Die Pergamentlilie von FeenNase ================================================================================ Kapitel 3: Die neue Heimat -------------------------- 2. Kapitel: Die neue Heimat Als sie nach Draussen kamen erhellte der grosse Mond das ganze Land. Vom Einganstor führte eine breite, elegante Treppe auf eine Kieselsteinstrasse, die sich dann teilte und um einen grossen, kunstvoll gearbeiteten Brunnen führte. Dahinter führte die gleiche Kieselsteinstrasse eine Allee, bestehend aus penibel geschnittenen Eichen, den Hügel hinunter in ein kleines Tal, wo einige kleine Bauernhäuschen standen. Das ganze Tal war von Bergen umfasst und auf einigen Spitzen hatte es sogar Schnee. Kate kam es so vor, als wäre sie auf einem anderen Planeten, sie konnte sich nicht vorstellen, dass das hier dieselbe Erde sein soll, auf der sie 17 Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Es war einfach märchenhaft. „Sollen wir?“, fragte Dracula sie und riss sie damit aus ihrer Trance. Immer noch föllig fasziniert nickte Kate ihm nur kurz zu. „Nun denn, ich glaube wir brauchen kein Gefährt. Es wird kein allzu langer Spaziergang werden. Ich schätze es ausserdem mehr zu Fuss zu gehen, solange es noch geht, als sich eines Hilfsmittels zu bemächtigen.“ So gingen sie gemeinsam die Strasse entlang in Richtung des kleinen Bauerndorfes. Erst als sie die Hälfte des Weges den Hügel hinunter gegangen waren merkte Kate, dass sie, da sie so von der Umgebung fasziniert war, vergessen hatte sich das Schloss etwas genauer anzusehen. Sie drehte sich noch einmal um, doch die beiden waren schon zu weit nach unten gegangen, der Hügel versperrte ihr die Sicht. Sie drehte sich wieder dem Dörfchen zu und lief schweigend neben Dracula her. Auf der Strasse lag nicht ein Blatt, das von den Bäumen fiel, und das obwohl es doch schon fast Herbst war, und die Blätter schon einen rötlichen Schimmer an nahmen. Auch auf dem sauber geschnittenen Rasen lag kein einziges, es schien als wären sämtliche Blätter an den Bäumen angeklebt. Kate fragte sich, ob er wohl so gut auf das alles achtete, denn angeblich war ja ausser ihm keiner mehr da. Doch sie wollte ihn das jetzt noch nicht fragen, sie wollte die Ruhe noch ein bisschen auskosten. Kate hatte vor dieser Nacht noch nie eine solche Ruhe erlebt. Wenn man in der Grossstadt wohnt, kennt man so etwas wie Stille und Erholung nicht. Bald merkte sie, dass diese Strasse die einzige Strasse des ganzen Dorfes war und dass sie nur vom Schloss bis ins Zentrum des Dörfchens ging und dort einfach aufhörte. Eine Strasse aus dem Tal schien es nicht zu geben. Als sie das Zentrum des Dorfes erreichten fragte Kate Dracula, ob es hier wirklich keine Menschen ausser ihm gäbe, er sagte ihr, dass er seit langer Zeit der einzige sei, der hier lebe. Alle Bauern wären weggegangen und in grössere Städte gezogen, weil sie nicht mehr in dieser ärmlichen Gegend leben wollten. Kate verstand nicht, wie man einen so schönen Ort einfach so verlassen konnte und freiwillig in diese Hektik der Welt wollte. Das Dorf bestand aus gerade mal sechs kleinen, schief gebauten Bauernhöfen, die alle in einem Kreis um das Zentrum standen, auf dem der einzige Brunnen des Dorfes stand. Dort, wo die Strasse eigentlich hätte weiterführen sollen stand eine kleine Kirche ohne viel Schnickschnack. Nicht einmal einen Glockenturm hatte sie, nur ein Kreuz über der Tür war zu sehen. Von Nahem wirkte das ganze nicht mehr so idyllisch wie es von oben schien. Es war ein sehr karges Stückchen Land auf dem kein Grashalm wuchs und kein Blatt war mehr an den spärlich gesäten Bäumen. Alles war sehr dunkel und es schien, als wäre man auf einem Friedhof. Jetzt konnte man sehen, dass die Wände der Häuschen voller Kratzspuren waren und zum Teil