war selbst vom Boden aus gut sichtbar. Valerian schützte die Gruppe mit einem Unsichtbarkeitszauber, bis sie sich aus dem Gefahrenbereich heraus glaubten, und vorsichtshalber noch etwas länger. Der Zauber war nicht ganz einfach bei drei Drachen, die sich bewegten, und ermüdete ihn deshalb ein wenig. Die Tatsache, dass er seit einer Weile nicht mehr richtig geschlafen hatte, war wohl auch nicht ganz unwesentlich. Insofern war er froh, als sie eine Pause einlegten, und zwar mitten in einem kleinen Wäldchen. Besser gesagt, sie landeten am Waldrand und gingen dann in Menschengestalt zu Fuß in das Gehölz hinein, um sich dort zu verbergen. Es gab keine Lichtung, die groß genug gewesen wäre, dass ein Drache dort landen konnte, und davon abgesehen war es zu gefährlich, sich auf einer aufzuhalten. Valerian überlegte ernsthaft, wie groß die Erfolgsaussichten für ihr Unternehmen noch blieben, wenn sie auf der Flucht waren. Er sah den anderen an, dass sie sich ähnliche Sorgen machten, auch wenn es keiner von ihnen aussprach. „Wir sprachen vorhin darüber, warum es wohl sein kann, dass Drachen seit Jahrhunderten von Menschen versklavt werden,“ griff er das letzte Gesprächsthema vor ihrer Flucht wieder auf. Kendra lehnte sich gegen einen Baum. „Es gibt verschiedene Geschichten… aber im Prinzip sagen sie alle das gleiche, nur regional gibt es ein paar Unterschiede. Grob zusammengefasst begann es so: Wie viele andere Völker waren auch die Slarivester früher Nomadenstämme. Sie kämpften mit anderen Stämmen um Land und Jagdgebiete, ganz wie andere auch. Letztendlich wurden sie in dieser Gegend sesshaft und verdrängten dabei andere, schwächere Stämme, die sie entweder eingliederten oder unterwarfen. So entstand eine frühe Form der Sklaverei.“ „Ich glaube, was das betrifft, haben sich andere Länder auch nicht mit Ruhm bekleckert,“ warf Valerian ein. „Auch im Königreich Athrya gab es früher Sklaverei. Das ist wohl eine ganz normale Erscheinungsform bei Völkern, die sesshaft werden…“ „Es ist oft so, dass Schwache von Starken unterdrückt werden,“ stimmte Maris zu. „Dagegen ist nicht einmal etwas einzuwenden, solange es nicht zur Ausbeutung wird. Große Gesellschaften brauchen nun mal eine gewisse Struktur. Dazu gehört auch, dass es Arme und Reiche gibt, Herrscher und Diener. Aber die Sklaven in Slarivestos werden teilweise schlechter als Vieh behandelt.“ „Wir haben unsere immer ausreichend versorgt!“ warf Kendra ein. Maris hob beschwichtigend die Hände. „Teilweise, sagte ich. Das war nichts Persönliches, auch wenn ich finde, dass es wirklich nicht viel mehr als ausreichend war.“ „Ähm, vielleicht sollte Kendra weiter erzählen,“ mischte sich Eikyuu ein, um die Spannung etwas zu dämpfen. Die Slariverterin seufzte gedehnt und blickte betreten auf ihre Hände. „Sicher, ich kann nicht abstreiten, dass manche Familien wirklich unnötig grausam sind, vielleicht ihren Zorn an den Sklaven auslassen… ich denke, ab und zu hat Tronet das auch getan… sogar ich… aber wir haben sie nie grundlos geschlagen, höchstens verbal unsere schlechte Laune an ihnen ausgelassen.“ Sie machte eine Pause, offenbar, um sich wieder auf das eigentliche Thema zu besinnen. „Also, es gibt eine Legende von einem Slarivester, der als Erster den Unterschied zwischen normalen Menschen und Draconern bemerkte, die in Menschengestalt unter ihnen lebten. In einem der eroberten Stämme war wohl ein kleiner Draconerjunge, zu erkennen an seinen spitzen Ohren, aber zu jung, um zu wissen, was er war. Es fiel auf, dass er viel mehr leisten konnte als andere. Seither wurde bei Eroberungen gezielt nach solchen Personen gesucht. Doch natürlich setzte sich irgendwann ein Draconer zur Wehr, indem er sich verwandelte. Erst dann erkannten die Slarivester, auf was sie sich eingelassen hatten. Natürlich waren Drachen schon vorher bekannt, aber nicht, dass sie Menschengestalt annehmen und sich mit Menschen paaren konnten. Es gab eine Zusammenkunft der Stammesfürsten, um zu beraten, was zu tun war, denn man schätzte die Menschen, die sich in Drachen verwandeln konnten, auch als Gefahr ein. Andererseits überlegte man sich, dass sie von großem Nutzen sein konnten, und die slarivestischen Magiekundigen erforschten Wege, sich vor der Macht der Drachen zu schützen. Über viele Jahre hinweg entwickelten sie Zauber und Artefakte allein für diesen Zweck. Es gibt Wege, einen Drachen in seine Menschengestalt zu zwingen oder umgekehrt.“ „Dann wurden diese Sprüche in Slarivestos erfunden?“ staunte Eikyuu. Kendra zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich, aber vielleicht lernten wir es auch von ausländischen Magiern, das ist nicht sicher belegt. Ihr wisst doch, wie das ist… jeder will der Erste gewesen sein. Wahrscheinlich gibt es verschiedene Methoden für den gleichen Zweck. Jedenfalls entwickelte es sich regelrecht zum Beruf, wilde Drachen zu fangen und zu versklaven, weitere Sklaven aus ihnen zu züchten und immer bessere Methoden zu entwickeln, um sie zu zähmen.“ „Warum haben die sich nie gewehrt?“ wollte Yanis wissen, der bisher genau wie Hiatari, Shisei und Taika nur zugehört hatte. „Die müssen das doch mitgekriegt haben!“ „Nicht unbedingt,“ bemerkte Maris. „Drachen waren damals Einzelgänger oder lebten in Paaren, aber nie in großen Gruppen, weil sonst die Nahrung nicht reichte. Wenn unter solchen Bedingungen einer verschwindet, fällt das nicht unbedingt gleich auf. Erst als sie begannen, sich unter die Menschen zu mischen, fand man mitunter mehrere auf kleinem Raum. Das ist aber gut dreitausend bis dreitausendfünfhundert Jahre her.“ „Dazu kommt, dass Slarivestos ein eher isoliertes Land war,“ nahm Kendra den Faden wieder auf. „Wir haben als Landesgrenze ein Gebirge, einen breiten Fluss und auf der anderen Seite das Meer. Wir sind kein Durchreiseland. Handel betrieben wir damals hauptsächlich auf dem Wasserweg oder untereinander. Das änderte sich, als die Drachen als Reittiere entdeckt wurden. Einige Slarivester siedelten sich in anderen Ländern an und machten dort Handelsstützpunkte auf, abgelegene Gehöfte etwa, so dass sie die Waren von Landsleuten abholen und liefern lassen konnten. Sie wollten nicht, dass sich das Geheimnis ihres Erfolges herumsprach. Einige machten es sich zur Aufgabe, Kontakte mit Magiern und Drachentötern zu knüpfen, um neue Methoden zu lernen. Selbstverständlich hatte es nicht lange gedauert, bis man feststellte, dass es einfach war, die Halbdrachen zu züchten, nur war es ärgerlich, dass bei Paarungen mit Menschen oft normale Menschen herauskamen. Deshalb waren diejenigen sehr angesehen, die einen gezähmten Volldrachen hatten. In Slarivestos bildeten sich folgende Berufsfelder heraus: Die Züchter; sie züchten Drachen oder Halbdrachen und versuchen, an Volldrachen zu kommen, da sie mit ihnen auf jeden Fall Halbdrachen züchten können. Die Drachenfänger; sie wissen, wie man Drachen tötet, versuchen aber stets, sie lebend zu fangen. Sollte letzteres nicht gelingen, verkaufen sie die Hörner und andere wertvolle Teile des erlegten Drachen. Lebend gefangene Drachen werden unterworfen und verkauft, entweder an Privatleute oder Züchter. Wilde Drachen lassen sich nur schwer zähmen. Manchmal werden sie gezwungen, einige Kinder in die Welt zu setzen, und dann getötet. Deshalb fängt man gerne sehr junge, die sind noch leichter zu handhaben. Dann gibt es jene, die magische Artefakte und andere Hilfsmittel herstellen, um Drachen an der Flucht zu hindern. Dies sind meistens Magier. Sie spezialisieren sich manchmal darauf, widerspenstige Drachen zu brechen. Einige beherrschen es, Magie auszubrennen, so wie meine Schwiegermutter.