Mörderjagd im Lautersdörfle von abgemeldet (Mord auf Schwäbisch) ================================================================================ Kapitel 8: Das Rätsel um die verschwundene Leiche ------------------------------------------------- Teil 8: Das Rätsel um die verschwundene Leiche Warum hatte der Täter das gemacht? Warum hatte er die Leiche von Herrn Esserle verschwinden lassen? Und überhaupt beschäftigten mich auch noch andere Details, die mir schon aufgefallen waren, als ich zusammen mit Frau Kornmann die Hütte betreten hatte. Irgendetwas Merkwürdiges ging hier im Lautersdörfle vor... Ich wies Frau Kornmann an: "Rufen Sie sofort die anderen Mitglieder unsrer Reisegruppe zusammen. Sie sollen in einer Viertelstunde alle hier erscheinen. Ich warte solange und passe auf, dass hier nicht noch mal jemand eindringt." "Okay, werde ich machen." Frau Kornmann rannte aus der Hütte. Ich nutzte die Gelegenheit und nahm die Hütte genauer unter die Lupe: Das weiße Handtuch, auf das Herr Esserle gelegt wurde, war irgendwie verdächtig. Es war vollkommen glatt. Aber welcher Täter hätte sich die Mühe gemacht, das Handtuch nach dem Entfernen der Leiche wieder glatt zu streichen? Wohl eher keiner! Herr Esserle wurde also nicht über den Boden geschleift, sondern angehoben. Warum aber hätte sich der Täter die Mühe machen sollen, die Leiche anzuheben, wenn er sie doch problemlos über den Boden schleifen konnte? Wollte er etwa, dass das Handtuch nicht verknittert? Ein ordnungsliebender Mörder - eine eigenartige Vorstellung! Oder wollte er uns zeigen, dass er zu diesem Kraftakt in der Lage war? Es war mir unbegreiflich, warum jemand, der eine Leiche beseitigen wollte, diese ausgerechnet anhob oder gar das unter ihr befindliche Handtuch wieder glatt strich. Auf jeden Fall war klar, dass die Leiche auf dem Handtuch gelegen haben muss . Schließlich waren auf besagtem Handtuch Blutspuren, die von der Wunde an Herrn Esserles Hinterkopf ausgingen. War da nicht noch etwas? Ja, genau!, schoss es mir durch den Kopf. Die Vorhänge waren zugezogen. Sogar vor dem Fenster, über das der Täter in die Hütte eindrang und über welches er die Hütte auch wieder verließ, war der Vorhang zugezogen. Aber hätte ein Einbrecher die Vorhänge zugezogen? Angenommen, das Ganze diente nur der Vertuschung, damit keiner mitbekommen würde, dass sich jemand in der Hütte befand... Nein, das konnte nicht der Vertuschung des Einbruchs dienen, da der Täter dann in die Hütte einbrach, als alle anderen Mitglieder der Reisegruppe - na gut, zumindest fast alle - schliefen, als es geschah. Der Täter konnte davon ausgehen, dass ihn niemand bei dem Einbruch beobachten würde, warum also die Vorhänge zuziehen? Oder hat der Täter vielleicht die Vorhänge zugezogen, um zu vertuschen, dass es überhaupt einen Einbruch gab? Dann passte aber die verschwundene Leiche gar nicht ins Bild. Denn sobald jemand deren Verschwinden bemerkt hätte, wüsste jeder, dass hier ein Einbruch geschehen war. Und dann war da auch noch die unlogische Tatsache, dass der Täter die Leiche mitgenommen hatte. Das war darum unlogisch, weil wir die Leiche zuvor eingehend untersucht hatten. Wenn ein Mörder eine Leiche verschwinden lässt, tut er das aus dem einfachen Grund, weil er Spuren beseitigen will. Aber wir hatten schon nach der Entdeckung der Leiche alle Spuren gesichert; einen Grund, die Leiche später zu beseitigen, um Spuren zu verwischen, gab es also gar nicht. Und überhaupt: Die Tat war anfangs viel zu spektakulär, als dass der Täter später auf die Idee kommen konnte, die Leiche zu entfernen. Schließlich hing Herr Esserle tot am Dach von Hütte Nummer 57. Der