The Gravity of Life von Polarstern (Yami x Yugi?) ================================================================================ Kapitel 25: Die Prüfung des Schwarzen Magiers --------------------------------------------- „Wer ist Mahad?“ Jetzt ist es raus. Die Frage, die mich schon die ganze Zeit quält. Von selbst ist Yami nicht auf ihn zu sprechen gekommen. Und der Name löst tatsächlich etwas in ihm aus. Sein sonst immer stolz und anmutig gereckter Rücken und seine starken Schultern fallen zusammen. Das waren sie im Gespräch zuvor schon etwas, aber jetzt noch sehr viel stärker. Sein Blick verlässt seine Hündin und sucht erneut den Boden. Seine Hände stoppen damit, das Fell entlang zu gleiten und bleiben auf der Stelle liegen. Es ist, als hätte ihm jemand den Stecker gezogen. Eine Weile sitzt er nur so da und bleibt mir jegliche Antwort schuldig. „Woher-?“, beginnt er. „Mirai sagte-“ „Mirai! Sie hat dir von Mahad erzählt!“, stellt er mit einem Klang von Wut in der Stimme fest. Er wird aufgebrachter, fängt an zu zittern. Oh, oh, jetzt habe ich wirklich in ein Wespennest gestochen. Und dann noch in eins, von dem er mir eigentlich gar nichts erzählen wollte. Ich möchte wirklich alles Signifikante über sein Leben wissen. Ist das zu aufdringlich und zu neugierig? Mirai hat sich verplappert. Und ich kann nun nicht für ewig so tun, als wisse ich von nichts. Ich habe sehr lange zu Hause darüber nachgedacht. Über alles, was Mirai jemals gesagt hat. Über das, was Yami mir selbst schon – unbewusst? – offenbart hatte. Über Informationen gegrübelt, die ich auf anderen Wegen erhalten hatte. Wenn ich alle Puzzleteile zusammen setze – habe ich eine vage Vermutung… Ich winke hastig ab. „Nein, sie hat mir gar nichts gesagt, außer, dass er ein Verwandter von euch ist. Und dass es wohl irgendetwas Wichtiges aus deiner Vergangenheit ist. Es tut mir leid, sollte ich damit zu persönlich geworden sein... Wenn du es mir nicht verraten möchtest, akzeptiere ich es natürlich.“ Er schüttelt den Kopf, und seine goldenen Strähnen fliegen umher, verdecken mir schließlich die Sicht auf seine Augen und seine Wange. Schließlich steht er auf und räumt sein leeres Teeglas in die Spüle. „Ich weiß nicht, ob es jetzt ein guter Zeitpunkt wäre..“, weicht er monoton aus. Okay, er möchte also nicht darüber sprechen. Wie enttäuschend. Ich bin innerlich hin und her gerissen. Einerseits möchte ich seine Entscheidung respektieren – vielleicht erzählt er es mir später einmal? Andererseits…. Fällt es mir so schwer einfach weiter zu machen, als sei nichts gewesen. Es scheint ja nicht irgendein kleines Problem bei ihm auszulösen…Das ist definitiv irgendwas Größeres. „Also gut, ich verstehe, wenn du nicht darüber sprechen möchtest. Ich ähm – es geht mich ja auch schließlich nichts an. Ich…. würde mich dann auch auf den Weg machen. Ich muss noch für meinen Großvater…“ Um meiner Aussage mehr Nachdruck zu verleihen, stehe ich vom Boden auf. Fahrig wische ich mit den Händen über meine Hose, um einige der anhaftenden Hundehaare abzustreifen. Ein schweres Seufzen, dann dreht er sich wieder zu mir um. Seine rubinroten Augen sind scheinbar eine Spur dunkler geworden, haben ihren typischen, königlichen Glanz nahezu verloren: „Du hast ja Recht Yugi…. Geheimnisse sind immer schlecht, wann man sich gegenseitig vertrauen möchte. Und du hast eben noch gesagt, dass du mir vertraust. Dann wird es nun Zeit, dass ich dir dieses Vertrauen nun ebenfalls zurück gebe… Wo fange ich bloß an…?“ Yami stellt sich an sein Küchenfenster und sieht hinaus. Dabei stützt er beide Hände auf der Fensterbank ab. Wie für Mai üblich, zeigt sich die Natur bereits in wundervoller Blütenpracht. Doch ich bezweifele, dass er nun ein Auge für diese Naturschönheiten hat. „Nun gut, ich decke meine letzte verdeckte Karte für dich auf. Aber unter einer Bedingung“ ,zögert er. Seine Körpersprache, die ich inzwischen so gerne lese und mit der ich schon so vertraut bin, lässt mich immer unruhiger werden. Meine innere Stimme, die mich verzweifelt warnt und mich zum Abbruch und Abschied ruft, sperre ich in eine hintere Kammer meiner Seele und ziehe vorsichtshalber den Schlüssel ab. Mein Herz macht einen kleinen, ängstlichen Hüpfer. „Ja?“, frage ich zurück. „Du lässt mich aussprechen. Du hörst dir alles bis zum Ende an. Ohne Abbruch, ohne Pause, ohne Davonlaufen.“ „O-oookay“, er macht mir nun richtig Angst. Aber wenn ich eine Zukunft mit ihm möchte, dann geht dies für mich nur, wenn wir ehrlich und offen zueinander sind. Kacy winselt auf und streicht ihrem Herrchen liebevoll um die Beine. „Eigentlich gibt es auch nicht viel zu erzählen, die Story ist recht kurz….