Kreaturen der Nacht von Hoellenhund (Kurzgeschichten) ================================================================================ Der stumme Blick ---------------- Sein Blick ruhte auf ihr. Sie Stand an der Klippe und spähte in die Tiefe, wo die Wellen unter lautem Getöse über den Felsen zusammenschlugen. Eine seltsame Ruhe schien von diesem Anblick auszugehen, eine süße Gewissheit, die sie übermannte. Und während sie weiter in die Tiefe spähte, lächelte sie. Wie lange hatte sie wohl zuvor nicht mehr gelächelt? Sein Blick ruhte auf ihr. Der beißende Wind schlug hart gegen ihre nackten Arme und ließ ihr Nachtkleid wie das Laken eines Geistes um ihren Körper flattern. Wieso war das Meer nur so tief und klar, so unendlich, so allwissend? Und wieso war sie so klein, so unbedeutend. Ein weißer Punkt in der anbrechenden Morgendämmerung, ein Nichts zwischen Sonne, Mond, Felsen und Meer. Sie wollte Eins mit ihnen werden, sich ihnen völlig hingeben. Und während dieser Gedanke zum ersten Mal klar in ihrem Kopf aufflammte, wurde ihr ganz leicht ums Herz. Sein Blick ruhte auf ihr. Sie tat einen Schritt nach vorn, kleine Steine bohrten sich in ihre nackten Fußsohlen, doch sie spürte es kaum. Alles schien so leicht, so leicht wie seit Jahren nicht mehr. Und dieses Gefühl vermittelte ihr die Gewissheit, das Richtige zu tun. Noch ein Schritt. Noch einer – Sie verlor den Boden unter den Füßen. Kein Schrei entrang sich ihrer Kehle, während sie in die Tiefe stürzte, sie blieb stumm, wie sie schon immer gewesen war. Das Schweigen, das doch so vielen Menschen verborgen geblieben war, nahm sie mit in den Tod. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, als Blut sich mit Wasser mischte. 'Was für eine Verschwendung', fuhr es ihm durch den Kopf und Schwermut legte sich über sein Herz. Er fragte sich, was geschehen wäre, hätte er das Schweigen gebrochen, wäre er zu ihr getreten und hätte ihr die Hand gereicht. Nein, er hätte das Schweigen nicht brechen können, denn vielleicht hätte sie sich zu ihm umgewandt und ihn angelächelt, sich in seine Arme sinken lassen und an seine Brust geschmiegt. Denn dann hätten er sein Herz an sie verloren. Und das war es, was er am meisten fürchtete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)