Täter hatte uns den Toten quasi aufgedrängt. Da war es völlig unlogisch, dass er später die Leiche verschwinden ließ. Herr Orlow, der angeblich auf der Flucht war, hätte, wäre er der Mörder gewesen. nie so gehandelt. Eigentlich war dieser ganze Fall noch völlig unklar. Dieser Fall verlangte unkonventionelles Denken von mir. Es stimmte noch etwas weiteres nicht am Tatort. Doch mir fiel nicht ein, was es war... Als ich gerade versuchte, diese weitere Ungereimtheit ins Gedächtnis zu rufen, kam plötzlich wieder Frau Kornmann in die Hütte: "Ich hab's allen anderen Tourmitgliedern mitgeteilt, auch dem Reiseleiter. In fünf Minuten sind sie alle hier in Hütte 6." Frau Kornmann richtete darauf eine Frage an mich: "Aber sagen Sie mal: Glauben Sie noch immer, dass Herr Orlow der Mörder von meinem Ex- Verfahrensgegner Esserle war? Ich kann es irgendwie nicht glauben, dass er sich so verdächtig gemacht hätte. Wäre ich der Täter gewesen, hätte ich mich einfach wieder unter die anderen Verdächtigen gemischt und so getan, als wüsste ich von nichts. Warum also hätte er fliehen sollen? Schließlich hatte Herr Orlow doch keine sichtbare Spur an der Leiche oder sonst wo hinterlassen." Ich bejahte: "Da ist was dran. Ich hätte den guten Herrn Orlow anders eingeschätzt, irgendwie intelligenter, als man es uns weismachen will. Dumm sah der nämlich nicht gerade aus." Ich versuchte, Frau Kornmann gegenüber mein tatsächliches Wissen über Orlow, die Sache mit dem Korruptionsskandal, geheim zu halten. "Warum ist er also vor uns geflohen, wenn er sich doch einfach wieder unter die anderen Tourmitglieder mischen konnte, ohne großartig aufzufallen?" Frau Kornmann verwarf ihre Theorie wieder: "Vielleicht hat er es auch einfach nur mit der Panik zu tun bekommen, nachdem er den Mord an Herrn Esserle beging und hat die Kurve gekratzt, könnte doch sein. Ich meine, wenn jemand nach einem Mord flieht, hat das nicht mehr mit der Intelligenz einer Person zu tun, schon eher mit der psychischen Konstitution der betreffenden Person. Wenn Herr Orlow psychotisch veranlagt war, konnte er einen noch so gesunden Verstand haben, er wäre aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem abgehauen." "Ich habe von Frau Griebert auch so etwas in der Art gehört. Er soll ziemlich grobe Tics gehabt haben und andauernd in der Hütte, die er sich mit Frau Griebert teilte, herumgelaufen sein. Das wären jedenfalls ziemlich deutliche Anzeichen für eine Psychose." "Sie haben sich mit Frau Griebert unterhalten?" Frau Kornmann sah mich überrascht an. "Ja, oder haben Sie etwas dagegen?" "Nein, ich dachte mir nur, Sie könnten mir vielleicht sagen, ob es gerade diese Frau Griebert ist, die Ehefrau von meinem vor zwei Jahren verstorbenen Kollegen, Herrn Griebert aus der Buchhaltung. Ich hatte schon den Verdacht, als ihr Name aufgerufen wurde, hatte aber noch nicht die Gelegenheit, sie persönlich zu fragen. Hat sie Ihnen zufällig etwas von Herrn Griebert erzählt?" "Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erzählen darf." Ich erinnerte mich daran, dass ich Frau Griebert versprochen hatte, die Sache mit ihrem Ehemann geheim zu halten. Da aber Frau Kornmann ohnehin schon wusste, wie Herr Griebert zu Tode kam, und nur wissen wollte, ob es ausgerechnet die Ehefrau ihres Arbeitskollegen war, gab ich ihr eine Antwort auf ihre Frage: "Aber so gesehen: Sie wissen ja sowieso schon über Herrn Grieberts Tod Bescheid, von daher kann ich es Ihnen ja sagen: Frau Griebert hat mir erzählt, dass ihr Mann vor zwei Jahren in betrunkenem Zustand mit seinem Auto von der Klippe gestürzt ist. Also ist Frau Grieberts verstorbener Ehemann