“, er räuspert sich. „Es war damals während meines Schulabschlussjahrs in der Oberstufe… Das war noch in Ägypten. Ich war zu der Zeit in meiner Experimentier- und Selbstfindungsphase. Wie das halt in dem Alter so ist…“ Welch ein Seitenhieb. Nein, Stoß mit dem Ellenbogen. Ich schlucke trocken. Schulabschlussjahr - Ich bin genau in diesem Alter, welches er beschreibt. Denkt er so über mich? Vielleicht meint er, dass meine Gefühle für ihn gar nicht echt sind? Nur eine dumme Teenie-Schwärmerei? Ich probiere nur herum…? Eine Phase die bald wieder vorbei geht?! Meine Hand schnellt vor, mein Mund klappt auf, ich möchte mich sofort rechtfertigen und einlenken. Jedoch erinnert sich ein anderer Teil von mir wieder an mein Wort, erst die ganze Geschichte abzuwarten. Doch er nimmt mir die Entscheidung, ob ich protestieren soll, ab, indem er direkt weiterspricht. „Ich hatte mich zu dieser Zeit den Frauen zugewendet. Ich war damals kurz mit einer - naja eher gesagt mit einem Mädchen zusammen. Sie war gerade mal sechzehn. Sie hatte, glaube ich, einen riesigen Crush auf mich. Es kriselte schnell. Wir wussten wohl beide, dass die Beziehung bald beendet ist… Und sie wollte mich nicht verlieren“, er pausiert kurz, holt tief Luft. „Und mit dem was sie dann getan hat, hat sie es irgendwie auch geschafft ihren Willen durchzusetzen…“ Oh bei allen ägyptischen Göttern, das geht tatsächlich in die Richtung, die ich befürchte. Mir wird schlecht und eiskalt, als hätte es einen plötzlichen Temperatursturz gegeben. Die Stimme, die einfach nur noch weglaufen und nichts mehr hören will, rebelliert eingeschlossen in der Seelenkammer. „Erst hielt ich es für eine Ironie des Schicksals. Aber nein, sie hat es in einem der vielen Streitgespräche die wir daraufhin hatten, alles nach und nach zu gegeben… Es war eiskalte Berechnung. Ich wollte mich von ihr trennen… Zögerte noch etwas… Und sie wusste, sie kann das so einfach nicht verhindern. Sie hat später tatsächlich gestanden… dass sie es mit vollkommener Absicht getan hat, um mich an sie zu binden. Sie hat es sogar so formuliert…“, Yamis Stimme bricht. Ist voller Argwohn und da ansonsten vollkommene Stille um uns herrscht, kann ich seine erhöhte und äußerst angespannte Atemfrequenz deutlich wahrnehmen. Er sieht weiterhin nur gebannt aus dem Fenster, doch ich erkenne an seiner Körpersprache, dass er sich wie eine Bogensehne fühlen muss, die für einen weiten Abschuss durchgespannt wird. „Sie hat im Nachhinein sogar zugegeben…. Dass wenn sie das Original nicht haben kann…. Nimmt sie halt eine Kopie, die mein Aussehen, das ihr so gefallen hat, erhält. So krank! Als ob man jemanden duplizieren könnte!“ Ein Teil meines Ichs schreit sich in meiner Seelenkammer heiser, schlägt so stark gegen die Tür, dass diese kurz vorm Zerbersten ist. Ich selbst dagegen bekomme äußerlich keinen Ton raus, so sehr stehe ich unter Schock, was manche Menschen im Stande sind zu tun. „Es war kein Versehen… Sie hat alles genauestens kalkuliert, nicht eingenommen, was sie hätte einnehmen sollen… hat es mir aber versichert… Wie du sicher inzwischen rausgehört hast… Ich… habe ein Kind… und ich war gerade erst neunzehn Jahre alt geworden…“ Endlich dreht er sich wieder zu mir herum. Doch ich wünschte direkt, er hätte es nicht getan. Seine Augen sind stumpf, ich spüre, dass ein Teil seiner Seele und ein Teil seines Vertrauens in andere Menschen mit dieser Erfahrung damals gestorben ist. Dieser Ausdruck, mit dem er mich ansieht, ist so bitter, dass es mich bis ins Mark trifft. Kacy fiept und wimmert leise, legt sich dann stumm auf Yamis Füße und umschlingt seine Knöchel. Als wollte sie ihm Halt gewähren. Nichts rührt sich mehr in mir. Nicht mal die innere Stimme, die in mir rebelliert hat, wehrt sich noch. „Mahad ist mein Sohn, Yugi.“ Er lässt den Satz im Raum stehen. Mit all seiner Schwere fällt er auf uns hinab. Mein Kopf dröhnt innerlich. Mich erschlägt ein bestimmten Satz, den ich unter anderen Umständen gerne höre, aber ausgerechnet jetzt hätte ich um alles auf der Welt darauf verzichten wollen: ‚Du hattest Recht!‘ Reiß dich zusammen, Yugi! Genau das hattest du immerhin schon ein kleines Bisschen kommen sehen. Es gab genug Hinweise… Die monatlichen Überweisungen nach Ägypten an eine Frau, die ich damals auf seinem Kontoauszug gesehen hatte… Seine Äußerung darüber, dass er die Liebe schon zwei mal verflucht hätte… Dann wäre da noch seine Aussage damals als er mich im Krankenhaus besuchte über die Folgen seines Leistenbruchs, die nicht eingetroffen wären. Und zu guter Letzt Mirais Hinweis bezüglich eines Verwandten - alles feine Puzzleteilchen die ich nicht wahr haben wollte. Die ich so lange blind ignoriert habe. Doch in den letzten Tagen habe ich besonders viel über Yami nachgedacht. Ich hatte so gehofft, ich läge falsch. Aber manchmal ergibt eins uns eins eben nicht zwei. Sondern in diesem Fall drei. Welch bittere Ironie. Jetzt liegen die Karten offen vor uns verstreut. Wie ein wüstes Spielfeld, als hätte Yami einen Stapel Karten absichtlich vor sich auf den Boden geschmissen. Leider liegen Spiel und Realität manchmal zu dicht aneinander. Auch bei Duel-Monsters ist es so, dass man eine einzelne, verdeckte Karte nicht leichtfertig ignorieren darf, auch wenn das Spielfeld ansonsten frei zu sein scheint. Diese eine Karte kann alles vollkommen verändern und auf den Kopf stellen. Es ist beinahe so, als wenn dein Gegenüber noch die verdeckte Karte 