fehlten ihnen grosse Stücke der Dächer. Auch die Kirche sah übel mitgenommen aus, einer der zwei Türflügel hing nur noch an einem Scharnier, das Kreuz hatte viele Risse und auch an ihren Wänden waren überall diese Kratzspuren. Dann vielen Kate plötzlich überall diese Flecken auf, oder besser, dieses Geschmiere. Als wäre jemand mit roter Farbe an den Händen auf die Wände losgegangen. Oder war es vielleicht keine Farbe? War es vielleicht Blut? Das ganze erinnerte von Nahem vielmehr an eine Geisterstadt als an ein Dorf. Erschrocken wich Kate zurück. „Was ist hier passiert? Hat hier ein Kampf stattgefunden?“, fragte sie den Vampir und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Er blitzte sie böse an und sagte dann mit bestimmter Stimme: “Reden Sie doch nicht solch wirres Zeug. Kommen Sie, ich bringe Sie zurück zum Schloss, es war eine dumme Idee hier herunter zu kommen. Jetzt werden Sie nur irgendwelchen Hirngespinsten nachjagen. Deswegen verbiete ich Ihnen auch, dieses Dorf jemals alleine zu betreten, haben Sie verstanden? Hier ist gar nichts passiert, ein verletzter Bär hat sich wohl hierher verirrt. Folgen Sie mir.“ Und mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und lief zurück. Kate blieb noch einige Sekunden stehen. Sie wusste, dass er log. Dass waren nicht die Spuren eines Bären, dass waren eindeutig die blutigen Abdrücke von Menschen. Doch Kate wagte es nicht, ihn noch einmal darauf anzusprechen. Sie drehte sich um und folgte ihm wieder den Hügel hinauf. Der Wind strich durch seine Haare, die dadurch wie schwarze Seide im Wind hin und her tanzten. Kate atmete die reine Luft ein und der Wind trug seinen Geruch in ihre Nase. Er roch wirklich gut, sie konnte den Duft von Rosen heraus riechen und eine andere Pflanze, die sie aber nicht zuordnen konnte. Als sie sich dabei erwischte, wie sie die Augen schloss und regelrecht an ihrem Entführer zu schnuppern begann wich sie entsetzt über sich selbst zurück. „Er ist ein Vampir, der mich auf seinem Schloss als eine Art Nahrungsquelle gefangen hält und wohl ein ganzes Dorf ausgerottet hat und ich rieche an seinem Haar? Bin ich noch ganz bei Trost?“, fragte sie sich selber und erhöhte ihr Tempo, um wieder auf gleicher Höhe mit ihm zu gehen. Auf einmal erschien die Spitze des Schlosses am Horizont, und mit jedem Schritt konnte man das Schloss nun besser sehen. Kate stellte sich ein traumhaftes Märchenschloss vor, passend zum dazugehörigen Innenraum, den sie ja schon etwas kannte. Plötzlich sah er Kate an, machte eine Handbewegung in Richtung des Schlosses und sagte: „Das ist Schloss Draguls, Ihre neue Heimat.“ Kate staunte als sie das ganze Schloss sehen konnte. Es war ein schwarzes Schloss, mit vielen spitzen Türmen auf denen unheimliche Wasserspeier in Form von Dämonen sassen. An einigen Stellen wuchs Efeu die grossen, steinernen Mauern entlang und hie und da prangten grosse Steinkrähen auf Säulen, die um das ganze Schloss verteilt waren. Über dem grossen Eingangstor war ein Engel mit schwarzen Flügeln und goldenen Augen aus dem massiven Gestein gemeisselt worden. Es wirkte fast, als würde er verzweifelt versuchen, aus diesem Gemäuer herauszukommen. „Meine Dame, Ihrem Gesichtsausdruck nach zu deuten, haben Sie es sich etwas anders vorgestellt? Sie wirken ja regelrecht schockiert. Nun, was haben Sie denn erwartet? Immerhin bin ich ein Geschöpf der Nacht.“, sagte er und sah Kate dabei mit seinen Angst einflössenden Augen überheblich an. Wahrheitsgemäss gab sie zu: „Ich hatte es mir schon etwas anders vorgestellt, nach dem ich diesen wunderschönen, märchenhaften Flur und mein Zimmer gesehen hatte.“ „Da sehen Sie, wie der Schein zu trügen vermag. Doch genug der langweiligen Front, ich möchte Ihnen noch den Garten zeigen. Folgen Sie mir, bitte.