tatsächlich Ihr ehemaliger Arbeitskollege." "Danke, das war eigentlich alles, was ich wissen wollte." Frau Kornmann lächelte. "Aber sagen Sie bitte niemandem, dass ich Ihnen das gerade erzählt habe. Versprechen Sie es mir?" "Ja, machen Sie sich da keine Sorgen. Ich werde schon niemandem sagen, dass Sie mir gerade versichert haben, dass Herr Griebert, der vor zwei Jahren mit seinem Auto verunglückt ist, wirklich der Ehemann von Frau Griebert war, die sich in unserer Reisegruppe befindet. Außerdem bezieht sich mein Interesse weniger auf Frau Griebert, schon eher auf meine Freundin, die vor fünf Jahren gestorben ist. Ich wollte mich nur versichern." Wir brachen unser Gespräch ab, als wir bemerkten, dass Herr Riedling die Hütte betrat und sofort entsetzt fragte: "Was ist denn hier passiert? Warum ist die Glastüre kaputt? Waren Sie das etwa?" Frau Kornmann gab leicht beschämt zu: "Ja, wir haben die Türe leider eintreten müssen, um uns Zugang zur Hütte verschaffen zu können." "Aber warum haben Sie das überhaupt gemacht? Und was haben Sie eigentlich mit Herrn Esserles Leiche angestellt? Gestern haben wir den Leichnam in diese Hütte geschafft, wo ist er jetzt hin?" Ich erklärte: "Gerade das ist ja der Grund, warum wir in die Hütte mussten! Als Frau Kornmann zum Parkplatz ging, um etwas zu holen, was sie dort vergessen hatte, hat sie festgestellt, dass in diese Hütte eingebrochen wurde." Frau Kornmann bestätigte: "Ja, das Fenster war nämlich eingeschlagen. Darum war ich verunsichert - schließlich war in der Hütte die Leiche untergebracht - und habe Herrn Schmittchen geholt. Weil die Türe der Hütte nicht aufging, haben wir sie eingeschlagen. Und da mussten wir dann schließlich feststellen, dass die Leiche entfernt wurde." Herr Riedling fragte verunsichert: "Aber da hätten Sie doch nicht gleich die Türe einschlagen müssen. Warum haben Sie nicht einfach mich geholt? Ich habe schließlich den Schlüssel zu der Hütte." Mir fiel etwas ein: "Hat sonst noch jemand den Schlüssel? Gibt es einen Zweitschlüssel?" "Nein, es gibt keinen Zweitschlüssel. Nur ich besitze im Moment den Schlüssel und habe ihn auch sicher verwahrt, dass er nicht entwendet werden kann." Herr Riedling bestätigte meine Theorie mit dieser Aussage. Er war die einzige Person, die einen Schlüssel besaß, also war jede andere Person, die die Hütte betreten wollte, nicht in der Lage, die Hütte zu betreten. Somit stand für eine Person, die sich Zugang zu der Hütte verschaffen wollte, nur noch ein Weg fest: nämlich ein stilechter Einbruch. Der Täter war demnach eine Person, die keinen Schlüssel besaß, was auf eigentlich so ziemlich jeden zutraf, der in diesen Fall verwickelt war. Wenn man nach diesem Schema die Verdächtigen auswählte, ergaben sich als Tatverdächtige fünf Personen: Nämlich der Anwalt Gessmann, der Sensationsjournalist Huber, die Abteilungsleiterin Kornmann, die Witwe Griebert und zu guter Letzt auch der verschollene russische Politiker Pjotr Sorokin alias Kostja Orlow. Jede dieser fünf Personen war verdächtig. Und jede dieser fünf Personen war in der Lage, den Einbruch zu begehen. Aber war ich mit Frau Kornmann nicht die ganze Zeit über zusammen, bis wir den Einbruch registriert hatten? Sie hatte somit ein durchgehend perfektes Alibi, denn soweit ich mich entsinnen konnte, war das Loch vor meinem Treffen mit Frau Kornmann kurz nach Sonnenaufgang noch nicht in der Scheibe. Der Einbruch musste sich also während unserer Wanderung zu der Absturzstelle ereignet haben. Frau Kornmann kam aufgrund ihres perfekten Alibis also nicht für die Tat in Frage. Inzwischen war auch Herr Gessmann in die Hütte gekommen: "Was ischd denn