Grüner Jade und Blaue Perle von black_rain ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Act II: Drangst ein in mein Leben . . . "I cannot find a way to describe it It's there inside All I do is hide I wish that it would just go away What would you do You do if you knew What would you do (...) I feel like I'm all alone All by myself I need to get around this My words are cold I don't want them to hurt you If I show you I don't think you'd understand 'Cause no one understands" [1] ~ "Take me away" von Avril Lavigne aus dem Album "Under my skin" ~ . . . Gedankenverloren spielte er mit dem wunderschönen, haselnussfarbenen Haar, das wie Seide durch seine langen Finger glitt, sich nicht ein einziges Mal in ihnen verfing und dabei ein kühles aber sonderbar... _weiches_ Gefühl auf den Innenseiten seiner Finger zurückließ. Ihm war klar, dass Shinjus ehemalige und jetzige Mitschüler wohl kaum dasselbe Verzücken wie Hisui ob dieses unglaublich süßen und warmen Blutes verspürten, denn Hisui bezweifelte, dass je einer von ihnen versucht hatte, davon zu kosten. Doch während das fremde Blut in ihn floss und seinen Körper, sein Herz wärmte, war auch ein Teil von Shinjus Wesen in Hisui übergegangen. Ein Teil seines Wesens und damit all seine Erinnerungen, seine Gedanken. Und Hisui Shiro konnte einfach nicht verstehen, wie man einen so wundervollen Menschen nicht mögen konnte. Eine leichte, aber noch recht frische Nachtbrise, letzter Bote des fast vergangenen eher kühlen Frühjahrs, umspielte ihn. Leise stand er auf, um die Shôji[2] zuzuschieben, die bis eben einen atemberaubenden Blick auf die Gärten und den See geboten hatte. Sämtliche Wohngebäude des Internats waren noch von der traditionellen Art und lagen in mehreren Ebenen, die durch zahllose alte Holztreppen und Pfade miteinander verbunden waren, verstreut auf einem Hang. Das alles entbehrte natürlich nicht eines gewissen, einfach nur japanisch zu nennenden Charmes... ...doch Hisui hatte nichtsdestotrotz nur Augen für seinen neuen Zimmernachbarn, hatte die Aussicht kaum beachtet, die nun durch das dünne Reispapier verwehrt wurde. Zugegebenermaßen war Hisui doch leicht erschrocken, als Shinju plötzlich ohnmächtig in seine Arme gefallen war und für einen unendlichen Moment hatte er ernsthaft befürchtet, zuviel getrunken zu haben, obwohl er doch nur wenige Schlucke genommen hatte, gerade genug, um das Feuer seines Verlangens nach diesem scheinbar geschlechtslosen Knaben endgültig zu entfachen und Shinjus Wesen in sich aufzunehmen, damit er den Jungen näher kennen lernen konnte. Schließlich hatte er sich, was Blut und Lebenswärme anging, bereits ausgiebig bei einem unglücklichen Studenten im Zug nach Kyoto bedient, dem er im Tausch gegen sein rotes Leben den ewig währenden Traum einer wundervollen Unendlichkeit geschenkt hatte, nachdem Hisui selbst schon tagelang kein Blut mehr zu sich genommen hatte. Tatsächlich war dies auch nicht nötig. Das Blut hielt sich eine ganze Weile in seinem Körper, je nach den Umständen eine Woche und mehr. Was jedoch immer wieder erneuert werden musste, damit er wie ein ganz normaler Mensch leben, schlafen, essen und trinken konnte, das war die Körperwärme, die sein toter Körper nicht mehr - oder nicht im ausreichenden Maße - selbst herstellen konnte, weil jegliche von ihm selbst produzierte