Why me? von Soli ================================================================================ Konsequenzen ------------ Es war gerade kurz vor Acht Uhr morgens. Der Tag hatte schon bis jetzt noch angenehme vierundzwanzig Grad erreicht. Thomas war längst nicht ausgeschlafen, überhaupt hatte er sehr schlecht geschlafen und schreckliche Alpträume gehabt. Mit seinem Fahrrad war er gerade auf den Weg zum Stadtkrankenhaus. Die Fahrt dauerte knapp zehn Minuten von ihm zu Hause bis zum Krankenhaus. Vielleicht hatte er ja Glück und war vor Olivers Eltern bei ihm. Ohne Umschweife ging er direkt in Olivers Krankenzimmer und sah erleichtert, dass Oliver alleine war und essend im Bett saß. Die Krankenschwestern hatten ihn früh und unbarmherzig geweckt. Als er Thomas erblickte, breitete sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht aus. Thomas huschte schnell in den Raum und setzte sich auf die Bettkante vom Krankenbett. „Waren deine Eltern schon hier?“, fragte er ohne Umschweife. Oliver stellte sein Tablett beiseite und musterte Thomas. „Ja, sie machen grad ihre Aussage bei der Polizei.“ Thomas stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. „Keine Sorge. Mit mir haben sie noch nicht gesprochen. Beide noch nicht.“, beschwichtigte Oliver und streichelte kurz über Thomas’ Hand. „Wir müssen unbedingt unsere Aussagen absprechen!“, nuschelte er durch seine Finger hindurch. „Weißt du irgendwas von Robert?“ „Mir verrät hier keiner was.“, antwortete Oliver gereizt und verschränkte die Arme vor der Brust. Thomas schaute bei seinem Ton abrupt auf. „Hey!“, flüsterte er und legte seine Hand behutsam an Olivers Wange. Oliver wandte sich ab und begann verstimmt zu reden. „Robert ist ein Arsch. Ich bereue es absolut nicht, dass ich ihm eine rein gehauen habe! Im Bezug auf ihn hab ich dir verziehen. Aber trotzdem hast du mich betrogen. Es ist scheiße, was wir grad deswegen durchmachen müssen, aber wenn man das alles abzieht, weiß ich nicht, ob ich wie vorher mit dir umgehen kann. Ich hab die ganze blöde Nacht darüber nachgedacht! Ich habe keine Lust der Polizei und meinen Eltern zu sagen, dass ich diesen Mistkerl vermöbelt habe, weil mein Freund mit ihm fremdgegangen ist! Es ist schlimm genug, dass ich mich jetzt vor allen rechtfertigen muss, weil ich mich in dich verliebt habe! Thomas, ich weiß grad echt nicht mehr, was ich über dich fühlen soll! Der ganze Kampf, den ich durchgemacht habe, nur um zu merken, dass ich auf Jungs stehe und kaum lass ich dich außer Augen, betrügst du mich! Ich wollte nie so werden, aber du hast mich davon überzeugt, dass unsere Liebe etwas bedeutet und dann…“ Oliver brach ab und sank in sich zusammen. Thomas atmete tief durch und kämpfte gegen seine Tränen an. Er durfte jetzt nicht im Selbstmitleid untergehen. Von ihnen beiden musste er jetzt einen klaren Kopf bewahren, auch wenn er an allem Schuld war. Er stand vom Bett auf und begann im Raum umherzugehen. „Ich muss das wieder geradebiegen!“, sagte er nach einigen Minuten gefasst. „Als erstes müssen wir wissen, was mit Robert ist. Meinst du, wir haben noch so viel Zeit, dass ich mit ihm zuerst reden kann?“ Oliver schwieg kurz, bis er langsam und leise ja sagte. Durch Thomas fuhr ein schmerzhafter Stich. Was hatte er da nur angerichtet! Zögernd ging er auf Oliver zu und sah ihm demütig in die Augen. Liebevoll umfasste er seine Wange. „Oliver, ich kann…“ Oliver schloss die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sofort verstummte Thomas. „Ich liebe dich trotzdem noch, du Schuft!