Luciana Bradley und der Orden des Phönix von Picadelly ================================================================================ Kapitel 31: Doch kein Disneymärchen ----------------------------------- Doch kein Disneymärchen   Erst drei Tage später, an einem Sonntag, veröffentlichte der Tagesprophet in der Sonntagspropheten Ausgabe (herrlich, wie viele Parallelen dieses Käseblatt doch zu diesem gewissen Gegenstück in der Muggelwelt hatte) die Rückkehr des Schwarzen Führers mit einem Exklusiv-Interview des Zaubereiministers Fudge. Luciana saß mit aufgeschlagener Zeitung am Frühstückstisch, mit dem festen Vorsatz, den Artikel vor ihrer Nase gründlich zu studieren. Wenn sie in Zukunft aktiv an den Ordenssitzungen und vor allem den Diskussionen, die dort geführt wurden, mitmischen wollte, musste sie ihr Wissen um die Geschehnisse der Zauberwelt und vor allem deren Politik, von Grund an aufbauen. Und nein, dabei hatte sie selbstverständlich nicht im Hinterkopf, einem gewissen Professor zu beweisen, dass sie nicht so unterbelichtet war, wie er es ihr oftmals Glauben machen wollte, sicher nicht. Super, und schon wieder war sie raus.      Luciana knallte mit einem genervten Seufzer den Sonntagspropheten auf den Tisch, nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Tasse Kaffee und schaute hinauf zum Lehrertisch, an dem sie sich diese, vor nicht einmal fünf Minuten, abgeholt hatte. Da saß er, verwickelt in einem anscheinend derart wichtigen Gespräch mit dem Schulleiter (Dumbledore, der sofort nach den Ereignissen im Ministerium von höchster Stelle wieder auf seinen Posten gesetzt worden war), dass er sie gerade eben nicht eines einzigen Blickes gewürdigt hatte. Unter den gegebenen Umständen wäre sie beinahe so weit sagen zu können, die kleine Bettgeschichte von Freitagnacht sei nichts weiter als ihrer blühenden, übergeschnappten Fantasie entsprungen, pure Einbildung oder besonders lebhafte Tagträumerei - wäre da nicht die seltsame Post vom gestrigen Morgen gewesen.         Eine der gewöhnlichen Schleiereulen der Schule hatte ihr am Samstag in der Früh ein kleines Päckchen gebracht, eingewickelt in Papier – der Inhalt: ein Fläschchen Abiectum Purgamentum, einer der gängigsten Post-Begattungs-Tränke der Zauberwelt, der sehr zuverlässig war, wenn es darum ging, erst gar keinen Braten in der Röhre entstehen zu lassen.      Auch wenn kein Brief oder eine kurze Nachricht beigelegt worden war, konnte dieser selbstverständlich nur einen, sehr bestimmten, Absender haben. Luciana hatte den Trank samt einer kurzen Nachricht (‚Danke, aber ich nehme die Pille.‘) postwendend zurück an Snape gesandt.      Im Nachhinein konnte dies nur bedeuteten, dass auch er seine ach so kostbaren Gedanken an ihr gemeinsames Schäferstündchen verschwendet hatte, wenn auch nur im Punkto ‚Wie komme ich aus der Sache möglichst unbeschadet heraus und entgehe jeglicher Möglichkeit Konsequenzen tragen zu müssen, mich länger mit dem Weibsbild rumzuschlagen, oder, im schlimmsten Fall, mein Leben lang Unterhalt zu blechen und wegen Verführung von Schutzbefohlenen vom Schulgelände verbannt zu werden‘… auf der anderen Seite konnte sie sicher froh sein, ihre Erinnerungen nicht manipuliert zu wissen – immerhin hätte sie Snape, ohne mit der Wimper zu zucken, zugetraut, dass er sie auf dem Weg zum Myrte-Klo oder direkt im Nebengang des Gryffindor-Gemeinschaftsraums in die nächste dunkle Ecke gezerrt hätte, um sie dann auf irgendeine Art und Weise mundtot zu machen. Aber was noch nicht war, konnte ja noch kommen.      Oh Fuck!      Genau in diesem Moment schaute Snape zu ihr hinüber, ein kurzer Blick in ihre Augen, bevor er sich, mindestens genauso schnell wie sie selbst, wieder einem anderen Fixpunkt zuwandte. Super, der dachte wahrscheinlich eh, sie würde diesem ganzen Desaster mehr Bedeutung beimessen als das, was es gewesen war. Da machte sie es mit ständigen beim Snape-Starren erwischt werden auch nicht besser.      Luciana faltete den Sonntagspropheten zusammen (mit dem Kerl in einem Raum, wie groß er auch sein mochte, würde sie sich niemals vernünftig konzentrieren können – oh ja, das würde in den zukünftigen Tränkestunden lustig werden. War ja nicht so, dass sie ohnehin schon immer ‚etwas‘ abgelenkt in seinem Unterricht gewesen war), klemmte sich diesen unter ihren Arm, nahm den letzten Schluck Kaffee und verließ die Große Halle.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*        „ … Andauernd behauptet er, Umbridge sei das Beste, was Hogwarts je passiert sei …“      „Wer behauptet das?“, fragte Luciana.      Nachdem sie eine Weile bei Myrte auf der Mädchentoilette verbracht hatte, war sie auf die Idee gekommen den DA Mitgliedern, die mit im Ministerium gewesen waren und ein paar nachhaltige Schäden davongetragen hatten, im Krankenflügel zu besuchen. Potter, Luna, Ginevra und Longbottom saßen verteilt auf den Betten von Ronald und Granger.      „Filch“, antwortete Ginevra und sah dabei wenig begeistert aus, sie zu sehen.      Wenigstens machten Longbottom und Potter einen freudigen Eindruck – das Lächeln von Granger schien zu gekünstelt und Luna … ja, deren Nase war, wie üblich, in einer Klitterer Ausgabe vergraben.      „Ah – na ja, wo das jetzt nichts mehr gibt mit der Auspeitsch-Genehmigung … der Junge sollte ernsthaft mal anderswo seine Fetische ausleben.“ Die letzten Worte sprach Luciana im Flüsterton, mehr zu sich selbst und nahm dabei auf der freien Seite von Ronalds Bett Platz. „Sagt mal, was ist eigentlich aus Umbridge geworden? Ich hab nur gehört, dass ihr beiden“, damit schaute sie zu Potter und Granger, „mit ihr im Verbotenen Wald wart und sie dort von Zentauren verschleppt wurde, richtig?“      Granger setzte ihren gewohnten, misstrauischen Blick auf, wohl in Gedanken bei der Frage, wie Luciana an diese Information hatte kommen können, doch Potter sprudelte einfach drauf los:      „Das ist alles schon sehr komisch. Ich habe gehört, Dumbledore sei in den Wald gegangen, um sie wieder zurückzuholen, aber die Zentauren behaupten, sie hätten Umbridge nicht mehr.“      „Ja, hier, auf Seite zwei!“ Ginevra nahm ungefragt den Sonntagspropheten von Grangers Schoß, schlug die genannte Seite auf und reichte Luciana die Zeitung.   EHEMALIGE SCHULLEITERIN VON HOGWARTS VERSCHOLLEN   Freitag – Hogwarts. Seit der Nacht von Freitag auf Samstag ist die Ministeriumsmitarbeiterin Dolores Jane Umbridge, in Ausübung ihrer Schulleitertätigkeiten, spurlos verschwunden. Laut Aussage von Albus Dumbledore, wieder eingesetzter Leiter der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, wieder eingesetztes Mitglied der Internationalen Zauberervereinigung und wieder eingesetzter Großmeister des Zaubergamots, wurde Dolores Umbridge das letzte Mal von einigen Schülern gesichtet. Augenberichten zufolge betrat diese am Freitagabend, aus bisher ungeklärten Gründen, den Verbotenen Wald, welcher am Schlossgelände angrenzt und kehrte nicht wieder zurück. Selbst die Anstrengungen von Albus Dumbledore oder denen der Patrouille der Aurorenzentrale, brachten bis heute keine Antworten. In einer Stellungnahme des Aurors Kingsley Shacklebolt wurde deutlich, dass in das durch Schutzzauber sorgfältig verschlossene Büro der Vermissten gewaltsam eingebrochen wurde.      „Wir haben Spuren der Zerstörung und Reste von metallenen Geschossen an der Tür zu Dolores Umbridges Büro sichergestellt, worum es sich dabei genau handelt, kann unsere Abteilung erst nach genaueren Untersuchungen sagen.“   Luciana hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, woher die ‚metallenen Geschosse‘ stammten. In der nächsten Ordenssitzung würde sie dies Shacklebolt mitteilen, ansonsten könnte sie mit dem Verschwinden von ES in Verbindung gebracht werden und das konnte sie nun wirklich nicht noch zusätzlich gebrauchen. Auf der anderen Seite, wie sollten die schon herausbekommen, dass sie in ihrem Büro gewesen war? So etwas wie Fingerabdrücke gab es in der Zauberwelt sicherlich nicht – oder hatten sich die Funzeln vielleicht noch Effektiveres ausgedacht? Ja, sie sollte wirklich ein Wort mit dem Auror wechseln.      „Mh, meint ihr, die Zentauren haben Sie … erledigt?“, fragte Luciana in die Runde und gab Granger die Zeitung wieder.      „Möglich wäre das“, antwortete Granger mit ihrem Blick auf Potter gerichtet. „Sie schienen ziemlich sauer über das, was sie zu ihnen gesagt hat und sie hat die Zentauren beleidigt. Aber Dumbledore hätte das doch sicher herausbekommen müssen.“      Ginevra und Longbottom nickten.      „Ja, aber im Verboten Wald gibt es viel Schlimmeres, nicht nur Zentauren!“, sagte Ronald und setzte sich in seinem Bett auf.      „Stimmt“, pflichtete Ginevra ihrem Bruder bei. „Nicht gezähmte Hippogreife, habe ich gehört, Trolle und sogar Werwölfe soll es da geben.“      „Und – Spinnen! Hunderte und Tausende von Spinnen, riesengroß wie ganze Häuser und gefährlicher als alles andere Zeugs da drin!“ Ronald machte alleine schon bei dem Gedanken seiner Erzählung ein Gesicht, als würden ihm jeden Moment Herpesblasen an der Lippe sprießen.      „Kay … na ich würd ja sagen nicht mal Umbridge hätte so einen Tod verdient, aber irgendwie – gefällt mir der Gedanke trotzdem“, sagte Luciana mit einem leicht bösartigen Grinsen, wechselte dann schnell das Thema. „Und Rona- Ron, wie geht’s deinen Armen?“      Ronald war es in der Mysteriumsabteilung des Ministeriums irgendwie gelungen, in einen Schwarm fliegender Gehirne zu geraten, die ihn attackiert hatten. Worum genau es sich bei diesen Gehirnen gehandelt hatte, war ihr nicht bekannt und ihr wiederstrebte es ebenso, danach zu fragen.      „Schon viel besser,“ Ronald streckte demonstrativ beide Arme aus – zum Vorschein kamen gut sichtbare, rote Striemen, die aussahen, wie von einem heißen Stück Drahtschnur eingebrannt. „Madam Pomfrey tut da ne Menge Salbe drauf, meinte zwar, es würde noch ein paar Tage dauern, aber das würde sich schon geben.“      Granger hingegen hatte einen non-verbalen Fluch eines Todessers abbekommen, der so nachhaltig war, dass diese über den Tag verteilt eine Vielzahl verschiedenster Tränke einnehmen musste, um wieder vollständig zu genesen. Selbstverständlich konnte dies ihren Wissensdurst und ihr Mitteilungsbedürfnis in keiner Weise eindämmen.      „Sag mal Luciana“, begann Granger in diesem übertriebenen, unauffälligen Tonfall, „Harry hat erzählt du seist auch im Ministerium gewesen?“      Daraufhin waren alle Augenpaare auf sie gerichtet, selbst Luna nahm für einen Moment den Klitterer herunter und starrte sie an (wenn ihr Blick auch trotzdem recht desinteressiert wirkte).      „Eh, ja, könnte man so sagen“, nein, das schien ihre Neugierde nicht befriedigt zu haben. „Ich hab mitbekommen, dass du dachtest Black sei in Gefahr“, Potter senkte seinen Kopf – anscheinend machte er sich noch immer Vorwürfe wegen seines überstürzten Handelns – ganz unbegründet war dies nicht, immerhin hätte Black die ganze Aktion fast ins Grab gebracht, oder besser gesagt, in eine künstlich geschaffene Magier-Vorhölle, „also hab ich versucht den Or-„ Oha, da hätte sie sich fast verplappert. Granger, Potter, Ginevra und Ronald wussten vom Orden, ja, aber Luciana hatte keinerlei Ahnung wie das bei den restlichen Anwesenden ausschaute, „die Lehrer zu informieren, damit jemand mit Dumbledore Kontakt aufnehmen würde. Ich habe ne ganze Weile gesucht, aber niemanden gefunden und da hatte ich es … für eine gute Idee gehalten, per Kamin von Umbridge im Ministerium vorbeizuschauen… na ja, zu meiner Verteidigung, zu dem Zeitpunkt war ich nicht mehr allzu nüchtern,“ Granger zog pikiert beide Brauen in die Höhe. „Und grad, als ich im Ministeriumskamin angekommen war, stand da schon ne Gruppe Todesser.“      „Ja und dann?“, hakte Longbottom nach, als Luciana nicht weiter erzählte.      „Die haben mich … kampfunfähig gemacht und sind weiter gezogen, ich denk mal Richtung Mysteriumsabteilung, wo ihr gewesen seid. Dann ging alles ein wenig drunter und drüber, letztendlich ist Voldemort an uns vorbeigelaufen und wir haben uns im Brunnen versteckt, danach auf die Apparierplattform und … ja weg halt.“      „Moment mal“, sagte Potter. „Wir? Ich dachte dein Pate und die anderen beiden wären bei uns unten gewesen?“      „Jaja, aber Snape und ich-„      „SNAPE?“ Schrien ihr alle, ausgenommen Luna, entgegen (die sich schon wieder hinter ihrem Magazin vergraben hatte) – oh, dass Snape auch im Ministerium gewesen war, schien zumindest bei den sechs unbekannt gewesen zu sein … bis jetzt jedenfalls. Na bravo, wie sollte sie aus der Nummer wieder herauskommen? Moment, wieso sollte sie überhaupt wieder herauskommen? Bisher hatte niemand von ihr verlangt, sie möge diese Tatsache nicht weiter erzählen, also hatte sie theoretisch gar keinen Bockmist verzapft. Ja, kam ihr in den Sinn, und es hat auch niemand von dir verlangt, den Mund in Punkto Sex-mit-dem-Tränkemeister zu halten – wolltest das jetzt auch austratschen? Nein, wohl eher nicht – außerdem würde ihr das hier keiner abkaufen. Höchstens Longbottom. Egal, weiter im Text.      „Joa … der hat mich da rausgeholt, immerhin hatten die Todesser das Flohpulver verschwinden lassen und außerdem war ich nicht unbedingt in der besten – naja, ist jedenfalls nochmal alles gut gegangen.“      Für eine ganze Weile herrschte Schweigen im Krankenflügel.      „Ich verstehe nicht ganz“, sagte Granger dann, „wie kann … ich meine, warum war er dort?“      Luciana zuckte mit den Schultern.      „Ich habe keine Ahnung. Er war …“ Wie sollte sie jetzt weiter erzählen, ohne vor allen Snapes Doppel-Spion-Rolle Preis zu geben? Granger, Ronald, Ginevra und Potter mussten davon wissen, immerhin hatten sie Snape im Grimmauldplatz während der Ordenssitzungen gesehen, aber wie verhielt sich das mit Longbottom und Luna? Luciana schaute zwischen den beiden hin und her – Longbottom schien ungeduldig darauf zu warten, dass sie fortfuhr und bei ihm machte sie sich weniger Sorgen, als bei der Tochter eines äußerst fragwürdigen Schundmagazin-Herausgebers. Wer wusste schon, was in deren Kopf vorging und vor allem, was sie aus solch einer Information machen würde?      „Ihr wisst schon, ich kann nicht drüber reden“, schloss Luciana letztendlich.      „Er war mit den anderen Todessern da?“ Granger schien nicht locker lassen zu wollen. Und verneinen und bestätigen war immerhin kein Ausplaudern.      „Nicht direkt … sagen wir es so – er kam später, sah aber nicht so aus, als wolle er seine Steuerklärung nachreichen. Wenn ihr versteht, was ich meine.“      „Das ergibt keinen Sinn“, sagte Granger. „Da waren schon so viele Todesser und wieso sollte ihr-wisst-schon-wer gerade ihn schicken? Das Risiko aufzufliegen wäre viel zu groß.“      Luciana nickte.      „Ja, sicher. Ich weiß nicht – er muss ihn geschickt haben, ich meine … wieso sollte er sonst ins Ministerium gegangen sein?“   Diese Frage beschäftigte Luciana noch den gesamten Tag über. Bis zu den großen Ferien war es nicht mehr lange hin, der Sommer hatte vollen Einzug gehalten und beinahe alle Schüler tummelten sich an diesem unterrichtsfreien Tag auf dem äußeren Gelände der Schule herum. Während die einen auf dem Quidditch-Spielfeld mehr oder weniger erfolgreiche Flugversuche probten, lag oder saß der Großteil auf den Wiesen nahe dem See und genoss die arbeitsfreie Zeit. Die Temperaturen waren am Nachmittag so weit angestiegen, dass sie selbst eine Abkühlung im See vorgezogen hätte, wäre der an diesem Nachmittag nicht derart überfüllt gewesen. Beinahe wünschte sie sich den Winter wieder herbei, in dem das Wasser zwar schweinekalt, dafür aber mitschülerfrei gewesen war.      