Mörderjagd im Lautersdörfle von abgemeldet (Mord auf Schwäbisch) ================================================================================ Kapitel 7: Fünfzig Meter in den Tod ----------------------------------- Teil 7: Fünfzig Meter in den Tod Ich hatte mir meinen Abgang eigentlich ganz anders vorgestellt. Auf jeden Fall hatte ich meinen Tod nicht so geplant, wie es jetzt gekommen war - Nicht über einem fünfzig Meter tiefen Abgrund, mit einer Hand an der Kante. Ich wusste, dass ich mich nicht mehr lange an der Kante festhalten könnte. Frau Kornmann ging mit ernstem Blick auf mich zu. Sie kam näher, und da hatte ich einen Einfall: Sie muss die Täterin gewesen sein! Sonst hätte sie mich nicht herunter gestoßen. Wahrscheinlich hatte sie es auch bei Herrn Orlow so gemacht. Es wäre doch möglich gewesen, dass sie auch Herrn Orlow davon überzeugt hatte, am Tag zuvor mit ihr zu der Klippe zu wandern. Dann stieß sie ihn im passenden Moment in den fünfzig Meter tiefen Abgrund - die Illusion war perfekt: Jeder ging nun davon aus, dass Orlow auf der Flucht war. So hat sie es bestimmt gemacht! Doch ich befand mich in einer äußersten Notlage. Frau Kornmann ging mit langsamen Schritten auf mich zu. Ich wusste, sie hatte vor, mich umzubringen und es später wie einen Unfall aussehen zu lassen. Deswegen hatte sie auch die Wanderung in die frühen Morgenstunden verlegt; dann konnte sie nämlich wieder gemütlich zurück ins Lautersdörfle wandern und niemand hätte je ihre Abwesenheit bemerkt. Sie ging immer näher auf mich zu, immer näher... Bis sie schließlich vor meiner Hand stand, mit der ich mich gerade noch an der Kante festhalten konnte. Ich erwartete schon einen starken Tritt von einem ihrer Damenschuhe auf meine Hand, damit ich loslassen würde, doch entgegen meiner Erwartung hielt sie meinen Arm fest und zog mich mit einem starken Ruck hoch, sodass ich mich wieder auf festem Boden befand. Warum hat sie mich gerettet, wenn sie mich doch eigentlich herunter stoßen wollte? Sie keuchte: "Bei diesem Wind hier hochzugehen war doch keine so gute Idee. Das hätten wir nicht riskieren sollen. Sie wären beinahe hier abgestürzt." Ach so, der Wind! Jetzt fiel es mir wieder ein. Schon im Lautersdörfle war der Wind ziemlich stark. Klar, dass er in den Bergen noch viel stärker war. Meine hübsche Theorie war ab diesem Moment in sich zusammengebrochen; Frau Kornmann war nicht die Täterin! Es war jemand anderes! Aber wer? Ich stimmte Frau Kornmann zu: "Es war auch ziemlich leichtsinnig von uns, so früh morgens zu wandern. Aber ich war auch in gewisser Hinsicht schuld, weil ich mich nie so nahe an den Abgrund hätte stellen müssen." "Seien Sie froh, dass Sie nicht sonderlich schwer sind, sonst hätte ich Sie nämlich nicht hochziehen können. Dann würden Sie jetzt da unten liegen." "Könnten wir bitte nicht mehr darüber reden? Ich wäre gerade fast gestürzt, das ist mir genug für heute! Ein Indiz haben wir ja schließlich gefunden..." Frau Kornmann nickte: "Ja, das Pentobarbital . Man hat mir auch damals mitgeteilt, dass Frau Kahler eine ziemlich hohe Dosis eines Barbiturats intus hatte. Soweit ich das weiß, gehört auch Pentobarbital zu den Barbituraten. Nur leider beweist das nicht wirklich, dass das Tablettendöschen wirklich mit dem Fall meiner Freundin zu tun hat. Womöglich handelt es sich nur um Abfall, den irgendein Tourist hier hinterlassen hat..." "Nein, es ist kein Abfall. Ich glaube, das kann ich mit meinem