“, flüsterte Oliver zaghaft. Thomas zog sein Gesicht nah an sich heran. Sie gaben sich einen kurzen zärtlichen Kuss. Thomas wollte sich nicht von Oliver lösen, aber sie hatten kaum noch Zeit. Seufzend wandte er sich ab und verließ den Raum. Oliver legte sich erschöpft ins Bett zurück. Vor der Tür atmete Thomas kurz durch, bevor er sich auf den Weg zur Rezeption des Krankenhauses machte. Hinterm Empfangstresen saß niemand. Der angrenzende Warteraum war gerappelt vor. Thomas schaute sich ratlos um, bis er ein kleines Schild am Fenster angeklebt sah: Hier bitte klingeln“. Daneben war eine Klingel in die Wand eingelassen, so wie eine normale Hausklingel. Thomas drückte zweimal beherzt darauf. Wahrscheinlich würde jetzt ein Signal im Schwesternzimmer ertönen. Bei ihm war es jedenfalls still. Nach einigen Sekunden kam eine zierliche dunkelhaarige Schwester in rosa Kleidung den Gang entlang geschwebt. Sie war recht hübsch und schien nicht älter als Mitte zwanzig zu sein. Sie lächelte Thomas freundlich an. „Ja?“, fragte sie charmant. Thomas wunderte sich sofort, dass sie bei der wartenden Menschenmasse so gelassen sein konnte. „Ähm, ich möchte gerne jemanden besuchen.“ „Name?“, fragte sie, ging hinter den Tresen und tippte an einem PC rum. „Robert Kain. Er wurde gestern Abend nach einer Schlägerei eingeliefert.“ Thomas fummelte verlegen an seiner Hosentasche rum. „Kain.“, murmelte die Schwester und tippte schneller. Ihre Augen huschten über den Bildschirm. „Ah, hier.“, sagte sie nach einigen Sekunden. „Da können Sie von Glück sagen, dass er nicht mehr auf der Intensivstation liegt. Heute früh wurde er auf die Neurochirurgie verlegt. Zimmer zweihundert siebzehn. Soll ich Ihnen den Weg erklären?“ Thomas nickte dankend und versuchte sich alles zu merken. Er folgte ihr den Gang entlang. Sie bogen nach links ab und dann wieder nach rechts. Sie standen vor einer breiten, grauen Steintreppe. Thomas musste zwei Treppen zum nächsten Stockwerk hochgehen, danach durch die Tür rechts und schon war er bei den Patientenzimmern. Einmal bog er ab, bis er die Nummern Zweihundert elf bis Zwei hundertzwanzig erreichte. Roberts Zimmer befand sich auf der rechten Seite. Niemand war in Sichtweite. Thomas öffnete die schwere Tür und trat ein. Es war ein Zweimannzimmer. Das vordere Bett war leer. Robert lag hinter einem Vorhang an der Fensterseite. Die Hälfte der Fensterfront war verdunkelt. Robert war wach und sah grässlich aus. Er lag bandagiert und grün/blau im Gesicht reglos im Bett. Seine beiden Augen waren übel geschwollen und seine Unterlippe aufgesprungen. Thomas wurde ziemlich mulmig bei diesem Anblick. Dagegen hatte sogar seine Tante gesünder ausgesehen. Zögernd setzte sich Thomas. Robert registrierte schwach, dass er da war. „Wie geht es dir?“, fragte er schüchtern. Ein undeutliches und schwaches Schnauben kam von Robert. „Bin total mit Schmerzmitteln zugepumpt!“, nuschelte dieser mit brüchiger Stimme. „War die Polizei schon bei dir?“ „Du brauchst dir keine Sorgen machen! Ich werde deinen Schatzi nicht anzeigen!“, sagte Robert schon klarer und vor allem deutlicher. Von Thomas’ Herz fiel ein riesiger Brocken. „Dein Ollilein hat mir ziemlich deutlich gemacht, wie er drauf ist. Auf diese Scheiße kann ich ziemlich verzichten! Mann, noch nie hat mich jemand so verprügelt!“ „Du hast es aber auch ganz schön provoziert! Findest du nicht auch?“ „Ja!“, sagte Robert und hielt kurz inne. „Ich hab meine Lektion gelernt! Werde ruhig glücklich mit diesem Idioten. Sobald ich wieder gesund bin, siehst du mich nie wieder!“ „Aber…“ Robert sah Thomas intensiv in die Augen. „Vergessen wir’s, klar! Ich hab echt noch nie jemanden erlebt, der so ausgeflippt ist. Dein Ollilein sollte mal einen Antiaggressionskurs machen! Ich denke mal, er will genauso wenig Stress haben wie ich, also halte ich besser die Klappe. Außerdem steht’s zwei gegen einen.“ Roberts Blick wurde weicher. „Es war schön, dich mal wieder gesehen zu haben! Und du im Bett, hui. Das werde ich echt vermissen! Meld dich bei mir, wenn du wieder solo bist!“ Er grinste. Thomas konnte nicht anders als auch mit zu grinsen. Sie tauschten einen zärtlichen Blick und Thomas drückte Roberts Hand einmal fest, bevor dieser unterbrach. „Und jetzt geh wieder, bitte. Ich muss mich echt ausruhen!