Rosewood Manor von winterspross (Sallust Inc. Teil Drei) ================================================================================ Kapitel 3: 03 ------------- 03: Ich sitze am Schreibtisch in der Säulenhalle und frühstücke. C. liegt auf meinem Bett und liest die Zeitung. Wir schweigen. Ab und zu raschelt es, wenn er umblättert, ansonsten ist es vollkommen still. Es läutet an der Türe. Das Geräusch der Glocke stört mich, es dröhnt durch die Halle. „Ich gehe.“ C. springt auf, die Zeitung fällt auf den Boden. Ich esse weiter. Wahrscheinlich ist es wieder der Bote der Sallust Inc., der uns einen neuen Fall im Namen der Polizei vorbeibringt. Es ist immer derselbe Bote, seit wir eingezogen sind. Ich weiß gar nicht, ob er schon jemals mehr als eine Woche weg war. Hat er nie frei? Darüber nachsinnierend schiebe ich mir einen weiteren Löffel Müsli in den Mund und kaue bedächtig darauf herum. Es schmeckt scheußlich. C. taucht wieder auf; er trägt ein unauffällig verpacktes, aber überraschend großes Paket unserer Auftraggeber. Normalerweise sind es nur winzige Päckchen, manchmal auch Briefe, die ich bekomme. „Das riecht grauenhaft“, stelle ich fest, als der süßliche Geruch, der von dem Ding ausgeht, auch zu mir herüberzieht. C. grinst, ihm macht Gestank kaum etwas aus. Es liegt vielleicht daran, dass er in seiner Kindheit am Meer auf einem Fischerboot gelebt hat. Langsam erhebe ich mich. Das Essen ist mir vergangen. C. beäugt das Päckchen misstrauisch. „Das ist viel zu groß. In dem Paket kann man ja eine halbe Leiche transportieren.“ Innerlich gebe ich ihm Recht. Mittlerweile sollten meine Auftraggeber allerdings wissen, dass ich nicht mehr als eine winzige Probe menschlicher Zellen brauche, um eine Seele zu rufen. Langsam beginne ich zu bemerken, dass sich etwas im Raum befindet, das zuvor noch nicht da war. Unwillig schüttle ich den Kopf und das Gefühl verschwindet. Ungeduldige Seele. Kannst du nicht warten, bis ich mich ganz alleine dir widme? Ich werde dir dann natürlich zuhören. „Mach es auf“, murmle ich C. zu und er gehorcht sofort, nimmt sich das Brotmesser vom Schreibtisch und zerschneidet den Karton. Der Geruch wird stärker, zu stark. Ich taumle nach hinten und würge. „Interessant.“ C. greift ohne zu zögern in das Paket und zieht etwas Schleimiges, Stinkendes heraus. Ich wende mich ab und muss wieder gegen die Übelkeit ankämpfen. Trotzdem zwinge ich mich hinzusehen. Vier leere Augenhöhlen scheinen mich anzustarren. „Was ist das?“, stöhne ich entsetzt. Ich bin zwar einiges gewöhnt, aber auf diesen Anblick war ich so kurz nach dem Aufstehen einfach nicht vorbereitet. C. räuspert sich, faltet das den Proben beigelegte Blatt Papier auseinander und beginnt zu lesen. „Das sind Sunday und Monday, vierzehn Jahre alt, Zwillinge. Sie haben sich gegenseitig umgebracht, eine Überdosis Schlafäpfel scheint die Ursache gewesen zu sein. Das Einzige, was man von ihnen gefunden hat, waren ihre Köpfe, zumindest steht das da. Du sollst herausfinden, wer ihnen die Drogen gegeben hat und ihre Körper verschwinden ließ.“ Er sieht mich an. „Was soll ich mit den Köpfen machen?“ „Um Gottes willen, leg sie zurück in die Schachtel!“ Das Geräusch der aufklatschenden faulenden Masse auf den Karton wird mich noch lange verfolgen. Was hat die beiden dazu gebracht, sich ineinander zu verbeißen, sich gegenseitig vor Schmerzen aufzufressen? Und wer von den beiden hat vorhin versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen? War es Sunday, der Junge, oder Monday, das Mädchen? Ich wimmere. Die Schachtel hat C. in eine der vielen unbenutzten Räume getragen und gut mit Klebeband verschlossen, damit die Ratten das Fleisch nicht von den Knochen nagen. Morgen werde ich mich mit dieser Sache beschäftigen. Jetzt muss ich versuchen zu schlafen, dringend. Ich bin so schrecklich müde… „Kannst du bitte in meiner Nähe bleiben?