Erste Lektion: Liebe von abgemeldet (Nightmare // Gazette) ================================================================================ Kapitel 11: von charakterlosen Häusern und gefühlstoten intermenschlichen Beziehungen ------------------------------------------------------------------------------------- Eins vorweg: Vielen lieben Dank an die lieben, motivierenden und süßen Kommentare! ^^~ Ich hab mich über jeden einzelnen gefreut. *sniff* Trotz der vielen (dezent direkten XD ) Aufforderungen etwas mehr zu Ni~ya und Sakito zu schreiben, muss ich euch erst mal mit ReitaXUruha ablenken. Muss dann wohl verantworten, dass einige von euch vor Spannung platzen. LOL Eigentlich sollte ich jetzt Mathe pauken anstatt einen neuen Teil rauszubringen.... -_-° So viel zu meiner eisernen Disziplin. Ich hätte euch viel früher mit einem wieteren Teil 'beglückt', doch leider hat mir die Schule einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht und deswegen müsst ihr euch mit diesem Teil bis Juni oder so vertrösten. u,u Strawberry Fields dauert wahrscheinlich noch länger... T_T Ich bin ein Loser, was Vorworte angeht. Nur mal so nebenbei gesagt. Viel Spaß beim Lesen! K&K ist immer gern gesehen, ne~ +++ "Nein, Ma. Ich möchte heute nicht in die Schule gehen. Meldest du mich bitte krank?" Reita spazierte in der fremden Küche auf und ab, rieb sich müde die Augen. Die Sonne schien hell durch die Fenster auf die weißen Küchenmöbel, ließ den Raum in einem grellem Licht erstrahlen, hatte den Blonden in dem Moment, als er die Küche betreten hatte, schmerzhaft geblendet. Es tat ihm sowieso schon alles weh, wieso nicht auch noch die Augen. Er war heute Morgen mehr im Sitzen als im Liegen aufgewacht mit dem Kopf schlaff auf seiner Brust hängend. Er brauchte gar nicht den Kopf bewegen, um sagen zu können, dass es eine Mörder-Genickstarre war, die er sich zugezogen hatte. Sein Rücken hatte die Form eines Fragezeichens und jede Bemühung es etwas gerade zu biegen, kostete ihn einen schmerzhaften Seufzer und die Erkenntnis, dass es vergebens war. Uruha war mit dem Kopf auf seiner Brust eingeschlafen, hatte im Schlaf einen Arm um ihn gelegt um sicherzustellen, dass Reita über Nacht nicht einfach verschwand. Umso schwieriger war für Reita daher das Aufstehen gewesen ohne Uruha zu wecken. Er wollte ihm seinen wohlverdienten Schlaf gönnen, in den er sich hineingeweint hatte. Mehrere Male hatte Reita gespürt, wie sich der Kopf auf seiner Brust gehoben und nervös nach etwas Ausschau gehalten und erst als er Reita abgetastet, somit sicher gestellt hatte, dass er noch da war, dass er nicht alleine war, war sein Kopf wieder in die alte Position gesunken, um kurze Zeit später das selbe Ritual zu wiederholen. Eigentlich wollte er gar nicht aufstehen, auch wenn diese Schlafposition die schrecklichste war, in der er sich je befunden hatte, doch einige Dinge waren wichtiger als ein klein bisschen schlechter Schlaf. Erstens hatte er seiner armen Mutter, die mittlerweile wahrscheinlich an einem Herzinfarkt gestorben sein musste, nachdem sie das Zimmer ihres Sohnes ohne ihn, dafür aber mit seinen Schulsachen vorgefunden hatte, eine lange Erklärung und eine gute Entschuldigung geschuldet und zweitens hatte sich Uruha beim letzten Mal tasten so dumm wieder hingelegt, dass sein Ellbogen auf seinen Unterleib und direkt auf die Blase drückte, die ihn letztendlich zum Aufstehen und Erleichtern gezwungen hatte. Seine Mutter hatte er schon angerufen, ihr Uruhas Situation erzählt, was dazu geführt hatte, dass ihr überaus großer Beschützerinstinkt geweckt wurde und sie auch sofort loseilen und