Luciana Bradley und der Orden des Phönix von Picadelly ================================================================================ Kapitel 27: Testophobie ----------------------- Testophobie   Nein, Snape hatte nicht geblufft – mit einem wieder vollständig genesenem Gehör bekam Luciana schnell heraus, dass die Genehmigung zum Auspeitschen der Schüler tatsächlich von hoch offizieller Stelle herausgegeben worden war und somit war der Hausmeister Filch noch öfter auf den Gängen anzutreffen, wohl in der Hoffnung keine Gelegenheit zu verschwenden, diese auch einzusetzen.      Er und die Mitglieder des Inquisitionskommandos mühten sich mit Händen, Füßen und Zauberstäben (bei dem Magie-Invaliden Filch nicht das Letztere) ab, Übeltäter auf frischer Tat zu ertappen, allerdings hatten diese beschlossen, in solch großer Masse aus dem Boden zu schießen, dass es schier unmöglich war dem Chaos Herr zu werden – und das Chaos war von bombastischem Ausmaß, von dem Sumpf, den George und Fred im Korridor des fünften Stockwerks hinterlassen hatten (und den ES selbst ein halbes Dutzend Wutausbrüche später nicht ein klein wenig zum Austrocknen bewegen konnte) bis hin zu den nicht enden wollenden Stinkbomben- und Kügelchen Attacken, die die Flure des Schlosses geruchstechnisch in ein gigantisches Wacken-Dixi-Häuschen verwandelten.      So schickte es sich, in den nächsten Tagen die Standartschuluniform um eine Ski-Maske zu erweitern – und diese war gleich zweifach praktisch: Weniger Geruchsbelästigung und erschwerter Wiedererkennungswert, wenn man ‚zufällig‘ selbst ein zwei Stinkbömbchen fallen ließ oder ein paar Meter Bodenfläche vor dem Büro der Schulleiterin mit Schmierseife präparierte.      Doch selbst die Klassenräume blieben nicht von dem, objektiv gesehen, zweifelhaften Einfluss der Weasley-Zwillinge verschont. George und Fred mussten in diesem Schuljahr eine Unmenge an Nasch- und Schwänz Leckereien unter die Schüler gebracht haben – ES brauchte kaum den Fuß über die Schwelle ihres Klassenraumes setzen und schon fingen die Massen um sie herum das Kotzen, Nasenbluten oder Fiebern an.      Luciana war beinahe so weit sagen zu können, dass sie nie wieder dieses gehässige, selbstsüchtige und krankhafte Grinsen von ES zu sehen bekommen würde, bis sie am Dienstagabend das Büro ihrer Hauslehrerin zum Termin ihrer persönlichen Berufsberatung betrat. In das Sichtfeld ihres Augenwinkels trat der Rand eines Alt-Rosa-Farbtons und Luciana brauchte nicht einmal den Kopf wenden, um hundertprozentig sagen zu können, wer da, außer ihr und Professor McGonagall, im Raum anwesend war. Sie schloss die Tür hinter sich, zog sich die Ski-Maske von der Nase und nahm den ihr angebotenen Sitzplatz vor dem Schreibtisch ihrer Hauslehrerin ein. Und kaum, dass ihr Hintern die Fläche des Stuhls berührt hatte, hörte sie das wohlbekannte Kratzen einer Feder, mit der ES das Pergament auf ihrem Klemmbrett bearbeitete.      „Nun, Miss Bradley, bei dieser Besprechung geht es darum, über Berufsvorstellungen zu reden, die Sie vielleicht haben und Ihnen bei der Entscheidung zu helfen, welche Fächer Sie im sechsten und siebten Schuljahr weiter vertiefen wollen“, sagte Professor McGonagall, die anscheinend sehr bemüht war, sich von der Anwesenheit der Schulleiterin nicht aus der Fassung bringen zu lassen. „Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, was Sie nach Hogwarts gerne tun würden?“      Im sechsten und siebten Schuljahr? Musste sie nicht lediglich dieses Fünfte beenden, um die nötigen ZAG’s zu bekommen, um einer Haftstrafe wegen unerlaubten Zauberns zu entgehen? Oder sollte sie sich wirklich Gedanken um eine alternative Zukunftsplanung innerhalb der Zauberwelt machen?      „Na ja, eigentlich wollte ich immer Anwältin werden … oder Psychologin, aber die Berufsfelder liegen ja nicht ganz so arg weit auseinander.“      Das Kratzgeräusch hinter ihr hörte plötzlich auf.      „Das sind doch beides Muggelberufe, wenn ich mich nicht irre?“, sagte McGonagall. „Aber soweit ich richtig informiert bin, denkt das Zaubergamot derzeit über die Einführung eines Postens des Strafverteidigers nach, wenn sie Glück haben, gibt es diesen in zwei Jahren bereits.“      RÄUSPER      ES beliebtestes Mittel um Aufmerksamkeit zu bekommen – Luciana wusste das und Professor McGonagall selbstverständlich auch, trotzdem fuhr diese unbeirrt fort.      „Und was sagten Sie gleich, Physchol – Psyl“      „Psychologin“, half Luciana.      „Ja, was genau soll das sein?“      „Oh, ehm … gibt’s das hier wohl nicht … erklärt einiges“, McGonagall spitzte ihre Lippen. „Tja, das ist nicht so ganz einfach zu erklären. Das ist ein Fach, das man studiert, an einer Universität, nur sind die Berufsfelder ziemlich weit gefächert – sagt Ihnen Freud was?“ Nein, offenbar nicht. „Simpel ausgedrückt, möchte ich gern in der Psychotherapie arbeiten, als Psychotherapeut. Das heißt Menschen mit geistigen Krankheiten, Problemen oder Schäden helfen.“      „Da wäre Heiler die richtige Berufswahl für Sie“, damit kramte Professor McGonagall in dem Wust von Broschüren und Heftchen auf ihrem Schreibtisch herum und zog ein hellgrünes Prospekt hervor. „Hier gibt es eine spezielle Ausbildung für die Janus-Thickey Station in der Abteilung für Fluchschäden und Zauberunfälle, eine Station für Langzeitpatienten mit Geistesschäden.“      Ehm, ja, so hatte Luciana das zwar nicht gemeint, aber irgendwie hörte sich das trotzdem interessant an.      RÄUSPER      „Okay, und wie schaut es dort mit den Voraussetzungen aus?“      RÄHUÄUHÄÄUUSPEERR      „Darf ich Ihnen ein Hustenbonbon anbieten, Dolores?“, schnappte McGonagall und würdigte dabei ES nicht eines Blickes.      „O nein, vielen Dank“, erwiderte ES, scheinbar sehr amüsiert über dieses Angebot. „Darf ich eine klitzekleine Unterbrechung einwerfen, Minerva?