Angels fall first von abgemeldet ================================================================================ Westminster Abbey ----------------- ~ Angels fall first ~ First chapter - Westminster Abbey Hart wurde er zu Boden geschleudert. Alucard keuchte auf, als sämtliche Luft durch den Sturz aus seiner toten Lunge gepresst wurde. Für Sekunden ergab er sich ganz seinem Schmerz, fühlte, wie das Blut aus den Wunden pumpte, die sein Gegner bei ihrem erbitterten Kampf geschlagen hatte. Ein Gedanke drang wie eine Speerspitze durch die Schmerzwolke:*Das ist alles nicht richtig!* Verzweiflung. Irritation. Wut. Blitzen gleich flackerten sie in ihm empor. Der Vampir fuhr herum, als er spürte, das seine Wunden sich schloßen, doch waren seine Bewegungen bei weitem nicht so kraftvoll wie sonst. Feuer loderte in seinen Augen auf, Feuer, das von Schmerz und ungezügeltem Hass kündigte. Diese Augen warf er auf seinen Gegner, der wie ein apokalyptischer Schatten vor ihm aufragte. Alucard fühlte seinen Blick auf sich ruhen. Ein leises Klicken, ein bekanntes Klicken drang an sein Ohr und dann sah er den Lauf einer Waffe aufgleißen. Den Lauf seiner 454 Casull. "Du solltest besser auf deine kleinen Lieblinge achtgeben..." Die Stimme des Schattens war ein einziges tiefes Raunen in der Düsterniss die ihn umgab, doch er hörte ganz deutlich den Spott in ihnen. Alucard hatte nichteinmal bemerkt, das die Waffen während ihres Kampfes verschwunden waren. Jedenfalls im ersten Moment nicht, ebenso, wie er nicht gemerkt hatte, das dieser Fremde, dieses ... Ding, die ganze Zeit nur sein grausames Spiel mit ihm trieb. Alucard ballte die Fäuste und wollte aufspringen, doch binnen Sekundenbruchteilen war der Schatten zu ihm hinabgeglitten und presste ihm den Lauf seiner eigenen Waffe an die Stirn. Keine Armlänge trennte sie jetzt mehr und doch war das Gesicht hinter einem, sogar für seinen Blick, undurchdringlichen Schatten versteckt. Einzig die schwarzen Augen sah er wie Edelsteine in dem Schatten funkeln, dort, wo sich das Gesicht des Fremden befinden musste. Schwarze Edelsteine, die ihrer Form her den Augen von Schlangen glichen. "Shhht, kleiner Vampir."wieder dieses sanfte Raunen, es klang wie tausende, gebündelte Stimmen, die zu ihm flüsterten:"Ganz ruhig... Ich will dir nicht mehr weh tun, als es nötig ist..." ~oOo~ Die gleiche Nacht, ein paar Stunden früher... Sir Integra Wingates Hellsing betrachtete die vor ihr liegenden Fotos, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Auch Alucard verzog keine Miene. Er und sie hatten schon so viele zerfetzte Leichen, Blut und abgetrennte Körperteile gesehen, das es für zwei Leben reichte. Einzig Seras schien etwas mitgenommen von dem gräßlichen Anblick den die Bilder preisgaben. Alucard sah aus den Augenwinkeln, das sein Fräulein Polizistin ziemlich blass war und ihre Lippen zitterten. "Du wirst dich darum kümmern, Alucard."sagte Integra mit ruhiger aber trotzdem fester Stimme:"Es handelt sich offenbar um einen Einzigen von ihnen. Immer die gleiche, brutale Vorgehensweise. Dieses Monster macht sich einen Spaß daraus, seine Opfer bis aufs Blut zu quälen, bevor er sie umbringt. Und das meine ich wortwörtlich." Sie zog ruhig an einer Zigarre, blies den Rauch in die Luft. Hinter ihrer reflektierenden Brille waren ihre Augen nicht zu erkennnen. Alucard neigte den Kopf ein wenig, trat ein paar Schritte zurück und wollte durch einen Dimensionstunnel das Anwesen verlassen:"Er ist so gut wie erledigt..." "Und was ist mit mir? Ich begleite euch, Herr."Seras sah ihn beleidigt an. "Nein!"Integras Stimme wurde einen Hauch schärfer:"Alucard wird das alleine erledigen. Du bist noch nicht bereit für derartige Manöver." Seras rote Augen funkelten die blonde Frau wütend an:"Was soll das heißen 'noch nicht bereit' ?" Alucard lächelte leicht:"Ich muss Sir Integra recht geben, Fräulein Polizistin. Das nächste mal vielleicht ... Bis bald." Und damit verschwand er. ~oOo~ Der Schatten drückte mit dem Lauf seiner Casull gegen die Stirn, zwang den Vampir mit brutaler Kraft dazu, rückwärts zu Boden zu gehen. Ein Körper ruhte nun auf seinen Hüften, obwohl der Schatten immernoch so aussah, als bestünde er bloß aus dunklem, leichten Nebel. Alucard fletschte die Zähne, wollte sich aufbäumen und ihn von sich herabwerfen, doch eiskalte, große und erstaunlich lange Finger wickelten sich plötzlich um seine Kehle, drückten diese mit einer Grausamkeit zusammen, das jedem Sterblichen der Hals zerquetscht worden wäre. Der Vampir ächzte auf, griff nach der fremden Hand, dem dazugehörigen Arm um den harten Griff zu sprengen, aber das war ehr als sinnlos zu nennen. Dieses Wesen schien über Kräfte zu verfügen, gegen die seine eigenen geradezu lächerlich wirkten. Plötzlich war Alucard froh darüber, Seras bei Integra gelassen zu haben. Unwillkürlich fragte er sich, ob Integra geahnt hatte, was ihn hier in den uralten Mauern von Westminster erwartet hatte. Sofort verwarf er diesen Gedanken wieder. "Wer ... bist du?"presste der Vampir hervor, versuchte die Schmerzen zu ignorieren, sich auf das Geschehen zu konzentrieren. Der herb-süße Geruch seines Blutes stieg ihm in die Nase. Plötzliche Bilder durchzuckten ihn, bruchstückhafte Blitze der vergangenen Sekunden, Minuten. Er sah sich selbst, kampfbereit in der Westminster Abtei vor diesem Fremden, der nicht mehr als ein Schatten war, doch es kam ihm alles vor wie ein böser Traum, wie ein der Realität entrissener Fetzen. Den das alles hier konnte nicht wahr sein! Dann Bewegungen, verschwommen und unscharf, viel schneller als jeder dieser Freaks, gegen den er bis jetzt gekämpft hatte, schneller noch als er selbst!; und dann die Schläge, die ihn so völlig unerwartet und unvorbereitet trafen, seinen Körper mit Schmerzen bekannt machten, von denen er nichteinmal gewußt hatte, das er sie noch empfinden konnte. Und er sah sich wieder selbst, völlig hilflos diesem Wesen gegenüber, wurde zurückgeschleudert, ohne die kleinste Chance auf Gegenwehr, wurde zu Boden geworfen von diesem Shemen, als der ihm ohne Probleme die Casull entriss... In den feurigen Augen des Vampirs loderte neben dem Hass und ungezügeltem Zorn auch der Unglaube. Noch niemand hatte das fertiggebracht, was dieser Fremde in den wenigen Sekundenbruchteilen mit ihm angestellt hatte, niemand, nichteinmal Andersen. Ein Stöhnen entschlüpfte Alucards Lippen, als der Schatten den Lauf seiner Waffe wieder hart und brutal auf seine Stirn drückte, dieses Mal noch fester, sodass die weiße Haut des Vampirs von dem scharfen Ende des Silberlaufes regelrecht zerschnitten wurde. Alucard fühlte, wie ihm das Blut aus der Wunde quoll und über die Schläfen herablief. "Wer ich bin, fragst du, kleiner Vampir?"drang wieder diese raunende, flüsternde Stimme an sein Ohr und Alucard sah die schwarzen Schlangenaugen in dem Schattengesicht funkeln:"Doch du solltest dich eher fragen ... Was bin ich?" "Was du bist? Nichts weiter als ein Freak bist du, ein ganz gewöhnlicher Freak! Geh runter von mir!"fauchte Alucard zornig und bevor er reagieren konnte, zog ihm der Fremde den Lauf seiner Casull hart durchs' Gesicht. Der Mund des Vampirs füllte sich mit Blut. Er hatte sich auf die Zunge gebissen. Benommen setzte Alucard nocheinmal dazu an, sich zu wehren und den Anderen abzuwerfen, doch der Griff an seinem Hals verstärkte sich sosehr, das er aufstöhnte und der Lauf der Casull wurde wieder unbarmherzig in die bereits existierende Wunde auf seiner Stirn gebohrt. Immer mehr Blut quetschte der Fremde so daraus hervor. "Kleiner, dummer Vampir. Dir dürfte doch mittlerweile klar geworden sein, das ich weder gewöhnlich, noch deiner erbärmlichen Art zugehörig bin ... Allein für diese Beleidigung sollte ich dir deinen hübschen Hals zerfleischen." Alucard starrte ihn an:"Was redest du da? Was bist du, zur Hölle?" Ein dunkles, amüsiertes Lachen drang aus dem Schatten:"Zur Hölle ... ja, das trifft es so ungefähr." Es war, als würde er einen Schleier aus Dunkelheit von sich herabziehen, der ihn bis jetzt vor seinem Blick verborgen und in diesen undurchdringlichen Schatten gehüllt hatte. Alucard keuchte auf. Er sah einen jungen Mann, nicht älter als fünfundzwanzig Jahre, gekleidet in eine einfache schwarze Hose und ein Hemd, doch sein Gehirn war für Sekunden nicht in der Lage, das Bild, das die Sehnerven ihm übermittelten zu verarbeiten. "Noch nie... "flüsterte er leise und seine Stimme erstarb. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er ein Wesen von solch überirdischer Schönheit, von solch makelloser Reinheit gesehen. Das jugendliche, zart gezeichnete Gesicht wurde von schwarzen, schulterlangen Haaren sanft eingerahmt. Die weichen Strähnen schimmerten verführerisch in ihrer Makellosigkeit im Licht der Kerzen, wie geschaffen dazu, mit langen Fingern durch sie zu fahren und so ihr Lichterspiel zu teilen. Blasse Haut leuchtete Alucard geradezu entgegen. Die Lippen dieses wunderschönen Wesens waren voll, aber nicht zu weiblich, nein, sie waren ein Versprechen von unberührter, unschuldiger Süße. Der lange, elfenbeinfarbene Hals schrie geradezu danach, das Zähne sich leidenschaftlich in ihm versanken, um das schillernde Blut darunter zu sich zu nehmen. Doch als Alucard in die schlangenartigen Augen des Mannes sah, schien etwas in ihm zu verbrennen. Er stöhnte auf, doch er konnte seinen Blick nicht abwenden. Diese Augen... sie waren älter als jedes Wesen, das Alucard jemals gesehen hatte, älter noch als er selbst, älter als die Nächte Roms und Konstantinopels, als der Fall Babylons und die Sünden Gomorrahs. Die Seele, die durch diese Augen blickte war uralt, sie hatte Äonen vorüberziehen, Reiche aus dem Nichts entstehen und wieder zu Staub zerfallen sehen ... und sie war böse. Daran gab es keinen Zweifel. So rein und engelhaft der junge Mann über ihm auch aussah, so abgrundtief waren seine Augen, sie schienen kleine Fenster zu sein, die geradewegs in die dunkelsten Winkel der Hölle zeigten. Der Fremde sah seinen gebannten, gefesselten Blick. Ein Schmunzeln zierte für Sekundenbruchteile die hübschen Lippen und in Alucard stieg unwillkürlich das brennende Verlangen auf, dieses göttliche Lächeln nocheinmal zu sehen um sich in dem Anblick verlieren dürfen. "Keine Sorge, kleiner Vampir... Du bist nicht der Einzige, dem es bei meinem ersten Anblick so geht." "Was bist du? Antworte mir endlich!"Alucard hörte, wie seine Stimme zitterte. Der junge Mann beugte sich zu ihm herab, ohne seinen Griff um Alucards Hals zu lösen oder die Casull fortzunehmen. Der Vampir spürte, wie ein eisiger Schauer seinen Rücken herablief, als sich die Augen ihm entgegensenkten. Alle Schmerzen schienen plötzlich zu verschwinden, jedes Gefühl, jeder klare Gedanke schien zu verschwimmen, während sich Alucard in diesen Augen und in dem intenstiven, süßen und so verdammt verführerischem Geruch des jungen Mannes verlor. Der Fremde musterte ihn kurz und eindringlich, er war jetzt so nah, das sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Alucard bemerkte nur am Rand, das er keinen Atem, weder lebendig noch untot, auf seiner Haut spüren konnte. Alles war völlig nebensächlich geworden. Der Andere beugte sich das letzte Stück vor, seine Augen schienen vor Vorfreude zu schillern und dann fühlte der Vampir, wie eine weiche, warme Zunge das Blut von seiner rechten Schläfe leckte. Alucard konnte nicht anders, ein Stöhnen schlüpfte durch seine halbgeöffneten Lippen. Warum wehrte er sich nicht? Er wusste es nicht... konnte es nicht. Die Zunge wanderte tiefer an seinem Hals, hinterließ eine feuchte Spur auf der empfindlichen Haut. Kurz hielt der Andere inne, als er die Stelle erreicht hatte, unter der Alucards' Halsschlagader verlief. "Ich bin dein Schicksal, Alucard..."hörte der Vampir noch:"Ich bin Gabriel." Dann gruben sich messerscharfe Zähne unerbittlich in seinen Hals, sodass das rote Blut hervorspritze. Die Schatten um sie herum schienen aufzulodern, in grellen Feuerblitzen zu zerbersten. Alucard schrie auf, doch der Schrei ging in dem dröhnenden Geräusch unter, das mit dem Biss einem Sturm gleich über sie kam. Schmerz durchzuckte ihn wie ein Kugelblitz und schien in seinem Kopf zu explodieren. Der Blutverlusst ließ ihn am ganzen Leib zittern. Er spürte noch, wie der Andere seinen Griff verstärkte, ihn vom Boden emporriß und diese Zähne noch tiefer in sein Fleisch grub, doch dann fiel er in die gnädige, dunkle Umarmung der Ohnmacht. ~oOo~ Langsam betrat er die heiligen Hallen der Westminster Abtei. Um diese Uhrzeit war niemand hier, jedenfalls kein Sterblicher. Andersen sah sich in dem verwüsteten Kirchenschiff um. Na, da würden sich die Zeitungen morgen wieder mit Sensationsmeldungen überschlagen. Das sein lieber Vampirfreund aber auch nie ohne diesen gewaltigen Tamtam auskam, wenn er seine Arbeit erledigte. Der blonde Mann knurrte geringschätzig. Und er hatte ihn schon wieder verpasst. Wie es schien, war hier schon alles vorüber. Er wollte sich umdrehen und die Abtei verlassen, als sein Fuß plötzlich gegen etwas stieß, etwas Metallisches. Er sah herunter und seine Augen weiteten sich erstaunt. Eine 454 Casull, die silberne Waffe seines größten Feindes. Er hob die Waffe auf. Das Magazin war fast leergeschossen. Aber wieso lag sie hier so herum? Alucard würde doch niemals... Erstaunt wandte sich Andersen wieder um. Ein dumpfes Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen. Eine Vorahnung? Langsamen Schrittes ging er durch den Mittelgang, blickte immer wieder zwischen die zerschlagenen Bänke. Die steinerne Treppe, die zum Altar emporführte war schließlich nur noch vier Meter entfernt, Andersen sah erneut zur Seite ... und erstarrte. Eine gewaltige Blutlache hatte sich um die Gestalt gebildet, die regungslos, mit geschlossenen Augen am Boden rechts vor dem Altar lag. Etwas hatte ihm den Mantel und das Hemd vom Leib gerissen, ebenso wie der Hut und die rote Sonnenbrille, die allesamt nirgends zu entdecken waren. Seine normalerweise schwarz schimmernden Haare hatten sich in weiße Strähnen verwandelt, die blasse Haut auf der entlößten, mit Blut beschmierten Brust, an den sehnigen Armen, im Gesicht war noch blasser geworden, schien beinahe durchsichtig und so zart wie dünnes Papier, das bei der ersten unachtsamen Berührung reißen konnte. Die sonst immer zu einem hämischen Grinsen verzerrten Lippen waren halbgeöffnet, eingetrocknete Blutspuren zeichneten sich an ihnen ab. Andersen trat einen Schritt zurück, verwirrt, geschockt, als sein Blick auf die gewaltige Wunde fiel, die den langen Hals des Vampirs zierte. Es sah aus, als hätte ein wildes Tier mit gewaltigem Maul und langen Zähnen sein grausames Mahl gehalten. "Alucard..." Was im Namen der Mutter Gottes war hier geschehen? Entgegen seinem sonstigen Verhalten ließ ihn sich dieser unerwartete Anblick nicht so leicht beruhigen, zögerlich, fast schon stockend schritt Andersen auf den Körper zu, kniete bei ihm nieder. Der Vampir war nicht tot, sonst wäre er zu Staub zerfallen. Ein Funken Unleben musste noch in ihm sein, auch wenn er so weiß wie eine Leiche war, ohne die rote Wärme des fremden Blutes in seinen untoten Adern. Etwas hatte ihm diese Wärme gestohlen. Und zwar etwas, das sogar Alucard besiegt und überwältigt hatte. Etwas, das ihn jedoch nicht hatte töten wollen. Andersen schluckte. Seine Hand zuckte zu einem seiner Schwerter. Das war die beste Gelegenheit. Ein Sirren erklang, als die Klinge die Luft zerschnitt. Langsam führte er den silbrigen Stahl an die völlig zerfetzte Kehle seines Todfeindes. Und verharrte dort. Sekunden zogen sich quälend in die Länge. Warum tat er es nicht? Es war so einfach! Andersen schloß die Augen, seine Hand krampfte sich um den Schwertgriff, zitterte kaum merklich, als er sich dazu zwingen wollte, den vernichtenden Akt zu vollführen. Und dann zog er die Waffe wieder zurück. *Genau deshalb kann ich es nicht. Es ist zu einfach...* Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er die Waffe wieder fortsteckte. Ohne mit der Wimper zu zucken griff er unter den regungslosen Körper, eine Hand unter die Arme des Vampirs, die Andere unter dessen Kniekehlen und hob ihn hoch. Kurz war der Paladin erstaunt darüber, wie leicht der lange Körper des Vampirs doch war, schob das aber auf den immensen Blutverlust. Alucards Kopf fiel haltlos gegen seine Brust. Dunkelrotes Blut sog sich sofort in seine weiße Kleidung, aber Andersen achtete nicht darauf. "Ich bekomme dich noch, Alucard... Aber nur in einem offenen Kampf. So leicht werde ich dich nicht von deinem Leid erlösen."flüsterte Andersen und verließ dann die entweihte Kirche um mit seiner Last im Dunkeln zu verschwinden. Das er dabei von schwarzen, schimmernden Augen beobachtet wurde, bemerkte er nicht. ~oOo~ Dunkelheit ---------- Danke für eure lieben Kommentare! Viel Spaß weiterhin! °°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°° Second Chapter - Dunkelheit Integra zerdrückte die Zigarre mit leicht zitternden Händen. In Gedanken scholt sie sich selbst dafür. Es gab keinen Grund, sich selbst so verrückt zu machen. Dann brauchte Alucard eben etwas länger für den Auftrag als gewöhnlich. Vielleicht war ihm auch etwas dazwischengekommen. Oder er hatte sich bloß nach Beendigung seiner Arbeit auf einen Streifzug durch das nächtliche London begeben. Was wusste sie schon? Es gab tausend gute Gründe, aus denen er noch nicht aufgetaucht war, aber keinen um sich Sorgen zu machen... Ein spitzer, entsetzer Schrei ließ sie hochfahren. "Seras!" Binnen Sekunden war sie aus ihrem Büro und auf dem Außengang. Der Schrei war aus dem Foyer gekommen. Sie lief los. Aus den Augenwinkeln sah sie Walter, der hinter ihr herkam, er hatte den Schrei auch gehört. Oben am Treppenansatz blieb sie wie eine aus Erz gegossene Statur stehen, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Walter hinter ihr keuchte leise auf. Seras hockte bei der blutbeschmierten Gestalt am Boden, Tränen rannen ihr haltlos über das Gesicht, während sie Alucards Kopf mit den schneeweißen Haaren in ihren Händen hielt, sanft über die blasse Wange streichelte. Ihr Meister reagierte nicht. Die gewaltige Wunde am Hals war schon fast schwarz, so tief und voll geronnenen Blutes war sie. Integra hatte das Gefühl, man hätte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie konnte sich nicht rühren, keinen einzigen klaren Gedanken fassen, während sich dieses grauenhafte Bild für immer in ihre Netzhäute brannte. Etwas in ihr schien zu zerbrechen und ihre Lippen zitterten:"Alucard... Oh Gott, nein..." ~oOo~ Andersen sah nicht zurück zum Hellsing-Anwesen, als er die Kupplung trat, den fünften Gang einlegte und den schwarzen BMW Z3 in Spitzengeschwindigkeit um die nächsten Kurve schlittern ließ. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, das diese Protestantenhunde ihn wohlmöglich noch entdecken würden. In das Haus reinzukommen war nicht gerade leicht gewesen, vor allem nicht mit dem bewußtlosen Vampir auf den Armen. Alucard hatte sich den ganzen Weg über nicht gerührt und ein paar Mal hatte der Paladin erwartet, das sein Erzfeind sich vor seinen Augen einfach in ein Häufchen Asche verwandeln würde. Doch der Fall war nicht eingetreten. Alucard war eben doch zäher, als er gedacht hatte. Andersen knirschte mit den Zähnen, als sein Pflichtgefühl plötzlich ausholte, und ihm einen Schlag in den Magen verpasste. "Verflucht!"murrte er. Warum, in aller Herrgotsnamen hatte er das getan? Er hatte gerade einem Vampir geholfen! Nein, nicht einem Vampir, sondern diesem Vampir, diesem Hundesohn, den er schon seit so langer Zeit jagte wie einen streunenden Köter. Er hatte die beste Gelegenheit vertan, ihn endlich aus dem Weg zu räumen... Der blonde Mann seufzte leise. Er wusste schon, warum er das getan hatte. Weil er den Sieg nicht so leicht davontragen wollte, weil es feige, hinterhältig und unehrenhaft gewesen wäre. Und irgendwie seinem Feind gegenüber einfach nur erbärmlich. Und er wusste auch, das es aus dieser Sicht das Richtige gewesen war. Aber jetzt, in diesem Augenblick haßte er sich dafür. Und nicht nur er... Maxwell würde ihm mit Sicherheit das Fegefeuer, Lucifer und alle Teufel und Qualen der Hölle an den Hals wünschen, wenn er davon erführe. Wenn er Glück hatte, würde der Leiter von Iskariot ihn nur bei lebendigem Leib häuten, aufspießen, schön braun rösten und den Ratten zum Fraß vorwerfen. Er konnte das irre Lachen Enricos' dabei schon hören... Gequält grinsend verzog er das Gesicht. Er hielt den Wagen an, stieg aus und atmete die kühle Nachtluft ein. Die großen Blutflecken auf seiner Kleidung waren immernoch nicht eingetrocknet und Andersen fühlte, wie es vom Wind gekühlt wurde. Er hatte den Z3 auf einer der Brücken gehalten, die zu dutzenden über die Themse führten und jetzt schritt der Paladin langsam zum Geländer, um sich darauf abzustützen und in das schwarze Wasser herabzublicken. Schon die ganze Zeit ging ihm noch ein weiterer, quälender Gedanke im Kopf herum. Wer oder was war in der Lage, seinem sonst immer so starken Erzfeind solche Wunden zuzufügen, ihn so zuzurichten? Irgendwas stimmte hier doch nicht, den das Alucard einen akkuten Schwächeanfall erlitten hatte und ein paar gewöhnlichen Exemplaren seiner verkommenen Art unterlegen gewesen war, daran konnte und wollte Alexander nicht glauben. Irgendetwas ging hier vor, und er musste wissen, was. Ein spitzbübisches Lächeln stahl sich in seine Züge. Jetzt hatte er seine Ausrede vor Maxwell. Der Vampir war schließlich der Einzige, der seinen Peiniger gesehen hatte. Er allein konnte dieses Rätsel lösen, nur aus diesem banalen Grund hatte Andersen ihn retten müssen, um jede eventuelle Gefahr für den Orden bereits im Vorraus zu erkennen. Ja, das klang gut. So würde er es machen, so hatte er wenigstens eine kleine Chance darauf, das man ihm nicht auf der Stelle den Kopf abriss und in heißem Öl siedete. "Hallo, du Hübscher..."erklang plötzlich eine schnarrende Stimme von rechts. Andersen stöhnte innerlich auf und das Grinsen verschwand schlagartig. Auch das noch... "Na, so ganz alleine unterwegs in dieser kalten Nacht?" Der Paladin sah zur Seite, ohne sich wirklich umzudrehen und warf einen eisigen Blick auf die zwei knapp bekleideten Prostituierten, die sich ihm genähert hatten. Die schienen die Todesdrohung in seinen Augen nicht zu sehen, sie torkelten eher noch näher und die Jüngere von Ihnen, Andersen schätzte sie auf nichteinmal siebzehn Jahre, lehnte sich schwankend neben ihm an das Geländer. Ihre Lippen waren widerlich rot geschminkt. Allein der penetrante Alkoholgeruch, den sie verströmte, hätte ausgereicht, ihn binnen wenigen Minuten betrunken zu machen. Angeekelt wich der Paladin zurück und achtete nicht mehr auf ihre Gesichter, ohne zu merken, das er damit einen tödlichen Fehler beging. Er wollte diese Huren in jenem Moment einfach nicht ansehen. "Hey, du hübscher Kerl..."Mit einer fahrigen Handbewegung wollte die Jüngere nach ihm greifen, doch sie verfehlte seinen Arm. Sie kicherte:"Hast du etwa Angst vor uns? Ein so großer, starker Typ wie du?..." "Verschwindet!"knurrte Andersen geringschätzig und er umfasste die Kreuzkette, sodass die Frauen das heilige Symbol sehen und seinen Status als Mann der Kirche erkennen mussten:"Ich bin der Letzte, der eure Dienstleistung benötigt." "Oh, sieh' mal, unser Hübscher ist ein kleiner Priester..."lachte jetzt die andere mit einer rauchigen, über die Maßen lasziven Stimme. Ihre gefärbten, roten Haare im Licht der Laternen schimmerten schmutzig, sie saß bereits frech auf der Motorhabe seines Wagens, schlug die Beine übereinander, wohlwissend, das dabei ihr ohnehin schon knapper Rock noch höher rutschte und die kritische Zone bei weitem überschritt:"Ja, ja, zuerst seit ihr immer so zu uns. Aber auch ihr seid nichts weiter als ganz gewöhnliche Männer, wenn ihr ersteinmal unsere ... Lippen gekostet habt, bekommt ihr nicht genug davon..." Andersen brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht seine Schwerter herauszureißen, und die zwei an Ort und Stelle zu massakrieren. Wie konnten diese sündigen, verkommenen Kreaturen es wagen, ihn auch nur anzusprechen?! Die Jüngere rutschte wieder näher und ehe der blonde Mann reagieren konnte, hing sie an seinem Arm, betatschte ihn dreist und machte sich an seinem Kragen zu schaffen. "Fass mich nicht an, du elende Hure!"knurrte Alexander voller Zorn und wollte sie grob wegschubsen, als er im letzten Moment ihre roten Augen, die langen, gebleckten Zähne aufflackern sah, die sich in seinen Hals bohren wollten. Ein Fauchen erklang vom Wagen her, als die andere Vampirin sich auf ihn stürzte. Alexander schlug zuerst die Jüngere von seinem Hals fort, wirbelte herum und wich so der Größeren aus, die statt auf ihn, auf das Geländer sprang wie eine wilde Raubkatze. Binnen Sekundenbruchteilen hatte der Paladin seine Waffen in den Händen und war kampfbereit. Er verfluchte sich innerlich selbst. Er hatte sich noch nie so ablenken lassen, so sehr, das er nichteinmal erkannt hatte, welchen Wesen er gegenüberstand. Was war denn los mit ihm? Seine grünen Augen funkelten im gelben Licht der Laternen, als er seiner Wut freien Lauf ließ und diese gottlosen Kreaturen in das ewige Fegefeuer schickte. ~oOo~ Der volle Mond stand am Himmel wie eine giftige Spinne im Netz aus Wolkenschleiern. Sanft zerzauste der Wind seine schwarzen Haare, während er auf die Skyline von London herablickte. Auf seinen Lippen schmeckte er immernoch das süße Blut dieses Vampirs. So etwas köstliches hatte er schon lange nicht mehr genossen. Genau das war es gewesen, was er gebraucht hatte, um seinen Körper, der jedweder Flüssigkeit Jahrhunderte entbehrt hatte, wieder vollständig zu regenerieren, frisches Vampirblut. Diese Menschen, die er davor getötet und ausgesaugt hatte waren im Vergleich zu diesem schillernden Trunk voll untoten Lebens geradezu lächerlich. Jener Vampir war wirklich etwas besonderes gewesen. Nur altes, gereiftes Blut schmeckte so vorzüglich, wie ein kostbarer, lange gelagerter Wein. Seine Augen glitzerten zufrieden, als sein Blick über die Stadt schweifte. Die Welt hatte sich wiedereinmal geändert. Alles war so neu, roch so frisch, die einsamen Nächte waren wie geschaffen für ihn, Einladungen, die er gerne annahm. Seine Augen richteten sich auf den Himmel. Wie lange war es jetzt her, das er die flackernden Sternenbilder über ihm das letzte Mal gesehen hatte? Er wusste es nicht genau, hatte sich noch nicht so eingehend damit befasst, was alles geschehen war während seines Schlafes, doch er schätze, das etwa siebenhundert Jahre vergangen waren. Siebenhundert Jahre, in denen er nur geruht hatte, dumpf und ohne Empfindungen in einer alles verschlingenden Schwärze. Doch jetzt war er wieder erwacht, dank ein paar unwissenden Menschen, die er mit einem schnellen Tod belohnt hatte. Die Nächte gehörten wieder ihm. Und niemand würde sie ihm diesmal nehmen. Er leckte sich nocheinmal über die Lippen. Langsam verwandelte sich die herbe Süße dort in eine blasse, schöne Erinnerung und bereits jetzt spürte er, wie der Durst erneut an ihm nagte. Aber es gab noch genug, genug Leben in diesen Nächten für ihn. Er erinnerte sich an den blonden Priester, der seinen dummen Vampir mitgenommen hatte und ein schwarzes Lächeln stahl sich auf seine Züge. Schlangenaugen flackerten im Mondlicht, er lachte auf, ein Lachen, bei dem sich die Dunkelheit um die schmale Gestalt herum zu verdichten schien und lebendig wurde. ~oOo~ "Wie geht es ihm?"Sie stand am Fenster und blickte hinaus in den trüben, nebelverhangenen Tag. Der Rauch der Zigarre formte die absonderlichsten Figuren in der Luft. "Er erholt sich langsam, Sir Integra. Der Blutverluss war immens, die Wunden sehr tief, es wird einige Zeit dauern, bis er sich wieder vollständig regeneriert hat. Er ist immernoch nicht über die kritische Phase hinweg ... Außerdem..." Sie fuhr herum:"Was 'außerdem' ?" Der Arzt sah auf. In seinen Augen schimmerten Verwirrungen und Zweifel. "Ihm wurde eine Substanz injeziert. Eine uns völlig unbekanntes, organisches Serum, das den Heilungsprozess verlangsamt. Ohne diese Substanz wäre er wohl schon längst wieder wohlauf, doch es behindert außerdem die den Vampiren naturgemäße Eigenschaft, getrunkenes Blut zur Regeneration zu benutzen." Sir Integra ging auf den Arzt zu:"Was wissen wir darüber?" "Nicht viel. Es ist uns gelungen, winzige Proben davon zu nehmen, die gerade in unseren forensischen Laboren untersucht werden. Hauptsächlich stammen diese Proben aus der Halswunde. Diese Substanz muss sich im Speichel der Kreatur befunden haben, die Alucard gebissen hat. Das heißt, sollten wir sie identifizieren können, hätten wir einen Hinweis darauf, wer das getan hat." Sir Integra schüttelte unmerklich den Kopf:"Das glaube ich nicht... Es gibt kein Wesen auf dieser Erde, das Alucard gefährlich werden oder ihn derartig zurichten könnte, jedenfalls keines das wir kennen. Sie werden keine passenden Gegenstücke zu ihren Proben finden... Dennoch sollten sie die Untersuchung fortführen. Ich will wissen, was dieses Zeug mit meinem Vampir anrichtet." Sie seufzte leise... Schon wieder war es ihr passiert. In letzter Zeit immer häufiger. Sie hatte Alucard als ihr Eigentum betitelt. Was war nur los mit ihr? Er war doch kein Hund, den man an die Leine nehmen konnte. Sie musste besser darauf aufpassen, was sie dachte, wenn sie einen handfesten Streit mit ihm vermeiden wollte. Sie schluckte. Wenn es denn noch dazu kommen würde, das sie jemals wieder mit ihm sprach. "Wissen wir schon, wer ihn hierhergebracht hat?" Walter schüttelte den Kopf:"Nein. Es gibt keinerlei Hinweise darauf. Seras Viktoria fand ihn im Foyer und seine Blutspuren konnten wir durch den Garten bis zur Straße zurückverfolgen. Jemand muss ihn mit einem Wagen hergebracht, hier heraufgeschleppt und im Foyer abgelegt haben. Bis jetzt wissen wir auch noch nicht, wie er hier eindringen konnte, ohne das die Wachen oder die Alarmanlagen reagierten." Sie nickte:"Ich möchte, das sie-" Die Türe wurde aufgerissen. Alle Anwesenden fuhren herum und sahen eine erregte, schnell atmende Seras im Rahmen stehen, deren Wangen leicht gerötet waren:"Er ist aufgewacht! Er will sie sehen, Sir Integra! Kommen sie, schnell!" ~oOo~ Integra konnte sich nicht daran erinnern, den Weg von ihrem Büro bis zum Lazarett jemals in so halsbrecherischer Geschwindigkeit zurückgelegt zu haben. Binnen weniger Minuten erreichte sie mit rasendem Puls, erhitzen Wangen und schwer atmend das Krankenzimmer, in welchem sie Alucard notdürftig untergebracht hatten, nachdem es ihnen mithilfe schwerer Vorhänge gelungen war, diesen Teil des Gebäudes völlig vor dem Sonnenlicht zu verbergen. Der Keller war einfach kein angemessener Ort, um Alucard zu verarzten. Integars Blick fiel auf den schmalen, langen Körper unter der weißen, leichten Decke. Die Haut des Vampirs und auch seine, sonst gewöhnlich schwarzen Haare waren immer noch kaum von der Farbe des Bettbezuges zu unterscheiden, obwohl sie wusste, das die Ärzte ihm bereits soviele Blutkonserven verabreicht hatten, wie er in seinem Zustand aufnehmen konnte. Nur mühsam gelang es der Frau, ihre Fassung zu wahren. Kein Gedanke daran, das es sich hier nur um einen Untoten handelte, der noch dazu ihr Untergebener war. Keinen einzigen Blick verschwendete sie auf die anderen beiden Ärzte, die noch hier waren. Hinter ihr stürmten Seras, Walter und der erste Arzt in das Zimmer, doch auch sie waren nur noch am Rande ihrer Wahrnehmung existent. Langsam ging sie auf das Bett zu, ließ sich auf dem Stuhl nieder, der neben dem Kopfende stand. Wieder rang sie um ihre Fassung. Noch nie hatte sie den großen Vampir, der immer, in jeder Situation so verdammt überlegen, stark und selbstsicher wirkte, derartig schwach gesehen, so verletzlich und ... beinahe des Schutzes bedürftig. Seine Wunde war immernoch nicht komplett verheilt, sonst hätte man ihm schon längst den Verband um den Hals abgenommen. Das musste an diesem Serum liegen, das der Arzt vorhin erwähnt hatte. Alucard hatte die Augen geschlossen. Doch plötzlich zitterten seine blassen Lippen, die Lider flackerten. Sie spürte, wie sich etwas in ihr zusammenzog; das rote Feuer war aus den sonst immer so lebhaften Augen verschwunden, einzig ein trübes Nebelgrau war geblieben. "Integra.... ?"flüsterte Alucard mit leicht durchsichtigem Blick, seine Hand hob sich leicht. Ohne über ihr Handeln richtig nachzudenken, ergriff die blonde Frau die bebenden, schlanken Finger, drückte sie leicht und beruhigend. Alucard schloß die Augen wieder. Sämtliche Kraft schien aus seinem Körper gewichen zu sein. Ihre Stimme klang drängend, als sie sich zu ihm vorbeugte:"Alucard... Du wolltest mich sprechen?" Er öffnete seine Augen beim Klang ihrer Stimme, doch sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen, als täten selbst die Erinnerungen ihm weh und sein Blick war glasig, starrte auf einen Punkt, zehn Zentimeter hinter ihrer Stirn:"Dieses Ding... Schatten..." Sie fühlte, wie er ihr entglitt:"Ein Schatten? ..... Alucard! Sag' mir was passiert ist! Wer hat dir das angetan? " Für Sekundenbruchteile zitterte er am ganzen Leib, dann sah er sie an, als würde er sie erst jetzt wirklich wahrnehmen und die schmalen Lippen bebten:"Ga- ... Gabriel... Dunkel... so dunkel..." *Gabriel?