Wärme wie von einem schwarzen Loch angesogen einfach in der Leere verschwand. Mittlerweile war ihm natürlich klar geworden, dass es einfach nur zuviel des Guten für den armen Kleinen gewesen war. Entschuldigend strich er über die im Schlaf vollkommen glatte, entspannte Stirn, war allerdings doch zufrieden mit sich, weil er mit Fug und Recht behaupten konnte, dass es nur zuviel des _Guten_ für "Kimura-kun" gewesen war und es ihm somit gefallen hatte. "Gib mir etwas Zeit", flüsterte er Shinju ins Ohr, der wie schlafend in seinem Futon auf den Tatamiboden lag, sorgfältig mit der Oberdecke des schlichten, schwarzen Bettzeugs zugedeckt. "Ich verspreche dir... Bald wirst du mir gehören... mir ganz allein..." Zur Antwort begannen Shinjus Lider zu flattern. Er träumte. Doch sicher war er bald wach. Es war schon spät und die Nachtruhe bereits eingetreten. Nur bei ihnen brannte noch das ruhige, sanfte Licht einiger im Zimmer aufgestellter Windlichter. Der Schularzt hatte sich Shinju noch einmal angesehen, ihnen beiden das Abendessen auf das Zimmer bringen lassen und sich dann verabschiedet. Und Hisui hatte indessen, wie der Schulobrigkeit und sich selbst versprochen, an seinem Lager gewacht - und weiter den bannenden Anblick der wunderschönen, beinahe weißen Haut und dieser feingeschnittenen Züge in sich aufgenommen... Vor einiger Zeit hatte sich dann die Ruhe des Schlafs über das gesamte Internatsanwesen gelegt, doch in dem kleinen Haus, in dem ihr Zimmer lag, herrschte von jeher eine zauberhafte Stille, die nur durch das leise Murmeln eines klaren Baches vor der Terrasse untermalt wurde. Sie beide ganz allein waren hier untergebracht, was zum vielleicht gar nicht so hohen Preis einer gewissen Einsamkeit den Vorteil mit sich brachte, dass sie das Ganze ohnehin nur sehr kleine Haus für sich allein hatten, ja selbst das Bad mit der kleinen Onsen[3]. Wenn man die normalen Gegebenheiten in Japan betrachtete, so war die Privatsphäre, die sie so erhielten und Zufall und Einsamkeit gemeinsam geschaffen hatten, ein wahres Kleinod. Mochte sein, dass der Weg bis zum eigentlichen Schulgebäude oder dem Essensaal und überhaupt allen "wichtigen" Orten auf dem Anwesen von hier im Vergleich gesehen sehr weit entfernt waren, aber dafür konnte wohl nicht einmal der Schuldirektor von sich behaupten, mehr Intimsphäre zu besitzen - denn die nächsten menschlichen Lebewesen waren mindestens 15 Meter weit entfernt, getrennt durch eine schmale hölzerne Treppe und einige, wenn auch nicht sehr tondämpfende Wände. Ja, jetzt waren sie ganz allein und der einzige, der sie noch beobachten mochte, war der helle Vollmond hoch oben am Firmament... Shinju blinzelte leicht und stöhnte leise, während er die Augen aufschlug und ihn verwirrt ansah. Hisui dagegen lächelte. "...Hisui-kun? Wo bin... was ist passiert?", nuschelte Shinju schläfrig und mit schwerer Stimme, als wäre er noch immer in seinem Traum gefangen. Der Vampir[4] beugte sich mit einem schmalen Lächeln zu Shinju hinab, drückte seine Lippen sachte etwas unterhalb des verlockend pulsierenden Ohrläppchen auf die noch schlafwarme Haut und hauchte dem Erwachenden leise ins Ohr: "Du bist ohnmächtig geworden..." "Ohnmächtig?", wiederholte Shinju leicht verstört und drückte ihn weg, jedoch nur um ihm in die Augen sehen zu können, denn als sich