A new generation von -Raven- ================================================================================ Kapitel 10: Phase 10: Ashes to ashes ------------------------------------ Phase 10: Ashes to ashes NERV-HAUPTQUARTIER "Das ist eigentlich völlig unmöglich. Theoretisch dürfte sie das gar nicht überlebt haben." Ritsuko zweifelte allmählich an ihrem Verstand. Gerade bei der Arbeit mit den EVAs hatte sie bereits die unwahrscheinlichsten Dinge erlebt, aber das hier schlug nun wirklich dem Fass den Boden aus. Nicht nur, dass EVA-07 im technisch völlig funktionsunfähigen Zustand noch agiert hatte - und zwar, um seine Pilotin zu retten - nein, er schien auch noch Eigeninitiative entwickelt zu haben! In der ersten Serie war so etwas schon einmal vorgekommen. Aber in der zweiten Serie sollten solche "eigenmächtigen" Aktionen völlig ausgeschlossen sein. "Bist du auch wirklich ganz sicher, Maya? Du bist völlig sicher, dass es sich nicht um eine Fehlfunktion des Systems gehandelt hat?" "Zu diesem Zeitpunkt war das System bereits derart beschädigt, dass es zu solchen Leistungen gar nicht mehr fähig gewesen wäre." "Ich glaube das einfach nicht! Ich meine, ich bin sehr erleichtert, dass Sergeant Langley überlebt hat, aber..." Hektisch blätterte die Wissenschaftlerin in einem Stapel Computerpapier, das über und über mit Daten von EVA-07 beschrieben war. Das darf einfach nicht wahr sein. "Moment mal..." Ihr stockte der Atem. "Das ist eigentlich unmöglich!" "Was ist denn, Akagi-hakase?", wollte ihre Assistentin wissen. "EVA-07 hat die Verbindungen unterbrochen, sofort nachdem Sergeant Langley den Feuerball geworfen hat." "Hat sie ihm die entsprechende Anweisung gegeben?" Ritsuko schüttelte langsam den Kopf. "Nein. Und wir auch nicht." "Aber das hieße ja..." "Dass wir uns möglicherweise völlig verzettelt haben. Bring mir die Grunddaten." Wenn das wahr ist, haben wir ein großes Problem. SHINJI IKARIS BÜRO "Shinji, ich habe das ja selbst nicht geglaubt. Aber er hat von sich aus die Verbindungen zu Sergeant Langley unterbrochen, um zu verhindern, dass sie möglicherweise von ihrem eigenen Feuer verletzt wird!" Stirnrunzelnd betrachtete der Kommandant das Bild des noch immer in Reparatur befindlichen EVA-07 auf einem der Monitore; gerade tauschte eine ganze Armee von Technikern die zerschmolzene Brustpanzerung aus. "Wenn er das nicht getan hätte..." "Wäre Sergeant Langley verbrannt, ja." "Heißt das, er ist... intelligent?" Ritsuko schlug sich innerlich gegen die Stirn. Natürlich waren die EVANGELIONs intelligent, und nach seinen Erfahrungen als Pilot hätte Ikari das eigentlich wissen müssen. Das Problem bestand darin, dass EVA-07 sich seiner Intelligenz offensichtlich bewusst geworden war. "Nun..." Zu ihrer Erleichterung klingelte in diesem Moment das Telefon. Shinji nahm den Hörer ab und hörte eine Weile schweigend zu; er wurde bleich. "Ja. Ja, ich verstehe. Ich werde persönlich vorbeikommen und den Eltern mein Beileid aussprechen." Ohne weitere Kommentare legte er auf. Noch bevor er es aussprach, wusste Ritsuko, was er ihr jetzt sagen würde. "Setsuke ist tot." "Hm", machte die Wissenschaftlerin abwesend. Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Die Begeisterung über ihre Idee veranlasste sie, unvermittelt aufzuspringen. "Natürlich! Das ist es!" Der Kommandant starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren. "Ritsuko... Setsuke ist T-O-T." "Ja. Bedauerlich, aber nicht zu ändern." "WIE BITTE?" Langsam strapazierte er ihre Geduld etwas zu sehr. Ungehalten fuhr sie fort: "Shinji, es tut mir leid um das Mädchen. Das Ganze ist natürlich sehr traurig, aber dieser Engel ist immer noch irgendwo da draußen. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir verhindern können, dass noch mehr Menschen ihre Kinder verlieren." "Was hast du vor?" Sie grinste humorlos. "Ich werde ihm Besuch schicken." NERV-KRANKENHAUS "Es tut mir sehr leid, Tia. Ich lasse dich wirklich nur ungern allein, aber..." "Negativ, Sir. Ich habe mehr als genug Gesellschaft." Seufzend schüttelte der General den Kopf; offenbar konnte er sich nicht entscheiden, ob er lospoltern oder doch lieber den verständnisvollen Erziehungsberechtigten mimen sollte. "Was ich sagen möchte, ist... Es tut mir leid, dass ich nicht bis zur Beerdigung bleiben kann, aber Schilling hat mal wieder Mist gebaut. und ich muss sehen, dass ich die Situation unter Kontrolle bringe." "Klar." Er betrachtete sie traurig. "Pass gut auf dich auf. Und übernimm dich nicht, hörst du?" "Ja, Sir. Ich habe verstanden, Sir." Konnte er sie nicht endlich in Ruhe lassen ? Diese Betroffenheits- und Besorgnisheuchelei machte es doch auch nicht besser... Bevor sie ihn mit einem weiteren unverbindlichen Kommentar endlich zum gehen bewegen konnte, umarmte er sie unversehends. "Ruf mich an, wenn irgendwas ist." Bestimmt nicht. Ich passe doch sowieso nicht in deinen Terminplan. "Ja, Sir. Auf Wiedersehen, Sir." Etwas ratlos wuschelte er ihr durchs Haar. Lass das. Das ist einfach nur peinlich. "Auf Wiedersehen, Kleines." Er ging und ließ eine sehr nachdenkliche Tia zurück. Würdest du mich einfach von deiner Verpflichtungsliste streichen, wenn ich sterben würde ? Wärst du froh, auch diese Belastung los zu sein? ZENTRALFRIEDHOF VON NEO-TOKYO 4, vier Tage später Misato hatte inzwischen aufgehört zu zählen, zum wievielten Mal sie sich die Nase putzte und die Tränen aus dem Gesicht wischte. Noch immer kam ihr das alles wie ein böser Traum vor; leider würde es dieses Mal kein Erwachen geben. Kaji drückte sanft ihre Hand - er wusste wohl, wie ihr zumute war. Durch den Schleier von Tränen hindurch sah die Subkommandantin sich um. Fast der gesamte Führungs- und Controlling- Stab von NERV war anwesend, um der Pilotin von EVA-04 die letzte Ehre zu erweisen. David war mit seinen Eltern gekommen, die sofort nach Shinjis Anruf aus den angereist waren. Weiter hinten standen einige Schulkameraden der EVA- Piloten und ein Ehepaar, das Misato nach kurzer Betrachtung für Rileys Eltern hielt. Von Kensuke wusste sie, dass Mr. und Mrs. Thornton ebenfalls so schnell wie möglich hergekommen waren. Gut zu wissen, dass Dave und Riley Eltern haben , die sie lieben... James Thornton sah mit seiner geraden Nase, den markanten Gesichtszügen und den sanften grauen Augen seinem Sohn so ähnlich, dass Misato erneut den Kampf gegen einen Weinkrampf verlor. Was ist, wenn Riley auch stirbt? Es ist nicht fair... Ein Schluchzen schüttelte sie, und Kaji drückte ihre Hand noch etwas fester. Warum? Warum das alles? Etwas abseits vom Rest der Trauergemeinde stand Tia, die Arme um den Oberkörper geschlungen, als würde sie frieren, und das war wohl auch der Fall. Trotzdem schnitt die Hilflosigkeit dieser Geste Misato tief ins Herz. Wie einsam muss sie sein! Nach der Zeremonie zerstreuten sich die Trauernden, mit den Gedanken bereits wieder im Leben; nur die junge Soldatin blieb reglos stehen und starrte auf das offene Grab, als denke sie ernsthaft darüber nach, sich hineinzustürzen. "Kaji, ich..." Der Major schüttelte den Kopf. "Ich gehe zu ihr." "In Ordnung." Ihr blieb also nichts, als zu warten. Zwei Personen auf einmal wären wohl schon eine zu viel gewesen. Ist es denn nicht schon schwer genug für sie? Es hatte etwas rührendes, wie Kaji dem Mädchen sanft seine Uniformjacke um die Schultern legte. Sie wandte den Kopf und schaute zu ihm hoch. Einen Moment lang sahen sie sich an, schienen einen wortlosen Dialog zu führen... dann legte er ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. Tia versteifte sich