* Er drückte schwach ihre Hand und das Zittern übertrug sich auf sie. "Nein, Alucard ... Sieh' mich an! Sieh' mich an! Wer ist Gabriel? Alucard!"Integra spürte, wie sein Geist den Körper wieder aufgab, sie konnte ihn nicht mehr in dieser bewußten Welt halten. Seine Stimme war nur noch ein Hauch, dünner als jeder sterbende Atem und nur sie konnte die leisen Worte hören:"Integra... Verlass mich nicht..." Dann glitt Alucard zurück in die dunkle Bewußtlosigkeit. ~oOo~ Blick in den Abgrund -------------------- Third chapter: Blick in den Abgrund Er schrie. Schmerz loderte in ihm wie brüllende Feuerwalzen. Gellend verhallte seine Stimme in der Dunkelheit, die ihn umgab, seinen Geist gierig umschlang wie ein lebendig gewordenes, hungriges Wesen. Doch niemand würde ihn hören. Niemand war bei ihm. Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt, so klein und schwach. Blutige Schmerztränen liefen ihm die Wangen herab. Was war nur geschehen? Wo war er hier? Dieser schreckliche Ort voll lebender Düsternis. Alles war ihm so fremd. Plötzlich drang eine Stimme an sein Ohr, eine süße, bekannte Stimme, Balsam für seine gequälte Seele. "Integra... ?" Er konnte sie noch nicht sehen. Einzig diese Dunkelheit, die sich in seine Augen fraß. Er hörte nur ihre Stimme. Doch sie reichte aus, hielt die gräßlichen Schmerzen fern, dieses Feuer, das ihn verätzte. Eine schöne, angenehme Wärme stieg in ihm empor, während er der Stimme lauschte, die ihm jetzt so nah war, das er die blauen Augen seiner Herrin vor sich sah. Sie erwiderte seinen Blick und ihre schönen Augen waren angefüllt mit Hilflosigkeit und Verzweiflung. Doch plötzlich wurde sie leiser. Sie entschwand ihm wieder. Er wollte schreien, doch er konnte nicht. Ihre blauen Augen verwandelten sich. Schwarze Schlangenaugen glühten ihn nun aus der Dunkelheit an, die erneut erbarmungslos zupackte und ihn hinabschleuderte. Er kannte diese Augen. Sie waren wie ein Fall in endlose Schlote voll von brüllendem Schmerz, in tiefe Abgründe, angefüllt mit versengendem Feuer. "Integra... Verlass mich nicht..." **************************** Ja, er hatte mit Maxwell gesprochen. Und, er konnte es kaum glauben, er war noch am Leben. Obwohl Alexander vermutete, das es bloß an der Tatsache lag, das Enrico noch nicht herausgefunden hatte, wie man sich durch eine Telefonleitung quetscht und dann seinen Gesprächspartner erwürgt. Er seufzte, als er die merkwürdigen Blicke der Hotelangestellten bemerkte. Enrico hatte durch den Hörer fast das gesamte Foyer zusammengeschrien, kein Wunder, das ihn jetzt alle so anstarrten, als hätte er weiß Gott was für ein Verbrechen begangen. >>>"Du hast WAS getan?!?" "Enrico, wenn du mich ausreden lassen würdest, könnte ich dir auch erklären-" "Alexander Andersen, bist du dir im Klaren darüber, was du getan hast?! Du hast dem Feind geholfen, dem FEIND, hast du das verstanden?! Bist du völlig übergeschnappt?! Hast du zuviel heiligen Wein getrunken oder dir einen Weihrauchtrip geschmissen, das du auf so eine bescheuerte Idee kommst?! ...." So setzte sich das noch ein paar Minuten fort, Alexander hielt den Hörer eine Armeslänge weit von sich weg und wartete darauf, das der Kunststoff, inklusive Metallteile und Strippe anfing zu schmelzen. So weit kam es dann doch nicht. Irgendwann wurde es still an der Hörmuschel und Alexander hoffte, das sein Vorgesetzter sich jetzt ausgetobt hatte. Wahrscheinlich war er in ganz Rom lautstark zu hören gewesen. "Enrico?" "Nenn mich nicht Enrico!"fauchte die Stimme am anderen Ende:"Für dich immer noch Pater Maxwell, hast du mich verstanden, du mieser, kleiner Verräter, du hinterlistige, linke Schlange! Im neunten Kreis der Hölle solltest du brennen!" Der Paladin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Etwas leiser fuhr er fort:"Wenn du dann fertig bist, mich in den höchsten Tönen zu loben, könntest du dir ja eventuell anhören, warum ich diesen Vampirbastard am Leben gelassen habe..." Nach seiner Erklärung war Maxwell dann doch einsichtiger gewesen und hatte ihn, jedoch immer noch ziemlich ungehalten, mit der Anweisung entlassen, Alucard zu beschatten, sobald sich dieser erholt habe und herauszubekommen, wer das Schoßhündchen von Sir Integra derart zugerichtet hatte. Der Paladin strich sich mit einer fahrigen Geste über die blonden Haare, warf jedem Angestellten, der ihn weiterhin beachtete einen vernichtenden Blick zu und ging zu der Empfangsdame an der Rezeption des Bagalione London. Sie sah ihn ein wenig schief an, schluckte jedoch nervös, als ein mörderischer Blick seinerseits sie traf. Hastig gab sie ihm die Türkarte zu seinem Zimmer und wünschte ihm mit zittriger Stimme noch einen schönen Tag. Im Fahrstuhl lehnte sich Alexander erschöpft an die Spiegelwand und unterdrückte ein Gähnen. Obwohl er ein Regenerator war, so war er doch immer noch ein Mensch und alle Menschen wurden irgendwann müde. Nach über 32 Stunden ohne Schlaf, einem dröhnenden Jetlag und diesem miesen Wetter im ewig kalten, nassen, nebligen, verhaßten London auch kein Wunder. Er sah zur Seite in den Spiegel. Vom Kampf mit den beiden Vampiren vor ein paar Stunden, den er natürlich gewonnen hatte und den Spuren seines kleinen ... "Alucard-Zwischenfalls" war nichts mehr zu sehen. Zum Glück hatte er im Wagen noch Kleidung zum Wechseln gehabt. Den Mantel und das Hemd mit den großen Blutflecken des Vampirs drauf hatte er kurzerhand auf einem Parkplatz in einer Mülltonne verbrannt, bevor er beim Anbruch der Dämmerung zum Hotel gefahren war. Die Fahrstuhltüren schoben sich auseinander, als er den 4 Stock des Luxushotels erreicht hatte und er machte sich rasch auf zu seinem Zimmer. *Maxwell hat sich meine Unterbringung mal wieder einiges kosten lassen...*dachte der Paladin, als er die Karte durch den Schlitz des kleinen Gerätes zog, das anstelle eines Schlosses an der Türe angebracht war und das Zimmer betrat. Es war eher ein großes Apartment, und noch dazu ein sehr gut ausgestattetes. Aber was hatte er auch erwartet? Das Bagalione London hatte bestimmt nicht umsonst fünf Sterne. Immoment interessierte ihn das aber herzlich wenig. Ganz nach Gewohnheit schaltete er das Licht an - denn dank des nebligen, london-like Wetters draußen erhellte sich das große Apartment nur minimal - zog eines seiner Schwerter und untersuchte jeden einzelnen Raum nach verdächtigen Schatten, Dingen oder sonstigen Angelegenheiten, die ihm den Schlaf verderben konnten. Alte Angewohnheiten ließen sich nur schwer unterdrücken… Erst als er sich sicher war, das sich nichts hier aufhielt, was hier nicht hingehörte, gestattete sich Alexander, in die Bar zu gehen und sich ein Glas Eiswasser zu genehmigen, das er hastig herunterschlang. Es gehörte viel Entbehrung zu seiner Berufung und eine davon war, das man nichteinmal dann etwas zu essen oder zu trinken bekam, wenn man es wirklich dringend nötig hatte... Er schnaubte leise durch die Nase, als ihm bewußt wurde, wie wehleidig das klang, lehnte sich an den schwarzen Tresen und hielt sich das kühle Glas an die Stirn. Das Schwert legte er neben sich ab, öffnete dann langsam die Knöpfe seines Mantels und die des Hemdes. Müdigkeit überkam ihn und erst jetzt, in dieser ihm selten vergönnten, schon fast fremd gewordenen Minute der Ruhe, spürte er, wie jeder einzelne Muskel in seinem Körper schmerzte, wie sein ganzes biologisches Selbst nach Schlaf und Erholung schrie. Er musste grinsen, als er an die Reaktion Maxwells dachte, wenn er ihn jemals um Urlaub bitten würde. Seufzend stellte er das Glas neben sein Schwert, ging in das anschließende, große Wohnzimmer und zog sich beim Gehen den langen Mantel aus, der achtlos auf dem Boden landete. Er war einfach zu müde, um jetzt noch großartig hinter sich herzuräumen, wie es sonst seine Art war. Die Aussicht auf ein weiches Bett und wenigstens ein paar Stunden Schlaf, bis er sich wieder um seinen "besten" Freund, diesen jämmerlichen Nosferatu, kümmern würde, waren einfach zu verlockend. Er machte sich deshalb auch gar nicht die Mühe, das Licht wieder auszuschalten, sondern wollte sich sofort in das Schlafzimmer begeben, als er plötzlich einen Windhauch hinter sich spürte. Binnen Sekundenbruchteilen hatte sich sein ganzer Körper wieder versteift, Alexander fuhr herum und war gerade noch schnell genug, um die schwarze Nebelwolke zu sehen, die drohend auf ihn zukam, ihn einhüllte wie eine Decke und hart zu Boden warf. Der Paladin hörte, wie etwas mit einem widerlichen Geräusch zerbrach, als sein Kopf auf das glatte Parkett schlug und ihm wurde schwarz vor Augen. ************************** *Warum habe ich nur nicht darauf bestanden, ihn zu begleiten?* Sie spürte, wie leise Schluchzer ihr die Kehle emporkrabbelten wie fette, schwarze Spinnen und zwang sich dazu, sie energisch herunterschlucken. Sie wollte nicht schon wieder weinen. Ihr Meister sähe das bestimmt nicht gerne. Sein leichenblasses Gesicht leuchtete fast im unwirklichen Schein der Neonröhren. Er sah so verletzlich aus, zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe, noch nie hatte sie ihn so gesehen. Seras Lippen zitterten:*Ich hätte ihm helfen müssen! Ich hätte bei ihm sein müssen...* Doch im selben Moment wusste sie, das sie wahrscheinlich eher eine weitere, unnütze Gefahrenquelle gewesen wäre. Was für ein Wesen auch immer ihrem Meister das angetan hatte, es hätte sie höchstwahrscheinlich vor seinen Augen in der Luft zerrissen, wenn sogar ihr starker Meister nicht gegen es ... oder ihn hatte bestehen können. Sie hatte seine Worte vor ein paar Stunden schließlich auch gehört. *Gabriel... Wer oder was kann das nur sein?* Alucard stöhnte leise und sie sah alarmiert auf. Doch der Ältere erwachte nicht. Seine langen Finger krallten sich in die weiße Decke und er verzog das Gesicht, als hätte er einen Alptraum. "Meister..."flüsterte sie und ergriff seine Hand, drückte sie beruhigend, obwohl sie wusste, wie anmaßend und unverschämt das war, ihn einfach so zu berühren. Wieder musste sie die Tränen zurückhalten, als sie spürte, das Alucard ihren Druck erwiderte, zwar nur ganz leicht, aber doch hilfesuchend und zittrig. Sie schloß kurz die Augen, konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen, ebensowenig wie Sir Integra, die nach dem kurzen Gespräch mit dem Vampir wieder verschwunden und nicht noch einmal aufgetaucht war. Seras hatte das verräterische Schimmern in ihren Augen gesehen und die junge Vampirin wusste, das sich die Leiterin von Hellsing ebenso große Vorwürfe machte wie sie selbst, Alucard alleine fortgeschickt zu haben. Aber wer hätte denn ahnen können, das so etwas passiert? *Egal, wer oder was dieser Gabriel ist ... Er wird noch dafür bezahlen, meinem Meister so weh getan zu haben!* "Seras..."flüsterte eine Stimme und sie sah wieder auf, geschockt, völlig perplex, als der Druck um ihre Finger zunahm. Alucard hatte die Augen geöffnet, die gräßliche Blässe war fast wieder annehmbar. Die kurzen Haare, die noch vor wenigen Minuten wie dünne Glasröhrchen ausgesehen hatten, waren wieder von einer sanften, schwarzen Farbe durchsetzt und in den Augen hatte altes Feuer Einzug gehalten. Er richtete sich auf, seine Bewegungen noch langsam und unbeholfen:"Seras... Wie lange habe ich geschlafen?" Sie biss sich auf die Lippen, als ein gepresstes:"Meister..."daraus hervorbrach. Ohne über ihr Handeln nachzudenken warf sie sich an seine breite Brust, umarmte ihn voller Freude und endlich rollten ihr silberne Tränen frei über die Wangen. ************************ Er erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen und ein leises Stöhnen drang ihm über die halbgeöffneten Lippen. Seine Kopfverletzung war zwar wieder verheilt, doch bei jeder Bewegung schienen noch Schmerzblitze hinter seiner Stirn zu explodieren, die nur langsam schwächer wurden. Er spürte, das er auf etwas lag, etwas weichem, doch als er sich aufrichten und umsehen wollte, merkte er mit Entsetzen, das ihn etwas in seiner Position festhielt, auf dem Rücken liegend, die Arme über den Kopf nach oben gezogen. "Sieh mal an, der kleine Schweinepriester ist endlich aufgewacht..." Alexanders Augen flogen auf und er traf einen Blick, schrecklicher als die Augen jeder Ausgeburt der Hölle, in die er bis jetzt gesehen hatte. Er spürte, wie etwas in ihm an diesem Blick schmerzvoll zerbrach. Er wollte wegsehen, wollte diesen kalten Augen ausweichen, doch, als wäre er hypnotisiert, konnte er es nicht, konnte sich nicht einmal rühren, keinen Ton hervorbringen. Der junge Mann, der zu diesen gräßlichen Augen gehörte, kam näher an das Kopfende des Bettes auf dem der Paladin lag und betrachtete ihn genüßlich von oben bis unten, wie eine Schlange eine Maus. Alexander bemerkte, das der Fremde seine silberne Kreuzkette in der Hand hielt und sie spielerisch um seine langen Finger wand. Als der junge Mann seinen Blick erkannte, lächelte er süffisant, hob den Anhänger an seine Lippen und leckte genießerisch, beinahe verführend über das Ende des Kreuzes, den Paladin dabei nicht aus den Augen lassend und darauf achtend, das dieser seine Zunge sehen musste. Angesichts dieser Blasphemie brach es knurrend aus Alexander heraus. "Mach' mich auf der Stelle los, du elender Bastard!"Wütend stemmte er sich gegen die Handschellen, die ihn an das Bettgestell banden. Ein leises, dunkles Lachen erklang, das Alexander das Blut in den Adern gefrieren ließ und dann sprach der Fremde mit einer Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging:"Ihr Katholiken habt euch überhaupt nicht verändert. Es ist so leicht, euch zur Weißglut zu bringen. Nur ein wenig Sünde eurem Gott gegenüber und schon brechen euch die wüstesten Beschimpfungen über die Lippen... Kein gutes Vorbild für deine Schäfchen, findest du nicht, Priester?" Alexander spürte, wie seine Gesichtsmuskeln vor Zorn zuckten:"Was erlaubst du-" „Alles, was ich will."schnitt ihm der junge Mann sichtlich belustigt das Wort ab, er schritt um das Bett herum und ließ sich neben ihm nieder. Alexander sah in seinem schwarzen, kalten Augen etwas aufflackern, das ihm ganz und gar nicht gefiel. Erst jetzt bemerkte der Paladin, das sein Hemd immer noch geöffnet war, seine Brust fast ganz entblößt. Er fühlte den tastenden, gierigen und gleichzeitig amüsierten Blick des Anderen auf seiner Haut und heillose Wut brodelte in ihm empor und er stemmte sich in seine Fesseln:"Wenn du dich wagst, mich anzurühren, dann wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!" "Ich muss dich enttäuschen... Ich bin ohnehin nie geboren worden. Jedenfalls nicht so, wie ihr Sterblichen diesen Begriff verwendet..."lachte der Fremde leise und schien nichteinmal daran zu denken, seinen frechen Blick von der nackten Brust des Größeren zu wenden. Alexander kniff verwirrt die Augen zusammen, als der kalte Blick sich schließlich wieder auf seine Augen konzentrierte und er die Bedeutung dieser Worte verstanden hatte. Unweigerlich zitterte seine Stimme, doch er konnte nichts dagegen tun. Die Anwesenheit dieses Jungen erfüllte ihn von einer Sekunde auf die Andere mehr mit einem Grauen, das er noch nie verspürt hatte:"Was bist du?... Antworte mir!" Ehe sich Alexander versah, beugte der Fremde sich zu ihm herab und legte ihm einen Finger auf die bebenden Lippen. Der Paladin hatte plötzlich das Gefühl, in den schwarzen Augen seines Gegenüber zu ertrinken. Er hatte bereits die ganze Zeit gewußt, das er es nicht mit einem Menschen zu tun haben konnte, denn kein Mensch hätte ihn so leicht überwältigen können, doch jetzt war er sich nichteinmal mehr sicher, ob es sich bei diesem jungen Mann noch um einen Vampir handelte, die letzte Option, die sein Geist als Erklärung zustande brachte. Jedoch herrschte draußen der Tag, wenn auch durch dunkle Vorhänge und Nebel verdüstert, aber es war immer noch Tag und das dumpfe Licht schien durch die hohen Fenster ins Zimmer, fiel sogar auf die blasse Haut des Fremden. "Nein..."flüsterte der Fremde deshalb auch sofort und er lächelte, als er Andersens erschrockenen Blick bemerkte:"Ich bin keiner dieser verkommenen Brut, gegen die du sonst immer kämpfst, wenn ich auch gewisse ihrer Vorlieben teile ... Mein Name ist Gabriel, verehrter Paladin Alexander Andersen von Iskariot." Der blonde Mann zwang sich zu einer festen Stimme, einem wütenden Knurren:"Raus aus meinen Gedanken ... Gabriel! Was auch immer mir dieser Name jetzt sagen soll!" Wieder dieses Lächeln, das Alexander eisige Schauer über den Rücken schickte und der junge Mann strich ihm mit einem Finger zärtlich über die Wange. Zornig wollte er sich aus dem Griff befreien, doch sein Kiefer wurde unvermittelt mit einer Brutalität gepackt, das er aufstöhnen musste. "Du unterstehst doch dem Vatikan, oder nicht?"sagte Gabriel leise und zog dem blonden Mann die Brille von der Nase:"Dann wirst du doch ganz bestimmt die Bibel gelesen haben, natürlich hast du, Alexander, ihr fanatischen Katholiken habt dieses vermaledeite Buch doch alle gelesen ... Darin kommt nur ein Gabriel vor." Andersen starrte ihn an, wollte zu einer sarkastischen Antwort ansetzten, als die schwarzen Augen des jungen Mannes noch dunkler zu werden schienen. Etwas in dieser alles verschlingenden Schwärze glühte auf, etwas, das jeden warmen Lebensfunken in ihm aufsaugte, ihm jeden Willen zum Widerstand nahm. Die Schatten um sie herum schienen lebendig zu werden, die Dunkelheit selbst hielt Einzug in sein Herz, legte sich darum wie eiserne Ketten. Alexander fühlte sich, als drücke ihm eine Hand aus Eis das Gehirn zusammen, während die Aura des Fremden sich veränderte, so stark und urgewaltig wurde, das sogar Andersen als Mensch es wahrnehmen konnte. Dieser junge Mann war kein Mensch, kein Vampir, er war ... gewaltig, größer als alles, was er bis jetzt gesehen hatte. Die Augen waren jetzt zeitlos, nicht alt, nicht jung, es waren die schwarzen Augen eines Wesens, für das Millionen Jahre wie ein Tag und eine Sekunde eine Ewigkeit war. Eine Kälte begann sich von seinem Kopf, seinen gebannten Augen ausgehend in ihm auszubreiten, eine vernichtende, tödliche Kälte und der blonde Mann spürte nichteinmal, wie ihm unter diesem schwarzen, verschlingenden Blick unweigerlich Tränen in die Augen traten und über die Wangen liefen. Es gab keinen Zweifel, keine Fragen. Dieser junge Mann war etwas, was er nicht begreifen konnte. "Nein..."flüsterte Alexander mit gebrochener Stimme, als Gabriel lächelte, sich zu ihm herabbeugte und wieder seine spöttische Stimme durch die Dunkelheit zu ihm herunter schickte:"Wir haben genug geredet. Lass' uns etwas Spaß haben .... kleiner Priester." Der junge Mann mit den gräßlichen Augen grinste ihn nocheinmal an, schien sich an seinem Entsetzten zu weiden. Dann drehte er mit einer brutalen Bewegung Alexanders' Kopf zur Seite, strich den Kragen seines Hemdes fort. Der blonde Mann keuchte auf, als er eine weiche Zunge an seiner Haut fühlte, Lippen, die seine Halsmuskeln mit zarten Küssen bedeckten. Jede der zärtlichen Berührung des Wesens war für den Paladin wie flüssiges Feuer und der Widerstand regte sich erneut in ihm, jetzt wo er nicht mehr in die kalten Schlangenaugen sehen musste:"Du ... bist nicht Gabriel..."flüsterte er mit gebrochener Stimme:"Du kannst es nicht sein!" Der junge Mann lachte gegen seinen Hals:"Ach, und weshalb nicht?" "Weil Gabriel Gottes linke Hand ist, weil er rein und unschuldig ist."stieß Alexander hervor:"Kein Erzengel würde das tun, was du gerade tust..." Ein Ruck und er starrte wieder in die schwarzen Augen, die jetzt vor Zorn flackerten, eine Flamme, die alles verzehren würde, käme man ihr zu nahe. Der Griff um seinen Kiefer wurde noch fester, schmerzhafter. "Engel?!"fuhr ihn Gabriel an, die Flammen in seinen Augen wurden größer:"Was weißt du schon, heiliger Mann?!" Die letzten Worte spuckte er regelrecht aus vor Abscheu und Alexander glaubte, jede Sekunde unter den Feueraugen zu verbrennen. "Ihr dreimal verfluchten Sterblichen glaubt euch so verdammt sicher im Bezug auf alles, was im Himmel und in der Hölle vor sich geht. Aber ihr wisst noch nichteinmal über die Dinge Bescheid, die auf der Erde geschehen. Ihr würdet einen Engel doch nichteinmal erkennen, wenn er vor euch steht!" Die Hand an seinem Kiefer wanderte zu seinem Hals herab, drückte diesen zu. Alexander keuchte auf, als er keine Luft mehr bekam:"Lass mich los!" "Das hättest du wohl gerne, kleiner Priester. Du hast keine Ahnung, was alles geschieht. Du kämpfst hier unten einen sinnlosen, lächerlichen Kampf und glaubst, es wäre alles im Sinne deines Gottes. Aber was weißt du denn schon über Gott?"knurrte Gabriel grausam und würgte den blonden Mann noch stärker:"Hast du ihn je gesehen? Woher willst du eigentlich wissen, ob er wirklich existiert? Woher willst du wissen, wie ein Engel zu sein hat?!" Die letzten Worte hatte Gabriel geschrien und Andersen war schwarz geworden vor Augen. "Nein...noch nicht."hörte er wie durch einen Nebel:"Du bleibst noch etwas bei mir, Alexander. Wir sind noch nicht fertig miteinander." Endlich lockerte sich der Griff. Der Paladin hustete leise und sah in die schwarzen Augen. Sie waren jetzt wieder so wie am Anfang, bis auf das grausame Funkeln in ihnen. "Du ... elender Hund!"keuchte Alexander, nach Atem ringend, während sich seine gequetschte Kehle regenerierte. Hilflos zerrte er an den Handschellen. Warum konnte er sich nur nicht befreien? "Schade..."Gabriel zog die Lippen kraus:"Deine süße Ehrfurcht habe ich mir wohl gerade verdorben. Dabei war die Angst in deinen Augen so köstlich..." Er beugte sich wieder zu ihm herab und hauchte gegen den Hals des Größeren:"Aber ich bin mir sicher, das etwas anderes von dir noch viel köstlicher schmeckt." Andersen begriff diese Worte in der Sekunde, in der sich zwei lange Zähne in seine Halsschlagader bohrten. Er wollte schreien, vor Wut, Hass und Schmerz, doch eine Hand legte sich über seinen Mund, dämpfte jeden Ton. Ein befriedigtes Seufzen drang an sein Ohr und er wand sich verzweifelt, um dem Griff, den wühlenden Zähnen in seinem Hals irgendwie zu entkommen. Aber der schmale, junge Mann verfügte über Kräfte, denen nichteinmal er gewachsen war. *Kein Engel...*durchzuckte es ihn, sein Körper wurde immer schwächer vom Blutverlust:*Kein Engel, nein, ein Teufel... Teufel in Menschengestalt...* Und dann, kurz bevor er das Bewußtsein verlor, zog der Andere sich zurück, tauchte lächelnd, mit blutverschmierten Lippen über ihm auf. "Mmmh, so süß..."Ein Finger strich über seine Wange, seine Unterlippe:"So unheimlich süß bist du, Priester. Und streng an das Zölibat hast du dich gehalten, kleine Jungfrau... Aber um so besser, so ist der Genuß für mich noch größer..." "Du abartiges Monster..."flüsterte Alexander, während er spürte, wie sein Körper den großen Blutverlust zu regenerieren suchte. Gabriel lachte nur:"Das sagt der Richtige. Wo du doch auch kein richtiger Mensch bist... Wie lange wolltest du dieses kleine Geheimnis eigentlich noch vor mir verbergen? ... Ich weiß nicht genau, was du bist, aber deine Kräfte sind für einen Menschen schon erstaunlich. Es war eine gute Entscheidung, dir zu folgen..." Alexander sah ihn verwirrt an:"Was ... du bist ... mir gefolgt?" "Ja. Ich wollte doch sehen, wo du meinen kleinen Vampir hinbringst."antwortete Gabriel und beobachtete fasziniert, wie schnell der Regenerator wieder zu seinen alten Kräften zurückfand, sich die zwei Wunden an seinem Hals schloßen. "Alucard? Was hast du - ... Du bist das gewesen! Du hast ihn so zugerichtet in Westminster!" "Richtig. Sein untotes Blut war dringend nötig, um meinen Körper zu regenerieren. Und ganz nebenbei habe ich schon sehr lange kein Vampirblut mehr genoßen. Er kam gerade zur rechten Zeit. So wie du auch..." Der junge Mann lächelte und wieder lag etwas in diesem Blick, das Alexander kalte Schauer über den Rücken schickte. Eine der schlanken Hände ruhte immer noch auf seinem Hals, doch jetzt glitt sie höher, berührte fast sanft seine Wangenknochen, drehte seinen Kopf dem böse lächelnden Gesicht zu. "Was soll das?"knirschte er durch zusammengebissene Zähne:"Was willst du noch von mir? Du hast mich schon gebissen!" Gabriel lachte:"Oh, armer Priester... Hältst du mich für so langweilig? Ich brauche Blut, mein Körper verzehrt sich danach, das ist wahr. Aber es gibt noch so viele andere, unterhaltsame Dinge, auf die ich während meines Schlafes verzichten musste… Aber das ist vorbei. Und du ... scheinst mir mehr als geeignet." Seine Augen flackerten anzüglich und Alexander fühlte, wie er sich anspannte:"Wenn du es wagst, dann-" "Was dann?"unterbrach ihn Gabriel und glitt mit einer sanften Bewegung neben ihm auf das Bett, schmiegte sich an ihn:"Wirst du mich dann töten? Ich habe keine Angst vor dir, heiliger Mann... Ich habe vor niemandem Angst." Und mit diesen Worten küßte er Andersen auf den Mund. Seine andere Hand wanderte über seine nackte Brust, strich fordernd über seine rechte Seite. "Mhm...!"Der blonde Mann wand sich unter dem Griff, versuchte sich dem ungewollten Kuß zu entziehen, was ihm aber erst gelang, als Gabriel sich wieder von ihm löste. "Laß das, du verfluchter Bastard!"knurrte Alexander, er schmeckte sein eigenes Blut auf seinen Lippen und die Wut flammte mörderisch in seinen Augen:"Fass mich nicht an, ich warne dich!" "Wovor denn?"lachte Gabriel dunkel und schmiegte sich noch enger an ihn, schlang sein Bein um seinen linken Oberschenkel:"Du kannst mir nichts entgegensetzten, Alexander. Du gehörst jetzt ganz mir und ich tue mit dir, was ich will ... Und immoment will ich deine erste, richtige Lust spüren, meine kleine, katholische Jungfrau." Andersen spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß und er wusste nicht ob es Schamesröte oder etwas anderes war, was er sich nicht eingestehen konnte. "Du ... Hundesohn...!" Schwarze Augen senkten sich nieder, verschlangen das schimmernde Grün seiner eigenen. Gabriel glitt die letzten Millimeter tiefer, lächelte nocheinmal böse und strich dann neckend mit seiner Zunge über Andersens Lippen, forderte den Einlaß, der ihm verwehrt wurde. Schlanke Hände wanderten über seinen Körper, die eine fuhr tiefer hinab, als es Alexander ertragen konnte. Er zuckte zusammen, stöhnte leise und voller Hass:"Hör auf!" Diese Worte nutzte Gabriel und bevor Alexander reagieren konnte, preßte er erneut seine Lippen auf die des Größeren, glitt mit seiner Zunge in dessen Mund. Genießerisch stöhnend zerschnitt er die weiche Haut des Anderen mit seinen scharfen Zähnen, sodass der Kuß ein weiteres, blutiges Mahl wurde. Andersen wand sich nach Kräften, spürte wie Ekel, Hass und kochender Widerstand ihm die Kehle zuschnürten. Dieses Wesen war jedoch viel stärker, er hatte keine Chance, mühelos hielt der so schwach aussehende, junge Mann ihn unter sich. *Alucard...* Jetzt verstand er, wie dem Vampir so etwas hatte widerfahren können. Der Paladin stöhnte leise, kniff die Augen zusammen, als er spürte, wie Gabriel sich am Verschluß seiner Hose zu schaffen machte und endlich, endlich wurde der Kuß gelöst. Der Schwarzäugige richtete sich auf, sein Blick schimmerte vor schwarzem, tanzenden Vergnügen und bösartiger Vorfreude, als er die ersten Knöpfe der weißen Hose öffnete. "Lass mich testen, ob du auch so süß wie dein Blut bist, heiliger Mann..." "Nein...!" Gabriel ------- Fourth Chapter - Gabriel Schweigend hörte Integra Alucards' Schilderungen zu. Nur ab und zu unterbrach sie ihn, wenn sie etwas genauer beschrieben haben wollte, was der Vampir dann auch leise knurrend tat. Ihm war seine Niederlage sichtlich unangenehm, aber noch unangenehmer schien ihm die Tatsache, das er nicht genau wusste, gegen wen oder was er eigentlich verloren hatte. Seras ließ ihren Meister nicht aus den Augen. Er hatte nichts dagegen gesagt und so saß sie immer noch neben ihm auf dem Bett. Am liebsten hätte sie seine blassen Finger auch noch in ihren gehalten, doch das traute sie sich vor Sir Integra nicht. Seine Haar-, Augen-, und Hautfarbe waren mittlerweile wieder normal, doch Alucard hing immer noch an einer Dialyse, die einzige Möglichkeit, wie die Ärzte gesagt hatten, dieses merkwürdige Zeug, dieses Serum aus ihm herauszuspülen. Geistesabwesend kratzte der Vampir über die langen Infusionsnadeln. Seras sah ihm an der blassen Nasenspitze an, das er am liebsten sofort wieder losgestürmt wäre um sich an diesem mysteriösen Gabriel zu rächen. Aber erstens zweifelte sie stark am Erfolg so einer überstürzten Aktion und zweitens hätte sie höchstpersönlich ihren Meister an den Haaren wieder zurück ins Bett geschleift und bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht mehr herausgelassen, wenn er in seinem jetzigen Zustand auch nur den Ansatz solch eines Selbstmordkommandos unternahm. Und zum Teufel mit den Konsequenzen. Auch Sir Integra schien so zu denken. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie Alucard an, der mit ausdruckslosem Gesicht die durchsichtigen Schläuche beobachtete, die sein Blut zur Maschine und wieder zurück transportierten. Endlich sprach sie dann das aus, was Seras die ganze Zeit erhofft hatte:"Alucard, ich möchte nicht, das du heute nacht wieder alleine unterwegs bist." Der große Vampir knirschte geringschätzig mit den Zähnen:"Das ist nicht euer Ernst?" "Es ist mein voller Ernst, Alucard. Sehe ich aus, als würde ich scherzen?" "Um ehrlich zu sein, ja. Ich werde gehen. Ihr haltet mich nicht davon ab. " Sir Integra kniff die Augen zusammen, ein Blick, bei dem es Seras kalt den Rücken herablief. "Du gehst nirgendwo hin, hast du mich verstanden?"fauchte die blonde Frau in einem Tonfall, der den Teufel höchstpersönlich dazu veranlaßt hätte, Sitz zu machen, die Zeitung zu holen und brav Pfötchen zu geben:"Oder muss ich einen klaren Befehl noch deutlicher werden lassen?" Alucard starrte sie jedoch nur mit zusammengekniffenen Augen an, sein Grinsen schien er seit seinem Erwachen irgendwie verloren zu haben:"Und was soll das, wenn ich fragen darf?! Mir geht es wieder gut, ich finde diesen Freak!" "Und was dann?!"Integras Tonfall war nur noch wenige Oktaven davon entfernt zu schreien:"Willst du dich dann nocheinmal von ihm in die Mangel nehmen lassen? Sollen wir dich nocheinmal vom Boden aufkratzen? Nein, mein Lieber, du wirst hierbleiben! Ich lasse nicht zu, das du in deinen sicheren Tod läufst!" Alucards' Augen wurden noch schmaler. Seine Lippen zuckten, doch er hütete sich jetzt davor, in Integras' Gedanken für ihren Grund zu suchen, so auszurasten. Das hätte sie bestimmt gemerkt. Also schüttelte er nur knapp den Kopf und knurrte:"Seid wann wird man hier eigentlich so bemuttert?... Und was soll ich statt dessen machen? Oder eher gesagt 'wir'? Gutmütig abwarten, bis dieser Freak London zu seinem persönlichen Schlachthaus umfunktioniert?" "Hör auf, deine kleinen Rachegefühle hinter einer Maske aus Solidarität für uns arme Sterbliche zu verbergen, das kauft dir doch keiner ab..."murrte Sir Integra und an Alucards' knappem Seitenblick sah man, das sie ins Schwarze getroffen hatte. "Ich will ersteinmal wissen, mit was wir es überhaupt zu tun haben, bevor wir uns in einen Kampf stürzen, den wir vielleicht nicht gewinnen können..."seufzte sie dann und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. *Außerdem will ich nicht nocheinmal deinen völlig zerfetzten Anblick ertragen müssen, Alucard. Das würde ich nicht überstehen...