für Uruha ein bisschen den Mutterersatz spielen wollte. Nur mit Mühe und vielen Ausreden konnte er sie davon abhalten dies wirklich zu tun. Jetzt stellte ihm sich nur noch die Aufgabe Uruhas Eltern anzurufen und sie zu bitten, ihn für einige Tage aus der Schule zu nehmen, da er es nervlich nicht überstehen würde. Er hatte nur so ein ungutes Gefühl oder auch Angst, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen. Er kannte Uruhas Eltern ja gar nicht, hatte sie noch nicht einmal gesehen, wusste noch nicht einmal grob wie sie aussahen, geschweige denn wie sie menschlich waren, Uruha blockte dieses Thema immer geschickt ab. Und dann sollte er sie um etwas bitten? Es war ja eigentlich nicht seine Aufgabe und dennoch hatte er sie zu seiner gemacht, wollte seinem Freund einen Gefallen erweisen. Doch was war, wenn er das gar nicht wollte? Vielleicht wollte Uruha seine Eltern gar nicht über seine Lage in Kenntnis setzen und erst recht nicht durch ihn, den sie höchstwahrscheinlich auch gar nicht kannten...? Ob Uruha sauer werden würde, wenn er seine Eltern jetzt anrief? Wovor hätte Uruha dann Angst, dass sie seine Situation nicht verstehen würden? Alle Eltern, auch solche wie Uruhas, die selten zu Hause waren und sich nie um ihren heranwachsenden Sohn kümmerten, ihn nicht im Kummer unterstützten, schätzten es doch, wenn sich Fremde um ihr Kind kümmerten und würden akzeptieren, dass er eine kurze Pause bräuchte. Zumindest hoffte er, betete innigst zu Gott, dass Uruhas Eltern so waren, denn sonst würde auch er, genauso wie Uruha jetzt, seinen Glauben an die Menschheit verlieren. Uruhas Eltern mussten ein Herz haben, auch wenn sie kaum bei ihm und noch so kalt waren, sie mussten Gefühle haben, sonst hätten sie doch kein Kind in die Welt gesetzt! Er redete sich gerade Mut zu. Wozu eigentlich? Meinte er Uruhas Eltern würden ihn auffressen, wenn sie erführen, dass ihr einziger Sohn heute nicht in der Schule gewesen war und auch die nächsten Tage zu Hause bleiben möchte? Das Schlimmste, was ihm passieren könnte, war, dass er sich ein Bild von ihnen machen könnte, was ihm nicht gefiel. Gott! Er führte sich gerade so auf, wie ein Teenager, der weiß, dass er gleich beim Rauchen erwischt wird und nichts dagegen tun kann. Moment Mal... Er war immer noch ein Teenager und er wurde auch schon beim Rauchen erwischt. Schlimmer als die Standpauke seiner Mutter, nachdem sie aus dem Büro des Rektors gekommen war, konnte doch so ein läppisches Telefonat gar nicht werden. Mit dem Telefon in der Hand ging er zu der Kommode an dem die Aufladestation stand und eine Korkpinnwand, auf der einige Zettel mit hastig draufgekritzelten Nummern und Namen mit bunten Nadeln befestigt waren, hing. So sauber und ordentlich, fast schon steril, wie der Rest des Hauses, ging Reita durch den Kopf. Wenn Uruhas Eltern keine Haushälterin beschäftigten, dann musste Uruha ganz schön viel Zeit investieren es so ordentlich und staubfrei zu halten. Er war in seinem Leben noch nie in seinem unpersönlichen Haus gewesen. Sogar die Schultoiletten besaßen mehr Charakter als dieses Gebäude, das, mit Ausnahme von Uruhas Zimmer, unbewohnt und verlassen wirkte. Vorsichtig, so dass er nichts durcheinander brachte, suchte er die zettelbeklebte Pinnwand ab, glitt mit seinen Fingern über jedes einzelne noch so kleine Papierstückchen auf dem Zahlen standen, das Telefon fest in der anderen Hand umklammert. Er kam sich gerade vor, wie ein Stalker, der in das Haus seines Opfers eingebrochen war und nach einer benutzen Unterhose suchte. Es schüttelte ihn leicht bei diesem kranken Gedanken. Niemals würde er das