“      „Wie ich schon gestern, oder gerade eben bei Miss Granger sagte: Das dürfen Sie durchaus.“ Mh, nein, sah eher so aus, als hätte McG bei der Möglichkeit einer Auswahl lieber eine Stinkbombe gegessen.      „Ich habe mich gefragt, ob es richtig ist bei Miss Bradley die falschen Hoffnungen zu wecken-„      „Falsche Hoffnungen?“      „Verstehen Sie mich nicht falsch, Minerva“, sagte ES in einem Ton, den man gar nicht falsch verstehen konnte, „aber selbst wenn es die Stelle des Strafverteidigers geben sollte, und das möchte ich stark anzweifeln, das Ministerium wird Miss Bradley bei ihrem Vorstrafenregister nicht einstellen und auch das St. Mungo wird keinen Ausbildungsplatz für sie bereitstellen, nicht bei ihren schlechten Noten.“      McGonagalls Mund war bei dieser Ansprache immer spitzer geworden und gerade schien sie zum Rückschlag ansetzen zu wollen, da fiel ihr Luciana ins Wort:      „Also, wie war das mit den Voraussetzungen?“      „Erstklassige Noten“, sagte McGonagall, atmete einmal tief ein und aus und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Prospekt in ihren Händen. „Mindestens fünf UTZe, in den Fächern Zaubertränke, Kräuterkunde, Verwandlung, Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste und in keinem eine Note unter ‚Erwartungen übertroffen‘.“ Luciana schluckte. „Weiter würde man von Ihnen verlangen, eine dreijährige, praxisbezogene Ausbildung auf einer Station des Hospitals zu absolvieren, hinzu kommt eine Forschungsarbeit, um den Titel des Heilers – sind Sie ganz sicher, dass Sie kein Hustenbonbon möchten, Dolores?“      Luciana hätte die letzten Worte von McG beinahe nicht verstanden, so laut und penetrant hatte ES sich geräuspert.      „O nein, danke“, sagte ES. „Ich habe mich nur gefragt, ob Sie mich eben nicht richtig verstanden haben? Ich meine doch gesagt zu haben, Miss Bradley habe sehr schlechte Noten.“      Okay… ganz ruhig… keine große Klappe, du weißt was das letzte Mal passiert ist…      „Um ehrlich zu sein, ich bezweifle, dass man sie auch nur als Empfangsdame des St. Mungo einstellen würde, denn-„      Nein, das ging dann doch eine Spur zu weit – vor allem, als Luciana bei den Worten von ES das Bild dieser Nagel-feilenden-Tussi in den Sinn kam. Und so drehte sie sich blitzschnell auf ihrem Stuhl in die Richtung von ES, das Gesicht zornesrot und die Stimme ein ‚klein‘ wenig erhoben.      „Schlechte Noten, ja?“, schnappte sie und hob dabei ein Stück von ihrer Sitzfläche ab. „Zufällig ist es den Prüfungsverordnungen an dieser Schule schnurzen drietens was für Leistungen ich innerhalb des Unterrichts erbracht hab, da kann Snape mit ‚M’s um sich werfen wie er lustig ist und selbst IHRE Beurteilung ist absolut nichts wert, solang ich das am Tag der Prüfung wieder rausreiße!“      Damit drehte sie sich wieder McGonagall zu, die mit großen Augen, aber höchst zufriedenem Gesichtsausdruck dasaß und hin und wieder in Richtung ES schielte – diese gab seltsame Geräusche von sich, nicht, wie üblich ein Hüsteln oder Räuspern, nein, dieses Mal schien sie um Worte zu ringen. Allerdings hatte Luciana nichts weiter als Tatsachen aufgezählt.      „So, Heiler, super Idee, ich bin begeistert, mach ich!“, schnappte Luciana harsch. „Tragen Sie mich bitte für die genannten Fächer ein. Kann ich das da mitnehmen, Professor?“      Luciana deutete auf die St. Mungo Broschüre. Professor McGonagall reichte ihr diese, griff nach ihrer Feder und notierte sich irgendetwas auf einer Liste hinter Lucianas Namen.      „Schön, dass ich Ihnen helfen konnte“, sagte McGonagall. „Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“      „Nein, rundum zufrieden, entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe zu lernen!“   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Was hatte sie sich mit ihrer Dickköpfigkeit nur wieder aufgehalst? Das Ziel hatte bisher gelautet: ZAGs bestehen, damit eine Zauberlizenz bekommen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Hierbei war niemals die Rede von guten Noten gewesen. Bei ihrem momentanen Stand würde sie nicht durchfallen, allerdings bewegte sich ihr Repertoire im Punkto Wissen und Können im Bereich ‚Annehmbar‘ und keinesfalls ‚Erwartungen übertroffen‘ oder gar ‚Ohnegleichen‘. Als Professor Snape, zu allem Überfluss, in der nächsten Zaubertrankstunde offenbarte, dass in seinen UTZ Kurs nur Schüler mit der Bestnote zugelassen werden würden, litt Luciana kurzzeitig unter panischer Schnappatmung.      Die verbleibenden Wochen zu den ZAG-Prüfungen rannten nur so dahin, vierundzwanzig Stunden pro Tag schienen vorne und hinten nicht auszureichen, um ihr bislang grobes Beherrschen des Schulstoffes detaillierter auszuarbeiten, hinzu kamen die Ordenstreffen, die mittlerweile beinahe regelmäßig zweimal die Woche stattfanden. Die bei Luciana daraus resultierenden Nachtschichten schienen selbst Snape aufgefallen zu sein, der ihr nach einer Sitzung auf dem Rückweg zum Schloss nahegelegt hatte, einen Schritt kürzer zu treten.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Das Gelände um Hogwarts herum erschien in einem satten Grün, der morgendliche Tau auf den Gräsern und Blättern der Bäume verschwand, sobald die Sonne in aller Früh ihre Fühler auf das Land ausstreckte. Die Wassertemperatur des Sees hatte zwar noch immer keine Mittelmeerqualitäten angenommen, jedoch war es im Vergleich zu den Wintermonaten beinahe wie in einem geheizten Variobecken zu planschen.      Während der Großteil der Schüler nach dem Unterricht über die Wiesen schlenderte, sich in der Mittagssonne entspannte oder die freie Zeit für das Quidditch-Training nutzte, war bei den Fünft- und Siebtklässlern eine schiere Massenpanik ausgebrochen. Eine verdammt ansteckende Massenpanik. Die Lehrer waren dazu übergegangen, nur noch Wiederholungen in den Stunden durchzunehmen, sie waren sogar gnädig genug auf Hausaufgaben zu verzichten (das hatte Luciana in Deutschland schon ganz anders erlebt) und Tipps zu verteilen, welche Themen am ehesten in den Prüfungen dran kommen würden.      