“ Kendras Stimme war ziemlich leise geworden. Valerian erkannte entsetzt, dass ihm das alles sehr bekannt vorkam. Und er hasste die Vorstellung, dass Magie auf solche Art missbraucht wurde. „Alles in Ordnung, Hiatari?“ fragte Eikyuu auf einmal. Alle wandten sich der Lichtsängerin zu, die dasaß, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, dabei hatte sie bisher so stark gewirkt. „Es geht schon,“ murmelte die Blonde. „Ich muss nur gerade daran denken… also… als man mich gefangen hatte, kam ich zu einem Drachenzähmer. Er versuchte erst, mich davon zu überzeugen, dass es besser wäre, mich zu fügen. Ich bekam ein Eisen umgelegt, das eine Rückverwandlung verhinderte. Aber ich konnte es nicht mit meiner Natur vereinbaren, mich einfach zu unterwerfen, und versuchte, die anderen Drachen, die er bei sich hatte, zum Aufstand zu bewegen. Aber sie waren alle bereits gebrochen und gaben mir keinerlei Unterstützung. Ich wurde im Dunkeln gehalten, weil bekannt ist, dass meine Art das Licht braucht. Man schwächte mich durch Nahrungsentzug, doch ich gab nicht nach. Da ging der Mann dazu über, mich zu züchtigen. Lichtsänger und weibliche Drachen generell werden oft wegen ihrer Schönheit gehalten, deshalb wollte er mich nicht dauerhaft entstellen. Er prügelte mich so, dass ich zwar Blutergüsse bekam, aber keine offenen Wunden, die Narben hinterließen. Ich wehrte mich zu Anfang, aber ich bekam so wenig zu essen, dass ich bald zu schwach war. Der Mann lehrte mich, dass ich Essen durfte, wenn ich mich fügte. Dennoch weigerte ich mich. Schließlich teilte er mir mit, dass ich als Sklavin wertlos war, deshalb wolle er einige Nachfahren von mir züchten und dann weitersehen. Nun ja… ihr könnt euch denken, dass ich auch das nicht freiwillig mit mir machen ließ.“ Hiatari schwieg eine Zeitlang, doch niemandem fiel etwas zu sagen ein, und so berichtete sie weiter: „Er ließ mich jeden Tag von einem seiner gezähmten Sklaven vergewaltigen. Ich glaube, der Sklave war froh, dass er sich mal sexuell austoben konnte… wenn man selbst unterdrückt wird, macht es vielleicht sogar Spaß, sich an noch Schwächeren zu vergehen. Es hörte erst auf, als ich schwanger war. Ich musste das Kind in Menschengestalt gebären, da es zu spät war, um mich zu verwandeln, außerdem hätte er das nicht zugelassen. Der Vater des Kindes war ein Draconer. Ich nehme an, das Kind war auch einer, denn Mischlinge aus Drachenrassen entstehen selten. Doch es kommt vor… mein nächstes Kind bekam ich von einem Volldrachen, der in Gefangenschaft aufgewachsen war, einem Eisfang. Ich nehme an, es war ein Zuchtexperiment… zuerst verlor ich sein Kind, doch unser Besitzer zwang uns erneut zur Paarung. Ich gebahr eine Mischlingstochter, doch man nahm auch sie mir weg, nachdem ich sie einige Tage gestillt hatte. Danach war ich so schwach, dass man mich erst einmal in Ruhe ließ. Inzwischen hatte ich die Hoffnung weitgehend aufgegeben, jemals freizukommen. Ich fügte mich erst einmal, um vielleicht später noch eine Chance zu bekommen. In meinem Zustand konnte ich jedenfalls keinen Widerstand mehr leisten. Ich wurde an einen Privathaushalt verkauft. Dort lebte ich einige Jahre, bevor ich einen Fluchtversuch unternahm. Da es aber in dem Haushalt keine weiteren Drachen gab und ich mich nicht verwandeln konnte, wurde ich wieder gefangen. Zur Strafe rief der Hausherr einen Magier, der mir Schmerzen bereitete, ohne mich zu verletzen. Danach blieb ich brav bei demselben Besitzer, bis dieser starb und mich an seinen Neffen vererbte. Der Neffe besaß mehrer andere Sklaven, denn er hatte eine Obstplantage, die wir zu bewirtschaften hatten. Nebenbei züchtete er Drachen. Es gelang mir, einige zum Widerstand aufzuwiegeln, doch das Gehöft lag, wie so viele, sehr abgelegen. Deshalb konnten wir keine größere Rebellion anzetteln. Wir mussten feststellen, dass Slarivester leider sehr gut auf internen Widerstand vorbereitet sind. Die Halsbänder, die wir trugen, sonderten auf Befehl Blitze ab und zwangen uns in die Knie. Drei junge Draconer wurden geschlachtet wie Vieh, zur Abschreckung. Ich wurde nur verschont, weil ich als Volldrache besonders wertvoll war. Seitdem habe ich nie wieder versucht, eine Rebellion anzufangen.“ Hiatari blickte beschämt zu Boden, und Kendra tat es ihr gleich. Die anderen schwiegen betreten. Nach einer Weile ergriff Yanis das Wort: „Also… da wo ich war, wurden wir relativ gut behandelt, aber mein Herr war sehr jähzornig und strafte uns immer schnell mal mit der Peitsche. Er hatte nur Arbeiter und Arbeiterinnen für seinen Hof, daher war es ihm egal, ob wir Narben hatten. Davon abgesehen aber bekamen wir alles, was wir brauchten, wenn wir nicht aufmuckten. Ich bin in Sklaverei geboren worden und bin es daher nicht anders gewohnt. Naja, als das in der Kneipe passierte, verlangte der Besitzer Schadenersatz, und viele, die als Gäste anwesend gewesen waren, und Bekannte meines Herrn forderten meine Hinrichtung. Ihr habt ja gesehen, was das für ein Volksfest war. Es sollte gleich noch ein abschreckendes Beispiel sein.“ Wieder trat ein Schweigen ein. Valerian hatte mit Erinnerungen aus einem anderen Leben zu kämpfen – teilweise kam es ihm so vor, als wäre es recht und billig, die Skaven so zu behandeln. Immer, wenn diese Seite in ihm hoch kam, schob er sie weit von sich. Um sich selbst davon abzulenken, fragte er: „Das hast du noch gar nicht genauer erzählt… was ist da eigentlich passiert?“ Yanis machte ein ratloses Gesicht. „Ich weiß es wirklich nicht. Ich saß neben meinem Herrn, und auf einmal… nun, da habe ich eine Gedächtnislücke.