Luciana Bradley und der Orden des Phönix von Picadelly ================================================================================ Kapitel 11: Von brennenden Narben und Köpfen -------------------------------------------- Von brennenden Narben und Köpfen   Den nächsten Morgen, es war ein Sonntag (wem auch immer sei Dank, noch ein unterrichtsfreier Tag), bemerkte Luciana erst, als die ersten Sonnenstrahlen auf die Buchseiten vor ihrer Nase fielen und diese genauso schnell wieder verschwanden, wie sie gekommen waren. Nun, sie war schlechtes Wetter und viel Regen von ihrem Zuhause in Deutschland gewohnt, allerdings pflegte sich der Regen dort einmal richtig auszutoben oder es eben bleiben zu lassen – nicht wie in diesem vermaledeiten, schottischen Hochland, wo das Wetter seine Meinung so schnell änderte, wie ein pubertäres Schulmädchen.      Die Nacht war zu kurz gewesen, das von Snape geliehene Werk komplett durchzulesen, allerdings auch wieder lang genug, um bei Luciana sichtbare Spuren hinterlassen zu haben. Sie wusste, auch ohne in den Spiegel zu schauen, dass ihre Augen blutunterlaufen, ihre Haare zu Berge stehen und ihr schon sonst heller Teint, einige Nuancen blasser sein würden. Mit einem Seufzen setzte sie sich in ihrem Bett auf, unterdrückte den darauffolgenden Schwindel, streckte ihre Glieder und öffnete dann eines der drei kleinen Turmfenster in ihrem überschaubaren Zimmer … lein. Ah, Frischluft … und gleich fühlte sie sich wieder munterer, auf jeden Fall munter genug, um ein wenig Nahrung zu sich nehmen zu können - also Kaffee trinken zu gehen … ja, und der Klo-Myrte einen kleinen Besuch abzustatten.      Auf dem Weg in die große Halle ließ Luciana sich das Gelesene noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen. Die Kapitel um Voldemort waren kürzer ausgefallen, als sie angenommen hatte (verglichen mit dem schier endlosen Material von zum Beispiel Adolf Hitler, den man gut und gerne mit einem Schwarzmagier wie Voldemort vergleichen konnte – die Ansichten der beiden klangen in ihren Ohren schon sehr ähnlich). Eigentlich hatte dieses Buch mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet.      Zunächst einmal hatte die Autorin angedeutet, Voldemort sei nicht der Geburtsname dieses Magiers gewesen, aber welcher Alter Ego genau dahinter steckte, ließ sie daraufhin unbeantwortet. Als Kurzzusammenfassung schloss Luciana: Anfang der Siebziger besorgte sich der-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, (nicht das erste Mal rollte Luciana mit den Augen, als sie an diese Lächerlichkeit dachte, irgendwie musste sie dann immer an eine Szene aus dem Disney-Film ‚König der Löwen‘ denken, bei denen sich die drei Hyänen darüber amüsierten, den Namen Mufasas nicht aussprechen zu dürfen …Mufasa … huääähäää) eine Gruppe Volldeppen, mit denen er in die Welt hinauszog und ein paar Muggel (allein dieses Wort war schon verachtenswert und erniedrigend) und Muggelstämmige- oder Freunde ärgerte und na ja, Luciana hatte die Todeszahl, die genannt wurde, nicht mehr ganz im Kopf, aber ja, ein paar Kollateralschäden waren wohl dabei gewesen.      Jaaa, und dann kam tatsächlich ihr Klassenmitsitzer, Harry Potter, ins Spiel … der unvorteilhafte Blitz auf Potters Stirn war doch kein Branding gewesen, vielmehr ein Überbleibsel von einem Todesfluch, welcher auf ihn von dem-dessen-bla-blub-darf gewirkt wurde und den Potter überlebt hatte. Deswegen ein unglaublich einfallsreiches Pseudonym für Mr Potter: Der Junge der lebt, wie im Buch geschrieben stand. Wow. Ja, und das hatte Voldemort offensichtlich in die ewigen Jagdgründe befördert, so zumindest das Buch. Anscheinend ja doch nicht … verwirrend, diese magischen Hintertürchen.      