Hisui aufrichten wollte, hinderten ihn zwei schlanke, vom Schlaf entkräftete Hände, die sich im Stoff seines Hemdes vergraben hatte, daran. "Ohnmächtig", bestätigte Hisui leicht belustigt aufgrund des verdutzten Gesichtsausdruckes. Mit schlafroten Wangen kniff Shinju die Augen zu und fuhr sich angestrengt durch das Haar, was jedoch nicht viel half. "Ich weiß gar nichts mehr... totaler Black-out...", flüsterte er und man musste kein Vampir sein, um die Beunruhigung in seiner Stimme herauszuhören. "Nur noch, dass ich...", seine Stimme senkte sich furchtsam zu einem bloßen Hauch, "dass ich dich beleidigt habe..." Hisui lächelte weiterhin, brachte den armen Shinju so vollends aus dem Konzept. "Soll ich dir ein bisschen auf die Sprünge helfen, Shinju?" Der Jüngere schielte unsicher aus seinen azurblauen Augen unter einer langen, braunen Haarsträhne hervor. Ja, er hatte durchaus japanische Züge, besonders die Augenform, doch ansonsten hatten sich die Götter wohl in den Farbtöpfen vergriffen. Hisui für seine Wenigkeit hatte jedenfalls noch nie einen _vollblütigen_ Japaner mit hellbraunen Haaren und hellblauen Augen gesehen, wenn er nicht mit Haarfärbemitteln und Kontaktlinsen nachgeholfen hatte. Behutsam strich er die kecke Haarsträhne hinter Shinjus Ohr. "Nun?" Zaghaft ob Hisuis verwirrender Freundlichkeit nickte der Kleinere, kam etwas höher, indem er sich mit den Ellbogen auf seinem Bettzeug abstützte, sodass sein - um das Atmen zu erleichtern - bis zum Bauch geöffnetes Hemd verrutschte. Nonchalant wanden sich Hisuis Hände streichelnd an Shinjus entblößten Seiten vorbei und verschränkten sich in seinem Rücken, umschlangen seine Arme den zarten Körper und hoben ihn sich entgegen, sodass sein Mund zu dem begehrten Tor aus rosenem Blütenschaum fand, sich zärtlich darauf legte. Shinju gab einen leisen, unartikulierten Laut der Überraschung von sich und Hisui legte den plötzlich aller seiner Kräfte beraubten Jungen schon nach kurzer Zeit zurück in sein Bettzeug. Er wollte die Lust in sich nicht erneut wecken - noch nicht... Erst musste sich Shinju erinnern. Auch den letzten Hauch dieses Kusses genießend, fuhr sich der Ältere mit der Zunge über seine Lippen, fragte leicht amüsiert: "Und nun? Weißt du es nun wieder?" Er wurde hilflos aus zwei himmelfarbenen Perlen angeblickt. Als könne er es nicht fassen, fuhr sich Shinju über seine Lippen, tastete fast vorsichtig seinen Mund ab. "Du... du hast mich ja geküsst!", entfuhr es ihm bestürzt. Hisui lachte amüsiert. "Ja, allerdings..." "A-Aber...", die Augen des Kleinen wurden groß unter der plötzlichen Erinnerung. "und... ich dich auch..." Mit einem fast gefährlich lasziven Blick beugte sich der Vampir über Shinju, zog vorsichtig das Hemd aus der Hose des Jüngeren, strich ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen mit seinen Lippen liebevoll über die schöne Wölbung eines zarten Hüftknochens. Shinju wagte es nicht einmal mehr unter seinen Berührungen zu atmen und Hisui spürte wie der Kleinere leicht erschauerte, seine Hüfte leicht zu zittern begann. "Was... was machst du da?", fragte Shinju schwach. Hisui antwortete nicht, fuhr stattdessen weiter nach oben, neckte zärtlich die hübsche Vertiefung seines Bauchnabels, streichelte mit seinen Lippen, die sich in ahnungsvoller Erwartung aufrichtenden Brustwarzen, umwarb