Der Gemeinschaftsraum war in jedem Fall nicht mehr betretbar, zumindest nicht, wenn man angedacht hatte in Ruhe und ernsthaft zu lernen, ohne vorher Schalldicht-Zauber rings um sich herum hochzuziehen. Andauernd drehte irgendeiner der Schüler durch, stellte penetrante Fragen, wie viele Stunden man selbst am Tag für das Lernen einplante, der andere wollte abgefragt werden, oder aber es kam zu hysterischen Heulkrämpfen (meist bei den weiblichen Schülern, allerdings waren auch ein paar Männlein dabei).      Drei Tage vor dem Tag X hatte es Luciana endlich vollbracht, auch den letzten, für die Prüfungen zu beherrschenden Zauber korrekt und fehlerfrei auszuführen. Jetzt war es an ihr die nächste Hürde zu überwinden, die, nun ja, mehr der Art ‚nervenaufreibend‘ sein würde.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*        „Wie Sie sehen können“, verkündete Professor McGonagall in der nächsten Verwandlungsstunde der Klasse, während sie auf die Tafel hinter sich deutete, „verteilen sich Ihre ZAGs über zwei Wochen in Folge.“ Luciana beeilte sich die Daten in ihr Heft zu übertragen. „Sie werden die theoretischen Arbeiten jeweils morgens absolvieren und die praktischen Prüfungen an den Nachmittagen. Ihre praktische Prüfung in Astronomie wird natürlich nachts stattfinden. Im Übrigen muss ich Sie warnen, dass Ihre Prüfungsunterlagen mit den striktesten Anti-Schummel-Zaubern behaftet sind.“ Aha, jetzt wurde es interessant. Luciana lehnte sich höchst interessiert ein Stück nach vorne. „Selbstantwortende Federn sind in der Prüfungshalle verboten, genau wie Erinnermichs, abnehmbare Spickmanschetten und selbstkorrigierende Tinte. Bedauerlicherweise gibt es in jedem Jahrgang mindestens einen Schüler oder eine Schülerin, die glauben, die Regeln der Zaubererprüfungsbehörde umgehen zu können.“ Ja, hier auf ihrem Platz saß ein solcher Kandidat … „Ich kann nur hoffen, dass es niemand aus Gryffindor ist.“ Tut mir Leid, ehrlich. „Unsere neue – Schulleiterin hat die Hauslehrer gebeten, ihren Schülern mitzuteilen, dass Schummeln aufs Strengste bestraft wird – weil Ihre Prüfungsergebnisse natürlich einen Eindruck vom neuen Regiment der Leiterin dieser Schule geben werden“, und mit diesen Worten ließ McGonagall ein leises Seufzen vernehmen, „allerdings ist dies kein Grund, nicht Ihr Allerbestes zu geben. Sie müssen an Ihre eigene Zukunft denken.“      Offenbar war McGonagall zum Ende ihrer Ansprache gelangt und beinahe hätte Luciana ihre Hand gehoben, als –      „Bitte, Professor“, Granger, mit erhobener Hand – hatte dem Gör noch nie jemand erklärt, dass das Melden erfunden worden war, um sprechen zu können, nachdem man dazu aufgefordert wurde? „Wann werden wir unsere Ergebnisse erfahren?“      „Irgendwann im Juli wird man Ihnen eine Eule schicken“, antwortete McGonagall. Na Bravo, damit hatten sie es dann auch sichergestellt, dass es auch bloß größtmöglich nervenzerreißend sein würde.      „Ja, Miss Bradley?“, sagte McGonagall.      „Was genau beinhaltet die Anti-Schummel-Zauber?“, sagte Luciana und ließ ihre erhobene Hand sinken. Oha, McG schien über diese Frage nicht sehr erfreut. „Also, ich frag nur so rein interessehalber, nicht, dass ich irgendwas falsch mache, obwohl ich ja gar nicht die Absicht hatte zu Schummeln …“, fügte sie dem hastig hinzu.      „Nun, diese Zauber erkennen die verbotenen Gegenstände, die ich eben aufgezählt habe.“ Luciana beugte sich nach vorne und machte sich eilig Notizen. „Außerdem offenbaren sie Spickzettel, die unter oder auf dem Pergament liegen.“      „Aha“, Luciana sah wieder von ihrem Heft auf, „aber nur Spicker, die mit dem Prüfungsbogen in unmittelbarer Berührung kommen, gell?“      Die Nasenflügel von Professor McGonagall bebten gefährlich, ihre Augen verformten sich zu Schlitzen.      „Für den Fall, wenn ich mir Zettel aus eigenem Bestand mitnehme, weil ich da vorschreiben will?“ Nein, ihre Lehrerin schien immer noch nicht überzeugt. „Weil“, Luciana lachte nervös, „ich mein, Sie kennen meine Sauklaue, da muss ich alles nochmal in Schönschrift abschreiben und nicht, dass jemand denkt ich würde Schummeln, nur weil ich ein bisschen rumgekritzelt hab?“      „Sie sollten Ihre Schönschrift von Anfang an parat haben, haben wir uns verstanden, Miss Bradley?“ Luciana nickte hastig.      „Aber Trinkflaschen sind erlaubt?“      Komisch, normalerweise hatte nur Snape diese Art von Blick für sie übrig …   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*        Montagmorgen, zur ersten Prüfung in Theorie der Zauberkunst, trat Luciana vollkommen übernächtigt, aber sehr zufrieden mit sich selbst und ihrer schier endlosen Kreativität in ‚unerlaubte-Unterrichtsnotizen-Verstauen‘, in der Großen Halle an.      In dieser hatte sich, seit dem Frühstück heute am Morgen (an dem, wie immer seit Dumbledores Flucht, eine dampfend heiße Tasse Kaffee an ihrem Platz gewartet hatte), einiges geändert. Die vier großen Haustische waren verschwunden, dafür standen viele Einzeltische aufgereiht im Raum, die alle zum Lehrertisch hin ausgerichtet waren.      Dort stand Professor McGonagall, die Luciana erst bemerkte, als sie sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen den, ihrer Meinung nach, strategisch klügsten Sitzplatz ganz hinten rechts erstoßen und erprügelt hatte. Nachdem auch der letzte Schüler Platz genommen hatte und Ruhe eingekehrt war, sagte McGonagall kurz und knapp: „Sie können anfangen.“ Mit diesen Worten drehte sie eine riesenhafte Sanduhr auf dem Tisch neben ihr um, auf dem auch Schreibfedern, Tintenfässer und Pergamente lagen.      