Während dieser gedanklichen Verknotungen und kläglichen Versuche, diese Informationen in ein sinnvolles Ganzes zu bringen, hatte Luciana die große Halle erreicht, die sie fast vollkommen leer vorfand. Sie zählte drei Schüler und am Lehrertisch saß lediglich McGuyv-, pardon, Gonagall, die sie nur an dem übergroßen Zauberhut auf ihrem Kopf erkannte, dessen Spitze gerade eben über die aufgeschlagene Zeitung, in der sie gerade las, herüberragte. Hauptsache das Wichtigste war vorhanden: Die Kaffeekanne am Lehrertisch. McGonagall machte sich nicht die Mühe aufzusehen, als sich Luciana eine Tasse davon nahm.      Als sich ihre Hauslehrerin allerdings nach Lucianas dritter Tasse Kaffee erhob, die Zeitung mit dem Titel ‚Tagespropheten‘ energisch zusammenfaltete und sie darauf kurz mit strengen Blick musterte, fiel ihr ein, was sie die ganze Woche über erfolgreich verdrängt hatte: … Hausaufgaben … Berge an Hausaufgaben. Seufzend und mit den schlurfenden, schweren Schritten einer Person, die pure ‚keinen Bock‘ Aura verstrahlte, machte sie sich wieder auf den Weg zum Gryffindor Turm.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Im Gemeinschaftsraum angekommen, herrschte ebenso wenig Betrieb, wie zuvor beim Frühstückstisch. Mit einem Blick auf die Wanduhr konnte sich Luciana auch schnell den Grund dafür zusammenreimen: Es war gerade eben erst acht Uhr dreißig. Nur George und Fred saßen sich in zwei der großen Ohrensesseln gegenüber, hatten allerlei undefinierbares Zeugs auf einem Tisch ausgebreitet und amüsierten sich gerade köstlich über: „…Sorry …“, ahmte George gerade wer-weiß-wen nach und hampelte mit schauspielerischer Meisterleistung in der Luft herum, unfähig irgendetwas Imaginäres zu fangen.      „Trainierst du für’s Ballett, oder was soll das werden?“, fragte Luciana und ließ sich in den freien Sessel neben die beiden fallen. Fred lachte daraufhin auf und schon begann die Erzählung eines wohl nicht ganz so gelungenen Quidditch-Trainings, vom gestrigen Tag.      „Ja, und ich dachte schon Angelina würde jeden Moment anfangen zu heulen …“, schloss Fred den Bericht. Zugegebenermaßen, auch wenn sie die beiden mochte, bei dem Thema Quidditch, oder Tretball, oder was auch immer für Ballsportarten (für Luciana schien dabei ohnehin nicht der kleinste Unterschied zu bestehen), konnte sie unglaublich gut abschalten. Demnach hatte sie eh nur die Hälfte mitbekommen.      „Ah, und die Slytherins sind dann eure nächsten Gegner?“, fragte Luciana, eher aus Höflichkeit und auch ein wenig stolz darüber, überhaupt etwas von der Schilderung behalten zu haben.      George und Fred sahen sich daraufhin ein wenig verständnislos an.      „Wie kommst du darauf?“, wollte Fred wissen und beugte sich, jetzt etwas ernster (irgendwie für ihren Geschmack zu ernst), weiter in ihre Richtung.      „Na ja, hattet ihr nicht grad erwähnt, da seien ein paar Slytherins aufgetaucht, die nen Anti-Gryffindor-Schlachtgesang zum Besten gegeben haben?“      Und wieder wurde sie von den Zwillingen anvisiert, dieses Mal etwas länger und mit hochgezogenen Augenbrauen, dann seufzten sie, wie aus einem Mund.      „So, du junges Küken ...“, setzte Fred an und schob seinen Sessel zu ihrem, bis sich diese berührten, „ … jetzt bekommst du erstmal allernötigsten Weasley-Nachhilfeunterricht …“, endete George und tat es ihm auf der anderen Seite gleich.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   George und Fred hatten sich erst von ihr verabschiedet, als Lee Jordan gegen Mittag noch etwas schlaftrunken aus dem Jungenschlafsaal getorkelt kam und das Trio folgend etwas ‚dringendes zu erledigen‘ hatte. Luciana zog es vor, nicht weiter nachzuhaken, immerhin konnten Jungs in diesem Alter sehr … beängstigend sein.      