“ Und schon ging er weiter in Richtung eines kleinen steinernen Bogens an der linken Seite des Schlosses, der Kate zuvor gar nicht aufgefallen war. Davor blieb er stehen und gab ihr mit einer einladenden Handbewegung den Vortritt. Hinter dem Bogen führte ein Tunnel, der aus Rosenstauden bestand, an der Mauer des Schlosses entlang. Es war ein ziemlich langer, aber wunderschöner Tunnel und der Duft der Rosen vernebelte einem fast die Sinne, so dass Kate sich wünschte, dass er niemals aufhören würde. Nach einigen Sekunden jedoch hörte der Tunnel auf und Kate stand in einem Garten, den sie sich in ihren schönsten Träumen niemals hätte vorstellen können. Ein schmaler Weg, der von schönen, edlen Laternen erleuchtet wurde, führte durch den Garten zu einem Pavillon, der in Mitten von grossen Rosenbüschen stand. Um die fünf Säulen, die das Dach trugen hatte sich der Efeu kunstvoll geschwungen und daneben war ein traumhafter Teich, auf dem sich der grosse, runde Mond spiegelte und der die Seerosen in ein wunderschönes Licht tauchte. Überall waren Beete mit den exotischsten Pflanzen, die Kate jemals gesehen hatte, angelegt. Auch hier hatte es in der Mitte direkt auf dem Weg einen Brunnen. Einen kleinen Springbrunnen in den drei kleine Engel durch Kelche Wasser plätschern liessen. Der ganze Garten war von einem Geländer umfasst, welches aus dem gleichen schwarzen Stein wie das gesamte Schloss bestand und wie sich herausstellte, war der Garten eigentlich eine riesige Terrasse von der aus man auf einen See blicken konnte, in dem sich der Mond und die Sterne wie in einem Spiegel spiegelten. Die Büsche waren alle in unterschiedliche Formen gebracht. Manche waren kreisrund, andere oval und wieder andere hatten sogar die Form eines Sternes. Doch eines hatten sie alle gemeinsam, alle standen in voller Blüte. Blutrote Blüten, wie Kate sie noch nie zuvor gesehen hatte. Mit langen gelben, fadenähnlichen Blättern, die einen wunderbaren Kontrast unter den roten Blüten boten. „Wie ich sehe, entspricht dies wohl eher Ihrem Geschmack.“, sagte Dracula. „Es ist einfach traumhaft.“, antwortete Kate ihm, während sie immer noch alles mit grossen Augen bestaunte. Er richtete seinen Blick nach vorne und fixierte den Brunnen, dann sagte er weiter: „Es freut mich, wenn es Ihnen gefällt. Ich habe hier schon viele Nächte verbracht. Sie haben Glück, gerade ist Blütezeit.“ Jetzt musste sie ihn einfach fragen. „Sagen Sie, sind wirklich Sie das? Pflegen Sie wirklich diesen ganzen Garten und die Allee?“ Ohne den Blick vom Brunnen zu nehmen antwortete er ihr: „Nein, wahrlich nicht. Die Wahrheit ist, seitdem ich ein Vampir bin habe nicht nur ich, sondern auch alles um mich herum aufgehört zu altern. Seit meiner Verwandlung hat sich hier nicht das Geringste verändert, nur die Blüten. Die Blüten sind das einzige, das sich hier verändern kann. Alle Jahre wieder stehen die Büsche für zwei Monate in voller Blüte.“ Kate wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie überlegte sich, was das heisst, nichts verändert sich. Irgendwie muss es doch traurig sein, wenn alles immer so bleibt, wie es ist. Sie genossen noch ein wenig die kühle Nachtluft, die den süssen Duft der Blumen in ihre Richtung blies und verfielen wieder in ihre Gedanken. Kate überlegte sich eine Zeit lang, ob sie ein Gespräch anfangen sollte, um das Eis zu brechen, doch sie wollte diese Ruhe, nach der sie sich so verzehrt hatte nicht durchbrechen. Sie verlor jegliches Zeitgefühl und der Duft der Blüten benebelte ihre Sinne, sie fühlte sich unglaublich frei in diesem Garten. Auf einmal drehte sich Dracula wieder zu ihr und sagte: „Nun denn, lasst uns ins Schloss gehen. Mir scheint, es wird recht kühl und Sie sollten sich lieber nicht zu lange hier draussen aufhalten. Es gibt noch viel zu sehen, das Schloss ist gross. Kommen Sie bitte.