'Dunkler magischer Vorhang' ausspielt. Und wie aus dem Nichts heraus einen mächtigen Gegner wie den 'Schwarzen Magier' heraufbeschwört. Und da steht er nun – zwar rein mental – aber dennoch gefühlt so präsent zwischen uns: Yamis 'Schwarzer Magier'. Mit seinen kritischen Augen und seinem lanzenartigen Magierstab auf mich gerichtet. Bereit zum Angriff. Bereit, alles zu zerstören, was wir uns bisher aufgebaut haben. Ernst steht er da und erwartet die nächste Anweisung seines Herrn. Doch der schweigt und scheint nur noch körperlich in diesem Raum anwesend. Armer Yami. Das Schicksal hat ihm übel mitgespielt. Gleich zwei mal. Erst verliert er das Vertrauen in die Liebe durch eine Person, die eigenmächtig und krankhaft etwas ohne sein Wissen entscheidet und sein Leben steuert. Dann wird ihm eine andere Person aus dem Leben gerissen. Kann ein Mensch so viel Pech haben? Vorsichtig trete ich nach vorn. Sein Gesicht schaut noch immer zu mir, doch sein Blick fixiert mich nicht richtig. Seine Seelenspiegel schauen nach vorn gerichtet durch mich hindurch ins Leere. Ich brauche nicht nachdenken, mein Körper reagiert von allein. Ich ignoriere den bedrohlichen Schwarzen Magier, der sich schützend vor Yami stellt und mich zurückweist. Ich weiß, dass er nur eine Metapher meiner Fantasie ist um das, was sich hier abspielt, besser zu verarbeiten. Noch ein Schritt ist gemacht und vorsichtig und rücksichtvoll lege ich meine Hände auf seine Oberarme. Möchte ihn trösten. Für ihn da sein. Ich achte genau auf jede Reaktion die nun von ihm kommen wird. Ob er es zulässt. Ob es ihm nicht zu viel wird oder zum falschen Zeitpunkt kommt. Sein Kopf senkt sich, seine blonden Strähnen verwehren mir die Sicht in seine Mimik. Ich kann seinen emotionalen Zustand nicht eindeutig genug zuordnen und muss daher ‚blind‘ entscheiden. Was soll ich dazu bloß sagen…? Irgendwie erscheint mir alles unpassend. Daher halte ich ihn einfach fest. Eine Weile passiert gar nichts. Er scheint völlig von einem Flashback eingeholt zu werden. Ich lasse ihm die Zeit, die er braucht. Ich weiß nicht, wir lange wir einfach hier stehen. Dann nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und lasse meine Hände weiter zu seinem Rücken gleiten, verschränke diese dort und ziehe ihn sanft und vorsichtig an mich heran. Es fühlt sich für mich so fremd an, die emotional stärkere Position von uns zu beziehen. Etwas bin ich überfragt, ihn in diesem Zustand zu erleben. Yami hat mich schonmal beruhigt und war für mich da. Hat nie große Nachfragen gestellt oder nach Gründen gebohrt. Selbst als ich mitten in der Nacht gegen 4 Uhr bei ihm zu Hause auftauchte, nach meinen Erlebnissen auf Jonouchis Geburtstagsparty – selbst da war er für mich da. Und ich habe ihm bis heute nie erzählt, was überhaupt passiert ist. Und dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Sein Verhalten damals, mich stumm zu trösten und mich einfach festzuhalten, habe ich als genau richtig empfunden. Daher imitiere ich es nun. Und werde dafür belohnt, Yami lehnt sich mir entgegen. Er legt seine Hände auf meinem Rücken ab. Es tut unheimlich gut, auch mal für ihn da zu sein. Ihn zu halten und ihm das zurückzugeben, was er schon für mich getan hat. Diese Geste scheint bei ihm genauso wirkungsvoll wie bei mir damals. Langsam scheint er sich wieder zu fangen. „Vielleicht verstehst du jetzt etwas besser, warum ich manchmal bin, wie ich eben bin.“ Ich nicke nur stumm. „Dann wird er bald schon 8 Jahre alt?“, entgegne ich leise nach einer gefühlten Ewigkeit. „Er lebt in Ägypten? Mit seiner Mutter?“ Yami nickt nur und lehnt seine Stirn an meine. „Ja, die beiden leben in Ägypten. Ich halte zu Mahads Mutter nur noch den notwendigsten Kontakt...“ „Das glaube ich“, flüstere ich verständnisvoll. „Bei dem, was sie getan hat… Und überhaupt, das wäre auch schwierig, wenn die beiden in Ägypten leben und du bist, wie ich weiß, das ganze Jahr über hier in Japan… Wie geht es Mahad inzwischen? Geht er in Ägypten zur Schule? Ist er gesund?“ Etwas ungläubig hebt er seinen Kopf: „Das interessiert dich? Ich dachte eher, dass du… Also dass du nichts davon mehr hören möchtest.“ „Es ist eben eine Tatsache, die über 8 Jahre her ist, die ich akzeptieren muss und werde.“ Er betrachtet mich lange, seine Augen gewinnen das übliche Leben zurück. „Mittlerweile hat seine Mutter einen anderen Mann geheiratet der Mahad als seinen eigenen Sohn großzieht. Und die beiden haben einen weiteren Sohn zusammen. Sie leben als Familie. Und Mahad geht es gut. Er ist ein sehr guter Schüler.“ „Ich nehme an, dass du das weißt, weil du ihn besuchst, immer wenn du in Ägypten bist?“ Kurz zögert er, scheint abzuwägen, wie sehr mich seine Bestätigung, die nun ganz sicher kommt, treffen würde. „Ja… So ein bis zwei mal im Jahr schaue ich nach ihm, wenn es sich während meines Aufenthalts einrichten lässt. Er weiß wer ich bin. Und das möchte ich auch so beibehalten. Ich unterstütze Mahads Ausbildung und Leben auch finanziell. Das ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann. Er kann ja nichts dafür, was geschehen ist.