So verbrachte sie die Zeit bis zum Abend mit Innen-und Außenpoltik des Zaubereiministeriums Großbritanniens von Millicent Bagnold – und auch wenn dieser Lesestoff an Trockenheit kaum zu übertreffen war, dieses Buch würde ihr dabei behilflich sein, in den Ordenssitzungen künftig nicht mehr bei jedem zweiten Satz auf dem Schlauch zu stehen. Zudem hatte das Werk einen gewissen Unterhaltungswert, wenn auch sicherlich unbeabsichtigt und nur für in der nicht magischen Welt aufgewachsene Menschen komisch.      Erst als die Sonne fast am Horizont verschwunden war und die Stimmen und das Lachen ihrer Schulkameraden immer weiter abnahm, verstaute sie das Buch in ihrer Tasche und zog dafür ihre Badesachen heraus.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Die Luft war kühler geworden und ohne die pralle Sonne fror Luciana die ersten Minuten im See ganz besonders heftig. Mittlerweile war in der Ferne lediglich ein Rotschimmer von den letzten Sonnenstrahlen übrig und so sah sie die Gestalt, die an das Seeufer getreten war, erst, als sie schon halb aus dem Wasser gestiegen war.      „Sie brauchen sich heut nicht umdrehen, ich hab zur Abwechslung was an“, rief sie Snape entgegen, der sich ihr nun wieder zuwandte. An diesem Abend stand ihr nicht der Sinn danach, ihn wieder einmal in Verlegenheit oder sonst was zu bringen, daher lief sie direkt zu ihrem Kleidungsberg, ein paar Meter von Snape entfernt, kramte ihren Zauberstab hervor und wählte den Schnelltrockengang mit einem Schlenker plus gemurmelten „Abstergeo“. Eilig schlüpfte sie dann in ihre Jeans, zog sich ihr T-Shirt über den Kopf, schnappte sich ihre Tasche und trat darauf einem ungeduldig dreinschauenden Professor entgegen.      „Ihr neuer Gürtel, Miss Bradley.“ Damit streckte er ihr einen Gürtel entgegen, der ihrem alten bis in die kleinste Lederfalte glich – nur war dieser hier nicht kaputt.      „Danke, sehr freundlich von Ihnen, Sir.“ Man konnte es bei ihm ja mal mit der höflichen Schiene versuchen.      „Nun, nicht dass ich eine Wahl gehabt hätte“, erwiderte Snape knurrend, nachdem Luciana den Gürtel an sich genommen hatte. Nein, höflich brachte anscheinend gar nichts. Bevor sie sich auch nur im Ansatz eine Erwiderung hatte überlegen können, war er schon wieder auf dem Absatz umgedreht und in seinem üblichen Affenzahn-Tempo Richtung Schloss unterwegs. Sie musste laufen, um ihn einholen zu können.      „Sir“, setzte Luciana vollkommen außer Atem an, er drosselte sein Tempo nicht im Geringsten, im Gegenteil, „ich hatte mich gefragt … jetzt machen Sie doch nicht so schnell!“      Der Unterschied war kaum zu bemerken, aber ja, Snape rauschte nicht mehr ganz so rasant. Den Blick ließ er allerdings stur geradeaus gerichtet, seine Mimik spiegelte die pure Angepisstheit wieder.      „Ich wollte Sie fragen, warum Sie am Freitag im Ministerium waren.“      „Das geht Sie nichts an, Miss Bradley“, antwortete er knapp.      „Aber Sir, ich hatte mich einfach gefragt, weil es kommt mir komisch vor, dass Vol- der Schwarze Führer Sie als seinen Spion hinschickt – da die Gefahr doch viel zu groß war, dass Sie aufflie-„      „Es ist zudem nicht Ihre Aufgabe, herauszufinden was der Dunkle Lord denkt“, unterbrach er sie barsch und dieses Mal bekam sie sogar einen Blick – wenn auch keinen besonders freundlich gesinnten.      „Also das heißt er hat sie geschickt?“      Snape seufzte, kaum vernehmbar, aber er tat es. Einen Moment schien es, als ob er beschlossen hatte, ihr gar keine Antwort zu geben, dann sagte er: „Ja, Miss Bradley, hat er.“ Dabei klang seine Stimme eine Spur zu hart und – ob das jetzt weibliche Intuition oder ein, über die letzten Jahre sehr gut verstecktes, Hellseher-Gen war, sie wusste einfach, dass er log.      „Sie lügen ja!“, rief sie empört und hätte sich im selben Moment am liebsten ihre Zunge abgebissen.      Snape blieb abrupt stehen, zwang Luciana ebenfalls zum Halt, indem er ihren Oberarm ergriff und sie mit einem Ruck zu sich heranzog – sein Gesicht, wieder einmal in Wut verzerrt, kam weniger als eine Handbreite an ihres heran, seine Augen sprühten vor Zorn und seine Nasenflügel bebten.      „Sie nennen mich einen Lügner?“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Luciana hatte das Gefühl ihr Arm müsste jeden Moment abfallen, so sehr zerquetschte er ihn dabei.      „A-also praktisch gesehen habe ich gesagt, ‚Sie lügen‘, zweite Person Singular Verb, nicht Nomen.“      Es war kaum für möglich zu halten, aber er vollbrachte es trotzdem, seinen Griff noch eine Spur fester um ihren Arm zu drücken – machte der etwa Krafttraining?      „I-ich nehm’s ja zurück, er hat Sie geschickt, ist okay – würden Sie mich jetzt bitte loslassen? Sie tun mir weh!