tun. Allein schon die Vorstellung, wie er mit einem irren Ausdruck im Gesicht an einer benutzten Unterhose schnüffelte, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken und ließ ihn würgen. "Das ist echt... widerlich!" murmelte er vor sich hin und ein weiteres Bild einer getragenen Unterhose mit Schmutzflecken wie er sich dabei selbst befriedigte und seinen kranken Spaß dabei hatte, ploppte vor seinem inneren Auge auf. Spätestens nach diesen Bildern entschied er sich aufs Klo zu laufen, um dem ein bisschen Charakter zu verleihen, in dem er ihm sein Innerstes offenbarte. Wenn er es denn fand, was in dem großen Haus und mit dem immer stärker werdenden Brechreiz ein verdammt schwieriges Unterfangen war. Wahllos riss er eine Tür nach der anderen auf, ein unbenutzter Raum nach dem anderen begrüßte ihn, bis er ein Badezimmer oder etwas Ähnliches im hellen Licht der Sonne erspähte. Eilig stürzte er mit einer Hand vor dem Mund auf das Klo zu, dem er auch prompt seinen kargen Mageninhalt und damit auch ein bisschen Persönlichkeit übergab. Genauso wie der Inhalt in der Kloschüssel fand er auch das ganze Haus - zum Kotzen. Am liebsten würde er Uruha, wenn dieser aufwachte, mit zu ihm nach Hause schleifen und ihn dort einquartieren. Was hielt ihn hier schon? Tolle Erinnerungen? Eine nette Familie? Geborgenheit? Liebe?!? - sicher nicht. Sein Zimmer? - Das könnte er auch bei ihm haben, auch wenn es vielleicht nicht so groß war. Als er sich über dem Waschbecken den Mund mit kaltem Wasser ausspülte, fiel ihm wieder ein, was er eigentlich machen wollte, was ihn erneut Galle aufstoßen ließ. Er hatte Angst. Er hatte Scheiß-Angst mit Uruhas Eltern zu telefonieren, sein Verdacht, sie könnten genauso kalt und unpersönlich sein wie ihr Haus, könnte sich durch das Telefonat bestätigen. Zurück an der Telefonkommode wischte sich Reita noch einmal über den Mund und suchte weiter nach einem Hinweis von Uruhas Eltern. Irgendwo musste doch eine Telefonnummer von den beiden sein, wenigstens für Notfälle... ging es ihm durch den Kopf, als er die einzelnen Zettel studiert oder zumindest flüchtig wahrgenommen hatte. Nach weiteren geschlagenen fünf Minuten fand er einen einfachen Post-It, vergraben unter vielen nutzlosen Notizzetteln mit teilweise nur kleinen Zeichnungen oder hastigem Gekritzel. "Vater und Mutter geschäftlich". So sauber und unbenutzt, wie an dem Tag, an dem er geschrieben und an die Pinnwand geheftet worden war und danach nicht mehr beachtet wurde. Nicht mal für Notfälle, dachte sich Reita zynisch. Hasste Uruha sie wirklich so sehr? Oder waren sie ihm so egal, wie er ihnen? Waren ihm Zitate und Weisheiten berühmter oder unbekannter Dichter und Philosophen oder selbst dahingeschmierte Karikaturen und Skizzen wichtiger als seine Eltern, sodass er sie unter einem Berg von Papier vergrub? Wenn er das wirklich tat, dann konnte er es ihm aufgrund der Ausdrucksstärke in diesen Räumen nicht verübeln. Kurz überlegte er ob er eher die Mutter oder den Vater oder ob er überhaupt anrufen sollte, entschied sich dann zögernd die Nummer der Mutter zu wählen, in der Hoffnung, sie sei trotzdem ein bisschen so wie andere und wenigstens etwas um ihr Kind besorgt. Nervös tippte er die Nummern in das Ziffernblatt, ging ganze Horrorszenarien in seinem Kopf durch, die durch das Freischaltungszeichen unterbrochen wurden. Leichte Panik stieg in ihm hoch, sollte er dranbleiben oder doch lieber auflegen und so tun als hätte er gar keinen Gedanken an diese Idee verschwendet? Noch war es nicht zu spät. Oh, wer war er denn?! Mann oder Memme? Wovor hatte er denn solche Angst? "Hallo Uruha," meldete