hier g'scheha? Wurd hier etwa eig'brocha? Und überhaupt, wo ischd dr Herr Esserle nog'komma?" Ich entgegnete ihm: "Was denken Sie wohl, mit welcher Frage wir uns schon die ganze Zeit beschäftigen?" "Des war do nur a Frog. Se brauchet mi ned glei opflauma. Also, was ischd hier drinna passiert? I hab schließlich d' Leich vom Herrn Esserle hier herg'traga, do hab i au des Recht, z' wissa, was hier passiert ischd." "Ich hab keine Lust, das auch noch Ihnen zu erzählen. Lassen Sie sich das von Herrn Riedling erzählen und belästigen Sie nicht mich damit." Ich versuchte Herrn Gessmann ein Wenig zu provozieren, da er am Morgen schon wieder das gesamte Warmwasser aufgebraucht hatte und ich ein weiteres Mal eine kalte Dusche ertragen musste. Nun traf auch Frau Griebert in Hütte 6 ein und blickte irritiert drein und fragte mit einer ruhigen Stimme, die gleichzeitig aber auch einen depressiven Unterton hatte: "Das gibt es doch nicht! Was ist hier los?" Sie wandte sich augenblicklich an Herrn Riedling, der auch schon damit beschäftigt war, Herrn Gessmann zu erklären, was passiert ist. Irgendwie tat mir Herr Riedling Leid; erst geschah bei seiner inszenierten Mörderjagd ein Mord, dann wurden die Reifen seines Reisebusses zerstochen und jetzt musste er auch noch zwei Mitgliedern aus der Reisegruppe erklären, dass die Leiche verschwunden ist. Nun betrat auch Herr Huber den Ort der Verwüstung. Er ging sofort auf mich zu und fragte mich: "Das war nicht Herr Orlow, oder?" "Das kann ich nicht sagen. Es kann jeder gewesen sein, selbst Herr Orlow. Aber sowie Sie gerade gefragt haben, glaube ich, dass Sie aus irgendeinem Grund Herrn Orlow nicht als Täter in Betracht ziehen. Warum sind Sie sich da so sicher?" "Na, Herr Orlow hat ein Problem mit der Bandscheibe. Es ist ihm nicht zuzutrauen, dass er durch ein Fenster hier eingestiegen ist. Das wäre ihm bei seinem derzeitigen Gesundheitszustand gar nicht möglich gewesen. Das war er bestimmt nicht. Also ich glaube auf jeden Fall nicht, dass... oh!" Herr Huber senkte seinen Blick auf das blutige Handtuch. "Stimmt irgendetwas nicht?", fragte ich Herrn Huber, obwohl ich ziemlich genau wusste, was ihm aufgefallen war. Herr Huber deutete auf die Stelle, auf der ursprünglich der Tote lag: "Müsste hier nicht eigentlich Herrn Esserles Leiche liegen?" "Eigentlich schon. Aber so, wie es jetzt aussieht, ist jemand mit der Leiche abgehauen." "Na toll! Und was jetzt? Wie sollen wir das bitte der Polizei erklären, wenn wir die irgendwie kontaktieren können?" Ich zuckte mit den Schultern: "Vielleicht taucht die Leiche später auch wieder auf. Wir wissen ja nicht, was der Täter mit der Leiche vorhat. Aber wenn Herr Orlow wirklich einen Bandscheibenschaden hat, dann hieße das doch eigentlich, dass auch nicht in der Lage war, die Leiche zu transportieren." Herr Huber bestätigte: "So ist es. Am besten, wir streichen Herrn Orlow einfach mal von der Liste der Verdächtigen und finden uns damit ab, dass es die Tat eines Außenstehenden war." "Na, so leicht ist das auch wieder nicht. Es wäre doch genauso möglich, dass Sie gestern den Mord und heute den Einbruch begangen haben. Oder auch jede andere Person aus unserer kleinen Reisegruppe." Herr Huber fing zu lachen an: "Sollte ich wirklich der Täter gewesen sein, dann müssten sie es mir auch nachweisen können, nicht wahr? Aber ich war es nicht, das können Sie mir glauben. Oder denken Sie wirklich, ich würde den Verdacht auf Herrn Orlow schieben, den ich im Grunde vor der Russenmafia zu schützen versuche? Natürlich nicht!" Herr Huber entfernte sich von mir und sah sich in der Hütte um - er wollte entweder Beweise suchen oder