“      Mit dem Loslassen ließ er sich dieses Mal Zeit. In Luciana keimte das starke Gefühl auf, dass sie mit der Aussage, er sei ein Lügner, ein zwei Schritte zu weit gegangen war. Nun gut, das hatte sie schlecht riechen können, immerhin war diese heftige Reaktion nicht absehbar gewesen. Und gerade in diesem Moment kam ihr der Gedanke, er hätte gerade seine Hand lieber um ihren Hals gelegt, so angefressen sah er aus. Doch plötzlich veränderte sich seine Mimik, für einen Augenblick wurde sie regelrecht weich, seine Augen wichen ihren aus, er setzte zum Sprechen an und - ließ sie los, so schnell, wie er sie gepackt hatte. Dann lief er weiter, als sei nichts gewesen.      Luciana musste wiederholt einen Sprint einlegen, um ihn aufzuholen und langsam wurde ihr dieses Spielchen wirklich zu bunt. Die nächsten fünf Minuten verliefen vollkommen wortlos, immer wieder hatte sie das Gefühl, Snape wolle etwas sagen, tat es letztendlich aber doch nicht. Okay, diese Situation war relativ offensichtlich – wenn sie ihn nicht total falsch einschätzte, und davon ging sie nicht aus, wollte er auf irgendeine Art und Weise die Ereignisse der vorletzten Nacht ansprechen und bekam es einfach nicht auf die Kette. Höchst wahrscheinlich hatte er sich die letzten Tage hin und wieder den Kopf darüber zerbrochen, ob sie seinen ‚Fehltritt‘ herumposaunen, oder dicht halten würde. In diesem Sinne hatte sie nun zwei Möglichkeiten: Snape auf den heißen Kohlen sitzen und im Ungewissen lassen, bis er von selbst die Zähne auseinander bekam (was vermutlich geschah, wenn die Hölle unter die Null Grad-Marke sinken würde) oder in die Offensive gehen.      Der Gedanke, Snape auch nur ein kleines bisschen leiden zu lassen, sollte ihr eigentlich Genugtuung verschaffen; verdient hatte er es allemal. Doch Snape zu sehen, wie er genau in diesem Moment das vierte Mal seinen Mund geöffnet und wieder verschlossen hatte, war, warum auch immer, zu viel für sie.      Als sie an dem Haupttor des Schlosses angekommen waren (Luciana ziemlich aus der Puste, während Snape vermutlich noch dreimal, ohne Tempodrosslung, um das Schloss hätte hechten können), ergriff sie schließlich die Initiative.     „Sir, die Sache nach dem Ministerium, am Grimmauldplatz“, Snapes Hand verharrte am Schlossportal – er schluckte schwer und begutachtete dabei die Tür vor sich. „Das bleibt unter uns – ich werde keinen Ton sagen, zu niemandem.“      Wow, hatte er tatsächlich die Luft angehalten? Anscheinend, denn diese entwich ihm nach Lucianas Worten geräuschvoll. Ein fast schon zufriedener Ausdruck trat auf sein Gesicht (er sah sie noch immer nicht direkt an). Dann nickte er und verschwand ohne weitere Worte durch die Tür.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Luciana,   ich bin erfreut dir mitteilen zu können, dass ich es wider Erwartens schaffen werde, dich persönlich vom Kings Cross Bahnhof abzuholen.      Zudem hat das Zaubereiministerium, auf Dumbledores Befehl hin, die nötigen Schritte eingeleitet, um gegen Voldemort und seine Todesser vorgehen zu können. Trotz und alledem laufen die Verhandlungen mit dem derzeitigen Zaubereiminister zäh. Er weigert sich weiterhin Gesetzesänderungen für Halbmenschen vorzunehmen und somit wird sich die Zusammenarbeit der UOWV vorerst auf den Phönixorden beschränken.      In diesem Punkt habe ich eine sehr gute Nachricht für dich. Für die Zeit der Sommerferien habe ich dich von deinem Vermittlungsposten entheben können. Ein geeigneter Kandidat wird an deiner Stelle den Sitzungen beiwohnen, damit du die Ferien gänzlich ohne Schul- oder Ordensstress verleben kannst. Wir sehen uns morgen Nachmittag.   Mit freundlichem Gruß   G. Steinhardt        „Die Taschentücher liegen in der ersten Schublade rechts, Kleines.“      Der Tag der Abreise war angebrochen. Luciana saß in ihrem Zimmer, den Brief von ihrem Paten, den sie gestern versäumt hatte zu lesen, lag vor ihr ausgebreiten und nun wischte sie sich hastig mit der Hand über ihr Gesicht – und tatsächlich, ihre Augen waren nass geworden. Reagierte sie doch allergisch auf irgendwelche ominösen Mupf-Milben?      „Alles in Ordnung?“, hakte Roger mit besorgter Stimme nach und sie nickte.      „Ja, müssen irgendwelche Gräser sein, oder so.“      „Gräser. Aha. Interessante Bezeichnung für Nachrichten, die bedeuten, dass man eine – gewisse Person über Wochen, ach was sag ich da, Monate hinweg nicht sehen wird.“      „Hey, du sollst nicht immer meine Briefe lesen!“, fauchte Luciana und faltete das Papier hastig zusammen.      „Hast du wenigstens auf Wiedersehen sagen können?“      „Sei nicht albern, als ob ich einfach so in die Kerker spazieren und eine dramatische Abschiedsszene abziehen würde, das würd dir so passen.“      „Ja, das wäre eine willkommene Abwechslung zum tristen, ewig währenden Alltag“, sagte Roger und klang dabei übertrieben wehleidig. „Schau mal, wenn du dich jetzt hurtest, kannst du ihn vielleicht noch erwischen.“      „Roger“, knurrte Luciana warnend, „ich werd’s dir nicht nochmal sagen.“      „Jaja, Kindchen, ich weiß, es gibt natürlich überhaupt keinen Grund mit dieser Person auch nur ein Wort mehr zu wechseln, als unbedingt nötig, weil da ja rein gar nichts zwischen euch ist, was das mit sich bringen würde, vollkommen normales Schüler-Lehrer Verhältnis, ganz bestimmt.