“, bitte ich meinen Gefährten. Er nickt und lächelt. Kaum habe ich die Augen geschlossen, befinde ich mich in der Gesellschaft von Monday, die einen Monolog führt. Ich weiß einfach, dass sie es ist und doch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch träume. Zu surreal erscheint es mir, hier mit ihr zu sitzen. Wo ist eigentlich hier? „Ein Lebewesen lebt, das sagt sein Name aus. Das Leben zeichnet sich durch eine komplexe Kette von Stoffwechseln und Zellteilungen aus. Ist der Körper nicht mehr in der Lage, diese Kette aufrecht zu erhalten, dann ist es aus. Dieser Übergang vom Leben zum Tod wird als Sterben bezeichnet, aber genauer gesagt ist Sterben schlicht und einfach ein Versagen des Körpers.“ Monday sieht auf den Boden. „Die Philosophen aber sagen, dass sich Leben durch ein Bewusstsein, eine Psyche auszeichnet. Was ist Psyche? Heißt Psyche, heißt Bewusstsein, Seele, dass man denkt und fühlt oder ist der Geist eines Menschen etwas Stoffliches, das sich messen lässt? Ich denke, also bin ich. Bin ich nun tot oder lebe ich? Ich fühle, ich empfinde. Die Philosophen und die Mediziner streiten.“ „Ich bin mir ganz sicher, dass du tot bist“, bemerke ich. Sie scheint es nicht zu hören. „Ich bin ganz sicher nicht tot. Eine alte Redewendung sagt, dass man erst dann aufhört zu existieren, wenn sich niemand auf der Erde mehr an einen erinnert. Aber du erinnerst dich an mich, nein, du kennst mich und weißt, dass es mich einmal wirklich gegeben hat. Solange du lebst, werde ich auch leben.“ Zum ersten Mal sieht sie mich an. Blonde, dünne Locken hängen ihr ins Gesicht, die Augen sind groß und noch sehr kindlich. Sie blickt an mir vorbei ins Dunkel. Wütend zieht sie die Augenbrauen nach oben. „Hör auf, mich anzustarren“, knurrt sie in verändertem Tonfall. „Du weißt genau, dass ich das nicht mag.“ Ich schlage die Augen auf und schnappe nach Luft. Irgendetwas scheint auf meiner Brust zu sitzen, ein Inkubus vielleicht, der mich zum Röcheln bringt. Kalt ist es in meiner Halle geworden. Zu lange bin ich schon hier. Ich weiß, dass das nicht von außen kommt, nein, eine der Seelen, die hier ihr Unwesen treibt, quält mich. Da ist schon C. neben mir und packt mich an den Schultern. Er zieht mich hoch in seine Arme und redet beruhigend auf mich ein. Das Gefühl des Erstickens verschwindet. Seelen mögen keine Störenfriede wie C., die sie nicht wirklich sehen können und deshalb auch nicht so ganz an ihre Existenz glauben. Wer mich da wohl angegriffen hat? Ich habe da jemanden im Verdacht. ** Der Rosengarten ist mein ganzer Stolz. Die Nachbarn fürchten mich und die Blumen, die C. nach unserem letzten Besuch hier nur noch Doktorrosen nennt. Lebe ich in den Augen meiner Mitmenschen eigentlich oder bin ich für sie nur ein seltsamer Sonderling, an den sie in ihren gepflegten Häusern keine Sekunde ihrer Gedanken verschwenden? Heute ist der Himmel grau, bald wird es regnen. Bis dahin muss ich noch das Ungeziefer vernichten, das sich auf einigen der Stöcke breitgemacht hat. Irgendwann sollte ich auch noch versuchen, Monday zu rufen. Ich könnte theoretisch jederzeit damit anfangen, ich habe mir ein Haar von ihr bringen lassen, das ich jetzt in einer kleinen Glasröhre in meiner Manteltasche herumtrage. Aber jetzt zurück zu den Rosen. Gedankenversunken greife ich nach dem Gift, als ich ein Mädchen im Gras entdecke. Es begrüßt mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich erkenne die junge Frau kaum wieder, aber es ist tatsächlich Monday, die sich da vor mir manifestiert hat. Selten zeigen sich die Toten freiwillig in dieser Welt, doch sie wagt es. Warum nur? Ich kann nur mutmaßen. „Du bist mutig“, murmle ich und beschließe insgeheim, sie nicht