kurz, dann lehnte sie sich an ihn und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Misato erkannte an dem Beben der schmalen Schultern, dass der Sergeant weinte. Endlich... Mehr durch Zufall bemerkte sie den schwarz gekleideten Mann, der Tia wie gebannt anstarrte. "Nicht der schon wieder", knirschte die Subkommandantin und gab den auf dem Friedhof postierten NERV- Security- Männern unauffällig Zeichen, den Alten zu entfernen. Noch während er sich heftig gegen die Agenten wehrte, sackte Tia plötzlich in sich zusammen. Sie war noch immer sehr geschwächt und hätte ihr Bett - oder zumindest das Krankenhaus - eigentlich gar nicht erst verlassen dürfen, aber niemand hatte es übers Herz gebracht, ihr die Teilnahme an der Beerdigung zu verbieten. Eilig stürzte Misato zu den beiden hinüber. "Was...?" "Sie hat das Bewusstsein verloren", erklärte Kaji. "Sieh zu, dass du mir die Reporter vom Hals hältst, während ich sie zum Auto bringe." Böse lächelnd lockerte Misato ihre Schusswaffe im Holster. Das sollte nun wirklich das geringste Problem sein. NERV-KRANKENHAUS Dreiundzwanzigtausendvierhundertundzwölf. Dreiundzwanzigtausendvierhundertunddreizehn. Dreiundzwanzigtau... "Mist!" Zum wiederholten Mal hatte Tia die Übersicht über die Löcher in den Rigipsplatten der Zimmerdecke verloren. Nach ihrem Schwächeanfall auf dem Friedhof hatte Dr. Sawabe ihr fürs erste verboten, aufzustehen, und auf ihre Bücher und Zeitschriften konnte sie sich momentan nicht konzentrieren. Außer so genannten 'autorisierten Personen' durfte sie keinen Besuch empfangen. Wirklich großartig! Als jemand zögernd an ihre Tür klopfte, rechnete sie mit einer weiteren verängstigten Krankenschwester. Entsprechend grantig fiel ihr "Herein" aus. Was wollten die denn jetzt noch? Hatte Sawabe noch ein paar völlig unsinnige Tests entwickelt, die er an ihr ausprobieren wollte? Oder hatte man beschlossen, Dr. Ozaki wieder auf sie anzusetzen? Sie war erstaunt, zwei völlig Fremde das Zimmer betreten zu sehen. Der Mann und die Frau kamen ihr seltsam bekannt vor, obwohl ihr Bewusstsein darauf bestand, dass sie diese Menschen noch niemals gesehen hatte... Sie musterte den Mann gründlicher - und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Nicht noch mal. Hat irgend jemand die 'Tretet Tia'-Woche ausgerufen? Bevor sie dazu kam, etwas zu sagen, trat die Frau an ihr Bett und reichte ihr mit einem verlegenen Lächeln die Hand. "Guten Abend, Sergeant Langley. Ich bin Melissa Thornton, und das ist mein Mann James. Wir sind Rileys Eltern." Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. "Guten Abend, Mrs. und Mr. Thornton." Die EVA- Pilotin schwieg; was auch immer die beiden ihr zu sagen oder vorzuwerfen hatte, würde ohnehin aufs Tapet kommen, auch ohne dass sie sich dazu äußerte. Nun fangt schon an. Ich bin auf eure Version gespannt. Statt sie jedoch in irgend einer Weise anzugehen, reichte James Thornton ihr ebenfalls die Hand, während Melissa den mitgebrachten Blumenstrauß in einer Vase zwischen den Unmengen an Blumen von den NERV-Mitarbeitern und Tias Klassenkameraden unterbrachte. "Ich hoffe, wir stören Sie nicht..." "Oh nein, keineswegs. Setzen Sie sich doch, bitte." Wow. Das läuft auf "wir hassen dich" auf hohem Niveau hinaus... James zog sich einen Stuhl heran, während Melissa auf die Bettkante wies. "Darf ich?" "Selbstverständlich." Anmutig ließ sie sich nieder. Kaum zu glauben, dass dieses zierliche Wesen die Mutter eines langen Elends wie Riley war... Ein Stich von Neid durchzuckte Tia. Ich wäre gerne wie sie. Nein. Sie durfte diesem Gedanken keinen Raum lassen. Ihre Aufgabe ließ es nicht zu. Sieh es ein - Glück ist etwas, das prinzipiell nur anderen zustößt. Und jetzt zeig gefälligst Haltung und bring es hinter dich. "Mrs. Thornton... Mr. Thornton... Ich