“      Mit einem Blick auf die Uhr und einem folgenden, schnellen zum Nachprüfen, sprang Luciana hastig auf, stopfte die letzten paar Socken und Unterwäsche, die noch immer wild verteilt auf dem Boden herumlagen, in ihren Koffer und versuchte dann mit aller Anstrengung den Reißverschluss zu zubekommen.      „Richtig“, mit beiden Knien auf dem Koffer und mit viel drücken und Quetschen versuchte sie es weiter, „du“, drück, „hast es“, quetsch, „erfasst. SCHEISSDING!!“      „Kleines, du hast einen Zauberstab. Nur so als kleinen Denkanstoß.“      Oh – ja … fast vergessen.      Mit einem Schlenker des praktischen Allzweckwerkzeugs schob sich der Inhalt des Koffers in die optimalste Form, so dass sie ohne weitere Schwierigkeiten mit Sack und Pack einen Augenblick später abreisebereit in ihrem Zimmer stand.      „Was sagst du, Kleines, soll ich dem Professor über Hildgren ausrichten lassen, er möge dir schreiben, oder-„      „UNTERSTEH DICH!“, schnauzte Luciana los und öffnete die Tür. „So, wir sehen uns dann in ein paar Wochen wieder.“      „Ja, in alter Frische.“      Sie war schon mit einem Fuß über die Türschwelle gegangen, als sie doch noch einmal kehrt machte und, so verrückt es für einen Außenstehenden auch aussehen mochte, dem Spiegel einen Kuss auf die Glasfläche drückte.      „Oh, Madame, Sie bringen mich in Verlegenheit!“   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Ihren Koffer stellte sie zu dem großen Gepäckberg der anderen Gryffindors, mitten im Gemeinschaftsraum (Lavender Brown hatte ihr dazu gesagt, die Hauselfen würden sich darum kümmern, wie schon zur Anreise) und befand mit einem Blick auf die Pendeluhr, beim Gang zu den Kutschen einen kleinen Abstecher in den zweiten Stock einlegen zu können.      Im Treppenhaus und auf den Gängen herrschte mittlerweile ein reges Treiben. Jeder Bewohner des Schlosses schien auf Achse zu sein, von den Schülern über zu den Bediensteten (Mr Filch, der offensichtlich wirklich in Trauerstimmung wegen dem Verschwinden von ES war, schlich mit hängenden Schultern an ihr vorbei, ohne jegliche Notiz von ihr zu nehmen, während ein kleiner Hauself seinen Kopf gegen eine Klassenzimmertür schlug und etwas von ‚Böser Hammy – darf-nicht-von-Schülern-gesehen-werden, böse‘ brabbelte) bis hin zu den Hausgeistern.      Nur das Klo der Maulenden Myrte lag so verlassen da wie eh und je, ausgenommen von – Der Geist des Ravenclawmädchens kam aus einer Kabine geschossen, mit unglaublich lautem, schluchzendem Getöse und, was noch viel beängstigender war, sie hatte die Arme ausgebreitet und flog in umarmender Geste auf Luciana zu.      „Ooooh, nein, Myrte, neinneinnein – uuuäääh!“      Ja, es war eine Sache aus Versehen durch einen Geist zu laufen, denn das alleine hinterließ ein Gefühl wie kurzzeitiges Ganz-Körper-Eintunkens in eine Mega-Schale kühlschrankkalten Wackelpuddings, aber von einem Geist umarmt zu werden, das war noch ein ganz anderes Kaliber.      Die Hälfte von dem, was Myrte jammernd und heulend von sich gab, konnte Luciana aus rein akustischen Gründen nicht verstehen, obwohl das Wesentliche kaum zu überhören war:      „… und du warst heut erst dreimal hiiieeer und dabei viel zu kuuuhuuurz“ Dramaturgische Heul-Einlage-Pause, „… bin ich ganz alleeeein und der Blutige Baron ist so gemeeeein zu mir … huuunderte von Wochen …“      „Na, jetzt übertreibst du’s aber!“      Luciana nahm ein paar Meter Sicherheitsabstand von dem Geist und ließ sich, nachdem sie den Schutzzauber aufgehoben hatte, auf dem Sessel am Ende des Raums nieder. Es brauchte eine halbe Zigarettenlänge, bis Myrte wieder halbwegs ansprechbar war.      „Das sind doch nur ein paar Wochen und dann bin ich wieder da – bis dahin kannst du doch ein wenig … an die frische Luft gehen?“      Nein, dieser Vorschlag schien es nur noch schlimmer zu machen. Es war aber auch äußerst kompliziert, einem Geist, der nichts anfassen oder das Schlossgelände verlassen konnte, Freizeitbeschäftigungsvorschläge zu machen.      „Oder du gehst wieder dazu über ein paar Lehrer zu stal- ich mein, zu beobachten?“      „Das geeeeht nicht, die sind auch alle weeeeheeeg!“      Wie, weg? Ah, okay, darüber hatte sie sich bisher keine Gedanken gemacht, aber wieso sollten die Lehrer ihre Ferien in einem schülerfreien Schloss verbringen? Nur, was machten sie stattdessen? Vielleicht in den Urlaub fahren … Der Gedanke an eine McGonagall im Bikini am Strand von Mallorca liegend, war allerdings sehr befremdlich – und bei jedem anderen der Lehrer ebenfalls. Hatten die eigentlich auch Wohnungen und Häuser außerhalb von Hogwarts? Ja, das wäre nur logisch. Oder Familie und Kinder? Oh Gott, war Snape etwa verheiratet?? Einen Ehering hatte sie nie sehen können, aber gab es sowas in der Zauberwelt überhaupt? Luciana versuchte mit aller Macht das Bild von Mr und Mrs Weasley heraufzubeschwören, konnte sich aber partout an keines ihrer Schmuckstücke erinnern. Super, noch mehr Denkstoff für die Ferien, in denen sie keine Möglichkeiten hatte, an Antworten zu kommen … Der Abschied von Myrte fiel länger aus als geplant. So kam sie, ein paar Minuten später als von der Nachricht ihrer Hauslehrerin am Schwarzen Brett verlangt, in der Eingangshalle an.      