* Der Gedanke war so laut gewesen, das er ihn einfach nicht hatte überhören können. Alucard sah zu ihr herüber. Seine Herrin war undurchsichtig wie immer. Hatte sie etwa gewollt, das er das mitbekam? Hatte sie seinetwegen Schuldgefühle? Nun, das war mal etwas neues... "Sir Integra?" Alle sahen zur Türe. Walter stand dort und sah sie ernst an:"Ich glaube, sie sollten sich das ansehen... " ~oOo~ Sie alle starrten auf den Bildschirm, lauschten der Stimme des Kommentators. Ein flackerndes Bild von einem Fernsehstudio leuchtete ihnen entgegen, ein älterer Mann mit grauen Haaren und ruhiger Stimme:"... ein bis jetzt unaufgeklärtes Verbrechen ereignet. Unter den Opfern befinden sich die drei Nachtwächter, sowie die sieben Mitarbeiter des Museums. Wie die Verantwortlichen auf der heutigen Pressekonferenz verlauten ließen, scheint es sich bei den Tätern um eine Gruppe zu handeln. Die brutale aber dennoch präzise Vorgehensweise bei den Morden, sowie bei dem Einbruch, der praktisch nicht nachzuweisen ist, legen die Vermutung von organisiertem Verbrechen nahe." Jetzt wechselte das Bild, zeigte ein großes Gebäude, umzingelt von gelbem Absperrband, Polizisten und Einsatzfahrzeugen. Sir Integra kniff die Augen zusammen. Sie wusste, das diese Aufnahmen bereits über eine Woche alt waren. Insgeheim verfluchte sie die Britische Polizeibehörde für diesen vermaledeiten Geheimhaltekram. Letztendlich lief es immer darauf hinaus, das noch mehr Unschuldige sterben mussten, bloß weil die Verantwortlichen sie bei solchen Geschehnissen nicht informierten und immer erst viel später an die Öffentlichkeit traten. Schon jetzt wusste sie, das diese ganzen Vermutungen der Polizei von irgendwelchen Schmugglerbanden, die nachts in irgendein Museum im Süden Englands einstigen um Exponate zu stehlen und nebenbei die ganze Angestelltenschaft umbrachten, reiner Blödsinn waren. Ihre linke Hand hätte sie darauf verwettet, das dort ganz etwas anderes geschehen war. Wieder wechselte das Bild, jetzt war das Innere des Museum zu sehen, diverse Ausstellungstücke wurden näher gefilmt:"Die Verantwortlichen stehen noch immer vor einem Rätsel. Auf der Pressekonferenz heute nachmittag wurde uns versichert, das nichts Wertvolles aus den Beständen des Museum gestohlen wurde, einzig eine konservierte Mumie, die bei Ausgrabungen in Yorkshire gefunden worden war, ist verschwunden. Diese Mumie war das Untersuchungsobjekt der ermordeten Wissenschaftler unter der Leitung von Dr. Withercomb. Aus sicherer Quelle wissen wir, das dieses Exponat aus dem Mittelalter bei Sammlern eine geschätzten Wert von über 1. Millionen Dollar hat." Das Bild wechselte wieder, zeigte nun einen leeren Sarkophag aus grobem Stein, der auf einer Art Podest zur Ausstellung stand. Integra zischte durch ihre Zähne und auch Walter kniff die Augen zusammen, obwohl er den Bericht schon zum zweiten Mal sah:"Sehen sie, was ich meine, Sir Integra?" Seras starrte angestrengt auf den Bildschirm. Sie konnte nichts erkennen. In den steinernen Sarkophag waren ein paar lateinische Schriftzeichen eingraviert und über der Schrift ein großes Kreuz in einem Kreis, sonst nichts. Jetzt wechselte das Bild wieder und der Kommentator sprach weiter. Sir Integra hatte jedoch schon genug gesehen. Sie stand auf, ihre Augen waren in undurchdringliches Eisblau getaucht. "Ich muss in die Bibliothek..."sagte sie knapp und neigte den Kopf in Walters Richtung:"Sorg' dafür, das Alucard keinen Schritt in diesem Haus macht, ohne das ich davon erfahre. Er bleibt hier heute Nacht, sonst gnade ihm Gott!" Damit verschwand sie, Seras blickte ihr verwundert nach und konnte ihre Fragen nicht mehr bezähmen:"Ich versteh' gar nichts mehr... Was war denn da so besonderes? Wieso ist Sir Integra so seltsam?" "Ich entnehme ihren Worten, das sie kein Latein sprechen, Miss Viktoria."antwortete Walter und sein Gesichtsausdruck trug nicht dazu bei, Seras zu beruhigen. Sie schüttelte den Kopf:"Nein. Was stand denn auf dem Sarkophag?" Walter stand auf und ließ die Vampirin auf glühenden Kohlen sitzen:"Kommen sie. Wir sollten zuerst zurück zu unserem Patienten gehen. Er ist bestimmt schon so unruhig wie ein Nest voller Hummeln. Dort erkläre ich ihnen alles, jedenfalls das, was ich weiß." ~oOo~ Alexander wusste hinterher nicht mehr, wie er es geschafft hatte, ins Badezimmer zu gelangen und sich unter die Dusche zu stellen. Alles drang nur noch wie durch dichten Nebel zu ihm durch, jede seiner Bewegung, alles was er sah, hörte oder berührte erschien ihm so irreal, als bestünde sein Körper und alles um ihn herum bloß noch aus einem flüssigen, gar nicht mehr wahrnehmbaren Äther. Das Wasser lief jetzt bestimmt schon über eine halbe Stunde, war so heiß, das es seine Haut verbrannte, aber er spürte die Schmerzen gar nicht, merkte nicht, das sein Körper kaum noch mit der Regeneration nachkam. Die Augen krampfhaft geschlossen, war das einzige was er in dieser selbst aufgezwungenen Dunkelheit noch spürte diese tiefe, zerstörerische und alles verbrennende Abscheu seinem Körper gegenüber, dem widerlichen Schmutz, den er daran kleben fühlte, den er niemals wieder abwaschen konnte. "Danke, kleiner Priester. Danke für dieses hübsche Abenteuer..." Dieses, das Klappern der sich öffnenden Handschellen und ein amüsiertes, boshaftes Lächeln waren das letzte gewesen, was er von Gabriel gesehen und gehört hatte. Er hatte ihn einfach so liegen lassen, wie einen verprügelten Hund, entblößt, zusammengekrümmt und zerfressen von Scham und Schuldgefühlen. Er hatte ihn nichteinmal getötet, obwohl Alexander sich erinnern konnte, ihn währenddessen darum angefleht zu haben, ihn nicht weiter mit dieser Sünde leben zu lassen... Doch dieser Teufel hatte ihn nur ausgelacht. Die ganze Zeit. Der blonde Mann fühlte, wie er zu zittern begann. Dieser ekelerregende Schmutz ... Es würde nie mehr von ihm abgehen, er würde es für immer mit sich tragen. Er war kein Priester mehr, er war ein Sünder, nicht besser als die, die er sein ganzes Leben lang getötet hatte. Er begann, über seine Schultern, Brust und Oberarme zu kratzen. "Heilige Mutter Gottes..." Langsam ging er auf die Knie, lehnte sich an die weißen Kacheln, merkte nicht, das er seine geschundene Haut aufkratze. Er wollte nur diesen widerlichen Schmutz, diese ekelhafte Sünde von sich herunterbekommen, sich irgendwie davon befreien. Sein Blut floß in das reine, klare Wasser wie rote Schleier. Dieses Monster hatte ihn benutzt, sich an ihm, mit ihm befriedigt. Dieser Gedanke, diese Sünde war so unerträglich. Niemals würde Alexander es vergessen können. Und niemals würde er sich selbst vergeben können. Das Zittern wurde übermächtig, er fasste sich um den Kopf und schrie laut auf. Seine Stimme hallte von den glatten Wänden wieder und obwohl ihm immer noch heißes Wasser ins Gesicht fiel, spürte er, wie heiße Tränen über seine Wangen strömten. Dann faltete er die bebenden Hände. Und betete darum, das sein Gott ihm vergab. ~oOo~ Alucard starrte die Dialyse böse an. Die surrende Maschine starrte böse zurück. "Blödes Ding!"knurrte er und sah auf. "Endlich, ich dachte schon, ihr wärt in den Urlaub gefahren..."murrte er Seras und Walter an, als die das Krankenzimmer betraten:"Was habt ihr euch angesehen? Wo ist Integra?" "Für dich immernoch Sir Integra."antwortete Walter ungehalten und ließ sich auf dem leeren Stuhl neben dem Bett nieder, die Dialyse und Alucards' Infusionen untersuchend. Seras knetete ungeduldig ihre Finger. Walter machte es mal wieder spannend. Ihr Meister schien jedoch kurz vorm Explodieren und knurrte nach ein paar Schweigesekunden böse:"Wenn du jetzt nicht sofort den Mund aufmachst, dann-" "Ich kann euch nur soviel sagen..."unterbrach ihn Walter, bevor Alucard richtig in Fahrt kommen konnte:"Wenn meine Vermutungen stimmen, dann haben wie es mit einem sehr gefährlichen und mächtigen Feind zu tun..." Er blickte kurz zu Seras, dann neigte er den Kopf und lehnte sich nachdenklich vor:"Auch wenn ich das alles immernoch nicht ganz glauben kann... Es ist eine Legende, eine alte Geschichte, mehr nicht." "Was denn?!"fauchte Alucard ungeduldig, mittlerweile hatte er in Seras Gedanken ihre Erinnerungen an den Fernsehbericht gesehen und war einigermaßen im Bilde, wovon Walter eigentlich sprach. "Ich verstehe auch nichts..."ließ sich Seras vernehmen:"War diese Schrift denn so wichtig? Was bedeut sie denn?" Walter blickte die junge Vampirin an:"Seras, die Worte auf dem Sarkophag waren eine uralte Inschrift. Dieses Kreuz, welches du darüber gesehen hast, gibt uns Aufschluß über die Verfasser der Schrift." Alucards' rote Augen flackerten trübe, er war kurzerhand in Walters' Gedanken eingedrungen. Was er in den Erinnerungen des Mannes sah, ließ ihn leise aufkeuchen:"... Templer... Das Kreuz der Tempelritter...." Walter nickte, als Seras verwirrt auf ihren Meister sah:"Ja, das Kreuz auf dem Sarkophag. Du hast Recht. Es ist das Zeichen des Templerordens. Und die Schrift -" "Der, der gefangen und gebannt, Der Teufel der Nacht, Engel des Blutes, einst Gabriel genannt, Dieses Siegel über ihn wacht."ließ sich wieder Alucard vernehmen, seine Augen weiteten sich mit jedem Wort vor Verblüffung und er starrte schließlich mit flackernden Augen ins Leere, schien die übersetzten Worte auf sich wirken zu lassen. Walter atmete tief ein:"Hör' gefälligst auf, meine Gedanken zu lesen... Engel des Blutes. Du kennst diese Legende, nicht wahr, Alucard?" "Es ist nur eine Geschichte..." Seras sah von einem zum anderen:"Könnte mich jetzt endlich mal jemand aufklären?!" "Die Legende vom Blutengel ist eine uralte vampirische Erzählung."antwortete ihr Walter:"Angeblich soll sich auch im Vatikan ein verschollenes Evangelium des Johannes befinden, das diese Legende untermauert. Nur die höchsten Würdenträger der katholischen und protestantischen Kirche wissen außer dem Vampirvolk von dieser Legende. Ihr zufolge soll es einen Engel gegeben haben, der vor Urzeiten von Gott als Strafe für seinen Neid auf das Leben der Sterblichen zur Erde geschickt wurde. Der Name dieses Engels war Gabriel. Ob es der Erzengel selbst war, ist unbekannt, aber sehr unwahrscheinlich, da dieser Engel auch in der Bibel erwähnt wird, deren Ereignisse erst viel später stattfanden. Jedenfalls war dieses Wesen dazu verdammt, für immer auf der Erde zu bleiben und wie ein Vampir das Blut der Sterblichen zu trinken, für immer gezwungen, das zu vernichten, was er selbst so begehrte. Das wahre Leben der Menschen." „Nein… Mehr als das, viel mehr…“ Walter und Seras blickten zu Alucard hinüber. Der Vampir sah zu Boden, seine roten Augen funkelten merkwürdig. „Was soll das heißen?“fragte Walter verwirrt und Alucard blickte immernoch nicht auf, seine Stimme hatte einen merkwürdig belegten Unterton:“Dieses … Wesen. Ihr Menschen macht euch keine Vorstellung… Die Legende, ihr kennt sie nur bruchstückhaft, keiner von euch, auch die Kirche nicht, weiß, was diese Kreatur wirklich will…“ "Und du weißt es?"unterbrach ihn eine schneidende Stimme. Integra stand in der Tür, sah den Vampir unverwandt an. Sekundenlang schwieg Alucard, dann neigte er den Kopf, schwarze Haarsträhnen fielen in seine Stirn:“Die Legende um Gabriel ist komplex, schwer zu verstehen, selbst für uns… Aber in der Version der Vampire ist es nicht das Blut, das Leben der Menschen, das Gabriel begehrt. Auch nicht das meines Volkes, den die Unsterblichkeit besitzt er bereits. Er ist auf der Suche, ein dunkler Wanderer, ihn treibt ein unstillbarer Durst, nach dem einen, das er nie bekommen darf. Deshalb tötet er wahllos, versucht seine Gier an Menschen und Vampiren gleichermaßen zu befriedigen, wohl wissend, das es niemals ausreichen wird.“ Integras eisblaue Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen:“Und was genau … ist es, was er sucht?“ Alucard sah auf und Seras stockte unweigerlich ihr untoter Atem. Selten… so selten hatte sie ihren Meister derart gesehen, diesen Ausdruck in seinen Augen, ein undefinierbares Feuer, das von ewigen Nächten erzählte, von vergangenen Jahrhunderten und unzähligen Monden wisperte, die schon so lange zurücklagen, das sie bereits selbst zur Legende geworden waren. In Momenten wie diesen … offenbarte ihr Meister der Welt, wie alt er wirklich war und es erfüllte Seras jedesmal aufs Neue mit einer Art morbider Faszination. „Ich weiß es nicht.“antwortete Alucard schließlich mit dunkler Stimme:“Der Mythos um Gabriel drückt sich hier nicht klar aus. Ich weiß nur, wenn er es wirklich ist… wird er weiter töten, Menschen oder Vampire, er wird sich einen Dreck darum scheren.“ Augenblicke schienen sich wie eine Ewigkeit hinzuziehen. Niemand konnte oder wollte auf Alucards Aussage eingehen. Irgendwann sah Integra langsam auf, in ihrer Hand plötzlich eine Zigarre, die sie bedächtig anzündete, den Rauch tief inhalierte und zu niemandem direkt sprach:“Wenn er es ist… und sicher sind wir uns nicht… Noch nicht.“ "Haben sie etwas herausgefunden, Mylady?"fragte Walter geradeheraus mit einer Stimme, die sehr müde klang und Integra neigte bloß den Kopf:"In den Büchern ist nicht viel zu finden. Wenn die Templer wirklich im 13. Jahrhundert den Blutengel überwältigt und eingekerkert haben, dann muss es darüber allerdings Schriften geben... Es gibt jedoch nur einen Ort, wo sich solche Niederschriften heutzutage befinden könnten." „Ich habe eine dunkle Ahnung, wo das sein könnte…“murmelte Alucard und Integra nickte kaum merklich:“Ich muss telefonieren. Ein Ferngespräch nach Italien. Es könnte etwas dauern…“ ~oOo~ Die Sonne schien durch eines der mit buntem Glas versehenen Fenster. Eines von ihnen war geöffnet und die übliche Geräuschkulisse des Petersplatzes und die Wärme eines typischen, römischen Sommertages erfüllte das großzügige Zimmer. Enrico Maxwell, Leiter der 13. Abteilung des Vatikans, stand vor diesem Fenster und sah herab. Heute war Samstag und ganz Rom schien voller Touristen zu sein. Überall auf dem großen Platz tummelten sie sich in bunten Scharen, scheuchten die grauen Tauben wie dunkle Wolken in die Luft. Unmerklich kniff er die Augen zusammen, trat vom Fenster weg und schritt zu dem großen, eichenen Schreibtisch. Gedankenverloren nahm er einen der gläsernen Briefbeschwerer und wog diesen in der Hand. Es war jetzt über 7 Stunden her, das er das letzte Mal etwas von Alexander ... Paladin Andersen gehört hatte. Nun, das war nichts ungewöhnliches. Manchmal hörte er tagelang nichts von ihm. Und doch ... hatte er das nagende Gefühl, das irgend etwas dieses Mal nicht stimmte. Unmerklich schüttelte er den Kopf, versuchte die dunklen Wolken zu vertreiben, die über ihm aufzuziehen drohten und legte den Briefbeschwerer mit einem leisen:"Unsinn..." wieder weg. *... Was mache ich mir eigentlich so viele Gedanken um ihn? Ich habe, weiß Gott, genug zu tun... * Er ging um den Schreibtisch herum, ließ sich auf dem Ledersessel nieder und wollte gerade nach einigen wichtigen Dokumenten greifen um sie durchzusehen, als das rote Leuchten an seinem Telefon ihn aufsehen ließ. *Alexander!* Beinahe etwas zu hastig wollte er den Hörer hochreißen, doch dann warf er einen Blick auf das kleine Display, welches die Nummer des Anrufenden anzeigte. Er stockte in der Bewegung, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Auch das noch..." Er ließ es noch etwas leuchten, dann hob er den Hörer mit einer bedächtig anmutenden Bewegung an sein Ohr und sagte leise:"Hallo, Integra. Lange nichts gehört von dir..." "Ich muss die Stelle verpaßt haben, an der wir zum 'Du' übergegangen sind, Maxwell."Die akzentfreie Stimme am anderen Ende klang genervt, aber nicht so streitsüchtig wie sonst. "Wahrscheinlich, Verehrteste..." "Kommen wir gleich zur Sache, ich habe keine Zeit für Smalltalk."sagte Integra:"Sie sollten sich den Tag rot im Kalender anstreichen. Ich rufe an, weil ich ihre Hilfe brauche ... Grinsen sie nicht so blöd!" *Herrgott, woher weiß dieses Mannsweib immer, was ich tue?* Sein böses Lächeln verschwand:"Ich wusste, das sie eines Tages angekrochen kommen, Integra..." "Hüten sie ihr Schandmaul, Enrico!"fauchte es durch den Hörer und Maxwell fauchte nicht gerade freundlicher zurück:"Wieso sollte ich? Sie brauchen doch meine Hilfe, oder nicht?" Kurz herrschte Stille, er war sich sicher, das die Leiterin von Hellsing sich gerade wütend durch die blonden Haare fuhr. Dann hörte er wieder ihre Stimme, wieder nüchtern und ruhig:"Da haben sie recht. Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber sie sind der Einzige an den ich mich wenden kann... " "Nur zu, reden sie sich ihre Sorgen vom Hals."sagte Enrico böse amüsiert. Die Sache begann, ihn neugierig zu machen:"Worum geht es denn?" "... Sind ihnen die gnostischen Schriften bekannt? Eher gesagt, die Apokryphen, das verschollene Evangelium des Johannes? ... Ach, was frage ich überhaupt, natürlich werden sie sie kennen..." Enrico runzelte die Stirn und spürte, wie er sich in seinem Stuhl versteifte. Was wollte diese Frau denn von ihm? War sie jetzt endgültig übergeschnappt? "Ich verstehe nicht so ganz, worauf sie hinaus wollen..." Er hörte ein Seufzen am anderen Ende. "Auf die Geschichte über den Blutengel Gabriel, niedergeschrieben im Evangelium des Johannes." Enrico musste sich zusammenreißen, um nicht loszuprusten:"Was?! ... Hören sie, Sir Hellsing, ich habe keine Zeit für irgendwelche Scherze! Nehmen sie dafür ihren Schoßhund Alucard, oder-" "Es ist kein Scherz, Maxwell!"unterbrach ihn Integra mehr als ungehalten:"Glauben sie mir, ich wünschte, das wäre es. Aber ich habe Grund zu der Annahme, das der Blutengel keine reine Erfindung ist." Er widerstand dem Drang, den Telefonhörer fassungslos anzustarren:"Und was wollen sie jetzt von mir?" "Ich weiß, das sich in den Beständen des Vatikans alte Niederschriften der Tempelritter befinden. Es geht um einen Templer namens Franceso de'Lyonell, ein gebürtiger Franzose, der im dreizehnten Jahrhundert nach England kam. Ich habe nicht viel über ihn gefunden, nur einen Kirchenbucheintrag aus dieser Zeit. Nach diesem Eintrag starb Lyonell in einem Kampf gegen einen Teufel mit schwarzen Schwingen, den er und seine Gefolgsleute durch ganz Britannien verfolgt hatten." Maxwell hatte das Gefühl, über seinem Kopf würden zehn Meter große, leuchtende Fragezeichen schweben:"Und ... ?" Wieder ein Seufzen:"Maxwell, dieser Teufel war niemand anderes als der Blutengel aus dem Johannesevangelium ... Hören sie zu, hier ist die Kurzfassung. Ich vermute, die Templer unter Lyonell haben Gabriel damals besiegt und in einen Steinsarg eingesperrt, wo er für alle Zeiten gebannt liegen sollte. Er wurde jedoch bei Ausgrabungen gefunden. Vor einer Woche sind in einem Museum im Süden Englands' sieben Wissenschaftler getötet worden, als sie diesen Steinsarkopag untersucht haben. Auf ihm prangte das Kreuz des Templerordens und der passende Bannspruch mit dem Namen Gabriel. Ich habe es gesehen und die Ereignisse der letzten Tage machen mich mehr als unruhig." "Welche Ereignisse?" Eine kurze Pause, Maxwell glaubte fast, Integra denken zu hören. Dann sagte sie:"Alucard ist angegriffen worden. Von einem ... Wesen, das sich Gabriel genannt hat. Es hat ihn arg zugerichtet-" Maxwell hörte plötzlich ein wütendes Zischen am anderen Ende, das er als die Stimme des Hausvampirs Hellsings' identifizierte und er musste erneut grinsen. Alucard schien es also gar nicht recht zu sein, das er, als Anführer von Iskariot von seiner Niederlage Wind bekam. Das der selbstsichere Vampir einmal einem Feind unterlegen gewesen war. "Du weißt, wenn das wahr ist, was du glaubst, dann ..."Er knirschte mit den Zähnen. Er kannte die Niederschriften des Johannes, die einzigen, die nicht in der Bibel veröffentlicht worden waren und luftdicht verschlossen in den Kellergewölben des Vatikans aufbewahrt wurden. Bestandteile der gnostischen Schriften, die er in seiner Position natürlich lesen durfte. Sie waren ziemlich unmißverständlich. Gabriel, der Blutengel, Wesen aus Dunkelheit und Hass. Schrecklicher, blutgieriger und mächtiger als jeder Vampir, und mit menschlichen Mitteln nicht zu töten. Mit anderen Worten: Ein ziemlich großes Problem. "Müssen wir handeln."vollendete Integra den Satz, als könne sie Gedanken lesen:"Maxwell, der Grund, aus dem ich anrufe ist nun folgender. Ich bin mir ziemlich sicher mit meiner Vermutung über die Templer um Lyonell. Und auch mit der Vermutung, das es im Vatikan Niederschriften aus jener Zeit, wohlmöglich von Lyonell selbst gibt. Wenn sie es geschafft haben, Gabriel zu bannen und einzusperren ... vielleicht läßt sich in den Schriften ein Hinweis darauf finden, wie sie das angestellt haben." Maxwell schwieg. Das war grotesk, absurd. Eine völlig wahnwitzige Geschichte ... und doch schien es ihm nicht so, als würde Integra ihn anlügen. Warum sollte sie ihm so einen Unsinn auf die Nase binden? Welchen Grund dafür sollte sie haben? Es gab keinen. Sie konnte ihn nicht leiden, noch viel weniger seine Organisation und deren Methoden, aber wozu sollte sie sich solch eine Story ausdenken? Das machte keinen Sinn, es gab nur eine Möglichkeit. Sie sagte die Wahrheit. Aber Enrico wäre nicht er selbst gewesen, wenn er das jemals zugegeben hätte. "Ich werde mir dieses Gespräch durch den Kopf gehen lassen."meinte er dann:"Vielleicht gibt es derlei Schriften im Vatikansbestand. Und vielleicht werde ich sie mir ansehen. Und wenn das stimmt, was sie sagen ... vielleicht werde ich sie dann auch nocheinmal anrufen und an meinen Erkenntnissen teilhaben lassen. Vielleicht aber auch nicht. Auf Wiederhören, Sir Integra." Maxwell legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Er war sich sicher, irgendwo in London warf gerade eine sehr wütende, blonde Frau ein Telefon gegen die Wand und verfluchte sich selbst dafür, ihn überhaupt angerufen zu haben. Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück in den Sessel. Das, was er da erfahren hatte trug nicht dazu bei, seine ohnehin schon angeschlagene Laune zu verbessern. Aber jetzt hatte er wenigstens etwas, womit er sich ablenken konnte. So ganz glauben wollte er seiner alten Erzfeindin doch nicht, er konnte es einfach nicht. Maxwell stand auf, ließ die Papiere auf seinem Schreibtisch unbeachtet und ging in Richtung der großen Eichentür. Er würde sich heute mit etwas Recherche beschäftigen... ~oOo~ Ganz unrecht hatte der Leiter von Iskariot nicht. Nur das daß Telefon beinahe Alucard am Kopf getroffen hätte. "Hey!"beschwerte sich dieser böse, als er sich wieder hochbeugte, das Telefon hinter ihm am Boden war nicht mehr als solches zu erkennen. "Dieser dämliche, arrogante, widerliche Schweinehund!"fluchte Integra wütend und ignorierte den Vampir, dessen Blutreinigung endlich abgeschlossen war, geflissentlich. Statt dessen lief sie wie ein gefangener Tiger in ihrem Zimmer auf und ab und fuhr sich mit den Händen durch ihre langen Haare. Alucard, Seras und Walter gaben keinen Ton von sich. Es schien ja nicht sonderlich gut gelaufen zu sein. "Wie konnte ich nur so blöd sein, diesen katholischen Lackaffen anzurufen und auch noch Hilfe erwarten?!"Sie blieb stehen und fasste sich an die Stirn. Tief atmete sie ein, um sich zu beruhigen. "Ich möchte dich ja wirklich nicht in deinem Selbstmitleid stören ..."sagte Alucard und kniff die Augen ungerührt zusammen, als Integras' eisblaue Augen ihn durchbohrten:"Aber was hat er gesagt?" "Willst du die kurze Version?" "Ja... Auch wenn die längere bestimmt amüsanter ist." "Er sagte soviel wie: Danke für ihren Anruf, fahren sie zur Hölle."Integra ließ sich leise seufzend auf einen Stuhl fallen:"Dieser Mistkerl..." "Ich will ja nichts sagen..." "Alucard, halt den Mund!" "Aber ich habe es vorher gesagt." "Argh!" ~oOo~ Er ließ die silbern funkelnde Klinge des Schwertes sanft über seinen Unterarm gleiten. Dort, wo die scharfe Schneide die weiche Haut berührte, zeigte sich ein dünner, rötlicher Strich, aber er war noch nicht tief genug, um gefährlich zu werden. Seine Hand zitterte leicht, aber der Sekundenbruchteil war nicht lang genug um zu einem Moment zu werden. Mit einer fast resignierenden Bewegung zog Alexander die Klinge von seinem Handgelenk und verstaute sie unter seinem Umhang. Dann zog er sich die weißen Handschuhe an, das letzte Kleidungsstück, das noch gefehlt hatte um seine Erscheinung zu vervollständigen. Und doch würde er nie wieder Derselbe sein. Der Paladin sah auf, seine samaragdgrünen Augen schimmerten unwirklich im Licht der Dämmerung, des letzten schwachen Tageslichtes, das am, immer noch bewölkten Horizont verblaßte. Ebenso wie die Erinnerungen an das, was vor ein paar Stunden mit ihm geschehen war, was man mit ihm getan hatte. Er verdrängte sie, wollte das nicht mehr sehen, sich selbst nicht mehr so sehen, hilflos einer Sünde ausgeliefert, der er sich schon vor so langer Zeit freiwillig entsagt hatte. Alexander drehte sich um, ohne noch einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Die abstoßenden Bilder konnte er verdrängen. Aber nicht das Gefühl, das an seinem Körper klebte. Niemals mehr würde es von ihm abfallen. Dieses schmutzige Gefühl, benutzt worden zu sein. Gegen seinen Willen. Sein Gesicht war zu einer starren Maske gefroren, als er das Hotel verließ und auf den Treppenstufen des Einganges stehen blieb. Ein starker Wind war aufgekommen und es nieselte leicht, die dünnen Tropfen benetzten seine Haut. Kurz schloß er die Augen und öffnete sie sofort wieder um in den Himmel zu sehen. Graue Wolken wirbelten dort ineinander, während das dunkle Blau der Nacht sich mit ihnen vermischte. Er würde wieder in diese Nacht hinausgehen. Er würde ihn finden, koste es, was es wolle. Und dann würde er kämpfen. ~oOo~ Wie ein düsterer Schatten stand er vor den Eisentoren des Anwesens und sah zu den erleuchteten Fenstern empor. Der Wind zerrte an seinem langen Mantel und zerzauste seine schwarzen Haare. Ein Lächeln umspielte die dünnen Lippen und schwarze Augen leuchteten fast wie kleine Sterne in der Dunkelheit. "Komm zu mir..."flüsterte er in den Wind und der riß ihm die leisen Worte von den Lippen, trug sie in die trägen Schatten:"Komm zu mir, mein kleiner Vampir..." Und er wusste, das seinem Befehl folge geleistet wurde. Das wurde ihm immer. ~oOo~ Schattentanz ------------ Fifth Chapter - Schattentanz Alucard stand an einem der hohen Fenster der Bibliothek und sah hinaus in die Nacht. Sein Körper hatte sich mittlerweile vollständig regeneriert, jede Spur seines verlorenen Kampfes war verschwunden. Äußerlich war er ganz der Alte. Innerlich kochte er vor Zorn und fletschte leicht die Reißzähne. Verloren… es war schon ein paar Jahrhunderte her, solange, das er sich kaum noch daran erinnern konnte, das er das letzte Mal gegen einen Gegner verloren hatte. Und wieso, zum Teufel, war ihm diese uralte Legende nicht schon viel früher eingefallen? Der Blutengel… Er schnaubte ungläubig. Genau deshalb. Weil es eine Legende war, eine Geschichte, ein Mythos aus einer Zeit, in der die Menschen die Nächte noch gefürchtet hatten, in der die Welt noch jung gewesen war, so wie er selbst auch, in der die Vampire als wahre Fürsten der Dunkelheit geherrscht hatten. So lang … so lang war das jetzt schon her… So vieles hatte sich verändert. Er sah seine blonde Herrin aus seinem Augenwinkel. Alles… hatte sich verändert. Alucard neigte den Kopf, sah wieder aus dem Fenster. "Komm zu mir... Komm zu mir, kleiner Vampir..." Am Anfang war es nicht mehr als ein leises Säuseln, ein Flüstern in seinem Hinterkopf, auch nicht störender als all die anderen Geräusche um ihn herum. Das Surren des Computers, an welchem Integra saß und im Internet nach Indizien für ihre Vermutungen suchte. Seras leise Worte, die sie mit Walter wechselte, das Rauschen des heftigen Windes um das Haus. Doch aus dem Flüstern wurde mehr. Bald formte sich aus dem leisen Wispern ein Raunen, drängend, fordernd, eine Stimme, der er sich nicht wiedersetzen konnte. Eine Stimme, die er schon einmal gehört hatte. Und auch der Raum schien sich zu verändern. Alles um ihn herum schien aus den Konturen zu laufen. Er sah auf, seine roten Augen funkelten vor Unglauben und Verwirrung. Die Schatten bewegten sich. Wie lebendige Wesen waren sie aufeinmal, glitten langsam auseinander und kamen leise wispernd auf ihn zu. Alucard schloß die Augen und fasste sich an die Stirn. Hinter ihr schien mit einem Mal die pure Dunkelheit zu toben. Eine Dunkelheit, die alles andere ausblendete, ihn tief hinab stieß. "Alucard?" Wer sprach da? Er kannte auch diese Stimme, die einer Frau. Aber er konnte sich nicht erinnern ... Doch, er konnte! Blitze flackerten durch die betäubende Dunkelheit, leuchtende Bilder seiner Erinnerungen. "Integra...?" Er sah sie vor sich, seine blonde Herrin. Sie sah merkwürdig blass und verzerrt aus, wie ein altes, zerknülltes Foto aus längst vergangener Zeit. So unwirklich. Weitere Bilder, diesesmal von Seras, seine kleine Polizistin, sie lächelte ihm scheu entgegen, sagte etwas, doch er konnte sie nicht verstehen. Und Walter, tief versunken in seine Arbeit, ein Mann, mit dem er in tiefer Freundschaft verbunden war, auch wenn er es sich niemals eingestehen würde. Die lockende Stimme schoss wieder durch seinen Kopf, dieses Mal mit fast schmerzhafter Intensität: *Komm, Alucard. Ich warte auf dich...* "Nein..." Er spürte, wie die Dunkelheit in ihm wieder größer wurde. Unaufhaltsam. Sie bäumte sich in ihm auf wie gigantische, drohende Gewitterwolken. Alucard wollte schreien, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Ein tiefer Schmerz durchfuhr ihn, als die lebendige Finsterniss in ihm alles verschlang, jeden Gedanken, jedes Gefühl aus seinem Gedächtniss wischte und die Bilder regelrecht aus seinem Herzen riss. Und dann war sie fort, wirbelten noch den Bruchteil einer Sekunde in den düsteren Wolken, wie vertrocknete Herbstblätter im Wind, dann endgültig verblasst. *Wo bleibst du denn? Kleiner Vampir ... Komm zu mir.