die zerbrechliche Linie des fein geschwungenen Brustbeins. "Magst du das?", fragte Hisui leise, war selbst ein wenig erstaunt über den leicht angerauten Ton seiner sonst so samtigweichen, fließenden Stimme. "Ja...", hauchte Shinju bebend, nicht fähig sich von den magischen Rabenaugen des Vampirs abzuwenden. Trunken von dem lieblichsüßen Duft des Knaben unter ihm, ließ er eine Hand unter Shinjus Becken gleiten, hob es leicht an, bis der Jüngere von selbst den Rücken durchbog und sich hilflos und nur einer leisen inneren Stimme folgend an den über ihn gebeugten jungen Mann drückte. Sachte ließ der seine Zunge über die gesamte Länge des mondlichthellen Halses, über das schöne Ohrläppchen, die einladend vollen Lippen streichen, knabberte schließlich leicht an jenen, ohne sie jedoch des warmen Blutes zu berauben, dass unter ihnen lag. "Hisui-kun", kam es wie ein schwacher Hauch an sein Ohr geschwebt, "Das... wir dürfen das nicht tun..." "Aber es gefällt dir", wandte Hisui leise ein. "Warum sollten wir es dann nicht tun dürfen, Shinju, warum nicht?" "Weil...", machte Shinju, hielt inne, als Hisui aufhörte ihn so zu berühren, ihn nur noch aufmerksam betrachtete und einer kommenden Antwort lauschte. Der Jüngere senkte mit brennenden Wangen den Blick. "Nicht aufhören...", flehte er wispernd wie ein leichter Windhauch. Hisui lächelte liebevoll und schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte er. "Ich werde nicht aufhören, wenn du es nicht möchtest..." Fast wie von selbst glitt der dünne Stoff des leichten Sommerhemdes von der seidigglatten Haut des Jüngeren. "Komm her..." Matt lächelnd schmiegte Shinju seine erhitzte Wange an die breite, nackte Brust des Größeren. Noch immer fast ehrfürchtig strich der Jüngere über die flache Bauchdecke mit den sichtbar ausgeprägten aber nicht unschön protzigen Bauchmuskeln, was sich ihr Besitzer gerne gefallen ließ. Diese Fingerkuppen waren wirklich so geschmeidig wie angewärmte Perlen und fuhren in ihrer Leichtigkeit einem Windhauch gleich über seine Haut. "Du bist so schön", flüsterte Shinju beinahe erstaunt. "Obwohl du viel größer und muskulöser bist als ich, bist du schlank und geschmeidig wie ein Weidenzweig. Und deine Haare sind wie schwarze Silberfäden..." Hisui lachte leise. "Du weißt nicht, was du da redest, Shinju - ich bin nur makellos und anziehend, aber das hat nichts mit wahrer Schönheit wie der deinen zu tun." Shinju stemmte sich einen Moment in die Höhe, um verwirrt den Blick der verträumt geschlossenen Augen zu suchen. "Wie meinst du das?", wollte er wissen. Der Vampir öffnete lächelnd die Augen. "Nicht so wichtig", erwiderte er und hob sich das hübsche Gesicht zu einem flüchtig-zarten Kuss entgegen, zog die schmale Gestalt dann wieder an sich und schlang die wärmespeichernde Decke etwas fester um sie beide. "Du _bist_ schön", widersprach Shinju nachdrücklich. "Wie eine Kyotopuppe: Deine Haut ist weiß wie Porzellan, deine Augen sind wie zwei Perlen aus poliertem Obsidian und du hast ganz feine, rote Lippen, fast wie angemalt... Man sagt, Kyotopuppen sind irgendwie unheimlich, aber du bist nicht unheimlich - nur schön..." "Dann musst du aber ein Engel sein", neckte Hisui ihn und strich mit seinen Lippen ziellos über das weiche Haar, die glatte Stirn, einzig und allein in dem schlichten Bestreben, soviel wie