Dort hatte sich eine riesenhafte Traube an Schülern gebildet und die Lautstärke war ohrenbetäubenden – es war ja nicht so, dass die Schüler das komplette Jahr Zeit gehabt hätten sich zu unterhalten, nein, anscheinend war dies auf genau diesen Moment, kurz vor der Abreise, verschoben worden. Luciana beobachtete das rege Treiben in einem angemessenen Abstand an einer Wand gelehnt und wartete, bis sich die größte Menschenmasse zu den Kutschen geschoben hatte, die vor dem Schloss standen und sie zum Bahnhof fahren würden.      Die Lehrer überwachten diese Völkerwanderung und hatten alle Hände voll damit zu tun, die Schüler in Reih und Glied durch das Portal zu lotsen, ansonsten hätte es vermutlich zu zertrampelten Gliedmaßen kommen können.      Und da stand er, keine drei Meter von ihr entfernt – wie unglaublich es für sie erscheinen mochte, Snape hatte sie beobachtet. Noch unglaublicher, er schaute nicht einmal weg, als sie ihn dabei ertappt hatte. Nun standen sie dort, in der Eingangshalle, um sie herum Hunderte von Schülern, die das Schloss verließen und sahen sich an, ohne jegliche Gesichtsregung dabei zu zeigen und zumindest für Luciana schien in diesem Augenblick ein Zeitraffungszauber sein Unwesen zu treiben. Erst, als die letzten Nachzügler die Treppe herunter geeilt kamen, setzte sie sich in Bewegung und brach somit den Augenkontakt ab. Nach kurzem Überlegen drehte sie sich noch einmal um, sah, dass Snapes Blick noch immer auf sie geheftet lag und hob zum Abschied die Hand, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Es war nicht zu glauben, jedoch erwiderte er die Geste, wenn auch kaum zu sehen.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Wie sich herausstellte, war der Stau in der Eingangshalle nicht ganz unbegründet gewesen. So entspannt Luciana auch aus dem Schloss hatte wandern können, so stressig war die Sitzplatzfindung im Hogwarts-Express. Sie und zwei Hufflepuff-Schüler hatten die letzte Kutsche erwischt und somit ebenfalls das Nachsehen in den Abteilen.      Daher kam es, dass Luciana in einem überfüllten Waggon auf dem Fußboden saß, rechts und links von ihr Ronald, Granger, Potter, Ginevra und Longbottom, die sich anscheinend zum Ziel gesetzt hatten, den gesamten Süßigkeitenwagen leer zu futtern. Zu allem Überfluss hielt Longbottom eine kakteenartige, graue Pflanze auf dem Schoß, die er, ganz wie es aussah, zu einem Haustier umfunktioniert hatte. Erschreckend zärtlich streichelte er dieses Ungetüm, das bei jeder Berührung seiner Finger pulsierte. Dabei schien es ihn überhaupt nicht zu stören, dass sein Frettchen-Monster und ihr eigenes, nervtötendes Federvieh, lautstarke Rangkämpfe ausfochten.      „Da können die schon zaubern und kommen auf jeden möglichen Scheiß, aber genug Sitzplätze in einen Zug bauen, nein, das ist ja zu viel verlangt“, meckerte Luciana nicht zum ersten Mal. „Ist ja schon fast so schlimm wie bei der Deutschen Bahn, fehlen nur noch verstopfte Klos und ausfallenden Klimaanlagen und ne Verspätungsquote von achtundneunzig Prozent … Wann sind wir da?“      „Immer noch zwei Stunden“, sagte Granger genervt, ohne den Blick dabei von ihrem Tagespropheten zu nehmen. Ein paar Minuten vollbrachte Luciana es, den Mund zu halten und sinnlos im Abteil umherzuschauen, aber die Langeweile war einfach zu groß.      „Steht da was Interessantes drin? So Schwarzer Führer mäßig?“      „Nur, dass ein paar Todesser eine Verurteilung für Haftstrafen in Askaban bekommen haben. Die Väter von Crabbe und Goyle sind auch dabei.“ Granger schlug ein paar Seiten zurück und hielt ihr dann die Zeitung vor die Nase. Über dem genannten Artikel war ein Foto gedruckt worden, welches einen Gerichtssaal abbildete, voller Zauberer und Hexen. In der Mitte des Saals konnte man einen Mann ausmachen, dessen Kopfform sie stark an den kastenförmigen Schädel von Crabbe erinnerte.      „Puh, und was sagen die Slytherins dazu? Waren doch sicher einige Elternteile von Schülern angeklagt?“, sagte Luciana und hatte damit die Aufmerksamkeit von Potter auf sich gerichtet.      „Crabbe und Goyle sahen eben danach aus, als wollten sie mir am liebsten einen Fluch auf den Hals hetzen“, sagte er, leicht grinsend, „aber Malfoy hat sie zurückgehalten.“      Luciana nickte.      „Ja, immerhin ist sein Vater heil aus der Sache herausgekommen.“      „Nicht wirklich“, meldete Granger sich zu Wort. „Kingsley Shacklebolt und die anderen haben ihn mit den anderen Todessern gesehen und so wie es der Tagesprophet schreibt, ist Lucius Malfoy untergetaucht. Angeblich soll selbst seine Frau nicht wissen, wo er sich aufhält.“      „Pff, glaub ich nicht. Ansonsten hätte Malfoy seine Bodyguards kaum zurückgehalten.“      Die restliche Zugfahrt blieb ereignislos. Bis auf den kleinen Tritt, den sie Longbottoms Frettchen Alihotsi verpassen musste, als dieses seine Zähnchen im Schnabel von Azrael versenkt hatte und ein kurzes Telefonat mit ihrem Paten (Longbottom hätte bei dem lauten Bimmeln vor Schreck fast seine Pflanze weggeschmissen), herrschte gähnende Langeweile.      