weiter zu beachten. Es ist vielleicht das Klügste, so zu handeln, ich sollte ihr nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken. Wer weiß, was passiert, wenn sie merkt, wie sehr sie mich interessiert. Monday ist nicht nur intelligent, sie ist auch in Gefahr und nicht nur sie, nein, auch ich. Warum ich mir da so sicher bin? Nun, sie ist nicht alleine hierher nach Rosewood Manor gekommen. Sunday hat sich mir noch nicht wirklich gezeigt, und genau das macht mich so unruhig. Er ist gefährlich, weil ich es für ihn bin. Zwillinge verbindet ein starkes Band, das mit nichts auf der Welt vergleichbar ist. Ich kann nur vermuten, wie es sich für Sunday anfühlen muss, dass seine Schwester sich so sehr anstrengt, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Sicher ist er eifersüchtig. Dieses Gefühl ist wie Gift, eine Empfindung, die zerstören und zerfressen kann. Ich will nicht das Ziel eines solchen Angriffs werden. „Du sollst mit mir reden!“ Monday erhebt sich und kommt auf mich zu. Interessiert stelle ich fest, dass das Gras unter ihren Füßen nicht einmal zittert. Ich drehe mich um und besprühe die verlausten Rosen mit dem Gift, tue so, als ob ich sie nicht hören würde. Vorsichtig zupfe ich ein verwelktes Blatt ab und lasse es fallen. „Ich darf nicht“, flüstere ich und hoffe, dass der andere mich nicht hört. „Ob du darfst oder nicht, das hat er nicht zu bestimmen. Ich bin ich und ich kann für mich selbst entscheiden, weil ich ein Individuum bin. Mein Geist, meine Seele, mein Astralleib oder wie du das, was du siehst, sonst nennen willst, gehört nur mir und ist alles, was ich habe. Er hat darüber nicht zu bestimmen, hörst du?“ „Ja, ich höre.“ „Dann sieh mich an und sprich mit mir. Du kannst mich sehen, deshalb will ich, dass du mir das auch zeigst. Im Traum habe ich mit dir gesprochen und es war sehr… interessant. Ich habe selten Menschen wie dich getroffen, als mein Körper noch heil war.“ Sie senkt den Blick und reibt sich über die Nase. „Damals… Dabei ist es noch gar nicht so lange her.“ Langsam stelle ich die Giftspritze auf den Boden, versuche aber immer noch beschäftigt zu wirken. „Damals kann noch nicht länger als eine Woche vorbei sein“, bemerke ich leise und beuge mich über eine der weißen Rosen, um daran zu riechen. „Was ist schon eine Woche? Die Ewigkeit erwartet mich, nicht wahr? Ich hoffe, dass ich in den Himmel komme, oder in das Paradies oder in das ewige Nichts. Ich will nicht in das Höllenfeuer gehen, denn dort, nehme ich an, würde es mir ganz und gar nicht gefallen.“ Bei dieser Bemerkung muss ich lachen. „Da hast du wohl Recht. So schön dürfte es dort nicht sein, wo dich Tag und Nacht Höllenqualen erwarten.“ „Irgendwann habe ich eine Geschichte gelesen. Ein Mann ist in die Hölle gekommen und hat schrecklich in den heißen Flammen gelitten. Es war so furchtbar, dass er geglaubt hat, er könnte es niemals ertragen, aber dann hat er sich an die Hitze gewöhnt und sie sogar als angenehm empfunden. Als er sich das erste Mal umsehen konnte und festgestellt hat, dass es ihm dort gar nicht so schlecht gefällt, haben die Teufel das Höllenfeuer abgestellt und es wurde plötzlich unendlich kalt.“ Sie seufzt. „So muss die Hölle sein. Grausam und unberechenbar. In unserem Haus war es auch so entsetzlich kalt, damals. Natürlich könnte das auch deshalb gewesen sein, weil mein Körper da gestorben ist – in wie vielen Filmen jammern Sterbende, dass sie frieren? Ich habe immer gedacht, das sei ein Mythos.“ „Doktor? Bist du da?“ Ich zucke zusammen, als Monday verschwindet und es ganz so wirkt, als wäre sie niemals hier gewesen. C. bahnt sich einen Weg durch die Büsche, die die Beete umschließen. Aufgeregt kommt er auf mich zu. „Es gibt ein Problem, fürchte ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)