möglich von dem jungen Knaben in seinen Armen zu erhaschen. Shinju sah ihn neugierig an. "Du kennst mich doch gar nicht!" Hisui lächelte. "Vielleicht doch..." Der Jüngere schüttelte ausdrücklich den Kopf. "Wir haben uns ganz bestimmt noch nie zuvor gesehen!" Ein wissender Ausdruck schlich sich in seine schwarzen Augen. "In der Realität sicher nicht, aber... vielleicht in einem Traum?" "Du bist komisch...", Shinju blies lautlos seufzend die Luft aus seinen Lungen und strich wie suchend über Hisuis Halsbeuge, "aber lieb." Der Vampir lachte leise. "Ja, vielleicht bin ich das." "Bist du", nickte Shinju und fügte leiser hinzu: "Deswegen mag ich dich so." Der Ältere drückte ihn schweigend an sich. "Du solltest noch ein wenig schlafen, Shinju - morgen müssen wir sehr früh aufstehen." Shinju schmollte leicht, gab aber klein bei und nachdem er ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf den roten Mund gehaucht hatte, schmiegte er sich mit einem leisen "Oyasumi"[5] zufrieden an seinen großen Freund und war bald darauf eingeschlafen. War eingeschlafen, ohne es bemerkt zu haben. Hisui setzte sachte einen Kuss auf die Stirn des Schlafenden. Nein, er hatte es nicht gemerkt, hatte nicht gemerkt, dass Hisui kein Mensch war - nicht mehr... Leise und vorsichtig stand er auf um Shinju nicht zu wecken. Obwohl der Kleine den ganzen Tag durchgeschlafen hatte, hatte er die Erholung doch noch immer bitter nötig und Hisui wollte sie ihm gewiss nicht rauben. Shinju murrte leise im Schlaf und suchte seine Wärmequelle zu halten, doch der Schlaf hatte ihn gänzlich seiner Kraft beraubt und so fiel es dem Vampir nicht schwer, die schmalen Finger von seinem Unterarm zu lösen. So leise wie die japanische Schiebetüre geöffnet wurde, so leise wurde sie auch wieder geschlossen und Hisui trat tief einatmend auf die Terrasse. Kein Laut, und sei er noch so leise, war zu hören, als sich Hisui von der Kante der Veranda niederließ und baren Fußes die wenigen Meter über das grüne Frühlingsgras bis hin zu dem kleinen lieblichen Bach lief. Vollkommen nackt ließ er sich am Ufer des Bächleins auf die Knie sinken, starrte auf das Spiegelbild des stummen, silbernen Wächters hoch oben am dunklen Schleier der Nacht. Er wollte die Oberfläche des klaren, kühl dahinfließenden Wassers berühren und konnte es doch nicht, blickte stattdessen in das spiegelnde Nass und konnte sich selbst doch nicht erkennen. /Natürlich nicht... Baka[6]! Ein Vampir hat kein Spiegelbild, das weiß doch jedes Kind.../, dachte er bitter und riss sich die Jadeperle, die von jeher an einem schmalen schwarzen Lederband um seinen Hals gehangen hatte, vom Leib, zerstörte damit dieses Bildnis einer japanischen Nacht. Denn obwohl er doch in ein fließendes Gewässer geschaut hatte, floss das Wasser des Bächleins so langsam dahin, dass die Oberfläche so vollkommen glatt war wie diejenige des Spiegels an der Wand. Hisui zog die Knie an und umschloss sie mit den Armen, wiegte sich scheinbar gleichgültig und empfindungslos zu dem Wiegenlied des Nachtwindes, der ihn besorgt mit seinen sanften Armen umschmiegte, dieses bekümmerte Kind der Nacht zu trösten suchte. Und so sehr Hisui auch versuchte sie zurückzuhalten, die blutigen Tränen fielen eine um die andere zu Boden, benetzten das kühle Gras auf dem er saß. /Selbst als man mich wider meines Willens zum Vampir machte, habe ich nicht geweint. Nun weine ich... Wie lange schon habe ich nicht mehr geweint?