sich eine fremde Frauenstimme am anderen Ende der Leitung, noch bevor sie Reita hatte zu Wort kommen lassen, fuhr sie auch schon fort. "Ich habe leider gar keine Zeit für dich. Kann es denn nicht bis Abends warten?" Verdattert starrte Reita auf die weiße Wand vor ihm. Hatte die Frau ihren Sohn gerade wirklich versetzt? War es ihr denn nicht wichtig, was ihr Kind ihr zu sagen hätte, wenn er es denn wäre, der am Telefon hing? "Äh... Entschuldigung! Ich bin nicht Uruha, sondern ein Freund von ihm..." stotterte er in das graue Plastikgehäuse. "Hör zu, wer auch immer du bist. Ich habe im Moment gar keine Zeit. Egal was Uruha angestellt hat, es kann sicher bis später warten..." gab sie gehetzt und unfreundlich zurück. Verdammte Scheiße, was war das denn?! Was wäre, wenn er ihr sagen wollte, dass ihr Sohn gerade tödlich verunglückt sei? Würde sie dann auch sagen: ,Später!'? War er ihr denn so egal, dass es sie nicht einmal interessierte, wie es ihm ging? Dumme Frage, natürlich nicht.. Was konnte er von einer Frau erwarten, die ihren Sohn auf später vertröstete, in der Hoffnung er würde gar nicht mehr anrufen? "Eigentlich wollte ich nur fragen, ob sie Uruha für ein paar Tage in der Schule entschuldigen könnten?" fing er zögerlich an und fügte noch schnell hinzu: "Ihm geht es nicht so gut, sein bester Freund ist gestern gestorben, wissen Sie..." Die Frau mit der unsympathischen Stimme am anderen Ende machte eine kurze Pause, ganz so, als würde sie überlegen, was in diesem Augenblick das Beste für ihren Sohn wäre. "Pass mal auf, Kleiner. Uruha ist kein Kind mehr, das heult, wenn es sich das Knie verschrammt hat. Er ist alt genug um zu wissen, dass die Schule wichtig ist und er dort nicht einfach so fernbleiben kann. Oder meinst du ich habe meinen Abschluss geschafft, indem ich zu Hause über Tote getrauert habe? Sag ihm, er soll sich nicht so anstellen." Hart. Unbarmherzig. Kalt. Nein, er dachte nicht, dass die gute Frau am Telefon jemals auch nur über irgendjemanden oder irgendetwas geweint hatte, dazu brauchte man Gefühle, die sie offenbar nicht besaß. Für ihren Abschluss ist sie wahrscheinlich auch noch über unzählige Leichen gestiegen. Was war das nur für ein Mensch? War das denn überhaupt ein Mensch? Kein Mensch auf dieser Welt würde sein Kind so gleichgültig behandeln. Diese Skrupellosigkeit erinnerte ihn an emotionslose Maschinen, die taten für was man sie programmierte. Doch diese Frau war noch viel schlimmer! Uruha brauchte im Moment Liebe und vor allem Verständnis und keine Mutter, die ihn an der ausgestreckten Hand verhungern ließ. Das tat diese Frau aber, eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken, als sei es irgendein dahergelaufener Straßenköter. Reita war wütend. Er verstand nicht wie eine Mutter so etwas tun konnte. Diese Gleichgültigkeit war viel schlimmer als körperliche Misshandlungen. Wieso schlug sie ihn nicht? Das wären wenigstens menschliche Regungen. Wieso hasste sie Uruha nicht? Dann konnte er wenigstens sagen, dass sie ihn hasste! So war er ihr egal, und das war das Schlimmste. "Ja, das werde ich. Es tut mir leid, dass ich sie belästigt habe!" Reita verbeugte sich, wenn er auch nicht wusste vor wem. Die Frau sah es nicht und er tat es mehr um seinen Zorn, der sich angestaut hatte ein bisschen zu zügeln. "Das hoffe ich auch!" rief sie noch schnippisch in den Hörer, ehe sie somit das Gespräch beendete. Fassungslos starrte Reita auf das graue Plastikteil in seiner Hand. Er war kurz davor zu explodieren und wenn er das nicht tat, dann etwas anderes. Was waren das für Eltern?! Was war das für eine Mutter?! Er hatte