“ „Es war Baltron,“ ergänzte Maris die Erzählung. „Er hat dich irgendwie beeinflusst und dich in Panik versetzt oder so etwas, so dass du um dich geschlagen hast. Zufällig oder von ihm geplant hast du dich von deinem Herrn weg und mir zu gewand, so dass ich die volle Ladung abbekam. Noctivagus – oder Taika – konnte dich dann aufhalten.“ „Wo wir gerade von Baltron sprechen,“ begann Valerian, „Was war der denn überhaupt?“ Er richtete seine Frage hauptsächlich an den Barden, aber Kendra antwortete zuerst: „Baltron war schon ziemlich lange bei uns… sagte, er könne uns mit den Drachen helfen… Er war sowas wie ein Botengänger und Hausmeister in einem, hat sich auch immer um Reparaturen gekümmert… aber im Grunde weiß ich gar nicht mehr, warum wir ihn eingestellt haben, er war zwar hilfreich, aber eigentlich brauchten wir ihn nicht. Er wurde nicht einmal bezahlt, hat nur bei uns gewohnt und gegessen.“ „Er war ein Grimorach,“ sagte Maris, und alle sahen ihn verständnislos an. „Sie lebten lange, bevor die Menschen intelligent genug waren, um als gefährlich eingestuft zu werden, in großer Zahl auf dieser Welt. Es gibt sie ihn unterschiedlichen Gestalten und Größen. Menschen, die sie sehen, nennen sie Chimären, Mischwesen, weil sie aus Teilen von verschiedenen existierenden Tieren zu bestehen scheinen. Allerdings haben nur wenige Menschen je einen gesehen und die Begegnung überlebt – das gilt übrigens auch für Drachen.“ Er ließ die Information eine Weile wirken. Valerian wollte schon ungeduldig nachfragen, doch dann fuhr Maris fort: „Ursprünglich waren die Grimorachs natürliche Feinde der Drachen, erschaffen, um die Drachen etwas im Zaum zu halten, denn zu Anfang, als das Leben gerade entstanden war, hielten sich Drachen für unbesiegbar und waren sehr stolz, geradezu arrogant. Drachen in ihrer heutigen Form sind schon viel älter als andere Lebewesen. Unsterbliche Wesen machen keine große Evolution durch, während kurzlebige Geschöpfe sich ständig entwickeln.“ Seine Zuhörer nickten, das klang einleuchtend. „Während also alle anderen Wesen sich schnell veränderten und zu ihrer heute bekannten Form entwickelten, gab es die Drachen bereits. Tiere starben aus, aber andere entstanden dafür. Auch die Drachen veränderten sich im Laufe der Jahrtausende, aber nicht grundlegend. Ihre Entstehung ist nicht die gleiche wie beispielsweise die des Pferdes oder des Hundes… aber lassen wir das jetzt. Also… die Drachen beherrschten in großer Zahl die Welt, was den anderen Wesen die Entwicklung und das Fortbestehen erschwerte. Das Problem war, dass sie sich trotz Unsterblichkeit relativ schnell vermehrten und viel Nahrung brauchten. Selbst wenn sie einem Räuber zum Opfer fielen, tötete diesen das giftige Blut. Als eine Anzahl der größeren Tiere ausstarb, durch Naturkathastrophen oder Veränderungen der Welt, an die die Drachen sich anpassen konnten, verloren sie eine gute Nahrungsquelle und drohten, kleinere Geschöpfe auszurotten. Mit dem Auftauchen der Grimorachs wurde die Situation ein bisschen entschärft, da sie eine Anzahl Drachen töteten. Kleinere Wesen konnten sich ungestört ausbreiten, da die Drachen weniger wurden. Die Grimorachs sind praktisch die Sterblichkeit einer unsterblichen Art. Sie sind auf die gleiche Stufe zu setzen wie Drachen, Einhörner oder Phönixe. Auch sie sind unsterblich, und es gibt sie heute noch, aber sie sind unerkannt unter uns, etwa in Gestalt von anderen Tieren. Sie vermehren sich, indem sie die Gestalt von normalen Tieren annehmen und sich mit ihnen paaren. Dadurch entstehen immer neue Mischwesen, der Nachfahre ist immer ein unsterblicher Grimorach. Allerdings vermehren sie sich langsam, nicht jeder Nachfahre ist lebensfähig. Dafür haben sie manchmal zwei bis vier auf einmal. Sie paaren sich nicht mit Menschen, können aber ihre Gestalt annehmen.“ „Und wie werden sie weniger, also… wie sterben sie?“ wollte Hiatari wissen. „Ich meine… wenn sie Drachen töten, wäre es nur gerecht, wenn auch sie Feinde haben.“ „Ja, natürlich,“ nickte Maris. „Nicht jeder Kampf mit einem Drachen endet mit dem Sieg des Grimorach, auch wenn meistens auch ein siegreicher Drache stirbt – an dem Gift, das sie immer in irgendeiner Form absondern.“ „Aber dieser Baltron… das war kein normaler Grimorach, oder?“ hakte Valerian nach. Maris erlaubte sich ein etwas ironisches Lächeln. „Etwa so wenig, wie ich ein normaler Drache bin.“ „Ah,“ machte Valerian nur. „Du hast jetzt aber nicht genau erklärt, wo die Viecher herkommen,“ bemerkte Yanis. „Sie können doch nicht aus dem Nichts gekommen sein.“ „Ebenso wenig wie Drachen,“ ergänzte Kendra. Der Barde lachte leise und geheimnisvoll. „Da habt ihr Recht, aber ebenso gut könntet ihr mich fragen, woher das Leben an sich kommt. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Nur einen immer währenden Zyklus, und darin enthalten sind viele Dinge, die nicht jeder Verstand verkraften kann. Nehmt es einfach hin. Es ist jetzt so. Nur das ist wichtig.“ Damit mussten sie sich zufrieden geben. Sie grübelten eine Weile über das Gehörte nach, wobei Valerian sich fragte, was ihn störte. Irgendetwas hatte er noch fragen wollen und versuchte krampfhaft, sich daran zu erinnern. „Ach ja, Kendra…“ begann er schließlich, „Ihr habt vorhin die Drachenheiler nicht erwähnt, um mal wieder auf das andere Thema zurückzukommen… davon kamen wir irgendwie ab…“ Die Frau nickte. „Ja, dieser Beruf kam erst später auf, erst fiel dies in das Gebiet der Magier oder der gewöhnlichen Heiler. Erst viel später erkannte man, dass Drachen spezielle Medizin brauchten und dass man zum Beispiel ihr Blut zu Medizin verarbeiten konnte. Es hatte schon vorher die Legende gegeben, dass Drachenhorn ein Wunderheilmittel ist, doch erforschen konnte man das nur genauer, nachdem immer Drachen zur Verfügung standen. Man kann ja die Hörner auch abschlagen, ohne den Drachen zu töten.“ Der Schwarzhaarige nahm das zur Kenntnis und überlegte, was er noch hatte nachhaken wollen. Da kam ihm jetzt aber Eikyuu zuvor: „Trotzdem, was genau ist es, das die Drachen hier so ruhig hält? Doch nicht nur die Halsbänder… Die verhindern zwar Rebellionen von innen, aber was ist mit Angriffen von außen?“ „Tatsächlich gibt es seit einigen Jahrhunderten mehr Sklaven pro Familie als früher,“ fiel es Kendra ein. „Und es sind viele eingefangene dabei.“ „Ja, vermutlich seit die Rächer weniger wurden und schließlich ganz ausgerottet wurden,“ mutmaßte Taika. „Sag mal, Val, wolltest du vorhin nicht was erzählen, bevor Kendra uns unterbrach?