“ Ich nicke bestätigend für mich selbst. „Ja verständlich.“ „Daher auch der Kellnerjob nebenher. Mit meinem Referendarengehalt könnte ich das alles gar nicht stemmen zusammen mit den Kosten für mein alltägliches Leben und Kacy…“, schweigend höre ich ihm zu. Sogar mit den zusätzlichen paar Yen die er fürs Kellnern erhält, wird das alles knapp. Vermutlich unterstützen ihn seine Eltern oder Mirai finanziell noch mit. „Du… du bist so ruhig, Yugi. Du nimmst alles so gefasst auf? Ich hätte gedacht… Auch, dass ich Kontakt mit Mahad halte?“ Verwirrt sehe ich ihn an. „Ja natürlich, er ist dein Sohn. Ein Teil von dir. Ich kann es mir nur schwer vorstellen, ich habe ja keine Kinder…. Aber wenn ich ein Kind irgendwo da draußen hätte…. Und wüsste überhaupt nichts über ihn oder sie, das könnte ich nicht ertragen. Wenn ich nicht wüsste, ob es meinem Kind gut geht, vielleicht ist es krank, braucht Hilfe, vielleicht wird es geschlagen, vernachlässigt und ich weiß gar nichts darüber…. Oder anders herum meinem Kind geht es super, so dass ich mir keine Sorgen machen muss, hat eine liebevolle Familie und wächst wohlbehalten auf... Vielleicht hat mein Kind interessante Gaben und Talente die man fördern sollte. Und ich weiß es nicht, stelle mir stattdessen quälende Fragen, ob es in Sicherheit ist oder nicht…. Nein, ich würde immer versuchen Kontakt zu halten.“ Nun sieht er mich wortlos mit offenstehendem Mund an. „Genauso ist es…. Du sprichst mir aus der Seele, Yugi. Auch wenn wir unsere eigenen Leben haben, gehört er irgendwie zu mir. Ich danke dir, für dein Verständnis. Du weißt ja gar nicht, was mir das bedeutet…“ Er erwacht allmählich immer weiter aus seiner Starre. „Ich sage nur ehrlich, was ich denke“, erwidere ich. Ich atme tief durch, werde auch wieder etwas ruhiger. Es fühlt sich so an, als würde der Schwarze Magier, der die ganze Zeit drohend neben uns gewacht hatte, sich in viele kleine Lichtpünktchen auflösen und sich im Tageslicht des Raumes verteilen. „Wenn wir schon beim Thema Ehrlichkeit sind… Mir liegt da auch noch etwas Anderes auf der Seele…“ „Ja?“, entkommt es mir verwundert. „Wie du weißt, habe ich mich am Dienstag mit Anzu getroffen. Wir haben nur kurz gesprochen… Aber“, setzt er fort. „Ich habe da sehr deutliche Anzeichen bei ihr gespürt, wie wichtig du ihr bist. Sie hat mir zwar gesagt, ich soll mich bei dir melden… Aber sie trägt eine äußerst schlecht sitzende Maske, die fast schon von allein herunterrutscht... Ich habe euch auch oft zusammen gesehen… Ihr trefft euch so oft in den Pausen, ihr habt Dates im Café und sicherlich…. war die rote Rose damals auch von ihr… Ihr seid so eng und vertraut. Ich möchte da nicht…“ Ungläubig starre ich ihn an. „Nein! Wir sind Freunde seit Kindertagen, mehr ist da meinerseits nicht! Wirklich nicht!“ Er nickt verstehend. „Das hattest du mir damals bei unserem Treffen auch so gesagt… Ich wollte nur sicher gehen, dass sich seitdem bei dir nichts geändert hat… Sie dagegen - “ Ich seufze leise und zupfe unangenehm berührt an meinem Shirt herum. „Es hat sich nichts bei mir geändert. Ich weiß… sie hat romantische Gefühle für mich“, ich halte kurz die Luft an. „Ich ähm… Wir haben aber schon ehrlich darüber gesprochen, dass ich nicht so für sie fühle…“ „Hmm“, gibt er nachdenklich zurück und öffnet einer seiner Küchenschränke, greift nach einer rötlichen Packung. „Möchtest du noch einen Karkadeh Tee?“ „Ja gern“ entkommt es mir erleichtert, endlich so eine simple Frage gestellt zu bekommen, nach all diesen tiefgründigen Themen. Gerne können wir nun vielleicht eher Richtung seichten Smalltalk übergehen. Ich muss all das eben Gehörte erst gründlich verdauen… Vielleicht noch eine warme Tasse Tee gemütlich mit ihm genießen, dabei über den neusten Tratsch aus der Schule lachen – immerhin bin ich seit Wochen nicht mehr richtig up to date. Yami müsste derzeit besser informiert sein als ich, was es dort so für neue Stories und Flurfunk gibt. Natürlich nur der Allgemeine Klatsch und Tratsch und der Lehrerzimmer-Funk. Nicht der Flur-Funk der Schüler. Und danach mache ich mich auf den Heimweg und muss erst einmal alles sacken lassen. Ich beobachte kurz, wie er den roten Tee zubereitet, und überlege, nach welchem News ich ihn als erstes fragen werde. Ob der Hausmeister- „Bist du denn allgemein nicht an Frauen interessiert? Oder liegt es an ihr?