Die beiden Weasleys hatten sie mit einem Informationsüberfluss der schlimmsten Sorte zurückgelassen und zum wiederholten Mal, in der gerade ersten Woche hier an der Schule, wünschte Luciana einen Einführungskurs in diese, ihr so fremde und verstörende Welt … oder eine Broschüre … oder ein ‚Hogwarts für Dummies‘ … irgendeine Nachschlagemöglichkeit, mit Verhaltensregeln und Rangordnungen – niemand hatte ihr gesagt, wie die Slytherins zu den Gryffindors standen, dass diese Häuser schon immer einen Gegensatz dargestellt hatten und dass die Slytherins hier an der Schule so etwas wie … nun ja, die schwarzen Schafe waren.      Selbstverständlich gewann zumindest Snapes Verhalten dadurch etwas mehr an Logik und auch sein Werdegang zu einem Voldemort-Mitläufer schien somit schon fast wie vorprogrammiert. Nein, Stopp, da redete sie sich gerade die Welt bunt und fluffig. Was war nochmal der wichtigste Grundsatz, laut Gabriel? ‚Man hat immer eine Wahl‘.      Voldemort höchstpersönlich sollte hier in Hogwarts zur Schule gegangen sein. Dieser Gedanke erschien ihr allerdings ein wenig surreal. Als Luciana aber gerade, während der ‚Nachhilfestunde‘, bei diesem Thema versucht hatte weiter nachzuhaken, hatten George und Fred irgendwann ein „Man sollte sich im Leben vor allem mit schönen und lustigen Dingen beschäftigen“ dazwischen gehauen und damit war diese Sache für die beiden beendet gewesen.      Verdammt, Hausaufgaben! Oh, eine Fliege … nein! Hausaufgaben. Punkt. Nach weiteren, darauffolgenden Auseinandersetzungen mit ihrem inneren Schweinehund, gab sich dieser letztendlich geschlagen und die nächsten Stunden sah sich Luciana umringt von Pergamenten, Büchern und lose herumfliegenden Notizzetteln.      Der Gemeinschaftraum wurde stetig voller, dann wieder leerer, nur Granger, der andere Weasley Junge (wie war gleich sein Name?) und der Junge der lebt (wieder musste Luciana bei diesem Gedanken grinsen) schienen es, wie sie selbst, versäumt zu haben, die Hausaufgaben unter der Woche zu erledigen. Nein, korrigierte Luciana, Granger saß weiter von den Jungs ab, unterhielt sich mit einem rothaarigen Mädchen (waren die hier in Hogwarts verdammt nochmal alle Rotschöpfe??) und … was war das denn? Neben Grangers Lockenmisere hingen zwei Stricknadeln, die … ja, was genau strickten? Ehm, wo genau lag der Sinn Wolle zu kaufen, um dann nicht einmal selbst die Handarbeit zu machen, sondern einen Zauber dafür zu nutzen? Wäre es in der Kosten-Nutzen-Rechnung nicht wesentlich effektiver, bei einem Discounter ein Zehnerpack zu kaufen und … HAUSAUFGABEN!! Ruckartig schnellte Lucianas Kopf wieder Richtung Buch, welches auf ihrem Schoß lag.        Letztendlich brauchte sie noch zwei weitere Stunden (eine davon war ganz den vielen, kleinen Ablenkungen gewidmet), um endlich den nicht enden wollenden Aufsatz für die Sternenguckerin fertigzustellen.      Beim Einpacken und Verstauen ihrer Schulsachen, fiel Luciana dann Zaubergeschichte der Neuzeit in die Hände, welches immer noch aufgeschlagen auf ihrem zerwühlten Bett lag. Mh … was genau verstand der Professor unter ‚unverzüglich und unaufgefordert wiedergeben‘? Okay, sie hatte schon mehr als genug Ärger am Hals, da war es sicher nicht von Vorteil, gerade Snapes Geduldsfaden überzustrapazieren. Sie schnappte sich das Buch, unterzog diesem eine gründliche Überprüfung und befand letztendlich, es in diesem Zustand ruhigen Gewissens abliefern zu können.      