momentan das Bedürfnis etwas kurz und klein zu schlagen, eher würde er Uruha nicht wieder ansehen können ohne loszuheulen. Er musste sich abreagieren. An irgendetwas, irgendwem. Ohne jegliche Überlegung schmiss er das Telefon, was er bislang noch in der Hand gehalten hatte, mit voller Wucht an die weiße Wand, die er während des Gespräches fixiert hatte, um seine Beherrschung nicht zu verlieren. Mit einem lauten Aufprall zerschellte das Kunststoffgehäuse in tausend Teile, gab das Gummiziffernblatt frei, das zusammen mit den Plastiksplittern und dem Innenteil gen Boden segelte, bis es dort als Mitleid erregendes Überbleibsel der fortschrittlichen Technik liegen blieb. Wieder ein wenig beruhigt stand er im Türrahmen zu Uruhas Zimmer und beobachtete den Schlafenden, wie sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug leicht auf und ab senkte, die fast leblose Gestalt etwas lebendiger wirken ließ. Wie konnte so eine Frau so jemanden wie Uruha in die Welt setzten? Er war so vollkommen anders, als die Frau, die er in den wenigen Augenblicken am Telefon besser kennen gelernt hatte als er es sich jemals zu wünschen erhoffte. Sie war so skrupellos und eiskalt, für ihre eigene Karriere würde sie morden und ihr Kind, wenn sie es denn noch registrierte, verhungern lassen. Im Gegensatz dazu stand Uruha, der einstige Sonnenschein, den er kennen gelernt hatte, der nach außen hin so stark wirkte und doch so verletzlich war. Wie konnten zwei so gegensätzliche Menschen vom selben Blut sein? Wie konnte eine so emotionslose Mutter einen so liebenswerten Sohn auf die Welt bringen? Und vor allem, wieso war Uruha nicht so wie sie geworden, nach jahrelanger Abstinenz von Mutter, Vater und vor allem deren Zuneigung? War er wirklich so stark, dass er darüber hinweg gekommen war seine Eltern nie zu sehen oder zu sprechen, oder arbeitete seine Fassade so gut, dass niemand je auch nur einen Zweifel daran hegte, es sei nicht so? Nein, Uruha war nicht stark. Er war schwach, so furchtbar schwach, und mit Masas Tod kam es zum Vorschein. Uruhas einziger Lichtblick in seiner trostlosen Welt hatte ihn verlassen und zeigte allen wie schwach er wirklich war. Er war nicht verbittert oder abgestumpft, wie man erwartet hätte, er war nur so unheimlich zerbrechlich und bedürftig. Lautlos tastete die schlafende Form neben sich im Bett, als ob es etwas suchte, das kalte Laken ab und öffnete, nachdem er nichts gefunden hatte, müde die Augen. Verschlafen sah er sich im Bett um und als sich bestätigt hatte, was er befürchtete, stahl sich ein trauriger Ausdruck auf sein Gesicht. "Reita?" flüsterte Uruha fast tonlos und schwang die Decke von seinen Beinen. Er wollte schon fast aus dem Bett steigen, als ihn leise Schritte aus der Richtung seiner Tür aufsehen ließen. "Hey, ich bin hier!" begrüßte er Uruha mit einem warmen Lächeln und setzte sich zu diesem aufs Bett. "Wie geht's dir?" fragte er leise, auch wenn er die Antwort darauf wusste. Wie sollte es einem schon gehen, der gestern seinen Freund verloren und deshalb die ganze Nacht geheult hat? Wie sollte es jemandem gehen, der zwar Eltern hatte, aber kaum wusste wie sie aussahen? Gut? - Bestimmt nicht. Dementsprechend fiel seine Antwort mit einem Schulternzucken aus. Er war nicht im Stande mehr zu tun, geschweige denn zu sagen. Sein ganzer Körper schmerzte und sein Mund fühlte sich so trocken an, dass er Angst hatte, seine Zunge würde an seinem Gaumen kleben bleiben, wenn er zum Reden ansetzte. "Hast du Durst?" wieder fragte Reita leise und mit voller Besorgnis in der Stimme. Gott, wieso war er nur so nett? Dachte sich Uruha. Fast