Luciana packte zunächst in äußerer Seelenruhe zwei Trinkflaschen auf den Tisch, drapierte diese genau so, dass die Etiketten in ihrem Blickfeld lagen, zog ihren Kugelschreiber aus ihrer Tasche und drehte ihren Prüfungsbogen um. Auf den Plätzen vor und neben ihr kritzelten Lucianas Mitschüler bereits fleißig auf ihren Papieren herum – sie schaute sich die erste Aufgabe an: a) Nennen Sie die Beschwörungsformel und b) beschreiben Sie die Zauberstabbewegung, die erforderlich ist, um Gegenstände fliegen zu lassen.      Ah, ja, da im Auge des Neptun, welcher Bestandteil des Logos auf den Flaschen war, stand die Antwort – Luciana merkte sich den genauen Wortlaut, obwohl sie den Wingardium Leviosa-Zauber ohne weiteres beherrschte (sicher war sicher) und schrieb diesen nieder … geheiligt sei die IT-Abteilung ihres Paten, in diesem speziellen Fall die Medien und Design Fachleute, die Luciana in den letzten paar Tagen sämtliche prüfungsrelevanten Texte als optisch völlig normale Wasseretiketten bedruckt hatten.      Nur wenn man dies wusste und genau hinsah, bemerkte man, dass jede noch so kleinste Fläche der verschiedenen Blautöne aus Buchstaben und Wörtern bestand, selbstverständlich in Deutsch verfasst. Und selbst wenn man dies sah, welche Hexe oder Zauberer, die nicht in der Muggelwelt groß geworden waren, würden auf die Idee kommen, es würde sich hierbei um Spicker handeln und nicht um seltsame Anwandlungen der Muggel? Ja, und von diesen speziell präparierten Flaschen befand sich noch ein ganzer Berg auf ihrem Zimmer – Tja, da hatte sich die Zaubererprüfungsbehörde wirklich ins Zeugs gelegt, um Schummlern den Garaus zu machen, jedoch leider übersehen, dass der Kreativität und Dreistigkeit eines lernfaulen Schülers keinerlei Grenzen gesetzt waren.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Zu der praktischen Zauberkunstprüfung mussten sich die Fünftklässler in den kleinen Nebenraum der Großen Halle einfinden (die zum Mittagessen wieder im alten Glanze der vier Haustische erstrahlt war), den Luciana noch vom Anfang des Schuljahres kannte. Dort hatte sie den Sprechenden Hut von Professor McGonagall aufgesetzt bekommen. Jetzt war der kleine Schreibtisch weg, im Grunde gab es hier gar keine Möbelstücke mehr.      Die Schüler wurden in kleinen Gruppen alphabetisch aufgerufen, somit hatte Luciana (nicht wie die meisten der anderen) keine Zeit mehr, Zauber zu wiederholen. Zusammen mit Susan Bones, Terry Boot und Lavender Brown betrat sie die Große Halle, zog ihren Zauberstab aus ihrem Kniestrumpf und hätte dabei fast Professor Flitwick umgerannt (den man, mit seiner nicht gerade hochgewachsenen Körpergröße, aber auch wirklich leicht übersehen konnte).      „Da, Professor Tofty ist frei, Miss Bradley“, quiekte Flitwick mit säuerlicher Miene und deutete auf einen kahlköpfigen Prüfer, der an einem Tisch auf der anderen Seite des Raumes saß. Mit jedem Schritt, den Luciana näher auf ihn zukam, schienen sich mehr und mehr Falten auf seiner Haut zu bilden, der Kerl musste schon seit Gründerzeiten den Schülern die ZAGs abnehmen. Und wieso zitterten ihre Hände so unkontrolliert?      „Und Sie sind?“, fragte Tofty, seine Feder ungewöhnlich ruhig über eine Namensliste vor sich haltend (na in dem Alter sollten Hände doch ein wenig tattrig sein).      „Bradley. Luciana.“      „Ja – ja, da haben wir Sie ja.“ Tofty machte einen Haken hinter ihren Namen. „Ganz ruhig Mädchen, kein Grund nervös zu werden“, sprach er ihr mit altersschwacher Stimme zu – sein Blick ging in die Richtung ihrer Hände, die sich noch immer nicht ganz beruhigt hatten.      „Nun, wenn ich Sie bitten dürfte, diesen Eierbecher zu nehmen und ihn ein paar Purzelbäume für mich schlagen zu lassen.“      Nachdem Luciana ihre unglaublich nervende, innere Stimme, die unpassende Kommentare wie ‚Purzelbäume … PURZELBÄUME?? Wozu zur Hölle ist es gut einen EIERBECHER Purzelbäume schlagen zu lassen, MH?!?‘ einwarf, zum Schweigen gebracht hatte, lief die Prüfung recht ordentlich. Nein, eigentlich lief sie sogar einwandfrei, denn wenn sie mal ehrlich war – die paar Zaubersprüche waren nichts im Vergleich zur Kurvendiskussion, Analysis, oder sonstigen Grausamkeiten, die sie hatte in Deutschland lernen müssen.      Die meisten Fehler schienen den Prüflingen sowieso durch Nervosität zu passieren, denn egal wie sehr man den zugehörigen Schlenker des Engorgio-Wachstums-Zauber auch verpatzen mochte, trotzdem würde daraus, wie es Lavender Brown einen Tisch neben ihr passiert war, kein Vervielfältigungszauber für Eidechsen werden können.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Die schriftliche Verwandlungsprüfung am nächsten Morgen verlief genauso Schummel-erwischungs-frei wie die am Vortag. Das einzige Manko war, dass Lucianas Blase nach spätestens einer Stunde ständigen Vorwands-Wassertrinkens die Obergrenze ihres Fassungsvermögens erreicht hatte und sie so in Begleitung eines Prüfers oder Lehrers ihre Prüfung unterbrechen musste, um eine Toilette aufzusuchen. Nun ja, wenigstens wurde es ihr Kommentar – und Bedenkenlos abgekauft, sie würde nur so viel trinken, weil dies die Leistungsfähigkeit ihres Gehirns auf Trab halten würde. Im weitesten Sinne entsprach das ja auch der Wahrheit.      Bei dem praktischen Teil von Verwandlungen am Nachmittag kam Luciana auch nicht ganz ohne einen tiefen Griff in die Improvisationskiste aus – ihr Prüfer, wieder einmal Professor Tofty, verlangte von ihr den Verschwindezauber an einem Frettchen auszuführen und genau diesen Zauber hatte sie maßlos vernachlässigt. Wie hätte sie ihn denn auch üben sollen, oder viel mehr, an wem? Natürlich, ein Schüler des Inquisitionskommandos oder ES hätten sich angeboten, allerdings beschlich sie der Gedanke, dass keiner von ihnen für diese Versuche still gehalten hätte.      