Auf dem Weg in die Kerker machte Luciana einen kleinen Umweg über das Myrte-Klo (wie hatte sie es nur so lange ohne Nikotin aushalten können?) und im Allgemeinen schien sich der Betrieb im gesamten Schloss in Grenzen zu halten. Das konnte ihr nur recht sein, denn auch wenn sie sich vor langer Zeit einmal fest vorgenommen hatte, die Tratschereien über ihre Person zu ignorieren, würde es schon einen seltsamen Eindruck machen, sollte sie jemand dabei sehen, wie sie an einem unterrichtsfreien Tag ihren Zaubertrankprofessor aufsuchte. Und das als Gryffindor. Nun, soviel hatte sie heute gelernt, keiner an der Schule würde dies mit einem Schulterzucken abtun.        Sie klopfte dreimal bestimmt, aber nicht zu laut, wie noch vor ein paar Tagen (Luciana musste bei dem Gedanken doch etwas schmunzeln), an die schwere, dunkle Holztür vor ihrer Nase. Es dauerte nicht lange, bis sie ein kratzendes Geräusch, wie von einem schweren Stuhl, der über den Boden geschoben wurde, vernehmen konnte und sich dann, keine zehn Sekunden später, die Tür öffnete. Vor ihr ergab sich ein, mittlerweile fast schon gewohntes Bild. Schwarze Haare, immer noch fettig (vielleicht sollte Luciana ihrem Professor anonym eine Herbal Essences Probe zuschicken?), grimmiger Blick, der noch grimmiger wurde, als Professor Snape erkannte, wer sich da mal wieder vor seinem Domizil eingefunden hatte.      „Miss Bradley. Welch eine Überraschung …“, knurrte er. Luciana hob zu ihrer Verteidigung das Buch in ihrer Hand in sein Blickfeld. Er nahm es ihr kommentarlos entgegen, prüfte es kurz, aber gründlich und befand es dann für annehmbar (das entnahm sie jedenfalls seiner Wortlosigkeit). Einen Moment später, als Luciana keine Anstalten machte zu gehen, war der Professor auch schon im Begriff, ihr die Tür vor der Nase zu zuschlagen.      „Ehm, Professor Snape, Sir?“      Resigniert und mit einem kleinen Verdrehen der Augen, hielt dieser in seiner Bewegung inne und wandte sich ihr wieder zu, mit einem lauten Seufzer auf den Lippen.      „Ja, Miss Bradley?“      „Eh, da drin“, sie deutete auf das Buch in seiner Hand, „steht was von Volde-„ Snape sog scharf die Luft zwischen seine gelblichen Zähne ein, Luciana beeilte sich, der sicher folgenden Standpauke zuvorzukommen, „der-welcher-dessen, ach Dunkle Meist- der ganz krasse Typ da halt,“ Snape hob seine rechte Augenbraue in ungeahnte Höhen, „die behaupten auf jeden Fall er sei tot. Also, nachdem was ich hier immer wieder höre, stimmt das doch nicht so ganz, oder?“      Professor Snape hielt noch immer die Tür in der Hand. Er betrachtete kurz den Einband des Buches, sah dann wieder zu Luciana und in dieser kurzer Zeitspanne war ein ganzes Repertoire an feiner, kaum sichtbarer Mimik über sein Gesicht geglitten.      „Kommen Sie rein“, forderte Snape sie kurz und bündig auf, trat von der Tür und schloss diese, als Luciana seinen Worten Folge leistete. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, sich zu setzen, selbst nahm er, wie in der gestrigen Nacht auch, hinter seinem Schreibtisch Platz, der heute vor lauter Pergamenten und Büchern fast zusammenzubrechen drohte. Aus den Zetteln, direkt vor ihm, konnte sie schließen, dass er wohl gerade dabei gewesen sein musste, irgendwelche Aufsätze zu korrigieren (beziehungsweise, wenn man von dem ausging, was sie über seine Benotung gehört hatte, war er wohl eher dabei, das Schriftstück vor sich akribisch auseinander zu hackstückeln). Vielleicht waren dies sogar die Mondsteinaufsätze, die sie letzten Donnerstag bei ihm abgegeben hatten?      „Sie wollen von mir wissen, ob der Dunkle Lord gestorben ist?“, fragte Snape mit ungeahnter Schärfe und es hörte sich mehr nach einem Vorwurf, als einer Frage an. Luciana nickte zögerlich.      „Nun, was halten Sie von der Idee, der Hauslehrerin Ihres eigenen Hauses mit dieser Frage auf die Nerven zu fallen? Oder Ihrem Lehrer in Zaubereigeschichte?