“ Mit stechendem Blick reicht er mir mein frisches Teeglas. Wumm. Ich taumele vor Schreck ein Stück nach hinten, wäre sogar fast über Kacy gefallen, die plötzlich zwischen meinen Beinen auftaucht. Der Themenwechsel erwischt mich eiskalt. Obwohl – war es überhaupt einer? Wenn ich an meinen letzten gesprochenen Satz denke, passt seine Frage haargenau auf meine letzte Aussage. Er war also immer noch im Kopf damit beschäftigt… Ohne es steuern zu können, spüre ich schon wie mein Hals, meine Ohren und meine Wangen beginnen heiß aufzuglühen. Das nenne ich mal direkt. Schüchtern ist er wirklich nicht. Aber wenn ich ihn schon nach seinem Sohn frage – dann muss ich mich auch auf andere unverblümte Themen einstellen… „Ähm…. Ich… Also…“ Peinlich berührt presse ich meine Lippen zusammen. Um Zeit zu gewinnen nehme ich ihm den Tee aus der Hand, aber jedoch ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. Ich weiß auch so, welchen Blick aus seiner großen Bandbreite er gerade einsetzt um mich selbstbewusst unablässig zu fixieren. „Tja, wenn ich ehrlich bin… Es ist mir peinlich… aber ich… Ich bin mir unsicher. Ich frage mich das selbst öfters…“, ich nehme all meinen Mut zusammen und bringe es ganz ehrlich hervor. So wie ich fühle und denke. „Ich spüre, dass ich Männer mag… aber… ob ich mit Frauen allgemein nichts anfangen kann… Ich habe…. habe es noch nicht weiter…ausprobiert...“ Yami hat sich kurz abgewendet um sein Getränk wie üblich zu süßen. „Verstehe“, gibt er ruhig zurück. Es klingt verständnisvoll und ich kann keine negativen Schwingungen vernehmen. Dann dreht er sich wieder zu mir und nippt an seinem dampfenden Tee. Als er das Glas absetzt fährt er fort: „Du hast dich wohl noch nicht genug durch alle Speisen durchprobiert um zu wissen, was dir schmeckt“, grinst er bloß. Wie kann er das sagen ohne rot zu werden? Tja nur irgendwie… hat er leider Recht. Gedankenverloren und verschämt sehe ich in meinen roten Hibiskustee. Oh man, meine Gesichtsfarbe macht sicher gerade dem Getränk Konkurrenz… „Ich wollte damals beides ausprobieren… Ich habe nach dieser Erfahrung aber festgestellt, dass es mich eher zu den Männern zieht. Das muss dir nicht peinlich sein. Das ist doch normal, dass man erst Ausprobieren muss. Du bist doch noch so jung, in deinem Alter experimentieren die Meisten eh noch herum… Du bist jetzt… Achtzehn?“ Da sind wir wieder bei seiner Aussage von vorhin über die Experimentierphase die er in meinem Alter hatte. „Fast Neunzehn, ja. Aber ich habe keinen Bedarf an Experimenten! So bin ich nicht! Ich habe meine Prinzipien… Vielleicht naiv aber… Wo bleiben denn sonst Vertrauen und Treue?!“ Abschätzig sieht Yami mich an, lässt mich ausreden und schweigt. „Ich habe meine Eltern verloren…. Ich weiß, was Verlust bedeutet. Das ist zwar etwas Anderes, aber…. Ich suche Festigkeit und Beständigkeit im Leben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, mich durch Verschiedenes durchzuprobieren! Ich weiß, was ich möchte und brauche. Wenn ich mich für etwas sicher entschieden habe, dann bleibe ich auch dabei! So bin ich halt!“ Gedankenverloren betrachte ich ein paar frische grüne Frühlingsblätter durchs Fenster, die sanft vom Wind hin und her gewogen werden. Ich kämpfe mit mir selbst und suche Blickkontakt zu Yami. „Bei mir hat sich nichts geändert… Weder in Bezug auf Anzu… Noch… in Bezug auf… auf… äh… andere Themen…“ Ich presse die Augen zusammen. Es hätte natürlich ein ‚dich‘ werden sollen. Ich schäme mich für mich selbst, es ihm nicht ins Gesicht sagen zu können. So offen wie er mich gerade nach Frauen gefragt hat, hätte er sicher keine Probleme, es mir ins Gesicht zu sagen. Völliges Schweigen bei uns beiden. Um mich beschäftigt zu geben trinke ich noch einen Schluck Tee. Ich habe es nur allgemein gehalten - aber… aber… Mensch, ich könnte im Boden versinken! „Oh man, klingt alles ganz schön kitschig, nicht wahr?“, ich fahre mir durch die Haare. „Ich kann gar nicht glauben, dass ich das gerade zu dir gesagt habe… Hast du mir etwas in den Tee gegeben? Rum? Whiskey?“, scherze ich und versuche verzweifelt die Peinlichkeit zu überspielen und die seltsame Situation zwischen uns aufzulockern. „Nein.“ Uh, okay. Nun ist er angefressen dass ich ihm so etwas unterstellt habe. „Ich finde es nicht kitschig.“ Aber gefallen hat es ihm sicherlich auch nicht, so einsilbig und zurückgezogen wie er gerade wird. „Tja… dann… ähm… Ich habe am Mittwoch meine mündliche Abschlussprüfung. Ich sollte mich noch darauf vorbereiten…“, rudere ich mit meinem kleinen Bötchen, das in einer unruhigen Strömung auf und ab hüpft. Hilflos paddele ich mit meiner Nussschale über die aufgeschäumte Oberfläche. Auf der Suche nach festem Untergrund. Yami hält inne, starrt mich kritisch an. Ich kann geradezu sehen, wie sein Gesicht wieder zur Maske wird und er sich emotional abschirmt. „Du willst jetzt gehen? - Wie du meinst.“ „Ja, ich muss dringend für Mittwoch lernen…“ „Welches Fach?“ „Kunst. Kennst du dich auch zufällig auf diesem Fachgebiet aus?“, versuche ich das entstandene Eis zu brechen. Yami verschränkt die Arme vor der Brust und betrachtet mich anklagend aus seinen tiefgründigen Rubinen. „Nein. Ich unterrichte schon drei Fächer, das ist sogar eins mehr als die meisten Lehrer.“ Ich habe ihn eindeutig verärgert. Aber gut, er hat mir heute sein wichtigstes Geheimnis offenbart. Ich kann mich nicht beschweren. Er war ganz schön fertig. Sicher liegt ihm das alles noch schwer im Magen. Daher verabschiede ich mich kurz darauf von ihm. Spüre dabei deutlich, wie er sich zurück zieht und in seine distanzierte Rolle als angehender Lehrer zurückfällt. Dafür ist meine Verabschiedung von Kacy umso herzlicher. Den Türgriff in der Hand wende ich mich noch einmal zu ihm um: „Yami… Ich danke dir vielmals für… das ehrliche Gespräch heute! Vielen Dank, dass du mir das alles anvertraut hast!