“ Erst jetzt merkte Kate, dass sie wirklich fror und so trennte sie sich von diesem wunderschönen Garten und folgte Dracula zu einer hohen gläsernen Tür, die von einem grossen, dunklen Raum direkt auf die Terrasse führte. Er öffnete die Tür und wieder gewährte er Kate mit einer Geste den Vortritt. Sie trat ein und als Dracula ihr folgte erstrahlte ein riesenhafter Kronleuchter an der Decke und beleuchtete den ganzen Raum. Es war wie in einem Märchen. Der ganze Raum wurde von Kerzen an den Wänden, die nun wie von Zauberhand eine nach der anderen brannten, noch zusätzlich erhellt. An drei Seiten des Raumes waren an den Wänden jeweils zwei hohe Fenster, die fast die Decke berührten und die einen Blick auf den See und die Berge gewährten. Die weissen Wände waren geschmückt mit goldenen Säulen und goldenen Bordüren und an der Decke schien es, als würden die Engel darauf wirklich auf sie herabblicken und sich hinter den Wolken verstecken. Der Boden war aus schneeweissem Marmor und in der Mitte war ein kunstvolles Mosaik, welches die Buchstaben VD zeigte. Es waren keine Möbel in diesem Raum, es schien eine Art Ballsaal zu sein. An den zwei Seitenwänden, an denen es keine Tür gab, war jeweils in der Mitte zwischen zwei goldenen Säulen ein grosses Gemälde aufgehängt, die, wie Kate bemerkte, wohl etwa aus dem 19. Jahrhundert zu stammen schienen. Sie zeigten zwei nackte Frauen, die eine trug eine Krone aus Mondhörnern, eine Regenbogenkette und hatte Flügel, die andere griff nach einem Apfel, den eine Schlange in ihrem Maul trug und ihr anbietend hinhielt. „Lilith und Eva, die beiden Bräute Adams.“, erklärte Dracula, der Kates Blick zu den Bildern gefolgt war. „Bräute? Ich dachte, er hatte nur eine, Eva“, stutzte Kate. „Nun“, setzte er fort, “dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Lilith war Adams erstes Weib. Er wollte sie dazu zwingen mit ihm in der „Missionarsstellung“ die Ehe zu vollziehen, da er dadurch symbolisch für den spendenden Himmel stand und sie zur empfangenden Erde machen konnte. Lilith jedoch, entzog sich ihm und floh ans Rote Meer. Gott versuchte Lilith wieder zu Adam zurück zu führen, doch den drei von Gott ausgesandten Engeln gelang es nicht, Lilith zur Rückkehr zu bewegen. Stattdessen paarte sie sich unentwegt mit Dämonen und gebar täglich einhundert dämonische Kinder.“ „Sie macht mir Angst.“, sagte Kate, die jetzt direkt vor dem großen Gemälde stand. „Sie brauchen keine Angst zu haben, solange Sie nicht schwanger sind, wird sie sich nicht für Sie interessieren.“, versicherte er ihr. Interessiert fragte Kate weiter: „Schwanger, wieso schwanger?“ „Heutzutage gilt sie als nächtliche Dämonin, welche Männer verführt, Schwangere bedroht und Säuglinge ermordet. Ein alter Aberglaube, welcher sich bis heute noch zu halten vermag. Doch kommen Sie nun, es gibt noch viel zu sehen.“, damit drehte er sich ab und ging auf die Türe zu, die in den großen Flur zu führen schien. „Woher wissen sie das alles?“, setzte Kate ihre Fragen fort und eilte ihm nach. „Das werden sie gleich in unserem nächsten Raum feststellen.“, antwortete er ihr, während er ihr die Türe aufhielt. Sie gingen wieder den großen Flur entlang und überall hingen Portraits von Frauen und Männern. „Sind das ihre Vorfahren?“, fragte Kate. „Nein. Es sind die Vorfahren meines früheren Ichs, jenes Iches, welches vor nunmehr 543 Jahren gestorben ist.“, antwortete er kühl. „Aber dann wären diese Bilder etwa im 15. Jahrhundert entstanden. Doch dieser Stil erinnert doch mehr an die Zeit zwischen 17. und 18. Jahrhundert. Wie kann das sein?