“, sagte er dann, verschränkte dabei seine Hände auf dem Tisch und beugte sich in seiner gefährlich ruhigen Art nach vorne.      „Öhm …“ Daran hatte Luciana nicht einmal einen Gedanken verschwendet. Obwohl es jetzt, wo Snape es einmal ausgesprochen hatte, doch schon recht einleuchtend klang. Jetzt bloß nicht klein beigeben …      „Naja, ich dachte mir, Professor McGonagall könnte vielleicht ein wenig … parteiisch in der Angelegenheit sein, immerhin war der-we … der Schwarze Führer ja anscheinend selbst Slytherin und nachdem, was ich hier so mitbekommen hab, scheinen sich die Gryffindors und Slytherins ja in einer Art Kleinkrieg zu befinden,“ Snapes Augenbraue ging wieder auf Wanderschaft, „ja und Binns … ehm …“ Luciana räusperte sich kurz. „Ich glaub der würd mich nicht mal wahrnehmen, wenn ich ihm direkt aufs Pult kotzen würde.“ Ah, da war die zweite Augenbraue auch schon … vielleicht sollte sie den beiden Namen geben? Fitz und Fatz?      „Zehn Punkte von Gryffindor, ich mache mir dieses Mal nicht die Mühe, Sie auf den Grund aufmerksam zu machen“, schnöselte er monoton.      „Eh, ich glaub wir haben gar keine Punkte mehr“, flüsterte sie daraufhin kleinlaut. Was war das denn? Hatten Snapes Mundwinkel gerade ernsthaft gezuckt?      „Bedauerlich.“      Wieder Schweigen.      „Also, ist er tot oder nicht?“, wiederholte Luciana ihre Frage.      Snape setzte zu einer Antwort an, als sein linker Arm plötzlich einmal kurz und kaum wahrnehmbar zuckte.      „Miss Bradley, wenden Sie sich an eine der eben genannten Personen und hören Sie auf, mich in meiner unterrichtsfreien Zeit zu belästigen, dieses Privileg gebührt höchstens den Schülern meines eigenen Hauses“, sprach er in Windeseile. „Und jetzt VERSCHWINDEN Sie, und zwar schnell!“, donnerte er zum krönenden Abschluss.      Dieser Stimmungswechsel kam so unvorhergesehen und aus heiterem Himmel, Luciana wäre fast vom Stuhl gekippt. Allerdings besaß sie noch genug Verstand, sofort aufzuspringen und mit einem gemurmelten „Gute Nacht und danke nochmal für das Buch“ das Weite zu suchen. Ihre Schritte hatten selbst nicht an Geschwindigkeit abgenommen, als sie schon die oberste Stufe erreichte, die sie in die Eingangshalle führte. Dann blieb sie stehen. Ein Zucken im Arm und eine daraus resultierende Persönlichkeitswandlung? Da war doch was faul … ziemlich wahrhaftig und gewaltig faul!      Luciana platzierte sich neben der großen Treppe, die in die oberen Stockwerke führte und lugte so unauffällig wie möglich um die Ecke. So hatte sie freie Sicht auf den Torbogen, der in die Kerker führte. Und tatsächlich, nach nur wenigen Minuten konnte sie von ihrem Versteck aus Schritte vernehmen, sehr charakteristische Schritte. Sie zog schnell ihren Kopf in Deckung und sah einen Augenblick später eine ganz in schwarzem Stoff gehüllte Gestalt, die die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen hatte. Kaum hatte sich das Haupteingangstor wieder geschlossen, setzte sich Luciana in Bewegung, zog die riesige Eingangstür so leise wie möglich einen Spalt auf, gerade so weit, dass sie sich seitwärts hindurchquetschen konnte und versuchte die Gestalt (nein, es war hundertprozentig Snape gewesen, dieser Bewegungsapparat war einfach zu einmalig) auszumachen.      Draußen war es stockdunkel geworden, wahrscheinlich hatten sie mittlerweile schon Sperrstunde. Kurz überlegte Luciana, wieder hineinzugehen, immerhin brauchte es nicht mehr viel und sie würde wirklich einen Verweis bekommen. Einen Moment mal, Snape lief da vorne Richtung Wald, also wäre auch logischerweise gerade die Person außer Gefecht gesetzt, die Luciana sonst immer aufgabelte? … Vorausgesetzt, diese drehte sich nicht einfach um … trotz dieser Bedenken rannte sie los.      Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Wenigstens war es eine sternenklare Nacht, so konnte sie wenigstens ein paar Schemen erkennen. Ah, und da war Snape, vielleicht mit fünfzig Metern Vorsprung, und ging mit schnellen Schritten Richtung Wald. Luciana holte bis auf zwanzig Meter auf und wurde dann langsamer. Sie wollte sich den Tobsuchtsanfall nicht einmal ansatzweise vorstellen, den er bekommen würde, sollte er sie beim Nachspionieren erwischen. Ihr Herz klopfte unglaublich schnell - endlich ein wenig willkommende Abwechslung im tristen Schulalltag!      Nach ein paar Minuten waren sie am Rande des Waldes angekommen. Snape ging noch ein paar Meter weiter und gerade als Luciana der Gedanke kam, doch lieber wieder Kehrt zu machen, anstatt mitten in der Nacht in einen dicht bewucherten Wald zu wandern (der laut der Zwillinge, nebenbei bemerkt, zu einer Schüler-Sperrzone gehörte), blieb er auch schon stehen. Mit etwas Verzögerung registrierte sie sein Anhalten und verzog sich darauf hinter einen dicken Baum. Einmal tief durchatmen. Luciana bewegte langsam den Kopf und streckte ihn soweit vor, dass sie einen Überblick über die Szenerie bekam. Snape hatte sich in ihre Richtung gedreht, war aber noch immer etwa vier oder fünf Meter entfernt und schien keinerlei Notiz von ihr zu nehmen.      Was zum Teufel machte er da? Snape hatte sich die Kapuze vom Kopf gezogen, ja, es war eindeutig Snape. Snape mit Pferdeschwanz?? Doch bevor sie sich über dieses ungewöhnliche Bild Gedanken machen konnte, hatte der Professor seinen Zauberstab auf sein Gesicht gerichtet. Im nächsten Moment erschien darauf eine Maske, von der das Mondlicht reflektiert wurde und silbern in die Dunkelheit strahlte. Luciana konnte, zu ihrem Bedauern, aus dieser Entfernung, keine Details erkennen. Daraufhin warf  Snape sich wieder die Kapuze über und war mit einem Plopp verschwunden.      Dann wurde sie an der Schulter gepackt.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*        Ein spitzer Schrei durchschnitt die Stille der Nacht. Luciana machte einen gewaltigen Satz in die Höhe, drehte sich gleichzeitig dabei um, nur um darauf mit einem Seufzer festzustellen, dass sich Azrael auf ihre Schulter gesetzt hatte und nun ungeduldig an ihren Haaren herumzupfte.      „Duuuu … du unnützes…“ Luciana sparte sich die aufbrodelnden Beschimpfungen, immerhin hatte sie es heute selbst versäumt das kleine, beleidigt dreinschauende Federvieh zu füttern.      „Na komm, wir suchen dir was zu Essen“, flüsterte sie ihm zu und kehrte mit schnellen Schritten wieder zum Schloss zurück.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Es war nach Mitternacht, als Luciana sich in einen der vielen freien Sessel setzte und ihren Kopf in die Hände sinken ließ. In der folgenden Stunde hätte ein außenstehender Beobachter sicher behaupten können, eine Statue vor sich zu haben, so wenig bewegte sie sich dabei. Sie starrte in die Flammen des Kamins, wobei sie diese kaum wahrnahm. Um ihre Identität zu verschleiern, trugen die Todesser eine Art Uniform, bestehend aus einer schwarzen Robe mit großer Kapuze und eine Maske verbarg ihr Gesicht … hallten die geschriebenen Worte aus ‚Zaubergeschichte der Neuzeit‘ immer und immer wieder in ihren Gedanken. Also war Snape wieder Todesser und der Schwarze Führer wirklich nicht tot, oder traf sich ihr Professor aus melancholischen Gründen hier und da mal mit seinen ehemaligen Kumpanen in voller Montur? Und selbst wenn er immer noch ein Todesser war, was sollte das schon aussagen? Lucianas alter Mathelehrer hatte sich immerhin am Wochenende auch gerne als weibliche Edelprostituierte verkleidet – innerhalb der Woche war er dann wieder dazu übergegangen, rechte Winkel, vorzugsweise an Hakenkreuzen, zu erklären. Manche Leute hatten halt sehr … eigensinnige Hobbies und Vorlieben.      