“ Der Prinz nickte nachdenklich. Er versuchte, sich daran zu erinnern, was er in einem anderen Leben gelernt hatte. „Ja, es gab mal einen Versuch, die Sklaven mit Gewalt zu befreien. Eine Gruppe von etwa dreißig Drachen fiel vor gut tausend Jahren in Slarivestos ein und glaubte, es wäre einfach… Aber sie wurden nach anfänglichem Erfolg von einer slarivestischen Armee angegriffen. Die Krieger waren in den Sprüchen ausgebildet, mit denen man Drachen in die Menschengestalt zwingt… diese gehören zu einer Form von Magie, die man auch als Nichtmagier lernen kann, auch wenn eine gewisse magische Begabung nötig ist. Aber man muss dafür keine Magierausbildung haben… Aber was noch schlimmer war, ist, dass sie nicht etwa auf Pferden, sondern auf Drachen ritten. Ihr könnt euch vorstellen, dass dies ein großer Schock für die Angreifer war. Es handelte sich um die Draconischen Ritter, eine Gruppe zu der jeder Junge und so manches Mädchen im Kindesalter gerne gehören will, aber nur wenige schaffen es. Die Ritter schlugen die angreifenden Drachen zurück, töteten mehrere und nahmen ein paar auch gefangen. Keinem gelang die Flucht, so sehr wurden sie überrumpelt.“ „Das würden Drachen nie mitmachen, gegen ihre eigenen Verwandten…“ protestierte Eikyuu sofort. „Ich habe davon gehört, dass mal ein Angriff schief gegangen ist und man nie den wahren Grund erfuhr, weswegen man wohl lange keine solchen Versuche mehr unternahm… außerdem gab es von Slarivestischer Seite im Anschluss eine regelrechte Hetze gegen die Drachen, wobei behauptet wurde, diese Wesen seien gefährlich und müssten bekämpft werden. Daraufhin hatten Drachen es eine Weile überall sehr schwer, die alten Vorurteile waren aufgefrischt worden und bestehen teilweise heute noch… Aber wir haben nie etwas von so einer Armee gehört.“ „Eben, die Info hätte irgendwie zu uns kommen müssen… warum wissen wir nichts von so einer Truppe?“ wunderte sich Taika. „Muss denn nicht vielleicht ein anderes Land von ihnen wissen, das gegen sie Krieg geführt hat oder so?“ „Ich kann mich an keinen solchen Krieg erinnern,“ meinte Hiatari nachdenklich, und Eikyuu musste zustimmen. „Wir, ähm… die Slarivester führen keine Angriffskriege,“ entgegnete Valerian. „Das Land führt eine strikte Isolationspolitik, abgesehen von ein bisschen Handel, aber der wird lediglich über Außenstützpunke oder Seefahrt betrieben. Angreifer werden vernichtet, aber es kommen heutzutage keine mehr, weil alle Grenzen mehr oder weniger friedlich festgelegt sind. Früher wurde die falsche Kunde verbreitet, dass Slarivestos wenig fruchtbaren Boden hat und arm an Schätzen ist. Heute ist das die gängige Meinung im Ausland, und die Drachenarmee hält man meist für eine Legende, obwohl bekannt ist, dass Drachen als Sklaven gehalten werden… naja, auch das halten viele für eine Legende. Und selbst wenn mal jemand von den Rittern berichtet, hält Slarivestos dagegen, es sei eine rebellische Drachengruppe gewesen, was die Unbeliebtheit der Drachen erhöht. Slarivester sind gut darin, Dinge zu verschleiern. Sie sind ein sehr diszipliniertes und königstreues Volk, auch wenn die allgemein verbreitete Meinung etwas anderes sagt. Aber nur so konnte die Strategie so lange aufgehen. Verglichen mit anderen Ländern hat Slarivestos recht wenige Einwohner, verteilt auf die Fläche. Das Königshaus sorgt sehr dafür, dass Überbevölkerung verhindert wird, indem manchmal die Anzahl der Kinder begrenzt wird, die jeder haben darf. Dadurch wird auch vermieden, dass man in Abhängigkeit zu den Nachbarn gerät, was etwa Rohstoffe und dergleichen angeht. Slarivestos hat im Laufe seiner Existenz sehr selten unter Hungersnot gelitten. Mist… warum weiß ich das alles…?“ „Solltest du langsam begriffen haben,“ grinste Maris. Kendra blickte zwischen beiden hin und her. „Das mit der Reinkarnation meint Ihr wirklich ernst, was?“ „Rächer erinnern sich meist an ihre früheren Leben,“ bestätigte Valerian. Er sah zu Shisei und stellte fest, dass sie, an Taikas Seite gekuschelt, eingeschlafen war. Dabei wurde ihm wieder bewusst, wie müde er selbst war. „Ich verstehe das alles nicht so recht,“ seufzte Kendra. „Aber jedenfalls habt Ihr Recht… Aber zur Zeit ist die Kinderzahl nicht begrenzt, viele Slarivester haben ohnehin keine oder wenige Kinder. Es kommt auch öfter vor als Ihr denkt, dass einer bei der Ausübung seines Berufes umkommt oder einem ähnlichen Unfall zum Opfer fällt wie Maris beinahe.“ „Dass dies alles außerhalb von Slarivestos nicht bekannt ist – jedenfalls nicht unter Drachen – liegt auch mit daran, dass sich die meisten Drachen zu wenig in die Belange der Menschen einmischen,“ informierte Maris die Gruppe. „Aus Kriegen halten sie sich meistens raus, da sie meinen, es ginge sie nichts an und würde außerdem nur ihren schlechten Ruf untermauern. Also schlichte Ignoranz. Es reicht nicht, ab und zu Sklaven zu befreien, man muss sich über das ganze System informieren.“ „Du bist ja auch ganz gut informiert, hättest du nicht schon längst mal was sagen können? So vor tausend Jahren?“ beschwerte sich Taika. „Deinem Horn nach zu urteilen bist du noch viel älter!“ „Ich kann euch nicht einfach alles sagen, was ich weiß, ich habe schon zuviel gesagt. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein,“ antwortete Maris. „Aber ich bin hier, also warne ich euch: Es wird nicht so leicht weitergehen wie bisher. Wir waren nur am Rande von Slarivestos und haben noch nicht einmal ein Dorf besucht, nur eine Versammlung am Fluss. Wenn Slarivester mit einem Angriff rechnen, können sie sehr gefährlich sein. Die Leute bei der geplanten Hinrichtung dachten gewiss nicht, dass etwas schief gehen könnte… jedenfalls nicht, dass das Problem von außen kommt.“ „Vielleicht war es vorschnell, hierher zu kommen,“ grübelte Eikyuu. „Ich hätte mich länger damit aufhalten sollen, Informationen einzuholen, die andere vor uns gesammelt haben.“ „Ach, naja… wir haben alle dran schuld, schließlich waren wir auch sehr enthusiastisch,“ tröstete Taika ihn. „Vielleicht ist es sogar besser, wenn wir die Sache ohne vorgefasste Meinungen angehen. Ich wette, dein Vater hat dich eh nur gehen lassen, weil er dachte, du würdest schnell wieder zurück gekrochen kommen.“ „Wie soll es denn jetzt weitergehen?“ fragte Yanis, und das war wohl die Frage, die sie alle beschäftigte. „Valerian, bleibst du wirklich dabei, dass es diese Ritter gibt? Ich kann das nicht glauben… ich war doch Sklave, warum habe ich dann nie davon gehört?“ „Kein Slarivester wäre so töricht, so etwas vor dem Feind zu besprechen, auch wenn es sich dabei um den eigenen Sklaven handelt,“ antwortete Kendra für Valerian. Der Prinz nickte. „Viele wollen es nicht wahrhaben, aber es ist so: Diener wissen oft über vieles besser bescheid als die Hausherren. Das habe ich zu meiner Zeit am Hofe des Öfteren mitbekommen. Aber wenn man ein Volk unterdrücken will, darf man das Risiko nicht eingehen, dass es wichtige Informationen bekommt. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum Slarivester so gut Dinge verschweigen können. Sie mögen rassistisch und mitunter grausam sein, aber ein Geheimnis ist bei ihnen gut aufgehoben. Außerdem… in jedem steckt zu einem gewissen Grad ein Tyrann, es kommt nur auf die Umstände an.“ Valerian dachte daran, dass er selbst einmal so gewesen war… in einem Leben, an das er sich jetzt mit Unwillen erinnerte. Nur vage konnte er sich entsinnen, was vor kurzem mit ihm geschehen war. Teilweise fragte er sich, ob das in diesem oder im letzten Leben gewesen war. Aber eines wusste er noch… es gab etwas, das er mit Eikyuu klären musste. Fürs erste war die Gruppe mit so vielen neuen Informationen versorgt, dass die einzelnen Mitglieder jeweils in eigene Gedanken verfielen und schwiegen. Sicher wollten sie noch mehr über die Draconischen Ritter oder andere Dinge wissen, aber Valerian hatte keinen Nerv mehr dafür. Ein anderes Problem war auch vorrangig. Sie mussten essen und schlafen und nebenbei vor eventuellen Jägern flüchten. Es war gut allerdings möglich, dass sie hier keiner mehr vermutete. Die befreiten Sklaven hatten das Land verlassen, wer kam schon auf die Idee, dass eine Handvoll dageblieben war, um das System umzustürzen? Inzwischen hatte Kasar wahrscheinlich Hilfe geholt und seine Familie befreit, insofern hatte Valerian auch kein schlechtes Gewissen, weil sie Tronet und seine Eltern eingesperrt zurückgelassen hatten. Keiner von ihnen konnte wirklich genaue Angaben zum Geschehen machen, vielleicht hielt man sie einfach für verrückt. Aber da gab es noch einige Leute, denen Sklaven gestohlen worden waren, und die bestimmt etwas dazu aussagen konnten… und dazu passend den Besitzer einer niedergebrannten Kneipe… *** Fortsetzung folgt. Kapitel 10: Abschreckungstaktik ------------------------------- Meine lieben, geduldigen Leser! Schaut, was ich auf meiner Festplatte gefunden habe! Achtung, die Slarivester werden jetzt ziemlich fies. Ich kann nicht versprechen, dass es schnell eine Fortsetzung gibt, weil mein reales Leben etwas, hm... stressig bis deprimierend ist. Aber ich gebe hiermit ein Lebenszeichen von mir. *wink* Eternity III Kapitel 10: Abschreckungstaktik Eikyuu und seine Gruppe hatten sich unter den Bäumen zusammengerollt und den Tag verschlafen. Einige Decken gehörten zu ihrem Gepäck, und auch noch genug Essen und Wasser. Erst am Abend wollten sie ihre Reise fortsetzen, denn dann war es sicherer. Der Seelenleser schlief unruhig und entfernte sich schließlich von den anderen, um sie nicht zu stören. Valerian hatte gerade die Wache, also beschloss er, sich ein bisschen zu ihm zu gesellen. In letzter Zeit hatte er sowieso viel zu wenige Momente allein mit seinem Kariat gehabt. Als Eikyuu sich Valerian näherte, wurde ihm klar, warum er so unruhig gewesen war: Er spürte, dass seinen Partner etwas beschäftigte. Der Schwarzhaarige saß auf einem umgestürzten Baumstamm, der neben einem Trampelpfad lag, der möglicherweise nur von Wild benutzt wurde, aber wahrscheinlich kamen ab und zu auch Menschen her. Gestrüpp verbarg ihn vor den Augen von Neuankömmlingen, und die Bäume verdeckten den Blick für fliegende Wesen, aber von unten konnte man den Himmel ganz gut im Blick behalten und auch den Pfad. Natürlich war Eikyuu längst bemerkt worden, somit schreckte Valerian nicht auf, als er sich neben ihn setzte. „Gut dass du hier auftauchst,“ murmelte der Prinz. „Ich muss was mit dir besprechen.“ Eikyuu bekam eine ungute Vorahnung. „Wir hatten gar keine Gelegenheit, mal allein miteinander zu reden, seit wir hier sind,“ bemerkte Valerian. „Aber es wird Zeit, dass...“ Er stellte fest, dass er auch jetzt noch Slarivestisch sprach, was sie bisher eigentlich nur wegen Kendra und Yanis getan hatten. Er schien zu überlegen, ob er die Sprache beibehalten sollte, ging dann aber zu Athryanisch über. „Towa… ich habe dich verg---“ Er konnte den Satz nicht beenden, denn Eikyuu hielt ihm plötzlich eine Hand vor den Mund und sah ihn entsetzt an. „Nein, Kariat! Wir sind Partner, du hast das Recht…“ „Nein!“ unterbrach Valerian im Gegenzug nun ihn, die Hand von seinem Mund wegschiebend. „Niemand hat das Recht, irgendjemanden dazu zu zwingen! Nicht seinen Sklaven, seinen Diener, seine Hure oder die eigene Ehefrau… oder den Lebenspartner. Das ist unverzeihlich.“ Er hielt Eikyuus Hand fest, sah den Magier aber nicht an. Statt dessen blickte er starr nach vorne, ohne zu blinzeln. „Ich habe dich vergewaltigt.“ Eikyuu zuckte zusammen und gab einen gequälten Laut von sich. Warum nur musste Valerian das aussprechen? Es fühlte sich an, als wäre ein Richtschwert auf ihn niedergegangen. Wollte sein Kariat sich jetzt aus Scham von ihm trennen? Er spürte deutlich Valerians emotionale Krise. „Ihr Seelenleser wollt das nicht hören, ich weiß. Du bist zu sensibel, um dich mit der Wahrheit abzugeben, selbst wenn sie dir schadet. Und du hast Angst, dass diese Sache einen Keil zwischen uns treibt,“ murmelte Valerian, wobei er kurz die Augen schloss, so dass seine zurückgehaltenen Tränen über seine Wangen flossen. „Aber das warst nicht du!“ protestierte Eikyuu. „Und ich hätte mich wehren können! Ich habe es nur nicht getan, weil wir den Schein wahren mussten…“ „Die Umstände spielen keine Rolle. Ich hätte es nicht tun dürfen. Und auch, wenn das meine frühere Persönlichkeit war… das ist keine Ausrede. Denn auch das war einmal ich… und bin es noch.“ Eikyuu klammerte sich verzweifelt an ihm fest, umarmte ihn fast schmerzhaft. Die einzige Konsequenz, die er sich ausmahlen konnte, war, dass sein Partner ihn verlassen würde. Aber das würde nicht nur Valerian strafen, sondern auch das vermeintliche Opfer… das war nicht fair! „Val, bitte…! Ich klage dich nicht an, also gibt es auch kein Verbrechen! Nie könnte ich dir das vorwerfen!“ Valerian erwiderte die Umarmung zögerlich, was den Allmagier zunächst beruhigte. Die nächsten Worte machten das wieder zunichte. „Selbst wenn du mich von meiner Schuld freisprichst, spüre ich sie noch schwer auf meinen Schultern. Zwar bin ich nur in meiner Seele ein Rächer, aber dennoch… gerade deswegen… kann ich dieses Verbrechen nicht ungesühnt lassen. Doch ich weiß nicht, was ich tun soll... wenn ich dich verlasse, was das mindeste wäre, strafe ich auch dich, und das hast du nicht verdient. Jede Strafe würde auch dich strafen, denn du würdest mit mir darunter leiden.“ Sie wussten beide, was unter Drachen die übliche, strenge Strafe für Vergewaltigung gewesen wäre, aber das stand außer Frage. Eikyuu wünschte sich, dieses Thema wäre nie zur Sprache gekommen. „Wenn dieser Fall vor ein Gericht der Drachen käme, würde ich dafür plädieren, dass wir es unter uns ausmachen… das würden sie uns wahrscheinlich auch erlauben, weil wir zusammen sind.