minimalen kriminalistischen Spürsinn gerade noch beweisen. Wenn Sie mir also bitte das Tablettendöschen geben könnten?" "Na gut. Warten Sie einen Moment!" Frau Kornmann kramte in ihrer Tasche nach dem Tablettendöschen. "Da haben wir es ja! Nur sehe ich an dem Döschen keinen Anhaltspunkt für diesen Fall." "Dann öffnen Sie es doch mal, achten auf den Aufdruck mit der Anzahl der Tabletten und vergleichen es mit der Anzahl der Tabletten, die sich noch in dem Döschen befinden." Frau Kornmann las den Aufdruck durch: "In dem Döschen waren ursprünglich 20 Tabletten." Sie öffnete das Döschen, schüttete sich die Tabletten auf die Hand und zählte die Tabletten durch. "Das sind 17 Tabletten. Und was wollen Sie jetzt daraus ableiten?" Ich erklärte: "Wäre das Döschen tatsächlich Abfall, wäre es jetzt leer. Einleuchtend, oder? Und es ist auch logisch, dass ausgerechnet drei Tabletten hier fehlen." "Was soll daran logisch sein? Wäre es Selbstmord oder Mord gewesen, was wir ja noch immer nicht klären können, hätten deutlich mehr Tabletten fehlen müssen. Drei Tabletten reichen gerade mal aus, einen Menschen für einige Stunden zu betäuben. Das Opfer hätte viel mehr Tabletten aufnehmen können, egal ob es nun Mord oder Selbstmord war." "Dann versuchen Sie mal ohne Wasser mehr als drei Tabletten zu schlucken oder jemandem zu verabreichen. Wir befinden uns hier in den Bergen, ohne jeglichen Wasseranschluss. Hier oben mehr als drei Tabletten aufzunehmen ist vollkommen unmöglich." "Stimmt!", fiel Frau Kornmann ein, "Daran habe ich gar nicht gedacht. Der Punkt geht an Sie." Frau Kornmann bedachte mich mit einem Zwinkern. Ein Zwinkern? Oh Gott! Hieß das vielleicht, dass Frau Kornmann...? Eher nicht! Ich bat Frau Kornmann: "Könnten wir die Spurensuche bitte abschließen? Mir ist nämlich nicht gerade recht bei dem Gedanken, noch länger hier oben zu bleiben. Ich meine, ein Indiz haben wir schon gefunden - mit dem Tablettendöschen müssen wir uns vorerst zufrieden geben." "Wie Sie meinen." Frau Kornmann wirkte eher nicht so, als ob sie sich mit dem Indiz zufrieden gab. Dennoch stimmte sie mir zu, wieder zurück ins Lautersdörfle zurückzuwandern. Auf dem Weg zurück fing sie auf einmal an zu murmeln: "Haben Sie es auch gemerkt? Da waren Fußspuren, die auf das Grab zugingen." "Ich weiß. Jemand muss vor uns an dem Grab gewesen sein, und das vor nicht allzu langer Zeit. Jemand hat das Grab Ihrer Freundin besucht, warum auch immer." Frau Kornmann sprach mich nochmals auf das Tablettendöschen an: "Glauben Sie wirklich, das Döschen hat etwas mit dem Fall meiner Freundin zu tun? Ich meine, nur weil drei Tabletten fehlen, heißt das noch lange nicht, dass es mit dem Fall von damals zu tun hat. Es reicht einfach nicht aus." Ich überlegte: "Müsste nicht auf dem Tablettendöschen ein Verfallsdatum draufstehen? Wenn ich mich nicht irre, ist das Verfallsdatum im Dezember 2001, habe ich Recht?" Frau Kornmann schaute sich das Döschen ein weiteres Mal an und bestätigte meine Vermutung: "Ja, das Verfallsdatum ist im Dezember 2001. Wie sind sie darauf gekommen?" "Ich bin einfach davon ausgegangen, dass das Döschen verwendet wurde, um Frau Kahler zu betäuben. Die Tabletten müssten kurz vor dem Vorfall gekauft worden sein, also im Dezember 1999, sonst wären jetzt nicht mehr so viele in dem Döschen. Und bei Betäubungsmitteln in Tablettenform wird die Verfallszeit allgemein auf zwei Jahre geschätzt, also musste das Verfallsdatum im Dezember 