Und genau in dem ungünstigsten Moment, wo der Hogwarts-Express gerade in den King’s Cross Bahnhof einfuhr und zum Bremsen ansetzte, zog sich ihr Gürtel zusammen. Zunächst dachte Luciana daran, das dumme Teil einfach zu ignorieren, aber die Neugierde (vielleicht auch ein klein wenig Pflichtgefühl) brachten sie dazu, eilends aufzustehen und den einzigen, leeren und unbeobachteten Ort in dem ganzen Zug aufzusuchen: Die Toilette.      Der Zug war mittlerweile zum Stillstand gekommen und auf den Gängen hörte sie viele Stimmen durcheinander sprechen – Schüler, die sich bereit machten auszusteigen. Viel Zeit würde ihr demnach nicht bleiben.      Sie zog an dem Stift der Gürtelschnalle und keine drei Sekunden später konnte sie den charakteristischen, silbrigen Nebel erkennen – der sich in einen Patronus formte, der ihr bislang noch gänzlich unbekannt gewesen war. Im nächsten Moment wäre Luciana beinahe hinten über in die geöffnete Kloschüssel gekippt, als sie Snapes Stimme durch die Toilettenkabine hallen hörte.      „In exakt einer Stunde findet die nächste Sitzung statt.“      Und das war es. Der Patronus war verschwunden.      Sie war die letzte, die den Hogwarts-Express verließ und im ersten Moment hatte sie keine Ahnung, wohin sie gehen sollte. Immerhin war sie auf der Hinreise durch einen Kamineingang gereist, nur jetzt konnte sie Gabriel nicht auf dem Bahnsteig erkennen. Daher lief sie ein paar Schritte schneller und schloss sich Granger, Ronald und Potter an, die in einer Reihe aus Schülern standen und – na bravo, musste sie jetzt ernsthaft durch eine massive Wand laufen?      „Ehm“, wandte sie sich im Flüsterton an Granger, „muss man dafür nen bestimmte Zauber können?“      Diese schüttelte belustigt den Kopf.      „Nein, einfach durchlaufen. Stell dir vor, es wäre gar keine Mauer.“      Ja, selbstverständlich – weil diese Mauer ja so wenig maurig aussah. Letztendlich stellte sich diese Absperrung, die das Zaubergleis von dem der Muggelwelt trennte, als wenig spektakulär heraus. Es fühlte sich an, wie durch ein Hologramm zu laufen – und auf der anderen Seite hatte sich der halbe Phönixorden versammelt, plus ihres Paten.      Moody trug tatsächlich eine Melone, die er sich so schräg auf seinen Kopf gesetzt hatte, dass sie sein magisches Auge verdeckte. Dazu schmückte er seinen, von Narben zerfurchten ‚Astralleib‘ mit einem, seit Jahrzehnten aus der Mode gekommenen Mantel und in der Hand hielt er zur Krönung des Bizarren, einen langen Stock (in dem Luciana seinen Zauberstab vermutete). Allerdings gaben die anderen Gestalten auch kein viel unauffälligeres Bild ab – Tonks trug ihr Haar heute in einem schreiendem Rosa Ton (zu Gedenken an Umbridge?) und auf ihrem T-Shirt prunkte der Schriftzug ‚Schicksalsschwestern‘. Gabriel stand in seinem gewohnten schwarzen Markenanzug bei Remus (der neben ihrem Paten in seinen zerschlissenen Klamotten sehr fehl am Platz wirkte) und setzte sich gerade in Bewegung sie willkommen zu heißen; doch George und Fred waren schneller und wuselten sich aus dem Orden-Pulk in stürmischer Umarmung Luciana entgegen.      „Ihr wart wohl groß shoppen?“, sagte Luciana, nachdem sie beide begrüßt hatte und beäugte die teuer ausschauenden Lederjacken und neuen Hosen der Zwillinge.      „Yap, das Geschäft boomt“, antworten die Zwillinge, wieder einmal in perfekter Bork-Manie. „Du musst uns diesen Sommer unbedingt in der Winkelgasse besuchen“, sagte Fred strahlend.      „Klar, mach ich, werde ja so oder so wegen der neuen Schul-„      „Junge Dame, wir haben es eilig“, fuhr Gabriel dazwischen, schnappte sich mit der rechten Hand ihren Koffer und mit der Linken ihren Arm. Mrs Weasley schielte, während sie Ginevra und Ronald gleichzeitig in den Armen hielt (Ronald schaute sich dabei rechts und links peinlich berührt um), missmutig zu ihrem Paten hinüber, ganz als würde sie abwägen, ob sie Luciana in einer spontanen ‚Rettungsaktion‘ aus den Klauen seines schlechten Einflusses befreien sollte. Jedoch blieb es nur bei bösen Blicken und Luciana hatte gerade eben noch genug  Zeit, der Gruppe zum Abschied über die Schulter zu winken.      Gabriel verfiel im Eiltempo sogleich in einen Redeschwall, bestehend aus den aktuellsten ‚Rüpelhaftigkeiten‘, die sich die neusten Mitglieder seiner Organisation geleistet hatten. Doch Luciana war mit den Gedanken wieder auf der Klokabine des Hogwarts-Express. Wie so oft warfen Snapes Aktionen Fragen bei ihr auf, so auch dieses Mal. Wenn die halbe Belegschaft des Phönixordens am Bahnsteig gewartet hatte, wieso war es von Nöten gewesen, ihr einen Patronus zukommen zu lassen? Bei der Erinnerung an Snapes Patronus stahl sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht – Diese Gestalt war auch einfach zu banal gewesen … ein Rabe. Wow. Wie unglaublich überraschend … Auf der anderen Seite – was hatte sie auch schon erwartet? Bambi?                   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)