Knister       HA! Da war es wieder! Luciana hatte sich die letzten beiden Male eingeredet, sie habe sich wegen Schlafmangel und zu viel Gedankenwust das Gesicht im Feuer nur eingebildet, aber jetzt gerade war es da gewesen, ganz sicher. Ein Kopf, freischwebend im Feuer, der sofort verschwand, als er ihren verblüfften Blick sah. Mh, das war sicher irgendeine Eigenart von Hogwarts, von der sie, zur Abwechslung, nichts wusste. So etwas wie ein Überwachungsfeuerkopf, der in regelmäßigen Abständen in den Gemeinschaftsräumen spionierte, um dann der Schulleitung zu petzen, wer sich zu später Stunde noch nicht im Bett befand. Und zum x-ten Mal in den letzten Tagen, rief sich Luciana ins Gedächtnis, dass sie schon genug Ärger am Hals hatte. Also erhob sie sich murrend und schlurfte Richtung der Mädchenschlafsäle. Auf ihrem Zimmer befand sich wenigstens kein Big-Brother-Kamin. Am Treppenansatz blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um, war drauf und dran den letzten drei Schülern, die sich noch mit ihr im Gemeinschaftsraum befunden hatten (Potter, ein Weasley und Granger), vor dem Kopf zu warnen, entschied sich letztendlich aber dagegen. Die würden schon wissen was sie taten.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*        Im Bett kam Luciana auch nicht zu Ruhe. Irgendwie wollten ihre Augenlider nicht geschlossen bleiben und so starrte sie seit sicher einer halben Stunde rastlos an ihre Zimmerdecke. Das machte sowieso keinen Sinn, also sprang sie genervt und seufzend auf, warf sich ihren Mantel über das Nachthemd und öffnete die Tür ihres Zimmers. Sie war schon im Begriff die Stufen hinunter zu laufen, als sie eine Stimme vernehmen konnte. Das alleine hätte sie auch nicht stutzig gemacht, immerhin war es gut möglich, dass Granger und die beiden anderen immer noch an Ort und Stelle saßen, aber die Stimme, die sie hörte, war männlich. Also männlich-männlich, ohne diesen seltsam kratzend hohen Unterton, die angeschlagene Stimmbänder von Jungen im Teenageralter mit sich brachten.      „Aber Sirius, du gehst ein enormes Risiko ein …“, hörte sie die belehrende Stimme von Granger.      Luciana schlich vorsichtig ein paar Stufen weiter hinunter, da sie die Männerstimme von ihrer Position aus nur sehr undeutlich verstehen konnte. Ah, hier war es besser.      Granger, Potter und der Weasley-Junge standen alle mit dem Rücken zu ihr gekehrt, Richtung Feuer. Offensichtlich schien der Kopf wohl doch keine ausgefeilte Magierspionagetechnik zu sein. Beruhigend. Jetzt unterhielten sich die drei über irgendeine Narbe. Nein, der Kopf redete anscheinend mit Potter, also konnte sich Luciana schon zusammenreimen, um welche Narbe es genau ging … Potters Narbe fing also an zu brennen, wenn Voldemort starke Gefühle hatte? Luciana versuchte sich gerade vorzustellen, was mit seiner Narbe passieren würde, hätte der Schwarze Führer mal eines der Hochgefühle der Sorte sehr angenehm und weniger jugendfrei, schickte das darauffolgende Bild, welches automatisch vor ihrem inneren Augen entstand, schleunigst in die ewigen Jagdgründe.      „… Du solltest mal hören, wie Remus über sie spricht“, endete der sprechende Feuerkopf einen Satz, den Luciana nicht vollständig verstanden hatte. Oha, wurde hier etwa wieder über Remus gesprochen? Wie in der letzten Woche, in Umbridges Unterricht. Vielleicht war dies aber auch nur Zufall.      „Kennt Lupin sie?“, fragte Potter daraufhin – nein, kein Zufall. Beziehungsweise, es war sehr unwahrscheinlich, dass sich die vier da vorne über einen Remus Lupin unterhielten, den Luciana nicht auch im Sinn hatte.      „Nein, allerdings hat sie vor zwei Jahren ein Anti-Werwolf-Gesetz ausgearbeitet, das ihm fast unmöglich macht, eine Stelle zu bekommen“, meinte das Feuer zu Potter.      Das Gespräch handelte daraufhin noch ein wenig von Umbridge und ihrer offensichtlichen Abneigung gegen jegliche Halbmenschen und dann … hatte sie sich verhört? Irgendjemand befürchtete, dass der Schulleiter eine Privatarmee aufstellen würde, um das Zaubereiministerium zu übernehmen? Eine Armee aus halbstarken Schülern?? Ja, da musste sie dem Weasley Jungen Recht geben, der meinte, das sei das Dümmste, was er je gehört habe. Okay, okay, ganz langsam … Voldemort sollte zurück sein, aber das Ministerium hatte Angst vor einer Machtübernahme durch Dumbledore? HÄ?       Danach redeten die vier über Themen, die Luciana nicht mal im Ansatz verstand. Die einzigen Informationen, die sie noch weiter heraushören konnte, waren, dass der Kopf im Feuer wohl Sirius hieß, dieser alleine mit irgendeinem Kreacher (Luciana konnte sich über die seltsame Namensgebung der Zauberer manchmal wirklich nur wundern) war und sich niemand vom Orden hatte blicken lassen. Ging es da um irgendeine Art von Geheimloge? Und dieser Sirius schien schon einmal in Askaban gesessen zu haben. Und aus diesem Grund sollte er auch nicht am nächsten Wochenende nach Hogsmeade kommen. Interessant, ein Krimineller auf der Flucht.      Zum Schluss legte dieser Sirius einen gekonnt eingeschnappten Abgang hin. SIRIUS! Luciana hätte sich fast mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Natürlich, wie konnte sie nur so dämlich sein! Auf dem Gruppenfoto, in dem Jahrbuch von Snape, war auch ein Sirius Black neben Potters Vater anwesend gewesen. Und Remus. Also sprachen sie wirklich von ein und demselben Remus Lupin. Na dann war es wohl an der Zeit, das Trio da unten ein wenig zu verschrecken. Luciana nahm die letzten Stufen, indem sie unverkennbaren Lärm mit ihren Schritten verursachte und der darauffolgende Effekt war einfach zu köstlich. Potter, Granger und Weasley schnellten sehr synchron auf der Achse um und starrten sie mit panisch geweiteten Augen an. Herrlich.      „Mh, immer noch hier unten?“, murmelte Luciana im verschlafenen Tonfall, rieb sich demonstrativ über die Augen und schlurfte zum Portraitausgang. Granger fand als erste ihre Stimme wieder.      „Eh, ja, wir wollten jetzt aber auch schlafen gehen“, flötete sie in einem übertriebenen Plauderton und die beiden Jungs zu ihrer Rechten und Linken nickten heftig.      „Okay, dann gute Nacht“, sagte Luciana und konnte sich dabei kaum noch das Grinsen verkneifen.      „Ehm, Luciana, wo willst du hin?“, fragte Granger und war mit dieser Stimmlage schon fast wieder in ihrer Vertrauensschülerrolle angelangt.      „Eine rauchen, wieso?“ Luciana blieb stehen und schaute Granger fragend an.      „Das geht nicht“, meckerte Granger drauf los, „es ist weit nach Sperrstunde, du kannst jetzt nicht einfach im Schloss herumspazieren!“      „Mh …“, machte Luciana, setzte eine nachdenkliche Miene auf und kam Granger ein paar Schritte näher. „Wie wäre es mit einem Deal …“ Die Jungs und Granger schauten sich erst gegenseitig und dann sie misstrauisch an. „Ich werde jetzt hübsch nach Sperrstunde im Schloss herumspazieren. Im Gegenzug erzähle ich niemandem etwas von eurem Arrangement da gerade“, und mit diesen Worten deutete sie in Richtung Kamin, „mit einem gesuchten Schwerverbrecher.“ Das mit dem Schwerverbrecher war eher als Bluff gedacht, hatte aber voll ins Schwarze getroffenen. Den geschockten Mienen der drei vor sich und der darauffolgenden Wortlosigkeit, entnahm sie ein Zustimmen.      „Schön“, rief sie munter und kletterte durch das Portraitloch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)