“ Thomas nickte und erhob sich. Er hatte Robert schon den Rücken zugewandt, als dieser noch was nachschob. „Ach so, und ich melde mich bei dir, bevor ich fahre. Außerdem sind ja noch meine Klamotten und mein Auto bei dir. Da fällt mir sowieso ein: Könntest du mir ein paar Wechselsachen herbringen. Ich hab kein Bock hier nackt heraus zu spazieren!“ „Klar!“, nickte Thomas. Er beobachtete besorgt, wie Robert nach dem ganzen Erzählen ausgelaugt die Augen schloss. Kurz betrachtete er ihn, bevor er sich leise aus dem Raum schlich. Der Zimmernachbar von Robert war inzwischen zurückgekehrt. Thomas überlegte kurz wie viel derjenige von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Aber im Grunde interessierte es ihn nicht. Der Besuch bei Robert hatte eine halbe Stunde gedauert. Als Thomas in Olivers Zimmer zurückging, war dieser leider nicht mehr allein. Seine Eltern hatten sich wie Wachen um sein Bett postiert, als Thomas hereinkam. Sofort warfen Olivers Eltern ihm einem feindseligen Blick zu. Oliver schaute interessiert und gleichzeitig besorgt. Thomas wappnete sich und ging mutig aufs Bett zu. Oliver ergriff das Wort. „Ma, Pa, ich weiß, dass ich nichts zu sagen habe, aber was ich mit Thomas zu besprechen habe, ist verdammt wichtig. Bitte, wenn ihr mich lieb habt, lasst ihr uns kurz alleine.“ Frau Schilm wandte den Blick von Thomas und sah ihren Sohn wütend an. Herr Schilm berührte sie beruhigend an der Schulter und teilte einen stummen, bedeutungsschwangeren Blick mit ihr. Sie seufzte und verließ den Raum. Oliver war erstaunt und misstrauisch zugleich. Welche Pläne heckten sie über ihn aus?! „Ich gebe euch zehn Minuten!“, sagte Herr Schilm streng und ging, nachdem er beide noch mal ernst ansah. Als beide aus dem Raum waren, atmeten Oliver und Thomas gleichzeitig durch. Thomas setzte sich an Olivers Seite. „Nun sag schon.“ Oliver konnte vor Aufregung kaum an sich halten. „Er war wach und sieht total grausam aus! Du hast ihn wirklich heftig vermöbelt! Er war zwar ziemlich schwach, aber ich konnte mit ihm sprechen. Er zeigt dich nicht an.“ Vor Erleichterung fiel Oliver Thomas um den Hals. Alle Sorgen fielen jäh von ihm ab. Sie umarmten sich fest. Oliver hatte seine Hände in Thomas’ dichten Haarschopf vergraben. Thomas traute sich kaum seinen Freund so fest an sich zu drücken, wie er es gerne gehabt hätte. Schließlich wollte er ihm nicht wehtun. Den Verband spürte er zu deutlich. Nach einigen Augenblicken lösten sich ihre Körper von einander. Olivers Hände fuhren zu Thomas’ Wangen und er legte seinen Mund bebend auf den des anderen. Thomas ließ sich mitreißen und küsste Oliver so leidenschaftlich wie nie zuvor. Minuten verstrichen. Als sie sich heftig atmend von einander lösten, legten sie ihre Stirnen an einander. „Ich kann dir trotzdem nicht ganz verzeihen! Aber ich bin so heilfroh, dass dieses ganze Übel nicht in einer Katastrophe endet!“, flüsterte Oliver atemlos. Thomas suchte seinen Blick. „Ich werde das mehr als wieder gut machen!“, versprach er, ebenfalls atemlos. Einige Minuten blieben sie so aneinander gelehnt, bevor sie sich wieder von einander lösten. Oliver legte sich ins Bett zurück. Als er die Matratze berührte, zuckte er kurz vor Schmerz zusammen. „Hast du starke Schmerzen?“, fragte Thomas besorgt, der sich auf einen Stuhl am Bett gesetzt hatte. „Es geht.“, antwortete Oliver gelassen. „Die Schmerzmittel hier sind gar nicht mal schlecht, aber wenn was direkt an den Bruch kommt, tut’s doch weh.“ „Glaubst du, die Polizei wird trotzdem mit uns sprechen wollen, auch wenn Robert keine Anzeige macht?“, fragte Thomas nachdenklich. Wie aufs Stichwort kamen zwei Uniformierte Beamte mit Olivers Eltern im Schlepptau ins Zimmer. Automatisch waren Thomas und Oliver angespannt. „Guten Morgen!