schon beschämt senkte er den Kopf und nickte ein wenig. "Warte kurz, ich hol dir was!" schnell richtete sich Reita von seinem Platz neben Uruha auf und rannte die Treppen ins Erdgeschoss runter, um kurz darauf mit einer Flasche Wasser und einer Dose O-cha wieder zu kommen. "Hier, trink was!" Reita hielt ihm die kalten Getränke entgegen, welche Uruha dankend annahm. "Wollen wir noch ein bisschen schlafen?" Reita hatte sich wieder zu ihm auf das Bett gesetzt und musterte Uruha ein wenig von der Seite. So verschlafen und mit zerzauster Frisur sah Uruha richtig süß aus. Wieder nickte der Angesprochene nur wortlos, drehte sich zu Reita und sah ihn aus verquollenen Augen schüchtern an. "Schläfst du wieder bei mir?" wollte er sich vergewissern, nicht alleine zu schlafen. "Ich hoffe, ich darf doch! Alleine in diesem riesigen Haus hätte ich nämlich tierische Angst!" grinste er Uruha an. Matt lächelnd hob Uruha die Decke ein wenig an, lud Reita somit ein darunter zu kommen. Dieser nahm die Einladung sofort an, zog seine Hose, die er sich nach dem Aufstehen automatisch angezogen hatte, in Windeseile wieder aus und legte sich in T-Shirt und Shorts neben Uruha, der ihn sogleich Willkommen heißend einen Arm um seine Brust schlang. Müde sahen sie sich gegenseitig an. Auch wenn Reita momentan nicht mehr müde war, so fühlte er sich wie gerädert - der beschissene und dazu noch kurze Schlaf und der Marathon von gestern Nacht, zerrte an ihm - und bald würde sein Körper die wohltuende Ruhe mit weit geöffneten Armen empfangen. Uruha blinzelte ihn aus kleinen Augen an, versuchte seine Müdigkeit zu vertreiben, um noch ein wenig Reitas warme Umarmung zu genießen. Auch wenn es dieser nicht wusste, seine Nähe und Wärme gaben Uruha so unendlich viel und ließen ihn für einen kurzen Augenblick Masas Tod und seine ganze traurige Existenz vergessen. Die Liebe eines anderen Menschen, wenn es in Reitas Fall auch nur oder vor allem freundschaftliche Gefühle waren, linderte seinen Schmerz und Kummer. Wenn es doch nur immer so sein könnte, dachte er sich, als seine Augen zu fielen und er für einen kurzen Moment von Schwarz umhüllt war. Schnell riss er sie wieder auf um sicher zu gehen, dass der andere noch da war. "Du sollst doch schlafen..." flüsterte ihm Reita zu und strich ihm zärtlich übers Gesicht, das er seit einiger Zeit musterte. "Versprichst du mir was?" krächzte Uruha leise, fast so als täte ihm das Sprechen weh. Er sah Reita mit einem so Mitleid erregenden Blick an, dass dieser gar nicht anders konnte als mit einem "Alles." zu nicken. "Versprich mir, dass du nicht gehst, wenn ich schlafe..." War die bescheidene Forderung an ihn, mit immer noch demselben Blick. "Versprochen!" lächelte ihn Reita warm an und küsste ihn, zur Befestigung seiner Worte, sanft auf die Stirn. Nicht im Traum hätte er daran gedacht Uruha jetzt alleine zu lassen, ihn seiner Einsamkeit aus zu setzten. Wieder fielen die Augen des etwas größeren Blonden zu und diesmal wollte er sie in diesem Zustand lassen, hätte ihn nicht ein leises Flüstern wieder davon abgehalten. "Uruha?" Hat Reita nicht gerade gesagt, er solle doch schlafen? So schnell verwarf der Andere also seine eigenen Worte. "Hmm?" kam dessen schläfrige Antwort. "Hängst du sehr an diesem Haus?" fragte Reita mehr in den Raum hinein, als er auf dem Rücken liegend an die Decke starrte, eine Hand zwischen Kopf und Kissen versteckte, mit der anderen sachte und immerwährend durch Uruhas weiches Haar fuhr. "Nein, nicht sehr. Wieso?" nuschelte er in Reitas Brust, in die er sich vor wenigen Augenblicken gekuschelt hatte und auch sofort einschlafen hätte