“ Sein Mundwinkel verzieht sich etwas für mich undeutbar. „Dafür Danke ich dir auch, Yugi.“ „Ich wünsche dir noch einen schönen Abend! Und vielleicht….“ Eigentlich wollte ich noch etwas vorschlagen, aber seine Laune lässt mich irgendwie unsicher werden. Wahrscheinlich braucht er nun selbst erstmal Ruhe und viel Schlaf. Von Mahad zu erzählen hat ihn sehr aufgewühlt. Doch bedingt durch all die ehrlichen Worte heute Abend gebe ich mir selbst noch einen Ruck. „Vielleicht klappt es ja in den nächsten Tagen doch noch mit dem Essengehen im „El Horus“ das du vorgeschlagen hattest?“, ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln aus den Tiefen meiner Seele, welches ich nur für ihn reserviert habe. Verdutzt sieht er mich an, lehnt sich seitlich in den Türrahmen. „Ja, vielleicht.“ * Am nächsten Tag, den Sonntag, hat sich Jonouchi zufällig und ganz spontan zu mir eingeladen. Da mein Großvater heute einen Freund besucht, sind wir allein im Haus. Wir haben es uns an unserem großen Esstisch im Wohnzimmer gemütlich gemacht, denn wir brauchen viel Platz. Mein bester Freund hat mich tatsächlich nach langer Zeit mal wieder zu einem Duell herausgefordert. Aber ich habe ihn längst durchschaut, dass das nicht der Hauptgrund für seinen Besuch ist… „Jetzt greift mein ‚Rotäugiger Schwarzer Drache‘ deinen ‚Schweigsamen Schwertkämpfer‘ an! Da mein Monster viel mehr Angriffspunkte hat und dein Schwertkämpfer so ein niedriges Level hat, verlierst du ordentlich Lebenspunkte, mein Freund! Tja, das kommt davon, wenn man unkonzentriert spielt! Ich will zu gerne wissen, an was oder besser wen du stattdessen gedacht hast“, grinst mich mein blonder Kumpel schelmisch an. „Nicht so voreilig“, mahne ich ihn nicht weniger grinsend. „Ich setze die Zauberkarte ‚Wandel des Herzens‘ ein und lasse deinen Drachen zu mir überlaufen…“ Ich schnappe mir seine Karte und ziehe diese über den Tisch zu meinen herüber. „Dann greifen dich mein Schwertkämpfer und dein Drache gemeinsam an – Und damit sind deine Lebenspunkte bei Null angekommen!“ „Ach nöö, nicht die ‚Überläufer‘ Karte! Das ist gemein! Wie machst du das nur immer, genau im passendem Moment die richtige Strategie aus dem Ärmel zu ziehen?!“, flucht Jono und springt auf. „Immer stimmt ja gar nicht“, murmele ich. „Doch bei Duel-Monsters gewinnst du IMMER, Yugi! Du bist so verdammt genial in diesem Game! Ich verstehe gar nicht, dass du dich die letzten 2 Jahre so davon zurück gezogen hast. Du warst vor mehr als 2 Jahren Japanischer Nationalmeister. Du hättest sogar die Chance auf den Weltmeistertitel gehabt, wenn du dich nicht plötzlich selbst aus der Profiszene gezogen hättest! Und jetzt nimmst du nicht mal mehr an einem regionalen Turnier hier in Domino oder Umgebung teil! Und ich melde mich bei allen Turnieren hier an und schaffe es nicht mal annähernd so gut darin zu sein wie du!“ „Ach Jou… Du weißt doch, dass mir das mit den Meisterschaften zu viel Rummel um meine Person war. Ich kann einfach nicht so intensiv im Mittelpunkt stehen. Immer wenn man so ein Turnier gewinnt wird man von TV- und Radioreportern bedrängt, man muss Interviews geben, Reden halten, für Fotos und Plakate posieren und und und… Das ist nicht meins. Ich sterbe doch jedes Mal vor Aufregung, wenn ich schon in der Schule ein Referat halten muss… Ich spiele gerne in der Freizeit, das reicht völlig.“ „Das ist eine völlige Verschwendung deines Talents, Kumpel. Aber leider kann ich dich ja nicht zwingen…. Vielleicht hast du ja auch später diesbezüglich nochmal einen ‚Wandel des Herzens‘“, spielt er mir süffisant zu, dann wird sein Grinsen breiter. „ Apropos – die ‚Wandel des Herzens‘ Karte müsstest du auch mal auf Yami Athem anwenden. Dann bekommst du sicher schnell, was du dir wünscht… Oder hast du es etwa schon längst??!“, lässig lässt er die Frage rein beiläufig fallen. Aber ich weiß genau, dass er die ganze Zeit schon auf die perfekte Gelegenheit gewartet hat. „Wir haben uns gestern lange unterhalten…“, zögere ich noch. „Das heißt ihr habt euch ausgesprochen und seid jetzt ein Paar?!“ „Ähm… ausgesprochen ja. Ein Paar? Schön wärs!“ Verwirrt blinzelt er: „Wie jetzt? Ihr habt euch ausgesprochen? Und seid trotzdem nicht zusammen? Ja aber ich dachte ihr könnt alles endlich klären und dann… steht nichts mehr im Wege…?“, ich spüre seine Enttäuschung für meine Situation. Das reißt mich natürlich emotional wieder mit. Das Brennen in meiner Brust kehrt zurück, von dem ich selbst gerade nicht weiß, welchem Namen ich diesem Gefühl geben soll. Ich brauche einen längeren Moment, die hochkommenden Emotionen runter zu drücken, ehe ich Jonouchi antworten kann: „Als ich gestern Abend nach Hause gefahren bin… Hatte ich mir eigentlich eingeredet, dass es gar nicht schlecht lief. Wir wissen nun alles übereinander, was wir vom Anderen wissen wollten. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Das hoffe ich zumindest.