“, grüßte der große stämmige Polizist mit einer tiefen, Respekteinflößenden Stimme und nahm seine Mütze ab. Sein Kollege tat es ihm gleich und zog außerdem ein Notizbuch aus seiner Brusttasche. „Herr Schilm und Herr Richter“, sagte er und gab beiden die Hand. „Mein Kollege Sandner und ich waren gerade zur Zeugenbefragung beim Herren Kain, zwecks einer gestern gemeldeten Prügelei. Eine Anzeige wurde nicht aufgegeben, aber fürs Protokoll brauchen wir von Ihnen noch eine Aussage.“ Der Kollege mit dem Notizblock setzte sich an den sich im Zimmer befindenden Tisch, legte seinen Notizblock vor sich und wartete ungeduldig auf die Zeugenaussagen. Der große Polizist sah beide aufmunternd an und wartete ebenfalls, dass einer von beiden anfing zu erzählen. Oliver und Thomas atmeten durch und erzählten einander ergänzend wie es zur Schlägerei gekommen war. Obwohl sie sich letztendlich doch nicht abgesprochen hatten, ließen beide den ungemütlichen Teil weg. Nach ihren Aussagen ereignete es sich so, dass Robert Oliver provoziert hatte und Oliver daraufhin überreagierte. Glücklicherweise hatte Robert es auch so erzählt und anstandslos die gesamte Schuld auf sich genommen. Am Ende ergab sich, dass sich die Sache in Luft aufgelöst hatte. Niemand hatte etwas zu erwarten. Oliver und Thomas konnten kaum ihr Glück fassen. Nachdem die Polizisten alles noch mal abgesichert hatten, gingen diese nach einer höflichen Verabschiedung. Olivers Eltern waren über den Ausgang der ganzen Sache nicht minder überrascht als die beiden Jungs. Leider stand jetzt erst der unangenehme Teil für sie an. Frau Schilm saß inzwischen auf einem Besucherstuhl in der Ecke neben der Tür. Jetzt wo sie alleine waren, ging Herr Schilm mit den Händen an der Taille abgestützt auf die beiden zu. „Da hattest du aber verdammt viel Glück, mein Junge!“, sagte er angespannt. „Die ganze Situation kommt mir ziemlich seltsam vor. Ihr könnt froh sein, dass nur ihr drei wisst, was wirklich passiert ist! Jedenfalls will ich nie wieder was davon hören. Ich betone nochmals, dass wir alle überaus glücklich über den Ausgang sein können. Ich hoffe, du bist dir im Klaren darüber, was du diesem Jungen angetan hast! Auch, wenn die Polizei dich nicht zur Rechenschaft zieht, verlange ich von dir, dass du für die Kosten, die du verursacht hast, aufkommst! Ich werde von deinem Ersparten den Krankenhausaufenthalt des Jungen bezahlen. Mit der Krankenhausverwaltung habe ich das schon abgesprochen. Das ist das Mindeste!“ Oliver nickte demütig. Er wusste, dass das von seinem Vater sogar noch milde war. Gerade, als er weiterreden wollte, kam Herr Doktor Schäfer mit einer Schwester ins Zimmer. Olivers Vater stöhnte einmal genervt auf. „Wie auf dem Bahnhof!“, murmelte er seiner Frau entgegen. Der Doktor schaute kurz irritiert zu Herrn Schilm bevor er sich an Oliver wandte. „Gute Nachrichten, Oliver, Sie sind hiermit entlassen. Sie können wieder nach Hause gehen. Die Entlassungspapiere sind am Empfang. Außerdem habe ich schon eine Überweisung an ihren Hausarzt ausgeschrieben. Bitte melden Sie sich in spätestens drei Tagen zur Weiterbehandlung bei ihm.“ Er lächelte. „So schauen wir uns noch kurz Ihren Verband an und dann können Sie gehen.“ Nach einer kurzen Untersuchung war der Arzt mit der Schwester auch schon wieder aus dem Zimmer verschwunden. „Großartig!“, sagte Olivers Vater. „Dann zieh dich jetzt an. Wir warten vor der Tür!“ Olivers Gesichtszüge entglitten. Er hatte höllische Angst vor dem, was zu Hause auf ihn wartete. Olivers Vater wandte sich an seine Frau. „Komm, Gerda.“, sagte er und nahm ihre Hand, doch Frau Schilm wollte sich nicht vom Platz bewegen. „Willst du die beiden alleine lassen?!“, fragte sie hysterisch und deutete brüsk auf Thomas und Oliver. „Lass sie sich ruhig von einander verabschieden. Es wird das letzte Mal für sehr lange Zeit sein, dass sie sich sehen! Komm.“ Frau Schilm ging missmutig mit ihrem Mann mit. Als Oliver und Thomas die Worte von Herrn Schilm gehört hatten, sahen sie einander panisch an. „Nein!“, heulte Thomas auf, als die Tür ins Schloss gefallen war. „Wir finden einen Weg!