kann Ihnen nicht sagen, wie leid mir tut, was passiert ist. Aber ich hoffe, Sie können meine Entscheidung verstehen. Ich..." "Bitte tun Sie sich das nicht an." Melissa wirkte aufrichtig erschrocken. "So etwas dürfen Sie nicht sagen. Sie haben das Richtige getan. Riley hat gewusst, worauf er sich einliess. Es war sein Risiko. Wir haben die Aufzeichnung des Kampfes gesehen, und..." Sie stockte; natürlich war es schwer für sie gewesen, zuzusehen, wie ihr Sohn von einem Engel so gut wie umgebracht worden war. James räusperte sich, berührte kurz Tias Hand und sagte dann freundlich: "Ich kann meiner Frau nur zustimmen. Wir sind nicht hier, um Ihnen irgendetwas einzureden." "Warum sind Sie dann gekommen?" Die Worte hatten Tias Mund schon verlassen, bevor sie überhaupt darüber nachdenken konnte. "Subkommandantin Katsuragi sagte uns, dass Sie... keine Familie haben. Und wir dachten, Sie würden sich vielleicht über Besuch freuen... Und, nun ja - Riley hat uns viel von Ihnen erzählt. Er hält große Stücke auf Sie, wissen Sie?" Tatsächlich? Tia schluckte. "Ich... ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist, aber ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um diesen Engel zu vernichten." Melissa Thornton umarmte sie stumm, und James drückte ihre Hand. "Ich danke Ihnen, Sergeant Langley." Seine Frau setzte, sich die Tränen vom Gesicht wischend, hinzu: "Ich kann gut verstehen, warum Riley Sie so gern hat." HAT ER? "Ich mag ihn auch", erwiderte Tia leise. Erst als sie es aussprach, erkannte sie, dass es nicht nur eine Floskel war: sie mochte den Briten tatsächlich. Dabei hatte ich mir doch geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen! Ohne, dass sie es bemerkt hatte, war passiert, was sie immer hatte vermeiden wollen: der Eispanzer, den sie um ihr Herz geschlossen hatte, bekam Risse. NERV-KRANKENHAUS, am nächsten Morgen Tia saß auf Rileys Bettkante und betrachtete besorgt das Wirrwarr von Schläuchen und Sensoren, an die er angeschlossen war. Wie blass er war! Sanft strich sie über die frische Narbe, die quer über seinen linken Mundwinkel verlief. "Ich erledige den Bastard, Riley. Das verspreche ich dir." Warum nur erschien er ihr so vertraut? So lange kannten sie sich doch noch gar nicht. Tausende von Jahren... Irritiert schüttelte der Sergeant den Kopf. Wie es schien, hatten die verdammten Beruhigungsmittel entgegen Dr. Sawabes Versicherungen doch halluzinogene Nebenwirkungen. Als habe er sich durch ihre Gedanken gerufen gefühlt, platzte der besagte Arzt in das Zimmer. Wenn man vom Teufel spricht. "Hier sind Sie also, Sergeant Langley! Wir haben Sie bereits überall gesucht!" Na und? Dann musstest du wenigstens einmal was für dein Gehalt tun. Statt ihm ihre Ansichten in aller Deutlichkeit auseinanderzusetzen, zuckte das Mädchen jedoch nur gleichgültig die Achseln. Sie hatte weder Lust noch Energie, sich mit diesem Versager zu streiten. "Dr. Akagi hat gerade angerufen. Ich soll Sie fragen, ob Sie Interesse haben, dem Engel", er räusperte sich indigniert, "eine kleine Überraschung zu basteln." Okay. Das Zeug muss ein Halluzinogen sein. "Wie bitte?" "Sie hat das nicht weiter erklärt. Oh, ich soll Ihnen bestellen, der Code sei ,PLV 033.9'." Das Mädchen starrte ihn einen Moment lang an; sie spürte, wie sich ein Grinsen in ihren Mundwinkeln einnistete. "Das klingt gut." Seinem Blick nach zu urteilen wuchs ihr gerade ein zweiter Kopf. "Sehr schön, Major Kaji ist nämlich bereits unterwegs, um Sie abzuholen. Dr. Akagi hatte diese Antwort wohl erwartet." Tias Grinsen wurde noch ein wenig breiter. ,PLV 033.9' war der Internationale Seuchenkenncode für eines ihrer bevorzugten Forschungsobjekte: das Ebola-Virus Typ F. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)