“ „Und dass ihr jetzt nicht zusammen seid, kann ja nur an ihm liegen. Also, was ist denn immernoch sein Problem?“ Eigentlich geht es nur Yami und mich etwas an. Aber ich muss mir eingestehen, dass es mir jedes Mal, wenn ich meinem besten Freund mein Herz ausgeschüttet hatte, sehr viel besser ging. Daher lasse ich ihn auch nur noch einmal etwas intensiver nachbohren, dann knicke ich ein und gebe ihm die ersehnte grobe Zusammenfassung unseres Gesprächs. Einige Details sowie Intimitäten und den Kuss nenne ich nicht. Zuvor lasse ich mir allerdings noch auf unsere beste Freundschaft schwören, dass er alles für sich behalten und nicht einmal Honda einweihen wird. Yami hat mir immerhin alles im Vertrauen erzählt. Aber wenn ich das jetzt alles für mich behalte und in mich hinein fresse, dann gehe ich ein wie eine Pflanze ohne Wasser. Jonouchis Augen werden von Satz zu Satz immer größer und ungläubiger. Fassungslos starrt er mich an – und es ist einer der absolut seltenen Momente, in denen ich ihn sprachlos erlebe. Und er findet auch den restlichen Abend die Sprache nicht richtig wieder. „Eigentlich wollte ich Yami auch gestern noch erzählen, dass ich tatsächlich die Zusage und den Vertrag von der Bank in Sanyo für den Ausbildungsplatz bekommen habe! Aber… er war am Schluss so schlecht drauf…. Da kam es mir irgendwie unpassend vor, das zu erwähnen.“ „Ehrlich, du hast dich gegenüber den anderen Bewerbern durchgesetzt und die Stelle bekommen?“, die Nachricht bringt ihn – und auch mich – aus unseren trübseligen Gedanken. Er springt auf, rennt um den Tisch und umarmt mich. „Mensch Yugi, das sind ja tolle Nachrichten! Das freut mich so riesig für dich! Ich wusste, dass es noch klappt! Und dann auch noch in der Stadt, in der dein Yami lebt!“ „Hör mir mit ‚dein‘ Yami auf. Ich weiß immer noch nicht richtig, wo wir überhaupt stehen. Ich… ich hätte ihm gestern sogar beinahe… noch einmal meine Gefühle gestanden. Ich habe mich aber nicht getraut und spontan etwas Allgemeines gesagt... Und mich dann selbst darüber verflucht! Wenn ich es getan hätte und er gewollt hätte - Wir hätten uns danach den ganzen Abend küssend in den Armen liegen können…“, ich seufze tief bei dieser ‚was-wäre-wenn‘ Vorstellung. „Aber stattdessen hat er mich…. ja irgendwie sogar mal wieder auf Abstand gehalten. Er wurde ganz komisch und hm ja, wie soll ich es am besten beschreiben? Irgendwie einsilbig und von der Tonlage so… zickig.“ „Uh, eine männliche Zicke also? Mensch Yugi, überleg‘s dir lieber nochmal, ob du ihn wirklich haben musst. Das könnte ein anstrengender und sturer Typ sein… Ich kenne ihn ja nur aus dem Unterricht. Da wirkt er nicht so.“ „Naja, jeder hat solche und solche Seiten. Und ihm ging es gestern nunmal eindeutig nicht gut.“ Ich mache mich daran, unsere auf dem Tisch verstreut liegenden Duell-Karten wieder einzusammeln. „Wahrscheinlich lag es daran. Aber hey, dass mit dem Ausbildungsvertrag ist echt toll! Du hattest dich ja schon für ein Studium eingeschrieben, falls es nicht mehr klappt. Eigentlich sind alle Ausbildungsplätze ja schon seit Monaten vergeben. Das war ja wirklich last, last Minute!“ Er hilft mir, die Decks wieder vollständig zusammen zu bauen. „Das stimmt. Diese Bank hat sich noch ziemlich spät spontan entschieden, doch noch einzustellen. Und dann konnten die sich nicht zwischen mir und einer anderen Person entscheiden. Dann haben sie einfach uns beide genommen!“ „Sehr cool, Kumpel! Darauf sollten wir anstoßen! Nun sind wir wirklich alle dort untergekommen, was wir uns im Anschluss an die Schule vorgenommen hatten! Ich kontaktiere Anzu und Honda und dann schauen wir alle zusammen nach einem Termin um feiern zu gehen. Wann ist deine mündliche Prüfung? Am Mittwoch, oder? In der Woche ist in den Clubs nichts los, das ist langweilig. Wie wäre es mit Freitag- oder Samstagabend?“ „Ist das nicht etwas früh? Wir sollten doch zumindest noch auf die Ergebnisse unserer Prüfungen warten, bevor wir feiern gehen! Vielleicht ist jemand durchgefallen oder mit der Benotung total enttäuscht!“, gebe ich zu bedenken. „Ach es geht ja nicht ums Bestehen. Nur dass wir es hinter uns gebracht haben! Und dass wir alle im Anschluss so untergekommen sind, wie wir es uns gewünscht haben! Sogar das Auslandsjahr mit Option auf Verlängerung in den USA mit dem Miteinstieg in die Tanzschule für Anzu hat geklappt!“, lächelt mein Gegenüber. „Sie hat auch ihre Zusage? Oh wow, das ist immer schon ihr größter Wunsch gewesen, seit ich sie kenne…Ich freue mich so für sie!“ Es freut mich wirklich, dass sie nun hoffentlich mehr Glück erfahren wird – und in den USA ihren Traum leben wird. Es wird trotz allem komisch, sie so weit weg zu wissen. „Yami war nach seinem Schulabschluss auch ein Jahr in den USA. Ihm hat es auf jeden Fall gut dort gefallen. Er hat sogar Kacy von dort.