“, beschwichtigte Oliver. Beide überlegten, bis ein Geistesblitz durch Thomas fuhr. Er begann in seiner Hosentasche herum zu suchen und zog plötzlich zwei Mobiltelefone heraus. „Ich hätte ja nie gedacht, dass sich das mal rentieren würde…“, murmelte er. Oliver starrte erstaunt auf die zwei Telefone in seiner Hand. Schnell fing er sich wieder und fiel Thomas um den Hals. Er küsste ihn stürmisch auf die Wange. Gleich darauf sahen sie sich wieder an. „Die Nummern sind drin. So können wir wenigstens reden. Ruf mich immer an, wann du Gelegenheit hast und vor allem wenn ich vorbei kommen kann!“ „Was denkst du denn!“ Sie teilten noch einen innigen Blick, als auch schon Olivers Vater einmal kräftig von draußen gegen die Tür klopfte. Schnell begann Oliver sich umzuziehen. Als er alles zusammen gepackt hatte, standen er und Thomas sich an der Zimmertür gegenüber. „Ich komm aus der Sache schon raus!“, flüsterte Oliver. „Mach dir bloß nicht zu viele Gedanken. Egal, was deine Eltern sagen, es ist nichts schlimmes daran schwul zu sein!“ Oliver nickte annehmend. Sie kamen sich langsam näher und küssten sich innig. „Ich liebe dich!“, hauchte Oliver und strich eine Haarsträhne aus Thomas’ Gesicht. Thomas atmete seinen Duft tief ein. „Ich liebe dich noch mehr!“, antwortete er und gab Oliver noch einen Kuss. Während sie sich liebevoll küssten, hielten sie einander fest an den Händen. Als sie den Kuss lösten, hielten sie sich immer noch fest. Oliver griff zur Türklinke. Thomas ließ seine Hand erst los, als Oliver schon halb draußen war. Mit einem schmerzhaften Blick trennten sie sich von einander. Oliver trottete unwillig seinen Eltern hinterher. Am Empfang unterschrieben er und sein Vater die Entlassungspapiere. Den Überweisungsschein steckte seine Mutter in ihre Handtasche. Als sie vor der Tür waren und der laue Sommerwind in Olivers Gesicht wehte, fragte er sich innerlich, ob das jetzt das letzte mal für längere Zeit war, dass er an der frischen Luft war. Den kurzen Weg nach Hause überlegte er, wie sein Sommer bisher abgelaufen war. Wie aufregend doch alles gewesen war und nun sollte er die letzten zwei Wochen eingesperrt zu Hause verbringen. Leise fluchte er. Er hatte die Zeit doch gar nicht genießen können. Viel zu spät hatte er sich seine Gefühle für Thomas eingestanden, dann kam Berlin dazwischen und dann kam auch schon Robert. Beim Gedanken an ihn wurde Oliver ziemlich wütend. Noch nie zuvor hatte ihn jemand so rasend vor Wut gemacht! Diese Person hatte alles zwischen Thomas und Oliver zum erschüttern gebracht. Den Ärger mit der Schlägerei hatten sie hinter sich gelassen. Aber über das wirklich schmerzhafte hatte er sich nicht mal annähernd mit Thomas aussprechen können. Es schmerzte so sehr, aber im Sinne ihrer Beziehung war diese Unterhaltung mehr als wichtig! Sie kamen zu Hause an. „Gleich nach dem Mittag treffen wir uns im Wohnzimmer und besprechen alles. Bis dahin kannst du dir ja schon was überlegen.“, sagte sein Vater und ging sich umziehen. Olivers Mutter nickte und folgte ihrem Mann. Oliver spurtete in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Etwas im Zimmer hatte sich verändert, das bemerkte Oliver sofort. Der Schlüssel zu seiner Tür war entfernt worden und an seinen Fenstern hatte sich auch was verändert. Er öffnete sie ganz und staunte nicht schlecht, als er ein festgeschraubtes Gitter davor sah. Na toll, jetzt konnte er sich nicht mehr einschließen und abhauen konnte er auch nicht. Wie nett von seinen Eltern. Würden sie ihn nachts auch noch einschließen?! Schnell musste er diese Neuigkeit an Thomas weitergeben, also zog er das Handy aus seiner Hosentasche und rief seinen Freund an. Thomas war nicht minder entsetzt darüber, aber zusammen würden sie schon ein Hintertürchen finden. Auch berichtete Oliver gleich, dass das große Gespräch mit seinen Eltern nach dem Mittag stattfinden würde. Beiden machten aus, dass Oliver ihm schnell eine SMS schreiben sollte, wenn das große Gespräch begann. Als sie sich von