“, fragte Kate weiter. „Ah“, sagte Dracula, „ wie ich sehe, verstehen Sie etwas von Kunst. Wie erfreulich. Sie haben ganz Recht, als diese Bilder gemalt wurden, waren diese ganzen Menschen bereits lange Zeit tot. Ich habe versucht, so gut es ging, sie aus meiner Gedankenwelt heraus auf die Leinwand zu bannen.“ Begeistert rief Kate:“ Sie? Sie haben diese Bilder gemacht? Sie sind ein Genie, unfassbar und dass ohne das Model wirklich vor sich zu haben.“ „Ich fühle mich geehrt von Ihren Worten“, entgegnete er, „doch ich hatte auch genug Zeit mir die Malerei anzueignen.“ Sie gingen noch ein kleines Stückchen bis Dracula auf einmal vor einer Türe stehen blieb. „Hier ist nun die Antwort auf die Frage, welche Sie mir vorhin gestellt haben.“ Er öffnete die Tür und Kate trat hinein. Es war ein kreisrundes Zimmer an dessen Wand eine Treppe wie eine Spirale hinaufführte. Überall standen Kerzenständer und erhellten das ganze Zimmer. An der Wand war kein einziges Bild und auch kein einziges Fenster, denn der ganze Raum bestand aus einem einzigen, riesigen Bücherregal. In der Mitte des Zimmers stand eine Sofagruppe und darum herum hohe Kerzenständer, die die Sofas in ein perfektes Leselicht tauchten. Kate starrte mit offenem Mund nach oben, an die hohe Decke und bemerkte dabei, dass es sehr wohl ein Fenster gab. Statt einer gewöhnlichen Decke hatte das Bibliothekszimmer nämlich eine gläserne Decke, durch die der Mond direkt ins Zimmer schien. Die spiralförmige Treppe führte bei genauerem Hinsehen von einer Etage zur nächsten, und es waren mindestens 10 Etagen und alle waren über und über voll mit Büchern. „Haben Sie die tatsächlich alle gelesen?“, staunte Kate. „Ja, schließlich hatte ich genug Zeit dafür. Sie können sich hier gerne jederzeit bedienen. Es ist alles da, egal was Sie suchen.“ Kate ging zu einem der Regale und nahm eines der Bücher heraus. Es war ein, in rotes Leder gebundenes Buch und darauf stand in goldenen Lettern: „Don Quijote de La Mancha“. Kate war bewusst, dass dieses Buch wohl um einige Jahre älter war, als sie und so stellte sie es behutsam wieder zurück ins Regal. „Es ist unglaublich.“, sagte Kate mit offenem Mund. „Es freut mich, wenn ich Ihnen eine Freude machen konnte. Doch lassen Sie uns dieses Zimmer nun verlassen und uns den Speiseraum in Augenschein nehmen.“ Und wieder wendete er sich der Türe zu und sie gingen ein weiteres Mal in den großen Flur. Diesmal war es nur ein kurzes Stück bis Dracula ein weiteres Mal stehen blieb. Nun standen sie vor der Treppe, die zur Einganshalle führte und an der gegenüberliegenden Wand war eine große zweiflüglige, goldene Türe und an beiden Seiten stand jeweils eine Ritterrüstung. Dracula öffnete die beiden Flügel und gewährte Kate den Blick in einen langen Saal, in dessen Mitte ein edler, dunkler Holztisch mit etlichen Stühlen stand. An der hinteren Wand hatte es wieder eines dieser hohen Fenster und auch durch dieses schien der Mond. An den Wänden waren duzende beleuchtete Kerzen und an der linken Seite stand ein langer Buffettisch. Auf der langen Tafel standen mehrere dreiarmige Kerzenständer und einer der Plätze war gedeckt und um ihn herum standen Köstlichkeiten, die Kate das Wasser im Munde zergehen ließ. „Ich dachte mir, Sie wären nach diesem anstrengenden Tag vielleicht hungrig, und so habe ich mir erlaubt, Ihnen eine Kleinigkeit zu servieren.“, sagte der Vampir und Kate ließ sich nicht zwei Mal bitten. Sie setzte sich freudig auf den Stuhl, den Dracula ihr anbot und nahm dann ihr gegenüber Platz. Kate fiel auf, dass es nur ein Gedeck hatte und so fragte sie ihn: “Und was ist mit Ihnen? Haben Sie keinen Hunger? Warum haben Sie nur für mich gedeckt?“ „Es überrascht mich, dass Sie das fragen.“, antwortete Dracula. „Ihr Essen liegt mir schon seit langer Zeit nicht mehr. Ich labe mich nicht mehr an solchen Dingen, sie haben für mich jeglichen Geschmack verloren. Doch bitte greifen Sie zu. Sie sehen wahrlich hungrig aus. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ Und so fing Kate an ihren Teller zu füllen. Für sie war es ein komisches Gefühl zu essen, während sie dabei dauernd von ihm beobachtet wurde, doch ihr Hunger war so groß, dass er über dieses Gefühl gewann und sie ungeniert weiter ass. „Warum waren Sie eigentlich in dieser Gasse?“, fragte Dracula plötzlich. Kate sah ihn erschrocken an, darauf war sie nun wirklich nicht gefasst. Sie antwortete aber, nach kurzer Zeit, mit einem kleinen, verlegenen Lachen auf den Lippen: “Ich wollte sterben. Es war nicht das erste Mal. Ich ging schon seit vielen Wochen jede Nacht in diese Gasse, denn sie hat den Ruf, die schlimmsten aller Mörder zu beherbergen. Ich war zu feige um mich selber umzubringen, also wollte ich, dass mich jemand tötet. Doch es ist nie jemand gekommen. Bis sie kamen, aber selbst jetzt lebe ich noch.“ „Ich entschuldige mich, wenn ich Ihnen nicht Ihr gewünschtes Ableben beschert habe. Doch warum wollen Sie denn sterben?“ Eine Entschuldigung, weil man jemanden nicht umgebracht hatte, das hatte Kate noch nie gehört und sie musste lächeln. Doch dann setzte sie fort und gab ihm ihre Antwort: „Weil ich allein bin. Weil niemand da ist und weil nie jemand da sein wird. Mein Vater hat mich geschlagen, meine Mutter hat nur noch getrunken und mein Bruder wurde von seinem Dealer ermordet. Mein Freund hat versucht mich an seine Freunde zu verkaufen um an das Geld für seinen Stoff zu kommen und niemand hat mir geglaubt, als ich sagte, mein Vater wollte mich vergewaltigen, „Die kleine Lügnerin, sie will sich bloß aufspielen. Ihr Vater, der berühmte Anwalt! Lügnerin!“ Das haben sie immer wieder gesagt. Also bin ich abgehauen. Ich wusste nicht wohin, mein Lebenswillen war gebrochen, ich wollte nur noch weg. Schließlich habe ich in einer alten Fabrikhalle ein Zimmer gefunden und hab mich dort versteckt. Es ging nicht lange, da fiel mir auf, dass jeden Morgen in der Zeitung stand, dass schon wieder ein Mensch tot in eben genau dieser Gasse aufgefunden wurde. Die Presse warnte ausdrücklich davor, sich dieser Gasse zu nähern. Ich dachte, das wäre die Chance und so fing ich an jede Nacht durch diese Gasse zu gehen. Doch niemand kam.“ Als sie fertig war sah sie Dracula an, sah seine eiskalten Augen und Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte: „Es tut mir Leid, ich weiß auch nicht warum ich jetzt weine.“ Dracula stand auf und sagte kühl: „Verzeihen Sie, ich hätte Sie nicht darauf ansprechen sollen. Ich denke, wir sollten den Rundgang für heute beenden. Kommen Sie, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer.“ Er ging zu ihrem Stuhl und hielt ihr seine Hand hin. Sie griff danach und ließ sich aufhelfen. Er hielt ihr ein Taschentuch hin und während sie sich damit die Tränen aus dem Gesicht wischte, schluchzte sie ein kaum hörbares „Danke“. Er öffnete die Tür und sie traten beide auf den Flur hinaus. Kates Zimmer war am Ende des linken Teils des Flures und so gingen sie den langen Gang entlang und immer wieder schluchzte Kate leise vor sich hin. Vor der Tür zu Kates Zimmer blieb er stehen und sagte ihr: „Sie werden morgen den Tag wohl ohne mich verbringen müssen, da ich das Tageslicht meiden muss. Sie dürfen sich gerne noch etwas mehr umsehen, doch muss ich eine Warnung aussprechen. Sie dürfen auf keinen Fall mein Gemach betreten, niemals. Es ist Ihnen strengstens verboten, haben Sie das verstanden?“ Kate wollte nur noch schlafen und alleine sein, deswegen stellte sie keine Fragen mehr, sondern nickte nur und ging dann in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett warf und sofort einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)