2001 gewesen sein. Und da sich soeben meine Vermutung bestätigt hat, können wir davon ausgehen, dass das Tablettendöschen ein Bestandteil aus dem Fall um Frau Kahler ist." "Was glauben Sie?", fragte Frau Kornmann kurz und bündig, ohne jegliche Gefühlsregung, "Was vermuten Sie, steckt hinter dem Tod meiner Freundin? Haben Sie schon eine Vermutung, was die Todesumstände angeht?" Ich fing laut zu überlegen an: "Nehmen wir mal an, es wäre... Mord gewesen, dann... hätte einer der Augenzeugen gesehen, dass... jemand Frau Kahler herunter gestoßen hat. Was allerdings nicht der Fall war, da Frau Kahler angeblich alleine an dem Absturzort stand. Mord sollte man also eigentlich ausschließen können. Angenommen, es wäre... Selbstmord gewesen, hätte... Frau Kahler bei vollem Bewusstsein gewesen sein müssen. Da aber dem nicht so war, müsste auch ein Selbstmord auszuschließen sein. Sowohl eine Mord- als auch eine Selbstmordtheorie sind theoretisch in sich zusammengebrochen." Frau Kornmann fragte hektisch: "Wenn es weder Mord noch Selbstmord waren, was soll dann stattdessen in Frage kommen? Etwa ein Unfall?" "Nein, ein Unfall ist auch so gut wie ausgeschlossen. Die Menge des Schlafmittels war viel zu hoch für eine Einnahme zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich habe wirklich noch keine Ahnung, wie dieser Zwischenfall mit Frau Kahler zu erklären ist. Es kommen weder Mord noch Selbstmord noch Unfall in Frage. Also im Grunde genommen ist etwas passiert, was überhaupt nicht möglich war." "Das nennt man ein paradoxes Ereignis.", merkte Frau Kornmann an, "Ein Ereignis, das nicht geschehen kann, da es unmöglich ist. Kennen Sie zum Beispiel "Rendezvous mit einer Leiche" von Agatha Christie? Da kam doch auch ein interessantes Paradoxon vor. Ein Mann wird dabei beobachtet, wie er sich mit einer Frau unterhält, die auf einem Liegestuhl liegt. Wenig später sieht man, dass die Frau tot ist. Und die Todeszeit war zwei Stunden vor dem Gespräch, doch der Mann beteuert, dass die Frau noch gelebt hat, als er mit ihr gesprochen hat. Der einzige Unterschied ist, dass der Fall in diesem Krimi..." Ich unterbrach: "...eine Lösung hatte. Den Krimi habe ich auch gelesen. Nur hat unser Fall keine ersichtliche Lösung, wenn wir mal nicht von übernatürlichen Kräften ausgehen. Und im Zeitalter der Naturwissenschaften hat so etwas keinen Platz mehr." Frau Kornmann fing auf einmal laut zu lachen an: "Stellen Sie sich das mal vor: ein Geist, der mit Pentobarbital mordet. Lassen wir das besser!", sie hielt kurz inne und sprach in ernstem Ton weiter: "Ich glaube nicht, dass sich meine Freundin freuen würde, wenn ich jetzt diese pietätlosen Witze mache. Bleiben wir beim Thema! Wir haben bisher nur einen einzigen Anhaltspunkt in diesem Fall, nämlich das Tablettendöschen, das Sie vorhin gefunden haben." Ich hätte schon beinahe vergessen, dass wir nicht nur den Fall der Klippenspringerin zu lösen hatten, sondern auch den Fall um Herrn Esserle. Was hatten wir eigentlich in diesem Fall für Anhaltspunkte? Herr Esserle hätte den Mörder spielen sollen, während Herr Sorokin alias Herr Orlow die Rolle des Opfers bekommen hatte. Später wurde jedoch Herr Esserle ermordet und Herr Orlow ist spurlos verschwunden. Wenn man davon ausging, dass Herr Orlow verschwunden ist, weil er Herrn Esserle ermordet hatte, konnte man zu Recht davon ausgehen, dass ein Rollentausch stattgefunden hatte. Oder jemand ließ auf noch unbekannte