einander verabschiedeten, versteckte Oliver das Telefon an einem sicheren Platz. Er legte es zwischen seinen Angelheften, der einzige Ort, den seine Mutter nie anrührte. Als er das erledigt hatte, ging er ins Bad, um den Krankenhausgeruch von seinem Körper zu waschen. Durch den Verband und mit den dazugehörigen Schmerzen, war das gar nicht mal so einfach. Leider konnte er auch nicht duschen. Eine halbe Stunde später (so lange brauchte er nicht mal zum Baden) lag er umgezogen auf seinem frisch bezogenen Bett und legte sich die richtigen Argumente für seine Eltern zurecht. Als ihn seine Mutter zwei Stunden später zum Essen rief, machte er sich missmutig auf den Weg in die Küche. Schweigend schlang er sein Essen herunter. Gleich würde es soweit sein. Panik, Ungeduld und Anspannung wirbelte wie ein Tornado durch seinen Körper. Bevor das große Gespräch begann, entschuldigte er sich aber noch kurz, um auf zu Toilette zu gehen und vor allem Thomas zu informieren. Thomas hatte gleich nachdem sie sich von einander getrennt hatten Robert die Wechselsachen ins Krankenhaus gebracht. Danach war er damit beschäftigt gewesen das Haus wieder auf Vordermann zu bringen. Die restlichen Sachen von Robert hatte er in dessen Auto gelegt und den Schlüssel ans Schlüsselbrett gehängt. Dann hatte er die Küche aufgeräumt und geputzt. Nach dem Telefonat mit Oliver widmete er sich dem Zimmer seiner Mutter. Er tauschte die Bettwäsche aus, genauso wie in seinem Zimmer. Am Ende seiner Putzerei sah sein Zimmer wieder wie vor dem Besuch von Robert aus. Thomas hatte jede kleine Stelle mit der er in Berührung gekommen war gesäubert. Zum Schluss erinnerte nur noch sein Autoschlüssel (und natürlich das nicht zu übersehbare Auto vor der Tür) daran, dass er sich in der Stadt befand. Als Thomas geduscht hatte, machte er sich Mittag und versuchte wieder zu einem normalen Tagesrhythmus zurück zu kehren. Aber gab es überhaupt noch einen normalen Tagesablauf? Seit Ferienbeginn stand doch alles auf dem Kopf. Apropos Ferien. In knapp zwei Wochen würden diese auch vorbei sein. Einige Minuten blieb Thomas an diesem Gedanken hängen, bevor ihn eine kleine Rauchwolke unterbrach. Mist, jetzt war auch noch sein Mittagessen angebrannt. Der Rauch trieb aus der Küche in den Flur, wo sogleich ein schrilles Piepen des Feuermelders ertönte. Thomas hielt sich die schmerzenden Ohren. Dieser Lärm war unerträglich. Mit einem Stuhl bewaffnet ging er in den Flur. Umständlich mit nur einer Hand versuchte er das elende Teil auszumachen, während in der Küche sein Essen munter weiter vor sich hin verbrannte und qualmte. Nach einer halben Ewigkeit hatte er es endlich geschafft und pfefferte das Teil in die Ecke. Der Krach hatte bestimmt die ganze Straße aufgeweckt! Hastig rannte er zur Pfanne zurück und wäre beinahe über seine Füße gestolpert. Beherzt nahm er nach den heißen Griff und zog die Pfanne unter den Wasserhahn. Als dieses Problem getilgt war, riss er alle Fenster in der Nähe auf. In kürzester Zeit war der kleinen Küche eine Räucherstube geworden. Das Essen konnte er nun vollends vergessen. Die kläglichen Überreste zog er aus der Spüle und beschloss sie in der Mülltonne im Garten zur Ruhe zu betten. Als er an seiner metallenen Mülltonne stand und das schwarze rauchende Etwas, das mal sein Schnitzel gewesen war, hinein pfefferte, sah er aus dem Augenwinkel die alte Dame von nebenan kopfschüttelnd in der Tür stehen. „Erst die Polizei und jetzt das...