“ „Aber ich kann das nicht einfach vergessen!“ schniefte Valerian. „Ich kann mich selbst nicht so davonkommen lassen…“ „Dann nehme ich dich eben beim nächsten Mal besonders hart ran,“ schlug der Seelenleser vor, ahnte aber schon, dass dies zu wenig war. Der Schwarzhaarige lächelte ironisch. „Das wäre ja eher eine Belohung! Außerdem tust du das eh ab und zu… Nein, das ist keine angemessene Strafe. Selbst wenn ich mich auspeitschen ließe oder etwas in der Art… das würde dir als meinem empathischen Liebhaber fast mehr wehtun als mir.“ Valerian war deutlich etwas ratlos. Anscheinend konnte er mit der Schuld nicht ungestraft leben, es aber seinem Drachen zuliebe auch nicht über sich bringen, sich angemessen bestrafen zu lassen. Eine verzwickte Situation. „Aber… zu dem Zeitpunkt warst du gewissermaßen ein Slarivester… für die ist das recht und billig…“ versuchte Eikyuu es noch einmal, konnte sich die Antwort aber schon denken. Valerian lächelte kläglich. „Das ist richtig, aber wenn es danach ginge, dürften wir gar nicht hier sein. Denn Sklaverei ist für diese Menschen auch völlig in Ordnung.“ Das Argument kam nicht überraschend, und eigentlich hatte Eikyuu das auch so gesehen. Einen Moment fragte er sich, mit welchem Recht sie die Meinung eines Volkes verurteilten, aber dann sagte er sich, dass es richtig war, denn diese Meinung rechtfertigte das Unterdrücken eines anderen Volkes. Stirnrunzelnd überlegte er, dass die Drachen eigentlich gar kein eigenes Land hatten, sie lebten überall im Verborgenen. Was berechtigte Menschen überhaupt dazu, alles für sich zu beanspruchen? Drachen hatten das nie getan. Sie lebten mit der Natur im Einklang. Nur die Insel, auf der die Treffen stattfanden, hatten sie gewissermaßen zu ihrem Eigentum erklärt. Aber das war noch nicht immer so gewesen. Ganz früher hatten Drachentreffen in Drachengestalt unter freiem Himmel stattgefunden, an wechselnden Orten auf der ganzen Welt. Doch sie waren von überall verdrängt worden, weil Menschen nicht akzeptieren konnten, dass sie in einem bestimmten Wald oder auf einem gewissen Berg nichts zu suchen hatten – oder jedenfalls damit leben mussten, dass sie dort lediglich geduldet wurden. Nein, sie mussten immer alles töten, was sie für gefährlich hielten, statt sich damit zu arrangieren. „Vielleicht ist die Zeit der Drachen auch vorbei,“ dachte er laut, was ihn selbst überraschte. „Maris sprach von Kreisläufen… vielleicht sind jetzt die Menschen an einem Punkt, wo sie Herrscher sind, und die Drachen müssen das akzeptieren oder untergehen.“ Valerian starrte ihn aus großen Augen an, als hielte er ihn für milde verrückt. „Wie kommst du denn jetzt darauf? Drachen sind mit Menschen gar nicht vergleichbar. Sie werden alles überdauern, während Menschen nur einen kurzen Auftritt in der Geschichte haben.“ „Ist das so?“ zweifelte der Seelenleser. „Vielleicht dauert es bei uns einfach nur länger, bis wir… verschwinden.“ Er merkte selbst, dass er offenbar in eine gewisse depressive Laune verfallen war, nachdem Valerian das andere unerfreuliche Thema angeschnitten hatte. Offenbar reagierte er instinktiv abwehrend, indem er zu einem ausbaufähigen, sehr philosophischen Gespräch überging. Jedoch war dieses nicht minder traurig. „Du lenkst ab!“ klagte nun auch Valerian. „Wahrscheinlich,“ stimmte der Drache zu. „Genau das wollte ich vermeiden… dass dieses *Ereignis* zwischen uns steht… Wenn ich es als Vergewaltigung betrachte, wie kann ich mich dir dann jemals wieder vertrauensvoll hingeben? Aber das will ich! Ich will mich dir ausliefern können, ohne Angst zu haben, dass du wieder zu dieser Person wirst, die mich nur benutzt…“ „Sollte das je wieder vorkommen, wirst du keinen Grund haben, dich nicht zu wehren,“ wandte Valerian ein. „Glaub mir… auch ich habe Angst, dass es wieder passiert. Aber ob du es nun Vergewaltigung nennst oder nicht… das Ergebnis ist doch dasselbe. Das Vertrauen ist nicht mehr da. Vielleicht willst du mir vertrauen… aber dein Unterbewusstsein wird immer auf Abstand gehen.“ Die Worte klangen hart und endgültig. Eikyuu riss sich zusammen. Sein Kariat war sehr verunsichert, deshalb durfte er nicht seinerseits mit Unsicherheit reagieren. Färbten vielleicht nur die Emotionen des anderen auf ihn ab? Er blickte tief in sein Herz. Dort fand er eine Gewissheit: Er liebte Valerian noch so sehr wie zuvor. Eine Krise konnte daran nichts ändern. Der Slarivester in Valerian hatte Eikyuu nicht gekannt und auch nicht geliebt. Fast war es, als wäre es ein Fremder gewesen. Der Seelenleser erkannte, dass sein Kariat sich gegen diese Persönlichkeit wehrte, auch wenn er sich damit abgefunden hatte, dass er einmal in Slarivestos gelebt hatte und die Bräuche des Landes befolgt hatte. Der Prinz sah jenes Leben eher wie eine Geschichte, die ihm jemand erzählt hatte und an die er sich noch gut erinnerte. Aber das reichte nicht. „Kariat…“ Eikyuu drehte Valerians Gesicht zu sich. „Du musst Valerian Z’Unluhrd als Teil von dir akzeptieren, so wie du Shitai akzeptiert hast. Der Rächer ist mit dem Prinzen von Athrya verschmolzen, da du ihn bereitwillig angenommen hast. Das muss auch mit dem Slarivester geschehen. Betrachte ihn als eine Rolle, die du für kurze Zeit gespielt hast. Vielleicht hat dieser Mann im Grunde seines Herzens gezweifelt, ob die Mentalität seines Volkes ethisch korrekt ist… bestimmt sogar. Kein Slarivester mit einer Rächerseele könnte das alles hinnehmen, ohne es zu hinterfragen. Aber letztendlich hat er es als gegeben hingenommen, weil es seit Generationen so war, und vielleicht wollte er nicht zum Außenseiter werden… Ungeschehen machen kannst du nicht, was er war und was er getan hat. Akzeptiere ihn einfach und werde eins mit ihm, dann wird er nie wieder die Oberhand gewinnen können.“ Valerian legte die Stirn gegen Eikyuus Schulter und schluchzte leise. Der Seelenleser konnte eine gewisse Erleichterung spüren – sein Kariat hatte nie daran gezweifelt, dass er noch immer geliebt wurde, sich aber Sorgen gemacht, ob sich zwischen ihnen dennoch etwas ändern würde. Das blieb freilich noch abzusehen, aber Eikyuu für seinen Teil war zuversichtlich, dass er… dass sie beide darüber hinwegkommen würden. „Was deine Strafe angeht, Kariat… ich werde mir etwas einfallen lassen,“ murmelte er und strich dem anderen sanft über den Rücken. „Towa… was du da gesagt hast… meine andere Persönlichkeit akzeptieren und so… das hätte von Timarios sein können, weißt du das?“ „Vielleicht färbt er ein bisschen auf mich ab.“ Eikyuu grinste ansatzweise. Dem Prinzen gelang ein Lächeln. „Ich frage mich, ob Taika es weiß… Shisei jedenfalls hat ihn gleich erkannt… noch eher als ich… aber sie ist ja auch ein richtiger Rächer.