Beweise beseitigen. Bei ihm konnte ich das schwer einschätzen, ob er nun der Täter war oder nicht. Er konnte es gewesen sein, konnte es aber auch genauso gut nicht gewesen sein. Nur überlegte ich nun, ob es eine so gute Idee war, Herrn Gessmann zu provozieren. Es war möglich, dass er nun überhaupt nicht mehr mit mir reden würde, was sich sehr gravierende auf weitere Verhöre durch mich auswirken konnte. Das erinnerte mich auch wieder an jenen Frankreichurlaub, bei dem ich meinen ersten Fall auf eigene Faust gelöst hatte. Damals hatte ich ein Problem mit einem der Verdächtigen, welchen ich beinahe so vergrault hätte, dass er nicht mehr mit mir gesprochen hätte. Aber irgendwann kommen alle Verdächtigen zum Verhör zurück. Auch wenn sie in das Zimmer stürmen, kurz nachdem einem fast ein Kronleuchter von der Decke auf den Kopf fällt. Ein Gutes hatte der Fall von damals dennoch. Der für den Fall zuständige Kommissar hatte mir ein Zitat mit auf den Weg gegeben. Wenn ich mich recht entsinne, ging es folgendermaßen: Die Gemeinsamkeit bei jedem Kriminalfall ist folgende: Es gibt immer einen Verantwortlichen! Allerdings hat er diesen Satz erst gesagt, als ich bewiesen hatte, dass der Tod des Surfers Pierre kein Badeunfall gewesen war, sondern Mord. Davor ging er wie die anderen Ermittler tatsächlich von einem simplen Badeunfall aus, bei dem ein Surfer versehentlich von einer Welle erfasst wurde und ertrank. Erst nach meinen kriminalistischen Kombinationen löste er sich von seiner inkorrekten Unfalltheorie und ließ sich von mir bei der Aufklärung des Falles unterstützen. Na gut, der Fall war damals um einiges leichter, da es nur drei Verdächtige gab und zwischen ihnen keine sonderlich komplizierten Vernetzungen. Der jetzige Fall war da schon anders: Es gab ziemlich viele Personen, die mit dem Fall in Verbindung gebracht werden konnten und die Beziehungen zwischen diesen Personen waren nicht gerade von der einfachen Sorte. Da gab es zum Beispiel die Beziehung zwischen Herrn Esserle und Herrn Gessmann, oder auch zwischen Herrn Orlow und Herrn Huber. Man konnte hier leicht die Übersicht verlieren, was ich möglichst zu verhindern versuchte. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, als ich plötzlich hinter mir eine schöne Frauenstimme vernahm: "Wir wollten uns doch noch über den Fall meiner Freundin auseinandersetzen, Sie erinnern sich doch noch, oder?" Es war die Stimme von Frau Kornmann, welche gerade hinter mir stand. Ich drehte mich zu ihr um und fragte leicht erschrocken: "Hm, was ist?" "Vorhin wollten wir doch nach einer plausiblen Lösung für den Fall meiner Freundin suchen, Sie erinnern sich doch bestimmt noch. Dummerweise ist aber jetzt die Sache mit dem Einbruch dazwischengekommen. Könnten wir das trotzdem später nachholen?" "Wie Sie meinen. Ich muss noch diesen Sturz von vorhin verarbeiten. Ich bin ja gerade noch einem Sturz in eine fünfzig Meter tiefe Schlucht entgangen. Gegen heute Nachmittag können wir ja versuchen, den Fall Ihrer Kollegin, Frau Kahler, aufzuklären." Natürlich war der knappe Sturz in die Schlucht nur eine Ausrede, damit ich das Gespräch mit Frau Kornmann ein wenig aufschieben konnte, um mich zuerst die Verhöre kümmern zu können. Eigentlich hatte ich diesen Sturz schon beinahe verdrängt, warum auch immer. "Ich kann warten, kein Problem. Nachher treffen wir uns in meiner Hütte; sie hat die Nummer..." "...51. Ich weiß schon, wo ich nachher dann hinmuss.", unterbrach ich Frau Kornmann, "Ach ja, mir kommt es langsam so vor, als ob Sie ein Gespür für Verbrechen hätten." Auf Frau Kornmanns Gesicht konnte ich ablesen, dass sie überrascht war. Sie