* Er stolperte rückwärts, die Kontrolle über seine Gliedmaßen, seine Bewegungen völlig verlierend. Jemand umfasste seinen Arm, aber er riß sich ohne weiteres los, sah zur Seite. Die Schatten im Raum tanzten jetzt einen grotesken Reigen, schienen ganz aus ihren ursprünglichen Formen zu laufen. Alle schienen sie ihm zuzuflüstern, ihn zu locken, mitzukommen, weit weg von hier. Wo war er hier überhaupt? War das denn noch wichtig? War überhaupt irgendetwas noch wichtig, außer dieser süßen Stimme die ihn rief? Er folgte den schmeichelnden Aufforderungen. Dunkelheit umfing ihn, als er in die lebenden Schatten trat. Und als er sie wieder verließ empfing ihn diese bekannte Stimme. Er sah auf, seine roten Augen waren seltsam trüb und wie von der Sonne gebleicht. Dort stand ein Schatten zwischen den Bäumen, er löste sich von ihnen und kam auf ihn zu. Dieses blasse Gesicht... Es kam ihm immer näher. "Da bist du ja endlich... Ich habe schon lange genug gewartet." Schlanke Finger tasteten nach seiner Schulter, in seinen Nacken. Schwarze Obsidiane glühten ihm entgegen, trafen auf sein verlischendes Feuer. Ein stechender Schmerz an seinem Hals ließ ihn leise stöhnen, aber er wehrte sich nicht, konnte es nicht. Gleichzeitig spürte er, wie ihn eine Kälte umfing, eine eisige Kälte, die von seinem schmerzenden Hals auszugehen schien, sich in ihm ausbreitete wie Eisblumen auf kaltem Glas. Er verlor das Gefühl in seinen Beinen, sackte weg, doch zwei Arme hielten ihn plötzlich fest, eine nasse, weiche Wärme fuhr über die Wunden an seiner Halsschlagader und die Schmerzen verschwanden. "Komm... Es ist an der Zeit zu gehen." Er sah auf, in die schwarzen Edelsteine. Und er wusste, er würde diesen Augen überall hin folgen. ~oOo~ Gabriel lächelte und leckte sich das Blut von den Lippen, als der Vampir sich aus eigener Kraft wieder aufrichtete und ihn erwartungsvoll ansah. Seine roten Augen, die noch in der letzten Nacht vor Feuer gesprüht hatten, waren nun getrübt und blass, sie waren es schon, als er unvermittelt aus den Schatten vor ihm getreten war. Er wusste, das das an seinem Bann lag. Die kleinen Menschenfreunde Alucards' hatten versucht, sein Gift zu entfernen, das Gift, das er ihm bei dem ersten Biß verabreicht hatte, er konnte riechen, dass es fast aus dem Körper des Vampirs verschwunden war. Gabriel musste lächeln. Wie dumm und einfältig von ihnen. Aber sie konnten ja nicht wissen, das es längst zu spät gewesen war, das sein Gift schon längst den Geist des Vampirs vernebelt hatte. Zugegeben, Alucard war sehr stark, auf körperlicher und auch mentaler Ebene, er hatte es gerade wieder gespürt. Solange, wie er sich gewehrt, sich an die Bilder seiner kleinen Freunde geklammert hatte, solange hatte sich ihm noch nie einer dieser untoten Brut widersetzt. Und da war noch etwas anderes gewesen, eine Art magische Fessel, die auf ihm gelegen hatte und die ihn mit einer der Menschen ganz besonders stark verband ... Aber für ihn war es kein Problem gewesen diesen Zauber soweit zu unterdrücken, das der Vampir frei war zu tun, was er von ihm wollte. Dieser Vampir war wirklich etwas Besonderes. Viel zu schade, um ihn einfach zu verschwenden, viel zu mächtig, um ihn hier zurückzulassen, bei diesen jämmerlichen Sterblichen. Ein kaltes Lächeln zierte seine hübschen Lippen. Alucard würde der Erste sein, der Erste seiner Diener. Gabriel hatte selten einen so starken Vampir gesehen. Und jetzt gehörte er ihm. Für immer. "Komm..."sagte er leise und wandte sich halb um, wohlwissend, das jeder seiner Schritte von nun an von dem blassen, hochgewachsenen Untoten begleitet werden würde, ohne das dieser noch soetwas wie einen eigenen Willen hätte. Er lächelte wieder und sah aus schwarzschimmernden Augen in die Dunkelheit über ihm. Düstere Wolken brodelten dort ineinander, der eisige Wind ließ sie sich immer wieder gegenseitig verschlingen und neu gebähren. Es war an der Zeit. Sie mussten sich auf den Weg machen. Denn dieser war weit und Gabriel wollte nicht mehr warten. Dieses kalte Land war schon viel zu lange seine unfreiwillige Heimat gewesen. Und der glühende Durst leuchtete in ihm, brannte sich seinen Weg durch sein unheiliges Fleisch. Jeder Faser seines Seins schrie danach. Er musste es endlich finden... Koste es, was es wolle. Ohne ein weiteres Wort verschwand Gabriel gemeinsam mit seinem neuen Diener in die Nacht. ~oOo~ Integra jagte den Gang entlang, fiel beinahe die Treppe herunter und rannte durch die Vorhalle, die trüben, tranceähnlichen Augen ihres Vampirs noch in deutlicher Erinnerung, als er einfach, ohne ein weiteres Wort zu sagen verschwunden war. Eisiger, starker Wind begrüßte sie, als sie die große Holztüre aufriss und in die Dunkelheit stürmte. "ALUCARD!" Der Sturmwind riß ihr die Schreie von den Lippen. Sie lief die Zufahrtsstraße herunter, wohlwissend, das Seras und Walter immernoch hinter ihr waren. Im Laufen zog sie einen Revolver und entsicherte ihn. "Alucard! Komm zurück! Das ist ein Befehl, hörst du?! Hörst du mich, du dreimal verfluchter Vampir?! Komm zurück!" Verzweiflung durchströhmte sie. Er war nicht mehr da. Sie wusste es ... Es konnte nicht sein! Wieder schrie sie seinen Namen in den heulenden Wind. Er schien sie auszulachen. Schwer atmend blieb sie stehen, drehte sich hilflos im Kreis, konnte ihn nirgendwo entdecken, schrie in die Dunkelheit. "Alucard, komm zurück! ... Verdammt, komm zurück!!" Tief in ihr wusste sie, das sie umsonst nach ihm rief. ~oOo~ Maxwell knirschte leise mit den Zähnen. Er hatte mittlerweile ein wenig Zeit gehabt und so erfahren, das die Erzählung Integras', zumindest in dem einen Punkt, gestimmt hatte: Die mysteriösen Morde in dem Museum in England waren geschehen. Außerdem hatte er im Fernsehen auch nocheinmal den Steinsarg mit dem lateinischen Spruch gesehen, von dem seine 'Erzfeindin' gesprochen hatte. Und so langsam erschien ihm diese ganze Geschichte nicht mehr ganz so unglaublich, wenn auch die Tatsache, das Integra außgerechnet 'ihn' angerufen hatte, Maxwell immernoch zum Schmunzeln brachte. Jetzt stand der Pater in der vierundzwanzigsten Foliantenabteilung der Katakomben des Vatikans und war endlich fündig geworden. Wenn er nicht explizit danach gesucht hätte, wäre ihm der braune, unscheinbare Brief mit dem Siegelkeuz der Templer niemals aufgefallen. In den Kellergewölben des Vatikans herrschte schlicht und einfach Anarchie, was die Prinzipien eines geregelten Systems anging, wenn auch alle Bücher, Schriftrollen und Testamente ordentlich verpackt hinter Sicherheitsglas ruhten. An eine Sortierung nach dem Alphabet jedoch hatte hier anscheinend noch niemand gedacht. Nach der fünften Übersetzung war jeder Irrtum ausgeschlossen. Es handelte sich eindeutig um die hinterbliebenen Schriften Francescos' de Lyonell, Tempelritter der Kompturei zu Rom, der im Jahre 1276 n.Chr. mit mehreren Gefolgsleuten von Calais nach Britannien übergeschifft war, um im Namen Gottes und des Vatikans einen Krieg gegen einen schwarzen Teufel zu führen, der, nach den Aussagen der Schriften, ganze Landstriche im Süden der Inselmonarchie ausgedünnt und schlimmer als die Pest unter den dort lebenden Menschen gewütet hatte. *Im Name der Kirche? Aber warum das denn? Die dreizehnte Division hatte es schon in jener mittelalterlichen Zeit gegeben. Warum war dieser Templer dann in einen Kampf geschickt worden, dessen Rahmenbedingungen ganz offensichtlich nicht aus dieser Welt stammten, die ganz klar nach dem Wissen, der Erfahrung und dem Können der Kampfpriester Iskariots' verlangten?* Er runzelte verwirrt die Stirn. Maxwell wusste nichts über die damaligen Beziehungen zwischen dem Iskariot-Orden und dem der Tempelritter, es gab so gut wie keine Überlieferungen darüber, doch das wenige, was man aus den alten Schriften erfahren konnte, war die Tatsache, das es in dieser Hinsicht zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Orden und offenen Konfrontationen gekommen sein musste. Nicht ohne Grund hatte sich die Kirche schließlich vom, so weltlich gewordenen Templerorden abgewandt und ihn damit zum Untergang verurteilt. Denn ohne die helfende Hand des, heute nicht mehr in den Dimensionen vorstellbar mächtigen Vatikans war diese Vereinigung einfach in den Wirren der damaligen Zeit erstickt. Die dreizehnte Division war verblieben und in der Geheimhaltung verschwunden. Nichtsdestotrotz, diese Texte, die er in der Hand hielt, waren schlicht und einfach unglaublich. Er hatte sie noch nie gelesen, dafür lagerten hier unten in den weitläufigen, ausgebauten Katakomben einfach viel zu viele Schriftstücke und seine Freizeit war zu 'begrenzt', aber selbst wenn er sie schoneinmal gelesen hätte, wäre ihm der Bericht warscheinlich wie ein Märchen vorgekommen. ~ ~ ~ ~ ~ ~ 17 Juli im Jahre des Herrn 1276 Grafschaft zu York, England Mit zittriger, schwacher Hand schreibe ich, meine treuen Freunde in der heiligen Stadt, diesen Brief, der zugleich das Letzte sein wird, was ihr von mir hört. Ihr die ihr nichts wisst von den Schrecken, die meine treuen Gefolgsleute und ich in den letzten Monaten erlebten, euch will ich mitteilen, das es vorbei ist. Das Grauen ist besiegt. Ich bin der Letzte. Der Letzte der Ritter der Compturei zu Rom, die ihr hierher entsandtet, auf das sie das Grauen beenden. Wir haben unseren Auftrag erfüllt und bald werde ich zu meinen Brüdern zurückfinden, in das Himmlische Königreich. Ich fürchte den Tod nicht. Er wird eine Erlösung sein, eine gnädige Umarmung unseres Herren. Ich, der ich zwei Kreuzzüge überlebt habe, der soviele Schrecken in seinem Leben sah, ich finde die Gnade in meinem Tod und ich bin froh darüber. Es war ein harter Kampf, oh meine Brüder. Aber letzendlich gewannen wir ihn, auch wenn wir dabei sterben mussten. Der schwarze Teufel, wie ihn die gottesfürchtigen Menschen hier nennen ist sicher eingesperrt für all Zeit. Der Blutengel aus der Johannesprophezeiung liegt nun für alle Zeit sicher unter dem Bann der Templer. Es war nicht leicht für uns, den Bann auszusprechen, den das Wesen, mit dem wir es zu tun hatten, war von urgewaltiger, satanischer Natur, stärker als jeder Mensch, dem ich auf meinen weiten Reisen jemals begegnet bin. Anbei werdet ihr einen Bericht meines Bruders Nikodemus finden. Darin steht geschrieben, wie der Bann auferlegt wurde, wie wir es taten um den gefallenen Engel einzusperren. Oh meine Brüder, wie sehr ich hoffe, das ihr diese Instruktionen niemals gebrauchen müsst! Das keine Macht der Welt dieses Grauen erneut herauf beschwört, meine Seele würde dann selbst im Paradis oder in der Hölle, wohin ich auch gelangen mag, keine Ruhe finden können! Aber was die Zeiten und die Menschen nach uns bringen werden, wissen wir nicht. Wie die Zukunft aussieht, vermögen wir nur zu raten oder vage in den Sternen zu deuten. Nichteinmal die Bibel hat darauf eine Antwort außer dem Jüngsten Gericht. Und das gerade dieses aus der Feder des Johannes stammt, ebenjener, welcher auch die Schriften um den Blutengel Gabriel niederlegte ... es läßt meine schwache Hand nur noch mehr zittern, meine Brüder. Der, der gefangen und gebannt, Der Teufel der Nacht, Engel des Blutes, einst Gabriel genannt, Dieses Siegel über ihn wacht Ich hoffe, das unser Bann, unser Siegel die Ewigkeit überdauert und das der Schrecken niemals wieder befreit wird! Ich hoffe, selbst jetzt noch, in der Stunde meines Todes. Für alle, die nach uns kommen mögen. In aufrichtiger Freundschaft, Francesco Elijas de' Lyonell Templer der geheiligten Kompturei zu Rom ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Die Unterschrift war leicht krakelig und deutete darauf hin, das der Schreiber hier mit seiner letzten Kraft geschrieben hatte. Maxwell war etwas seltsam zumute. Dieses Schriftstück war so uralt und doch waren es immernoch die letzten Worte eines Sterbenden gewesen. Auch wenn dieser Francesco schon seit Jahrhunderten tot war... seine Worte machten ihn wieder lebendig. Vor seinem Inneren Auge hatte Enrico ihn fast gesehen, wie er, mit schweren Verletzungen an sein Bett gefesselt beim schwachen Schein der Kerze diesen Brief verfasste, mit seiner letzten Kraft, den sicheren Tod vor Augen. Es schüttelte ihn in der Kälte der niedrig temperierten Katakomben. Dann wischte er die Gedanken fort. *Andersen...* Er musste ihn von diesen Dingen in Kenntniss setzten. Sofort. Der Paladin würde es überprüfen müssen. Wenn Gabriel, der Blutengel, wirklich wieder auferstanden war, dann musste die dreizehnte Division handeln. Enrico fuhr auf dem Absatz herum und schritt aus dem Katakombengewölbe heraus in einen langen, mit rotem Teppich ausgelegten Gang, der auf eine Treppe zuführte. Er wusste nicht genau, was Gabriel eigentlich war. Johannes sprach in seinen Texten von einem gefallenen Engel, aber Maxwell bezweifelte diese Gegebenheit. *Eher ein Vampir. Ein sehr mächtiger Vampir, wenn er Hellsings' Schoßhund besiegen konnte...* Das Bild seines besten Mannes, Paladin Alexander Andersen, schob sich vor seine Überlegungen und wieder begannen diese mentalen, dunklen Wolken sich über ihm zusammenzubrauen, ohne das Maxwell wusste, warum. Irgendetwas sagte ihm einfach, das etwas nicht in Ordnung war und mit jedem Schritt, den er die Treppe hinauftat, wurde dieses Gefühl stärker. *Verdammt...* Hoffentlich schaffte er es jetzt, den Paladin zu erreichen. Er hätte immoment alles dafür gegeben, dessen Stimme zu hören und zu wissen, das seine Sorge völlig unbegründet war. ~oOo~ An einem anderen Ort, viele tausend Kilometer weit weg, ahnte Alexander Andersen nicht, auf welche Weise sein Vorgesetzter von ihm dachte. Er blies den Qualm der Zigarette aus, hustete leise und verzog kurz das Gesicht. Er hatte noch nie wirklich geraucht, nie ernsthaft ... aber immomet war ihm danach. Nur aus dem Grund heraus, das es ihn ablenkte, die Spielerei mit seinen Fingern, der beißende Rauch in seiner Kehle. Ihn ablenkte von diesen verfluchten Gedanken, Bildern, Gefühlen... Hätte ihm jemand etliche Stunden zuvor gesagt, er würde diesen Ort nocheinmal freiwillig in naher Zukunft aufsuchen, er hätte ihn mit einem sanften, mileidigen Lächeln gesegnet und aus seinem Blickfels verscheucht. Dabei war er gestern abend erst hier gewesen. War das wirklich gestern gewesen? Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Wieviel doch in so kurzer Zeit geschehen konnte. Seine grünen Augen glitten durch die Gitterstäbe über das erleuchtete Anwesen. *Alucard...* Es war einfach gewesen, die logischste Alternative zum blinden Suchen. Und zugleich endlos schwer für ihn hierherzukommen. Aber jetzt hatte er nichtmehr vor umzukehren. Er würde diesen Nosferatu fragen, ihn notfalls zwingen, ihm den Weg zu Gabriel zu zeigen. Alucard war sicher in der Lage, ihn aufzuspüren. Andersen wusste noch nicht wie er das mit dem Zwingen anstellen sollte, aber er wusste, wenn Alucard heute Nacht noch auf die Jagd nach diesem Monster gehen würde... dann würde er mitkommen. Und diese gottlose Kreatur vernichten. Kurz kam ihm der Gedanke an Enrico, an Sir Hellsing, die gleich sicher sehr verschreckt dreinschauen würde, und die beiden Organisationen... Aber er schob ihn energisch beiseite. Nein... Das hier war nur noch seine Sache. Er würde Gabriel töten. Koste es, was es wolle. Und wenn das auch die Todsünde Rache in seinem Herzen war. Oder der Verrat an der dreizehnten Division... der Verrat an Enrico. Alexander Andersen schnippte den Rest der Zigarette weg, die im schneidenden Wind davonrollte und sah nocheinmal hinauf zum Anwesen. Und dann nahm er den einfachsten Weg, den es gab. ~oOo~ "Wir werden ihn finden, Sir Integra..."Walter lud gerade eine der Waffen nach:"Hören sie auf, sich Vorwürfe zu machen." "Woher willst du wissen, das ich das tue?" Die Stimme der blonden Frau klang schneidend in dem Raum und Seras zuckte fast erschrocken zusammen. "Ich kenne sie."antwortete Walter einfach und reichte jetzt eine der Waffen an Seras weiter, die diese stumm entgegen nahm. "Die Männer sind schon ausgeschwärmt. Sie durchkämmen ganz London nach dem altbewährten Netzshema. Wenn einer der Trupps etwas findet, melden sie sich sofort hier."Walter lud eine weitere Waffe nach und Seras sah aus den Augenwinkeln, das es seine eigene war. Sie würde sich also gleich nicht alleine auf den Weg machen. "Es ist aber meine Schuld."sagte Integgra jetzt ganz plötzlich, als hätte sie Walters Rede garnicht gehört und die anderen sahen sie etwas irritiert an. "Ich habe ihn immer für unbesiegbar gehalten. Er war eben Alucard. Auf ihn konnte man sich immer verlassen. Ich war so leichtsinnig, verdammt... Immer habe ich ihn alleine losgeschickt, ohne auch nur einmal daran zu denken, was passieren könnte, wenn er es einmal nicht alleine schafft... Ich habe sein Leben aufs' Spiel gesetzt...":Integra drückte die Zigarre mit einer Bewegung aus, als wolle sie sie erwürgen:"Es ist meine Schuld, das er halb tot hier ankam. Das er den ganzen Tag über an einer Dialyse hing. Das er jetzt weg ist. Das ihm was weiß ich was passieren könnte... Weil ich ihn behandelt habe wie den typischen Bauern, den ein Spieler ins Feld schickt ohne auch nur einen Gedanken an seine mögliche Opferung zu vergeuden... Weil er mir egal war." "Nein!"Seras ballte die Fäuste, sie hörte, das ihre Stimme zitterte. Aber es musste aus ihr raus, sie konnte nicht anders:"Wie können sie nur so von sich denken! Sie wissen ganz genau, das dass nicht stimmt! Alucard hätte niemals geduldet, das ihn auch nur einer der Männer auf irgendeinen Einsatz begleiten würde um auf ihn aufzupassen wie auf ein kleines Kind. Er hat ja noch nichteinmal mich mitnehmen wollen! Also ist es nicht ihre Schuld! Und allein die Tatsache, das sie sich um ihn sorgen, zeigt doch, das er ihnen nicht egal ist! ... Und es niemals war..." Seras spürte, wie ihr bei den letzten, ersterbenden Worten die Tränen über die Wangen liefen. Es war ihr so egal, ob sie respktlos gesprochen hatte, so verdammt egal. Sie konnte das alles nicht ertragen. Wenn ihr Herr doch nur wieder da wäre... Sie sah auf, blickte direkt in ein eisblaues Augenpaar, das sie von oben herab betrachtete. Sir Integra war vor sie getreten, ohne das sie es gemerkt hatte. Es schien, als wolle sie etwas sagen, sie öffnete die Lippen, aber ein schriller ton ließ alle zusammenfahren und sich umsehen. "Die Alarmanlage!"stellte Walter feste, griff sich seine Waffe und war auch schon aus der Türe raus. Integra kniff sie Augen zu Schlitzen zusammen, dann folgte sie dem Mann rasch, ebenso wie Seras, wobei auch sie ihre Waffe hob. Sir Integra hatte ihre nicht dabei, hielt sich dennoch vor der Vampirin. Walter war schon in der Vorhalle angekommen, schlich sich jetzt an der Wand entlang in Richtung der Eingangstüre. Integra sog scharf die Luft ein. Die Türe stand offen. Doch sie waren die Einzigen hier in der Halle, die beinahe direkt an den Konferenzsaal angrenzte, in dem sie sich bis gerade eben aufgehalten hatten. Alle Soldaten der Hellsing-Organisation waren auf der Suche nach Alucard über ganz London verteilt, da niemand damit gerechnet hatte, das er zurückkommen würde. Aber in Integra stieg plötzlich der nagende Verdacht auf, das es garnicht Alucard war, der zurückgekehrt war. Irgendetwas ... Fremdes war hier, in der immer nur spärlich beleuchteten Eingangshalle. Etwas, was hier nicht hingehörte. Bevor sie ihre Gedanken gänzlich sortieren konnte, spürte sie schon die scharfe Klinge an ihrer Kehle und Seras entsetzten Aufschrei. Als sie den Kopf soweit zur Seite wand, wie es ihr mit dem Metall an ihrer Haut möglich war erkannte sie den Eindringling. Ihr Blick schoß sofort Eispfeile in die Richtung des in weiß gekleideten Mannes ab, der etwas mehr als zwei Meter von ihr weg stand und ihr das Schwert an die Kehle drückte. "Paladin Alexander Andersen von Iskariot." Der Blonde erwiederte ihren Blick ausdruckslos:"Guten Abend, Sir Hellsing..." ~oOo~ Sturmnacht ---------- Sixth Chapter - Sturmnacht ~oOo~ "Das Schwert weg."Walters Stimme war ganz ruhig, hallte durch den hohen Raum, als er den Revolver hob und auf den Kopf des blonden Priesters zielte:"Auf der Stelle." Andersen würdigte ihn nicht eines Blickes, geschweige denn, das er den Befehl befolgt hätte. Wozu auch. Jeder in dem Raum wusste, das sie dem Regenerator mit simplen Schußwaffen nicht zu Leibe rücken konnten. Smaragdene Augen bohrten sich in die eisblauen Integras', beide schienen einen stillen Kampf auszufechten. Jetzt reagierte auch Seras, sie schritt vor und richtete ebenfalls ihre Waffe auf Andersens' Kopf, doch ihre schlanken Finger zitterten merklich:"Lass' sie gehen!" Integra hielt immer noch den Blickkontakt zu den grünen Augen, rührte sich keinen Millimeter, aber in ihrer Stimme schwang etwas Eisiges mit, das keinen Widerspruch duldete:"Seras. Walter ... Keiner von euch beiden wird auch nur einen Schuß abfeuern. Ich dulde nicht, das im Hause Hellsing ein Blutbad stattfindet! ... Und das gilt auch für sie, Paladin..." Andersen verzog nicht einmal das Gesicht:"Ich denke doch, das ich momentan der Einzige bin, der Befehle erteilen kann, Sir Integra Wingates Hellsing..." Integras' Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, ihre Stimme wurde zu einem drohenden Zischen und sie pfählte Andersen mit ihren Blicken, als sie alle Floskeln fallen ließ:"Was willst du hier, verdammter Judaspriester?!" "Ich will Alucard."Andersen hob das Schwert einen winzigen Millimeter, doch es reichte, um Integras' Haut zu ritzen:"Sofort." Die blonde Frau ballte ihre Fäuste und presste kurz die Lippen aufeinander, wich jedoch nicht zurück, als sie spürte, wie winzige Blutstropfen ihren Hals hinabrannen und im Kragen des weißen Hemdes versickerten:"... Der ist nicht hier..." Andersen blieb ganz ruhig und erschien so noch bedrohlicher, als wenn er sein irres, blutrünstiges Lächeln zur Schau getragen hätte:"Sie haben mein Anliegen anscheinend nicht verstanden. Also wiederhole ich mich, auch wenn ich Wiederholungen meinerseits verabscheue. Wo ist der Nosferatu? Antworten sie mir." Integra zog für Sekundenbruchteile die Stirn in Falten. Irgendetwas ... stimmte hier doch nicht. Das war doch nicht Andersen, der Alexander Andersen, den sie bei ihrem ersten Treffen als fanatischen, überheblichen Katholikenpriester kennengelernt hatte. In den funkelnden, grünen Augen ihres Gegenüber war keine einzige, menschliche Regung mehr zu erkennen und wenn es nur die abartige, sadistische Freude daran gewesen wäre, eine 'Ungläubige' derartig in Schach zu halten, wie es Andersen sonst eigen gewesen wäre ... einzig eine eisige Kälte brannte in diesen Augen, eine Dunkelheit, die alles andere verschlang. Das war nicht mehr der Judaspriester, den sie gekannt hatte, der folgsame Lakai des Vatikans, der Untergebene Maxwells' ... In diesem Mann vor ihr gab es nur noch blanken Hass. *Himmel, was ... ist mit ihm passiert?* "Nein, sie sind der, der nicht verstanden hat, Paladin Andersen. Alucard ist nicht mehr hier! Und es liegt nichtmehr in meiner Macht, ihn zurückkommen zu lassen, selbst wenn ich es wollte und selbst wenn sie mich töten würden."antwortete sie jetzt und Walter schritt einen Schritt vor, warnend die Stirn in Falten gezogen, doch Integra brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, als sie das Erhoffte in den smaragdenen Augen entdeckte. Verwirrung ... und Enttäuschung. Keine Wut mehr, kein Zorn darüber, das der gesuchte Todfeind nicht da war. "Sie wollen garnicht Alucard."stellte sie feste:"Darum geht es nicht, nicht wahr, Paladin Andersen? ... Wen suchen sie?" Die erste Regung in der Mimik des Anderen seit er ihr das Schwert an die Kehle gehalten hatte. Er kniff die Augen zusammen:"Sie sind eine gute Beobachterin, Sir Hellsing ... Aber wie gesagt, ich erteile hier die Befehle und ich stelle auch die Fragen... Also, wo finde ich Alucard, wenn er nicht hier ist und auch nicht kommen wird, wenn sie ihn rufen?" "Das weiß ich nicht."sagte sie wahrheitsgemäß und auf die Reaktionen des Blonden lauernd:"Alucard ist verschwunden ... Wir waren im Begriff ihn suchen zu gehen, als sie aufgetaucht sind." Andersen sah jetzt fast so aus, als wolle er verwirrt die Stirn runzeln, doch er beherrschte sich und fragte stattdessen:"Und ... bedeutet ihnen ihr Leben auch soviel, das sie mir sagen, was der Grund für das Verschwinden des Nosferatu ist?" "Wie kannst du es wagen, mir in meinem eigenen Haus auf so plumpe Weise zu drohen, verfluchter, judäischer Hundesohn?!" Integra kniff die Augen zusammen, Zorn wallte für Sekundenbruchteile in ihr auf, bevor wieder die rationale Seite in ihr gewann, sie maß Andersen mit ihren Blicken und wagte dann einen Schuß in's Blaue. Sie wollte einfach wissen, was hier vor sich ging, was mit dem Judaspriester los war:"So wie es nicht ihre Art ist, sich zu wiederholen, Paladin Andersen, so ist es für gewöhnlich nicht meine, mich einschüchtern zu lassen ... oder Informationen an den Feind weiterzugeben. Aber in diesem Fall will ich Klarheit und die erreiche ich nur auf einem Weg... Der Grund für Alucards' Verschwinden ist unserer Ansicht nach ein Wesen namens 'Gabriel'..." Die erwünschte Reaktion folgte. Andersens' grüne Augen weiteten sich mit Aussprache des Namens und das silberne Schwert sank um ein paar Zentimeter herab, als der Priester einen Schritt rückwärts taumelte. Walter reagierte sofort, warf Integra seine modifizierte Desert Eagle zu und sie packte sie blitzschnell und richtete die Waffe in Verteidigungshaltung auf den Kopf des blonden Mannes:"Sie kennen ihn, diesen Gabriel! Wer ist er?! Andersen! Ist Gabriel der Blutengel, sagen sie schon!!" Die Hand des Blonden krampfte sich um den Griff seines Schwertes, er sah zu Boden und die Brille reflektierte das dumpfe, gelbliche Licht. Der Priester ließ die Frage im Raum schweben und Integra spürte, wie es eiskalt ihren Rücken herablief, als Andersen schließlich wieder aufsah und mehr zu sich selbst sprach als zu den anderen Anwesenden:"Blutengel...? Ja... natürlich... Ich kenne die Geschichte.. Aber das ist unmöglich... Er ist ein Teufel." Die grünen Augen waren so ausdruckslos wie bei einem Katatoniepatienten, alles war von einer unbeschreiblichen Dunkelheit verschlungen, völlig gebrochen worden und diese Schwärze ergriff jetzt wieder Besitz von ihm:"Ein Teufel in Menschengestalt." Integras' Stimme war auf ein Flüstern herabgesunken:"Andersen... Was, zur Hölle ist passiert?" Sekundenlang blickte der blonde Mann sie an, ausdruckslos, mit zitternden Lippen und es schien ihr fast, als würde er mit ihr reden wollen ... dann verhärtete sich der Zug um seinen Mund, wurde bitter und grausam und der Priester hob das Schwert wieder und richtete es gegen ihre Brust. Für einen Augenblick glaubte Integra wirklich, das er auf sie losgehen würde. Ihr Finger krampfte sich um den Abzug der Desert Eagle, die silbrigen Fäden in Walters Händen waren zum Angriff gespannt und Seras ließ einen leisen Schrei verlauten als sie alle den wilden, ungezügelten Ausdruck des Hasses in den grünfunkelnden Augen auflodern sahen... Dann sank das silberne Schwert millimeterweise herab und fiel schließlich klirrend zu Boden. Andersen stand schwer atmend vor ihnen, sah starr in die eisblauen Augen Integras'. Und sie senkte wie in Zeitlupe die Hände mit der Waffe im Anschlag und deutete Seras mit einem Kopfnicken, es ihr gleich zu tun. "Und jetzt... Fangen wir nocheinmal von vorne an, Paladin Andersen." ~oOo~ Der Sturm draußen war stärker geworden, fegte jetzt Blätter und Unrat gegen die hohen Glasscheiben des Flughafenhauptterminals von London Heathrow. Wie Maschinengewehrsalven prallten dicke Regentropfen an das Glas und übertönten so beinahe die leise Musik, die im Hintergrund gespielt wurde. Leutnant Philippe Striker, Mitglied und Soldat des königlich-protestantischen Hellsing-Ordens seit sieben gottverdammten Jahren, starrte in die Dunkelheit draußen, gegen die die wenigen Laternen mit ihrem schummrigen Licht kaum ankamen. "Schwachsinn..."murmelte er dann leise, zündete sich eine Zigarette an und ließ seinen Blick durch die erleuchtete Halle schweifen, in der er und drei weitere Hellsing-soldaten in Zivil standen und 'die Augen aufhielten', so wie man es ihnen von oberster Stelle angeordnet hatte. Als wenn dieser Vampir hier auftauchen würde, so ein Quatsch... Dafür das sie sich immerhin in Heathrow aufhielten, war es verhältnissmäßig ruhig im Ersten der vier Terminals des Flughafens. Nur wenige Menschen saßen auf den Sitzbänken oder in dem Cafè und warteten entweder im Halbschlaf oder mit einem Kaffee bewaffnet auf ihren Flug oder auf ankommende Freunde und Verwandte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, das es kurz vor vier Uhr morgens war. "Na, nicht einschlafen, Striker."Einer seiner neu zugeteilten Kollegen, ein junger Spund von vielleicht zwanzig Jahren mit dem Namen Bauer, der ursprünglich aus Deutschland vom SEK kam gesellte sich neben ihn und reichte ihm einen Pappbecher mit heißem, schwarzen Kaffee. "Hmm...."Striker brummte, klemmte sich die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Becher. Es schmeckte gräßlich. Eben Flughafengesöff. "Ich frag' mich ja, was wir verbrochen haben, das wir hier die Aufpasser spielen müssen, anstatt mit den Anderen in London die Suchktionen durchzuführen."meinte Bauer dann mit seinem gräßlichen, deutschen Akzent:"Als ob dieser flüchtige Blutsauger hier auftauchen würde ... Außer, er will einen Trip nach Transilvanien machen." Der Ältere unterdrückte energisch den Impuls, seinen Revolver zu zücken und Bauer den Schädel von den Schultern zu schießen. Stattdessen nahm er noch einen Schluck bitteren Kaffe. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein selbsternannter Witzbold, der über seine eigenen, dämlichen Witze lachte. Er verfluchte bestimmt schon zum siebten Mal in dieser Nacht Fargason, der ihm das hier auf's Auge gedrückt hatte. Striker machte ein paar abweisende Schritte von Bauer weg, nickte unauffällig den anderen beiden Soldaten ihrer Organisation zu, die sich am anderen Ende der Halle aufhielten und nahm noch einen tiefen Zug von der Zigarette. Und im nächsten Moment hätte er sich fast an dem beißenden Rauch verschluckt. Die Gestalt in dem charakteristischen, roten Mantel und Hut, sowie der Sonnenbrille, die gerade durch die automatischen Türen schritt hätte er unter tausenden wiedererkannt. Er hörte, wie Bauer hinter ihm nach dem kleinen Funkgerät in seinem Ohr griff, es aktivierte und etwas hektisches hineinflüsterte und Striker wusste, das das Hauptquartier nun Bescheid bekam und sie in wenigen Minuten mit Verstärkung rechnen konnten. Aber er wusste auch, das Alucard aufgehalten werden musste. Wohin auch immer er zu verschwinden gedachte, wenn er hier am Heathrow-Airport auftauchte. Ihre Instruktionen waren eindeutig, der Hellsing-Vampir war nicht mehr ganz er selbst und unberechenbar. Striker ließ die Zigarette achtlos zu Boden fallen und griff nach seiner mit Silberpatronen geladenen Waffe, die unter dem langen, schwarzen Mantel verborgen gewesen war. Er hatte diesem Blutsauger noch nie über den Weg getraut... Auch wenn er wusste, das er Alucard mit seinen Geschossen nicht töten konnte, sondern nur verletzen und kampfunfähig machen, freute sich Striker dennoch grimmig über die Gelegenheit, dem Vampir zu zeigen, was genau er von ihm hielt. Alucard war eben doch nicht besser als die anderen Untoten, die sie Nacht für Nacht erlegten. Kurz bedachte er die andere Gestalt vor dem hochaufgeschossenen Rotgewandeten mit einem abschätzenden Blick. Dieser trug einen langen, dunklen Mantel, war blass und die schwarzen, schulterlangen Haare verdeckten jeden genauen Blick in sein Gesicht. Striker hatte keine Ahnung, wer er war, aber ohne Zweifel gehörten Alucard und dieser dünne Typ zusammen, wie sie jetzt nebeneinander an einen der Informationsschalter traten und die Flughafenangestellte irgendetwas fragten. Bauer trat neben Striker und flüsterte nocheinmal in das Funkgerät, das nun auf Nahkommunikation eingestellt war und die beiden anderen Hellsing-soldaten kontaktierte, die noch nichts von ihrem Gast bemerkt hatten. Es wurde Zeit zu handeln. "Zugriff!" ~oOo~ "Ich werde keinerlei Informationen preisgeben, Sir Hellsing..."Andersen stand an das Fensterbrett gelehnt, hielt die Arme verschränkt:"Diese ganze Unterredung ihrerseits ist Zeitverschwendung!" "Nun, wenn dem so ist..."Integra wechselte einen kurzen Blick mit Walter, zog dann an ihrer Zigarre und blies den Qualm in Richtung des Priesters:"Dann frage ich mich, warum sie noch hier sind, uns sogar zurück in das Konferenzzimmer gefolgt sind und noch nichts unternommen haben, Alucard im Alleingang zu finden..." Andersen knirschte mit den Zähnen, machte ein abfälliges Geräusch und sah zur Seite. Um die Lippen der blonden Hellsing-Leiterin zuckte auf diese Reaktion hin zum ersten Mal, seit Alucards' Verschwinden wieder ein leichtes Lächeln:"Sie brauchen uns... Weil sie ihn alleine nicht finden. Weder Alucard ... Noch diesen Gabriel. Warum wollen sie ihn?" "Ich sagte schon, das sie das nichts angeht!"fauchte Andersen, er drehte sich herum und sah aus dem großen Panoramafenster in die Dunkelheit. Dabei fuhr er sich mit den Fingern durch die blonden Haare und fischte dann zu Integras Erstauen eine Zigarettenschachtel aus der Manteltasche. Das Metallfeuerzeug klickte leise, als Andersen einen der weißen Stängel anzündete und der weiße Qualm vermischte sich mit dem von Integras' Zigarre. "Alucard befindet sich also - unfreiwillig - bei Gabriel?"fragte er dann, ohne sich umzudrehen. "Das vermuten wir..."antwortete Integra und sie kniff die Augen zusammen:"Aber ich werde ihnen keine Fragen mehr beantworten, ehe sie mir die meinen nicht beantwortet haben, Paladin Andersen! Sie sollten nicht vergessen, wo sie sich befinden! Also wiederhole ich mich: Warum wollen sie Gabriel? Ist er der Blutengel, hat Maxwell das herausgefunden? Die Division Iskariot hat hier in England nichts verloren, Maxwell weiß das! Als ich ihn anrief' habe ich nur um Antworten gebeten, nicht darum, das er mir seinen räudigen Bluthund auf den Hals hetzt!" Andersen schwieg kurz, dann neigte er leicht den Kopf:"Enrico weiß nicht, das ich bei ihnen bin. Er hat damit nichts zu tun ... Ich wusste nichteinmal, das sie ihn bereits von Gabriels' Existenz in Kenntniss gesetzt haben." Integras' Auge weiteten sich und Walter trat einen Schritt vor, sein Gesichtsausdruck trug Verwirrung zur Schau:"Wie bitte? ... Was soll das?" Der Priester drehte sich langsam zu ihnen um und wieder bemerkte Integra den leeren Blick Andersens', diese Dunkelheit in den grünen Augen, die ihr schon in der Halle aufgefallen war. "Das hier... ist meine Sache."sagte er langsam und seine Smaragde fixierten die blonde Frau:"Ich weiß, das mein Verhalten für sie irrational sein mag. Aber weder Enrico noch sie haben damit etwas zu tun, also fragen sie mich nicht mehr nach meinen Gründen, Sir Hellsing ... Es gibt sie, soviel sage ich ihnen. Das muss reichen." Integra zog noch ein letztes Mal an ihrer Zigarre, drückte sie im Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus und richtete dann mit einer knappen Bewegung das kleine Silberkreuz, das an ihrem Kragen befestigt war. Dann sah sie wieder auf:"Sie wissen, das ich diese Antwort nicht gelten lassen kann, Paladin Andersen... Dieses Land steht unter dem Schutz des königlich-protestantischen Ritterordens der Hellsings. Ich werde nicht dulden, das sie hier einen persönlichen Kleinkrieg vom Stapel lassen, haben sie mich verstanden?! Mögen ihre ... Gründe auch noch so schwerwiegend sein, es ist mir völlig gleich. Wenn Gabriel der Blutengel ist, dann stehen wir vor einem Problem, einem sehr großen. Er ist gefährlich, und damit meine ich einen Grad der Gefahr, welcher den bei weitem übertrifft, der unseren gewöhnlichen untoten Feinden eigen ist-" "Verstoßen von unserem Herren, weil er die Gebote brach, weil Neid und Missgunst auf die Menschen, Wut und Zorn auf Gottes Geschöpfe sein himmlisches Herz in Asche verwandelten."zitierte Andersen mit leerem Blick und er zog an der weißen Zigarette:"Keine Waffe von Menschenhand ersonnen vermag den zu töten, der auf die Erde verbannt worden ist, um zu bereuen... Ich weiß, wovon wir reden, wenn sie das meinen. Ich habe mich zu spät erinnert. Die Apokryphen des Johannes, ich habe sie einmal gelesen, vor langer Zeit... Ich hielt sie für einen Mythos..." "Sie haben etwas nicht stillschweigend geglaubt, was einmal Bestandteil der Bibel war?"fragte Walter leicht spöttisch:"Und das als katholischer Priester, als Mitglied der 13. Kongregation des Vatikans?" Andersen verzog das Gesicht und sein Ton wurde eine Spur schärfer:"An Gott zu glauben heißt nicht, allem blind zu vertrauen, was von Menschenhand vor Urzeiten niedergeschrieben wurde..." Integra schritt auf den Andersen zu:"Wie auch immer... So wie die Situation im Moment sehe, wollen wir doch beide mehr oder weniger das gleiche, Paladin. Wir wollen diesen Gabriel. Wenn auch unsere Gründe dafür verschiedener Natur sind ... Aber lassen sie es sich nocheinmal gesagt sein, ich werde keinen Judaspriester mit blutdürstenden Klingen durch London streifen lassen um die Stadt zu seinem eigenen, kleinen Kriegsschauplatz zu machen!" Sie stand jetzt direkt vor ihm, hielt ihm mit einer knappen Bewegung den metallenen Aschenbecher unter die Nase. Die grünen Augen zeigten keinerlei Regung, als Andersen die halbe Zigarette ausdrückte, sich aufrecht hinstellte und sie von oben herab ansah:"Ich verstehe... Aber sie wissen genau, das ich ihnen nicht gehorchen muss, Sir Hellsing." Integras eisblaue Augen durchbohrten den blonden Mann:"Das sollten sie aber, wenigstens in dieser Hinsicht, wenn ich ihre zwangfreie, agressionslose Anwesenheit in meinem Hause als Bereitschaft zu einer wie auch immer gearteten Kooperation ansehen möchte... Paladin Andersen. Ich habe nie gesagt, das ich die brauche. So tief würde ich niemals sinken. Aber sie brauchen uns um Gabriel zu finden." Der blonde Mann betrachtete sie kurz schweigend:"Ich habe ihnen nie meine Kooperation angeboten..." Bevor Integra zu einer Antwort ansetzen konnte, wurde die Türe des Konferenzraumes schwungvoll geöffnet, Seras stürmte hinein und ihre roten Augen funkelten ihnen entgegen. "Meister Alucard!"keuchte sie:"Sie haben ihn gefunden! Heathrow Airport, Leutnant Striker und seine Truppe sind dort, Verstärkung ist angefordert! Kommen sie, der Helikopter ist schon bereit!" "Ist er allein?"fragte Integra schnell und Seras schüttelte den Kopf:"Eine Person befindet sich bei ihm, es scheint unser Verdächtiger zu sein!" Integras Blick flog zuerst zu Walter, dann zu Andersen:"Walter, meine Waffe!.... Und sie, Paladin. Ich kann sie nicht davon abhalten, im Alleingang zu gehen, das wissen wir beide. Aber rechnen sie damit, das sie dann von unseren Leuten als der Feind empfangen werden, der sie immer noch sind!" "Sparen sie sich ihre Reden, Sir Hellsing."Andersen trat auf sie zu:"Ich habe keine Möglichkeit, schneller als mit einem Helikopter nach Heathrow zu gelangen..." Integra kniff die Augen zusammen, während sie rasch den Revolver und den Hüftgurt entgegennahm, den Walter ihr reichte:"Ist das jetzt ein Angebot zur Kooperation?" Andersen sah sie mit einem undefinierbaren Blick an:"Nun... wenn sie es so sehen wollen." "Ich warne sie, Paladin Andersen..."Sie entsicherte ihre Waffe:"Wenn sie hier irgendein Theater abziehen, bereuen sie das ... Denn nichteinmal ihre Regeneratorkräfte werden sie retten können, wenn ich das gesamte Magazin meiner Quecksilbergeschosse in ihrem Katholikenschädel versenkte." ~oOo~ Schwarze Wolken. Dunkelheit. Und dahinter ein tosender Sturm aus wispernden Stimmen und brodelnden Emotionen. Blitzen gleich die Bilder, irreal und verzerrt. Ein großes Gebäude aus Glas, Licht und Menschen. Der Geruch ihres Blutes, selbst aus dieser Entfernung wahrzunehmen, das leise Geräusch, wenn es durch ihre Adern pulsiert. Und diese Augen, diese schwarzen Augen, dennen er folgt. Überallhin. "Sie kommen." Die Stimme, die ihm durch Mark und Bein geht, die seine Seele erschüttert, sein eigenes Blut zum Kochen bringt. "Sie wollen dich von mir wegholen... Sie wollen mich angreifen." "Mein Herr..."flüsterte Alucard leise:"Was soll ich tun?" Ein leises Lachen, das sich an sein Ohr schmiegte:"Das, was du am besten kannst... Töte sie!" "Ja, Herr." ~oOo~ Striker hob seine Waffe, als sie kaum mehr drei Meter von Alucard und dem andern, jungen Mann entfernt standen. Er achtete nicht auf die Schreie der Zivilisten um sie herum, als seine Kollegen es ihm gleichtaten, fixierte mit seinen Augen nur den hochgewachsenen Vampir der Hellsings. "Komm freiwillig mit, Alucard!"sagte jetzt Bauer neben ihm mit dem Revolver im Anschlag:"Und allen ist ein Gefallen getan!" Der Vampir sah sie an und kurz fiel Striker das eisige Lächeln des schwarzhaarigen Mannes neben Alucard auf, dann bleckte der Hellsingvampir geifernd seine Zähne. Striker feuerte in dem Moment auf die weiße Stirn, als Alucard wie ein Wolf vorsprang und sich auf sie stürzte. Die Kugel durchbohrte den Vampirschädel, ohne den leichtesten Schaden zu verusachen. Das letzte, was Striker sah, waren die krankhaft weißen Augen Alucards, der im zähnefletschend die Kehle zerriss. ~oOo~ Andersen strich sich durch die blonden Haare, die von dem Kopfhörer in Zaum gehalten wurden. Sein Blick war starr aus einem der kleinen Fenster des Apache gerichtet, beobachtete die Regentropfen, die vom heulenden Wind durch die schwarzgrauen Wolken gepeitscht wurden. Der Sturm, der über dem nächtlichen London tobte schüttelte die Maschine durch und verursachte zusammen mit dem lauten Motorengeräusch einen Höllenlärm in dem zweckentfremdeten Militärhelikopter. Der Priester wusste, das der kritische, lauernde Blick aller Hellsing-mitglieder, die sich ebenfalls in dem Passagierraum befanden, auf ihm ruhten, aber er beachtete sie nicht. Ebensowenig wie den Gedanken an Enrico, der ihn warscheinlich töten würde, wenn er wüsste, wo sich sein bester Mann gerade aufhielt und vor allem mit wem er unterwegs war. Das alles war nicht mehr von Belang. Garnichtsmehr war das. Nur eines, das Blut des Teufels, wenn es an seinen Klingen herablaufen würde... "Wir erreichen in Kürze Heathrow Airport."knarzte es in dem Kopfhörer, Andersen identifizierte die Stimme als die des Piloten. Kurz darauf drückte ebenjener ohne Vorwarnung den Steuerknüppel des Apache hinunter und die Maschine vollführte eine Neigung um 50°, die alle Passagiere in die Sicherheitsgurte drückte. Mit einem protestierenden Motorenheulen, als er in den starken Wind geprügelt wurde, ging der Militärhelikopter nieder. Unter ihnen kam im peitschenden Regen das erleuchtete Glasgebäude von Heathrow in Sichtweite. Die kleine, rothaarige Vampirin, von der Andersen nur wusste, das sie ein Kind Alucards' war und Seras Viktoria hieß, presste sich plötzlich einen Kopfhörer energisch ans' Ohr und ihre Augen flackerten, als sie aufsah:"Sir Hellsing... Die in Heathrow stationierte Truppe um Striker hat soeben einen Notruf an die Verstärkungstruppen um Leutnant Fargason gesendet! Offensichtlich werden sie angegriffen!" Integra verzog keine Miene:"Wer ist der Angreifer?" "... Es ist ... Meister Alucard..."Seras presste die Lippen aufeinander und Andersen sah, wie Integras' Augen flackerten, ihre Hände sich in den Stoff der dunkelgrünen Jacketthose gruben. Der Blick der Frau flog zu ihm und er verstand den stummen Befehl, der darin lag, neigte leicht den Kopf. Nein, dieses Mal war es nicht der Nosferatu, gegen den er kämpfen wollte. Alucard war ihm völlig gleich ... Ob es überhaupt jemals wieder ein nächstes Mal geben würde für ihn, noch eine Zeit des Kampfes nach diesem? Andersen wusste es nicht. Seine Hände schmerzten, als er sie stumm zu Fäusten ballte, seine Fingernägel sich in sein eigenes Fleisch bohrten. Er wollte nicht über die Zukunft nachdenken, nicht jetzt. Jetzt zählte nur noch eines, Gabriel. Er würde ihn töten, wie auch immer er das anzustellen gedachte. Danach war alles Dunkelheit. Holprig setzte der Helikopter auf dem Landeplatz des Daches von Heathrow auf, sie entledigten sich der Sicherheitsgurte und der Kopfhörer und traten ins Freie, wo sie von einigen Beamten des Flughafens empfingen wurden. Regen, Hagel und ein eisiger Wind prasselte auf sie ein und Walter schütze seine Augen mit den Händen, als er sich zu Sir Hellsing umwand:"Leutnant Faragson meldet mir gerade, das sie ebenfalls eingetroffen sind. Alle Zufahrtsstrassen wurden von unseren Mitarbeitern abgeriegelt und für die wenigen Zivilisten in Heathrow stehen Spezialisten bereit. Die Mitarbeiter des Flughafens sind in dem Maße informiert, wie es die Situation erfordert, der Flugverkehr wurde für die Dauer des Zwischenfalls umgeleitet ... Die Öffentlichkeit wird später von einem Terroistenanschlag ausgehen, dafür sorgen unsere Pressestellen." Integra nickte und sie schrie zurück, die einzige Möglichkeit sich bei dem Sturm verständlich zu machen, während sie alle zu der in einen gläsernen Außengang eingelassenen Schiebetüre gingen, der in das Innere des Flughafens führte:"Die Evakuierung muss rasch folgen, wenn die Umstände es erfordern. Ich will keine zivilen Opfer, das kann sich der königlich-protestantische Orden nicht leisten! Ich hoffe, das auch sie das verstanden haben, Paladin Andersen!" Er neigte den Kopf, sagte nichts. Seine grünen Augen scannten die Umgebung, aber in der sturmgepeitschten Dunkelheit war nichts zu erkennen. Die Glasbauten von Heathrow, die um den Helikopterlandeplatz herum in die Höhe ragten waren hell erleuchtet, nichts ließ darauf schließen, das darunter ein Kampf tobte. Dennoch schlugen seine Regeneratorsinne Alarm. Er spürte, das etwas nicht in Ordnung war und als sie in das Innere des Gebäudes traten wurde dieses Gefühl übermächtig. "Ich bin McKarthy, Chef der Flugsicherheit London Heathrow. Die Männer befinden sich im ersten Terminal. Es sind zwei von ihnen und es scheint, als wollten sie zu den Flugzeugen auf der Rollbahn kommen. Unsere Mitarbeiter haben ihnen den Weg abgeschnitten, sie machen von ihren Waffen Gebrauch!"sagte jetzt einer der Sicherheitsbeamten, die sie vorhin empfangen hatten. Der Mann musterte sie nervös, schien mit seinen Nerven am Ende:"Und sie sind sich sicher, das ihre Spezialtruppen diese Kerle stoppen können? Haben sie denn Erfahrung mit solchen Terroristen? Herrgott, ich habe ja schon viel erlebt, aber das hier sprengt alles! Da unten herrscht ein Krieg! Diese Typen sind nicht von dieser Welt!" "Lassen sie das meine Sorge sein."erwiederte Integra knapp:"Sagen sie ihren Leuten, das sie sich zurückziehen sollen. Ab jetzt fällt alles in unseren Bereich." Blitzartige Schüsse, die durch die Wände des Flughafens hallten, ließen sie alle herumfahren und Andersen kniff die Augen zusammen. Es war an der Zeit, ihre Zweckgemeinschaft zu lösen. Der blonde Mann griff nach seinen Schwertern, zog zwei von ihnen heraus, nicht auf das entsetzt Keuchen des Sicherheitsbeamten achtend:"... Danke für den Flug, Sir Hellsing." "Paladin Andersen!"schrie sie ihm aufgebracht nach, doch der Priester reagierte nicht mehr, lief mit gezückten Klingen den Gang entlang, der in den Hauptterminal von Heathrow führte. Seras entsicherte ihre Waffe, wandte sich ebenfalls in die Richtung, in die der Paladin verschwunden war:"Ich werde zu Leutnant Fargason stoßen, Sir Hellsing... " Integra nickte nur, als die junge Vampirin losrannte und sie sah halb zur Seite:"Walter... Wenn es nicht anders geht... Verletz' ihn. Tu alles, um Alucard zu stoppen. Ich weiß zwar nicht warum, aber er ist nicht er selbst." Walter neigte den Kopf:"Natürlich, Mylady." Dann lief auch er los, Seras und Andersen folgend. Integra wandte sich wieder an McKarthy:"... Sie sagten, die beiden Männer wollten zu den Flugzeugen?" "Ja. Einer von ihnen hat bei ihrer Ankunft einen der Informationsmitarbeiter, der sich momentan in Sicherheit befindet nach dem nächsten Flugzeug gefragt, das nach Rom abgeht. Und kurz danach ist da unten die Hölle losgebrochen." "Nach Rom?"murmelte Integra mehr zu sich selbst und sie blickte in den Gang, in den die Anderen verschwunden war:"Der Vatikan..." *Andersen... Weiß er davon? Was will dieser Gabriel in Rom?* ~oOo~ Alucard lächelte boshaft, als die Kugeln der Menschen durch sein Fleisch drangen und mit einer langsamen Bewegung wischte er sich das noch warme Blut vom Kinn, ließ die Leiche dumpf zu Boden fallen. Die Dunkelheit in seinem Inneren war zu einem Sturm angewachsen, der ihn mit sich riß, ein Fauchen und Kreischen, das ihn wahnsinnig machte. Vor Hunger. Er existierte nur noch für den Moment, in dem er seine Fänge in weiche Haut bohren konnte, für die schillernde Extase die ihn hinabstieß in eine Hölle aus Dunkelheit und Lärm, die feurige Nordlichter durch seine untoten Adern jagte. Seine Augen waren wie Nebel, als er sich den verbliebenen Menschen zuwand, die sich wie ängstliche Ratten vor ihm versteckt hatten und unaufhörlich und völlig unsinnigerweise Schüsse abfeuerten. Vor ihm und seinem Herren hatten sie sich versteckt, sein Herr, der hinter ihm stand und ihn lächelnd musterte. Alucard wusste das und kurz glitt sein Blick zu der schwarzgekleideten Gestalt. Gabriel glühte in seinen Augen in einem unwirklichen, schwarzen Licht, war von einer Aura umgeben, die ihn blendete. Sein Herr... Ja, er würde alles für ihn tun, jeden seiner Befehle befolgen. War es nicht immer so gewesen, war es nicht die einzige Bestimmung seiner Existenz, dies zu tun? Er wusste es nicht, wusste nicht, was vor Gabriel gewesen war. Alles davor war Dunkelheit, noch schwärzer als die, die in seinem Inneren wütete. Aber es war auch egal. Alles was jetzt noch wichtig war, stand hinter ihm und wartete darauf, das er den Weg freiräumte. Und er würde dies tun. Sehr zu seinem eigenen Vergnügen. Alucard grinste und bleckte die blutverschmierten Zähne, als er vorwärtssetzte und die Menschen angriff, deren betörender Angstschweiß und das kochende Adrenalin in den so wunderbar lebendigen Adern ihn zu einem reißenden Raubtier degradierte. ~oOo~ Andersen hörte die jämmerlichen Schreie der Sicherheitsleute schon von weitem, reihte sich in die Reihen der Hellsingsoldaten ein, die von einem anderen Gang aus ebenfalls in Richtung Hauptterminal unterwegs waren. Niemand der Soldaten versuchte auch nur, ihn aufzuhalten. Offenbar hatten sie von Sir Hellsing entsprechende Befehle bekommen und irgendwo war der Paladin der blonden Frau dafür dankbar, sich nicht noch mit diesen Menschen herumsschlagen zu müssen. Er hätte jetzt gnadenlos jeden aus dem Weg geräumt, der sich ihm in den Weg zu stellen gedachte. Er wollte nur noch Gabriel. Wahlweise in kleinen Scheiben oder seinen Kopf auf einem Silbertablett. Sie erreichten den ersten Terminal von London Heathrow, eine große, hell erleuchtete Halle aus Glas. Schreie und Schüsse peitschten durch die Luft. Ein kurzer Blick auf die Leichen der in Zivil gekleideten Hellsingmitglieder genügte dem Regenerator. Mehrere Soldaten schossen ihnen gerade Silberkugeln in den Kopf um zu verhindern, das sie als Ghouls wieder auferstehen würden. Bei den Zivilisten, die sich schon verwandelt hatten und sie jetzt mit heiserem Gebrüll in Empfang nahmen war dies schon schwieriger. Doch sein Interesse lag anderswo. Andersen rannte weiter durch die langgestreckte Halle, vorbei an Hellsingmitgliedern, die gegen Untote kämpften und vor Angst zitternden, überlebenden Zivilisten und dann sah er sie endlich. Alucard war von oben bis unten mit einem roten Glanz beschmiert, sah aus, als hätte er sich im Blut seiner Opfer gewälzt, die Hände waren zu Krallen verzerrt, als er die verbliebenen Sicherheitsleute angriff, die nicht den Hauch einer Chance hatten und jetzt verstand Alexander, was Integra mit 'er ist nicht ganz er selbst' gemeint hatte. Dieser Vampir war eine blutrünstige Bestie, mehr ein reißendes, wildes Tier als ein Vampir, kein Vergleich mehr zu dem stolzen Nosferatu, als den er Alucard kennengelernt hatte, sein immer beherrschter, und wie sich Andersen eingestehen musste, respektabler Todfeind. Sein Blick fing die Gestalt, die hinter dem grausigen Szenario stand und für Sekundenbruchteile wäre er fast gestrauchelt, als alle Erinnerungen, die er so erfolgreich verdrängt hatte wie eine Flutwelle über ihn hereinbrachen. Gabriel. Wie ein düsterer Gott stand er da, ihm den Rücken zugewand, sein schwarzer Mantel fiel bis auf den Boden, mutete wie lange, dunkle Flügel an, die hinter den Schultern gefaltet waren. Die schwarzen Haare glänzten im Neonlicht wie der Nachthimmel, unterstrich diese ganze Erscheinung noch, diese mächtige Aura, die den jungen Mann jetzt umwogte wie düstere Wellen aus Unlicht. Ja, das war der Blutengel. Es gab keinen Zweifel mehr. Nicht für ihn, Alexander Andersen, der erlebt hatte, wie grausam dieses Wesen sein konnte, der die Ewigkeit in den schwarzen Augen gesehen hatte, diese Zeitlosigkeit, die etwas in ihm für immer verbrannt hatte. Die Leere, die von Andersen Besitz ergriffen hatte wurde plötzlich verdrängt, als Wut und Hass in ihm aufloderten wie brüllende Feuerwalzen. Rache. Das war alles, woran er noch denken konnte. Seine Klingen sangen ein blutdürstendes Lied, als er den letzten Abstand überwand und im Laufen ausholte, auf den Nacken Gabriels' zielte. Mitten in der Bewegung schien die Zeit plötzlich einzufrieren. Wie in Zeitlupe sah er, das Gabriel seinen hübschen Kopf wand, sah das Profil, wie aus Elfenbein geschnitzt, die spöttischen Augen, die ihm entgegenblitzen, ohne das der junge Mann sich rührte. *Er wusste, das ich da bin... Die ganze Zeit.* Dieser Gedanke durchzuckte den Paladin, dann war der Sekundenbruchteil vorbei. Und Andersen zog das Schwert durch. Es zerfetzte die pure Luft, als Gabriel sich schneller zur Seite wand und der gesegneten Klinge auswich, als seine menschlichen Augen ihm folgen konnten. "Ah, mein kleiner Priester..."hörte er ihn lachen:"Ich habe mich schon gefragt, wann wir uns endlich wiedersehen. Hast du mich vermisst?" In Andersens' grünen Augen loderte der Hass, als er dem schwarzhaarigen Mann nachsetzte, der ohne große, sichtbare Anstrengungen vor ihm zurückwich, aber er sagte keinen Ton, keine Worte, nichteinmal ein wütender Schrei hätte den Zorn ausdrücken können, der den Paladin in diesem Moment von innen heraus zerfraß, als er seinen Peiniger durch die von Schüssen erfüllte Halle trieb. Doch Gabriel spielte mit ihm, wie eine Katze mit einer Maus und Andersen wusste das. Mit einem verzweifelten, wütenden Schlag streckte er nocheinmal sein Schwert nieder und dieses Mal wich Gabriel ihm nicht aus. Andersen sah ihn grinsen, dieses widerliche Lächeln, das er nur zu gut kannte, in dem Moment als die Klinge auf ihn niedersauste. Und mit einem knirschenden Geräusch aufgehalten wurde, als sie mit Alucards vorgestrecktem Unterarm kollidierte, das untote Fleisch zerschnitt und im Knochen steckenblieb. Grüne Smaragde fraßen sich in blendendes Weiß, als Alucard den Paladin anstarrte und leise mit einer unnatürlich verzerrten Stimme zischte:"Lass' meinen Herren in Frieden..." Andersen hatte nicht genügend Zeit, diese Worte zu verarbeiten und zu verstehen, als schon die ersten Kugeln an seinem Kopf vorbeizischten und sich in die Schultern des Hellsingvampirs bohrten. Der lachte nur auf, stieß Andersen mit unmenschlicher Kraft zurück und attakierte den Paladin mit einem tierischen Schrei. Andersen riß seine Schwerter hoch, fühlte wie seine Regeneratorkräfte in ihm aufwallten und mit einem fauchenden Rascheln stoben die Seiten der heiligen Schrift, die vampirischen Bannsiegel aus seinem Mantel, wirbelten durch die Luft und um den kämpfenden Paladin und den rasenden Vampir wie ein wildgewordener Tornado. Alucard schien es nicht zu stören, ebensowenig wie die Schreie der Hellsingsoldaten, die immernoch versuchten, ihn mit ihren Silberkugeln zu verwunden. Als ob sie nicht wüssten, wie sinnlos das bei diesem Untoten war. Doch auch seine Schwerter schienen Alucard nichts auszumachen. Von mehreren Klingen durchbohrt kämpfte er immer noch wie ein Tier gegen den Regenerator, der sich vehement zur Wehr setzte. *Alucard... Was ist los mit dir?* Die zwischen seinen Schwertern durchblitzenden Augen, irritierenderweise völlig weiß ohne die Spur einer Iris oder Pupille, waren in Wahnsinn getränkt. Die schmalen Lippen zu einem grotesken Grinsen verzerrt. Nichts war mehr übrig von dem Vampir der Hellsings, den er gekannt hatte. Es musste etwas mit Gabriel zu tun haben. Herr... warum hatte Alucard dieses Monster Herr genannt? Andersen hatte nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Alucard war immer schon ein würdiger Gegner für ihn gewesen, auch wenn sich der Paladin das nicht gerne eingestand, aber jetzt schien er über noch größere Kräfte zu verfügen als jemals bisher. Ob das auch an Gabriel lag? Der Vampir schlug die Schwerter zur Seite, als er einen erneuten Angriff startete, packte Andersen an den Schultern und warf ihn mit einem irren Lachen quer durch die Halle. Alexander drehte sich im Fallen, landete krachend auf seinen Knien. Eine Welle gesegneter Klingen stob mit einem Zischen aus der Richtung des Paladins, pfählte Alucard gnadenlos, der ihm schon nachgesetzt hatte und ihn anfiel wie ein gigantischer Panther seine Beute. Der Vampir wurde zurückgeworfen und Andersen sprang auf die Beine, setzte mit gezogenen Klingen vor, nur um sofort in den vorgehaltenen Lauf einer Casull 454 zu blicken. Für die Dauer eines Wimpernschlages sah er das wahnsinnige Grinsen im Gesicht des Vampirs, ein überschnappendes, rötliches Flackern in den blassen Augen und plötzlich verzog sich dieses Lächeln zu einer gequälten Mimik voll Schmerz, ein leises Flüstern, das nur Alexander verstehen konnte:"Judaspriester... Hilf' mir!" Dann feuerte Alucard. Die Kugel durchschlug Andersens Stirn, weißglühender Schmerz explodierte in seinem Kopf, als das große Geschoss seinen Schädel spaltete und sich in sein Gehirn bohrte. Die Wucht des Schusses warf ihn mit Gewalt rückwärts, hart schlug er auf und rutschte über den von Blut glitschigen Boden. Sekundenlang war er wie taub, blind, ohne jedes Gefühl, dann spürte er wie die normalerweise tödliche Wunde geheilt wurde. Wie es immer war. Doch Alucard war schneller, stand über ihm und richtete die Waffe wieder auf seinen Kopf. Raschelnd fielen die Blätter der gesegneten Schrift um sie herum zu Boden, als Andersen seine ganze Kraft darauf konzentrierte, seine Wunde zu heilen. "Nosferatu... "Alexander sah in die Augen des Vampirs. Der Wahnsinn hatte wieder Einzug gehalten, das merkwürdige, trübe Funkeln, das diese sonst feurigen Rubine in fahle Nebelfelder verwandelte. "Töte ihn nicht zu schnell, Vampir... Mach es langsam und schmerzhaft. Es wäre eine Verschwendung, wenn der Schmerz in diesen hübschen, grünen Augen zu schnell erlischt."erklang eine Stimme hinter ihnen und Andersen brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, das es Gabriel war, der da sprach und ihn böse lächelnd musterte. Diese Stimme hätte er unter tausenden wiedererkannt. Alucard grinste wie ein Wahnsinniger, dann hob er die Waffe noch ein Stück und sein Finger krümmte sich um den Abzug. Und dann schoß jemand. Ein dumpfer Schuß, als würden zwei große Bleiplatten aneinanderschlagen, ganz anders als das helle Peitschen der Hellsingdienstrevolver, die die ganze Zeit zu hören gewesen waren. Alucard keuchte auf, als er zur Seite torkelte, sich die Hand auf die Brust presste. Jetzt erkannte Andersen hinter dem Hellsingvampir Walter C. Dolneaz stehen. Mit der schwarzen Jackal Alucards' in den erhobenen Händen zielte er nun auf Gabriel und schien erhebliche Mühe zu haben, die schwere Waffe aufrecht zu halten. "Lass' Alucard gehen. Und dann ergib' dich."sagte der Mann ganz ruhig, aber seine schwarzen Augen bohrten sich in die des jungen Mannes, der eine der gesegneten Klingen Andersens aufgehoben hatte und interessiert musterte Gabriel sah ihn für Sekunden mit einem undefinierbaren Ausdruck an und ignorierte die um seine Gestalt zischenden Kugel, dann lächelte er. Aber ein Lächeln, das die Sonne dazu gebracht hätte, zu einem gigantischen Eisblock zu gefrieren. "Und was tust du, wenn ich mich weigere... Alter Mann?" "Dann töte ich dich." Gabriels' Lächeln wurde bestialisch:"Mich töten? Ihr könnt mich nicht töten, ihr verfluchten Sterblichen ... Ihr seid nichts weiter als unreiner Schmutz, der sich die Krönung einer jämmerlichen Schöpfung schimpft, die Kakerlaken eines anmaßenden Gottes, der auf euch herabblickt und sich an eurem Leid ergötzt, an eurem sinnlosen Herumgekrieche auf diesem toten Erdball, daran wie ihr euch gegenseitig abschlachtet. Nein, du kannst mich nicht töten, keiner von euch und jeder der es versucht wird eines qualvollen Todes sterben, der ihn zurück zu diesem abartigen Gott bringt, aus dessen Eingeweiden er dereinst gekrochen kam..." "Du redest zuviel."sagte plötzlich eine andere Stimme und als sie zur Seite sahen stand dort Seras Viktoria, ihre Harkonnen im Anschlag und neben ihr Fargason, der Gabriel kalt musterte:"Stirb', du Scheusal!" Die roten Augen der jungen Vampirin glühten rachsüchtig auf, als sie schoß und der Knall der Waffe hallte in dem Terminal wieder, zeitgleich mit dem Schuß, den Walter aus der Jackal abfeuerte. Andersen war binnen Sekunden wieder auf den Beinen, seine Schwerter kampfbereit in den Händen und sah auf die Rauchwolke, die eben noch Gabriel gewesen war. Alucard neben ihm schwankte wie in einem schweren Wind und Seras ließ ihre Waffe fallen und wollte auf ihn zulaufen, doch der Paladin hielt ihr ein Schwert an die Kehle, das andere auf den Hellsingvampir gerichtet, falls der ihn wieder angreifen würde:"Bleib' stehen." Der Lärm um sie herum legte sich etwas. Die Hellsingsoldaten hatten den Terminal unter Kontrolle, die meisten der Ghouls waren vernichtet. Aber die vier Kämpfer in der Mitte starrten immernoch auf die schwelende Rauchwolke. "Ein netter Versuch."klang plötzlich eine Stimme von der Decke und alle Blicke flogen in die Höhe. Gabriel schwebte vier Meter über ihren Köpfen wie an unsichbaren Seile aufgehangen. Er lächelte und seine dunklen Obsidiane fixierten Seras:"Aber nicht gut genug..." Bei diesen Worten kam plötzlich ein Wind wie aus dem Nichts auf, eine Druckwelle, die alle Anwesenden, Menschen wie Vampire von den Beinen fegten. Gabriels Mantel wogte hinter ihm wie gigantische, gespreizte Raubvogelschwingen in der Luft, schwarze Schlangenaugen glühten in einem unheimlichen Licht auf. „Kleine, junge, dumme Vampirin. Hat dir denn niemand gesagt, das man sich aus den Angelegenheiten von Erwachsenen rauszuhalten hat?“Gabriels Stimme war ein Fauchen über dem Wind:“Vielleicht muss ich es dir erst beibringen…“ Mit diesem Worten hob er das Bajonett Andersens, der Wind um sie herum wurde noch tosender, die schwarze Gestalt Gabriels flackerte und schimmerte wie unwirklich und dennoch sah Andersen, das er Seras mit seinen Schlangenaugen fixierte. *Er wird sie töten!* Für Sekundenbruchteile erfüllte den Paladin eine tiefe Verwunderung darüber, das ihn diese Gewissheit so aufwühlte. Sie war nur eine Nosferatu, eine, die er selbst bereits mehr als einmal hatte töten wollen. Aber es war Gabriel, der es jetzt beabsichtigte, diese Kreatur, dieses Monster… Er hatte kein Recht dazu. Seine grünen Augen flogen zur Seite. Alucard. Sie war sein Kind. Der Hellsingvampir stand als einziger von ihnen noch aufrecht, hielt sich die Schulter mit der gewaltigen Wunde, die die Jackal geschlagen hatte. Seine fahlen Augen blickten verwirrt zu dem Wesen empor, das er vor kurzem noch ‚Herr‘ genannt hatte. *Judaspriester… Hilf mir!* *Alucard!* Er schrie den Namen in Gedanken. Und der Nosferatu sah ihn an, blickte ihn direkt an mit diesen Nebelaugen. *Erinner dich! Ich weiß, das du es kannst! Du warst vorhin bei mir, du warst es!*Der Priester wusste nicht, ob Alucard ihn überhaupt hören konnte, seine Gedanken hören konnte. Es war ihm egal. *Erinner dich, du gottverdammter, neunmal verfluchter Nosferatu oder ich prügel dich durch das Fegefeuer bis in den tiefsten Kreis der Hölle und werfe dich höchstpersönlich in Luzifers Rachen!* Im nächsten Moment flammten Alucards Augen auf. Gleißend rot, wie zwei explodierende Sonnen. Der Vampir schaute ihn immernoch an und Andersen wusste, jetzt sah er ihn wirklich. Alucard grinste, sein altbekanntes, spöttisches Lächeln. *Angel Dust… Diese liebenswürdige Art erkenne ich doch unter Tausenden.* Und dann ging auf einmal alles ganz schnell, zu schnell, um es genau zu sehen. Seras neben ihm schrie auf, als Gabriel abwärts stieß wie ein gigantischer Greifvogel. Alucards Körper zerbarst in schwarzen Schatten, gespickt mit unzähligen, rotfunkelnden Augen, die sich auf den Engel stürzten. Ein widerliches Knirschen von Metall auf Metall, der Wind implodierte regelrecht um sie herum. Und dann … war alles still. Als Andersen aufsah, stockte ihm fast der Atem. Alucard stand halb über Seras, schützte sie mit seinem Körper, in seiner hoch erhobenen Hand die Casull 454, die mit seinem Bajonett in Gabriels Händen kollidiert war und den tödlichen Schlag aufgehalten hatte. Und darüber… schwebte Gabriel in der Luft wie ein unheilvoller Schatten. Sie starrten sich in die Augen, glühende Rubine und schwarzes Obsidian. Alucard lächelte nicht mehr:"Niemand tut meiner kleinen Polizistin etwas an. Niemand, du Bastard!" Und mit diesen Worten stieß er den Kleineren zurück. Gabriel landete ohne weiteres auf seinen Beinen, das Schwert fiel klirrend zu Boden. Seine schwarzen Schlangenaugen musterten Alucard verwirrt, fast neugierig, dann verzog sich sein schönes Gesicht zu einem bösartigen, grausamen Lächeln. „Ich hatte recht. Du bist etwas besonderes … Vampirfürst. Kein einziger von euch hat bis jetzt das geschafft, was du gerade getan hast…“ „Wirklich… Interessant. Du kannst dich ja in der Hölle weiter darüber wundern.