Während Bott einen Tisch neben ihr seinen Leguan mit einem kecken Schlenker und  selbstbewusstem Lächeln auf den Lippen ins Amphibien-Nirvana beförderte, wurde dieses haarige Albino-Mistvieh nicht einmal ein klein wenig blasser um die Nase, auch nicht nach dem zweiten Versuch. Tja, und mehr als drei würde ihr der alte Tofty sicher nicht gewähren – und plötzlich geschah das Wunder: Professor Tofty atmete zweimal geräuschvoll ein, öffnete seinen beinahe zahnlosen Mund, schloss die Augen und nieste mit einem lauten Haaatschuuu in sein besticktes Stofftaschentuch – er würde sich gleich die Nase schnäuzen und tatsächlich … Luciana blickte schnell links und rechts, alle Prüfer waren mit den Zauberkünsten der anderen Schüler beschäftigt, niemand schaute hin. Sie schnappte sich das Frettchen vom Tisch (welches dabei einen erschrockenen Fiepton von sich gab) und stopfte es in Windeseile unter ihre Schuluniform, ließ dann ihren Umhang über die entstandene Beule an ihrem Bauch gleiten und betete, dass die Augen ihres Prüfers so schlecht waren, wie sie ausschauten.      „Ha, Professor Tofty, jetzt ham Sie’s gar nicht sehen können, wie schade“, schnappte Luciana atemlos und versuchte so unauffällig wie möglich, den sich windenden Fellknäuel an Ort und Stelle zu halten.      „Oh, ja, tatsächlich“, rief Tofty begeistert. „Da sehen Sie es, sobald der Prüfer nicht mehr hinsieht, verschwindet auch die anfängliche Nervosität. Das haben Sie exzellent gemacht, Miss Bradley.“      „Auhaaa“ Das Frettchen krallte sich an Lucianas Bauchdecke fest. „Jaha, das wird’s, au, gewesen sein.“        Dies war der letzte Zauber der Verwandlungsprüfung gewesen – ja, manchmal hatte sie mehr Glück als Verstand, dachte sich Luciana beim Hinauseilen und, wie sollte es auch anders sein, war damit wieder einmal etwas voreilig gewesen …      „Miss Bradley.“      „Schön Sie zu sehen, Professor Snape, ich kann jetzt nicht“, sagte Luciana und lief einfach schnurstracks an Snape Richtung Treppe vorbei.      „Miss Bradley!“      Uhh, scharfer Tonfall, nicht gut. Also doch Halt machen.      „Ja bitte?“      „Was haben Sie da?“      Luciana konnte Snapes Schritte hinter sich näher kommen hören, einen Augenblick später stand er auch schon vor ihr – das Frettchen hatte unterdessen beschlossen nicht nur alle vier Krallen, sondern ebenso seine scharfen, kleinen Zähnchen zum Einsatz zu bringen. Dabei keine Miene zu verziehen war … eine Herausforderung.      „Was habe ich wo?“, fragte sie und setzte ihren besten ‚ich-hab-wirklich-keine-Ahnung-wovon-Sie-sprechen‘ Blick auf. Snape deutete auf die Wölbung unter ihrem Umhang, die sie sich mit beiden Händen hielt.      „Wie, das? Sie meinen … ehm, also … Schokolade!“ Snape zog eine Augenbraue hoch. „Wissen Sie, der ganze Stress, da greift Frau schon mal zu Nervennahrung … und ja, ich geb’s ja zu, ich hab’s die letzten Wochen ein wenig übertrieben, aber die Kilos werden in den Ferien schon wieder purzeln und …“ Ob Snape ihr diese lahme Ausrede abgekauft hätte, das würde sie niemals herausfinden können – denn just in diesem Moment mobilisierte das haarige Biest all seine verbliebenen Kraftreserven. „Verdammtes scheiß Vieh, Drecksstück, jetzt halt doch mal…“, als es letztendlich unter Lucianas Robe hervorsprang, bekam sie es gerade eben noch am Schwanz zu fassen.      „Huch, wie kommt das denn dahin?“      Snapes Augen wanderten von dem zappelnden und kreischenden Frettchen in ihrer Hand zu der geschlossenen Flügeltür der Großen Halle und wieder zurück. Luciana konnte es in seinem vermaledeiten, genialen Hirn förmlich rattern und kombinieren hören und ja, als seine Augenbrauen sich zusammenzogen und er sie ein wenig säuerlich anschaute, schien er auf den richtigen Trichter gekommen zu sein.      „Praktische Verwandlungsprüfung, wenn ich mich richtig entsinne?“, sagte er.      Luciana nickte, die nackte Panik stieg in ihr auf.      „Und ich war der Auffassung, Betrug sei bei diesem Prüfungskomitee nicht möglich.“      Moment mal, war das jetzt eine Art Kompliment gewesen? Ein paar Sekunden blieb Snape an Ort und Stelle stehen, setzte sich dann aber in Bewegung, in Richtung Große Halle.      „Sie kommen mit, Miss Bradley!“      In ihrem Kopf rasten die Gedanken, wenn er sie jetzt verpetzen würde, hieß das automatisch sie würde durchfallen? Und was noch viel wichtiger war, würde sie lediglich in Verwandlungen, oder gleich in allen Prüfungen nicht bestanden haben?      „Sir?“, rief Luciana panisch und beeilte sich ihn einzuholen, stellte sich ihm dann in den Weg und machte es ihm so unmöglich auch nur einen Schritt weiterzulaufen.      „Sir, bitte, Sie haben mich doch eigentlich bei gar nichts Unerlaubtem erwischt!“, sagte sie und selbst in ihren Ohren kam der Tonfall sehr jammernd an. Snapes Gesicht blieb hart.      „Sie werden mir jetzt den Weg freimachen und die Konsequenzen Ihres Handelns tragen!“, fauchte Snape, setzte sich wieder in Bewegung und hätte Luciana beinahe umgerannt, wäre da nicht ihre flache Hand gewesen, die sie in beschwichtigender Geste auf seine Brust gelegt hätte. Der Professor sah derart geschockt darüber aus, dass ein popliger Schüler es wagte ihn zu berühren, dass sie sein darauffolgendes Schweigen und vor allem seinen Stillstand nutzen konnte, um weiter auf ihn ein zu plappern.      „Sir, Sie als Hauslehrer haben Ihren Schülern doch selbst sagen müssen, wie schwer Betrugsversuche während der Prüfungen bei der neuen Schulleitung bestraft werden und … und Sie haben doch schon das letzte Mal gesehen, was Umbridge mit mir gemacht hat und da war ich nur ein wenig frech zu ihr gewesen“, Snape starrte noch immer die Hand auf seiner Brust an, ganz als würde er kalkulieren ob er diese wegoperieren, oder gleich wegsprengen lassen sollte. „Und außerdem hab ich prinzipiell gar nicht geschummelt … Professor Tofty sagte wortwörtlich ‚Lassen Sie das Frettchen verschwinden‘ und … meine Güte, es ist verschwunden, also hab ich die Aufgabenstellung erfüllt! SIR!