“ Ein süffisantes Grinsen und ein Kopfschütteln folgen. „War ja klar, dass du das Thema immer schnell zu ihm zurück lenken musst…“ Verlegen lächele ich. Blöde Wolke sieben. * Rechtzeitig zu meinem Prüfungstermin finde ich mich in der Schule ein. Ich habe natürlich versucht, mich bestmöglich darauf vorzubereiten. Allerdings hat Yamis gesamtes Leben – sowohl aktuell als auch seine Vergangenheit – meine Gedanken ständig von oben bis unten vereinnahmt. Er hat einen fast Achtjährigen Sohn – zu dem Zeitpunkt war ich gerade mal zehn Jahre alt. Und er… ja, ungefähr so alt wie ich jetzt. Eine sehr abstrakte Vorstellung für mich, jetzt bald Vater zu werden. Ich hatte ja noch nicht mal – ich schüttele den Kopf. Konzentrier‘ dich lieber auf das Fach Kunst und Kunstgeschichte, Yugi, als über die verflossenen Bettgeschichten deines Physikreferendars nachzudenken. Kunstgeschichte, Yugi! – Ermahne ich mich selbst. Das alles macht mir Kopfschmerzen… Mein Kunstlehrer, Herr Watanabe, bringt mich in den Vorbereitungsraum. Wie vorgeschrieben, bekomme ich mein Thema und 20 Minuten, um mich darauf vorzubereiten. Dann muss ich weitere 25-30 Minuten vor den Prüfern darüber referieren. Nach Ablauf der Vorbereitungszeit werde ich von Herrn Watanabe abgeholt und in den Hörsaal geführt, der aufgrund der guten Akustik heute als Prüfungsraum genutzt wird. Ich starre auf meine eigenen Notizen, um mir nochmal alles, was ich nun sagen möchte, einzuprägen. Er setzt sich in die zweite Reihe neben unseren Schulleiter und deutet auf das zentrale Rednerpult vorne, das üblicherweise im Unterricht von den Lehrern und Dozenten genutzt wird. Die Stelle, an der Yami schon so oft gestanden hat um zu unterrichten – vor dem vollen Kurs. Ich bin ja schon ziemlich nervös. Jetzt bekomme ich eine leichte Ahnung, wie er sich immer fühlen muss hier vorne alleine… Und bei ihm sieht das immer so perfekt und einfach aus. Und ich habe keinen 30 Personen Schülerkurs vor mir, sondern lediglich die zwei Prüfer. Mir reichen die beiden schon, jetzt hier freisprechen und erklären zu müssen. Nein, Lehrer werde ich niemals! Ich beziehe Position am Rednerpult und hebe mein Gesicht erstmalig richtig von meinen Notizzetteln hoch, um die Prüfer vernünftig zu begrüßen. Mein Kunstlehrer reißt seine Aufmerksamkeit danach auf sich indem er beginnt: „Guten Tag Yugi Mutou, wir kennen uns ja, ich bin heute Ihr Hauptprüfer. Und unser Schulleiter, Herr Takahashi, ist Ihnen auch bekannt, er übernimmt hier die Rolle des zweiten Prüfers.“ Der Schulleiter nickt mir ernst zu. „Und als Protokollant -“, er weist mit der Hand nach ganz links außen, was für mich, ihm gegenüberstehend, rechts ist, „haben wir heute aufgrund einer spontanen Krankheitsvertretung - Herrn Athem, vielleicht sind Sie sich auch schon begegnet?“ Ähm nein, noch nie gesehen. Naja, besser wärs für mich zumindest, es wäre so. Oh bei Ra, Horus, Osiris, Seth und wie sie alle heißen. Was macht ER in meiner Prüfung? Hätte er mich nicht vorwarnen können? Zum Gruß hebt Letzterer kurz wortlos seine linke Hand, schaut mich mit einem intensiven Blick an. Dann versinkt sein hübsches Köpfchen wieder tiefer hinter dem Bildschirm des großen Laptops, der aufgeklappt vor ihm steht und er beginnt zu tippen. Deswegen hatte ich ihn wohl auch nicht sofort bemerkt. Ich zwinge mich auch sofort den Blick abzureißen, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Der Schulleiter dreht den Kopf in Yamis Richtung: „Fürs Protokoll, Herr Athem, würden Sie bitte beginnen?“ Dieser räuspert sich kurz hinter vorgehaltener Faust, fährt dann mit seiner bekannten, klaren und ruhigen Stimme fort, seinen eben geschriebenen Text vorzulesen: „Mündliche Abschlussprüfung der Domino High-School im Fach Kunst. Anwesende: Herr Yugi Mutou, Absolvent. Herr Watanabe, Fachlehrer für Kunst und Musik, hier in der Rolle als erster Prüfer. Herr Takahashi, Fachlehrer für Japanisch und Kunst und Schulleiter, hier in der Rolle als zweiter Prüfer. Herr Athem, derzeit Referendar für Physik, Informatik und Sport, hier in der Rolle als fachfremder Protokollant. Herr Mutou ist den Prüfern von Person bekannt, eine Ausweiskontrolle entfällt daher. Prüfungsbeginn ist – “, er stockt kurz und sieht mit Sicherheit in der unteren rechten Ecke des Laptops nach – „10:42 Uhr am Mittwoch den 09.Mai.“ Seine Hände beginnen zu tippen um die genannte Zeit zu dokumentieren. „Vielen Dank, Herr Athem. So, dann lassen Sie uns mal hören, was Sie vorbereitet haben, Herr Mutou!“, fordert mich der Schulleiter auf. Fachfremder Protokollant… na super! Wer braucht denn sowas? ER muss jeden Mist aufschreiben, den ich nun von mir gebe. Nuuur, mein Kopf ist plötzlich leer! Wie können die mir das antun und IHN mir vorsetzen? Das ist so unfair! Wie würden die es finden, wenn man deren Schwarm - mit dem Rumknutschen schon zu den harmlosesten Dingen gehört, die man getan hat - in eine Abschlussprüfung setzt?! Er ist doch der Magnet der jedes Mal wieder meine Festplatte löscht! Ich… ich, oh scheiße, ich muss nun referieren. Und das vor ihm, weil es sein Job ist! In solchen Situationen sind wir gefühlt so weit voneinander entfernt wie der Pluto und die Sonne. Mein Schulleiter lehnt sich zurück: „Wir warten! Die Zeit läuft!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)