“, murmelte sie vor sich hin. Thomas warf ihr einen fiesen Blick zu, woraufhin sie eilig wieder in ihr Haus verschwand. Thomas hätte die verkrustete Pfanne am liebsten auch gleich in die Mülltonne geworfen, aber seine Mutter hing an dem Teil. Also ging er zurück ins rauchige Haus und begann das Ding fluchend zu putzen. Nebenbei hingen seine Gedanken bei Oliver. Es konnte jetzt jederzeit soweit sein und das machte Thomas madig. Am liebsten wäre er bei seinem Freund gewesen... Nach einiger Zeit war die Pfanne wieder blitzblank und Thomas immer noch hungrig. Durch seine Gedanken außerdem noch zerfressen, musste er sich schleunigst Ablenkung suchen und beschloss daraufhin in die nächstgelegene Pizzeria zu fahren. Er hatte nach ihrem Umzug öfters mit seiner Mutter dort gegessen. Ein kleiner lauschiger Zweiertisch in der hinteren Ecke des Restaurants war ihn Stammplatz geworden. Gleich als er sich gesetzt hatte, begann der Kellner ihn mit Fragen zu löchern, wo Frau Richter abgeblieben war und warum sie so lange nicht mehr vorbei gekommen waren. Thomas bestellte eine Pizza Napoli mit Sardellen, Oliven und Kapern. Das Restaurant lief super, weil die Preise klein waren, alles frisch und per Hand zubereitet wurde und weil es zudem noch sehr schnell ging. Nach zehn Minuten warten, hatte Thomas auch schon die dampfende, runde Leckerei vor sich und begann schnell zu essen. Als er bezahlt hatte und gerade das Lokal verließ, brummte das Telefon unheilvoll in seiner Hosentasche. Erschrocken fuhr er in sich zusammen. Die Nachricht war kurz und prägnant. „Jetzt! Drück mir die Daumen.“, stand da. Thomas musste nicht lange überlegen. Schon schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr zu Olivers Haus. Die große Standuhr im Wohnzimmer hatte gerade ihre Schläge für fünfzehn Uhr beendet, als sich Familie Schilm im Wohnzimmer einfand. Olivers Eltern setzten sich aufs Sofa, Oliver ließ sich auf den angrenzenden Sessel sinken. Jetzt konnte der ganze Spaß beginnen... Olivers Mutter zog einen Zettel aus ihrer Hosentasche und gab ihn ihrem Mann. „Also, wir haben uns einige Stichpunkte gemacht, über die wir jetzt mit dir sprechen wollen.“, begann er. „Wir müssen noch mal ganz vorn beginnen. Vor einer Woche bist du überstürzt mit Thomas nach Berlin abgehauen. Deine Mutter war ziemlich nett, dass sie dich einfach so gehen ließ. Die zweihundert Euro zahlst du selbstverständlich zurück! Nach einem nicht so ganz freundlichen Gespräch am Telefon hast du einfach deine Mutter abgewürgt und hast dich daraufhin ganze vier Tage nicht mehr bei uns gemeldet.“ „Ich war fast krank vor Sorge!“, warf Olivers Mutter energisch ins Gespräch ein. Oliver schaute betreten zu Boden. Sein Vater nahm das Wort wieder an sich. „Durch unsere Nachbarin haben wir überhaupt erfahren, dass du wieder hier warst.“ Oliver fasste sich Mut, um sich zu verteidigen. „Aber wir sind an dem Tag auch erst wieder hergekommen.“ „Das tut nichts zur Sache. Weil du dich eh nicht bei uns gemeldet hättest, nicht wahr?“ Oliver nickte flüchtig und schaute wieder schuldig zu Boden. „Durch diese Sache hattest du dir ja schon Hausarrest, Fernseh-, Telefon- und Computerverbot eingehandelt. Was jetzt noch ausgeweitet wird, weil du den Jungen verprügelt hast. Die Kosten des Jungen sind nicht gerade billig gewesen, deshalb bekommst du festgesteckte Aufgaben, um deine Schuld abzuarbeiten! Schatz, reichst du mir bitte Block und Stift?“ Frau Schilm griff neben sich nach den Dingen und reichte sie ihrem Mann. Herr Schilm nahm es dankend entgegen und begann sofort zu schreiben. „Aufgaben“, schrieb er als erstes und unterstrich das Wort. Dann legte er die Aufgaben fest und schrieb sie darunter. „Rasenmähen, Autowaschen, Zaunstreichen, Geschirrspüler ein- und ausräumen, Staubsaugen und Müll raus bringen kam dabei zusammen. Hinter gewissen Aufgaben schrieb er noch einen Tag und eine Uhrzeit. So musste Oliver das Auto immer samstags um elf Uhr waschen. Als das alles erledigt war, kamen Olivers Bedingungen zur Sprache. „Du hast ab heute für zwei Monate Hausarrest. Das bedeutet, dass du nur in den Garten darfst, Verabredungen und Besuche von Freunden sind untersagt. Wenn du Schule wieder begonnen hat, musst du den schnellsten Weg hin und zurück nehmen. Du hast sicherlich schon die Gitter an deinen Fenstern gesehen. Deinen Zimmerschlüssel behalten wir auch fürs Erste. Nachts wird die Haustür abgeschlossen, damit du nicht wieder abhauen kannst. Wenn wir schon dabei sind, gib mir bitte deinen Haustürschlüssel.