können, die zärtlichen Berührungen Reitas genießend. "Würdest du nicht gern hier weg?" Sein Blick war immer noch auf die weiße Decke gerichtet. Vorsichtig richtete sich Uruha von seiner gemütlichen Position ein wenig auf, um Reita mit verschlafenem Blick ansehen zu können. "Was meinst du damit?" "Na... raus aus diesem Haus. Wo anders hin..." Reita hatte sich nach dem Telefonat mit der überaus freundlichen Dame, die Uruhas Mutter war, dazu entschlossen Uruha mit zu sich nach Hause zu nehmen, ihn dort einzuquartieren. Seiner Mutter hatte er von diesem Plan auch schon erzählt, die ebenso wie ihr fürsorglicher Sohn sofort Feuer und Flamme dafür war und nach dem kurzen Gespräch wahrscheinlich schon angefangen hatte das leer stehende Zimmer seines Älteren Bruders wieder auf Vordermann zu bringen. Etwas spontan, dachte er sich, wo er noch nicht einmal Uruhas Standpunkt dazu kannte. "Wohin soll ich denn gehen? Für eine eigene Wohnung bin ich noch zu jung und meine Eltern würden sie mir auch nicht zahlen." Traurig senkte Uruha seinen Kopf, fügte mit leiser Stimme, die kaum vernehmbar war, noch hinzu "... Außerdem wäre ich dann noch mehr alleine, als ich es jetzt schon bin." "Ich rede ja auch nicht von einer eigenen Wohnung... Ich rede von Freunden. Oder Verwandten." Reita drehte sich auf die Seite, als sich Uruha von seiner geplanten Schlafposition auf Reitas Brust gelöst hatte und nun neben ihm auf dem Bauch lag, sich mit den Armen auf dem Bett abstützte. "Ich habe keine Verwandten mehr und auch nicht viele Freunde, zu denen ich mal schnell ziehen kann. Ich habe auch nie einen Gedanken daran verschwendet bei Masa zu wohnen, zumal seine Eltern schon mit einem Kind überfordert waren." Uruha bohrte sich mit seinen Ellbogen tiefer in die Matratze und spielte mit seinen Fingern, als ob es im Moment nichts Interessanteres gäbe als den Verlauf seiner Fingerkuppen und Nägel. "Ich bin kein Mensch, der sich anderen gerne aufdrängt." "Dann komm doch einfach mit zu mir?!" Reita lächelte ihn an. Uruha war kein Mensch, der sich anderen aufdrängte, aber seine Mutter war es. Mehr im positiven Sinne, als im Negativen. Seine Mutter würde es Willkommen heißen, wenn sie statt einem, wieder zwei Kinder zu versorgen hätte. Seit sein älterer Bruder ausgezogen war, war seine Mutter unausgeglichen und vor allem unterfordert. "Was?" Bedröppelt sah Uruha in Reitas Gesicht, plötzlich vollkommen wach. "Na, zieh zu mir! Mein Bruder ist vor einem Jahr ausgezogen und seitdem steht sein Zimmer leer. Meine Eltern und vor allem meine Mutter würden sich freuen, wenn es wieder jemand bewohnt. Ich hab meiner Ma auch schon von dir erzählt und sie hat jetzt schon einen Narren an dir gefressen! Und du wärst nicht mehr alleine..." freudig erhob sich Reita ein bisschen, stützte sich mit seinem Arm ein wenig ab, um gleichauf mit Uruha zu sein. "Das... kann doch nicht dein Ernst sein...? Was ist mit meinen Eltern? Die werden bestimmt nicht einverstanden damit sein..." Und vor allem, was war mit ihm? War er damit einverstanden? Wie würde er sich fühlen, plötzlich in einer fremden Familie zu sein, sich wie ein Außenseiter vorzukommen? Alleine sein... daran hatte er sich gewöhnt, er kannte ja nichts anderes. Aber auf einmal eine Familie...? Noch dazu Reitas... Dessen Eltern wohl all das waren, was er sich immer gewünscht hatte. "Natürlich ist das mein Ernst! Und dass mit deinen Eltern... die werden wahrscheinlich noch nicht einmal bemerken, dass du nicht mehr da bist. Die haben sich nie um dich gekümmert, du erwartest doch wohl nicht, dass sie sich plötzlich um 180° drehen und es auf einmal doch