“knurrte Alucard sarkastisch und hob seine Waffe, zielte auf den Kopf des Engels. "Meister..."sagte Seras leise, sie sah zu der blutverschmierten Gestalt über ihr auf und Tränen füllten ihre roten Augen, glitten über ihre Wangen. Er war wieder da. Endlich. Andersen trat neben Alucard und fixierte Gabriel mit einem vor Hass gleißenden Blick, hob seine Schwerter auf Kampfhöhe:"Lass es uns zuende bringen..." Gabriel musterte ihn und den Vampir, wie sie dort nebeneinander standen, dann blieb sein amüsiertes Grinsen an dem Paladin hängen:"Nein... Ein andermal bestimmt, Priester. Ich habe keine Zeit für euch ... Auf bald." Sie alle begriffen in dem Moment die Worte, als sich die schwarze Gestalt in durchsichtig schimmernde Luft auflöste, das kalte Lächeln vor ihren Augen verschwand. "NEIN! Bleib hier, du Monster!"schrie Andersen hasserfüllt, er setzte vor und zog die Klingen durch, aber es war schon zu spät. Gabriel war verschwunden. Sekundenlang sagte niemand etwas. Dann drehte Alucard sich um, kniete herab und sah Seras in die glänzenden Augen. Langsam hob er eine Hand und legte sie auf die tränenüberströmte Wange, sagte kein einziges Wort. "Meister..."schluchzte sie leise, zitterte am ganzen Leib. Alucard lächelte ganz leicht, dann umfasste er die schmale, junge Frau mit einem Arm und drückte sie an sich, hauchte gegen ihre Stirn:"Kleine Seras... Ist schon gut." Seras schluchzte und vergrub ihr Gesicht in dem roten Mantel, klammerte sich an den großen Mann, als habe sie Angst, er würde wieder verschwinden. Alucard sah auf, in das Gesicht von Walter, der immernoch die Jackal in den Händen hielt. "Es ist noch lange nicht vorbei..." Walter neigte den Kopf:"Ich weiß." Allianz ------- ~oOo~ Seventh Chapter - Allianz Alucard knirschte mit den Zähnen, schüttelte unmerklich den Kopf, während er aufstand und die schwarze Jackal von Walter übernahm, die große Waffe im Mantel neben seiner Casull verstaute. Immernoch tobte Düsterniss durch seinen Geist, aber sie schwoll ab, ganz langsam. Die Dunkelheit ging so schnell, wie sie gekommen war und ihn in die Schattenregionen seines Bewußtseins gezerrt hatte. Der Bann war gebrochen, aber warum, das wusste Alucard nicht genau. Die ganze Zeit hatte er dagegen angekämpft, während er Gabriel nachgelaufen war wie ein Lakai. Aber er hatte immer wieder verloren, war immer wieder hinab gezerrt worden in die Dunkelheit. Der Zauber, den Gabriel auf ihn gelegt hatte, war einfach zu stark gewesen, stärker als sein eigener, freier Wille. Schlußendlich… hatte er gekämpft, einen alten, vertrauten Kampf, hatte eine Stimme gehört, eine Stimme, die… Er erinnerte sich schlagartig. Der Judas! Alucard drehte sich ruckartig um, seine rechte hand zuckte nach seinen Waffen, aber ein einziger Blick genügte, um zu sehen, dass Andersen keine Gefahr darstellte. Garkeine. Sein erklärter Todfeind, der Schoßhund des Vatikans stand noch an der Stelle, an der Gabriel verschwunden war, Walter, Seras und ihm den Rücken zugekehrt und seine Hände hielten kraftlos die gesegneten Klingen. Alucard zog die Stirn in Falten, als er sich an ihr kurzes, gedankliches Gespräch erinnerte. Es… war wie ihre gewöhnliche Konversation gewesen… aber doch völlig anders. Andersens - typisch freundlichen - Worte… hatten ihn zurückgezerrt, waren durch die Dunkelheit zu ihm gedrungen, hatten ihn zurückgeholt aus einer Welt, die nur aus Wahnsinn, Blut und Feuer bestand. Aber warum… ausgerechnet der Schweinepriester?! … Und was zur Hölle machte der Judas eigentlich hier? Alucard kniff die Augen zusammen, jetzt, wo er Andersens Anwesenheit zum ersten Mal wirklich wahrnahm. Irgendetwas war ... falsch. Falsch an der Aura des Priesters. Etwas war passiert, mit Andersen geschehen. Der Vampir trat einen Schritt auf ihn zu, schüttelte die letzten Reste der Finsterniss ab, die ihn betäubt hatte und sein Bewußtsein vernebelten, öffnete sich bewusst für den Geist des Paladins und dann ... wusste er. Alucard knirschte mit den Zähnen, als er die Bilder und Gefühle empfing, die ihm von dem blonden Mann entgegenströmten und die dieser nicht unter Kontrolle hielt, nicht unter Kontrolle halten konnte vor ihm. Seine roten Augen weiteten sich kurz und dann legte sich ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht. So war das also. Äußerst … delikat. Alucard schüttelte leicht den Kopf, ein schwarzes Lächeln stahl sich auf seine Züge. Was für ein Sündenfall als Mann der Kirche, als streng-katholischer Priester im Zölibat. In der Tat, das war mal etwas anderes. Und, bei Satan, wie sehr er diese pikante Wahrheit für sich behalten würde. Jedenfalls solange, bis er das nächste Mal mit Andersen alleine war und ihn die unwiderstehliche Lust dazu überkam, den Judas zur Weißglut zu treiben. Alucard grinste, er konnte nicht anders, während er den blonden Priester betrachtete. Dieses Hochgefühl konnte nur noch durch die blanke Konfrontation übertroffen werden, wenn er ihm in sein katholisches Pfaffengesicht sagen konnte, das er alles über dieses kleine, süße Geheimniss zwischen ihm und Gabriel wusste und dann auf die Reaktion zu warten. Die ohne Zweifel sehr interessant werden würde, so, wie er seinen liebsten Feind kannte. Er musste sich nur ein wenig gedulden… Seras neben ihm stand jetzt mühsam wieder mit Walters Hilfe auf, sammelte ihre Waffe wieder ein, die während ihres kurzen Intermezzos mit Gabriel zu Boden gefallen war. Alucard spürte, das ihr Blick dabei nicht eine Sekunde von ihm wich, jede seiner Bewegungen verfolgte und er musste leicht lächeln. Niedlich… war wohl das richtige Wort für Seras Benehmen. Und das war sie in der Tat. Lange schon hatte er kein Kind mehr gehabt, das sich derart um ihn gesorgt hatte, ihn so bemutterte wie Seras es tat. Er war sich sicher, wenn er sich jetzt auch nur ein Mal aus dem Blickfeld der kleinen Polizistin entfernte, würde sie hinter ihm her sein wie eine Glucke und ihn am Kragen zurückschleifen. Aber er konnte sich auch nicht im Entfernstesten ausmalen, wie die letzten Stunden für sie gewesen sein mussten. Er erinnerte sich nicht wirklich, nur ganz verschwommen drangen Gefühle und Bilder zu ihm durch, selbst jetzt noch war es, als stände er in einem dichten Nebel, der alle seine Sinne dämpfte. Gabriel... Dieser Hundesohn. Der Vampir betastete seinen Hals, fühlte immernoch zwei kleine Narben an der Stelle, an der seine Halsschlagader verlief. Dafür würde dieser Bastard büßen... Soviel stand fest. Noch nie hatte es jemand geschafft, ihn derartig zu manipulieren, noch nie war er durch Zwang in einen so tiefen, infernalischen Blutrausch versetzt worden. Seine Augen flackerten rötlich. Der Blutengel... er war es also wirklich. Alucard hatte es bis jetzt noch immer nicht ganz glauben wollen. Doch jetzt war er sich sicher. Es gab keinen Zweifel mehr, nicht nach dem, was er erlebt hatte. Diese Kreatur war … gewaltiger als alles, was ihm bis jetzt begegnet war. Aber … war er wirklich ein ‚Engel‘? Alucard war sich nicht sicher. Die Legende, die er über Gabriel kannte, war hier unmissverständlich. Hiernach war dieses Monster ein himmlisches Wesen. Aber ein Engel, ein Geschöpf Gottes… Es klang so unglaublich, so weit hergeholt, selbst für ihn. Der Vampir bleckte die Zähne, leckte sich über die Lippen. Wie auch immer… es hatte erst begonnen. Die dritte Runde war eingeläutet, jetzt hieß es nur noch, Gabriel zu finden. Und es würde ein gewaltiger Kampf werden, wenn dieser Hundesohn auch nur halb so mächtig war, wie er es bis jetzt gezeigt hatte. Und komme was da wolle, der Vampir würde ihn mit Freuden ausfechten. "Alucard..."sagte eine sehr bekannte Stimme und als Angesprochener aufsah schritt Integra durch die Halle auf sie zu, flankiert von zwei Hellsinggarden und ihr eisiger Blick durchbohrte ihn. Aber in ihrem Inneren sah es anders aus. Eine Wärme ströhmte ihm von dort zur Begrüßung entgegen, die einfach nur wohltuend war und die gerade sie niemals offen gezeigt hätte. Integra trat auf ihn zu, musterte ihn von oben bis unten, dann griff sie in ihre Tasche und zündete sich eine der schmalen Zigarren an:"Du bist wieder da." "Ja." "Kannst du dich erinnern, was geschehen ist?" Alucard schüttelte den Kopf:"Nicht wirklich ... Es ist wie in einem bösen Traum. Integra... er ist es. Er ist der Blutengel, ich bin mir sicher. Wenn ich mir auch noch nicht darüber im Klaren bin, woher er wirklich kommt und was genau er wirklich ist, so kann ich doch mit Überzeugung sagen, das er kein Vampir ist, das er stärker ist als jeder Nosferatu, dem ich bis jetzt begegnet bin." Integra neigte den Kopf:"Das ist eine schlechte Nachricht... Ich hatte bis jetzt noch gehofft, das dieser Hund ... das er etwas ist, was wir kennen." Dann schwieg sie und ließ ihren Blick durch die Halle schweifen, in der noch immer in vereinzelten Abständen rote Pfützen am polierten Boden glänzten. Aluard verstand die Anklage, die in diesem Schweigen lag und er hätte alles dafür gegeben, es rückgängig zu machen. Aber er hatte gemordet. Unschuldige getötet. Für Integra war es egal, ob er es unter Zwang getan hatte. Als Oberhaupt des Hellsingordens zählte für sie allein die Tatsache, das er es getan hatte, die Erinnerung an das wachgerufen hatte, was er wirklich war und immer sein würde. Ein Vampir, ein Untoter, jene Art von Wesen, deren Vernichtung sich der königlich-protestantische Orden zur Aufgabe gemacht hatte. Und er konnte nicht anders, er musste es ihr sagen, musste irgendetwas dazu sagen:"Meine Herrin, ich..." Sie brachte ihn mit einer knappen Bewegung zum Schweigen:“Vergiss es…“ Alucard senkte ergeben den Blick. Für Integra war die Sache damit wohl abgehackt. Sie zog neben ihm an ihrer Zigarre, ihr Blick traf die weißgekleidete Gestalt, deren langer Mantel mit Blut beschmiert war und die immernoch regungslos vor sich hin starrte, ihre Anwesenheit nichteinmal ansatzweise zur Kenntnis nahm. „Ich nehme an, du hast ebenfalls schon bemerkt, wie seltsam Andersen sich benimmt.“murmelte Integra leise und der Rauch der Zigarre formte absonderliche Figuren über ihrem Kopf:“Weißt du irgendwas genaueres?“ Alucard sah mit einem kurzen Seitenblick auf seine Herrin. Sollte er es ihr wirklich sagen? Er überlegte und entschied in Sekunden. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf:"Nein..." Integra wusste sofort, das der Vampir sie anlog, aber sie sagte nichts mehr dazu. Alucard würde seine Gründe haben. Außerdem lag ihr primäres Problem derzeit anderwo, der Judas … war mehr als zweitrangig. Sie sah sich weiter in dem Terminal um, in dem gerade diverse Sterilisationen vorgenommen wurden. Soviel zu der Vermeidung von zivilen Opfern... "Sir Integra!"Fargason trat auf sie zu, presste sein Funkgerät gegen sein rechtes Ohr. Er sah alarmiert aus:"Er ist noch nicht fort! Dieser ... Gabriel, er befindet sich auf den Rollbahnen! Die Sicherheitsbeamten dort melden, das er an Bord eines Jets gelangt ist, er hat anscheinend die Piloten als Geiseln genommen und will England verlassen..." Alucard sah aus den Augenwinkeln, das Andersen bei diesen Worten herumgefahren war. Die grünen Augen des Judaspriesters flackerten bedrohlich und jetzt wusste der Vampir auch, warum. Er konnte nicht anders, ein böses Lächeln stahl sich auf seine Züge. "Fargason, senden sie ihre Männer sofort dorthin!"befahl Integra jetzt neben ihm, ganz die beherrschte Befehlshaberin:"Dieser verdammte Mistkerl darf uns nicht entkommen, der Start der Maschine muss um jeden Preis verhindert werden! Alucard-" "Hab' schon verstanden..."unterbrach dieser sie grinsend. Dann fuhr Alucard herum und packte Andersen eisern am Handgelenk, als dieser soeben an ihnen vorbei und durch die Terminals zu den besagten Rollbahnen hatte gelangen wollen. "Ich nehme allerdings noch einen Passagier mit..."Seine roten Augen glitzerten dem Paladin spöttisch entgegen, der sich vor Wut schnaubend losmachen wollte, seine Schwerter drohend schwang."Fass' mich nicht an, du Ausgeburt Satans, du-" "Ach, sei doch still, Judaspriester…“Damit, einem breiten Grinsen und einem sich sträubenden Andersen an der Hand trat er in den Dimensionstunnel ein und beide verschwanden. "Alucard!"fauchte Integra ihm nach:"Ich wollte sagen, das du gefälligst hierbleibst, du vermaledeiter Blutsauger! Denkst du, ich lasse zu, das du sofort wieder verschwindest?! Komm' sofort zurück!" "Ich glaube, diesen Befehl hat er ignoriert..."meinte Walter trocken und ernete eine eisigen Blick aus blauen Augen. Der Butler seufzte:"Ich bin schon weg, Mylady. Miss Viktoria, wenn sie mich begleiten würden? Und ihre Waffe sollten sie auch mitnehmen." ~oOo~ Nein, er war nicht wütend. Es gab kein menschliches Wort mehr um auszudrücken, welcher Zorn gerade in ihm tobte. Dieses vernichtende Feuer hatten die beiden Sterblichen in der Flugmaschine soeben zu spüren bekommen, als sie sich geweigert hatten, diese in die Lüfte und ihn somit aus diesem trüben Königreich heraus zu bringen. Er leckte sich über die blutverschmierten Lippen. Jämmerliche Menschen... Gabriel betrachtete die blinkenden Lämpchen und Knöpfe des kleinen Cockpits vor ihm. Mithilfe der Erinnerungen, die er über das Blut der beiden Sterblichen aufgenommen hatte, dürfte es nicht schwer werden, diese Maschine zu starten. Probeweise drückte er auf einen Knopf. Einer der Motoren der viermotorigen Maschine startete und das Triebwerk heulte auf. Was für Erfindungen die Menschen doch geschaffen hatten, in der Zeit als er schlief. Und doch waren sie immernoch die gleichen kriechenden Würmer auf diesem traurigen Erdball. Langsam schwoll die Wut in ihm ab und machte wieder seinem spöttischen, bösen Sarkasmus platz, mit dem er seinem ewigen Leben begegnet war, seit er denken konnte. Er setzte sich auf den Pilotensitz, nachdem er die noch warmen Leichen der Piloten achtlos in die hintere Ecke des Cockpits geworfen hatte und drückte ein paar weitere Knöpfe. Die anderen Triebwerke starteten und das kleine Flugzeug setzte sich in Bewegung. Das gerade er auf Erfindungen der Menschen angewiesen war, um seinem Ziel näher zu kommen, war irgendwie erniedrigend. Aber eine so weite Strecke und das auch noch über das Meer würde sich – selbst für ihn – ein wenig schwierig gestalten. Er wusste schließlich aus guter Erinnerung, wie windig es über dem Kanal werden konnte. Außerdem musste er nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und das nicht nur, was den Vampir und den Priester anbetraf, die ihn ohne Zweifel verfolgen würden… Gabriel lächelte leicht, als er den Gashebel der Maschine nach vorne drückte. Für diese beiden würde er sich noch etwas einfallen lassen müssen. ~oOo~ Alucard grinste immernoch, als er mit Andersen an der Hand aus dem schattenartigen Dimensionstunnel trat. Ein dichter, schwer niederprasselnder Regen empfing sie in der von den Positionslichtern der Rollbahnen durchsetzten Dunkelheit. Der Sturm war abgeflaut und jetzt goß es, als hätte jemand alle Schleusen des Himmels geöffnet. Binnen Sekunden waren sie beide mehr als durchnäßt bis auf die Haut. Der Paladin knurrte, kaum das er wieder die Kontrolle über sich hatte und wollte sein Handgelenk aus Alucards Griff befreien, doch der grinste ihn nur spöttisch an. Daraufhin holte der Blonde mit dem anderen Schwert aus, um es dem Vampir in den Magen zu rammen. Jedenfalls wollte er das, doch Alucard fing seine Faust mit der anderen Hand ab:"Das ist aber nicht gerade die freundliche Art, sich für die Abkürzung zu bedanken, Judaspriester..." "Halt deinen Mund und lass mich sofort los, verfluchter Nosferatu!"fauchte Andersen ihn an und Alucard entließ ihn so plötzlich mit einem spöttischen Lachen, das der Blonde rückwärts stolperte. Wie er es doch liebte, diesen kleinen Priester zu ärgern. Genau soetwas hatte er jetzt gebraucht, nach dieser Schmach durch Gabriel, als dessen willenloser Zombie herumlaufen zu müssen. "Unser Freund macht sich gerade aus dem Staub..."murmelte er dann, als seine roten Augen das gesperrte Rollfeld absuchten, auf dem sich nur mehrere Sicherheitsleute, ihre Wagen und eine kleine, viermotorige Maschine befand, die soeben im Begriff war abzuheben. Die Versuche der Flughafensicherheit, sie aufzuhalten ignorierte der Pilot geflissentlich. "Es gibt kein 'unser', du wurmzerfressener Untoter, merk' dir das!"knurrte Andersen von der Seite, hob seine Schwerter und lief los. Alucard sah ihm kopfschüttelnd nach. Zugegeben, der Paladin war schnell, schneller als gewöhnliche Menschen, aber ob er auf diese Weise ein startendes Flugzeug einholen können würde, blieb fraglich... Nein, so ging das nicht. Aber es gab ja noch andere Methoden. Alucards Grinsen verblasste, als der Vampir die Arme ausbreitete und leise murmelnd die Aufhebung eines seiner Bannsiegel befahl. So schnell würde dieser verdammte Blutengel ihm nicht entkommen. Die Welt um die Rollbahn herum geriet aus den Fugen, als das Bannsiegel von ihm gehoben wurde, seine Vampirkräfte aufwallten und die Wirklichkeit zu zähem Quecksilber gerann. Mit einem ohrenbetäubenden Knirschen gefror die silberne Flüssigkeit binnen Sekunden und wuchs in schwindelerregende Höhe empor. Die Schreie unmenschlicher Seelen hallten um ihn herum wieder, das schrille Hochfrequenzpiepsen der Fledermäuse, in die er sich verwandelte und die wie eine todbringende Wolke durch den unendlich hohen Spiegelsaal flatterten, in den er die Rollbahn und die Umgebung darum verwandelt hatte. Unter sich erblickte der Vampir Andersen, der sich perplex im Laufen umsah und der durch seine eigenen vampirischen Bannsiegel vor Alucards' Illusion gefeit war, die Sicherheitsleute, die wie gefrorene Statuen dastanden und dann das Flugzeug vor ihm, dessen Tragflächen mit Eis bedeckt waren. Alucard hielt darauf zu, manifestierte sich auf einer der Tragflächen und krallte sich in das Metall, als der Fahrtwind ihn beinahe wieder fortriß. Seine Augen glühten auf, als er die Illusion eines Schneesturmes aus dem Nichts entfesselte, eine Hölle aus Eis, Schnee und Dunkelheit um sie herum losbrechen ließ. Die Maschine geriet ins Schlittern, als der Untergrund binnen Sekunden zu einer Eisbahn gefror. Nadelartige Eisspitzen prasselten auf ihn nieder, aber Alucard zog ungerührt seine Jackal aus dem Mantel, zielte auf die schwarzen Scheiben des Cockpits. Die Anwesenheit Gabriels' war sogar hier draußen für ihn spürbar, die Macht dieses Wesens wogte durch die Luft und Alucard war sich plötzlich sicher, das der Blutengel ihn in diesem Moment lachend beobachtete. Und dann wurde ihm klar, das das alles hier für Gabriel nichts weiter als ein nettes Theater darstellte, das er dieses Wesen nicht mit seinen Kräften beeindrucken konnte. Alucard kniff die Augen zusammen. *Denkst du wirklich, damit könntest du mich aufhalten, Vampir?* Die Stimme wogte durch seinen Geist und Alucards erhobene Hand mit der Jackal darin begann bei diesen sanft gesprochenen Worten zu zittern. Der Vampir knurrte auf, als er sich dazu zwang, zu schießen, die Ketten, die sich erneut um seinen Geist zu legen drohten, wütend zerriß. *Interessant... meine Macht über dich ist also immer noch da... nicht so stark wie noch ein paar Minuten zuvor aber doch noch existent... Du kannst mich nicht töten, Vampir. Du wirst es niemals können.* Die Kugel durchschlug die Scheibe des Cockpits und blieb in dem Sicherheitsglas stecken. *Verlass' dich nicht zu sehr auf deine Kräfte ... Du gehörst mir und ich werde dich töten.*antwortete Alucard in Gedanken und er wusste, das Gabriel ihn hören konnte, so wie er die leise Stimme in seinem Geist vernahm. *Jämmerlicher Vampir... Und ich dachte, du wärst etwas Besonderes. Aber du bist gefangen von deinen eigenen Emotionen wie ein nichtwürdiger Sterblicher, ein armseliger Lakai der Menschen, der seinen ganzen Stolz als übermenschliches Wesen der Dunkelheit verraten hat.* Alucard kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, ließ den Schneesturm noch eine Spur schärfer aufwallen und klammerte sich an der Tragfläche feste, als das Flugzeug immer schneller wurde. *Ich habe meine Gründe auf Seiten der Menschen zu stehen! Gründe, die du niemals verstehen kannst!* *Da magst du Recht haben, Vampir... Nichtdestotrotz muss ich mich jetzt von dir und dem hübschen Priester verabschieden. Aber wir sehen uns wieder, ganz sicher... Und ich freue mich schon darauf, dann diese Farce zu beenden. Ein für allemal.* Das Lachen Gabriels klang in Alucards Geist wie ein düsteres Echo und als er nocheinmal schießen wollte, um die angeschlagene Scheibe zum Bersten zu bringen, fegte ihn plötzlich eine gigantische, unsichtbare Faust endgültig von der Tragfläche, eine Kraft, die ohne Zweifel der Blutengel hervorgerufen hatte. Seine Illusion zersprang in dem Moment, als das Flugzeug abhob und eisige Spiegelsplitter fegten durch die Dunkelheit, lösten sich in Luft auf. Alucard fiel zurück und noch bevor er den Boden erreichte, hatte sich seine Gestalt wieder in unzählige kleine Leiber verwandelt, die fiepsend gen Nachthimmel stoben. ~oOo~ Andersen blieb stehen, als das Flugzeug abhob und die Illusion Alucards um ihn herum verschwand, der Schneesturm, der ihn umtobt hatte abflaute und zu einem lauen Lüftchen verkümmerte und wieder der schwere Regen auf ihn niederging. "Verdammt!"fluchte der Paladin unchristlich und er sah der kleinen, viermotorigen Maschine nach, die mit der Dunkelheit verschmolz. Dann steckte er seine beiden gesegneten Klingen fort und nahm sich kurz die Brille ab, die von dem Regen schon ganz beschlagen war, fuhr sich mit dem Handrücken über Augen und Stirn um die blonden Haarsträhnen fortzustreichen, die ihm nass im Gesicht klebten. Ein Rascheln erklang neben ihm und Andersen brauchte garnicht hinzusehen um zu wissen, wer da war. "Müde, Judaspriester?" "Verschwinde!"knurrte Andersen nur, drehte sich um und ging durch den Regen zurück zu den Teminals, ohne den Vampir eines Blickes zu würdigen. Der Nosferatu brachte ihn immernoch dazu, vor Zorn seinen Kopf zu verlieren, aber wie gesagt, es war nun nichtmehr Alucard, gegen den er kämpfen wollte. Auch wenn das eigentlich seine Aufgabe war. Er musste jetzt Gabriel hinterher. Und dafür war ein Flugzeug von Nöten. "Wo wollt ihr denn hin, Hochwürden?"fragte Alucard jetzt spöttisch und er spuckte das letzte Wort förmlich aus vor Hohn. Alexander antwortete nicht. Nein, er würde sich jetzt nicht provozieren lassen. Alucard war es nicht wert... Niemand war das. Doch der Vampir ließ sich nicht so leicht abschütteln. Mit einem bösen Grinsen tauchte er aus den Schatten direkt vor ihm auf und es hätte nicht viel gefehlt und Andersen wäre in ihn reingelaufen. So stolperte der Blonde nur einen Schritt zurück und seine grünen Augen funkelten Alucard gefährlich an:"Lass' mich in Ruhe, elender Nosferatu! Ich will mich nicht mit dir abgeben, was daran verstehst du nicht?!" Alucard machte keine Anstalten aus dem Weg zu gehen und so knurrte Andersen böse und schritt um den Vampir herum. *Warum habe ich ihn nochmal gerettet? Ich hätte ihm den verdammten Schädel von den Schultern schneiden sollen...* Alucard legte nur grinsend den Kopf schief und von der Krempe seines Hutes tropfte ein Schwall Wasser:"Ach, Judaspriester. So leicht zu reizen und so amüsant, wenn du deinen Hass verbergen willst... Gabriel läßt dir übrigens Grüße übermitteln. Er scheint sich ja gut mit dir amüsiert zu haben... Und du dich mit ihm..." Andersen stand wie erstarrt neben dem Vampir. Kurz meinte er, sein Herz einen Schlag aussetzten gefühlt zu haben. Das ... konnte jetzt nicht wahr sein. Nicht Alucard... Nein, das konnte er jetzt nicht wissen! "Überrascht?"hörte er ganz nah bei seinem rechten Ohr und als er den Kopf wie in Zeitlupe wand stand dort Alucard viel zu nah bei ihm und lächelte ihn mit böse glitzernden Augen an. "Du ... verdammter..."Andersen trat einen Schritt zurück, spürte wie seine Beine unter ihm nachgeben wollten. Das war ein Albtraum, ein ganz schlechter... Ein Blick in das Grinsen des Vampirs überzeugte ihn vom Gegenteil. Alucard wusste es... Dieser gottverdammte Nosferatu wusste alles. Ihn überwältigte ein Zorn, der aus dem Nichts kam und sich an der freudigen Hähme des Vampirs nährte und Andersen trat blitzschnell vor, packte Alucard am Kragen. "Dreckiger, untoter Schweinehund! Was hat er dir erzählt, was?! Sag' es mir, du neunmal verfluchter Bastard!" Alucard lächelte und machte keine Anstalt, sich aus dem Griff des Paladins zu befreien. Sein Gesicht kam dem Blonden noch etwas näher, seine roten Augen funkelten ihm spöttisch entgegen:"Schweinepriester, sei nicht böse auf mich. Gabriel hat mir garnichts gesagt. Du selbst warst es. Deine Gedanken waren einfach nicht zu überhören ... aber wir wollen ja hier nicht auf die delikaten Details eingehen, nicht wahr? Sagt mir … Hochwürden … wie fühlt sich das an, unwiderruflich auf der Seite der schmutzigen Sünder zu stehen, die ihr so gerne verurteilt?" Andersen sah rot, stieß den Vampir mit einem hasserfüllten Schrei ein Stück von sich weg und schlug ihm in das Gesicht. Alucard wehrte den Schlag nicht ab, aber sein dunkles Lachen machte den Blonden noch wütender, er setzte dem Vampir nach und schlug wieder zu, rasend vor Hass mit all seiner Kraft. Alucard schien das jedoch nicht zu beeindrucken und er ließ Andersen noch ein wenig seinen Zorn, dann tauchte er blitzschnell unter dem Arm des Blonden weg, griff von hinten um die Arme des Menschen und riß diese zurück, hielt den Paladin so gefangen. "Hast du dich jetzt ausgetobt?"fragte Alucard dann spöttisch und lächelte über die Versuche Alexanders', von ihm wegzukommen. Andersen war stark, ein Regenerator, zugegeben, aber er war auch nur ein Mensch und wenn Alucard es schaffte ihn zu überrumpeln, genauso hilflos wie alle anderen. "Halt deinen Mund..."knurrte der Blonde schweratmend und er versuchte nocheinmal vergeblich, sich loszumachen. "Was ist denn so schrecklich an den Worten die ich sage? Erträgst du denn die Wahrheit nicht, du dreckiger Sünder?"fragte Alucard unschuldig und er grinste, als Andersen sich daraufhin noch ein bißchen mehr sträubte und ihn beinahe dazu brachte, seinen festen Stand korrigieren zu müssen. "Das ist dein wahrer Glaubenskrieg, Priester. Gib es zu... Sag mir die Wahrheit, nur mir, und vertrau der Dunkelheit dein schmutziges Geheimniss an, denn deinem Gott kannst du es nicht anvertrauen... Dir hat es auch gefallen, so ist es doch. Alles, was Gabriel mit dir getan hat... Und dafür haßt du ihn noch mehr... Weil du dich selbst hasst. Dafür, das dein Instinkt und dein Verlangen nach Berührung stärker war als dein Glauben..." "Das ... ist nicht wahr..." Alucard lachte und hauchte in den Nacken des Blonden, roch die süße Schwere des Blutes, das schnell durch Andersens Adern pulsierte und sah amüsiert zu, wie der Regenerator eine Gänsehaut bekam:"Exodus, Kapitel Zwanzig, Vers Sechzehn, Judaspriester; Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Jetzt können wir zu Eitelkeit, Zorn und Sodomie auch noch die Lüge dazurechnen. Zusammen mit Widerstand gegen die erkannte Wahrheit, und Verstocktheit in der Sünde, zwei Sünden am Heiligen Geist, ist das eine ganz nette Liste an Todsünden für jemanden, der von sich behauptet, ein Mann Gottes zu sein. Und wir beide wissen nur zu gut, dass das noch nicht alles war, oder nicht? Du … bist jenseits von Gut und Böse, jenseits aller Erlösung..." "Lass mich los..."flüsterte der Blonde und Alucard spürte, wie der Körper vor ihm zitterte, wie jede Kraft aus ihm schwand, hörte die dumpfe, gepresste Stimme des Paladins. Das Lächeln des Vampirs wurde dunkel, rote Augen leuchteten in der Dunkelheit:“Du … bist ein Monster… Genauso wie ich… Gabriel… war nur der Auslöser, der dir gezeigt hat, vor Augen geführt hat, was du bis jetzt vor dir selbst verleugnet hast.“ "Nein!“Andersen spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten, ohne das er es verhindern konnte. Er biss die Zähne aufeinander, schloß krampfhaft die Augen. Es tat so weh, die giftigen Worte des Vampirs, sie stachen in sein Herz wie Dornen. Und alles in ihm sträubte sich gegen die Wahrheit:"Nein, das ist nicht wahr! Es ist nicht wahr! Wage es nicht, mit mir zu reden, als ob du etwas davon verstehen könntest, du nichtswürdige, gottlose Kreatur! Deine Seele ist schon vor Jahrhunderten der Finsterniss anheim gefallen, also was weißt du schon von Reinheit oder ungetrübtem Glauben? Wie kannst du dir soetwas überhaupt anmaßen?!" "Ich weiß mehr über Unschuld, als du es dir je erträumst, Judaspriester. Und du besitzt ebensowenig davon wie ich… Aber nur Geduld… Du wirst es noch begreifen. Du wirst, mit der Zeit… Und wenn nicht in diesem Leben, dann spätestens im Fegefeuer.“ Alexander spürte schmerzhaft, wie sein Herz im Sekundentakt gegen seinen Brustkorb stieß, als der Vampir ihn losließ und sich dunkel lachend entfernte. Er ballte die Fäuste, zitterte am ganzen Leib, aber machte keine Anstalten, Alucard nocheinmal anzugreifen. Stumm stand er im Regen und versuchte, sich selbst unter Kontrolle zu bringen, das Zittern zu unterdrücken, während sein Blut zu kochen schien. Er fühlte sich, als hätte der Vampir sein Innerstes nach außen gekehrt, bloßgestellt vor der ganzen Welt… vor Ihm. Als hätten Alucards Worte jede Empfindung in ihm abgetötet. Nein… nein, es war das schwarze Gift des Nosferatu, seine abartige Art und Weise, die Welt zu sehen, seine perversen Moralvorstellungen. Er konnte nicht recht haben! Und er durfte sich nicht von ihm beeinflussen lassen, das, was ihm geschehen war, war Unrecht gewesen, himmelschreiendes Unrecht, er war kein Monster, er war ein Werkzeug Gottes, das alles hier war… eine Prüfung; sein Weg, den er gehen musste, wie Jesu Christi den Weg nach Golgatha gegangen war, sein Kreuz auf dem Rücken die Last der Sünde zu der er gezwungen worden war von dieser abartigen Kreatur... Er musste vertrauen. Er musste glauben, an Gottes unendliche Weisheit und Liebe glauben. Denn sonst würde seine Welt um ihn herum zusammenbrechen wie ein Kartenhaus und ihn unweigerlich unter sich begraben. Alexanders Augen brannten, seine Sicht war unscharf. Schwere Tropfen glitten über seine Wangen, kaltes Regenwasser, das sich mit warmen, salzigen Tränen vermischte und er zwang sie mühsam zurück. Bei Gott, warum nur, warum tat es so weh, an diesem Glauben zu halten…? Es war nie so schwer für ihn gewesen… "Worauf wartest du noch, Paladin? Auf die Offenbarung? Die wird noch früh genug kommen!"rief ihm Alucard dann zu und drehte den Kopf so, das er Andersen aus den Augenwinkeln sehen konnte:"Beeil dich!" "… Und warum sollte ich?"erwiederte der Blonde leise ohne sich umzudrehen, aber Alucards' sensibles Gehör hatte ihn trotz des dichten Regens genau verstanden:"Weil wir uns so schnell wie möglich ein Flugzeug besorgen sollten..." "… Ich habe dir schon gesagt, es gibt kein 'wir' und es wird auch nie eines geben." Alucard lachte leise:"Sehen wir das ganzen doch einmal realistisch. Ich glaube kaum, dass die 13. Division dir so schnell eine Möglichkeit verschaffen könnte, Gabriel zu verfolgen, wie die Hellsing-Organisation. Immerhin habt ihr hier in England nicht sehr viele Kontaktleute. Es würde ewig dauern für dich, im Gegensatz zu mir, bis du von der Insel fortkommst und noch länger, bis du Gabriel findest, weil du keine Ahnung hast, wo du suchen sollst. Der Ritterorden verfügt über mehrere Privatjets, die uns mit Sicherheit zur Verfügung stehen werden ... Wenn es dich beruhigt, verspreche ich dir auch, das ich mich benehmen werde. Alles, was gesagt werden musste, ist gesagt worden. Und du wirst es noch verstehen." Andersen fuhr herum, durchbohrte den Vampir mit stechend grünen Augen:"Halt deinen verlogenen Mund! Ich brauche deine Hilfe nicht, Nosferatu! Niemals werde ich das! Vergiss es! .... Und überhaupt, woher willst du denn so genau wissen, wohin Gabriel will?" Alucard grinste und stellte seinerseits die Frage:"Warum sollte ich dir das sagen? Immerhin... brauchst du meine Hilfe ja nicht." Der blonde Mann schnaubte und fuhr sich mit den Fingern durch die nassen Haare:"Du verdammter, untoter Bastard! Ich hätte dich töten sollen in Westminster! Dann wäre ich dich endlich los gewesen!" Alucard hob eine Augenbraue:"Du? ... Du hast mich zum Hellsing-Anwesen gebracht vor zwei Tagen? ... Priester, das schmeichelt mir... Vielleicht wird ja doch noch was aus uns beiden Hübschen.