“ „Den auch noch?“, fragte Oliver abweisend. Sein Vater nickte streng. Widerspenstig legte ihn Oliver auf den Wohnzimmertisch. „Bitte halte dich an alles. Der Grund ist keine lächerliche Albernheit! Du hast einen Menschen körperlich schwer verletzt! Wie haben nie erlebt, dass du so ausgerastet bist...“ „Olli, was ist nur in dich gefahren?“, fragte seine Mutter verzweifelt. „Ich war zutiefst erschrocken, als ich das gesehen habe! Versprich uns bitte, dass du nie wieder so etwas machst!“ Oliver begann zu stottern. Ihm war es so unangenehm. „Es tut mir Leid, dass ihr das gesehen habt. Mehr sage ich dazu nicht!“, antwortete er schließlich. Sein Herz klopfte bis zum Hals. „Das ist das einzige, was du dazu zu sagen hast?“, fragte Herr Schilm skeptisch. „Hört mal, das ist wirklich eine Sache zwischen mir und dem Typen. Ich bin gerne dazu bereit, den Schaden, den ich bei euch deswegen gemacht habe, wieder in Ordnung zu bringen, aber der Rest ist meine Angelegenheit. Es hätte nie passieren dürfen!“ „Okay, das hört sich schon besser an. Dabei blieben wir.“ Oliver nickte dankend. „So, jetzt kommen wir zum unangenehmen Teil. Die Sache zwischen dir und Thomas.“ Oliver versteifte sich sofort. Ihm wurde eiskalt. „Aber ich würde sagen, bevor wir damit weitermachen, es fällt uns besonders schwer, gönnen wir uns alle eine kleine Verschnaufpause.“ Herr Schilm sah zur Uhr. Eine dreiviertel Stunde war schon vergangen. „In einer viertel Stunde treffen wir uns wieder hier!“ Oliver war mehr als dankbar und eilte aus dem Zimmer. In der Küche genehmigte er sich ein Glas eiskalte Cola und rannte anschließend in sein Zimmer rauf. Mit seinem Schreibtischstuhl verbarrikadierte er die Tür und zog anschließend Thomas’ Handy unter den Angelheften hervor. Schnell war die Nummer gewählt. Nach nur zweimal Klingeln ging Thomas schon ran. „Wie ist es gelaufen?“, fragte er ungehalten, bevor Oliver zu Wort kam. „Es ist noch nicht vorbei. Wir machen grade eine Pause. Über dich haben wir noch gar nicht gesprochen. Deshalb bin ich jetzt auf das, was jetzt noch kommt, noch aufgeregter. Ich wünscht, du wärst bei mir!“ „Glaub mir, ich noch viel mehr. Oliver, bleib konzentriert. Du musst beiden unseren Standpunkt deutlich machen. Wir lieben uns und das ist nichts Abnormales! Sie können uns nicht trennen! In wenigen Wochen bist du achtzehn und dann können sie dir gar nichts mehr!“ Beide hielten kurz inne. Oliver sah auf die Uhr. Noch fünf Minuten. „Ich wünschte wirklich du wärst hier!“, sagte Oliver noch einmal. „Ich bin vor eurem Haus!“, entgegnete Thomas. „Wirklich? Ähm, kannst du versuchen zum Badfenster im ersten Stock zu kommen. Ich mach es für dich auf.“ „Ich werde es versuchen!“ „Rechts neben dem Eingang, direkt an der Seite, da ist ein kleiner Durchgang in der Hecke. Kannst du dich ums Haus schleichen? Neben dem Fenster müsste noch eine Leiter vom Baumschneiden stehen. Ich warte auf dich.“, sagte Oliver hastig und machte sich schnell auf den Weg ins Bad. Nach zwei Minuten erschien Thomas am Fenster. Er krabbelte eilig durch. Zusammen beugten sie sich aus dem Fenster und rückten die Leiter wieder vom Fenster weg. Anschließend fielen sie sich um den Hals. „Gott, es hat sich angefühlt, als wären wir seit Tagen getrennt gewesen und nicht erst seit fünf Stunden!“, flüsterte Thomas atemlos und küsste Oliver. Oliver erwiderte den Kuss zaghaft. Gemeinsam schlichen sie in Olivers Zimmer. Jetzt blieb keine Zeit mehr. Es war schon um vier. „Warte hier auf mich.“, bat Oliver und gab Thomas einen winzigen Kuss zum Abschied. „Immer!“, entgegnete Thomas. „Hoffentlich geht’s gut aus!“ Oliver machte sich auf den Weg nach unten und setzte sich wieder zu seinen Eltern ins Wohnzimmer. Beide sahen sehr angespannt aus. Es war deutlich, dass sie die ganze Zeit angestrengt diskutiert hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)