Art und Weise Herrn Orlow verschwinden, um diesen Rollentausch vorzutäuschen. Warum aber hätte der Mörder das machen sollen? Er hätte jede mögliche Person aus der Reisegruppe verschwinden lassen können, warum also ausgerechnet das Opfer in der inszenierten Mörderjagd, damit alles auch wirklich aussieht wie ein Rollentausch zwischen Mörder und Opfer? In der Zeit meiner auf eigene Faust durchgeführten Ermittlungen im Fall Esserle habe ich bisher nur nicht-greifbare Indizien finden können, nichts Materielles also, nicht mal den Totschläger, mit dem Herr Esserle bewusstlos geschlagen wurde, damit ihn der Täter am Dach von Hütte 57 aufknüpfen konnte. So gesehen war dieser Fall also genauso unmöglich zu lösen gewesen wie der der Klippenspringerin, Frau Kahler. Aber eigentlich habe ich schon eine Menge herausgefunden. Ich ließ mir nochmals alle bisherigen Ergebnisse meiner Ermittlungen durch den Kopf gehen: Herr Gessmann vertrat das Mordopfer in dem Prozess um das verschwundene Firmenkonto, bei dem ein scheinbar dramatischer Prozesssieg für die Firma errungen wurde, bei der Frau Kornmann als Abteilungsleiterin angestellt war. Herr Gessmann sprach ziemlich abwegig von Frau Kornmann Teilnahme an dem Verfahren; wahrscheinlich war sie eine der Hauptpersonen in dem Prozess. Zudem schickte er die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts eines Betrugsversuches bei Frau Kornmanns Firma vorbei. Es war aber fraglich, ob Herr Gessmann der Täter war. Ich konnte mir schwer vorstellen, dass ein Anwalt seinen eigenen Mandanten umbringen würde. Als nächstes war da Herr Huber, der Herrn Orlow beziehungsweise Herrn Sorokin deckte, welcher auf der Flucht vor der Russenmafia war, die ihm seine Parteigenossen auf den Hals gehetzt hatten, weil herausgekommen war, das Herr Sorokin bestechlich war. Herr Huber schrieb für eine Skandalzeitung Artikel, um die Russenmafia auf eine falsche Fährte zu locken, was Herrn Sorokins Aufenthaltsort anging. Zudem war er die einzige Person, die mit Herrn Orlow zu tun hatte. Hatte etwa er die Möglichkeit, Herrn Orlow spurlos verschwinden zu lassen? Einerseits kannte er zwar Herrn Orlow, aber andererseits hatte er nichts mit Herrn Esserle zu tun. Man konnte noch nicht behaupten, dass er als Täter in Frage kam. Dann wäre da die depressive Frau Griebert, deren Mann vor zwei Jahren in betrunkenem Zustand mit seinem Auto von der Klippe abgestürzt ist, von der vor fünf Jahren auch die Klippenspringerin gestürzt ist. Jedoch bestand bei Frau Griebert weder ein Zusammenhang zu Herrn Esserle oder Herrn Orlow. Sie konnte man vorerst also auch ausschließen. Und zu guter Letzt stand auch Frau Kornmann auf der Liste der Verdächtigen. Schließlich war es das Firmenkonto ihrer Abteilung, das Herr Esserle vor fünf Jahren versehentlich verschoben hatte. Dazu konnte sie Herrn Esserle auch vor drei Tagen noch nicht leiden. Sie hätte ein Motiv gehabt, wenn auch ein sehr schwaches. Nur gab es bei dieser Theorie ein Problem: Frau Kornmann hatte absolut nichts mit Herrn Orlow zu tun, sie war dem jetzigen Erkenntnisstand nach als Verdächtige auch strittig. Selbst Herr Orlow, der verschwundene Hauptverdächtige, hatte kein Motiv, Herrn Esserle umzubringen, da sich die Beiden, soweit ich das wusste, nicht gekannt haben. Frau Kornmann versuchte sich selbst eine Theorie über die Klippenspringerin zu konstruieren: "Möglicherweise wurde sie betäubt und mit einer Schnur am Abgrund fixiert. Dann