“ Langsam wurde es ihr zu bunt – wieso starrte der Kerl weiterhin ihre Hand an und, was sie noch viel rasender machte, wieso hörte er ihr nicht mal zu?      Luciana trat einen weiteren Schritt auf ihn zu, beugte ihren Kopf in Schräglage so unter seinen, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als ihr in die Augen zu sehen. Er blinzelte kurz, sein ganzes Gesicht schien Verwirrung zu schreien, was so überhaupt nicht zu seiner üblichen Mimik passen wollte. Selbst sein Atem schien flacher zu gehen.      „Würden Sie mich bitte, bitte nicht verraten?“, flüsterte sie ihm zu und flehte ihn mit ihrem Blick um Gnade an. „Bitte?“      Ihre Gesichter waren vielleicht noch eine Handbreite voneinander entfernt, seine Augen hatten sich in ihre gebrannt, schienen immer tiefer und tiefer zu gehen, die Wärme, die er ausstrahlte, lief prickelnd über ihre Haut, ihr Herzschlag verlangsamte sich und wurde gleichzeitig vielfach intensiver – und dann kam plötzliche Bewegung in Professor Snapes Körper, blitzschnell hatte er über einen Meter zwischen sich und Luciana gebracht, seine Miene kalt und unnahbar.      Eine Sekunde machte es den Anschein, als wolle er etwas sagen, doch dann drehte er sich kommentarlos um und verschwand durch die Tür, die in die Kerker führten. Er hinterließ eine äußerst verwirrte Schülerin, die noch immer ein zappelndes Frettchen kopfüber am Schwanz hielt und einen noch verwirrteren Neville Longbottom, der mit geöffneten Mund am Treppenabsatz stand.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Die Nachmittagssonne blendete Luciana, als sie am nächsten Tag von der Kräuterkundeprüfung von dem Gewächshaus sieben über die Ländereien zurück zum Schloss lief. Longbottom hatte sich in den letzten Stunden als sehr nützlich erwiesen, vor allem, weil er ihr vor Antritt zur Prüfung noch allerhand Tipps zum Umgang mit Geranien gegeben hatte. Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als einen Moment Ruhe vor dieser Quasselstrippe zu haben.      „Ich kann es einfach nicht glauben“, rief Longbottom zum X-ten Mal, seitdem er ihr offenbart hatte ‚zufälliger‘ Augenzeuge ihres gestrigen Snape-Spektakels geworden zu sein. „Er … er hätte dich Vier-teilen müssen, oder – oder dich auf ewig Froschgedärme ausspülen lassen, oder er hätte dich von Filch auspei-„      „Neville!“, unterbrach ihn Luciana harsch. „Ich weiß!“      Das brachte ihr allerdings nur ein paar Sekunden Ruhe ein.      „Versteh mich nicht falsch, ich find’s ja eigentlich gut, dass er dich nicht bestraft hat, oder dich verpfiffen hat“, Longbottom schaute beim Gehen betreten auf seine Schuhe, „aber der hätte das nicht mal einem Slytherin durchgehen lassen, verstehst du? D-das ist nicht Snape, der ist nicht gnädig, er ist-„      „Longbottom, ich dachte wir hätten uns gestern drauf geeinigt, nicht mehr drüber zu reden, mh?“      Sie hatten mittlerweile fast das große Schlosstor erreicht. Um sie herum betraten oder verließen Schüler das Schloss, auf dem gesamten äußeren Gelände war bei diesem herrlichem Wetter Hochbetrieb.      „Ja, haben wir, aber …“ Luciana schaute Longbottom mit strengem Blick an – der offensichtlich zu wenig Eindruck hinterließ. „Es hat fast so ausgesehen, als hätte Snape dich küssen-„      „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?!“, patzte Luciana Longbottom an, schnappte sich seinen Arm und zog ihn außer Reichweite von potentiell neugierigen Ohren. „Das kannst du doch nicht so rumschreien!“ Wieder betrachtete Longbottom betreten seine Schuhspitzen. „Das hat er garantiert nicht versucht, gedacht, oder sonst was und du musst mir hoch und heilig schwören diese … diese hirnrissige Vermutung niemals und vor gar niemanden auszusprechen. Schwör es!“      Es brauchte noch drei Anläufe, doch dann schwor Longbottom tatsächlich. Das hatte ihr bei dem ganzen Prüfungs- und Ordensstress noch gefehlt, ein spätpubertärer Junge, der wilde Schüler-Lehrer-Affären-Gerüchte in die Welt setzte – Luciana zog sich alleine bei dem Gedanken alles zusammen, wenn sie an Snapes Reaktion dachte, sollte ihm ein solches Gerücht zu Ohren kommen.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Longbottom schien vorerst Wort zu halten. Keine Augenpaare musterten sie in den nächsten Tagen skeptisch, wenn sie zu den Prüfungen antrat, zum Essen ging oder im Gemeinschaftsraum das letzte bisschen Unterrichtsstoff wiederholte. Ja, und selbst Professor Snape schien es sich nicht noch mal anders überlegt zu haben, denn die Prüfer und vor allem Professor Tofty waren nicht dazu übergegangen, Lucianas Unterlagen zu zerreißen, sie der Schule zu verweisen oder gleich dem Zaubereiministerium zu übergeben.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Das Wochenende kam, die, vor allem schriftlich umfangreichsten Fächer hatte sie hinter sich gebracht, nur eine Prüfung lag noch vor ihr, die zu einem Problem werden könnte. Nein, die ganz sicher das größte Problem darstellte und Lucianas Plan, diesen einen Knackpunkt einfach solange aufzuschieben, um ihn dann intensiv am letzten Abend in den Schädel zu bekommen, ging nicht auf.      Gegengifte.      Freitag, Samstag, ja, und diesen Sonntag brütete Luciana schon über ihre Zaubertrankunterlagen und auch wenn es am einfachsten erschien, dem Ordenstreffen, welchem sie nun schon über drei Stunden beiwohnte, die Schuld in die Schuhe zu schieben, dass sie am morgigen Tag die Prüfung in den Sand setzen, pardon, eher baggern würde, nein - sie war ihrer Achilles-Ferse aus freien Stücken kontinuierlich aus dem Weg gegangen.      