/, dachte er traurig. /Ja... ich muss damals noch ein Kleinkind gewesen sein. Ich weiß es und weiß es doch nicht. Noch vor wenigen Monaten hätte ich es ganz genau sagen können, nun verblassen die Erinnerungen, werden immer flüchtiger und alles, was ich nicht aufgeschrieben habe, wird bald für immer vergessen sein... vergessen von mir und der ganzen Welt... Ist er das? Der Fluch des Vampirs? Das Vergessen...? Kann ich deshalb mein Spiegelbild nicht sehen? Damit ich vergesse, wer ich bin und vor allem anderen: wer ich _war_? Oder ist es nur, damit ich mich nicht selbst in meine abscheuliche Makellosigkeit verlieben kann, so wie einst der unglückliche Jüngling Narziss?/ Hisui wurde kalt. Je länger er seinen Blick über das silberglänzende Wasser gleiten ließ, desto durchlässiger wurde es, desto stärker fiel ihm die Jadeperle ins Auge, die er doch nicht sehen wollte! Und je schärfer das Bild wurde, je deutlicher er sie sah, desto mehr hatte er das Gefühl seine eigene Seele zu sehen. Seine Seele, gefangen in dem kugelrunden Stück Jadestein, das erste Geschenk seines Vaters an seine Mutter, welches Hisui schließlich seinen Namen gegeben hatte. "Nein!", schrie Hisui und fuhr mit seiner Hand wütend über das Wasser als wolle er es zerschlagen, doch die Tränen erstickten seine Stimme und alles was aus seinem Munde kam war ein leises Keuchen, das ungehört in die weite Dunkelheit entfloh. Tatsächlich aber schien es ihm unter dem weißsilbernen Schein des Mondes, als zerspränge das unruhige Wasser in tausend splittrige Scherben, die am Grunde des Baches zerschellten, vom Fall unbarmherzig zerschmettert wurden. Scherben seiner selbst... Ja, sein Leben, wenn man es denn noch unvermessen so nennen durfte, es lag in Scherben. Und schon ihr Anblick war zu scharf, schnitt zu sehr in sein Herz, seine Seele, als dass er es wieder hätte zusammensetzen können. Zu klein war jeder Splitter, als dass ein einziger noch hätte wichtig erscheinen könnte, zu klein, sodass ihm sein vergangenes, sein wahrhaftiges _Leben_ nun unbedeutend und nichtig vorkam... Und doch war es seine Vergangenheit, die ihn geformt hatte, war es jede einzelne kleine Erfahrung, die er als Mensch gemacht hatte, die aus ihm das geschaffen hatte, was dieser vollkommene, nur wenige Meter weit von ihm entfernt schlafende Jüngling so sehr verehrte, so sehr... "...liebte", hauchte er leise. Ja, es war wahr. Hisui wusste nicht, wie lange Shinju das Schicksal der Einsamkeit mit ihm geteilt haben mochte, doch ohne es einfach nur so dahingesagt zu haben, hatte diese Perle der Menschheit ihm seine Liebe gestanden, sie ihm... versprochen. Nicht einen Tag lang hatten sie sich gekannt und doch hatte Shinju mit ausdrücklicher Bestimmtheit bejaht, als Hisui ihn leise gefragt hatte, ob er sich dessen ganz sicher sei. Was war es, das Shinju so für Hisui eingenommen hatte, dass er ihm mit ruhiger Gewissheit geschworen hatte, ihm überallhin zu folgen, wohin er auch gehen mochte? Es konnte nicht Hisuis Schönheit sein - sie war nur schöner Schein, ein schönes Blendwerk, um über seine hässliche Seele hinwegzutäuschen. Es konnte nicht die Faszination des ewigen "Lebens" sein - Shinju wusste nicht um Hisuis Unsterblichkeit, hatte