musste der Täter nur noch darauf warten, dass die Schnur reißt. Vielleicht hat man deswegen keine andere Person als Frau Kahler am Abgrund gesehen. Halten Sie diese Methode für möglich, Herr Schmittchen?" Ich erwiderte: "Unmöglich, dann hätte man damals irgendwo eine Schnur gefunden. Wäre wirklich eine Schnur zum Fixieren verwendet worden, hätte der Täter die Schnur um die Taille binden müssen. Die Schnur hätte man gefunden. Ihre Theorie ist zwar nicht schlecht, aber leider fehlerhaft. Bei der Methode hätte sich der Täter mindestens einmal dem Opfer am Abgrund nähern müssen und wäre gesehen worden. So kann es also nicht gewesen sein." "Und ich war mir wenigstens ein bisschen sicher. Aber jetzt, wo Sie das sagen, merke ich wieder, wie sehr wir doch im Dunkeln tappen." Frau Kornmann ächzte. Danach wanderten wir wortlos weiter, bis wir schließlich wieder das Lautersdörfle erreicht hatten und am Parkplatz standen. Frau Kornmann stellte ihre Handtasche ab und sah auf ihre Armbanduhr: "Gut, es ist erst 9.21 Uhr; die anderen Mitglieder der Reisegruppe schlafen noch. Keiner hat mitbekommen, dass wir weg waren. Könnten wir in meiner Hütte bitte weiter über den Fall diskutieren? Vielleicht kommen wir dann ja auf eine plausible Lösung zu dem Fall meiner Freundin und Angestellten." "Wenn Sie meinen..." Ich stimmte ihr zu; wenn ich ihr nämlich nicht zugestimmt hätte, hätte sie mich so oder so wieder davon überzeugt, ihr zu helfen. Ich war mir jedoch nicht wirklich sicher, ob uns eine Diskussion zu einer Lösung führen würde. Eher nicht! Wir liefen durch das Lautersdörfle zu Frau Kornmanns Hütte, Hütte Nummer 51. Als wir die Hälfte des Weges zu der Hütte gelaufen waren, blieb Frau Kornmann plötzlich stehen: "Mir fällt gerade ein, dass ich meine Tasche am Parkplatz stehengelassen habe. Ich muss noch mal zum Parkplatz. Gehen Sie solange zu meiner Hütte. Hier, der Schlüssel." Frau Kornmann zog den Hüttenschlüssel aus einer Tasche ihres Ledermantels und drückte ihn mir in die Hand. "Setzen Sie sich schon mal hin. Ich bin in höchstens zehn Minuten wieder da." Frau Kornmann rannte zurück zum Parkplatz, während ich mit dem Schlüssel in der Hand in die Richtung von Hütte 51 lief. Der Wind war im Lautersdörfle sehr viel schwächer als er es noch am Morgen war. Dafür hingegen schien der Schnee höher geworden zu sein. Der Himmel war stark bewölkt. Irgendwie empfand ich diese Szenerie als unheimlich, was sich dadurch verstärkte, dass ich nun alleine war. Dieser Ort schien nicht verheimlichen zu wollen, dass sich hier vor einem Tag ein Mord ereignet hatte. Ich ging durch den Schnee zu Hütte Nummer 51 und schloss mit Frau Kornmanns Schlüssel die Türe auf. Die Türe war sehr schwer zu öffnen und quietschte laut, als ich sie dann doch aufbekam. Ich setzte mich in die Küche. Dort auf dem Eichentisch stand ein Teller, auf dem ein Stück von einer Scheibe Toast lag. Frau Kornmann schien es ziemlich eilig heute morgen gehabt zu haben, sonst hätte sie den Toast ganz aufgegessen. Es war ihr also ziemlich wichtig, die Ermittlungen an der Klippe anzustellen. Was mich allerdings sehr beschäftigte, war das Augenzwinkern, mit dem mich Frau Kornmann bedachte, als ich meine relativ einfachen Schlussfolgerungen über das Tablettendöschen zum Besten gab. Welcher normale Mensch hätte so reagiert? Keiner! Mir schwirrten öfters ihre Worte durch den Kopf, die sie mir sagte, bevor wir den Abgrund erreicht hatten: Ich hatte nur noch