“ „Es würde mich nicht wundern, wenn Taika was ahnt, aber darüber schweigt oder einfach nicht weiter nachgrübelt. So ist er halt… Du sagst ihm was, und er lächelt und meint, er wusste es schon lange…“ „Beunruhigt es dich gar nicht?“ „Was… dass Taika über Geheimnisse schweigen kann?“ „Towa! Du weißt genau, was ich meine!“ Valerian wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht. „Seit wann hast du eigentlich was geahnt?“ „Ich sah, wie vertrauensvoll Shisei sich ihm gegenüber benommen hat… da wusste ich, dass er kein normaler Mensch sein kann. Die Tatsache, dass meine Gabe auf ihn nicht anspringt, fand ich schon bemerkenswert… aber das ist bei manchen Menschen so, wenn sie sehr verschlossen sind. Naja… es war aber nur so eine Ahnung. Außerdem schien er auch genau zu wissen, dass du mal ein Slarivester warst… das hat mich stutzig gemacht.“ „Mein Wissen über Slarivestos kommt uns jetzt zweifellos zugute, aber ich hätte gerne darauf verzichtet… nun ja…“ Valerian beruhigte sich allmählich wieder. „Wir sollten uns später wieder darüber Sorgen machen, und uns erst einmal auf unser eigentliches Ziel konzentrieren. Maris hat sicher Recht und es wird jetzt etwas schwieriger, da die Slarivester gewarnt sind. Ich glaube aber nicht, dass wir es sofort mit dieser Elitetruppe zu tun kriegen, die werden bestimmt nur gerufen, wenn alles andere versagt.“ „Wenn wir Glück haben, nehmen sie die Sache nicht ernst,“ mutmaßte Eikyuu. „Aber das wäre zu schön, um wahr zu sein. Früher oder später werden wir bestimmt auf sie treffen.“ Jedenfalls war er froh, dass sie das Thema gewechselt hatten. „Du solltest noch etwas schlafen,“ schlug Valerian vor. „Immerhin fliegst du. Ich werde meine Wache einfach etwas verlängern und Maris früher wecken… der wird sich damit abfinden müssen.“ „Hm… na gut.“ Eikyuu lächelte Valerian dankbar an. Vielleicht konnte er jetzt auch wirklich schlafen. Zurück beim Schlaflager fand er alle noch tief schlummernd vor. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut, sogar bei Maris. Eikyuu beobachtete den Blonden und konnte kaum glauben, dass er nicht nur ein einfacher Barde war. Nicht einmal seine Ohren waren spitz… eine gute Tarnung. Der Seelenleser legte sich neben Taika, der mit dem Rücken zum Rand der Gruppe lag und Shisei dabei im Arm hatte, und kuschelte sich Wärme suchend an ihn. Bald darauf war auch ihm etwas Schlaf vergönnt. *** Bei Sonnenuntergang wurde die Gruppe von Kendra geweckt, die die letzte Wache gehabt hatte. Etwas mürrisch, da keiner von ihnen wirklich ausgeschlafen war, packten sie ihre Sachen und verteilten sich auch die Drachen. Eikyuu und Hiatari flogen als Erste. Der Seelenleser trug Valerian, Kendra und Yanis, die Lichtsängerin Maris, Shisei und Taika. Später sollten Taika und Yanis das Fliegen übernehmen. Sie machten es absichtlich so, weil zwei Drachen weniger Aufmerksamkeit erregten als vier, und um sich abwechseln zu können. Im Laufe der Nacht erreichten sie ein größeres Dorf. „Dies ist Karadorm, ich habe da gelebt,“ sagte Yanis. „Auch die meisten anderen, die ihr befreit habt, stammen von da. Aber es sind noch mehr Sklaven dort… befreien wir sie?“ Eikyuu kreiste über dem Ort, gefolgt von Hiatari. //„Lasst uns am Dorfrand landen,“// schlug er vor. //„Momentan schlafen sicher alle noch. Es wird nicht einfach sein, die Sklaven von da wegzuholen. Sollen wir zur Tarnung in einem Gasthaus einkehren?“// „Die beste Kneipe ist niedergebrannt,“ warf Maris ein. „Ihr wisst schon… es ist die, in der das Feuer ausgebrochen ist, das Yanis mit etwas Nachhilfe von Baltron verursacht hat. Es gibt noch eine billige Absteige nicht weit davon entfernt, die jetzt natürlich guten Zulauf haben dürfte, seit die Konkurrenz weg ist.“ Eikyuu und Hiatari landeten und verwandelten sich zurück. Valerian gab ihnen ihre Kleidung, und nachdem die beiden sich angezogen hatten, betrat die Gruppe die Ortschaft. „Solltet ihr beide nicht lieber zurückbleiben?“ gab Taika zu bedenken, als die Lichtsängerin und Yanis mit den anderen folgten. „Man wird euch doch sicher erkennen! Sogar Eikyuu dürfte einigen Leuten hier bekannt vorkommen.“ „Dann gebt doch vor, dass ihr uns gefangen habt,“ schlug Hiatari vor. „Ihr könnt dann mit meinem ehemaligen Besitzer verhandeln und… Maris, ist alles in Ordnung?“ Maris hatte sich ein bisschen von ihnen entfernt und war zu den ersten Häusern vorgedrungen. Er sah aus, als hätte ihn etwas sehr erschreckt. Langsam drehte er sich zu den anderen um, eine blasse Gestalt im Schein des Mondes. „Ich glaube nicht, dass wir hier lange verharren werden,“ flüsterte er. „Vielleicht sollten wir einen Bogen um diesen Ort machen… aber ich würde dafür plädieren, dass wir uns nicht einschüchtern lassen.“ „Wovon sprichst du?“ fragte Yanis ungeduldig. „Wir sind doch nicht hier hergekommen, um feige wieder abzuhauen!“ Maris blickte ganz ernst, obwohl er ein buntes Bardenkostüm trug. Beides passte nicht recht zusammen. „Ich sprach vor einigen Stunden davon, dass es nicht so einfach wie bisher weitergehen wird. Hier werdet ihr zum ersten Mal sehen, was ich meinte. Seid bereit…“ Er ging ohne ein weiteres Wort in das Dorf hinein. Die übrigen folgten ihm verwirrt, jedoch ahnungsvoll. In den Häusern war alles finster, nur hinter einigen Fensterläden sah man ab und zu vereinzelte Lichter. Keine betrunkenen Leute liefen durch das Dorf, nicht einmal ein Hund bellte. Alle Türen schienen verrammelt zu sein. Sie blickten sich wachsam um, während Maris sie zielstrebig zum Marktplatz führte. „Ich fühle mich unwohl hier,“ murmelte Eikyuu und suchte bewusst Valerians unmittelbare Nähe. Er bekam erstmals eine Ahnung davon, warum sein Vater ihn nicht hatte mitgehen lassen wollen. Das Dorf war etwas anderes als eine einzelne Siedlung. Hier waren zahlreiche Sklaven auf engem Raum, und das Elend ihrer Gefangenschaft sickerte zu ihm durch wie Regen durch ein dünnes Kleidungsstück. Die Häuser und ein paar Bäume am Wegesrand hoben sich gegen den Nachthimmel schwarz ab. Die Nacht war hell genug, um den Befreiern den Weg sichtbar zu machen… und das Grauen, das auf sie wartete. Vor ihnen tat sich eine große freie Fläche auf, der Marktplatz. Eikyuu schlug als Erster die Hände vor seinem Mund zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Er wich ein Stück zurück. Valerian begriff zuerst nicht, was los war, dann folgte er dem Blick seines Partners. Neben ihm keuchte Hiatari entsetzt auf, selbst Kendra ließ die Szene nicht kalt. Taika wandte sich erschüttert ab, und Yanis übergab sich an Ort und Stelle. Valerian bemühte sich, Eikyuu zu stützen, denn seine Seelenlesergabe hatte ihn regelrecht in die Knie gezwungen. Nur Shisei