fragte: "Wie kommen Sie denn auf diese Idee? Warum soll ich ein Gespür für Verbrechen haben?" "Na, Sie haben doch gestern die Leiche entdeckt und heute den Einbruch bemerkt. In beiden Fällen haben Sie uns auf die jeweiligen Verbrechen erst aufmerksam gemacht. Und es erstaunt mich auch sehr, dass Sie Herrn Esserles Leiche entdeckt haben." "Inwiefern erstaunt Sie das? Ich habe eben die Leiche entdeckt, was soll daran so besonders sein?" "Die Leiche hing hinter Hütte Nummer 57. Aber wenn um bei den von unserer Reisegruppe belegten Hütten von der einen Hütte zur anderen gehen möchte, kommt man nicht an Hütte 57 vorbei, erst recht nicht an der Rückseite der Hütte. Selbst wenn man zum Parkplatz will, kommt man nicht an der Hütte vorbei. Warum also haben Sie hinter der Hütte die Leiche entdeckt?" "Ach das meinen Sie. Ich erkläre Ihnen gerne, warum ich hinter die Hütte gegangen bin. Ich wollte eigentlich zum Parkplatz, habe aber plötzlich ein leises Geräusch, wie wenn etwas Hartes gegen Holz schlägt. Da wurde ich selbstverständlich skeptisch, habe hinter der Hütte nachgesehen und entdeckte schließlich die Leiche." "Wie glauben Sie, kam es zu dem Geräusch?" "Wahrscheinlich ein Windzug, der die Leiche gegen die Hütte gependelt hat; lang genug war das Seil ja. Hier oben auf der Schwäbischen Alb ist der Wind immer ziemlich stark. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass ein Windzug Herrn Esserles Leiche pendeln konnte, sodass das Geräusch entstand." "Ja, so ließe sich das eigentlich erklären. Trotzdem wundert es mich, dass Sie auch noch den Einbruch bemerkt haben." Frau Kornmann lächelte: "Aber für den Einbruch habe ich ein Alibi, und zwar ein vollkommen perfektes. Als ich mich mit Ihnen traf, war das Fenster noch ganz. Als wir jedoch ins Lautersdörfle zurückkamen, war das Fenster eingeschlagen. Ich war die ganze Zeit über mit Ihnen zusammen, und zwar weit weg von dem Ort des Einbruchs. Ich komme demnach nicht in Frage. Ich kann schließlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein." Ich sagte leicht beschämt: "Stimmt, Sie haben ein Alibi. Wir können Sie also getrost ausschließen. Kommen wir wieder zum Thema zurück. Wir sehen uns heute Nachmittag um wie viel Uhr?" "Wie wäre es mit 14.00 Uhr in Hütte Nummer 51?", schlug Frau Kornmann nach einem Blick auf die versilberte Armbanduhr an ihrem rechten Handgelenk vor. "Ja, das wäre ein guter Zeitpunkt. Also, wir sehen uns dann." "Gut, bis dann." Frau Kornmann verließ die Hütte und bedachte mich ein weiteres Mal mit einem Zwinkern. Langsam begann ich mich zu fragen, ob sie das ernst meinte oder nur Spaß machte. Außerdem fiel mir noch etwas an ihr auf: Frau Kornmann trug ihre Armbanduhr am rechten Handgelenk, war also Linkshänderin. Gab es nicht noch einen weiteren Linkshänder in unserer Reisegruppe? Aber ja doch! Das Mordopfer, Herr Esserle, war doch auch Linkshänder, wie ich schon bei der Schlüsselübergabe bei der Ankunft am Parkplatz festgestellt hatte. Hing das vielleicht mit diesem Fall zusammen? Ich verließ Hütte Nummer 6 mit einem Vorhaben: Ich musste die Tourmitglieder ein weiteres Mal verhören. Bei dem Einbruch in die Hütte hatte der Täter nämlich einige grobe Fehler begangen, die mich immer mehr daran glauben ließen, dass es ein Mitglied der Reisegruppe war, das für den Mord, den Einbruch und letztendlich auch für das Verschwinden der Leiche verantwortlich war. Denn wie heißt es so schön: Die Gemeinsamkeit bei jedem Kriminalfall ist folgende: Es gibt immer einen Verantwortlichen! Wird fortgesetzt... Würde mich wie immer über Kritik und Kommentare freuen ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)