geschäftliche Beziehungen, wie zum Beispiel die Chefs von anderen Betrieben oder die Angestellten aus meiner Abteilung. Aber das ist doch kein Leben, da werden Sie mir sicher zustimmen. Vielleicht sollte ich mir darüber keine großen Gedanken machen, dachte ich mir. Wäre auch zu komisch gewesen, wenn sich meine Vermutung bestätigt hätte, das ging mir als Nächstes zu der Sache durch den Kopf. Ich sollte mich während der Ermittlungen nicht von solchen Sachen ablenken lassen. Frau Kornmann war wirklich, wie sie es mir zuvor erzählt hatte, ziemlich durch den Wind. Ich schuldete ihr wirklich, den Fall der Klippenspringerin, Frau Kahler, aufzulösen und ihre Seele zu entlasten. Weg konnten wir sowieso vorerst nicht, weil irgendjemand die Autoreifen von Herrn Riedlings Kleinbus zerstochen hatte. Es sollte dem Zweck dienen, es aussehen zu lassen wie Herrn Orlows Tat, aber eigentlich hatte der wahre Täter damit bewiesen, dass Herr Orlow erst recht nicht für die Tat in Frage kam. Ich wusste zwar nicht, warum, aber ich hatte das im Gefühl. Auf einmal hetzte Frau Kornmann in die Hütte und schrie: "Hütte Nummer 6! Sehen Sie sich an, was da passiert ist!" "Aber was ist da passiert? Sagen Sie es mir!" "Keine Zeit für große Erklärungen. Kommen Sie mit und sehen Sie sich das an! Wenn ich es Ihnen erzähle, glauben Sie es mir sowieso nicht." Sie war deutlich aufgeregt und schwitzte trotz der tiefen Temperaturen. Was hatte sie so aufgeregt, das war hier die Frage... Sie rannte mit mir zu Hütte 6, in der, wenn mich meine Erinnerung nicht täuschte, die Leiche von Herrn Esserle untergebracht worden war. Irgendwie schien der Schnee wieder ein wenig höher geworden zu sein. Als wir schließlich bei der Hütte ankamen, fiel mir zunächst nicht Besonderes auf: "Ich bitte Sie, Frau Kornmann. Was soll denn hier passiert sein? Hatten Sie vielleicht eine Halluzination? Hier ist doch gar nichts." "Nein, aber schauen Sie sich mal das da hinten an, was da passiert ist!" Frau Kornmann führte mich hinter die Hütte. Ich sah sofort, was hier Sache war: Das verriegelte Fenster der Hütte war eingeschlagen worden. Der Vorhang, der vor dem Fenster hing, war zugeschoben worden. Was war hier passiert? Frau Kornmann führte mich wieder an die Türe der Hütte. Diese war verschlossen. Frau Kornmann wies mich hektisch an: "Schlagen Sie sofort die Türe ein! Irgendetwas muss hier geschehen sein." "Muss das sein? Ich meine, Herr Riedling hat doch die Schlüssel für die Hütte, warum also die Glastüre einschlagen?" "Machen Sie einfach, schnell!" "Na gut, auf Ihre Verantwortung." Ich schlug die Glastüre ein und öffnete sie. Die gesamte Inneneinrichtung der Hütte war verwüstet worden und alle Vorhänge zugezogen. Auf dem Boden lag ein weißes Handtuch auf dem einige kleine Blutspuren zu erkennen waren. Auf diesem Handtuch schien ursprünglich die Leiche gelegen zu haben. Doch wo war die Leiche jetzt? Herrn Esserles Leiche war verschwunden. Derjenige, der in die Hütte eingebrochen war, hatte die Leiche mitgenommen. Nur welche Beweggründe hatte der Täter, die Leiche verschwinden zu lassen, die sowieso schon längst untersucht worden war? Warum hätte der Täter Herrn Esserles Leiche verschwinden lassen sollen? Was hatte der Täter vor? Und die wichtigste Frage von allen: Was ging hier überhaupt vor? Wird fortgesetzt... Ich würde mich wie immer über Kritik und Kommentare freuen Hosted by Animexx e.V. 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