“ Andersen knirschte mit den Zähnen und sah rot, als sein Zorn Überhand nahm. In das Lachen des Vampirs mischte sich das Sirren einer Klinge, die den Regen teilte und sich in Alucards Brustkorb bohrte. "Niemals..."stieß der Paladin bitter und voller Hass hervor, seine grünen Augen spießten den Vampir regelrecht auf, altes Feuer hatte Einzug gehalten in diese dunkelgrünen Tiefen, traf auf irisierendes Rot und für Sekunden war es wieder so wie immer, wie es seit jeher zwischen ihnen Beiden gewesen war, als hätte sich nie etwas verändert. Alexander spürte nichteinmal, das er aufgehört hatte zu zittern. Doch der Vampir sah es. Alucard zog sich langsam die Klinge aus der Brust und während sich die Wunde binnen Sekudenbruchteilen schloß, sah er auf, sein roten Augen sprühten regelrecht vor Feuer und jedes Grinsen, jede Hähme war verschwunden:"Du willst Gabriel tot sehen, Judaspriester. Zumindest in dem Punkt sind wir uns einig. Aber wir beide haben bereits gegen ihn verloren. Gabriel ist stark, stärker als alle Kreaturen der Finsterniss, gegen die ich bis jetzt gekämpft habe. Alleine ... haben wir keine Chance. Und das meine ich ernst." Die Zeit strich lautlos vorbei, während sich die beiden Todfeinde in der Dunkelheit anstarrten, der schwere Regen auf sie und den Beton der Rollbahn niederging. Dann ballte Andersen die Fäuste, seine Stimme klang hart zu dem Vampir herüber:"Es wird sich nichts ändern. Zwischen uns." Alucard sah den Regenerator lange an und seine Lippen zierte ein leichtes Lächeln, als er Andersens Worte widerholte:"Niemals..." Und damit schritt der hochgewachsene Vampir in Richtung Terminal davon, von dem aus gerade zwei bekannte Gestalten, Seras Viktoria und Walter, mit mehreren Hellsingsoldaten im Schlepptau auf sie zukamen. Andersen blickte Alucard nach, der hochgewachsenen, blassen Gestalt in dem blutroten Mantel, die langsam nur noch eine Silhouette vor den Lichtern des Flughafens war. Dann schüttelte er leicht den Kopf, als er sich ebenfalls in Bewegung setzte, auf die durch den Regen hell leuchtenden Glasbauten Heathrows zu. ~oOo~ Enrico Maxwell schlug mit der Faust auf den Tisch und knallte den roten Hörer des Telefons wütend auf die Gabel. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Die 13. Kongregation des Vatikans, eine uralte Institution der katholischen Kirche, die mit allen Ausgeburten der Finsterniss bisher fertig geworden war, versagte bei der modernen Kommunikationstechnik! "Verdammt nochmal, Andersen, wozu hast du ein Mobiltelefon, wenn du nicht rangehst?!" Er ließ sich in den Ledersessel vor seinem Schreibtisch sinken und seufzte leise. Die halbe Nacht lang hatte er jetzt schon versucht, seinen Untergebenen in London zu kontaktieren und war kläglich gescheitert. Maxwell strich sich geistesabwesend durch die geöffneten, langen Haarsträhnen, die ihm wie ein weißer Schleier über Rücken und Schulter fielen und sein Blick ruhte auf den vor ihm ausgebreiteten Unterlagen. Nichtmehr die von heute nachmittag, sondern mehrere alte Folianten aus den Katakomben, unter anderem auch der Brief des Templers und die dazugehörigen Schriften, Vatikansberichte aus dieser Zeit und ein paar Kopien der Polizeiberichte aus England, über die Morde in dem Museum und diverse andere Greuel, die offensichtlich auch von Gabriel, dem Blutengel begangen worden waren. Mittlerweile hatte er keinen Zweifel mehr daran, das diese ganze Geschichte wohl doch nicht von Sir Hellsing ausgedacht war, um ihn zu beschäftigen und somit eine Zeitlang aus dem Weg zu räumen. Irgendetwas ging da im vereinigten Königreich vor sich. Und er erreichte Alexander nicht! Das war doch nicht zum aushalten. Am Ende würden diese Protestantenhunde noch schneller sein als die Division und das durfte nicht passieren! Sie mussten in dieser Sache einfach die ersten sein, die handelten um dieser jämmerlichen Hellsingorganisation ein für allemal zu beweisen, wer auf dieser Erde für die Vernichtung von Kreaturen der Finsterniss zuständig war. Diese eingebildete, dumme Gans von Sir Hellsing musste endlich einmal erkennen, das sie und ihre ganze Organisation nichts weiter war als eine erbärmliche Farce! Enrico seufzte und nahm nocheinmal den Hörer in die Hand. Vielleicht wusste man ja in Alexanders' Hotel in London etwas über den Verbleib seines Untergebenen. ~oOo~ New Order: Rome --------------- Eighth Chapter - New Order: Rome Integra sprach gerade mit einem der Truppenführer, der die Räumung von Heathrow koordinierte, als die kleine Truppe von der Rollbahn, Alucard ihnen voran, wieder durch einen der langen Gänge in den Terminal zurückkam. Die Leiterin Hellsings' hatte es zwar schon geahnt, aber an den Gesichtern von Walter und Seras konnte sie schon ablesen, das Gabriel ihnen entkommen war. Deshalb stellte sie auch keine Frage, als die drei bei ihr stehenblieben, sondern zündete sich ungerührt eine Zigarre an und beachtete Alucard dabei so sehr wie einen Staubfussel auf einem Regal. Immerhin hatte der Vampir ihren ausdrücklichen Befehl ignoriert und das wollte schon etwas heißen. Nämlich das sie gelinde gesagt stinksauer auf ihn war. Alucard schien das aber nicht im mindesten zu stören. Immernoch grinsend lehnte er sich an die Wand, verschränkte locker die Arme und schlug ein Bein über das andere und Integra fragte sich kurz, was zum Teufel den Vampir schon wieder so amüsierte. Das hier war eine ernste Angelegenheit! Manchmal war Alucard sowas von ... "Er ist weg, nehme ich an."stellte die blonde Frau sachlich fest und zog an ihrer Zigarre und Walter neigte den Kopf:"So sieht es leider aus, Lady Hellsing. Und wir wissen nicht, welches Ziel er hat. Das ist ein weiteres-" "Er will nach Rom."unterbrach ihn Integra:"Ich weiß zwar nicht was er dort sucht, aber meinen Informationen zu Folge ist das sein Ziel..." Sie warf Alucard einen scharfen Seitenblick zu:"Wo ist der Judas?" Alucard sah auf und lächelte in Integras' eisige Augen. Dann deutete er bloß mit dem Daumen den Gang runter. Andersen schien es nicht wirklich eilig zu haben, warum auch immer. Die Hellsingmitglieder würdigte er nicht eines Blickes, er sah stur auf den Boden zu seinen Füßen und hatte seine Waffen bereits wieder im langen, weißen Mantel verstaut. Auch er war klatschnaß und - soweit Integra das erkennen konnte - mit sich und der Welt ziemlich unzufrieden. Die Hellsingleiterin neigte den Kopf und sprach zu allen, als sie sagte:"Gut... Kein Wort zu ihm über Gabriel und sein Reiseziel, verstanden? Wenn dieser wiederliche Wurm Maxwell es nicht für nötig hält, seine Informationen weiterzugeben, dann tuen wir das auch nicht. Sollen diese vermaledeiten Katholiken doch zusehen, wie sie es alleine anstellen und dabei versagen..." Alucard räusperte sich verhalten und Integra überkam der dringende Wunsch, den Vampir wieder in den Keller zu sperren und ums Verrecken nicht wieder herauszulassen. "Was. Hast. Du. Getan?" Alucard stieß sich mit einem leisen Seufzen von der Wand ab und trat vor, als er Integras Todesblick auf sich spürte. "Ich habe ihm nichts gesagt über Rom. Sonst wäre der Schweinepriester wohl auch schon längst über alle Berge..."erklärte sich der Vampir:"Allerdings..." "Allerdings ... WAS?" Alucard seufzte:"Meine Herrin... Ihr seht doch an den Folgen hier, wie stark Gabriel ist. Etwas ... Verstärkung würde uns gut tun. Ich ... habe Andersen soetwas wie eine Allianz angeboten, wenn wir nach Rom reisen." " ... " "Meine Herrin?" "Walter. Fräulein Polizistin. Wenn ihr uns kurz allein lassen würdet?" Seras biss die Zähne aufeinander. Das klang nach gewaltig viel Ärger. Mit einem letzten Blick auf ihren Meister, den Alucard beruhigend erwiderte, folgte sie Walter, der nach einer kurzen Verbeugung und einem:"Sehr wohl, Mylady." zu Fargason gegangen war. Integra atmete tief ein:"Erstens: Nach dem, was diese Ratte Maxwell sich geleistet hat, kann mir jedwede Verstärkung von ihm gestohlen bleiben! Zweitens: Eine Allianz? Mit der 13. Kongregation?! Nein, danke! Ganz sicher nie wieder und schon garnicht in so einem Ausmaß! Drittens: Sowas beschließt du einfach hinter meinem Rücken?! Viertens: Woher willst du eigentlich so genau wissen, das ich außgerechnet dich nach Italien schicke?! Du hast schoneinmal verloren, du hast Gabriel jetzt entkommen lassen, du hast meinen Befehl missachtet und außerdem-" "Bin ich der beste Jäger, den ihr habt, Herrin."unterbrach Alucard grinsend das wütende Zischen Integras' und schien nicht sonderlich beeindruckt. "Nein, bist du unverschämt, vorlaut und frech, das wollte ich sagen! Fall mir nicht immer ins Wort!" "Ich wollte euch nur darauf aufmerksam machen, das ich bei weitem der Einzige in der gesamten Hellsing-organisation bin, der wenigstens soetwas wie den Hauch einer Chance gegen den Blutengel hat."sagte Alucard jetzt und sein Grinsen war verschwunden. Stattdessen glühten seine Augen dezent rötlich in der Neonbeleuchtung des Flughafens:"Ich habe verloren, ja, das gebe ich zu. Aber jetzt kenne ich seine Methoden, das nächste Mal bin ich besser vorbereitet und er wird mich nicht überraschen." "Und wenn er Methoden anwendet, die du bis jetzt noch nicht kennengelernt hast...?"Integra verschränkte die Arme, schloß die Augen und schien nachzudenken. Aber Alucard hatte Recht. Die menschlichen Truppen Hellsings, selbst die Elitekämpfer, ehemalige Navi-seals, GI's oder Mitglieder des MI5, waren Gabriel hoffnungslos unterlegen und eher besseres Kanonenfutter... In dem Punkt hatte sie einfach keine andere Wahl. Es gab niemanden außer Alucard, den sie schicken konnte. Auch wenn ihr das so garnicht Recht war. Aber dennoch... eins verstand sie immernoch nicht. Integras Blick schweifte in den langen Gang, traf Andersen und ihre blauen Augen verdüsterten sich:"Warum willst du eine Allianz mit ihm, Alucard? Er ist stark, ja, aber er ist ein Mensch und ein schlechter noch dazu. Er ist dein Erzfeind... Und ich traue ihm nicht. Ich habe ihn hierher mitgenommen, aber nur um ihn mehr oder weniger zu überwachen. Er wird dir in den Rücken fallen, sobald er die Gelegenheit hat. Er ist verschlagen und hinterhältig, ein Mörder, ein Auftragskiller des Vatikans. Du wirst mehr Probleme mit ihm haben, als das er dir hilft." "Der Vatikan..."Alucard lächelte leicht:"Ist jetzt nicht mehr von Belang für ihn. Sein Verlangen, Gabriel zu töten, ist tieferer Natur als ein bloßer Auftrag. Er wird eine gute Verstärkung bilden. Außerdem... wenn er davon erfährt, das Gabriel nach Rom und höchstwarscheinlich in den Vatikan will, wird er sofort alle Hebel in Bewegung setzten, um dorthin zu gelangen. Und ich meine damit wirklich alle Hebel. Das wird nicht ohne Aufsehen von Statten gehen. Ich denke, wenn ich ihn ein wenig kontrolliere, wird er nicht irgendetwas Kopfloses unternehmen, wovon Gabriel sofort erfährt und uns wieder entwischt. Ihr vertraut ihm nicht, meine Herrin... Aber vertraut mir in dieser Sache. Ich bin mir sicher." "Wie kannst du dir bei ... ihm sicher sein? Wie kannst du wissen, das er in Wahrheit nicht dich töten will?" "Ich weiß es einfach." "Warum? Ich will eine Antwort von dir!" Alucard schwieg einen Moment, er sah zu Andersen in den Gang, der langsam bei ihnen ankam, sie aber immernoch nicht beachtete:"Ich bin mir sicher ... weil sein Hass auf Gabriel schwerer wiegt als der auf mich." Integra wand ihren abschätzenden Blick von dem Paladin ab auf Alucard. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit dem Judas im Hellsing-Anwesen. Andersen hatte da auch etwas gesagt, das es nur noch seine Angelegenheit wäre, Gabriel zu finden und nicht mehr die des Vatikans. Das Maxwell nichteinmal wusste, das Andersen bei ihnen war. Gut, das sagte er, aber es dem Judas zu glauben war eine ganz andere Sache. Integra traute ihm nicht einen Milimeter über den Weg. Sie hatte nie vergessen, dass dieser fanatische Priester einen ihrer Truppenführer umgebracht hatte, völlig sinnlos, aus purer Mordlust heraus, weil er ein Hellsingmitglied gewesen war. Der blonde, hochgewachsene Mann blieb jetzt einige Meter vor ihnen stehen und sah zum ersten Mal auf, in die blauen Augen Integras. Sekundenlang schienen die beiden einen stillen Kampf auszufechten und Alucard fragte sich insgeheim, was zwischen seiner Herrin und dem Judas vorgefallen war. Sie hatte vorhin etwas erwähnt von wegen, das sie ihn hierher mitgenommen hätte... Aber das müsste ja bedeuten, das Andersen vorher bei Integra aufgetaucht war, während er selbst noch unter Gabriels Fluch gebannt war ... So war das also. Jetzt verstand der Vampir. Der Schweinepriester hatte also wirklich alles versucht, um Gabriel zu finden. *Sogar über deinen eigenen Schatten gesprungen bist du, Alexander, und zum Feind gegangen um dir Rat zu holen... Das nenne ich Einsatz.* Alucard lächelte leicht und emotionslos. "Seid gegrüßt, Hochwürden."sagte der Vampir jetzt und sein Gesicht zierte wieder ein böses Grinsen, als er mit Freuden den bissigen Blickkontakt Integras' und Andersens' unterbrach:"Wie nett euch hier zu treffen. Was verschlägt euch denn in diese abgelegene Gegend?" Andersen knirschte nur mit den Zähnen und warf Alucard einen Todesblick zu:"Wenn das hier funktionieren soll, dann halt deinen Mund, Nosferatu, oder ich schneide dir die Zunge ab..." "Wenn das überhaupt jemand jemals tun wird, dann werde ich das sein."warf Integra trocken ein und sie kniff die Augen zusammen:"Alucard hat mir von seiner Ein-Mann-Aktion erzählt, euch zu einer Allianz zu überreden... Nun, ihr wisst warscheinlich schon jetzt, das mir das ganz und garnicht behagt, Paladin. Immerhin habt ihr vorhin ja gezeigt, was ihr unter einem Angebot zur Kooperation versteht - eure Soloeinlage gerade eben hat den korrekten Zugriff meiner Leute verhindert. Wenn ihr euch an unsere Abmachung gehalten hättet, wäre -" "Wären noch dutzende mehr eurer Leute tot, Sir Hellsing!"unterbrach sie Andersen schneidend:"Außerdem gehört dieser verdammte Dreckskerl mir, und niemand mischt sich da ein!" "Niemand? Und doch möchtest du mit mir kommen, Priester?"fragte Alucard lächelnd. "Du verdammter Untoter, du willst mir ja nicht sagen, wo Gabriel hin will! Hab ich eine andere Wahl?"knurrte Andersen jetzt, woraufhin Alucard nur grinsend mit den Schultern zuckte:"Tja, ich würde es euch mit Freuden sagen, Hochwürden, nur um bequem zuzusehen, wie ihr in euer Verderben rennt, aber ich habe meine Anordnung von ganz oben, da kann ich leider nichts machen." "So, so, von oben... Gefällt es dir eigentlich, dich von einer Frau herumkommandieren zu lassen?" "Besser von einer kompetenten Frau als von einem jähzornigen Pseudoexorzisten!" "Kompetent?! Du weißt ja nichtmal, was das Wort bedeutet!" "Doch, das ist das Gegenteil von 'Iskariot', Schweinepriester."grinste Alucard gehäßig:"Übrigens, wann wolltest du deinen geliebten Enrico eigentlich über deine Pläne informieren? Er bekommt doch noch Komplexe, wenn er dich mal ein paar Tage nicht rumscheuchen kann. Nicht, das er die nicht schon hätte..." Andersens geballte Fäuste zuckten verräterisch:"Ich werde ihn garnicht informieren! Und jetzt lass Enrico aus dem Spiel, das Ganze geht ihn nichts an! Ich werde diesen Bastard von einem Engel kriegen und zwar alleine, koste es, was es wolle! Und auch, wenn ich mich dafür bis in alle Ewigkeit an deine Fersen heften muss, das ist mir egal!“ „Das schmeichelt mir ja schon wieder…“ „Du verfluchter Nosferatu!“ „Lass dir mal was Neues einfallen, Judas, langsam wird es langweilig.“ „Ich kann dir zur Abwechslung mal die Kehle aufschneiden, wie wäre das?!“ „Versuch es doch, ich jage dir vorher mein gesamtes Magazin in den Schädel!“ „Ach, ja?!“ „Ja!“ "RUHE! Das ist ja nicht zum Aushalten! Sofort seid ihr still, oder ich vergesse mich!" Priester und Vampir, die während ihres Wortgefechtes ohne es zu merken immer näher aneinander herangetreten waren, bis sie sich aus nächster Nähe gegenseitig anfauchten, klappte der Mund zu und sie sahen synchron zur Seite. Integra stand dort, in ihrer Hand ihre geliebte Desert Eagle, die Mündung auf Alucards Kopf gerichtet, einen mörderischen Ausdruck in ihren blauen Augen. „Und ihr wollt zusammenarbeiten?! Das soll wohl ein Witz sein! Ihr schlagt euch jetzt schon gegenseitig die Köpfe ein und bereitet mir eine Jahrhundert-Migräne und euch zwei Psychopathen soll ich zusammen losschicken?!Gott im Himmel, ich bin von Verrückten umgeben!“ Alucard legte den Kopf schief und lächelte seine Herrin freundlich an:“Nun ja, ihr seid die mit der geladenen Waffe, Mylady.“ Integra erdolchte den Vampir mit ihren Blicken:“Allerdings, und ich sollte dir damit die Frechheit ausprügeln…“ Sie entsicherte den Revolver wieder mit einer geübten Bewegung und steckte ihn wieder weg. Dann fuhr sie unbeeindruckt fort:"Es geht hier nicht um eure persönliche Rache! Gabriel ist ein Monster. Es ist unsere Aufgabe, ihn wieder dahin zu schicken, wo er herkam, nichts weiter! Und es ist mir egal, was sie für Gründe haben, Paladin Andersen, das habe ich ihnen schon einmal gesagt! Das Wichtigste ist, das wir die Menschen auf diesem Planeten vor den Mächten der Finsterniss beschützen, so gut wir können, das ist unsere Berufung, die einzige, die wir haben." Alucard trat ein paar Schritte zur Seite, verschränkte die Arme und sagte mit einem Seitenblick auf Andersen:"So ungern ich euch widerspreche, meine Herrin... Aber Rache und Hass sind doch bisweilen eine gute Motivation um dieser, eurer Berufung nachzugehen." Integra schnaubte leise:"Nicht, wenn sie dadurch in den Hintergrund tritt, Alucard." Sekundenlang sagte niemand etwas, dann schüttelte Andersen den Kopf:"Und soetwas muss ich mir von einer Protestantin anhören, einer Hellsing..." "Ebenso, wie ich mir von meinem Untergebenen anhören muss, das er sich freiwillig mit einem schizophrenen, mörderischen Judas der Divison Iskariot verbünden will!"feuerte Integra zurück und Andersen zog die Augenbrauen zusammen:"Glaubt mir, Sir Hellsing, diese 'Allianz' wird nur solange halten, wie es nötig ist." "Und was wollt ihr danach tun, Paladin, wenn ihr ihn nicht mehr braucht? Alucard angreifen?! Ich warne sie, wenn-" "Es gibt kein Danach!"fuhr Andersen auf und seine grünen Augen loderten für Sekundenbruchteile wie Smaragde, die geballten Fäuste zitterten und Integra konnte wieder den abgrundtiefen Hass spüren, der diesen Mann plötzlich umgab. Sie kniff die Augen zusammen und fragte sich zum wiederholten Male - trotz ihrer Aussage, das es sie nicht interessiere - was zum Teufel Gabriel mit dem Paladin angestellt hatte. Alucard dagegen wusste es und er bleckte lächelnd die Zähne. Andersen war wirklich immer wieder für eine Überraschung gut... So hasserfüllt hatte er selbst gegen ihn noch nie empfunden. Sollte ihn das jetzt nicht eigentlich in seinem Stolz verletzten? Seine roten Augen glitzerten amüsiert. "Es gibt kein Danach..."wiederholte Andersen fast flüsternd und er wandte ruckartig seinen Blick ab, ging ein paar Schritte zur Seite, nestelte eine kleine Schachtel samt Feuerzeug aus seiner Manteltasche. Seine langen Finger zitterten immernoch, als er sich eine Zigarette anzündete, den Rauch tief inhalierte und dann seine Schläfen massierte. Migräne? Das wäre schön. Hinter seiner Stirn tobte ein Super-GAU. Andersen ließ die angehaltene Luft entweichen und der blaue Qualm umgab ihn kurz wie ein Halo. Alucard lachte leise:"Ich wusste garnicht, das ihr raucht, Hochwürden... Das ist tödlich, wisst ihr?" "Das ganze Leben ist tödlich..." schnaubte der Paladin, ohne sich umzusehen und hatte ganz genau den hämischen Unterton in der Stimme des Nosferatu gehört, der ihn daran erinnern sollte, das Alucard bestens darüber Bescheid wusste, warum er rauchte, wovon er sich damit ablenken und einfach nur beruhigen wollte. Dieser elende, telepathiebegabte, berechnende, untote Sohn einer - … Integra wechselte einen Blick mit Alucard, der ihn lächelnd erwiederte, dann neigte sie den Kopf und deutete dem Vampir ein paar Schritte zur Seite zu treten. Alucard folgte ihr außer Hörweite des Paladins und meinte dann freundlich:"Es schmerzt mich wirklich, zu sehen, das ihr mir so wenig zutraut, meine Herrin. Ihr solltet euch in dieser Hinsicht keine Sorgen machen. Selbst wenn der Judas mich angreifen sollte... womit ich nicht rechne... Bis jetzt war er mir immer unterlegen." Integra maß den blonden Priester, der sie weiterhin nicht beachtete, mit abschätzendem Blick:"Etwas anderes wäre auch nicht akzeptabel, Alucard." Der Vampir grinste:"Ich weiß ... Nun aber nocheinmal zu diesem Dilemma. Ich weiß, das ihr ihm nicht vertraut und ihn nicht dabeihaben wollt. Aber es ist die beste Möglichkeit die wir haben... So kann ich ihn unter Kontrolle halten und er kann nichts Unüberlegtes tun, solange ich dabei bin. Und er ist eine Verstärkung... wenn er auch nur ein Mensch ist... Naja, mehr oder weniger..." "Dann ist es also soweit? Entscheidest du jetzt hier?" Alucard grinste:"Nein, noch nicht... Ich wollte euch lediglich bei eurer Entscheidung helfen." Integra neigte den Kopf:"Ich weiß... Und ich weiß auch, das du Recht hast. Wenn ich auch immer noch nicht glücklich darüber bin, das du soetwas einfach hinter meinem Rücken mit diesem verfluchten Judas abschließt." "Der verfluchte Judas hat vom Warten die Nase voll, Sir Hellsing. Sind sie endlich fertig damit, sich zu überlegen, ob sie mir vertrauen sollen, oder nicht? In dem zweiten Fall, entschuldigen sie mich. Ich brauche ein Flugzeug."unterbrach sie Andersen plötzlich. Unbemerkt war der Paladin an sie herangetreten, ließ jetzt die Zigarette zu Boden fallen, trat sie aus und wandte sich zum Gehen. Integra und Alucard wechselten einen Blick, dann trat die blonde Frau vor:"Also gut, Paladin. Sie gehen mit Alucard ... Aber seien sie sich darüber im Klaren, das ich mit der Situation nicht glücklich bin." "Das erwähnten sie schon, Sir Hellsing... Und ich glaube, ich sagte darauf, das ich es auch nicht bin."Andersen wandte ihr den Kopf zu:"Aber der Nosferatu ließ anklingen, das sie wissen, wo Gabriel hin will und das sie es mir natürlich nicht einfach so sagen werden. Es ist aber in der Tat leider so, das ich nur ungern alleine losziehen und ihrem speichelleckenden Vampir diesen Vorsprung gönnen würde." Alucard grinste böse in sich hinein, dann trat er vor und schnitt Andersen so den Weg ab, sagte mit einer vor Sarkasmus triefenden Stimme:"Sehr schön, dann sind wir uns ja einig. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, Hochwürden, aber ich bin irgendwie in Hochstimmung." Seine roten Rubine fraßen sich in Alexanders Jadeaugen:"Solche unverhofften ... Vereinigungen gehen mir immer sehr ans Herz." Andersen biss die Zähne aufeinander und sein Blick hätte jeder Medusa alle Ehre gemacht, bevor er sich von dem Blick des Vampirs losriss und wortlos an Alucard vorbeischritt. Der sah ihm nur hinterher und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Das ... würde bestimmt eine interessante Reise werden. "Alucard..." "Ja, meine Herrin?" "Sag mir, was passiert ist. Was ist mit Andersen los?"Integra trat neben den hochgewachsenen Schwarzhaarigen und sah ebenfalls dem blonden Paladin nach. Alucard schüttelte sanft den Kopf:"Heute nicht, Mylady... Irgendwann, aber nicht heute." ~oOo~ "Was soll das heißen, er ist gestern ausgecheckt? ... Wo er jetzt ist, will ich von ihnen wissen! Und das gefälligst-" Enrico tippte mit den Fingerspitzen ungeduldig auf die Tischplatte, während er den Telefonhörer an sein Ohr presste. "NEIN, ich will keine neue Reservierung tätigen, sie Dilettantin! Ich will jetzt, das sie mir sagen, wo er hingegangen ist! Er muss doch eine Nachricht hinterlassen haben! Er kann doch nicht- ... Wie bitte?! Wissen sie eigentlich, mit wem sie da reden?!" Einzelne weiße Haarsträhnen rutschen ihm in die Stirn, als er wütend mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlug. Zum wiederholten Mal in den letzten vierundzwanzig Stunden. "Das wird Konsequenzen für sie haben, das sage ich ihnen! So eine-" Ein leises Klicken am anderen Ende signalisierte dem Iskariot-Leiter, das die Empfangsdame des Bagalione am anderen Ende einfach aufgelegt hatte und jetzt knallte Enrico seinerseits den Hörer auf die Gabel, sprang von seinem Stuhl auf, fegte dabei einige Unterlagen vom Schreibtisch auf den Boden und tigerte zornig durch sein Büro. "Engländer! Protestanten! Verdammte Inselaffen! Das ist doch wohl die Höhe!" "Sie wusste nicht, wo Paladin Andersen ist, nehme ich an..."Pater Ronaldo schien wie immer völlig unbeteiligt. "Nein, dieses unfähige, dumme Ding wusste nichts! Und dann besitzt sie auch noch die bodenlose Frechheit, mich als unverschämt und jähzornig zu beschimpfen!" Enrico gestikulierte wild mit den Händen und wenn er seine Füße nicht zum wütenden Hin und Herstapfen benötigt hätte, wären diese bei der Schimpftirade sicher auch noch zum Einsatz gekommen. Ronaldo lächelte leicht:"Was für eine ungeheuerliche Behauptung..." Enrico knirschte mit den Zähnen und bedachte den Älteren mit einem Todesblick:"Darum geht es nicht! Alexander ist gestern abend ausgecheckt und hat nichts gesagt, rein garnichts und ist einfach verschwunden! Das ist doch zum aus der Haut fahren! Wir haben warscheinlich einen gemeingefährlichen Gegner vor uns, jede verfluchte Sekunde zählt jetzt um diesen Gabriel zu finden und ich erreiche meinen besten Mann nicht, weil der wie vom Erdboden verschluckt ist! So ein verdammter -" "Pater Maxwell... Ich würde sie bitten, in den heiligen Gemäuern des Vatikans keine derartigen Verwünschungen auszusprechen. Das ist weder angemessen für ihre Position, noch bringt es uns in unserer Situation irgendwie weiter ... Sie sollten sich zuerst einmal beruhigen." Enrico blieb an einem der geöffneten Fenster stehen, atmete tief ein und strich sich dann die, momentan ziemlich wild aussehenden, weißen Haare zusammen, um sie zu einem Zopf zu binden. "Paladin Andersen kann ja nicht einfach verschwunden sein..."Ronaldo richtete seine Brille und verschränkte die Arme wieder hinter dem Rücken:"Das klügste wäre, wenn wir einige unserer Agenten losschicken, die ihn aufspüren. Gleichzeitig sollten wir uns allerdings auch um diesen Gabriel kümmern. Zu dem Zwecke wären einige Kampfpriester, die sich zurzeit in Venedig mit einer Freakjagd aufhalten sicher gut geeignet..." Enrico schwieg einige Sekunden lang und sein Blick glitt über den noch fast leeren Petersplatz, der soeben in die goldenen Strahlen der aufgehenden Morgensonne getränkt wurde. Geblendet kniff der weißhaarige Mann die Augen zusammen, als er in die rote Scheibe am Horizont sah. Der Leiter von Iskariot seufzte leise:"Pater Ronaldo, ohne sie würde ich wohl noch irgendwann meinen Kopf verlieren... Tun wir es so, wie sie eben vorschlugen, während meine Wut mich wieder über die Maßen abgelenkt hat..." Ronaldo lächelte leicht und musterte den schlanken Mann, der ihm den Rücken zuwand und sich mit den Händen auf dem Fensterbrett abstützte:"Entschuldigen sie sich nicht. Sie haben nuneinmal ein feuriges Temperament, Pater Maxwell. Ihre Heimat ist Italien, das können sie nicht leugnen..." Dann wandte sich der Ältere zum Gehen, aber als er die Türklinke umfasste blieb er noch kurz stehen und in seiner Brille spiegelte sich die Sonne, als er den Kopf halb zurück wand:"Ebensowenig wie die Tatsache, das sie sich Sorgen um Paladin Andersen machen..." Enricos Finger krampften sich im ersten Moment um das Fensterbrett, als er bei diesen Worten den Stich in seiner Brust fühlte. Aber als er sich ruckartig umwandte, um Ronaldo zurechtzuweisen, war dieser schon verschwunden. Die fein geschwungenen Augenbrauen des weißhaarigen Mannes zogen sich zusammen, dann fuhr er wieder zum Fenster herum und starrte zornig in den von roten Schlieren durchzogenen Himmel. Sorgen?! Er, und sich Sorgen machen?! Es gab nur eine Sache, um die er sich Sorgen machte und das war die Iskariot-Organisation! War, ist und würde es immer sein, basta! Himmel, er hatte weiß Gott genug zu tun! Was erlaubte sich dieser Alte eigentlich?! Wütend ballte Enrico die Faust, schlug auf das unschuldige Fensterbrett ein und fauchte:"Ich mache mir keine Sorgen! Und schon garnicht um Andersen! ... Und wenn, dann nur, weil er Iskariots' bester Mann ist, nicht mehr und nicht weniger!" Dann seufzte er leise, sah wieder auf in den Himmel und der leichte Wind riß ihm das Geräusch von den Lippen. Wem versuchte er da eigentlich etwas vorzumachen? Der ganzen Welt da draußen oder sich selbst? Ronaldo hatte ihn wieder einmal durchschaut. Ja, er machte sich Sorgen um Alexander, schon alleine wegen seinem verdammten, seit gestern permanenten Gefühl, das etwas mit dem Paladin nicht stimmte. Enrico atmete tief ein, schloß kurz die Augen und sah dann wieder zur Sonne hinüber. Langsam wurden ihre Strahlen zu hell für das menschliche Auge und Enrico spürte, wie seine Netzhäute protestierten. Es war eigentlich nichts Schlimmes, etwas, worüber sich normale Menschen freuen würden. Aber in Iskariot war eben nichts normal! Das durfte es einfach nicht! Und er hatte es schon die ganze Zeit gewußt, aber sich nie bewußt gemacht. Vielleicht hatte er es sich auch garnicht bewußt machen wollen... Sie waren Freunde. Er und Alexander hatten soviel Zeit miteinander verbracht, soviele Krisen schon gemeinsam überstanden, soviele Stunden schon nebeneinander über Einsatzplänen gehangen und hin und her organisiert und jede Jagd nach Freaks und anderen Schatten bis jetzt zusammen überlebt... Jeder kannte den Anderen bis ins Detail. Alexander wusste immer ganz genau, wann es wieder soweit war, das Enrico einen seiner gefürchteten Wutausbrüche erlitt. Er zählte manchmal sogar einen Countdown herunter, was Enrico dann immer noch mehr auf die Palme brachte. Und Maxwell wusste dafür genau zu sagen, wann der Paladin auf irgendeinem gesellschaftlichen Empfang - den er als Enricos' Leibgarde oft gezwungen war, mit zu besuchen - kurz davor war, einzuschlafen vor Langeweile. Einfach nur dadurch, das sie einander schon so gewöhnt waren, das sie garnicht miteinander reden mussten, um zu wissen, was der Andere dachte. Er konnte es nicht anders sagen. Ja, sie waren in all den Jahren bei Iskariot wirklich so etwas wie Freunde geworden... Aber ganz genau das war es, was Enrico so aufwühlte. Er konnte sich das einfach nicht erlauben, nicht in seiner Position. Er war der Leiter der 13. Kongregation, Pater Andersen war sein bester Mann, nicht mehr, nicht weniger und genauso hatten sie sich zu verhalten, um jedwede Schwäche ihren Feinden gegenüber bereits im Keim zu ersticken. Er musste seine Pflicht, seine Berufung erfüllen, vor Gott und den Menschen. Gefühle jeder Art störten dabei nur, machten schwach und verletzlich, schon jetzt hing er mit seinen Gedanken eher bei Alexander, als das er sich Sorgen um diesen Blutengel machte. Aber sie mussten alle stark sein, um die Finsterniss zu besiegen. Geeinigt in ihrem Geiste und in ihrem Glauben, nicht in ihren Herzen. Kämpfer gab es ihrer viele und wenn einer von ihnen ehrenvoll fiel, dann wurde sein Platz von dem nächsten eingenommen. So war das schon immer gewesen. Er sollte diesen Unsinn, wie auch seine Sorge um Alexander ganz schnell vergessen. Es schmerzte, als Enrico ein letztes Mal zum Himmel hochsah, aber er ignorierte es energisch. Die Sonne stand schon schräg über den Seitenflügeln des Apostolischen Palastes, aber ihr Licht brannte nicht mehr in den Augen. Einige dunkle Wolken, die aus dem nichts gekommen waren, hatten sich vor sie geschoben. ~oOo~ Der Regen war stärker geworden, auch wenn sich Alexander beiläufig fragte, wie das überhaupt noch möglich war. Aber jetzt hämmerten die Regentropfen wie Maschinengewehrsalven gegen die hohen Glasfenster Heathrows, glitten wie wahre Sturzbäche an den glatten Schrägen herab und reflektierten flackernd die Neonlichter in Terminal 7, durch den er gerade - hinter dem Nosferatu und Sir Hellsing und flankiert von mehreren Soldaten - in Richtung Gate schritt, wo einer der Privatjets der Hellsingfamilie auf sie wartete. Sein Blick durchbohrte für Sekunden den Rücken des Vampirs vor ihm. Dieser elende Bastard. Er hätte sich nie auf so eine Sache einlassen sollen... Aber Andersen war verdammt klar, dass das hier die einzige Möglichkeit war, Gabriel so schnell es ging einzuholen. Und das wollte er, selbst wenn es seine Seele kosten würde... Andersen sah wieder zu Boden, ballte die Fäuste in den Manteltaschen. Er spürte es. Sosehr, das es schmerzte. Der Hass gleißte in ihm wie ein Lavastrom, wie flüssiges Metall, das brennend durch seine Adern pulsierte. Viel heißer, als noch ein paar Stunden zuvor. Vater im Himmel, er musste sich beruhigen… Und im selben Moment wusste er genau, er konnte es nicht. Gedanken, Gefühle, alles tobte in ihm, wirbelte ineinander, er konnte kaum klar denken. Alucards Worte draußen auf der Rollbahn, seine Andeutungen, sein Lachen und Spotten, alles klang immernoch in seinen Ohren, dieser gottverfluchte Vampir, er sollte ihm den Kopf abschlagen, er wurde noch wahnsinnig… *Nein! Nein, hör auf!