nicht bemerkt, dass Hisuis Herz nicht aus eigener Kraft schlug, dass es nicht sein eigenes Blut war, welches durch diesen perfekten, fehlerfreien Körper floss, dass es nicht Hisuis eigene Wärme war, die Shinju vor dem Auskühlen durch die kalte Nacht bewahrte. Und er glaubte auch nicht, dass Shinju so naiv war, sein Herz nur wegen einer wunderschönen Liebesnacht zu verschenken. Nein, Hisui konnte es beim besten Willen nicht erraten, dieses Etwas, das ihn so besonders für Shinju machte, und doch war es da, irgendwo tief in ihm versteckt. Und hatte sich von Shinju finden lassen, bescherte Hisui damit das größte Glück, das er je hätte erfahren können: Liebe. Obwohl er nur ein erbärmlicher toter Körper mit einer geradezu kranken Seele war, nur lebte, weil andere unglücklich waren und für ihn und den wunderbaren ewigen Traum, den er ihnen schenkte, starben, trotz alledem wurde er von diesem reinen Herz mit Liebe nur so überschüttet. Hisui stand auf und ging lautlos zurück, huschte ungesehen, ungehört, zurück in das kleine Haus und legte sich wieder neben den schlafwarmen, träumenden Shinju, der leicht erschauerte, ob Hisuis vom Nachtwind ausgekühlter Haut, und sich doch näher an ihn drängte, als wolle er Hisui wärmen und ihn mit seiner wundervollen Wärme über all seine bittertraurigen Gedanken hinwegtrösten. "Ich liebe dich auch, Shinju", flüsterte Hisui und küsste ihn zärtlich. Und der im Schlaf lächelnde Shinju war das Letzte, was Hisui in dieser Nacht sah. - - - - - [1] "Ich kann keinen Weg finden um es zu beschreiben Es ist da drin Alles was ich tue ist verstecken Ich wünschte, dass es einfach weggehen würde Was würdest du tun Du tun, wenn du wüsstest Was würdest du tun (...) Ich fühle mich als wäre ich ganz allein Ganz allein mit mir, ich muss darüber hinwegkommen Meine Worte sind kalt Ich möchte nicht, dass sie dich verletzen Wenn ich es dir zeigen würde Ich denke nicht, dass du es verstehen würdest Weil es niemand versteht" [2] Schiebetüren, die mit durchscheinendem Reispapier bespannt sind, dass noch genügend Außenlicht in die Zimmer dringen lässt, weshalb solche Türen oft zum hauseigenen Garten hinausgehen. Leider muss das Reispapier häufig erneuert werden. Wenn sich Regen oder scharfer Wind ankündigt werden die so genannten "Amado" vorgehängt. Dies ist eine Schiebetüre aus Holz - ohne jegliches Fenster, da sie ja die Shôji schützen soll. Dadurch wird es bei traditionellen japanischen Häusern - wie dem Internat - dann jedoch auch ziemlich finster, wenn man nicht für andere Lichtquellen sorgt... *buuh* ^.^ [3] Natürliche heiße Quelle, als Badegelegenheit genutzt und bei den Japanern sehr beliebt. Manchmal gibt es in den Onsen auch ein rotemburu (in dem Manga "Love Hina" ist es Schauplatz vieler lustiger Szenen -.^), was praktisch die Freiluftversion ist. Vorher wird sich nur schnell (aber gründlich!!) eingeseift und abgespült (wobei das obligatorische Höckerchen nicht fehlen darf ^.^) und dann geht's ab in das oft sehr heiße Wasser *plansch plansch* Und wenn man Glück hat, gibt es auch noch eine schöne Aussicht zu bestaunen, während man relaxt ^.^ [4] Aaah, jetzt ist es raus -.^ Was für eine Überraschung *gg* Das hättet ihr jetzt echt nicht gedacht, eh? [5] "Gute Nacht" [6] das japanische Wort für "Idiot" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)