stand regungslos da, als hätte sie das vorhergesehen. Der Platz wurde von einer Konstruktion aus drei senkrechten Balken beherrscht, die durch Querbalken miteinander verbunden waren, so dass in der Luft ein Dreieck entstand. Dieses diente als besonders spektakulärer Galgen. An jedem Querbalken hingen zwei Gestalten. Man konnte im Dunkeln keine genauen Einzelheiten erkennen, sich aber ausrechnen, dass es sich um Sklaven handelte, denn ihre Kleidung war einfach bis ärmlich. Als der Wind auffrischte, kam der Gruppe der Geruch von Blut entgegen. Die Toten schienen noch nicht lange dort zu hängen und waren offenbar vor ihrem Tod misshandelt worden. Zwei waren Kinder von etwa zehn Jahren. Ein Greis war dabei, vielleicht ein alter Draconer. Die übrigen drei waren ein Mann und zwei Frauen, alle eher zierlich gebaut. Wahrscheinlich hatte man sie ausgewählt, weil sie nicht von so großem Nutzen waren. „Abschreckungstaktik,“ würgte Kendra hervor. „Sie töten Unschuldige, um den Aufstand im Keim zu ersticken. Bei Crisalla, der Mutter aller Dinge… sowas habe ich noch nie in Wirklichkeit gesehen.“ „Kommt, nehmen wir sie da runter,“ hörten sie auf einmal Maris’ Stimme. Niemand hatte darauf geachtet, wo er hingegangen war, doch nun stand er wieder vor ihnen. Taika überwand sich, indem er sich dem Galgen näherte, gefolgt von Hiatari, Kendra, Shisei und Yanis. Valerian und Eikyuu blieben etwas zurück. Niemand nahm es ihnen übel. „Ich… ich kann die Trauer der Angehörigen spüren… aber auch Zorn…“ klagte der Seelenleser. Zwar konnte ihm das Elend der Gehenkten nichts mehr anhaben, aber die Einflüsse aus der Umgebung waren schlimm genug. Er hielt sich an seinem Partner fest, während die anderen sich daran machten, die Toten vom Galgen zu holen. Zu diesem Zweck ließ Maris sein Horn erscheinen und gab es Hiatari, die er dann hochhob, so dass sie die Stricke erreichen und kappen konnte. Yanis und Taika fingen die Leichen auf, und Kendra versuchte, sie von den Stricken zu befreien und einigermaßen würdevoll hinzulegen, während Shisei ins Leere starrte und sich scheinbar mit der Luft unterhielt. Auf einmal sah Eikyuu sich gehetzt um. „Das ist eine Falle!“ schrie er noch, doch in dem Moment brach auch schon die Hölle los. Fensterläden wurden an allen Seiten aufgestoßen, und dahinter sah man nun schussbereite Bogenschützen postiert. Jemand warf eine Fackel auf den Platz und entzündete eine brennbare Flüssigkeit in einem großen Tongefäß, das am Rand, aber nicht zu nahe an den Häusern stand. Dies geschah danach an mehreren weiteren Stellen, so dass innerhalb kürzester Zeit die Szenerie in rotgoldenen Schimmer getaucht war. Nun öffneten sich auch die Türen, und die Bewohner trieben gefesselte Sklaven vor sich her, die sie zusätzlich mit an Halseisen befestigten Leinen gesichert hatten. Die Sklaven, teilweise Frauen und Kinder, wurden von ihren Herren zu Boden gestoßen und mit Schwertern oder ähnlichen Tötungswerkzeugen bedroht. Die Demonstration bedurfte keiner Worte: Man forderte die rebellische Truppe dazu auf, sich zu ergeben, oder man würde auf sie schießen und weitere Unschuldige töten. „Wartet! Ich bin Slarivesterin! Ich will mit dem Dorfoberhaupt sprechen!“ rief Kendra sofort und ging mit erhobenen Händen auf den Rand des Kreises zu. Einer der Dorfbewohner kam zu ihr und packte sie, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Er nickte und schubste sie zu einem weiteren Mann, der in einem Eingang stand, und sie verschwand im Haus. Eikyuu wollte nicht glauben, dass die Frau sie schon wieder verraten hatte. Er hatte bisher angenommen, ihr vertrauen zu können, und sagte sich, dass sie wahrscheinlich nur aus taktischen Gründen wieder überlief. Seine Gruppe verhielt sich ruhig, niemand verfluchte Kendra oder beschimpfte die Slarivester, alle waren noch zu sehr erschüttert von den hingerichteten Sklaven und dem überraschenden Angriff. Er musste zugeben, dass die Taktik der Slarivester verdammt gut war. Yanis und Hiatari sahen Eikyuu fragend an. Sie wussten nicht, was sie jetzt tun sollten, denn sie waren für gewöhnlich nicht in einer Situation, in der sie lebenswichtige Entscheidungen treffen mussten. Yanis war es sogar überhaupt nicht gewöhnt, selbst zu entscheiden. Valerian hatte sich neben Eikyuu aufgebaut und machte sich angriffsbereit, doch zögerte er noch. Es würde Opfer geben, wenn er Magie einsetzte, unschuldige Opfer. Selbst wenn er, Eikyuu und Taika gemeinsam zuschlugen, konnten sie nicht alle retten und zugleich sich selbst schützen, das war ihnen allen klar. Eikyuu brachte sich in eine stehende Position und bemühte sich, seine Empathie auszuschalten, was wegen mangelnder Übung kaum gelang. Als Magier war er, ganz wie sein Vater prophezeit hatte, zu offen für seine Umgebung. Taika zog Shisei zu sich und machte sich bereit zum Angriff, falls es dazu kommen sollte. Maris hielt sein Horn defensiv vor sich. Sie standen Rücken an Rücken unter den Balken des Galgens, an drei Seiten flankiert von Toten. Zwei hingen noch, die Drachengruppe war nicht dazu gekommen, sie abzunehmen. Beide Seiten warteten, dass etwas passierte. Die Slarivester lauerten auf ein Zeichen des Angriffs Seitens der Eindringlinge, diese wiederum gingen davon aus, dass jemand vortreten und sie zur Kapitulation auffordern würde. Eikyuu zählte grob die Sklaven, die von ihren Besitzern mit Waffen bedroht wurden. Allein in seinem Gesichtsfeld befanden sich gut zehn Personen, und er konnte auch hinter sich Angst von Sklaven und Entschlossenheit von ihren Herren spüren. Er wusste, dass niemand sich ihm anschließen würde, wenn er bewusst zuließ, dass es Tote gab. Nach endlosen Minuten tauchte ein korpulenter Mann aus dem Haus auf, in dem Kendra verschwunden war. „Wer von euch ist Eien? Seine Herrin bietet ihm an, sich zu ergeben, und er soll ihre Tochter mitbringen. Sie wird ihn dann nicht für das bestrafen, was zu Hause passiert ist.“ Eikyuu starrte den Kerl ungläubig an. Erst begriff er nicht, was gemeint war, doch dann ging ihm auf, dass Kendra einen Plan haben musste. Er wandte sich um und winkte Shisei zu sich. „Komm her, ich bringe dich zu Mami in Sicherheit,“ sagte er zu der Kleinen. Jemand anderes konnte ja mit Kendras Tochter nicht gemeint sein. Er nahm das Mädchen auf den Arm. „Verhaltet euch ruhig, bis ihr von mir hört. Val und Taika, tarnt eure Augenfarbe,“ flüsterte er den anderen zu. Er selbst legte den üblichen Schattenzauber auf seine Augen, der sie grau färbte. Dann ging er mit Shisei langsam auf das Haus zu. „Ich bin Eien. Ich ergebe mich.“ Blieb nur zu hoffen, dass er Kendra wirklich trauen konnte. *** Fortsetzung folgt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)