Wie immer wollte der Text vor ihren Augen keinen Sinn ergeben und selbst die präparierten Spick-Flaschen waren nutzlos, wenn sie selbst den Text nicht verstehen und somit auch keine Fragen darüber beantworten konnte.      Außerdem dröhnte ihr Kopf – seitdem die Weasley-Zwillinge Mitglieder des Ordens waren, war der Geräuschpegel der Treffen um ein vielfaches angestiegen. George und Fred stellten Fragen, zu so ziemlich allem und jedem Thema, alles musste feinsäuberlich auseinander genommen werden und selbst Dumbledore blieb von der schier endlosen Freorge-Kritik nicht verschont.      Eine Ordenssitzung, die in der Vergangenheit vielleicht eine Stunde in Anspruch genommen hatte, verschlang so mindestens das doppelte an Zeit und wenn das so weiter ging, würde Luciana zumindest Professor Snape an seinem Robensaum zum Arzt schleifen, damit dieser ihn durch Tabletten auf ein weniger herzzersprengendes Blutdruckniveau setzen konnte – ansonsten würden die Zwillinge ihn sehr bald die Radieschen von unten zählen lassen.      Mit beiden Händen fest auf die Ohren gepresst saß sie da und las zum gefühlten tausendsten Mal den ersten Satz des Antidotes-Kapitel ihres Zaubertränke und Zauberbräue, daneben hatte sie ihren Gegengift-Aufsatz vom Anfang des Jahres ausgebreitet – neben ihr sprang Mr Weasley von seinem Platz und hob in drohender Geste seine Faust in die Richtung seiner, zugegebenermaßen, ausgesprochen aufmüpfigen und, jetzt gerade, unglaublich nervigen Brut.      Luciana hatte das Kapitel nicht einmal zur Hälfte lesen können, da wedelte eine ihr wohl bekannte Hand in ihrem Gesichtsfeld herum.      „Miss Bradley, die Sitzung ist beendet“, sagte Snape, als Luciana die Hände von ihren Ohren genommen hatte und ihn ansah. Der Raum hatte sich geleert, nicht einmal Mrs Weasley stand noch am Waschbecken und spülte das schmutzige Geschirr, wie es sonst üblich war.      Ein Blick auf die Wanduhr über der Küchenzeile verriet ihr, dass ihr noch genau neun Stunden bis zur Zaubertrankprüfung blieben. Ihre Augen schnellten von der Uhr zu Snape, der ungeduldig neben ihr stand und sie auffordernd anblickte. Professor Snape. Zaubertranklehrer. Nein, korrigierte sie sich, Zaubertrankmeister. Das Wissen über Gegengifte und somit der Schlüssel zur Bestnote ‚Ohnegleichen‘ lag in diesem Hirn verborgen. Letzte Chance.      „Sir, Sie müssen mir helfen!“      Für eine Sekunde schien Snape ein wenig perplex, er schaute sie an, dann das Zaubertrankbuch, welches aufgeschlagen vor ihr lag.      „Ihnen ist nicht mehr zu helfen“, kommentierte er gehässig. „Entweder Sie kommen jetzt, oder Sie sehen alleine zu, wie Sie zurück zum Schloss gelangen, Miss Bradley.“      Wissen. Da oben in diesem widerwärtig fiesen und gemeinen Schädel … muss-ihm-die-Schädeldecke-aufbohren –      „Aber… Sir, ich -“ Ah ja, da war sie wieder, die erhobene Augenbraue, dieses Mal von der ungeduldigen Sorte, „… die Gegengifte, das will einfach nicht in meinen Kopf und… und“, bitte nicht – jetzt stiegen ihr zu allem Überfluss die Verzweiflungs-Zornes-Tränen in die Augen, „… und jetzt werd ich morgen durchfallen und dann gibt das nix mit’m Heiler und dann behält Umbridge recht und… und ich werd‘ Empfangsdame beim St. Mungo und muss meine Nägel feilen und dabei Schund-Magazine lesen und …“ Als die erste Träne rollte, erschien bei Professor Snape eine Art panischer Ausdruck im Gesicht, die Situation schien ihn ein wenig zu überfordern.      „Miss Bradley, Ihrer Erörterung über die effektivere Wirkung von Naloxon gegenüber der Weinrautenessenz habe ich bereits in Ihrem Aufsatz zugestimmt“, begann er mit ungewöhnlich sanfter Stimme, „jedoch wird es im theoretischen Teil der morgen anstehenden Prüfung nicht gefragt sein, Gegenstand des gängigen Unterrichtsstoffes in Frage zu stellen. Sie müssen Ihre Erkenntnisse beiseitelassen, denn ansonsten war ihre Hausarbeit recht … brauchbar.“      Snape hatte sicherlich im Sinn gehabt Luciana zu beruhigen (wieso auch immer er zu solch einer sozialen Leistung fähig war), die Gedanken an Professor Hamiltons Dissertation bewirkten bei ihr allerdings Gegenteiliges. Zu der ersten Träne gesellten sich weitere, während Luciana schluchzend ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte.     „Deshalb brauchen Sie nicht anfangen zu heulen, Miss Bradley“, irgendwie war sein Tonfall jetzt weniger nett – Luciana schaute auf und durch den feuchten Schleier ihrer Tränen sah sie einen leicht gehässigen Anflug eines Grinsens die Mundwinkel des Professors umspielen. „Wenn Sie sich an das halten, was ich Ihnen eben gesagt habe, sollte es nicht völlig schwarz für Ihre Zaubertrankprüfung aussehen.“      „A-aber“, stotterte sie.      „Ja, Miss Bradley?“ Er sah nicht nur gehässig aus, nein, er schien sogar Spaß daran zu haben, sie leiden zu sehen. Luciana schluckte ihren Stolz herunter, er war nun mal ihre letzte Chance.      „Der … der Aufsatz war nicht von mir … den hat ein Tränkebrauer meines Paten für mich geschrieben.“ So, jetzt war es raus.      „Ich weiß, Miss Bradley.“      Wie bitte was?!      „S-Sie wissen das?“, fragte sie.      „Selbstverständlich“, entgegnete Snape trocken. „Der Aufsatz konnte nicht aus Ihrer Feder stammen, allein die Wortwahl zeugte von ungewohnter Präzision und Fachkompetenz.“ Diese Worte ließ er genüsslich bei Luciana wirken, bevor er den wirklich großen Hammer drauf setzte. „Zudem beherrsche ich neun Sprachen, Deutsch zählt ebenfalls dazu.“      Luciana fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, so kugelrund und groß waren sie geworden. Vor ihrem geistigen Auge spielten sich die hübschen kleinen und vor allem vielen Szenen wieder, in denen sie Snape murmelnd oder flüsternd ein deutsches Schimpfwort oder eine Beleidigung an den Kopf geworfen hatte – und dabei war sie immer davon ausgegangen, er habe sie nicht gehört und vor allem, er habe sie nicht verstanden.      