* Er zwang sie zurück, die dunklen Schatten, die sich um sein Herz gelegt hatten, zudrückten wie eiserne Fesseln und sich in seine Seele fraßen. Er musste stark sein. Er musste Gabriel finden. Und ihn töten. Das war das Einzige… das einzige, was noch zählte… Er belog sich selbst, er wusste es, bei Gott, dem Allmächtigen, er wusste es, aber er konnte nicht anders. Sonst würde er den letzten Rest seines Verstandes verlieren, seinen Glauben verlieren, alles, was ihn noch vorwärts trieb. Und er wollte nicht wissen, was dann noch von ihm übrig blieb. *Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium…* Das Gebet, das Glaubensbekenntnis aller Christen, drang in seine verwirrten Gedanken wie Balsam für seine gequälte Seele. Worte, die er schon so lange auswendig konnte, die ihm immer geholfen hatten, all das zu verarbeiten, was er jeden Tag, jede Nacht sehen musste. Er klammerte sich an die Verse, als hinge sein Leben davon ab. In seinen Augen war es tatsächlich so. Alucard grinste währenddessen in sich hinein und las in den Gedanken des Priesters wie in einem offenen Buch. Oh, war so leicht, viel zu leicht, den Judas zu korrumpieren. Er hätte es nicht geglaubt, wenn er es nicht jetzt in allen dunklen Facetten miterleben würde. Und es war schon lange her, das ihm etwas solch diebische Freude bereitet hatte. Niemand wird als Monster geboren, sagte man. In den meisten Fällen stimmte das auch. In einigen nicht. Er selbst … war so ein Fall. Aber er hatte es bereits akzeptiert, schon vor langer Zeit. Andersen hingegen… Alucard lachte leise. Er hatte dem Judas immer gesagt, das sie beide garnicht so verschieden waren, wie er es immer gerne behauptete und der blonde Priester hatte es nie verstanden, nie verstehen wollen. Vielleicht war es erst jetzt an der Zeit dafür… Sie waren am Gate C4 angekommen. Für den Vampir klar erkennbar, aber für die anwesenden Menschen nur shemenhaft in der verregeten Dunkelheit vor den Glasfenstern wartete draußen eine Vinair der Falcon 900 Klasse auf sie. An den Heckflügeln glänzte das Wappen der Hellsings. Integra schritt noch neben Alucard durch die Fluggastbrücke:"Der Falcon ist das schnellste scharf bewaffnete Passagierflugzeug in der Hellsingstaffel. Damit sollte es kein Problem sein, Gabriel einzuholen. Major Christopher und vier seiner Leute werden dich begleiten, Alucard, und ich wünsche in der Beziehung keinerlei Widerspruch." Alucard, der bereits den Mund geöffnet hatte, um zu widersprechen, klappte ihn wieder zu und neigte stattdessen den Kopf:"Das würde mir im Traum nicht einfallen, Herrin..." Integra sagte nichts dazu, sie blieb stehen und sah den Vampir zwei, drei Sekunden lang schweigend an. Alucard konnte ihre Augen schimmern sehen und er wusste nicht zu sagen, ob es von dem diffusen Licht in der Brücke oder etwas anderem war, was er bei Integra noch nie gesehen hatte. "Herrin?" "Alucard ... Versprichst du mir etwas?" Der Vampir lächelte leicht:"Alles, was ihr wollt." "Du weißt, dass ich, seit du mein Untergebener bist, nur Erfolge von dir erwartet habe. Und die hast du mir auch tadellos erbracht. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass du eines Tages unterliegen könntest und hätte dich deshalb fast verloren." "Herrin, nein. Das war nicht eure Schuld." "Doch, das war es. Bitte, lass mich aussprechen."Integra fuhr sich durch die blonden Haare, strich sie aus der Stirn:"Ich verlange dieses Mal nicht unbedingten Erfolg von dir. Alles, was ich will ist, das du wieder zurückkommst. Und das lebendig. Gabriel muss vernichtet werden, das ist mir klar, aber wenn du merkst, das du unterliegen wirst, das diese Kreatur zu stark ist, dann ... riskier nicht dein Leben. Versprichst du mir das?" Alucard erwiderte Integras Blick, las die Sorge darin, eine drängende Sorge um ihn, die ihn tief bewegte. Wann hatte Integra jemals so offen gezeigt, was er ihr bedeutete, wie ihre Gefühle wirklich waren? Seit er sie kannte, seit dem Augenblick, in dem das kleine, blonde Mädchen mit den hellblauen Augen in sein Verlies gestolpert war und ihn aufgeweckt hatte aus seinem Dämmerschlaf, hatte Integra sich diese Maske zugelegt, diese ernste, kalte Maske, die sie seitdem stets getragen hatte, in jeder Sekunde ihres Lebens, während der Erfüllung ihrer Aufgabe und ihres schweren Erbes, die Leitung des heiligen Ritterordens der Hellsings. Sie war sie immer so stark gewesen, beherrscht, die geborene Strategin und Anführerin, die ihre Gefühle niemals zeigte, weil sie es sich nicht erlauben konnte. Und jetzt... Es war etwas besonderes, ein Moment, der Alucard zeigte, wie wichtig er dieser Frau war und auch ihm aufzeigte, wieviel Integra, seine Herrin, ihm bedeutete. Der Priester hatte unrecht. Sich von dieser Frau Befehle erteilen zu lassen, war keine Schwäche. Es war ein Privileg. Der Vampir neigte respektvoll den Kopf:"Ich werde alles tun, um Gabriel zu töten. Aber ich gebe euch dennoch mein Wort, Herrin." Integra musterte sein Gesicht, dann zitterten ihre Lippen kurz:"... Danke." Es war fast zu leise um es zu hören und Alucard lächelte sie beruhigend an:"Wir sehen uns wieder, meine Herrin. Das verspreche ich euch ... Kümmert euch um Seras. Ich konnte ihr nicht mehr sagen, dass ich fortgehe." "Sie wird es verstehen."Integra erwiderte sein Lächeln, nur kurz, aber Alucard hatte es gesehen. Sie lächelte so selten. Und diese Seltenheit machte es nur noch kostbarer. "Bis bald, meine Herrin..." Dann drehte der Vampir sich um und schritt hinter den Soldaten die Fluggastbrücke herunter in den Falcon, der sie bis nach Rom bringen sollte. Zu landen brauchten sie nicht, das wusste der Vampir schon jetzt. Wenn sie über der Vatikanstadt waren, wäre es kein Problem mehr für ihn, sich und den Judas durch einen Schattentunnel herunter zu bringen. Aber aus London... das war dann doch selbst für Alucard ein wenig zu spektakulär. Integra sah dem Vampir hinterher, bis er verschwunden war. Dann drehte sie den Kopf, als Andersen an ihr vorbeischritt, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Aber es war keine Arroganz in seinem Blick, kein absichtliches Ignorieren ihrer Person, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie verachtete... die grünen Augen des Paladin waren merkwürdig leer, völlig ohne Leben, wie Integra es schon in ihrem Anwesen beobachten konnte und wenn der Judas nicht aufrecht gegangen und geatmet hätte, hätte Integra ihn genausogut für tot halten können. Sie kniff leicht die Augen zusammen. Gabriel musste irgendetwas getan haben, was... "Paladin Andersen." Der Judas blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um:"... Was wollen sie?" "Ihnen noch einen letzten Rat mit auf den Weg geben, Judaspriester."Integras Stimme war kalt, eisig:"Ich traue ihnen nicht einen Meter über den Weg, das dürfte uns beiden klar sein. Aber es ist Alucards Entscheidung, sie mitzunehmen und ihnen als Verbündeten zu trauen ...Das hier ist nun meine Warnung an sie. Wenn sie ein falsches Spiel spielen, wenn sie Alucard auch nur ein Haar krümmen, dann machen sie sich auf etwas gefasst. Denn dann werden sie nichteinmal die Mauern des Vatikans und die gesamte Schweizer Garde, geschweige denn diese Schlange Maxwell oder ihre Regeneratorenkräfte vor mir beschützen können." Alexander wandte langsam den Kopf, sah die blonde Frau aus den Augenwinkeln ausdruckslos an:"Keine Sorge, Sir Hellsing... Ihr Vampir ist es nicht mehr wert, das ich meinen Hass auf ihn vergeude..." "Das hoffe ich... In ihrem Interesse, Paladin."meinte Integra leise, aber sie wusste, das der Priester sie noch gehört hatte, als er in das Flugzeug stieg. ~oOo~ Seras Viktoria stand in Terminal 1 an einem der hohen Glasfenster und drückte ihre heiße Stirn gegen das kalte Glas. Vereinzelte rote Strähnen fielen ihr ins Gesicht, als sie sich wieder zurücklehnte und der schnittigen Maschine der Falcon Klasse hinterhersah, wie sie von dem Rollfeld abhob und mit der Dunkelheit verschmolz. "Meister..."Sie lächelte kurz und ließ ihre Tränen ungehindert über ihre Wangen laufen:"Ich weiß, das ihr es schafft. Macht diesen Mistkerl fertig." Das Flugzeug war nicht mehr zu sehen, Seras senkte den Kopf und sie schluchzte leise. Dann fühlte sie eine leichte Hand auf ihrer Schulter:"Er kommt wieder. Er hat es mir versprochen." Die junge Vampirin wandte sich um, sah in die blauen Augen Integras, die sie tröstend anlächelte. Sie nickte leicht, aber immernoch perlten ihr glitzernde Tränen über die blassen Wangen. "Lady Hellsing..."Mit einem erstickten Schluchzer lehnte sich die rothaarige Frau gegen ihre Vorgesetze, klammerte sich an sie und weinte gegen Integras Schulter. Es tat so weh in ihrer Brust und so gut, jemanden zu haben, der einfach nur da war. Selbst wenn ihr Handeln respektlos war. Aber Seras konnte einfach nicht mehr. Integra verstand das. Auch ihr schnürte sich der Hals zu, wenn sie in die verregnete Dunkelheit sah, die den Falcon in sich aufgenommen hatte, sie sich bewußt machte, das ihr Gepräch vorhin mit Alucard vielleicht ihr letztes mit dem Vampir gewesen war. Nein, daran wollte sie nichteinmal denken. Und Alucard hatte auch nicht 'Leb wohl' gesagt. Nein, das hatte er nicht... Er würde zurückkommen, sie hatte sein Wort darauf. Und sie vertraute ihm. Langsam hob sie die Hände und schloß ihre Arme um das zitternde Bündel, das Seras nun noch war. "Er muss wiederkommen."flüsterte die blonde Frau und in ihren Augen spiegelten sich die dunkeln Wolken am Himmel, die nun langsam von helleren Schlieren durchsetzt wurden und die Dämmerung ankündigten:"Er muss einfach wiederkommen..." Mitternachtssonne ----------------- Ninth Chapter - Mitternachtssonne Es war still in dem Passagierraum des Falcon. Nur das stetige, monotone Summen der Maschinen sowie das dumpfe Rauschen des Windes drangen durch die Wände aus Stahl in das Innere. Alucards' Blick glitt kurz zu Major Elija Christopher und seinen Männern herüber, die weiter vorne im Flieger saßen. Christopher nickte ihm kurz zu und fiel dann wieder in das Gespräch seiner Männer ein. Gute Jäger, sie alle, wie Integra immer zu sagen pflegte, trotz der amerikanischen Ausbildung bei der US Air Force und ihrem erst späten Wechsel zur Hellsing Organisation. Alucard hatte schon mehrere Operationen mit ihnen durchgeführt und sich von ihrer tödlichen Perfektion überzeugen können. Dennoch war es ihm garnicht recht, das Integra die Männer praktisch als Aufpasser mitgeschickt hatte. Und spätestens über Rom würde er sich ihrer Begleitung sowieso entziehen. Der Vampir hatte keinesfalls vor, Christopher und seine Leute in den Kampf gegen Gabriel mitzunehmen, von Anfang an nicht. Sie wären so gut wie tot, bevor sie überhaupt eine Kugel abgefeuert hätten. Außerdem war die Sache mittlerweile mehr als persönlich. Alucard bleckte leicht die Zähne. Dieser Bastard von einem ‚Engel’ würde es noch bereuen, überhaupt wieder aus seinem Sarkophag gekrochen zu sein, er würde… Jemand schrie hinter seiner Stirn … und Alucard fuhr leicht im Sitz zusammen. Blut, das war soviel Blut und … Schmerz… Er ertrank darin, bekam keine Luft mehr... Eine rauschende Bilderflut, ein Strudel aus Gefühlen und Schreien stürzte ungefragt in den Geist des Vampirs, ließ ihn leise aufkeuchen, als er die Augen schloß und sich zu konzentrieren versuchte und dann war da eine Stimme inmitten der Bilder voller Angst, so neu und schon so verhaßt … „Verdammt, Priester, du bist verdammt für immer. Deine Seele gehört mir.“… Ein Lachen, dumpf und hohl, schrill und gellend gleichzeitig, das ihn verhöhnte, verspottete und Augen, schwarze Augen, ohne Zeit, ohne Seele, ohne Leben, klaffende Abgründe, die ihn verschlangen, in denen sich Schwärze emportürmte und nach ihm griff und es war nicht die Hölle, nein, es war eine Nichtexistenz, die Negotisierung des Seins, ohne Geräusche, Gefühle oder Farben, es war einfach nichts und es war schrecklicher als alle neun Kreise der Hölle zusammen, denn er wusste, spürte die Verdammnis und konnte nichts dagegen tun… Alucard fuhr im Sitz hoch und schüttelte die Bilder mit einem hasserfüllten Zähneknirschen von sich ab. Was war das gewesen? War das wieder einer von Gabriels Streichen mit seinem Geist? Hatte er ihm diese Bilder geschickt, um ihm zu zeigen, welche Macht er noch über seine Gedanken verfügte? Aber wozu sollte er … “Verdammt, Priester, du bist verdammt für immer. Deine Seele gehört mir.“ Alucard sah auf, als ihn Erkenntniss durchströmte. Es war kein Traum gewesen, keine Spielerei dieses gottverdammten Engels. Es waren die Qualen eines Anderen. Erinnerungen, so stark und eindrücklich, das sie ohne Probleme in seinen Geist eingedrungen waren und er sie gesehen hatte, viel schlimmer, viel mehr, als beim ersten Mal in Heathrow. “…Andersen.“ Alucard nickte kurz Christopher zu, der sich besorgt umgedreht hatte und sein Nicken jetzt beruhigt erwiderte und dann stand er langsam auf und drehte sich um. Rotglühende Augen fielen in den hinteren Teil des Fliegers, auf die Person, die er seit einer Stunde bewusst ignoriert hatte. Der Paladin saß so weit von ihm und den Soldaten entfernt wie möglich, hatte die Augen geschlossen und einen elfenbeinernen Rosenkranz in den behandschuhten Händen. Alucard wusste hinterher nichtmehr, wie lange er dort gestanden und den Judas angestarrt hatte, aber es war das erste Mal seit ihrem Zusammentreffen in Heathrow ... eigentlich, seit er ihn kennengelernt hatte ... das er sich die Mühe machte, den heiligen Mann einfach nur anzusehen. Doch während dieser Zeit nahm Alucard jedes einzelne Detail an Andersen wahr. Wie zusammengesunken die sonst so starke, selbstbewußte Figur des Priesters war. Welche dunklen Schatten unter seinen sonst so blitzenden, grünen Augen lagen. Wie die langen Finger um jede einzelne Kugel des Rosenkranzes zitterten, wie die Lippen des Regenerators bei jedem leise gemurmelten Wort des Ave Maria bebten. Wie … durchsichtig Alexander auf einmal schien. Ein Schatten … nur noch ein Schatten seiner Selbst. *Du verdammter Schweinepriester… Du zerstörst dich nur selbst…* Er legte den Kopf leicht schief, als er den Priester so betrachtete, seine Gedanken las, die ein einziger, schrecklicher Albtraum waren. Wie ein Horrorfilm spielten sich die Szenen hinter der Stirn des Judas ab, immer wieder, ohne Pause, die Worte des Gebetes nichts weiter als eine nicht enden wollende Litanei ohne Sinn und Verstand. Wenn das so weiterging bis Rom konnte er Andersen direkt nach ihrer Landung als Katatonie-Patient in die nächste Anstalt einweisen und musste alleine weiter. Und das war garnicht der Plan… Alucard seufzte leise und schüttelte den Kopf. *Zur Hölle mit dir, Alexander, wie kann man nur so pathetisch sein… Nichts als Ärger hat man mit diesen Katholiken.* Er erinnerte sich daran, wie das Zittern des Priesters aufgehört hatte, auf der Rollbahn, nachdem er ihm die Wahrheit gesagt hatte. Warum Andersen sich wieder beruhigt hatte und nicht völlig durchgedreht war. Weil er selbst ihn provoziert hatte, ihn abgelenkt hatte von diesen dunklen Gedanken. Nun, wenn es weiter nichts war… Im Judaspriester provozieren war er mehr als Weltklasse. Alucard grinste leicht und schritt auf Andersen zu. Der nahm gerade eine neue Kugel zwischen die Finger, er hatte den Vampir noch nicht bemerkt, sah aus, als wäre er tief im Gebet versunken, aber Alucard wusste, was hinter den geschlossenen Lidern des Priesters vor sich ging. Und es war kein Gebet. Die Stimme des Mannes, den er mittlerweile so gut kannte und die immer klangvoll, stark und -vor allen Dingen - arrogant geklungen hatte war mit einem Mal rauh, müde und sie klang … unglaublich alt. “Ave Maria, gratia plena. Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui, Jesus. Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Gloria Patri, et Filio, et Spiritui Sancto, sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum. Amen...” Grüne Augen öffneten sich langsam, wie nach einer langen Nacht und als Andersen aufsah traf er den Blick des Vampirs. Stumm blickten sie sich an, keiner von ihnen sagte ein Wort, Minuten, die wie eine Ewigkeit schienen. Solange, bis es der Priester nicht mehr aushielt. “Was? Was willst du, maledetto bastardo?” “Dein Gebet wird dich nicht aus dem Abgrund retten können, Priester.“Alucard sprach leise, sodass die Männer weiter vorne nichts verstehen konnten:“Selbst wenn du für den Rest deines Lebens betest. Du hast das Nichts gesehen. Es wird für immer in dir sein. Solange, bis du akzeptierst, was du bist, was du immer warst... Ein wildes Tier.” Andersens grüne Augen hatten sich bei seinen ersten Worten weit geöffnet, blickten ihn jetzt mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Entsetzten an, bohrten sich in seine feurigen Rubine und Alucard entblößte seine langen Fangzähne, als das Grinsen sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitete:”Wie ich es euch schon immer sagte... eure Eminenz.” Und damit drehte der Vampir sich um und schritt zurück zu seinem Platz. Er kam nicht weit. “Bleib stehen!” Alucards Grinsen wurde noch etwas breiter und er gehorchte, sah über seine Schulter. Der Priester war aufgesprungen, seine Augen sprühten Hass, Gift und Galle, jede Faser seines Körpers war gespannt, in der rechten, geballten Faust der kleine Rosenkranz, die linke zuckte zu den, im langen Mantel verborgenen Schwertern und der Vampir roch das Blut des Regenerators, voller Adrenalin, hörte den pulsierenden Herzschlag, der diese Süße durch Adern schießen ließ wie flüssiges Feuer. So, wie er immer gewesen war. So, wie Alucard ihn kannte. Ein vertrauter Anblick. Ein beruhigender Anblick. Der Vampir drehte sich wieder um und bedeutete den Soldaten hinter ihm, die bei Andersens Schrei aufgesprungen waren, sich wieder hinzusetzten. “Und ich hatte schon Angst, als du sagtest, du wolltest nicht mehr gegen mich kämpfen, Schweinepriester.”Das dunkle Lachen in seiner Stimme war deutlich herauszuhören:”Aber alte Gewohnheiten sind nunmal schwer in den Griff zu bekommen, nicht wahr?” “Du... verfluchter...”Andersen knirschte mit den Zähnen und Alucard schnitt ihm das Wort ab, mit funkelnden Augen:”Heb’ dir deine Kraft für Gabriel auf. Du wirst sie noch brauchen.” Und im nächsten Moment brach die Hölle los. Vampir und Priester wurden zu Boden geschleudert, als das Flugzeug unvermittelt einen Schlag zur Seite machte. Mit einem genervten Fauchen sprang der Vampir fast sofort wieder auf, und wäre beinahe von dem heulenden Wind, der plötzlich den Passagierraum erfüllte und dem heftigen Schwanken des Flugzeugs zu Boden gerissen worden. Schwarzer Rauch wirbelte um sie herum, durch den Raum und aus einem klaffenden Loch in der Außenwand des Falcon ins Freie. Über allem heulte ein schriller, ohrenzerfetzender Warnton, der vor dem kritischen Druckabfall innerhalb des Jets warnte. Alucard sah auf, in Richtung des Cockpits und binnen Sekunden brachten ihn seine psychokinetischen Kräfte in den kleinen Raum. Die beiden Piloten des Falcon, Captain Phillips und Leutnant Cartwright, sahen aus, als wären sie kurz vor einem kollektiven, panischen Nervenzusammenbruch. Ihre Finger flogen mit hektischen Bewegungen über Knöpfe, Tasten und Hebel, überall leuchteten und blinkten grelle Warnlichter um sie herum wie bei einem Feuerwerk. Das gesamte Flugzeug vibrierte und irgendetwas knirschte über die Aussenhaut, als würde Metall von einer ungeheuren Kraft zermalmt. “Was ist passiert?” Andersen erschien wie aus dem Nichts neben ihm, eine tragbare Sauerstoffmaske über Mund und Nase, seine vorherige Schwäche wie verschwunden und nie dagewesen, die grünen Augen des Priesters glühten regelrecht im schummrigen Licht. “Ich weiß es nicht!”Phillips drehte sich nichteinmal zu ihnen um, kalter Schweiß stand dem Mann auf der Stirn:”Es war wie eine Kollision - neunzig Grad, Thomas, verdammt nochmal!- aber da war nichts, absolut nichts! Die Systeme reagieren nicht mehr, es ist alles wie tot! Ich kann nichteinmal eine Notlandungssequenz einleiten!” In diesem Moment erschütterte ein weiterer, dumpfer Schlag den Falcon, ein ohrenbetäubendes Knirschen und Bersten ging dröhnend durch die gesamte Hülle und dann explodierte irgendetwas in der Instrumentenkonsole, eine grellweiße Stichflamme schoß durch die Kabine und explodierte an der Rückwand. Schwarzer Rauch erfüllte binnen Sekunden das Cockpit. Alucard schloß mit einem Mal die Augen. Er war hier... Ganz nah... Der Vampir konnte ihn fast spüren, so stark war seine Präsenz. “Hundesohn...” Glühend rote Augen blickten auf, durch dichten, giftigen Qualm, Funken und Flammen nach vorne aus den Frontscheiben. Und dann sah er. Und Andersen neben ihm auch. Der Himmel um sie herum war schwarz. Brodelte. Kochte, wie das Innere einer Gewitterwolke, die aus dem Nichts gekommen war. Wie eine lebende Masse, die das Flugzeug gepackt hatte, sich in sein Inneres fraß. Und über all den Lärm war es dem Vampir, als höre er diesen verteufelten Engel lachen. “Signore del cielo, aiutaci...”Andersen hatte nur geflüstert und doch hatte Alucards sensibles Gehör ihn über das Chaos hinweg verstanden und die roten Augen des Vampirs glühten in die Dunkelheit vor ihnen:”Priester... Ich glaube nicht, dass dein Gott uns jetzt noch helfen kann... ” “Festhalten!”schrie Phillips, nur Sekunden, bevor der Jet sich in der Luft aufbäumte, zwei, drei, vier harte Stöße, als würden sie von einer gewaltigen Faust gepackt und geschüttelt, ein gewaltiger Ruck und sie standen beinahe kopfüber, bevor sie wieder zurück in die normale Fluglage kippten und Alucard konnte sich gerade noch an der Rückenlehne des Co-piloten festkrallen um nicht umgeworfen zu werden. Andersen neben ihm hatte nicht soviel Glück, er wurde mit brutaler Wucht seitwärts geschleudert, in die nächste Konsole, die funkensprühend zersplitterte. Ein magenumdrehendes Gefühl der Schwerelosigkeit ergriff sie alle, als zöge man ihnen den Boden unter den Füßen weg, als sich die Nase des Flugzeugs plötzlich ohne Vorwarnung senkrecht nach vorne neigte. Jedes Geräusch um sie herum verstummte. Eine grässliche, grauenvolle Stille, die sich ausbreitete wie ein Krebsgeschwür in gesundem Fleisch und für ein paar Sekunden, die wie eine Ewigkeit schienen, hingen sie so in der Luft. Und dann ließ die gewaltige Faust sie los. ~oOo~ Enrico seufzte leise, als er wieder in seinem Büro angekommen war. Die Besprechung hatte länger gedauert, als er erwartet hatte. Aber jetzt waren alle seine Untergebenen unterrichtet, vier der Kampfpriester aus Venedig mittlerweile schon unterwegs nach London, um Alexander endlich ausfindig zu machen. Außerdem hatte er einige seiner besten Männer beauftragt, sich diese ganze Sache um diesen mysteriösen Blutengel nocheinmal genauer anzusehen… Und vor allen Dingen, ihm das Evangelium des Johannes hier rauf zu schaffen. Er musste sich diese Schriften ansehen, am besten gestern. Sein Blick fiel auf den Brief Franceso de'Lyonells, der auf seinem Schreibtisch lag, darunter ein weiteres, altes Pergament, die Schriften die bei dem Brief gelegen hatten, verfasst von einem gewissen Bruder Nikodemus, der an Lyonells Seite vor über siebenhundert Jahren gegen Gabriel gekämpft hatte. Darauf stand, in altlateinischer Schrift, wie die Templer es geschafft hatten, Gabriel zu überwältigen und in den Steinsarg zu bannen. Er hatte versucht, den Text zu übersetzten, aber es gestaltete sich ein wenig schwierig. Das Pergament war alt, brüchig, die Schrift verblasst. Enrico hätte vor Wut am liebsten den nächstbesten Papierbeschwerer an die nächstbeste Wand geworfen, als er nach etlichen Stunden immernoch nicht weitergekommen war als die ersten drei Sätze des Textes. Außerdem hatte er immernoch nichts von Alexander gehört. Es nagte an ihm, Gott, wie sehr es das tat. Er hoffte, dass die Priester, die er nach London geschickt hatte den blonden Paladin endlich ausfindig machen konnten. Ansonsten würde er höchstpersönlich auf diese verdammte Protestanteninsel fliegen und dann Gnade ihnen Gott, wenn er nicht- Im nächsten Moment spürte Enrico, wie sich seine sämtlichen Nackenhaare aufrichteten und er sah langsam auf von seinen Papieren. „Was...” Er stand auf, ließ seinen Blick durch den gesamten Raum schweifen, aber der Raum war leer. Er kannte dieses Gefühl, Vater im Himmel, wie sehr er es kannte. Enrico hatte lange genug Monster gejagt, Schatten verfolgt und getötet und sich jeder Dunkelheit bis jetzt gestellt, die Luzifer auf die Erde entlassen hatte um zu wissen, was dieses dumpfe Gefühl war, das an ihm emporkroch wie eisige Schatten. Irgendetwas... stimmte nicht! Als sein Blick zum immernoch geöffneten Fenster glitt, begriff er, was nicht stimmte. Es war still draußen. Zu still für den Petersplatz an einem Samstagnachmittag. Kein Lufthauch strich durch das geöffnete Fenster. Nichteinmal der leichteste Wind. Keine Menschenstimmen, keine Automotoren, kein Flügelschlagen und Gurren der ewig auf den Simsen des Domes anwesenden Tauben. ...Totenstill. Enrico war binnen Sekunden an der Brüstung, sah herab auf den Platz. Die Menschen unten waren nichtmehr als kleine Punkte, die dicht nebeneinanderstanden, doch selbst von hier aus konnte Enrico sehen, das keiner von ihnen sich bewegte. Der blonde Mann kniff die Augen zusammen. Was ... war hier los? Er konnte kaum seine Gedanken richtig sortieren, bevor es anfing dunkel zu werden. Und als Enrico verwirrt in den Himmel sah, keuchte er leise auf:“Santa Madre di Dio...“ ~oOo~ Der Lärm um sie herum war so ohrenbetäubend, das man nicht einen klaren Gedanken fassen konnte. Alles in der Maschine schien zu heulen, zu jaulen und zu kreischen, wie tausende von verdammten Seelen im Höllenfeuer. Das Armageddon konnte nicht schlimmer sein. Andersen hatte sich in die nächstbeste, feste Oberfläche gekrallt und hielt sich mit aller Macht daran fest, um nicht wie ein Spielball durch das gesamte Cockpit des trudelnden, bockenden und alles in allem ziemlich schnell abstürzenden Falcon zu rutschen. Alucard stand vor ihm, immer noch auf beiden Beinen, und schien sich um die Schwerkraft wenig Gedanken zu machen. Allerdings auch nicht darum, das sie ziemlich bald den Boden erreichen würden. Der Vampir starrte immer noch nach draußen, durch die Frontscheiben. “Tu’ doch was! Verflucht nochmal!”brüllte Andersen über den Lärm hinweg und der Vampir sah ihn doch tatsächlich von oben herab an... und grinste. Er grinste! Dem Priester verschlug es die Sprache und er spürte, wie ein Wutanfall sich in ihm manifestierte. Wie konnte dieser dreckige Bastard sich erlauben, in so einer Situation auch nur ansatzweise zu grinsen?! Hatte er jetzt vollends seinen Verstand verloren?! Das war doch- *Gabriel ist noch hier...* Alucards Stimme war nur ein Flüstern in seinem Kopf und dennoch verstand Andersen ihn klar und deutlich. *Ich kann noch nichts tun, ohne das er es bemerkt... Und übrigens... Priester sollen doch nicht fluchen. Gerade du solltest das wissen.* Und er schenkte ihm noch ein breites Grinsen inklusive Fangzähne. Sprachlos starrte Andersen den Vampir an, dann flog sein Blick nach draußen. Dort brodelte und wirbelte immer noch diese schwarze, irritierend lebendig aussehende Wolke vor den Scheiben. *Sobald er verschwindet, versuche ich, uns alle hier in einem Stück raus zu holen. Das wird schnell gehen müssen und sich nicht gerade angenehm anfühlen, Priester, aber ich sehe hier keine andere Möglichkeit...* Andersen keuchte auf, als ein besonders harter Schlag ihn quer über den Boden rutschen und seine Beine gegen den Pilotensitz krachen ließ und feuerte instinktiv in Gedanken die Frage zurück an den Vampir:*Und wenn Gabriel nicht rechtzeitig verschwindet, was dann?* Alucards rote Augen ruhten trotz des Chaos um sie herum ganz ruhig auf ihm:*Er muss. Ansonsten solltest du anfangen darüber nachzudenken, ob deine Regeneratorenkräfte dich auch dann noch zusammenflicken können, nachdem wir mit über hundert Stundenkilometern am Boden zerschellt sind.* Die Luft um Alucard herum begann plötzlich zu flimmern, nicht sichtbar oder spürbar für die anwesenden Menschen, aber der Vampir bemerkte sofort, das sich etwas verändert hatte. Er brauchte nicht einmal hinzusehen, um zu wissen, das die schwarze Wolke um sie herum verschwunden war. *Auf’s Stichwort...* Er hörte die Schreie der beiden Menschen vor ihm in der Sekunde, als er selbst aufsah, aus den nun wieder klaren Frontscheiben, sah noch für einen winzigen Augenblick die grünen Kronen der Bäume unter ihnen, die viel zu schnell näher kamen. Alucard schloss die rotleuchtenden Augen und seine telekinetischen Kräfte entluden sich in einer Explosion aus dunklen Schatten, die durch das Innere des zerstörten Jets barsten. ~oOo~ Enrico rannte durch die dunklen Gänge des Apostolischen Palastes, vorbei an der Vatikanischen Bibliothek, in Richtung der Sixtinischen Kapelle, der schnellste Weg nach draußen auf den Petersplatz. Unterwegs traf er auf dutzende Menschen, Geistliche, Beamte und Schweizer Gardisten, alle genauso verwirrt und aufgescheucht wie er selbst. Viele standen an den hohen Fenstern und sahen hinauf in den düsteren Himmel, ein Stimmgewirr aus Fragen hallte ihm durch die Gänge nach. Der blonde Exorzist hatte dafür keine Zeit. Er musste das von draußen sehen. Außer Atem kam er endlich auf der Großen Treppe, die in den Petersdom führte an, zwängte sich durch die Menschen, die sich vor dem Eingang bereits versammelt hatte und alle nach oben starrten. Kein Windhauch ging über den Petersplatz. Außer den Stimmen der Menschen um ihn herum gab es nicht das kleinste Geräusch in der Luft, die sich merkwürdig dumpf und elektrisch anfühlte, wie vor einem Jahrhundertgewitter. Es war, als wäre er mit einem Mal taub geworden. Und als er selbst hochsah, glänzte die goldene Korona am Himmel noch intensiver als wie er sie zuvor in seinem Arbeitszimmer gesehen hatte, der ganze Horizont in ein tiefes, dunkles Rot getaucht, wie geronnenes Blut und von Minute zu Minute wurde es noch dunkler. “Eine Sonnenfinsterniss!” Pater Ronaldo tauchte aus dem Nichts hinter ihm auf, vielleicht war er aber auch schon die ganze Zeit da gewesen und Enrico hatte es nicht einmal bemerkt. “Enrico! Siehst du das?!” “Natürlich! Ich bin nicht blind!”fauchte der Exorzist, ohne den Blick vom Himmel zu wenden und senkte dann seine Stimme:”Die Frage ist, spürst du es?! Das ist keine normale Sonnenfinsterniss, zum Teufel, das hier ist ...” “Ich spüre es... Die Luft... sie ist wie tot.” Enrico neigte den Kopf, seine blauen Augen sprühten Funken und seine Gedanken gingen durch wie wildgewordene Pferde. Er war schon lange genug in diesem ‘Geschäft’, um mit tödlicher Sicherheit zu wissen, das etwas Großes auf sie zukam. Das alles war mit Sicherheit kein Zufall. Alexanders Verschwinden, die beunruhigende Nachricht über diesen mysteriösen Engel, die Sonnenfinsterniss... Irgendetwas ging hier vor. Und es wurmte Enrico gewaltig, das er keinen blassen Schimmer hatte, was vor sich ging. ”Pater Ronaldo, treiben sie sämtliche Iskariot-mitglieder auf, die sie finden können. Die meisten dürften noch im Vatikan sein, wir hatten erst vor kurzem eine Besprechung. In einer Viertelstunde sollen alle in der Audienzhalle sein. Etwas passiert, und was auch immer da auf uns zu kommt, ich will vorbereitet sein.” Er wandte sich zum Gehen. “Pater Maxwell! Wo wollt ihr hin?” ”Es wird Zeit, seine Eminenz zu unterrichten.” Und damit wandte sich Enrico um und schritt zielstrebig über den Petersplatz zurück in Richtung des Apostolischen Palastes, in dem sich die Gemächer des Papstes befanden, während die schwarze Scheibe am Himmel, umgeben von der gleißenden Korona, unheilvoll über ihnen glühte wie ein schwarzes, bösartiges Auge. ~oOo~ Maledetto bastardo; it. = Verfluchter Bastard Signore del cielo, aiutaci.; it. = Herr im Himmel, hilf uns. Santa Madre di Dio; it. = Heilige Mutter Gottes Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)