tun?" Reita würde nicht eher klein bei geben, bis er Uruha bei sich zu Hause unter den Fittichen seiner Mutter sicher wusste. "Nein... das erwarte ich nicht..." kam es nur kleinlaut von Uruha. Die Hoffnung hatte er schon lange aufgegeben. Er war immer wieder überrascht, wenn er seine Eltern wegen finanziellen Dingen anrief und sie dann tatsächlich noch seinen Namen wussten. Bei seiner Mutter war er sich dessen sicher, von seinem Vater konnte er das allerdings nicht sagen. Insgeheim fragte er sich auch, ob sich seine Eltern überhaupt noch kannten, so oft wie sie sich sahen - nämlich gar nicht. Es interessierte ihn sehr, wie und ob solche Leute, wie es seine Eltern waren, dazu im Stande waren innermenschliche Beziehungen zu knüpfen, miteinander zu schlafen und Kinder auf die Welt zu bringen. Es interessierte ihn brennend, ob er das einzige Kind auf dieser gottverdammten Welt war, das solchen Umständen entsprang. Er hoffte es jedoch stark. Was wäre also der Unterschied, wenn er jetzt mit Reita mitgehen würde? Ob er hier alleine unter Fremden war, oder bei Fremden, die er mit der Zeit kennen lernen würde, machte doch keinen Unterschied mehr? Und Reita... was wäre dann mit Reita? Er war immer noch in ihn verliebt und der andere wusste nichts davon. Er würde ihn dann jeden Tag den ganzen Tag sehen. Vielleicht... ja, vielleicht würde dieses Gefühl in ihm dann endlich abflauen. Reita, ihn so zu haben wie er jetzt war - als Freund - so wollte er ihn auch behalten. Alles andere war unnötig und kompliziert. "A-Aber ich kann doch nicht...?" "Natürlich kannst du!!! Du musst einfach nur deine Sachen packen und mit zu mir kommen! Ganz einfach! Und am Besten sofort!" Reita setzte sich mit Schwung im Bett auf und wartete auf das Einverständnis von Uruha, um mit einer Packaktion zu beginnen. "... Deine Eltern...?" brachte dieser nur stotternd hervor, immer noch auf seinen Armen abgestützt auf dem Bauch liegend und starrte Reita perplex an. "Ich hab doch schon gesagt, dass sie sich freuen würden! Du musst nur noch ,Ja' sagen!" drängte ihn Reita weiter. Sollte er wirklich...? In seinem Inneren tobte ein Chaos. Er würde Reita am Liebsten um den Hals fallen und ihm sagen wie glücklich er doch wäre, wenn er jetzt endlich so etwas wie eine Familie hätte. Aber seine Gedanken waren von Zweifeln geplagt. Er konnte doch nicht einfach Hals über Kopf von zu Hause abhauen und bei Reita unterkommen! Reita malte sich das alles viel zu einfach aus. "Ich mach dir einen Vorschlag: Wir schlafen jetzt noch eine Runde und denken darüber nach, dann gehen wir zu mir nach Hause, du siehst es dir alles an und dann kannst du immer noch darüber entscheiden! Hört sich das besser an?" kam Reita Uruha lächelnd entgegen, als er dessen fragenden und zweifelnden Blick bemerkt hatte. Und gegen diesen Vorschlag gab es nun wirklich nichts einzuwenden, dachte er sich. "Das hört sich viel besser an!" lächelte Uruha erleichtert, dass er diese Entscheidung auf später verschieben konnte und sie nicht jetzt, in seinem Halbdelirium fällen musste, zurück. Reita ließ sich wieder in die weichen Kissen sinken und hob die Decke etwas an, damit Uruha zurück in seine alte Schlafposition rutschen konnte, was dieser auch umgehend tat. Auch wenn er Reita nur als guten Freund behalten wollte, so wollte er sich dieses warme Gefühl in seiner Magengegend, sobald er ihm so nah wie jetzt war, genießen. +++ AN: Ihr würdet mir mit 100%iger Sicherheit den Kopf abreißen, wenn das schon das Ende wäre, nicht? XD Oder wollt ihr wirklich nicht, dass es mit den zweien weitergeht? oo Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)