Aber dann fiel es ihr wie Schuppen vor die Augen, beim Essen, in der Großen Halle, als Doktor Hamilton ihr Unterlagen von ihrem Paten gebracht und nach Professor Snape gefragt hatte. Das musste Snape mitbekommen haben – und er hatte nicht einen Ton gesagt. In den letzten Tagen hatte Longbottom ihr oft genug gepredigt, wie Professor Snape hätte reagieren müssen, wie unkontrolliert er war, wenn man das Falsche sagte oder nur eine Bewegung machte, die ihn aufregen könnte. Aber in Wahrheit war Snape nicht berechenbar. Absolut und überhaupt nicht. Und diese Tatsache rieb er ihr nicht das erste Mal unter die Nase und wenn man Longbottom Glauben schenken durfte, war sie zumindest ein Einzelfall unter den Nicht-Slytherin-Schülern, dem Snape eine Sonderbehandlung zukommen ließ. Aber wieso? Und wie konnte sie sich die Unberechenbarkeit dieses Mannes für ihr jetziges Problem zu Nutze machen? Ja, eine Idee war es wert auszuprobieren.      Luciana wischte sich entschlossen die Tränenspur von den Wangen, blätterte ein paar Seiten in ihrem Schulbuch zurück und deutete auf eine Textpassage.      „Hier, das ergibt keinen Sinn –  der Körper baut erwiesenermaßen Antikörper auf, wenn man ihm über langen Zeitraum kleine Mengen eines Giftes zufügt, hier wird das Gegenteil behauptet und das es so etwas wie eine gewollte Resistenz gegenüber Giften nicht gibt.“      „Miss Bradley, es ist das letzte Mal, dass ich Sie zum Gehen auffordere …“      „Sir, wie soll ich gleich die Frage beantworten, wieso man in diesem Buch von dieser These ausgeht, wenn ich sie nicht mal verstehe?“      Mit einem Schnauben drehte sich Snape auf der Achse um und war in seinem standartmäßig rasanten Tempo fast an der Tür angelangt, als Lucianas nächste Worte ihn noch einmal zum Stehen brachten.      „Sir, ich schaff das nicht ohne Sie. Bitte, ich brauche Ihre Hilfe!“      Sie hätte vieles darum gegeben, die nächsten Sekunden das Spiel seiner Mimik sehen zu können, doch er stand mit dem Rücken zu ihr gewandt da, bevor er tatsächlich zurückkam und den Platz neben ihr einnahm.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Professor Snape hatte seinen Beruf verfehlt. Zumindest teilweise. Was auch immer er auf einem Zaubererinternat zu suchen hatte, seine wahre Berufung lag im Einzelunterricht.      Luciana hatte eine ganze Stunde gebraucht, aus dem zu offensichtlichen Staunen-mit-halb-geöffneten-Mund herauszukommen, nach der zweiten wurde sie mutiger und wagte es, nicht immer nur fachbezogene Fragen zu stellen und dann warf sie sogar hier und da scherzhafte Kommentare ein (auf die Snape zwar nicht übermäßig heiter, allerdings auch nicht mit Gekreische, Strafarbeiten oder Prügel reagierte). Snape erklärte ruhig, reagierte nicht genervt auf wiederholtes Nachfragen und hatte ein sehr feines Gespür dafür, aus welchem Grund Luciana mit einigen Thesen Verständnisprobleme hatte.      Sie waren auf der letzten Seite des Gegengiftkapitels angelangt, hatten den Aufsatz von Doktor Hamilton besprochen und tranken gerade ihre dritte Kanne Kaffee, als sich die Tür zur Küche geräuschvoll öffnete und in dessen Rahmen ein äußerst verschlafen dreinschauender Remus mit weit aufgerissenen Augen und erhobenen Zauberstab erschien.      „Luciana?“, sagte Remus, sein Blick blieb bei Snape hängen. „Severus?!“      Snape unterbrach seinen Redeschwall, nahm den Arm, den er um Lucianas Stuhllehne gelegt hatte, um sich besser über die Unterlagen beugen zu können, hinunter und rutschte ein beachtliches Stück von ihr weg.      Remus schien seinen Augen nicht zu trauen, selbst nicht, nachdem er sie mehrfach gerieben hatte.      „Was beim Barte des Merlins macht ihr hier?“, fragte Remus fassungslos und kam ein paar Schritte in den Raum hinein. „Es ist halb zehn in der Früh, seid ihr denn gar nicht zurück nach Hogwarts appariert?“      „Professor Snape hat mir bei Zauberträ- HALB ZEHN?!“      Luciana sprang von ihrem Platz auf, schob eilends Papiere und Akten zusammen, klappte ihr Buch zu und stopfte ohne Rücksicht auf Verluste alles in ihre Tasche. „Fuck, die Prüfung fängt in dreißig Minuten an, fuck, fuck, Scheiße, verdammte …“   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*      Der Weg, den Luciana und Snape im rasanten Tempo vom Apparierpunkt hinauf zum Schloss zurücklegten, verlief schweigend, von einer knappen Antwort abgesehen, die Luciana auf die Nachfrage bekam, ob er Unterricht verpasst hatte – ein kurzes ‚nein‘ war alles gewesen.      Der Snape, den sie in den letzten Stunden kennengelernt hatte, war anscheinend wieder von ihm in die hintersten Ecken seiner Persönlichkeit verbannt worden. Dem kurzen Wehmut, der daraufhin bei ihr aufkam, konnte sie in diesem Moment nicht viel Aufmerksamkeit schenken, sie hatte eine Prüfung zu schreiben, die sie Dank Snape vielleicht sogar schaffen konnte. Die Chancen standen nicht einmal schlecht sie gut abzuschließen.      Im Schloss angekommen, lieferte Snape sie vor der bereits verschlossenen Tür der Großen Halle ab und war gerade schon im Begriff gewesen, auf dem Absatz kehrt zu machen als – Luciana inspizierte ihr Umfeld, keine Menschenseele in Sicht und schlang dann dem vollkommen unvorbereiteten Professor Snape beide Arme um die Brust, flüsterte ihm ein „Danke, danke, danke!“ entgegen, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die rechte Wange. Okay, natürlich dauerte diese Aktion nicht länger als ein paar Sekunden – denn auch wenn Snape nicht so berechenbar war, wie er es seinem Umfeld gerne hätte weiß machen wollen, die Reaktion hierauf hätte sie niemals abwarten wollen. Und so verschwand Luciana durch die Flügeltür in die Großen Halle und betrat die ZAG Prüfungen das erste Mal mit einem Lächeln auf den Lippen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)